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Kapitel 11
Klassische Ensembles Für wechselwirkende Systeme hängt die Energie des Gesamtsystems von der relativen Lage der mikroskopischen Teilchen ab. Die innere Energie wird dann nicht mehr, wie für ein ideales Gas, durch eine einfache Integration über die Variablen im µ-Raum berechenbar sein. Dies legt nahe, für allgemeinere Systeme mit sehr vielen Freiheitsgraden die Statistische Physik im Phasenraum zu formulieren. Diesen Weg wählte schon J OSIAH G IBBS in seinen bahnbrechenden Beiträgen zu der klassischen Statistischen Physik.
11.1
Mittelbildungen
Makroskopische Messinstrumente haben eine endliche Zeit- und Raumauflösung und jede Messung beinhaltet eine Mittlung über Skalen die klein gegenüber den mikroskopischen Skalen sind. Im gegenwärtigen Kontext sind dies Mittelungen über Zeitintervalle die wesentlich größer als die Stoßzeit sind. Die zentrale Annahme der statistischen Methode ist nun, dass diese Zeitmittlung durch ein Mittel über eine geeignet gewählte Menge von Systemen, auch Gesamtheit (statistisches Ensemble, Schar) genannt, ersetzt werden kann. Man sagt kurz, Zeitmittel = Scharmittel. Eine Gesamtheit ist eine (im Idealfall) unendliche Menge von identischen Kopien des Systems, charakterisiert durch eine Verteilungsfunktion %(t, x) im Phasenraum: %(t, x)d2fx Anzahl Systeme in d2fx zur Zeit t.
(11.1)
Jeder Punkt x = (q, p) ∈ Γ charakterisiert einen (reinen) Zustand und d2f x = dfq df p ist das Volumenelement im Phasenraum. Die Wahrscheinlichkeit dafür, das System im infinitesima131
11. Klassische Ensembles
11.2. Mikrokanonische Gesamtheit
132
len Phasenraumvolumen d2fx zu finden ist dann p(t, x) = R
%(t, x) . %(t, x)
(11.2)
d2fx
Das Ensemble- oder Scharmittel einer physikalischen Größe O(x) ist dann Z hOiρ = d2fx p(t, x)O(x) .
(11.3)
Strebt das System ins thermischen Gleichgewicht, dann nähert sich die Gesamtheit einem Gleichgewichtsensemble mit zeitunabhängiger Verteilung %(x). Die Scharmittel bezüglich %(x) sind dann Zustandsgrößen der Thermodynamik. Für einen festen Anfangspunkt ist eine Trajektorie im Phasenraum allein durch die Hamiltonfunktion H(x) bestimmt. Deshalb wollen wir annehmen, dass %(x) nur über H von den Orten und Impulsen der Teilchen abhängt, % = %(H). Dann ist die Verteilung %(H) automatisch stationär, da die Hamiltonfunktion eine Konstante der Bewegung ist. Die Ergodenhypothese besagt dann, das ein zeitlicher Mittelwert gleich dem Scharmittel ist, ¯ T = hOiρ , lim O
T →∞
¯T = 1 O T
Z
T
dt O(x).
(11.4)
0
¯ T der zeitliche Mittelwert der Observablen O(x) entlang einer Trajektorie im PhaHierbei ist O senraum. Wenn Gleichung (11.4) wahr ist, muss die Trajektorie vollständig ergodisch sein. Für fast alle Anfangsbedingungen kommt die Trajektorie mit Wahrscheinlichkeit Eins irgendeinem Punkt x auf der Energiefläche zu einem späteren Zeitpunkt beliebig nahe. Die Ergodenhypothese und der damit verwandte Wiederkehrsatz von Poincare gelten für viele, aber nicht für alle Systeme (Satz von KAM).
11.2
Mikrokanonische Gesamtheit
Für ein abgeschlossenes System ist die Energie erhalten und deshalb %(H) konstant auf jeder Energiefläche, ρ0 für E − ∆E < H(x) ≤ E ρm (x) = ρ(H(x)) = (11.5) 0 sonst, wobei die feste Energiedifferenz ∆E E die Unsicherheit in der Energiemessung spezifiziert. Unabhängig vom Anfangszustand wird also ein Gleichgewicht erreicht, in dem Zustände mit gleicher Energie gleichwahrscheinlich auftreten. Das Phasenraumvolumen der mikrokanonischen Gesamtheit ist Z Z Γ(E, V ) = d2fx =⇒ d2fx ρm (x) = ρ0 Γ(E, V ). (11.6) E−∆E