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ALPMANN SCHMIDT Juristische Lehrgänge Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Alter Fischmarkt 8 48143 Münster
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Falltext
C 559 Nds 06.03.2017
Oberstaatsanwalt Ewald Emsig (E) bewohnt zusammen mit seiner Ehefrau Mathilda eine im Erdgeschoss liegende Mietwohnung eines von vier Parteien bewohnten Hauses am Stadtrand von Hannover. Emsig leitet in der örtlichen Staatsanwaltschaft die Abteilung Organisierte Kriminalität und war in den vergangenen Jahren mit mehreren Großverfahren gegen unterschiedliche Motorradclubs befasst, die sich im Bereich Drogenhandel und illegaler Prostitution verdingten (sog. Outlaw Motorcycle Gangs). In diesen Verfahren erwirkte er langjährige Haftstrafen gegen mehrere hochrangige Clubmitglieder, was ihn zur „Zielscheibe“ der auf Vergeltung sinnenden übrigen Clubmitglieder werden ließ. Aufgrund eines anonymen Hinweises entdeckte Emsig auf einer Social-Media-Plattform einen Aufruf zu Gewalttaten gegen ihn. Ein User veröffentlichte dabei die Privatadresse des Emsig und schlug vor, dem Emsig vor dem Haus aufzulauern und ihn dann bei dessen abendlicher Heimkehr im Hausflur mit Eisenstangen und ähnlichem Schlagwerkzeug zu traktieren. Mit gezielten Schlägen gegen den Kopf solle dessen Tod herbeigeführt werden, damit die Staatsanwaltschaft Hannover gewarnt sei, in Zukunft von Ermittlungen gegen den Motorradclub Abstand zu nehmen. Der Aufruf fand begeisterten Widerhall bei mehreren weiteren Usern. Die daraufhin durch die Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden jedoch ergebnislos eingestellt, da die User nicht ermittelt werden konnten. Diese hatten ihre digitalen Spuren mit entsprechender Software derart verwischt, dass die einzelnen Posts nicht zurückverfolgt werden konnten. Gleichwohl stufte die zuständige Behörde die Gefährdung des Emsig als real ein und entwickelte deshalb ein Schutzkonzept, um den Angriff auf ihn vereiteln zu können. Auf Anordnung der zuständigen Polizeibehörde wurde im Vorgarten des Gebäudes ein Polizeiposten eingerichtet, der besetzt ist, sobald und solange Emsig zu Hause ist. Die dort eingesetzten Beamten führen Identitätsfeststellungen bei allen Personen durch, die das Haus betreten wollen. Sofern diese Behältnisse wie Taschen oder Rucksäcke bei sich führen, werden diese von den eingesetzten Kräften durchsucht. Handelt es sich um Bewohner des Hauses, wird im Regelfall auf eine zusätzliche Durchsuchung der Personen verzichtet, außer es liegen Anhaltspunkte für eine von der Person oder von ihr unmittelbar am Körper geführten Gegenständen ausgehende Gefahr vor. Vor Durchführung der jeweiligen Maßnahme wird den Betroffenen die Gelegenheit gegeben, sich mündlich zu äußern. Eine zeitliche Befristung dieser Maßnahmen erfolgt nicht, da nicht absehbar ist, für welchen Zeitraum die Situation für Emsig bedrohlich bleibt. Beate Biedermann ist Eigentümerin der über Emsig gelegenen Wohnung und fühlt sich von den polizeilichen Maßnahmen belästigt. Sie könne zwar verstehen, dass der Emsig geschützt werden müsse; dies könne aber nicht zu dauerhaften Auswirkungen auf sie führen. Sie erhebt deshalb Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht, mit der sie die sofortige Einstellung und zukünftige Unterlassung der gegen sie angeordneten Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen mitgeführter Sachen begehrt. Sie ist der Ansicht, dass diese Maßnahmen rechtswidrig sind. Zur Begründung führt sie an, dass die mit der Durchführung des Schutzkonzeptes verbundenen Eingriffe in ihre Grundrechte auch unter Abwägung mit den schutzwürdigen Belangen des Emsig, wenn überhaupt, nur für eine begrenzte Zeit zumutbar und verhältnismäßig seien. Diese Zeit sei inzwischen nach mehrmonatiger Durchführung des Schutzkonzeptes erschöpft, sodass die Maßnahmen zukünftig unterbleiben müssten. Im Übrigen habe die Durchführung des Schutzkonzeptes eine Gefahr für ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben zur Folge, da die Anschlagswilligen nun zur Verwendung gemeingefährlicher Tötungsmittel gezwungen seien. Außerdem sei das Schutzkonzept jedenfalls zur vollständigen Abwehr der dem Emsig drohenden Gefahr ungeeignet, da dieser in einer Erdgeschosswohnung nicht vollumfänglich geschützt werden könne. Die Polizei habe bei der Erarbeitung des Schutzkonzeptes die Möglichkeit außer Acht gelassen, Oberstaatsanwalt Emsig und seine Ehefrau in ein anderes Gebäude umzusiedeln. Hierdurch sei ein wirksamer Schutz unter Ausschluss der Beeinträchtigungen der weiteren Hausbewohner möglich. Die Behörde entgegnet, dass sämtliche Maßnahmen aufgrund der weiterhin bestehenden Gefährdungslage unerlässlich seien, um das Leben des Emsig zu schützen. Immer wieder tauchen – was zutrifft – neue Anschlagsplanungen in den sozialen Medien auf. Die einzelnen Maßnahmen seien auch rechtmäßig. Die Beeinträchtigungen, die von den Maßnahmen auf die übrigen Bewohner, also auch die Biedermann, ausgingen, würden auf ein Minimum reduziert. Auf andere Weise ließe sich das Leben des Emsig nicht schützen. Eine Umsiedlung des Emsig in eine andere Wohnung würde nicht zur Abwehr der Gefahr, sondern lediglich ihrer räumlichen Verlagerung beitragen. Dementsprechend handele es sich dabei zwar um
Fortsetzung des Falltextes C 559 Nds
ein für die sonstigen Bewohner milderes, aber nicht gleich geeignetes Mittel. Eine besondere Bedrohung der B lasse sich nicht feststellen, da nach zutreffenden polizeilichen Erkenntnissen immer unmittelbare Anschläge gegen die Person des E angekündigt worden seien; Anhaltspunkte für einen Sprengstoffanschlag oder den Einsatz vergleichbarer gemeingefährlicher Mittel hätten sich in den Ermittlungen nicht ergeben. Zudem habe Emsig zusammen mit seiner Frau entschieden, die Wohnung trotz der Bedrohungslage nicht aufgeben zu wollen. Durch den fortlaufenden Polizeischutz seien sie ohnehin schon sozial isoliert. Diese Isolierung würde in ein unerträgliches Maß fortgesetzt, müssten beide jetzt auch noch ihren Wohnort wechseln. Diese Entscheidung sei von der Polizei zu respektieren. Außerdem hätten die eingesetzten Beamten in den vergangenen Wochen – was zutrifft – die Maßnahmen für die übrigen Bewohner reduziert: Die Kontrollen der Bewohner würden durch gesondert ausgegebene Lichtbildausweise vereinfacht und Taschen der Bewohner nur noch in Ausnahmefällen durchsucht. Diese Maßnahmen würden aber auch in Zukunft in diesem Umfang fortgesetzt. Wie wird das Verwaltungsgericht über die Klage der Biedermann entscheiden?
Bearbeitungsvermerk: Die Klage ist unter allen rechtlich in Betracht kommenden Gesichtspunkten – ggf. hilfsgutachterlich – zu begutachten.
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