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Sehr geehrter Herr Staatssekretär, sehr geehrte Frau Sektionschefin! Liebe Preisträgerinnen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist mir eine Freude und eine Ehre, Ihnen nun als Erste die beiden mit dem Gabriele Possanner-Förderungspreis ausgezeichneten Wissenschafterinnen vorstellen zu dürfen und Ihnen einen Einblick in die Gründe der Jury für die Auswahl dieser beiden exzellenten wissenschaftlichen Arbeiten zu geben. Frau Astrid HAINZL hat zunächst ein Bachelorstudium an der Wirtschaftsuniversität Wien mit Spezialisierungen in Entrepreneurship & Innovation sowie International Business absolviert (2008-2012) und ihr Studium nach der Teilnahme an der Internationalen Sommeruniversität in Montenegro 2012 mit einem Masterstudium mit den Schwerpunkten Change Management sowie Gender- und Diversitätsmanagement fortgesetzt. Sie war zunächst wissenschaftliche Projektmitarbeiterin, und ist seit 2015 Universitätsassistentin am Institut für Gender und Diversität in Organisationen der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihre preisgekrönte Masterarbeit mit dem Titel Die Reproduktion des männlichen Aufsichtsrates – Homosoziale Praktiken in der Evaluierung von Kandidatinnen und Kandidaten entstand im Rahmen eines EU-geförderten PROGRESS Projekts zum Thema Frauen in Aufsichtsratspositionen und greift ein hochaktuelles Thema an der Schnittstelle von Wirtschaft und Gesellschaft auf, nämlich die Beschickungspraxis österreichischer Aufsichtsräte. Trotz der regelmäßigen öffentlichen Diskussion über den geringen Frauenanteil in österreichischen Aufsichtsgremien steigt dieser nach wie vor in nur geringen Maß. Die Arbeit greift dieses zum Teil sehr emotional debattierte Thema in origineller und innovativer Weise auf. Die qualitative Studie beruht auf einer Reihe von Interviews mit ausgewählten Expertinnen und Experten, Aufsichtsratsmitgliedern und Vorständen sowie PersonalberaterInnen. Auf dieser Materialgrundlage erarbeitete Frau Hainzl typische Kriterien für die Besetzung der Positionen. Dabei zeigten sich Entscheidungsmuster, die Männer deshalb bevorzugen, weil das für Besetzungen so grundlegende Vertrauen bereits lange vor der jeweiligen Entscheidung in einschlägigen Männerrunden
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und -netzwerken gebildet und in der Folge als ausschlaggebendes Moment bei der Besetzung herangezogen wird. Weder die fachliche Qualifikation noch die Notwendigkeit der unterschiedlichen Besetzung der einzelnen Positionen können dieses Kriterium aufwiegen. Die Arbeit blickt gleichsam ins Innere jener Prozesse, innerhalb derer Geschlechterverhältnisse im Rahmen von Machtverhältnissen konstruiert werden. Sie zeigt, wie sehr „weiche“ Kriterien wie persönliche Bekanntschaft, Vertrauen und Formen des tacit knowledge letztlich maßgeblicher Schlüssel für Besetzungen sind. Diese Netzwerkmuster sichtbar zu machen ist eine Voraussetzung, um sie kritisch hinterfragen und verändern zu können und damit Frauen eine realistische Chance auf die Vertretung in Aufsichtsräten zu geben. Die Arbeit zeigt dies erstmalig für österreichische Aufsichtsräte, wobei in Österreich noch die besondere Kleinheit des Landes, die Konzentration auf Wien, der hohe öffentliche Anteil hinzukommen, sodass dieser Arbeit besondere Aktualität und hohe Überzeugungskraft zukommt. Frau Susanne SACKL‐SHARIF hat an der Universität Graz zunächst das Diplomstudium Musikwissenschaft sowie ein BA und MA Studium Soziologie absolviert und daran ein Doktoratsstudium in Musikwissenschaft und Kultursoziologie angeschlossen. Schon während ihres Dissertationsstudiums und seither war und ist sie in der Hochschulpolitik, als Lehrbeauftragte und als wissenschaftliche Mitarbeiterin in mehreren Forschungsprojekten tätig. Hervorheben möchte ich eine große, in einen internationalen Forschungsverbund eingebettete und vom ö. Forschungsförderungsfonds (FWF) und der Deutschen Forschungsförderungsgesellschaft (DFG) finanzierte internationale Studie mit dem Titel Nach Bologna. Gender Studies in der unternehmerischen Hochschule. Eine Untersuchung in Deutschland, Österreich und der Schweiz, an der Frau Sackl-Sharif maßgeblich beteiligt war und als eine deren Ko-Autorinnen sie fungiert. Ihre heute preisgekrönte Dissertation mit dem Titel Gender – Metal – Videoclips. Eine qualitative Rezeptionsstudie ist eine theoretisch anspruchsvolle, thematisch originelle und methodisch innovative Studie. Sie widmet sich aus geschlechtertheoretischer Perspektive dem popularkulturellen Phänomen „Metal“ bzw. „Heavy Metal“ und hier v.a. den Wechselwirkungen zwischen Musikpräferenz, Freizeitverhalten und Mediennutzung. Die qualitative Studie zu Darstellung von Geschlecht in Metal-Videoclips und zur
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Produktion und Rezeption von Metal durch Männer und Frauen basiert auf 20 Interviews mit Jugendlichen aus dem Grazer Raum. Frau Sackl-Sharif untersucht das Verhältnis von feldspezifischem Geschlechterwissen (d.h. „Metal Fans und MusikerInnen) zu Alltagswissen über geschlechtsspezifische Zuschreibungen: Wer gehört zum Feld „Metal“? Was gilt als „Mädchenmetal?“ Wie wird über solche Kategorisierungen Zugehörigkeit zum Feld definiert? Wer entscheidet, wer dazu gehört und wo die Grenzen, etwa zu anderen Musikrichtungen gezogen werden? Die Arbeit besticht durch eine Verschränkung ethnomethodologischer Ansätze und wissenssoziologischer Zugänge zu einer Typologie von Geschlechterwissen. Neben visuellem Geschlechterwissen macht sie auditives Geschlechterwissen sichtbar und die Interaktionen dieser Aspekte in der Praxis der Rezeption. Nicht zuletzt erlaubt ihr differenzierter Ansatz, einem Grundproblem qualitativer Sozialforschung konstruktiv zu begegnen: der Schwierigkeit, das Alltagswissen der Forschenden über ihren Gegenstand unreflektiert als Ausgangspunkt der empirischen Erhebungen zu übernehmen. Dieser Zugang lässt abschließend einen Bogen zu Frau Sackl-Sharifs aktuellem Forschungsprojekt zur „Politischen Partizipation im Bezirk Voitsberg“ (Stmk) schlagen. Sie stellt u.a. die Frage, welche Rolle Frauen, die immer noch eher am Rand als im Kern des politischen Feldes dieses ehemaligen Arbeiter/innenBezirks anzutreffen sind, in der politischen Landschaft von Voitsberg mit ihren aktuellen Bürgerinitiativen einnehmen können. Warum erwähne ich das an dieser Stelle? Ähnlich wie die beiden Preisträger/innen der Förderungspreise 2013, die ich hier exemplarisch in Erinnerung rufen möchte, bewegen sich die Preisträgerinnen 2015 mit ihrer Forschung und ihrem Engagement im Wortsinn an der Schnittfläche zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Ein abschließender Blick zurück und nach vorn: Frau Mag.a Lisa ROHM hat den Preis für ihre Arbeit zu Transnationale(n) Lebensweisen und Sorgetätigkeiten von rumänischen und slowakischen Pendelmigrantinnen in der 24-Stunden-Betreuung in Wien erhalten; Sie ist heute neben einer Zusatzausbildung für Sozialpädagogik beim Don Bosco Flüchtlingswerk als Betreuerin in einer WG für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge tätig und arbeitet außerdem für den Verein ZARA, wo sie Workshops zu den Themen Vielfalt, Diskriminierung und Zivilcourage hält. Herr Mag. Samir MEDANI hat den Preis für seine Arbeit zur Verehrung von weiblichen Diven durch schwule Männer erhalten und arbeitet hauptberuflich als Ergotherapeut in der Forensik bzw. im Maßnahmenvollzug mit psychisch beeinträchtigten Menschen. Daneben unterrichtet er im Bachelorlehrgang Ergotherapie der Fachhochschulen Campus Wien und Wiener Neustadt.
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Er sagt: „Das Unterrichten stellt eine herausfordernde Abwechslung für mich dar und bereitet mir ebenso viel Freude, wie die Arbeit mit den Randgruppen der Gesellschaft. Im Hinterkopf habe ich zwar immer noch die Idee, das Doktorat zu machen, doch es drängt sich mir nicht mehr so sehr auf, wie unmittelbar nach der Preisverleihung. Sobald ich ein Thema habe, dass mich wirklich zu fesseln vermag und ich mir eine Reduktion meiner Arbeitsstunden leisten kann, werde ich die Doktorarbeit in Angriff nehmen.“ Von den gesellschaftlichen Spitzen in Aufsichtsräten bis zu jenen Mitgliedern der Gesellschaft, die unsere Hilfe am meisten brauchen, reicht das Spektrum der Themen und Tätigkeitsfelder der Förderungspreisträger/innen des Possanner-Preises. In allen sozialen Feldern und den meist verschränkten Formen von Eliten- und Popularkultur spielt Geschlecht als Kategorie eine zentrale Rolle; immer ist sie relational und wird daher im Zusammenspiel mit anderen Kategorien der Zugehörigkeit, aber auch des Ausschlusses wirksam. Immer gilt es, diese Mechanismen sichtbar zu machen, um gesellschaftliche Veränderung zu ermöglichen. Die wissenschaftliche Exzellenz und das gesellschaftliche Engagement, das sich in den Lebensläufen der Preisträger/innen verschränkt, zeigen eindrucksvoll, dass und wie Wissenschaft – und gerade Geschlechterforschung – über das wissenschaftliche Feld hinaus wirksam werden kann. Für Ihren hervorragenden Beitrag dazu darf ich den Preisträgerinnen 2015 Astrid Hainzl und Susanne Sackl-Sharif ganz herzlich gratulieren und Ihnen das Allerbeste für die Zukunft wünschen! Christina Lutter, 11.12.2015