Preview only show first 10 pages with watermark. For full document please download

Leistungsberechtigte In Besonderen Sozialen Schwierigkeiten

   EMBED


Share

Transcript

Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 1 2 3 Sitzung des Arbeitskreises „Hilfen am 29. September 2015 für Gefährdete“ DV 05/07/15 AF III 25. August 2015 Tischvorlage zu TOP 4 4 Leistungsberechtigte in besonderen sozialen Schwierigkeiten 5 bedarfsdeckend unterstützen. 6 Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Anwendung der Hilfe nach §§ 67 ff. 7 SGB XII 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 Inhalt 1.  Zielsetzung ............................................................................................................................... 2  2.  Leistungsgewährung in der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII ..................................................... 3  2.1  Ermittlung und Feststellung des Bedarfs ............................................................................ 3  2.2  Auswahl, Gestaltung und Festlegung geeigneter und notwendiger Maßnahmen ............... 5  a)  Die Maßnahmen an den Zielen der Hilfe ausrichten .................................................... 5  b)  Die Hilfe an den mit sozialen Schwierigkeiten verbundenen besonderen Lebensverhältnissen anknüpfen................................................................................... 6  c)  Die Form der Leistungserbringung bestimmen ............................................................ 7  3.  Leistungsgewährung bei mehrfachen Hilfebedarfen ........................................................... 7  3.1  Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen oder Suchtproblematiken ........................ 8  3.2  Junge Erwachsene ............................................................................................................ 10  3.3  Ältere Menschen mit und ohne Pflegebedarf .................................................................... 12  23 Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 1 von 15 24 1. Zielsetzung 25 Mit der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII stellt die Sozialhilfe eine Leistung zur Überwindung 26 einer sozialen Notlage bereit, die über die sozialrechtlich abgedeckten allgemeinen Risi- 27 ken des Lebens wie Krankheit, Behinderung, Einkommensarmut etc. hinausgeht. Diese 28 Notlage führt zu einem Zustand sozialer Ausgrenzung, der herkömmlich mit „Elend“ be- 29 zeichnet werden kann.1 Es geht also um einen Zustand vor allem der Schutzlosigkeit, der 30 Vereinsamung, des Ausgestoßenseins, des Fremdseins, letztendlich um einen Zustand 31 besonderer Not. Wegen dieser in der Regel für die Hilfesuchenden existenziell bedrohli- 32 chen sozialen Lage kommt der zügigen Gewährung dieser Hilfe als eine eigenständige 33 Hilfe eine besondere Bedeutung zu. Zu beachten ist dabei, dass in solcher sozialen Not 34 vielfach auch andere Bedarfe vorhanden sind, die die besondere soziale Notlage häufig 35 verstärken (mehrfache Problemlagen). Diese Hilfe ist nach der speziellen Vorschrift zum 36 Nachrang in § 67 Satz 2 SGB XII als auch nach dem allgemeinen Nachrang gemäß § 2 37 SGB XII immer dann vorrangig heranzuziehen, wenn damit in der besonderen von § 67 38 SGB XII erfassten sozialen Notlage tatsächlich zumindest teilweise geholfen wird. Dabei 39 ist davon auszugehen, dass in der Regel – wie in § 2 Abs. 3 Satz 3 Durchführungsver- 40 ordnung (DVO) zu § 69 SGB XII vorgezeichnet – „der verbundene Einsatz der unter- 41 schiedlichen Hilfen… anzustreben“ ist und zwar einschließlich der Hilfe nach §§ 67 ff. 42 SGB XII, denn diese anderen Hilfen haben einen anderen Bedarfsfokus als § 67 43 SGB XII, selbst wenn sie in Teilbereichen die besondere soziale Notlage miterfassen. 44 Die leistungsberechtigte Person hat auf die Hilfe nach §§ 67 SGB XII einen Rechtsan- 45 spruch. Allerdings sind grundlegende Tatbestandsmerkmale der Leistungsberechtigung 46 in unbestimmte Rechtsbegriffe gefasst. Diese müssen von den zuständigen Fachkräften 47 bei der Ermittlung des Bedarfs unter gerichtlich vollumfänglicher Überprüfbarbarkeit aus- 48 gelegt und festgestellt werden. Der Bedarfsbestimmung kommt eine besondere Bedeu- 49 tung zu, um gerade bei mehrfachen Problemlagen den Auftrag zum verbundenen Einsatz 50 der Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII und den anderen Leistungsbestimmungen einzuleiten 51 und gegebenenfalls auch mit vorrangigen Leistungen (Teil-) Bedarfe, die aus der beson- 1 „Das Wort „elend“ (althochdeutsch „elilenti“, mittelhochdeutsche „ellende“) bedeutet ursprünglich „aus der Fremde kommend, nicht einheimisch“. Es bezeichnet den, „dessen (Heimat)land ein anderes ist“ als das, in dem er sich (schutzlos) aufhält. Seit dem 11. Jahrhundert meint „elend“ auch „bedürftig, unglücklich, jammervoll“. Aus dem Adjektiv entwickelt sich das Substantiv „Elend“ – „Fremde, Aufenthalt in der Fremde“ (9. Jahrhundert), seit 1000 auch „leidvolles Dasein“. In heutigen Sprachgebrach meint „Elend“ einen Zustand der Not, der Armut und des Unglücks. Es wird als Adjektiv und als Substantiv genutzt. Siehe: Wolfgang Pfeifer (Leitung): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. München 1995, digital unter: http://www.dwds.de/. Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 2 von 15 52 deren sozialen Notlage resultieren, zu befriedigen (Berücksichtigung des Nachrangs). 53 Hinsichtlich der zu wählenden Hilfeform, nicht jedoch hinsichtlich der zu befriedigenden 54 Ansprüche (siehe dazu Abschnitt a) im Kapitel 2.2), hat der Sozialhilfeträger ein Aus- 55 wahlermessen im Rahmen des § 39 SGB I, das sich auch auf die zeitliche Dimension der 56 Leistungserbringung erstreckt. 57 Mit den folgenden Praxis-Empfehlungen will der Deutsche Verein Fachkräften bei den 58 zuständigen Sozialhilfeträgern und den von ihnen beauftragten Stellen Hinweise an die 59 Hand geben, um in der Einzelfallbearbeitung die einschlägige Anspruchsgrundlage zu 60 finden und die Hilfe bedarfsgerecht zu gewähren. Die Empfehlungen sollen einen Beitrag 61 zur Vereinheitlichung der Rechtsanwendung leisten. 62 2. Leistungsgewährung in der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII 63 2.1 Ermittlung und Feststellung des Bedarfs 64 Bei der Ermittlung des Bedarfs besteht kein Ermessen. Um Rechtskonformität sicherzu- 65 stellen, bedarf es deshalb einer strukturierten Vorgehensweise entlang der in der 66 Rechtsvorschrift des § 67 SGB XII aufgeführten Tatbestandsmerkmale.2 Hierzu gibt der 67 Deutsche Verein folgende Empfehlungen: 68 1. „Besondere Lebensverhältnisse“: Zu prüfen ist, ob Lebensumstände vorliegen, die die 69 Führung eines menschenwürdigen Lebens gefährden können. Dies ist zum Beispiel 70 dann der Fall, wenn die hilfesuchende Person – außerhalb einer betreuten Einrich- 71 tung – über keinen privatrechtlich abgesicherten Wohnraum verfügt oder in einer 72 Wohnung lebt, die elementaren Anforderungen an menschenwürdiges Wohnen (z.B. 73 Wärme, Trockenheit, Hygiene) nicht entspricht, wenn sie keinen verlässlichen regel- 74 mäßigen Einkommenszufluss zur Bestreitung des Lebensunterhalts hat, sich in einer 75 Lebenssituation befindet, die durch Gewalterfahrung oder Gewaltbedrohung geprägt 76 ist (beispielsweise häusliche Gewalt oder Zwangsprostitution) oder wenn sie aus ei- 77 ner geschlossenen Einrichtung (Haft, freiwillige oder gerichtlich angeordnete stationä- 78 re Behandlung oder Unterbringung) ohne eine gesicherte Anschlussperspektive ent- 79 lassen wird (§ 1 Abs. 2 DVO). Besondere Lebensverhältnisse werden auch durch 2 Gemäß § 67 SGB XII sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu gewähren, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Dabei ist der Nachrang zu beachten. Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 3 von 15 80 vergleichbare Umstände begründet, die elementare Lebensbedürfnisse einschränken. 81 Dies trifft zum Beispiel zu, wenn kein Zugang zu einer gesundheitlichen Versorgung 82 besteht. 83 2. „Soziale Schwierigkeiten“: Hier ist zu ermitteln, ob die hilfesuchende Person in Ver- 84 bindung mit den ermittelten besonderen Lebensverhältnissen Schwierigkeiten in der 85 Interaktion mit seiner Umwelt hat, die die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft 86 wesentlich, d.h. erheblich und mehr als vorübergehend einschränkt. Die Schwierigkei- 87 ten können in der hilfesuchenden Person (z.B. in Form von Verhaltensauffälligkeiten) 88 oder in dem Verhältnis zu ihrer Umwelt (z.B. als erschwerter Marktzugang zu grund- 89 legenden Versorgungsbereichen) begründet sein. Erhebliche Bedeutung ist einer sol- 90 chen Ausgrenzung zuzumessen, wenn sie einen Zusammenhang mit der Erhaltung 91 oder Beschaffung einer Wohnung, mit der Erlangung oder Sicherung eines Arbeits- 92 platzes, mit familiären oder anderen sozialen Beziehungen oder mit Straffälligkeit 93 aufweist (§ 1 Abs. 3 DVO). Beispielsweise kann eine ordentliche oder außerordentli- 94 che Kündigung eines Wohnverhältnisses durch den Vermieter eine soziale Schwie- 95 rigkeit darstellen, da mit ihr in der Regel ein drohender Wohnungsverlust verbunden 96 ist. 97 3. Selbsthilfekräfte: Es muss versucht werden, die Selbsthilfekräfte der hilfesuchenden 98 Person zu erschließen. Dies ist bereits Teil der Hilfe nach § 67 ff. SGB XII. Verfügt die 99 hilfesuchende Person nicht über ausreichende Fähigkeiten und Mittel der Selbsthilfe, 100 um den ermittelten Hilfebedarf ohne Hilfe durch Dritte zu decken, ist die Inanspruch- 101 nahme der Hilfe durch entsprechende Unterstützungsleistungen zu gewähren ermög- 102 lichen. Äußere Anzeichen für fehlende Selbsthilfekräfte sind zum Beispiel die Dauer 103 des Hilfebedarfs, das wiederholte Auftreten eines Hilfebedarfs oder Wünsche der hil- 104 fesuchenden Person nach Unterstützung. 105 4. Nachrang im Verhältnis zu anderen Leistungen: Hinsichtlich der Umsetzung der Re- 106 gelungen zum Nachrang wird ausdrücklich auf die Ausführungen oben unter 1. („Ziel- 107 setzung“) hingewiesen. Soweit Leistungen im Rahmen der Hilfe gemäß §§ 67 ff. 108 SGB XII zur Bedarfsbefriedigung notwendig werden, weil andere vorrangig verpflich- 109 tete Leistungsträger tatsächlich nicht leisten, sind die Kosten nach den Regelungen 110 zur Kostenerstattung und den Erstattungsansprüchen der Leistungsträger unterei- 111 nander zu erstatten (§ 2 Abs. 1 Satz 4 zweiter Halbsatz DVO). Ferner müssen die Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 4 von 15 112 rechtlich vorrangigen Hilfen den Bedarf der leitungsberechtigten Person tatsächlich 113 und vollständig decken, um den Anspruch auf Hilfe gemäß §§ 67 ff. SGB XII entfallen 114 zu lassen. Andernfalls sind ergänzende Leistungen nach §§ 67 ff. SGB XII zu erbrin- 115 gen. 116 2.2 Auswahl, Gestaltung und Festlegung geeigneter und notwendiger Maßnahmen 117 a) Die Maßnahmen an den Zielen der Hilfe ausrichten 118 Die Auswahl und die Ausgestaltung der Maßnahmen sind an den in den Gesetzesvor- 119 schriften genannten Zielen der Hilfe auszurichten, die identisch sind mit den drei Zielen 120 der Sozialhilfe insgesamt – Sicherung eines menschenwürdigen Lebens, Ermöglichung 121 der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und Befähigung zur Selbsthilfe (§ 9 122 SGB I). Im Hinblick auf den besonderen Bedarf, der nach §§ 67 ff. SGB XII zu befriedi- 123 gen ist – die mit der sozialen Notlage verbundene soziale Ausgrenzung –, kommt dem 124 Ziel, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, hervorragende Be- 125 deutung zu. Gesetzlich vorgegebene Anknüpfungspunkte sind dabei die sozialen 126 Schwierigkeiten und die besonderen Lebensverhältnisse in der je individuell gegebenen 127 Verknüpfung. Der Grad der Zielerreichung bemisst sich an dem Grad der angestrebten 128 und erreichten Überwindung der anspruchsauslösenden Tatbestandsvoraussetzungen, 129 also konkret daran, wie weit besondere Lebensverhältnisse und die damit verbundenen 130 sozialen Schwierigkeiten so verändert werden konnten, dass die selbstständige Teilnah- 131 me am Leben in der Gemeinschaft menschenwürdig möglich ist. 132 Wenn das gesamte Sozialhilferecht davon ausgeht, dass die Berücksichtigung der 133 Selbsthilfe bei der Überwindung einer Notlage zu ihren wesentlichen Voraussetzungen 134 gehört, dann ist zu beachten, dass mit der Formulierung in § 67 SGB XII „aus eigener 135 Kraft nicht fähig“ ein ausdrücklicher Hinweis darauf gegeben wird, dass hier die soziale 136 Notlage den Leistungsberechtigten die Selbsthilfe besonders erschwert. Die mit der sozi- 137 alen Ausgrenzung einhergehende existenzielle Bedrohung erfordert daher zunächst re- 138 gelmäßig die zügige Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse (z.B. Unterkunft, 139 Schutz vor Gewalt, materielle Absicherung für die Bedürfnisse des täglichen Lebens), 140 wobei hier die Leistung nach § 67 SGB XII in der Regel in der vorläufigen Bedarfsde- 141 ckung bis zur Erschließung vorrangiger Leistungen wie z.B. nach SGB II besteht. Nur 142 wenn diese Bedrohung unmittelbar oder je nach persönlicher Situation sukzessive besei- 143 tigt wird, kann die „Unterstützung der Hilfesuchenden zur selbstständigen Bewältigung Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 5 von 15 144 ihrer besonderen sozialen Schwierigkeiten … sie in die Lage versetzen, ihr Leben ent- 145 sprechend ihren Bedürfnissen, Wünschen und Fähigkeiten zu organisieren und selbst- 146 verantwortlich zu gestalten“ (§ 2 Abs. 1 Satz 2 DVO). Anzuknüpfen ist dabei an vorhan- 147 dene Fähigkeiten und Neigungen, um die gebotene Mitwirkung an der Überwindung der 148 sozialen Schwierigkeiten zu erleichtern. Auch geschlechts- und altersbedingte Beson- 149 derheiten sind zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 2 Satz 3 DVO). Wesentlich dabei ist, dass 150 der „Eigensinn“ der Hilfesuchenden, der z. B. in der einer Verweigerung zum Ausdruck 151 kommen kann, eine ergänzend in Betracht gezogene Eingliederungshilfe anzunehmen, 152 nicht zur Annahme fehlender Mitwirkung und Verweigerung der Hilfe nach §§ 67 ff. 153 SGB XII führen darf. Das Recht zur Nichtbeanspruchung gesetzlicher Leistungsansprü- 154 che ist die rechtsstaatliche Garantie dagegen, dass „im wohlverstandenen Eigeninteres- 155 se“ dem Einzelnen staatliche Leistungen aufgedrängt werden. Die sozialrechtlichen Mit- 156 wirkungspflichten beziehen sich auf die Leistungen, die die leistungsberechtigte Person 157 beansprucht und erhält und nicht darauf, bestimmte Leistungen auch in Anspruch zu 158 nehmen. Entsprechend besteht auch kein „Ermessen“ zur Festlegung der zu verwirkli- 159 chenden Ansprüche gegen den Willen der Leistungsberechtigten. Die Annahme von Hilfe 160 ist für die Leistungsberechtigten stets freiwilliger Natur. 161 b) Die Hilfe an den mit sozialen Schwierigkeiten verbundenen besonderen Lebensver- 162 hältnissen anknüpfen 163 Wegen der Verbindung der besonderen Lebensverhältnisse mit den sozialen Schwierig- 164 keiten hat die Hilfe sowohl einen subjektiv-individuellen Anknüpfungspunkt – die sozialen 165 Schwierigkeiten – als auch einen objektiven – die besonderen Lebensverhältnisse. Dabei 166 zeichnet das Gesetz bei der Maßnahmenauswahl und -gestaltung einen differenzierten 167 Begriff der „Überwindung“ vor. In Abhängigkeit vom Einzelfall kann es erforderlich sein, 168 soziale Schwierigkeiten abzuwenden, also eine unmittelbar drohende Notlage zu vermei- 169 den, soziale Schwierigkeiten zu beseitigen, zu mildern, ihre Verschlimmerung zu verhü- 170 ten oder einen drohenden Wiedereintritt besonderer sozialer Schwierigkeiten abzuwen- 171 den (§ 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 15 SGB XII; § 2 Abs. 2 Satz 1 DVO). Damit ist ein brei- 172 tes Spektrum an Maßnahmen möglich. Im konkreten Einzelfall sind die Maßnahmen zu 173 ergreifen, die notwendig, das heißt unabweisbar sind, um das Hilfeziel zu erreichen (§ 68 174 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). 175 Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 6 von 15 176 c) Die Form der Leistungserbringung bestimmen 177 In Abhängigkeit vom Hilfebedarf und den angestrebten Hilfezielen ist die Form der Leis- 178 tungserbringung als Dienst-, Geld- oder Sachleistung zu bestimmen. Insbesondere sind 179 Beratung und persönliche Unterstützung zu erbringen (§ 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII; § 3 180 DVO). Orientiert am Ziel, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft möglichst zu er- 181 reichen, setzen die gesetzlichen Regeln vor allem auf die Normalität fördernde Maßnah- 182 men, wie die Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung (welche im Einzelfall auch ma- 183 terielle Hilfen beinhalten kann)3 die Vermittlung einer Ausbildung, die Erlangung und Si- 184 cherung eines Arbeitsplatzes sowie Hilfen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung sozialer 185 Beziehungen und zur Gestaltung des Alltags (§ 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII; §§ 4-6 DVO). 186 Leistungen in Form stationärer Hilfen sollen nur nachrangig gewährt werden, soweit ver- 187 fügbare ambulante oder teilstationäre Hilfe nicht geeignet sind. In diesen Fällen ist re- 188 gelmäßig – ggf. auch noch unverzüglich nach Beginn der Hilfe – die Erstellung eines Ge- 189 samtplans unter Beteiligung des zuständigen Trägers der Sozialhilfe notwendig. Bei 190 (teil-)stationärer Hilfe ist die vorläufige Befristung die Regel und diese spätestens alle 191 sechs Monate zu überprüfen (§ 2 Abs. 5 Satz 1-3 DVO). Generell gilt, dass Veränderun- 192 gen im Hilfeprozess bei der Leistungserbringung stetig zu beachten sind, insbesondere, 193 wenn die Hilfe ihr Ziel nicht oder nicht mehr erreichen kann oder der Wille zur Mitwirkung 194 beim Hilfeempfänger fehlt (§ 2 Abs. 4 DVO). 195 3. Leistungsgewährung bei mehrfachen Hilfebedarfen 196 In der besonderen sozialen Not, in welcher nach §§ 67 ff. SGB XII zu helfen ist, sind viel- 197 fach auch andere Bedarfe vorhanden, die die besondere soziale Notlage häufig verstär- 198 ken (mehrfache Problemlagen). Hier ist es geboten, im Rahmen der Hilfe nach §§ 67 ff. 199 SGB XII möglichst auch diese anderen Hilfen zu erschließen. Dabei ist – wie unter 1. 200 ausgeführt – immer der besondere, in § 67 SGB XII gemeinte Bedarf im Blick zu behal- 201 ten. Hierbei ist zu beachten, dass Hilfen nach anderen Leistungsbestimmungen diesen 202 Bedarf nicht zentral im Fokus der jeweiligen Bedarfsbefriedigung haben (können), also 203 ergänzend sind. Für die Leistungsgewährung bei mehrfachen Hilfebedarfen gibt der 204 Deutsche Verein folgende Empfehlungen: 3 Siehe hierzu auch: Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Prävention von Wohnungslosigkeit durch Kooperation von kommunalen und freien Trägern, NDV 11/2013 S. 490-500. Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 7 von 15 205 3.1 Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen oder Suchtproblematiken 206 Neben der Bedarfssituation nach §§ 67 ff. SGB XII können Anzeichen einer psychischen 207 oder Suchterkrankung erkennbar sein, die das Maß einer wesentlichen Behinderung im 208 Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX erreichen oder 209 zumindest die Annahme rechtfertigen, dass eine solche Behinderung droht. Für diesen 210 Bedarf kommen Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII in Betracht. 211 Die Zielsetzung der Eingliederungshilfe im Sinne von § 9 SGB I – die Ermöglichung der 212 gesellschaftlichen Teilhabe – ist dabei identisch mit dem Ziel der Hilfe nach §§ 67 ff. 213 SGB XII. Unterschiede zeigen sich jedoch in der ziel- und bedarfsorientierten Ausrich- 214 tung und Gestaltung der Hilfeprozesse: Während die Eingliederungshilfe primär bei der 215 Kompensation der zugrundeliegenden personalen Fähigkeitsbeeinträchtigung (= Behin- 216 derung) ansetzt und darüber hinaus die gesellschaftliche Teilhabe erreichen will, fokus- 217 siert die Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII in erster Linie auf die Überwindung der akuten situa- 218 tionsbezogenen sozialen Schwierigkeiten, die die Behebung einer konkreten sozialen 219 Notlage ggf. mit umfasst. In dieser sozialinklusiven Gestalt ist die Hilfe nach §§ 67 ff. 220 SGB XII auch eine Hilfe zur Existenzsicherung im weiteren Sinne und ermöglicht dadurch 221 die „Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft“. 222 Im Falle der potenziellen Indikation einer psychischen Beeinträchtigung oder einer 223 Suchterkrankung ist im Rahmen einer Gesamtfallprüfung daher neben § 67 SGB XII 224 auch ein Bedarf nach Leistungen der Eingliederungshilfe zu prüfen und ggf. ein Zugang 225 zu diesen Leistungen zu ermöglichen. Im Einzelfall geht in einer solchen Bedarfslage die 226 Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII als Leistung gemäß dem internen Nachrang- 227 grundsatz nach § 67 Satz 2 SGB XII rechtlich der Hilfeleistung nach § 67 SGB XII vor, 228 sofern der ermittelte Gesamtbedarf tatsächlich und vollumfänglich durch Leistungen nach 229 §§ 53 ff. SGB XII gedeckt wird. Dabei ist zu beachten, dass die Eingliederungshilfe ne- 230 ben der realen Bedarfsbefriedigung tatsächlich auch den Bedarf, der nach § 67 SGB XII 231 zu decken wäre, gezielt und mit Aussicht auf Erfolg deckt (siehe dazu auch die Ziffer 4 im 232 Kapitel 2.1).4 Ist dies nicht der Fall, sind gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 der DVO ergänzend 233 Leistungen nach § 67 SGB XII als eigenständige Leistung „im Verbund“ mit der Einglie- 234 derungshilfe zu erbringen. 4 Roscher in LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, Rdnr. 28f. zu § 67. Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 8 von 15 235 Ausdrücklich ist festzuhalten, dass es nach Wortlaut und Sinn der gesetzlichen Regelun- 236 gen bei den „mehrfachen Problemlagen“ keinen Vorrang oder Nachrang der Bedarfe 237 gibt, sondern allenfalls bei der tatsächlichen Deckung eines konkreten Bedarfs aus 238 §§ 67 ff. SGB XII durch Leistungen nach anderen Vorschriften diese der Leistung nach 239 § 67 Satz 1 SGB XII vorgehen. Allenfalls gehen Leistungen nach anderen Vorschriften 240 der Leistung nach § 67 Satz 1 SGB XII vor, wenn sie den konkreten Bedarf aus §§ 67 ff. 241 SGB XII tatsächlich decken. Das Gesetz kennt also nur den Vorrang/Nachrang von Leis- 242 tungen. Die Bedarfe nach §§ 67 ff. SGB XII müssen wegen der besonderen Not, die 243 damit verbunden ist, zügig und zeitnah gedeckt werden, auch wenn eine möglicherweise 244 erst zu erschließende Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII im weiteren Verlauf des 245 Hilfeprozesses einen Teilbedarf befriedigt. 246 In der Praxis werden Leistungen nach §§ 67 ff. SGB XII bei Leistungsberechtigten mit 247 psychischen oder Suchterkrankungen oft vorbereitend, in Einzelfällen auch nachberei- 248 tend zu einer Maßnahme im Rahmen der Eingliederungshilfe erbracht. Auch eine kombi- 249 nierte Leistungserbringung von Leistungen nach §§ 67 ff. SGB XII und Leistungen nach 250 §§ 53 ff. SGB XII im Sinne des verbundenen Einsatzes der Hilfen (§ 2 Abs. 3 Satz 2 251 DVO) ist möglich und anzustreben. Dafür ist eine Bedarfsermittlung, -feststellung und 252 Hilfeplanung erforderlich, die trägerübergreifend die Bedarfe ermittelt und feststellt und 253 eine ganzheitliche Erbringung der Leistung ermöglicht.5 Eine weitere Voraussetzung ist, 254 dass die Bestandteile der ggf. erforderlichen verschiedenen Leistungen leistungsrechtlich 255 zugeordnet werden können. Zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen ist in ge- 256 eigneten Fällen ein Gesamtplan zu erstellen (§ 68 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, § 2 257 Abs. DVO). 258 Die Umsetzung des verbundenen Einsatzes der unterschiedlichen Hilfen stößt in der 259 Praxis jedoch häufig auf Schwierigkeiten. Ursachen hierfür können unterschiedliche 260 sachliche oder verwaltungsorganisatorische Zuständigkeiten auf der Ebene der Leis- 261 tungsträger sein oder eine unzureichende Ausrichtung der Hilfekonzepte anderer sozialer 262 Dienste auf die Hilfebedarfe des Personenkreises nach §§ 67 ff. SGB XII. Um Übergänge 263 und Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Leistungen zu ermöglichen, müssen 264 Hilfsangebote deshalb mittels verbindlicher Verfahren der Kooperation vor Ort gut ver- 5 Vgl. für die Koordination und Kooperation der Rehabilitationsträger: Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Weiterentwicklung des SGB IX vom 20.3.2013, NDV 2013, 246. Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 9 von 15 265 netzt und am Versorgungsbedarf von Personen mit sozialen und gesundheitsbezogenen 266 Problemlagen ausgerichtet sein.6 Zu diesem Zweck sollten sich die Anbieter der Hilfe 267 gemäß §§ 67 ff. SGB XII in die Gremien der gemeindepsychiatrischen Versorgung (z.B. 268 örtliche Psychiatriebeiräte, psychosoziale Arbeitsgemeinschaften) aktiv einbringen. Eine 269 wichtige Ergänzung können auch modularisierte Angebote sein, die es zum Beispiel er- 270 möglichen, in einer stationären Einrichtung der Wohnungslosenhilfe ein Modul der 271 Suchthilfe nach §§ 53 ff. SGB XII anzubieten und zu finanzieren.7 Dies ist dann möglich, 272 wenn die Landesrahmenverträge nach dem 10. Kapitel des SGB XII entsprechende Mo- 273 dule vorsehen. 274 3.2 Junge Erwachsene 275 Für junge Erwachsene bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres in sozialen Notlagen 276 kann auch der Träger der Jugendhilfe zuständig sein. Die Hilfe für junge Volljährige 277 (nach § 41 SGB VIII) ist als Soll-Leistung ausgestaltet. Sie kann in einer individuellen 278 materiellen und psychosozialen Notsituation qualifizierte Hilfe zu einer möglichst eigen- 279 verantwortlichen Lebensführung leisten und dabei Bedarfe abdecken, die vergleichbar in 280 einer Situation nach §§ 67 ff. SGB XII auftreten. Im Verhältnis von § 67 SGB XII zu § 41 281 SGB VIII ist die Zuständigkeitsregelung des § 10 SGB VIII zu berücksichtigen, wonach 282 grundsätzlich der Vorrang der Jugendhilfe gilt. Zu beachten ist dabei, dass die Zielrich- 283 tung im Unterschied zur Leistung des Sozialhilfeträgers auf die altersspezifischen Be- 284 darfslagen in der Lebensphase junger Heranwachsender zugeschnitten ist. Zweck ist die 285 Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung und der eigenverantwortlichen Lebensfüh- 286 rung (§ 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Das Hilfeprogramm ist daher prinzipiell anders ge- 287 staltet als das nach §§ 67 ff. SGB XII. Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur Vollendung 288 des 21. Lebensjahres gewährt. In begründeten Einzelfällen soll sie für einen begrenzten 289 Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden (§ 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). 290 Gleichwohl suchen immer wieder Personen, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet 291 haben, um Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII nach. Für die Bestimmung der Leistungszustän- 292 digkeit gibt der Deutsche Verein folgende Empfehlungen: 6 Siehe hierzu: Zugänge zu gesundheitlichen Hilfen für wohnungslose Menschen verbessern. Empfehlungen des Deutschen Vereins für eine Kooperation sozialer und gesundheitsbezogener Hilfen, in NDV 08/2014. 7 In ähnlicher Weise sieht es das Bundessozialgericht (BSG) als geboten an, dass in einer stationären Einrichtung der Eingliederungshilfe für wohnungslose Menschen mit Störungen in körperlichen, psychischen und sozialen Bereichen auch Leistungen der ambulante Krankenhilfe abgerufen werden können (Beschluss vom 25. Februar 2015, B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R). Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 10 von 15 293  Sucht eine Person, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, um Hilfe nach 294 §§ 67 ff. SGB XII nach, ist regelmäßig ein möglicher Anspruch auf Hilfe für junge Voll- 295 jährige (§ 41 SGB VIII) in Betracht zu ziehen. Hierzu sollen die Tatbestandmerkmale, 296 die auf einen lebensalterspezifischen und auf die Entwicklung der Persönlichkeit be- 297 zogenen Hilfebedarf hinweisen, dokumentiert und dem öffentlichen Träger der Ju- 298 gendhilfe mit der Aufforderung zur Stellungnahme, ob § 41 SGB VIII zu gewähren ist, 299 mitgeteilt werden. Die anspruchsauslösenden Merkmale können lebensgeschichtli- 300 cher Art (z.B. gestörte familiäre Entwicklung, lange Heimaufenthalte, Schul- und Aus- 301 bildungsabbrüche) oder situationsbezogen sein (z.B. ungesicherte Wohnverhältnisse, 302 Entlassung aus der Psychiatrie oder dem Strafvollzug, Suchtgefährdung). Ausschlag- 303 gebend für einen Hilfebedarf ist, dass die ermittelten Problemlagen die individuelle Si- 304 tuation des Hilfesuchenden prägen und nur durch Hilfen zur Persönlichkeitsentwick- 305 lung und eigenverantwortlichen Lebensführung behoben werden können. Dabei emp- 306 fiehlt es sich, die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Leistungsträgern durch 307 Absprachen in Gestalt von Kooperationsvereinbarungen verbindlich zu vereinbaren. 308  Liegen die Anspruchsvoraussetzungen des § 41 SGB VIII vor, ist möglicherweise 309 trotzdem die Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII bei jungen Erwachsenen bis zur Vollendung 310 des 21. Lebensjahres unter zwei Fallvoraussetzungen zu gewähren: 311 1. Können die Anspruchsvoraussetzungen auf eine Hilfe nach § 41 SGB VIII nicht 312 unmittelbar geklärt werden, leistet der Sozialhilfeträger aufgrund der Unumgäng- 313 lichkeit des Hilfebedarfs Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII bis zur Klärung des Hilfebe- 314 darfs durch den Jugendhilfeträger. Der Träger der Jugendhilfe sollte zeitnah einen 315 Hilfeplan erstellen und dabei gegebenenfalls den Sozialhilfeträger beteiligen. 316 Ergibt sich hierdurch die Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers, übernimmt dieser 317 die Fallverantwortung und erstattet dem Sozialhilfeträger die bereits entstandenen 318 Kosten. Ergibt sich, dass Jugendhilfemaßnahmen nicht in Betracht kommen, also 319 der Jugendhilfeträger nicht zuständig ist, verbleibt die Leistungspflicht beim Sozi- 320 alhilfeträger. 321 2. Lehnt die junge erwachsene Person eine Inanspruchnahme der angebotenen Hilfe 322 nach § 41 SGB VIII ab oder ist sie nicht dazu bereit, in einem ihr zumutbaren Um- 323 fang an der Durchführung der Hilfe nach § 41 SGB VIII mitzuwirken, sind zunächst 324 Maßnahmen erforderlich, um die Bereitschaft zu wecken und zu fördern, derartige Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 11 von 15 325 Hilfen in Anspruch zu nehmen. In diesem Falle ist Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII zu 326 gewähren. Für die Durchführung der Hilfe ist ein Gesamtplan zu erstellen und mit 327 dem Jugendhilfeträger fachlich abzustimmen. Sobald der/die junge Volljährige hin- 328 reichend motiviert ist, die vorrangige und weiterführende Jugendhilfe in Anspruch 329 zu nehmen, soll eine Fallübergabe an den Jugendhilfeträger erfolgen. Das Min- 330 destmaß an Mitwirkungsbereitschaft ist gegeben, wenn die betreffende Person ih- 331 re aktuelle Lebenssituation als belastend empfindet und bereit ist, an Maßnahmen 332 der Beratung und Unterstützung mitzuwirken, die auf eine persönliche Fortent- 333 wicklung oder Verhaltensänderungen zielen. Eine Motivation zur Inanspruchnah- 334 me von geeigneten Hilfen ist als Mitwirkungsbereitschaft zu werten. 335  Bei Leistungsberechtigten, die bereits das 21. aber noch nicht das 27. Lebensjahr 336 vollendet haben, kommt Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII nur dann in Be- 337 tracht, wenn der Hilfebedarf bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres dem Ju- 338 gendhilfeträger bekannt war oder die Hilfe beantragt wurde. 339 3.3 Ältere Menschen mit und ohne Pflegebedarf 340 Bei Leistungsberechtigten nach §§ 67 ff. SGB XII treten körperliche und psychische Ein- 341 schränkungen in der Lebensphase „Alter“ in der Regel stärker und auch früher zu Tage 342 als bei Personen gleichen Alters in gesicherten Lebensverhältnissen. Oft haben sie ein 343 energieraubendes und die gesundheitliche Situation stark beeinträchtigendes Leben zwi- 344 schen Straße und provisorischen Versorgungen hinter sich, das sie angesichts nachlas- 345 sender Kräfte nicht mehr fortführen können. Diese Menschen benötigen längerfristige 346 oder auch dauerhafte Wohnangebote mit ambulanter bedarfsgerechter sozialer und ge- 347 sundheitsbezogener Versorgung.8 Dabei ist zu beachten, dass die Bestimmungen zu den 348 Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten grundsätzlich keine Alters- 349 grenzen kennen. Hinsichtlich der Gewährung von Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII für ältere 350 Leistungsberechtigte nach §§ 67 ff. SGB XII gibt der Deutsche Verein der folgende Emp- 351 fehlungen: 352  353 Bei älteren Leistungsberechtigten nach §§ 67 ff. SGB XII ist regelmäßig in Betracht zu ziehen, ob ein Bedarf an Pflege und/oder Betreuung gegeben ist. Neben körperlichen 8 Siehe: Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (Hrsg.): Prinzipien einer normalitätsorientierten gemeindenahen Versorgung älterer und / oder pflegebedürftiger wohnungsloser Männer und Frauen Eine Empfehlung der BAG Wohnungslosenhilfe, 2013. Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 12 von 15 354 Einschränkungen sind auch psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen 355 zu berücksichtigen. Pflegebedürftigkeit kann bestehen, ohne dass die Bedingungen 356 für Pflegestufe 1 erfüllt sind.9 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Hilfebedarf im 357 Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung und gleichzeitig ein er- 358 heblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung gegeben sind (er- 359 heblich eingeschränkte Alltagskompetenz). Wann eine erhebliche Einschränkung der 360 Alltagskompetenz vorliegt, ist in § 45a SGB XI geregelt. Zudem muss die Einschrän- 361 kung dauerhaft, das heißt voraussichtlich für mindestens sechs Monate, vorhanden 362 sein. Voraussetzung der Anerkennung sind ein Antrag und eine Prüfung durch den 363 Medizinischen Dienst der Krankenversicherung oder andere unabhängige Gutachter. 364 Der Deutsche Verein empfiehlt, Leistungsberechtigte nach §§ 67 ff. SGB XII dann auf 365 solche Verfahren zur Feststellung einer Einschränkung der Alltagskompetenz hinzu- 366 weisen, wenn Anzeichen dafür vorliegen, dass die ältere, nach §§ 67 ff. SGB XII leis- 367 tungsberechtigte Person krankheits- oder behinderungsbedingt in ihrer Fähigkeit einer 368 eigenständige Lebens- und Haushaltsführung nicht nur vorübergehend eingeschränkt 369 ist. Anzeichen hierfür sind gegeben, wenn sich die ältere leistungsberechtigte Person 370 über lange Zeiträume oder wiederholt in unbetreuten Unterkünften oder auf der Stra- 371 ße aufgehalten hat oder ein auffälliges psychisches Verhalten aufweist. 372 373 Da die Leistungsberechtigten nicht immer die versicherungsrechtlichen Vorausset- 374 zungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach dem 375 SGB XI erfüllen bzw. Leistungen nach dem SGB XI noch nicht gewährt werden kön- 376 nen, weil der festgestellte Pflegebedarf noch unterhalb der Pflegestufe 1 gemäß § 15 377 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI liegt und zudem die Leistungen nach dem SGB XI regelmäßig 378 nicht bedarfsdeckend sind (Teilkaskoprinzip), kommen zur Deckung pflegerischer Be- 379 darfe regelmäßig Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den Siebten Kapitel SGB XII – 380 Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII – ergänzend oder vollumfänglich in Betracht. 381 Dabei können Leistungen der Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII in ambulanter 382 Form in jedweder Wohnform für Leistungsberechtigte nach §§ 67 ff. SGB XII gewährt 383 werden. 9 Siehe: Bundesministerium für Gesundheit: Pflegeleistungen ab dem 01. Januar 2015: http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/P/Pflegestaerkungsgesetze/Tabellen_Plegeleistungen_BRat_071114.pdf. Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 13 von 15 384  Wenn es der Pflegebedarf erforderlich macht und die leistungsberechtigte Person 385 dies wünscht, ist die Aufnahme in eine geeignete stationäre Einrichtung, die ein ent- 386 sprechendes Pflegeangebot vorhält, zu ermöglichen. Mit Vorrang soll die Vermittlung 387 in eine Einrichtung der Altenhilfe angestrebt werden. Dies setzt ein erreichbares An- 388 gebot an Einrichtungen voraus, die in ihrer Konzeption die spezifischen Hilfebedarfe 389 des Personenkreises nach §§ 67 ff. SGB XII berücksichtigen. Stationäre Einrichtun- 390 gen der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII können dann Leistungen der Pflege erbringen, 391 wenn sie über eine Zulassung zur Pflege durch Versorgungsvertrag (gemäß § 72 392 SGB XI) verfügen. Andernfalls ist die Erbringung der erforderlichen Pflegeleistungen 393 durch einen externen (zugelassenen) Pflegedienst in der Einrichtung erforderlich.10 394  Soweit alters- und lebenslagebedingt keine Aussichten auf eine Reintegration in eine 395 selbstständige Lebensführung bestehen, soll der leistungsberechtigten Person ein 396 dauerhaftes Wohnangebot mit begleitender sozialer und pflegerischer Unterstützung 397 unterbreitet werden, das ihrem Hilfebedarf entspricht. Dabei ist ein mietvertraglich ab- 398 gesicherter eigener Wohnraum, ggf. in einer Wohngruppe, mit einem hiervon getrenn- 399 ten Vertrag über Betreuungs- und Pflegeleistungen das erste Mittel der Wahl. Dies 400 kann z.B. in entsprechenden Seniorenwohnanlagen erfolgen, die bei Bedarf durch ei- 401 ne Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII begleitet werden. Gegebenenfalls können hierfür be- 402 stehende kommunale Belegrechte genutzt werden. 403  Sofern es sich um einen längerfristigen Hilfebedarf handelt, ist die Hilfe nach §§ 67 ff. 404 SGB XII jeweils so lange zu gewähren, als dies notwendig ist, um die sozialen 405 Schwierigkeiten zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Dabei ist die Ziel- 406 erreichung der in der Hilfeplanung vereinbarten Hilfeziele regelmäßig zu überprüfen 407 und in der Fortschreibung der Hilfeplanung ggf. durch eine Anpassung der Hilfekon- 408 zeption zu berücksichtigen. Das Hilfeziel der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII trifft nicht 409 mehr zu, wenn sich aus dem Hilfeverlauf und den Ergebnissen der Hilfe ergibt, dass 410 derzeit keine Aussichten bestehen, die soziale Schwierigkeiten zu beseitigen, zu mil- 411 dern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. In diesem Falle ist nach einer sorgfälti- 412 gen Prüfung der Bedarfssituation ein Wechsel in eine andere bedarfsgerechte Hilfe- 413 form und eine Beendigung der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII erforderlich. Die Beendi- 10 Siehe hierzu auch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25.02.2015 – B 3 KR 10/14 R –. Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 14 von 15 414 gung einer Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII schließt eine mögliche erneute Hilfegewäh- 415 rung bei Wiedereintritt der Anspruchsvoraussetzungen nicht aus. Zur Gewährleistung 416 der Existenzsicherung sollen in Verbindung mit erforderlichen Leistungen zum Le- 417 bensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII oder der Grundsicherung im Alter und bei Er- 418 werbsminderung nach §§ 41 ff. SGB XII persönliche Hilfen im Rahmen der Beratung 419 und Unterstützung zur aktiven Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft nach § 11 420 SGB XII ggf. in Verbindung mit Leistungen der Altenhilfe nach § 71 SGB XII in Be- 421 tracht gezogen werden. Das Angebot einer unbetreuten ordnungsrechtlichen Unter- 422 bringung oder eine Entlassung „auf die Straße“ ist die Herbeiführung des Hilfebedarfs 423 „durch Dritte“ im Sinne des § 1 Abs. 3 der DVO zu § 69 SGB XII und damit keine an- 424 gemessene Beendigung der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII. Dies ist zu vermeiden. Deutscher Verein  Michaelkirchstraße 17/18  D-10179 Berlin-Mitte www.deutscher-verein.de Seite 15 von 15