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Leseprobe Musik & Bildung 2008/03

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28 THEMA: BEGEGNUNGEN. MUSIK – REGIONEN – KULTUREN Gegen Begegnung mit Sprachgewalt in Songs und Gesängen – ein Analyseverfahren für den Unterricht georg brunner Nur Mut bei schwierigen Themen! Die Begegnung mit rechter Musik, Pöbeleien in Fußballliedern und Gewalt im HipHop ist im Unterricht oft nicht einfach anzusprechen. Hier wird Ihnen ein Instrument an die Hand gegeben, das beim Gespräch mit den SchülerInnen hilft. ©J osé Ma rafo na Im Alltagsverständnis fungiert Sprache als das Kommunikationsmittel zwischen Menschen schlechthin. Sie ist ein wesentliches Mittel der Verständigung und des Sich-Verstehens. Durch Sprache kann aber auch Gewalt vermittelt werden.1 Auch in Songs und Gesängen lassen sich Beispiele für Sprachgewalt finden. In den vergangenen Jahren haben sich im Bereich der Popund Rockmusik Bands und InterpretInnen mit deutschen Texten immer mehr durchgesetzt. Gewalt tritt hier vor allem in spezifischen „Gegenwelten“ zu Tage, die sich Menschen als Alternative in verschiedenen Kontexten zum „normalen, gewöhnlichen“ Leben selbst schaffen. In den im Folgenden vorgestellten Gegenwelten (Rechtsrock, Fangesänge, HipHop) treten diese Personen oder Personengruppen mehr oder weniger aus der „heilen“ Welt heraus und artikulieren Positionen, die oftmals erschrecken, falsche Wahrheiten beinhalten, Gewalt schüren oder sich einer (nicht alltäglichen) derben Sprache bedienen. Da die deutschen Texte von vielen Kindern und Jugendlichen rezipiert werden, ist es sinnvoll, den Blick gezielter auf die Textinhalte zu richten. Schule ist die einzige Einrichtung, die über einen längeren Zeitraum Zugang zu jungen Menschen hat. Damit zählt Schule zu den potenziellen Hauptstützen im Kampf gegen Gewalt – eine Begegnung mit Sprache und dem in ihr ruhenden Gewaltpotenzial ist hier also besonders wichtig. Bei Fangesängen und HipHop handelt es sich für die Jugendlichen in der Regel nicht um Erstbegegnungen. Im Unterricht wird es vor allem darum gehen, Sprachgebrauch, Hintergründe, Manipulationen, Selbstbilder etc. offenzulegen, zu hinterfragen und zu diskutieren. Über Rechtsrock zu sprechen, fällt meist wesentlich schwerer. Die Vielschichtigkeit der Stilrichtungen innerhalb des Rechtsrocks, die Enttarnung von Schlüsselwörtern und entsprechenden Konnotationen sowie deren Überprüfung auf Richtigkeit gilt es hierbei in den Blick zu nehmen. musik 29 3 .08 ng u d bil & 5 6 7 8 9 10 11 12 13 ▲ ▲ ▲ ▲ ▲ ▲ welten Arbeitsblätter Rechtsrock – S. 31 Fangesänge – S. 32 HipHop – S. 33 HB 10: Sampler rechte Musik HB 11: Absurd: Asgardsrei – Ausschnitt HB 12: Bushido: Bei Nacht – Beginn Hörbeispiele – CD Dateien – DVD beispiel: rechtsrock Die Musik der rechten Szene weist wie die Rockund Popszene im Allgemeinen eine enorme Fragmentierung auf. Wurde vor geraumer Zeit noch fälschlicherweise Skinhead-Musik schlechthin als synonym für rechte Musik gesehen, so hat sich das Bild heute stark verändert. Mit rechtsradika- Film: Pogotanz Film: Capo beim Fußballspiel Zusätzliches Arbeitsblatt: Lösung Fangesänge musikpaedagogik-online.de Kostenloser Download für AbonnentInnen ▲ Welche Analysemethoden können nun für das Entlarven von Gewaltpotenzialen in Songtexten herangezogen werden? In Anlehnung an Peter Schlobinski2 kann folgender Weg der Analyse in der Schule beschritten werden (der in den Fragestellungen der Arbeitsblätter nachvollzogen wird): Zunächst wird der Text mit eigenen Worten zusammengefasst sowie die Struktur (Anzahl der Strophen, Reimschema, sprachliche Mittel etc.) bestimmt. Die Schlüsselwortanalyse öffnet dann einen weiteren Zugang zum Text. Auch eine lexikalische Analyse kann sehr hilfreich sein. In den meisten Fällen reicht jedoch eine Einzelwortanalyse nicht aus. Eine „Konnotationsanalyse“ ist unter Umständen zu empfehlen.3 Es geht darum, den Gebrauchskontext und die ideologische Bedeutung zu erforschen. Letztlich soll die Sprachpraxis rekonstruiert werden. Es empfiehlt sich also, die Auflistung der Schlüsselwörter mit der Untersuchung ihres Kontextes zu verknüpfen. Auch die Herausarbeitung von Oppositionsstrukturen (Wir-Ihr) kann wichtige Hinweise für die Analyse geben.4 Sehr aufschlussreich kann es weiterhin sein, die Argumentationsweise des Texts zu analysieren. Argumentieren gehört zu einer diskursiven Praxis. Es werden Behauptungen aufgestellt, die durch das Anführen entsprechender Begründungen den Anspruch erheben, richtig zu sein. Faktisch unwahre Aussagen gilt es zu enttarnen. Musikalisch sind die Stilrichtung, der Sound (Besetzung), die musikalische Faktur (Groove, Schlagzeug-Pattern, Melodik) und vor allem der Gesangsstil zu klären. lem Gedankengut infiltriert wurden jetzt auch Songs aus den Bereichen Techno, Heavy Metal, Punk, Hardcore, Black Metal, Gothic, HipHop, volkstümliche Musik u. a. Man versucht dadurch, eine möglichst breite Bevölkerung bzw. viele Musikgeschmäcker anzusprechen. Hinzu kommen Balladen rechter Liedermacher. Ein Mix aus diesen Stilrichtungen finden Sie im „Sampler rechte Musik“ (HB 10). Sprachgewalt geht im Rechtsrock allerdings häufig einher mit echter Gewalt. Sogar in Konzerten kommt dies durch entsprechendes „Tanzen“ (Pogotanzen, das ursprünglich aus der Punkszene kommt) zum Ausdruck (siehe hierzu den Filmausschnitt „Pogotanz“ auf der Heft-DVD). In Zusammenhang mit dem Rechtsrock spielen folgende Begriffsfelder eine wichtige Rolle:5 (nationalsozialistisch) geprägte Begriffsfelder: Endlöser, Judensau, arische Rasse; umgedeutete Wörter/Sätze: Türkenschlampe; mythologische/magische Wörter: schwarze Sonne, Mutter Erde, Lichtscheibe; Metaphern: Schädlingsmetapher: Menschen der Personengruppe X sind Ungeziefer, Gewürm, Zecken; Wortfelder: Gesindel: Nigger, Juden, Kanaken, Schwule, Punker; archaische Wörter: Kameraden, Mädel, großdeutsch; Abkürzungen: mdg = mit deutschem Gruß, HH = Heil Hitler; Zahlencodes: 88 = Heil Hitler, Stellung im Alphabet; Anglizismen: white power heil euch! Eindeutschungen: Lichtscheibe für CD; Anreden: Heil euch Kameraden, Schöne Grüße und fette Boite! Personalpronomina: Wir leben Kameradschaft; Bandnamen: Frontschweine, Donnertyrann, Endlöser, Landser, Kraftschlag, Störkraft, Zillertaler Türkenjäger; Songtitel: Deutschland im Herzen, Dem Vaterland verpflichtet; ▲ ▲ ▲ analyseverfahren Arbeitsblatt S. 31-32 als PDF-Datei Als Beispiel für die rechte Musikszene wurde der Titel Asgardsrei der Gruppe Absurd gewählt (HB 11).6 Die ursprünglichen Mitglieder dieser Band erlangten 1993 traurige Berühmtheit durch den Mord an einem Schulkameraden. Heute hat die Band Kultstatus in der rechten Szene. Der Song und eine Analyse desselben finden Sie auf dem Arbeitsblatt „Rechtsrock“. Bei der Analyse mit den SchülerInnen sollte die Lösung zunächst abgedeckt oder abgetrennt werden. beispiel: fangesänge Jedes Wochenende dasselbe Bild: Tausende von Fans schmettern bei Fußballspielen gemeinsam verschiedene Lieder. Dabei wird mitunter verbale Gewalt transportiert.7 Für Fangesänge wurde ein Kategoriensystem entworfen, in das die unterschiedlichen musikalischen Aktivitäten eingeordnet werden können (siehe Arbeitsblatt „Fangesänge“, Pyramide).8 Mögliche Lösungen für die auf dem Arbeitsblatt gestellten Aufgaben befinden sich auf dem Arbeitsblatt unten oder eine Sammlung von Gesängen auf dem Zusatzarbeitsblatt „Fangesänge“ auf der Heft-DVD. Musik Auf der untersten Stufe der Pyramide stehen die so genannten „Primärreaktionen“ wie Rufen, Pfeifen, Schreien oder das Betätigen von Lärminstrumenten. „Rhythmisches Klatschen“, häufig in Verbindung mit „gesprochenem Rufen“, bildet eine zweite Schicht. Hier ist vor allem der so genannte Soccer-Rhythmus bekannt. Als eine Ver- 30 THEMA: BEGEGNUNGEN. MUSIK – REGIONEN – KULTUREN nische Ausdrücke, indirekte Anfeindungen und direkte Anfeindungen, wobei Letztere überwiegen (Beispiele siehe Arbeitsblatt „Fangesänge“, Antigesänge). beispiel: hiphop bindung von Klatschen und Rufen ist etwa der Schlachtenruf „Fußballfans sind keine Verbrecher“ zu nennen. Es folgen in einem weiteren Schritt „gesungene Rufe“ oder „Kurzgesänge“, worunter wenige Takte umfassende Melodien zu verstehen sind. Die eigentlichen „Gesänge“ stellen die musikalisch höchste Stufe dar. Hier sind auch die Fans am meisten gefordert – sowohl hinsichtlich des Gedächtnisses als auch der Singfähigkeit.9 Das Repertoire, aus dem sich die Fangesänge zusammensetzen, ist vielfältig und speist sich aus verschiedenen musikalischen Vorlieben und Umgangsweisen der Fans. Man kann praktisch von einer musikalischen Volkskultur sprechen wie etwa auch bei den gesungenen Liedern im Bierzelt10 oder bei der Straßenmusik. Bricolage oder Sampling sowie vor allem das Parodieverfahren spielen eine wichtige Rolle – man kombiniert also verschiedene musikalische Bereiche und textet präexistente Melodien um. Bei der Ausführung und Verbreitung spielt der Capo (der Vorsinger) eine wichtige Rolle. Er animiert nicht nur – häufig über Megafon – seine „Kurve“ und gibt Parolen aus, sondern versucht auch neue Songs zu positionieren (vgl. Film „Capo beim Fußballspiel“). Gewalt Aggressionen auf dem Fußballfeld, Schlägereien und Körperverletzungen werden heutzutage zunehmend beobachtet.11 Die Gewalt kann sich in verschiedenen Abstufungen äußern. Schnell wird im Schiedsrichter oder in den gegnerischen Spielern der Schuldige ausfindig gemacht. Dies äußert sich in entsprechenden Fangesängen. Man versucht dadurch Macht auszuüben, den Gegner mürbe zu machen und das Spiel letztlich zu Gunsten des eigenen Vereins zu beeinflussen. Meist bleibt es bei verbalen Äußerungen. Bei den Fangesängen könnten ähnliche Mechanismen eine Rolle spielen wie im Rechtsrock, wo ebenfalls die Frage diskutiert wird, inwieweit Musik Jugendliche in die Szene treibt. Aber auch da muss festgestellt werden, dass Musik nur ein sekundäres Gewaltpotenzial in sich birgt.12 Untersucht man Fangesänge (Antigesänge) hinsichtlich ihrer Inhalte, so lassen sie sich u. a. nach folgenden Kriterien einteilen: fußballtech- HipHop fungierte – zumindest zu Beginn seiner Entstehung – als Ausdruck einer Minderheit. Er war ein Sprachrohr nicht nur zum Austragen der Konflikte von Banden untereinander, sondern stellte für die afroamerikanischen Jugendlichen schon bald eine Möglichkeit dar, auf Probleme hinzuweisen. Die drei Säulen dieser Ghettokultur waren und sind auch heute noch: Rap, Breakdance und Graffiti. Als Grundprinzip des Rap gilt es, seine eigene Meinung in Reimform kundzutun und dabei seinem Ärger Luft zu verschaffen. „Battle“ nennt man diese Form des Konfliktaustrags. In der letzten Zeit haben sich FreestyleBattles etabliert, in denen sich zwei oder mehrere Rapper im improvisierten Sprach-Wettkampf messen, das Publikum oder eine Jury küren den Sieger. Dabei gibt es durchaus bestimmte Regeln. Auf jeden Fall muss derjenige, der austeilt, damit rechnen, dass es ihm heimgezahlt wird. Im Battle geht es darum, sich „Respekt“ zu verschaffen. Dies kann man erreichen durch einen eigenen Stil (Style), Glaubwürdigkeit (Realness), Spontaneität im Erfinden von Reimen, Virtuosität und dem „Boasting“, dem Prahlen, das der Selbstinszenierung dient. Ein weiteres Stilmittel ist das „Biten“, das negativ bewertete Stilkopieren. Beleidigen („dissen“) darf man nur, wenn man zu den besten Rappern gehört. Ist man dies nicht, so hat man seinen Respekt verwirkt und bekommt ihn in Form von „Disrespect“ entzogen. Trotz aller Gegensätze gehört man der gleichen Kultur (HipHop) an, was ein doch friedliches Austragen von Gegnerschaft möglich macht. Im Zuge des Mainstreams hat der HipHop heute seinen kritischen Touch oftmals abgeworfen und eher unterhaltenden Charakter erlangt. Gleichzeitig trifft man immer öfter auch auf problematische Texte, in denen Minderheiten (z. B. Homosexuelle), aber auch Frauen diskriminiert werden. So ließen seit 2001 die Bands des Berliner Labels Aggro Berlin mit einem härteren Stil aufhorchen. Ihre gewaltverherrlichenden, aggressiven, intoleranten und sexistischen Inhalte wurden in der Öffentlichkeit kritisiert. So entzündete sich etwa im Jahr 2007 eine Diskussion daran, ob der Rapper Bushido zu einem Festival gegen Gewalt zwischen Jugendlichen eingeladen werden dürfe oder nicht. Zur Analyse im Unterricht wurde der Song Bei Nacht des Rappers Bushido gewählt (HB 12; Arbeitsblatt „HipHop“). Bei der Analyse mit den SchülerInnen sollte die Lösung zunächst abgedeckt werden. Auch Bushido stand bereits mehrere Male wegen Gewaltdelikten vor Gericht. zu den arbeitsmaterialien Als Grundlage für den Unterricht dienen die beigefügten Materialien. Ausgehend von der Stilvielfalt im Rechtsrock empfiehlt es sich hinsichtlich des Analyseverfahrens wichtige Techniken bzw. Begriffe wie Schlüsselwörter, Oppositionsstruktur, Argumentationsweise zu klären. Die Arbeitsaufträge können in arbeitsgleicher oder arbeitsteiliger Gruppenarbeit durchgeführt werden. In jedem Fall muss ein besonderer Wert auf die Präsentation und Diskussion der Ergebnisse gelegt werden. Es sollte dafür gesorgt werden, dass bei den Internetrecherchen nur die angegebenen Seiten herangezogen werden. Eigene Erfahrungen der SchülerInnen mit Sprachgewalt können einfließen (z. B. Mitbringen von weiteren Songs). Ebenso müssen andere Möglichkeiten der Konfliktbewältigung angesprochen werden. Eine fächerübergreifende Arbeit mit den Fächern Religion bzw. Ethik, Deutsch und Geschichte ist zu empfehlen. 1 Sprache „is not only an instrument of communication or even knowledge, but also an instrument of power“, Pierre Bourdieu: „The economics of linguistic exchanges“, in: Social Science Information 16/1977, S. 648. 2 Peter Schlobinski: „Zum Sprachgebrauch rechtsradikaler Musikgruppen“, in: Der Deutschunterricht 5/2007, S. 68. 3 ebd. S. 69. 4 ebd. S. 70. 5 ebd. S. 69. 6 Ursprünglich war als Beispiel der Song Walvater Wotan der Gruppe Landser vorgesehen. Es stellte sich jedoch heraus, dass dieser Titel indiziert ist und damit nicht im Unterricht behandelt werden kann. Dieses sehr extreme Beispiel von rechter Gewalt bietet noch wesentlich mehr Ansätze zur Analyse. 7 vgl. Georg Brunner: „Ruhrpottkanaken – Fangesänge im Fußballstadion“, in: Der Deutschunterricht 5/2007, S. 32-43. 8 Höfer 1979 zit. nach: Reinhard Kopiez/Brink, Guido: FußballFangesänge. Eine FANomenologie, Würzburg 1999, S. 25. 9 ebd. 10 Georg Brunner: „Von Musikantenstadl bis Ballermann. Anmerkungen zum 30-jährigen Jubiläum der ‚Zillertaler‘ (ein Beitrag zur Musiksoziologie)“, in: Sänger- und MusikantenZeitung 6/2002, S. 453-457. 11 Gunter A. Pilz: Fußballkulturen und Gewalt – Wandlungen des Zuschauerverhaltens: Vom Kuttenfan und Hooligan zum postmodernen Ultra und Hooltra, www.erz.uni-hannover.de/ifsw/daten/lit/pil_zuschauerverhalten.pdf. 12 Georg Brunner: „Rezeption und Wirkung von Rechtsrock – Eine Annäherung“, in: BPJM-Aktuell 1/2007, Bonn, S. 3-18.