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© 2003 Carl Hanser Verlag, München
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EDITORIAL
Lieber Leser, Meister, so heißt er. Bald vielleicht nicht mehr. Die Bundesregierung will in einer Reihe von Berufen die Pflicht zur Meisterprüfung als Voraussetzung für eine Betriebseröffnung kippen. Deregulierung nennt man das und verbindet damit die Hoffnung auf viele Neugründungen durch Gesellen und viele neue Arbeitsplätze. Die dreistufige Ausbildung von Lehrlingen über Gesellen bis hin zum Meister ist ein wesentlicher Teil des Made in Germany. Sie garantiert Qualität. Das soll nun mutwillig zerschlagen werden, mit einem Seitenblick wohl auf Amerika, da gibt es das ja auch nicht, nur um den Wählern das Gefühl zu geben, die tun ja doch was. Nun werden neue Arbeitsplätze dringend gebraucht, keine Frage. Aber, geht das so? Wir denken, keineswegs. Wir Ingenieure arbeiten jeden Tag daran, weiter zu rationalisieren. Jeden Tag. Nach Highspeed Cutting kommt Ultra Highspeed Cutting und so weiter. Wo eine Sekunde zu sparen ist, wird es getan. Und das ist gut so. Sonst gäbe es keinen Fortschritt, und auch unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit wäre bald dahin. Aber neue Arbeitsplätze werden so nicht geschaffen. Im Gegenteil, immer mehr Arbeit wird durch Maschinen verrichtet. Was also können wir tun? Das Einzige, was wir wirklich tun können, ist die für Menschen noch vorhandene Arbeit besser zu verteilen. Letztendlich würde das bedeuten, weniger Wochenstunden für jeden, und zwar signifikant. Können wir uns das leisten? So lange wir ein gleich bleibendes oder steigendes Bruttosozialprodukt haben, auf jeden Fall. Es stehen die gleichen Mengen an Dienstleistungen und Gütern zur Verfügung wie zuvor, sie müssen nur gerecht verteilt werden. Das ist eine vornehme Aufgabe für eine Bundesregierung. Traut sie sich nicht? Hier sollte der Hebel ansetzen, statt wichtige Säulen unseres Wirtschaftens zu demontieren. Wenn wir nicht bereit sind, die Arbeit zu verteilen, dann bleibt uns nichts anderes, als die Leute, die wir auf die Straße stellen, anständig zu versorgen. So dass sie mit ihren Familien menschenwürdig überleben können. Und diese Versorgung sollte dann ohne Murren und Knurren gegeben werden. Anders als jetzt, wo doch erst
einmal jedem Arbeitslosen unterstellt wird, dass er ja eigentlich gar nicht so recht arbeiten will – zumindest in der öffentlichen Meinung. Wer heute bereit ist, einem einzigen Vorstandsvorsitzenden 15 oder 20 oder gar 50 Millionen Euro an Jahresgehalt zuzubilligen, sollte andere Leute nicht unter das Existenzminimum drücken wollen. Unterschiede müssen sein, denn aus der Unterschiedlichkeit erwächst Spannung, und wo Spannung ist, kann auch ein Strom fließen. Wenn die Spannung aber zu groß wird, verglüht der Draht. Dann wird es gefährlich. So weit sollte es nicht kommen ... Herzlichst Ihr
CADCAM 4/2003
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