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Nº 9
02 | 2015
www.lutra-kl.de
Kulturmagazin Kaiserslautern
Deportation nach Gurs |
Europa
Neue Musik | Versuch Künstlerbücher |
Liebe
Privatsphäre
Konzerte
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der Stadt Kaiserslautern in der Fruchthalle
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Die neue Konzertsaison. Jetzt Karten sichern!
Vorverkauf läuft!
THEMEN EUROPA
03 Europas Peripherie? Portugal, Kaiserslautern und der Fado _______________ 07 Walter Helfrichs Geschichte der pfälzischen Europabewegung ___________ 10 Europäische Idee im Kleinen: die Universität der Großregion _____________
T H E AT E R
12 Ein Sams, ein Bär, ein Flüchtling: Theater für Kinder und Jugendliche ________ 16 Jedermann als Rockmysterium: „Everyman“ wieder am Pfalztheater ________ 18 Liebe als Experimentierfeld: Intendant Urs Häberli im Interview _____________
MUSIK
20 Schwere Kost Neue Musik: Zu Ursprung und Lage der E-Musik ____________ 22 Keine Spannung ohne Entspannung: Der Komponist Torsten Rasch ________ 25 Fünf Konzerte für 30 Euro: Das neue Jugend-Abo _______________________ 27
Meisterliches, Europäisches: Die neue Konzertsaison _____________________
u. a. mit Daniel
Hope Sabine Meyer | Deutsche Staatsphilharmonie30 32 Orchester des Pfalztheaters | Elke Heidenreich 33 34 Tim Fischer | Deutsche Radio Philharmonie 35 36 38 Jazzbühne | Klaus Florian Vogt Dominique Horwitz 41
© Margaret Malandruccolo / D
KUNST
Neobarocke Üppigkeit: Vera Mercers fotografische Stillleben _____________ Kunstwerk Buch: Künstlerbücher im Museum Pfalzgalerie _______________ Wege zwischen Linie und Raum: Die Kunst der Katharina Hinsberg ________ Bauliche Metamorphosen: Ausstellung in der Architekturgalerie __________
Kunsthandwerk im steten Wechsel: Kulturmarkt in der Fruchthalle _______ Wie die Zeit vergeht: 1. Jugendkunstpreis Kaiserslautern _________________
Kreativ vernetzt: Der erste Kreativstammtisch Kaiserslautern tagte _______
SEP
MESSEPLATZ
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TICKETS & INFO
Hotline: 01806 – 150 555 WWW.RONCALLI.DE *
*(0,20 EUR / Verbindung aus dt. Festnetz / max. 0,60 EUR/Verbindung aus dt. Mobilfunknetz) Veranstalter: Grandezza Entertainment GmbH, Gärtnerstrasse 40, 45128 Essen
www.
.de
22. Oktober 1940: Deportation jüdischer Kaiserslauterer nach Gurs _______ Fotografieren für den Frieden: Die Bildjournalistin Erika Sulzer-Kleinemeier
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BILDUNG & FORSCHUNG TICKETS: WW W. F R U C H T H A L L E . D E Raum für die transatlantische Debatte: Das Atlantische Forum ___________ 48 Titel: Daniel Hope
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© Margaret Malandruccolo/DG
GESCHICHTE
49 Symbol der Identität: „Tensegrity“ auf dem Campus der Hochschule ______ 52 Virtueller Fahrzeugtest: Innovation in Sachen Reifensimulation ______________ 54 Digitalisierung, quo vadis? Das europäische Forschungsprojekt EMC2 ______
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INTRO
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© Bellhäuser
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Die Eurozone diskutiert den „Grexit“, die Briten wollen raus aus der EU (oder auch nicht), die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Ländern wie Spanien oder Portugal ist Besorgnis erregend: Die Stimmung in und für Europa war schon mal besser. LUTRA hält dagegen mit einem Themenschwerpunkt zum europäischen Gedanken, zur Idee Europa. Mit einem Bericht über die „Universität der Großregion“ im Herzen Europas. Mit Reflexionen zu Portugal, Portugiesen in Kaiserslautern und zum Sehnsuchtsgesang Fado. Und mit einer Buchvorstellung zur Geschichte der pfälzischen Europabewegung nach 1945. Kulturangebote speziell für Jugendliche bilden einen zweiten zentralen Aspekt dieser LUTRA-Ausgabe. Deshalb stellen wir das neue Jugend-Abo der Fruchthalle und der Kammgarn vor, beleuchten, was das Pfalztheater in dieser Saison an Inszenierungen für Kinder und Jugendliche zu bieten hat, und blicken auf die Werke, die beim ersten Jugendkunstpreis Kaiserslautern gekürt wurden. In zwei Interviews kommen außerdem interessante Kulturschaffende zu Wort: Der Komponist Torsten Rasch erläutert, warum er die Hermetik der Neuen Musik ablehnt und wie er Texte von Thomas Brasch vertont. Pfalztheater-Intendant Urs Häberli erklärt, warum er und sein Team in der neuen Spielzeit den „Versuch Liebe“ starten, wie er die 30- und 40-Jährigen ins Theater locken will und was Bartóks „Blaubart“ mit Zemlinskys „Zwerg“ zu tun hat.
EURO PÄ I SCH E I DE E IM KLE I N E N
Daneben stellen wir in LUTRA 9 die quasi barocken fotografischen Stillleben der Vera Mercer und die Künstlerbücher in der Graphischen Sammlung der Pfalzgalerie vor. Wir geben einen Überblick über die Kaiserslauterer Konzertsaison 2015/16 und erinnern an ein unrühmliches Kapitel deutscher wie auch lokaler Geschichte:
Die Technische Universität Kaiserslautern ist Teil der „Universität der Großregion“ (UniGR). Dies eröffnet Wissenschaftlern ein kooperatives europäisches Hochschul-Netzwerk. Und Studierende finden so einfacher die Gelegenheit, ihr Studium international zu gestalten.
die Deportation jüdischer Mitbürger vor 75 Jahren nach Gurs. Mit unserer Gegenwart und Zukunft im Digitalzeitalter beschäftigen sich hingegen aktuelle Forschungsprojekte an den Fraunhofer-Instituten und die „Campus-Kultur“ der TU Kaiserslautern. Es gibt also viel zu lesen – Ihr LUTRA-Redaktionsteam
„Die europäische Idee im Kleinen“, so fasst Thomas Schmidtgall das Konzept einer Universität der Großregion zusammen. Was 2008 als modellhaftes, durchaus experimentelles Projekt begann, ist heute zu einem Verbund gewachsen. Die Idee: eine grenzüberschreitende Universität der Großregion Luxemburg, Lothringen, Saarland, Rheinland-Pfalz und Wallonien in europäischem Geist. Europa wird konkret und greifbar. Die Technische Universität Kaiserslautern ist Teil dieser Idee, Schmidtgall an der TU der zuständige Referent.
Der Universitäten-Verbund umfasst mit Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland vier Länder und drei Sprachen. In der Universität der Großregion sind sechs Hochschulen zusammengeschlossen. Neben der TU in Kaiserslautern sind dies die Universität Trier, die Universität des Saarlandes, die Universitäten Luxemburg, Lüttich sowie Lothringen. Das Projekt steht ganz im Zeichen der europäischen Vision: In der Großregion verbinden sich die Universitäten und geben sich damit als Alleinstellungsmerk-
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mal ein einzigartiges, grenzüberschreitendes – eben europäisches – Profil. „Das Ziel ist es, ein Netzwerk zu schaffen“, sagt Thomas Schmidtgall. Eine Plattform, auf der internationale Initiativen möglich werden, sowohl für die Lehrenden und die Studierenden also auch für die Forschung und die Wissenschaftler. Darüber hinaus verstehe sich die Universität der Großregion als „Motor und Think Tank“, der zur positiven Entwicklung der Großregion beitragen wolle.
Symbol der Universität der Großregion: Der grüne „Faden“ verknüpft die Uni Luxemburg … © Bellhäuser
… mit der Technischen Universität Kaiserslautern … © Bellhäuser
Der Gewinn für die Studierenden liegt auf der Hand: Wer an einer der Universitäten studiert, kann im Verbund zugleich Einrichtungen wie Bibliotheken oder Mensen der anderen Hochschulen nutzen sowie überdies an deren Lehrveranstaltungen teilnehmen. Dies erleichtert den Zugang zum internationalen Studium. Denn die Lehrveranstaltungen können wechselseitig anerkannt werden. Zwar ist eine Prüfung innerhalb des „heimatlichen“ Fachbereichs auf die Kompatibilität der Lehrinhalte eine Voraussetzung; die bürokratischen Hürden für eine internationale Gestaltung des eigenen Studiums seien indes vergleichsweise gering, betont Schmidtgall. Dabei muss sich das Studium keineswegs komplett räumlich verlagern – die Chance des Austauschs gilt auch punktuell während des laufenden Semesters, sei es für einzelne Veranstaltungen oder Seminare an nur einem Tag. Ebenso beschreibt Thomas Schmidtgall positive Effekte für die Forschung: Dazu zählen die Nutzung gemeinsamer Ressourcen in der Großregion oder die Formulierung übergreifender Projektanträge, in denen sich die Stärken der verschiedenen Universitäten zusammenfügen. Zudem spricht er von gemeinschaftlichen Aktivitäten in der Doktoranden-Ausbildung. Der praktische wissenschaftliche Austausch in der Großregion spiegelt sich insbesondere in drei konkreten „Leuchtturmbereichen“, zu denen entsprechende Forschungsprojekte angelegt sind. Erstens geht es um interdisziplinäre „Border Studies“, also um die Erforschung des Trennenden nationaler und regionaler Grenzen, aber auch um deren Durchlässigkeit sowie ihre identitätsstiftenden
Faktoren. Zweitens geht es um das Thema Biomedizin. Und drittens setzt die Universität der Großregion in der Materialwissenschaft und Ressourceneffizienz einen Schwerpunkt, in den sich insbesondere die TU Kaiserslautern stark einbringt. In eine Rechtsform ist die Universität der Großregion zwar noch nicht gebettet. Dennoch hat sie längst zu einer verbindlichen Struktur gefunden. Ein wesentliches Gremium ist der Rat, zu dem sich die Rektoren und Präsidenten der beteiligten Universitäten zwei Mal pro Jahr zusammenfinden. Der Vorsitz wechselt. Verwaltungssitz der Universität der Großregion ist
Noch mehr symbolisches Grün: Kunstrasenteppich in der Bibliothek. © Bellhäuser
… und schlängelt sich auch durch das Audimax der Universität Trier. © Bellhäuser
die Villa Europa in Saarbrücken, wo eine operative Geschäftsführung verankert ist. Zudem gibt es an jeder der beteiligten Universitäten einen Referenten als Ansprechpartner und Koordinator vor Ort – für Studierende, Doktoranden, Wissenschaftler oder die Verwaltung. Die Universität der Großregion bezeichnet Schmidtgall als „einmaliges europäisches Experiment“. Der Weg zu einer Homogenisierung der Lehrangebote und
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Lissabon: Blick auf das „Bairro Alto“ und die im Erdbeben zerstörte Carmo-Kirche.
Nicht zuletzt muss das Bewusstsein für eine Universität der Großregion erst noch wachsen. „Es geht auch darum, sich gegenseitig überhaupt wahrzunehmen und den Blick bei internationalen Kooperationen nicht zuerst über den Atlantik, sondern vielleicht auch vor die eigene Haustüre zu richten“, meint Schmidtgall. Dies gilt einerseits für Wissenschaftler und Forscher. Aber in gleichem Maße auch für Studierende, die Thomas Schmidtgall sensibilisieren möchte für die Chancen, die im internationalen Verbund liegen und die ein völlig neues Studienkonzept ermöglichen. Ob aus dem Universitäten-Verbund irgendwann einmal eine Verbund-Universität wird? Schmidtgall zuckt die Schultern: „Der Verbund ist nie abgeschlossen.“ Gegenfrage: Ob aus dem europäischen Staatenbund einmal ein Bundesstaat wird? Wie gesagt: Die Universität der Großregion ist so etwas wie Europa im Kleinen ... Andreas Erb INFO Ausführliche Informationen zur Universität der Großregion gibt es im Internet unter www.uni-gr.eu
Connected: Lüttich. © Bellhäuser
Forschungsinitiativen ist längst nicht am Ende. Zu unterschiedlich sind die historisch gewachsenen, nationalen Hochschulkulturen und Bildungssysteme, ihre Regeln, Mentalitäten und Verwaltungsabläufe. Von sprachlichen Barrieren und geografischen Entfernungen – von Kaiserslautern nach Lüttich sind es rund 300 Kilometer – ganz abgesehen. „Die Verzahnung ist eine permanente Herausforderung“, sagt Schmidtgall.
Auf der Website der Technischen Universität Kaiserslautern ist die Universität der Großregion unter www.uni-kl.de/uni-gr abgebildet.
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© Christoph Dammann
EURO PA S PERIPHERIE? O D E R T O R Z U R W E LT ? Portugal, Kaiserslautern und der Fado: eine Betrachtung von Christoph Dammann
Lissabon, die uralte Stadt am Tejo, ist über 2.200 Kilometer von Kaiserslautern entfernt, deutlich weiter als etwa Minsk oder auch Palermo. Nah ist Portugal durch die große portugiesische Gemeinschaft in unserer Stadt – nach den Amerikanern die zweitgrößte ausländische Gruppe. 1964 wurde ein Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Portugal abgeschlossen. Während die Arbeitslosigkeit in Portugal hoch war, fehlten in der Bundesrepublik durch den wirtschaftlichen Aufschwung Arbeitskräfte. Inzwischen lebt die dritte und vierte Generation in Kaiserslautern und ist vollständig integriert. Portugal ist ein beliebtes Reiseziel, allein Lissabon und Umgebung bieten unglaublich viel: historisches aus 3000 Jahren Geschichte, moderne Architektur, traumhafte Strände, verwunschene Landschaften und Schlösser, Spitzengastronomie und eine der hippsten Altstädte Europas. Mit schulischen Französisch- und Lateinkenntnissen sowie rudimentärem Italienisch und Spanisch ist es relativ einfach, eine portugiesische Zeitung in Grundzügen zu verstehen.
Leider hat das geschriebene Portugiesisch für deutsche Ohren mit dem gesprochenen absolut nichts zu tun. Es heißt auch, dass die Portugiesen zwar die Spanier, diese umgekehrt aber nicht die Portugiesen verstehen, was vielleicht mit der jahrhundertelangen nachbarschaftlichen Rivalität zusammenhängt. Tatsächlich war es den Spaniern nie gelungen, Portugal zu beherrschen, abgesehen von einer kurzen Periode unter Philipp II. Portugal war lange Zeit eine absolute Weltmacht, mit Technologieführerschaft im Bereich der Nautik. Noch heute ist im Bewusstsein der Portugiesen tief verankert, dass sie zu den ersten Europäern in Afrika, Südamerika, Indien und Japan gehörten. Man versteht sich nicht als europäische Peripherie, sondern als Tor Europas zur Welt. Portugiesisch zählt mit über 250 Millionen Sprechern zu der achthäufigsten Sprache weltweit, direkt nach Arabisch und Russisch, und ist insgesamt geografisch noch wesentlich weiter verbreitet, in so riesigen Ländern wie Brasilien, Angola und Mosambique.
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Die Mentalität der Portugiesen ist nach meinen Erfahrungen eine andere als die der Spanier. Portugiesen sind eher ruhig und zurückhaltend, dabei ausgesprochen freundlich, höflich und sehr sprachgewandt. Im kollektiven Gedächtnis sind einige dramatische geschichtliche Ereignisse und Perioden verankert. 1755 wurde die gesamte Unterstadt Lissabons durch ein Erdbeben mit Tsunami und anschließender Feuersbrunst total zerstört, schwere Schäden erlitten auch die auf den Hügeln gelegenen Viertel. Noch heute sieht man die belassene Ruine der Kirche auf dem Carmo. Im 19. Jahrhundert war es der Verlust der unvorstellbar reichen Kolonie Brasilien, im 20. Jahrhundert dann die lange faschistische Salazar-Diktatur, die durch die glorreiche und unblutige Nelkenrevolution von 1974 beendet wurde.
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Jugendarbeitslosigkeit bei dramatischen 35 Prozent der 15- bis 24-Jährigen als Anteil der Erwerbspersonen in der gleichen Altersklasse. Im Frühjahr 2015 kam eine Gruppe junger Portugiesen in die Region Kaiserslautern, um sich im Rahmen des Projekts „Duale Ausbildungs-Perspektiven für junge Menschen aus der Europäischen Union“ auf eine Berufsausbildung hier vorzubereiten. Unterstützt werden sie dabei auch vom Partnerschaftsverein Kaiserslautern International.
Blick auf das alte Castelo. © Christoph Dammann
GESCHICHTE UND ZUKUNFT DES FADO Mit Portugal verbindet man die Musikrichtung des Fado (Schicksal). Seine Ursprünge liegen im Dunkeln, in bürgerlichen Kreisen Portugals populär wurde er im 19. Jahrhundert. Der Fado singt von unglücklicher Liebe, Ungerechtigkeit, der „saudade“, der Sehnsucht nach Lissabon, nach besseren Zeiten, und hat auch viele arabische Einflüsse. Herausragende Interpretin war Amália Rodrigues (1920–1999), die den Fado mit vielen Tourneen, Konzerten und Fernsehauftritten
Heute sind die Portugiesen zu Recht stolz auf ihre politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbauleistungen, die allerdings auch ihre Schattenseiten haben und die in der derzeitigen Finanzkrise klar zutage treten. Das Land wird immer noch beherrscht von den reichen und einflussreichen Familien der Feudal- und Kolonialzeit, die zentrale Einrichtungen des Landes besitzen und kontrollieren, von Banken und Versicherungen über Energieversorger, den öffentlichen Personennahverkehr bis hin zu Telekommunikationsunternehmen und Supermarktketten. Diese Unternehmen entsenden ihr mittleres Management für kurze Zeit in die Regierungsfunktionen, nehmen dort Einfluss und holen diese Mitarbeiter später wieder zurück. Seit den ersten demokratischen Wahlen vor 39 Jahren (1976) hatte Portugal 19 verschiedene Regierungen, die jeweils noch Kabinettsumbildungen vornahmen. So habe ich in meinen drei Jahren in Lissabon von 2007 bis 2010 mit drei verschiedenen Kultusministern zusammengearbeitet. Meine portugiesischen Freunde erleben seit Jahren tiefe Einschnitte in ihr Alltagsleben, während die großen Familienunternehmen kaum angetastet werden und auch fallweise fast keine Steuern im eigenen Land zahlen. Im November 2014 lag die
Gibt dem Fado etwas Junges und Urbanes: Sängerin Gisela João. © Künstlersekretariat OTT
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weltweit bekannt machte. Sie war Kind einer armen zwölfköpfigen Familie und verkaufte als Mädchen Früchte in den Docks von Alcântara, einem Lissabonner Hafen-Stadtteil. Jüngere Fadistas wie Mísia und Mariza verbreiten heute den Fado weiter international und sind auch in Deutschland sehr bekannt. Einen jungen, modernen und urbanen Fado vertritt Gisela João. 2014 war für sie ein unglaubliches Jahr: Ihr Debütalbum bekam ausgezeichnete Kritiken und wurde von den führenden Magazinen und Zeitungen einhellig zum besten portugiesischen Album des Jahres gewählt. Kaum erschienen, erreichte das Album den Status „Goldene Schallplatte“. Gisela João ist vielfach als beste nationale Sängerin preisgekrönt. In Lissabon bewohnt sie ein kleines Haus im Viertel Mouraria, dem Geburtsort des heutigen Fado, wo auch schon ihre berühmte Kollegin Mariza aufgewachsen ist. Ihr Gefühlsausdruck wird von Kritikern sogar mit der großen Amália verglichen, ihr neuer, „urbaner“ Stil als wegweisend beschrieben. KONZERT Gisela João mit Band Fr, 2.10.2015 Fruchthalle Kaiserslautern 18 bis 19.45 Uhr: Infoveranstaltung im großen Saal 20 Uhr: Konzertbeginn Karten: 0631 365-2316, 64725 und 36219-814, www.eventim.de
Typisch portugiesische Kachelkunst: eine prächtige, mit „Azulejos“ geschmückte Fassade. © Christoph Dammann
„Portugal – näher als wir glauben“ ist eine Veranstaltung des Europa-DirektInformationszentrums Kaiserslautern. Auf die Gäste warten spannende und überraschende Geschichten und Informationen sowie ein kulturelles Rahmenprogramm und kulinarische Kostproben. Der Eintritt zur Infoveranstaltung ist kostenlos.
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A L S EURO PA N O CH E INE BLOSSE UTOPIE WAR Walter Helfrichs Geschichte der pfälzischen Europabewegung nach 1945
© Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde Kaiserslautern
Die Pfalz war bezüglich der unterschiedlichen historischen Erfahrungen und der Mentalität ihrer Menschen seit jeher ein klassisches „Grenzland“. Dessen ungeachtet dauerte es auch dort lange, bis weitere Kreise der Öffentlichkeit über die Idee eines vereinten, kooperierenden Europas nachdenken wollten – ein langsamer Prozess, den erst der moralisch-politische Zusammenbruch Deutschlands 1945 angestoßen hat. Zu diesem Zeitpunkt setzt die geschichtswissenschaftliche Studie „Die Anfänge der Europabewegung in der Pfalz nach dem Zweiten Weltkrieg“ des 2012 verstorbenen Historikers Walter Helfrich ein, die im November 2013 vom Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde Kaiserslautern herausgegeben wurde. Das Werk, in dessen Zentrum die Entwicklung des jungen pfälzischen Bezirksverbands der EuropaUnion steht, dürfte dabei aus Forschungssicht nicht nur regionale Pionierarbeit leisten. Denn es beschäftigt sich exemplarisch mit der noch kaum erörterten Frage, wie der Europagedanke in einem deutschen Grenzraum Wurzeln schlagen konnte, gerade auch innerhalb der breiten Bevölkerung und nicht nur unter den politisch-intellektuellen Eliten. Die heutige Selbstverständlichkeit der europäischen Einigung war in der frühesten Phase der Bonner Republik alles andere als gegeben. Wenngleich die europäische Idee in der Frankreich benachbarten Pfalz bei ersten
Umfragen auf höhere Zustimmungswerte als im restlichen Deutschland stieß, blieb sie selbst dort lange nur eine positive, vage Utopie. Eindeutige Priorität hatten bei den Pfälzern der deutsche Wiederaufbau und der sich verschärfende Kalte Krieg. Die Erkenntnis, dass „Europa“ zu diesen Problemen im engsten weltpolitischen Bezug stand, ja entscheidend zu ihrer Lösung beizutragen vermochte, hatte sich damals noch nicht wirklich durchgesetzt. Helfrichs Buch bietet eine Fülle von Fakten und ein beeindruckendes historisches Panorama: Beleuchtet werden zum Beispiel die bereits in den 1930ern existenten ideologischen Ursprünge der Bewegung sowie ihre Beurteilung vonseiten politischer Parteien, Gewerkschaften und beider Kirchen in der Ära Adenauer. Dabei sind nationalistisch gespeiste Anfeindungen der Europaanhänger aus dem konservativen und auch sozialdemokratischen Lager zwangsläufig ein Thema – etwa bei der kontroversen Saarfrage. Die täglichen Schwierigkeiten, mit denen der Germersheimer Journalist Manfred H. Däuwel und andere Führungspersönlichkeiten der ab 1947 wirkenden Pfälzer Europa-Union zu kämpfen hatten, waren beträchtlich: nachvollziehbares politisches Desinteresse der Menschen in Zeiten des täglichen Überlebenskampfes, eine anfangs äußerst misstrauische französische Militärregierung und heftige interne Grabenkämpfe. Die Bemühungen
jugendlicher Aktivisten, verkrustete Denkstrukturen der älteren Generation aufzubrechen, gipfelten mitunter in anarchischen Aktionen wie dem berühmten Grenzsturm bei St. Germanshof 1950, erzielten aber nur eine geringe gesellschaftliche Resonanz. Denn große Teile der damals im NS-Regime erzogenen jungen Generation zeigten sich als nationalistisch geprägt und standen dem Gedanken der Völkerverständigung noch lange ablehnend gegenüber. Sowohl frühe Umfrageergebnisse demoskopischer Institute (EMNID) als auch Zeitzeugeninterviews bilden die Quellenbasis der Untersuchung. Kurzbiographien prominenter Akteure machen die damaligen gesellschaftlichen Entwicklungen immer wieder auf persönlicher Ebene fassbar. Als Quintessenz seiner Argumentation billigt Walter Helfrich der frühen pfälzischen Europabewegung zwar noch nicht den Charakter einer Massenbewegung zu, ist sich aber sicher, dass sie auf lange Sicht überhaupt erst ein
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öffentliches, positives Bewusstsein für das europäische Projekt geschaffen hat. Ein weiterer Beleg dafür, dass sich Hartnäckigkeit historisch durchaus auszahlen kann. Christian Decker INFO Walter Helfrich: Die Anfänge der Europabewegung in der Pfalz nach dem Zweiten Weltkrieg (Beiträge zur pfälzischen Geschichte, hg. vom Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde Kaiserslautern; 27), 774 Seiten (mit zahlreichen Abb.), Kaiserslautern 2013. ISBN: 978-3-927754-75-1, 29,50 Euro. Bestellbar auch unter: http://shop.pfalzgeschichte.de
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DIE LIEBE ALS EXPERIMENTIERFELD Pfalztheater-Intendant Urs Häberli über Spielzeitmottos, Wissende in der Oper, schwierige Zielgruppen und Ideen für die Tanzsparte
Startet mit seinem Team in der neuen Spielzeit den „Versuch Liebe“: Intendant Urs Häberli. © Marco Piecuch
Seit 2012 ist Urs Häberli Intendant des Pfalztheaters Kaiserslautern. Davor wirkte er am selben Haus bereits zehn Jahre lang als Operndirektor und Musiktheaterregisseur. Während andernorts neue Intendanten in der Regel den radikalen „Cut“ zelebrieren, steht Häberli damit für eine gewisse Kontinuität im Hinblick auf das unter seinem Vorgänger Johannes Reitmeier Bewährte und Erreichte. Dennoch hat auch der „neue“ Pfalztheater-Intendant ganz eigene und spezifische Ideen und Ziele, die er im Gespräch mit LUTRA formuliert. LUTRA: Herr Häberli, Sie sind jetzt seit drei Jahren im Amt. Welches sind, Ihrer Meinung nach, die wesentlichen Akzente, die sie bisher in der Theaterarbeit setzen konnten?
Urs Häberli: Von großer Wirkung nach außen ist sicher die Tatsache, dass wir ein jährlich wechselndes Spielzeit-Motto eingeführt haben, um das sich viele – wenn auch nicht alle – Stücke drehen. Dadurch kann das Publikum einen roten Faden im Spielplan erkennen. Das ist ein strategischer Gedanke, den man durchaus als neu bezeichnen könnte. Des Weiteren wurde die langjährige, von Johannes Reitmeier und Uwe Sandner initiierte Pflege von Opernkomponisten, die im Dritten Reich verfemt waren, abgelöst durch einen allgemeineren Fokus auf zentrale Musiktheaterwerke des 20. Jahrhunderts. Außerdem ist es mir wichtig, dem Publikum gerade im Opernbereich Entdeckungen, Ausgrabungen oder selten gespielte Werke zu präsentieren – sei es nun „Guillaume Tell“ von Rossini, Lortzings „Regina“ oder Moniuszkos
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„Halka“. Und im Sprechtheater konnte Schauspieldirektor Harald Demmer neue Akzente setzen, indem er, zum Beispiel, neue Regisseure an das Pfalztheater holte.
vorhandener Restkristall der Liebe aus diesem Paar macht. Innerhalb des Spielplans die verschiedenen Belichtungswinkel der Liebe zu untersuchen, finden wir spannend.
LUTRA: Sie haben gerade die Spielzeit-Mottos angesprochen. Für die nächste Saison wurde „Liebe! Versuch Liebe“ als Losung ausgegeben. Das allerdings ist nun wirklich ein weites Feld …
LUTRA: Sie selbst inszenieren ja die Eröffnungspremiere in der Opernsparte, einen Doppelabend aus „Herzog Blaubarts Burg“ von Bartók und Zemlinskys „Der Zwerg“. Welche Aspekte der Liebe bringen diese Werke der klassischen Moderne zum Vorschein?
Häberli: (lacht) Da haben Sie natürlich völlig Recht. Fast das gesamte Opernrepertoire dreht sich ja um Liebe, und auch im Schauspielsektor kommt das Wort nicht gerade selten vor. Im ersten Moment könnte man deshalb meinen, dass wir es uns dieses Jahr verdammt einfach gemacht haben. Aber mit dem Zusatz „Versuch Liebe“ zielen wir vor allem auf die Liebe als Experimentierfeld ab: Wie strapazierfähig ist die Liebe? Wie kann Liebe scheitern? Was kann Liebe aushalten? In diesen Kontext gehört auch ein Ehedrama wie Edward Albees Stück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Dessen Hauptfiguren George und Martha sind sicher alles andere als das Liebespaar par excellence, trotzdem zeigt gerade die Reibung in dieser zwischenmenschlichen Beziehung, was ein vielleicht aus früheren Zeiten noch
Häberli: Beide Werke beschreiben Abhängigkeiten. In den Figuren Blaubart und Judith ist das Männliche und das Weibliche sehr stark polarisiert. In diesem Gegensatz des Zulassens von Geheimnissen auf der einen und des Lüftenwollens von Geheimnissen auf der anderen Seite wird eine ganz tiefe zwischenmenschliche Dimension aufgedeckt. Ebenso forschend ist letzten Endes Zemlinskys Zwerg unterwegs, dem nicht klar ist, dass die Menschen lachen, weil sie ihn so komisch und grotesk finden. Erst durch den Blick in den Spiegel merkt er, dass er getäuscht wurde; dadurch zerbricht dann auch seine Liebe zur Infantin. Es gibt also eine spannende Parallele zwischen den beiden Werken: Blaubart und die Infantin sind Wissende. Blaubart weiß, was hinter
Musiktheaterwerke des 20. Jahrhunderts bilden unter Urs Häberli einen Schwerpunkt im Spielplan: Mit Franz Schrekers „Irrelohe“ (1924) holte man zuletzt eine selten gespielte Oper der Moderne aus der Versenkung (Bild), die neue Saison eröffnet ein Doppelabend aus den Opern „Herzog Blaubarts Burg“ (1918) von Bartók und Zemlinskys „Zwerg“ (1922). © Stephan Walzl
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den Türen ist; die Infantin weiß, was passiert, wenn die Spiegel nicht mehr verhängt sind und der Zwerg sich selbst sehen kann. Der Zwerg wiederum erahnt stufenweise, dass mit ihm etwas nicht „stimmt“, und wird Erkenntnisse bekommen. Und Judith erahnt stufenweise, dass hinter der letzten Tür Blaubarts ehemalige Frauen sind. Aufgrund dieser Parallelität schreien die beiden Stücke geradezu danach, gekoppelt zu werden. LUTRA: Schreien diese Korrespondenzen dann auch nach einer verknüpfenden szenischen Umsetzung? Oder wollen Sie lieber jede der beiden Opern für sich in einer eigenen Ästhetik präsentieren? Häberli: Ihre Frage trifft genau den Punkt. In der Tat haben wir lange darüber nachgedacht, die beiden Stücke inszenatorisch miteinander zu verbinden und in Bezug auf das Bühnenbild eine einzige Lösung zu finden. Aus musikdramaturgischen Überlegungen haben wir uns dann doch dagegen entschieden. Denn bei aller thematischen Verwandtschaft der Stoffe ist die Musik Bartóks diametral verschieden von der Zemlinskys. Und ich denke, dass ich durch zwei Bühnenbilder, zwei verschiedene szenische Sprachen, zwei verschiedene Arten von Kostümierung den Zusammenhang zwischen den beiden Stücken sogar besser offenlegen kann als durch eine einheitliche Ästhetik.
Großtat im Schauspiel: Das Pfalztheater stemmte Karl Kraus‘ monumentales Weltkriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“ (Regie: Dominik von Gunten). © Stephan Walzl
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LUTRA: Eine der ersten Premieren im Schauspiel ist Frank Wedekinds Adoleszenz-Drama „Frühlings Erwachen“. Steht dahinter die Idee, auch ein junges Publikum für die „Liebe“ im Theater zu entflammen? Häberli: Ja. Da geht es um Pubertätsprobleme. Da geht es um die Jugend. Es ist ein Stück, das Wedekind am Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben hat. Und auch wenn sich die familiären Verhältnisse heute anders darstellen als damals, halte ich diese Kindertragödie noch immer für ein hochaktuelles Werk. Und wir hoffen, dass Schulen und Jugendliche darauf aufmerksam werden und sich dieses nach wie vor brisante Stück anschauen. LUTRA: Apropos junges oder jüngeres Publikum. Die schwierigste Zielgruppe für die Theater sind eigentlich nicht wirklich die Menschen unter 20, sondern die Leute mittleren Alters, die 25- bis 50-Jährigen, die mit Familie oder Karriere beschäftigt sind. Wie bekommen Sie die ins Theater? Häberli: Diese Altersgruppe ist in der Tat schwer zu gewinnen. Aber auch dafür haben wir uns Konzepte ausgedacht, die wir seit meinem Amtsantritt verfolgen. Wir haben zum Beispiel das Afterwork-Abo eingeführt. Dadurch können Berufstätige am Dienstagabend direkt nach der Arbeit ins Theater kommen, denn sie erhalten vor der Vorstellung von dem
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Choreografen der Interimsphase: James Sutherland (li.) choreografiert „Romeo und Julia“ auf Prokofjews berühmte Ballettmusik (Premiere: 13.2.2016), Katrín Hall gestaltet im Mai 2016 einen Tanzabend auf der Werkstattbühne.
© Pfalztheater
Dramaturgen, der die Einführung hält, einen Teller Suppe mit Brot. Und sonntagnachmittags bieten wir eine Kinderbetreuung an für alle Eltern, die dann gerne Theater schauen wollen. LUTRA: Noch eine Frage zur Tanzsparte: Im Moment sucht das Pfalztheater ja nach einem neuen Ballettdirektor. Wäre für das Haus alternativ nicht auch ein kuratorisches Modell denkbar? Häberli: Generell finde ich es gut, wenn jede Sparte einen eigenen Kopf hat. Nun gibt es in Mainz sowie in Darmstadt-Wiesbaden Modelle, die mich sehr interessieren, weil es dort Ballettdirektoren gibt, die aber nicht per se gleichzeitig die Chefchoreografen sind. Das heißt, dort choreografieren pro Saison vier, fünf verschiedene Choreografen. Was ich jetzt in der nächsten Spielzeit mit James Sutherland und Katrín Hall in Kaiserslautern ausprobiere, könnte ein bisschen in diese Richtung gehen. Diese beiden Choreografen sollen dem Ensemble Wege aufzeigen, auf welche Weise man noch tanzen kann. Von daher bin ich gespannt, wie das vom Ensemble und vom Publikum aufgenommen wird. Aber tendenziell bin ich der Auffassung, dass ein Stadttheater dieser Größenordnung gut beraten ist, die Position des Ballettdirektors wieder mit einer prägenden Persönlichkeit zu besetzen. Interview: Kai Scharffenberger
INFO Herzog Blaubarts Burg, Oper von Béla Bartók Der Zwerg, Oper von Alexander Zemlinsky ab 19.9.2015, Großes Haus
Frühlings Erwachen, eine Kindertragödie von Frank Wedekind ab 10.10.2015, Großes Haus
Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, Schauspiel von Edward Albee ab 28.11.2015, Großes Haus
Weitere Premierentermine der Spielzeit 2015/16 sowie Karten unter Telefon 0631 3675-209, www.pfalztheater.de
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EIN SAMS, EIN BÄR, EIN FLÜCHTLING
Lustiger Märchenwirrwarr: Szene aus der vergangenen Kindertheaterproduktion „Prinzessin Anna oder Wie man einen Helden findet“. © Isabelle Girard de Soucanton
Das Stück nach dem Kinderbuch von Oren Lavie ist eine wunderbar poetische Geschichte und nimmt das junge Publikum mit auf die Wanderung eines Bären auf der Suche nach sich selbst. In Kooperation mit dem Referat Kultur finden die Aufführungen ab Anfang Januar 2016 in der Scheune des TheodorZink-Museums statt. „Oper in Form eines optimistischen und tröstlichen Märchens“ hat der Komponist Lucio Gregoretti seine Kinderoper „Flüchtling“ genannt. Im Mittelpunkt steht das Waisenkind Djamila, das aus ihrem politisch unruhigen Heimatland fliehen muss und bei uns Schutz sucht – ein leider brennend aktuelles Thema in einem Musiktheaterwerk für junge Zuschauer ab 10 Jahren und junge Mitwirkende. Neben Ensemblemitgliedern des Pfalztheaters werden auch Kindersolisten und das Junge Vokalensemble auf der Bühne stehen. Auch das Orchester wird sich aus jungen Musikerinnen und Musikern zusammensetzen. „Flüchtling“ wird die Reihe der „Begegnungen!“ fortgesetzt, bei denen in besonderen Projekten Laien und Profis gemeinsam auf der Bühne stehen. Die Premiere ist für den 10. April 2016 auf der Werkstattbühne vorgesehen.
Theater für Kinder und Jugendliche – zum Schauen und zum Mitmachen
Auch im Pfalztheater-Spielplan der Saison 2015/16 liegt ein Hauptaugenmerk auf Angeboten für Kinder und Jugendliche. Bereits am 16. Oktober hat „Das Tagebuch der Anne Frank“ als Klassenzimmerstück Premiere. Aus Anlass des 70. Todestags von Anne Frank im Konzentrationslager Bergen-Belsen bereitet Schauspieldirektor Harald Demmer den Stoff für junge Zuschauer ab 12 Jahren auf. Bei den mobilen Aufführungen in Schulen in Kaiserslautern und der Region tritt die Geschichte des Mädchens Anne Frank ganz unmittelbar in die Realität heutiger Schülerinnen und Schüler. Anne Frank wird dabei von der jungen Schauspielerin Nele Sommer verkörpert, die mit Beginn der Spielzeit neu ins Ensemble des Pfalztheaters kommt.
Die Tradition des Kinderstücks zur Weihnachtszeit wird auch in dieser Saison fortgesetzt. Auf dem Programm steht dieses Jahr „Eine Woche voller Samstage“ nach dem Kinderbuchklassiker von Paul Maar. Yvonne Kespohl inszeniert die Geschichte des etwas schüchternen Herrn Taschenbier, dessen Leben durch das frech-respektlose Sams tüchtig durcheinander gerät. Die Premiere ist am 17. November im Großen Haus des Pfalztheaters, es folgen Aufführungen vormittags für Schulen und am Wochenende für die ganze Familie. Nach „Honigherz“ und „Farben“ steht mit „Der Bär, der nicht da war“ wieder ein Theatererlebnis für ganz junge Besucher ab 3 Jahren auf dem Programm.
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Ebenfalls Theater zum Mitmachen ist seit jeher das Junge Theater am Pfalztheater. Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren treffen sich ab Oktober 2015, um zunächst in verschiedenen Workshops ein Gefühl dafür zu bekommen, was es heißt, auf der Bühne zu stehen und eine Rolle zu spielen. In einer zweiten Phase wird dann miteinander ein Stück erarbeitet, das Ende Juni 2016 auf der Werkstattbühne zur Premiere kommen wird. Im dritten Jahr leitet die junge Regisseurin Yvonne Kespohl das Junge Theater. Interessierte Mitspieler können sich bei Dramaturgin Melanie Pollmann am besten per Mail melden:
[email protected]. Für Kinder und Jugendliche gibt es mit den Kinderabos in zwei Altersstufen und dem Jugend-Abo günstige Angebote, um ganz viel Theater im Pfalztheater zu erleben. Informationen hierzu sind an der Theaterkasse erhältlich. (red)
INFO Das Tagebuch der Anne Frank Klassenzimmerstück, ab 12 Jahren ab 16.10.2015 mobil in Schulen Eine Woche voller Samstage Kinderstück von Paul Maar, ab 6 Jahren ab 17.11.2015, Großes Haus Der Bär, der nicht da war Kinderstück nach dem Buch von Oren Lavie, ab 3 Jahren ab 3.1.2016, Scheune des Theodor-ZinkMuseums Flüchtling Kinderoper von Lucio Gregoretti, ab 10 Jahren ab 10.4.2016, Werkstattbühne
Alle Jahre wieder zeigt das Pfalztheater ein besonderes Kinderstück zur Weihnachtszeit: 2014 war das „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ nach dem Kinderbuch von Michael Ende. © Isabelle Girard de Soucanton
Junges Theater am Pfalztheater Theater mit Jugendlichen für Jugendliche ab 25.6.2016, Werkstattbühne Informationen und Karten: 0631 3675-209, www.pfalztheater.de
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TH E ATE R
JEDERM ANN ALS ROCK MYSTERIUM Ab 25. September spielt das Pfalztheater wieder „Everyman“
„Jedermann“ rockt: Das Musicalspektakel „Everyman“ wird auch in der neuen Saison am Pfalztheater Kaiserslautern gespielt. © Hans-Jürgen Brehm-Seufert
In die Geschichte der bemerkenswerten Erstund Uraufführungen am Pfalztheater im Bereich des Musicals wird ganz sicher der umjubelte Premierenabend von „Everyman“ eingehen – nach „Abydos“, „Ludus Danielis“, „Christ0“ und „Die Chronik der Unsterblichen – Blutnacht“ das mittlerweile fünfte Projekt mit der progressiven Metal-Band Vanden Plas. Auf der Basis eines anonymen englischen Moralitätenspiels aus dem Jahr 1490 – wenn man so will der „Ur-Jedermann“, auf den sich auch Hugo von Hofmannsthal für sein berühmtes Schauspiel berief – entstanden 23 musikalische Szenen, die das „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ neu beleuchten. Die Musik von Vanden Plas spannt einen Bogen vom typischen Metal-Rock-Sound der Band über einfühlsame Balladen und große Chortableaus bis hin zu Reggae-Anklängen und dem Zitat einer barocken Fuge. Zusammen mit dem Ausstattungsteam Thomas Dörfler (Bühne) und Michael D. Zimmermann (Kostüme) schuf Regisseur Johannes Reitmeier ein opulentes Bilderpanorama zum Stoff, beginnend bei den ausgelassenen Festen des Jedermanns über die Konfrontation mit dem Tod und die einsetzende Umkehr bis zur Aufnahme in den Himmel. Für die tänzerische
Seite des Rockspektakels war als Gastchoreograph Christopher Tölle verantwortlich. Randy Diamond und Andy Kuntz stehen einander als Jedermann und Tod gegenüber, flankiert von Astrid Vosberg, Adrienn Čunka, Maciej Salamon, Monika Hügel, Peter Floch und Bernhard Schreurs in verschiedenen Rollen. „Everyman“ ist als Koproduktion des Pfalztheaters mit dem Theater Münster und dem Tiroler Landestheater Innsbruck entstanden, wo das Rockmysterium in den kommenden Spielzeiten zu sehen sein wird. (red) INFO „Everyman“ Termine am Pfalztheater Kaiserslautern in der Spielzeit 2015/16: 25.9., 1.10., 16.10., 24.10., 5.11. und 30.12. 2015, 2.1. und 30.1.2016 jeweils um 19.30 Uhr; am 17.1.2016 um 18 Uhr Karten: 0631 3675-209, www.pfalztheater.de
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LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2015
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MUSIK
MUSIK
ME ISTERLI CHES, EURO PÄ ISCHES, NEUES UND UNBEKANNTES
Virtuose Violinsonaten: Der Geiger Daniel Hope und sein Klavierpartner Sebastian Knauer gestalten am 26. November eine Hommage an Yehudi Menuhin, mit Werken unter anderem von Enescu, Ravel, Bartók und Walton.
Ein Überblick über die Konzerte der Stadt Kaiserslautern 2015/16
© Harald Hoffmann
Kammermusik für eine und mehr Klarinetten: Das Trio di Clarone mit der berühmten Klarinettistin Sabine Meyer (li.) spielt am 8. Oktober ab 20 Uhr in der Fruchthalle Werke von Bach bis Strawinski und Poulenc.
Singt am 16. Oktober „geliebte Lieder“ in Kaiserslautern: Tim Fischer, der „Wunderknabe des Chansons“. © Friedrun Reinhold
© Marion Koell
Die neue Konzertsaison 2015/16 der Stadt Kaiserslautern wird geprägt durch die drei festen Partnerorchester – die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern und das Orchester des Pfalztheaters – sowie durch herausragende internationale Interpreten und hochkarätige Dirigenten. In den sinfonischen Konzerten gibt es einen kleinen Schwerpunkt auf den Komponisten Schubert und Mahler, der eine ein Wegbereiter von der Klassik zur Romantik, der andere ein Türöffner von der Romantik zur Moderne. Daneben erklingen in den Konzerten zentrale Werke des Kernrepertoires wie Beethovens Violinkonzert, das berühmte Klavierkonzert von Tschaikowski oder auch eine der wichtigen späten „Londoner Sinfonien“ Haydns.
Drei Konzerte blicken auf Europa, mit den Länderschwerpunkten Russland, Frankreich und England. Drei Konzerte widmen ihre Programme der Klassik und Neoklassik oder auch dem jungen Mendelssohn. Zwei Konzerte mit Barock-Repertoire werden musiziert von Spezialisten wie Konrad Junghänel und dem Ensemble „La Meraviglia“. Das 20. Jahrhundert wird ebenso europäisch repräsentiert: durch Arnold Bax, Manuel de Falla, Francis Poulenc, Igor Strawinski, Walter Braunfels und Viktor Ullmann bis hin zur zeitgenössischen Moderne mit zwei Uraufführungen. Zwei der Sinfoniekonzerte sind inhaltlich verknüpft mit Ausstellungen des Museums Pfalzgalerie, einmal zum Thema „Schlüssel und Schloss“ mit Edward Elgars berühmten „Enigma-Variationen“, die auch aus dem Film „Matrix“ bekannt sind, und dann mit „Musikalischen Landschaften“ in Verbindung zur Ausstellung „Pfälzer Landschaften“.
Die Kammerkonzerte werden eröffnet von der bedeutenden Klarinettistin Sabine Meyer. Es folgen Auftritte von so renommierten Solisten und Ensembles wie dem Geiger Daniel Hope, dem Artemis-Quartett, der Geigerin Isabelle van Keulen mit den Kammersolisten XXI, dem weltweit gefeierten Tenor Klaus Florian Vogt (mit Schuberts Liedzyklus „Die schöne Müllerin“), dem Pianisten Artur Pizarro und dem Fauré-Quartett. Diese werden große Meisterwerke ebenso interpretieren wie Unbekanntes und Neues. Neu ist auch die Kombination zweier Kammermusik-Programme am Sonntagnachmittag mit Lesungen von Elke Heidenreich und Dominique Horwitz. Spannende Begegnungen bieten wieder die erfolgreiche Reihe der „Jazzbühne meets …“ sowie die „Konzerte außer der Reihe“ des portugiesischen Fado-Shootingstars Gisela João, von Tim Fischer oder auch der „Piano Soul Bar“ mit Günter Werno und Andy Kuntz.
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Weitere Angebote runden das Programm ab: ein Silvesterkonzert als „Reise in den Orient“ mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern und die Konzerte der USAFE und USAREUR zu Weihnachten und zum 3. Oktober. Interessante Begegnungen mit „Pinocchio“ oder auch mit einem Tannenbaum und Alphörnern versprechen die Kinder-, Familien- und Schulkonzerte. Hinzu kommen noch ein Benefizkonzert mit dem Sinfonieorchester des Landkreises zu Gunsten einer Neugestaltung des Eingangsfoyers der Fruchthalle, der Landesorchesterwettbewerb des Landesmusikrats sowie bereits zum siebten Mal „Talente der Region“ im SWR-Studio. In der bewährten Programmstruktur werden so in der kommenden Saison insgesamt 45 Veranstaltungen geboten, vor allem in der Fruchthalle, dazu an den anderen Spielorten wie dem SWR-Studio oder auch dem Casino der Volksbank. Als Neuerungen gibt es zwei kleine Abonnements mit nur vier ausgewählten Veranstaltungen sowie ein neues Jugend-Abo in Kooperation mit der Kammgarn. Außerdem gibt es zukünftig eine Einführung vor jedem Sinfoniekonzert freitags und jedem Kammerkonzert donnerstags. Alle Abonnentinnen und Abonnenten erhalten gegen Vorlage des Abonnenten-Ausweises nun auch beim Kauf von weiteren Einzelkarten für alle Konzerte der Stadt Kaiserslautern (außer Kinderund Familienkonzerte und Silvesterkonzert) eine Ermäßigung von 25 Prozent. Christoph Dammann
INFO Das komplette Konzertprogramm mit allen Terminen sowie Informationen zu den verschiedenen Abonnements findet man im Internet unter www.fruchthalle.de und www.kaiserslautern.de
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LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2015
LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2015
MUSIK
MUSIK Uraltes Blasinstrument: Vor 35.000 Jahren spielte man auf der Schwäbischen Alb solche Flöten aus Geierknochen. © Claus Rudolph /
Urgeschichtliches Museum Blaubeuren
SCHWERE KOST NEUE MUSIK Überlegungen zu den Ursprüngen und der gegenwärtigen Lage der E-Musik
Jahrhunderte lang gab es praktisch nur „Neue Musik“. Das Publikum hörte ausschließlich Musik lebender Komponisten, die sich mit Innovationen gegenseitig zu übertreffen versuchten. Diese schrieben für das Tagesgeschäft und nicht für die Nachwelt. Ein historisches Repertoire gab es lange nicht und bildete sich erst im 19. Jahrhundert allmählich heraus. Die Verbindung zwischen Volksmusik und sogenannter „Kunstmusik“ war eng. Komponisten bedienten sich volkstümlicher Melodien und Tanzrhythmen, komponierter Melodien, Tänze oder auch Märsche wurden volkstümlich. Händels „Messias“ war zum Beispiel so populär, dass Volksliedtexte auf Melodien seines Oratoriums gesungen wurden, ebenso Mozarts „Figaro“ oder auch Wagners „Lied an den Abendstern“. Bachs Werke gerieten nach seinem Tod bald in Vergessenheit und wurden erst durch Felix Mendelssohns Wiederaufführungen ab 1829 einem breiteren Publikum ins Bewusstsein zurück gebracht. Der im 19. Jahrhundert entstehende bürgerliche Konzertbetrieb brachte zunächst ebenfalls fast ausschließlich zeitgenössische Werke zur Aufführung und bildete dann nach und nach Programme auch mit älteren Werken. Um 1780 bestand
ein Konzertprogramm noch zu 90 Prozent aus aktueller und zu 10 Prozent aus historischer Musik. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich dieses Verhältnis: Die Klassik stand im Mittelpunkt. Wie mag Musik entstanden sein? 2009 gruben Archäologen auf der Schwäbischen Alb eine über 35.000 Jahre alte, aus einem Gänsegeierknochen gefertigte Flöte aus. Die Wissenschaftler sehen es als erwiesen an, dass Musik schon damals zum Alltag gehörte und weit verbreitet war. Der Ursprung musikalischer Äußerungen ist sicher durch die menschliche Stimme entstanden, die Freude am Klang, und durch das Bedürfnis zu tanzen. Gesang und Tanz, der menschliche Körper, der Zusammenklang von Stimmen, Klatschen der Hände, Stampfen der Füße sind also für jede Musik von wesentlicher Bedeutung. Noch heute sehen wir bei sogenannten Naturvölkern, dass Gesang und Tanz untrennbar mit ihrem Alltag, mit Festen, Riten und Kulten verbunden sind. Das Blasen eines hohlen Knochens oder Rohres, die Resonanz eines Holzstücks, das Zupfen einer Bogensehne, das Trommeln auf einem aufgespannten Fell erschließen spielerisch weitere Ausdrucksmöglichkeiten.
Hinzu kommt ein interessantes physikalisches Phänomen: das der sogenannten Natur- und Obertöne. Jeder kennt dieses Phänomen zum Beispiel durch schnelles Drehen eines geriffelten Schlauchs oder durch unterschiedliches Überblasen eines Flaschenhalses. Bei aufgespannten Saiten, etwa einer Gitarre, sind es die Flageolett-Töne, die an bestimmten Stellen der Saite zum Klingen gebracht werden können. Als Obertöne schwingen diese Teiltöne in jedem Klang mit. Dieses Phänomen ist bereits seit der Antike bekannt. Interessant dabei ist, dass diese Obertöne sich aus ganzzahligen Vielfachen der Frequenz des Grundtones ergeben. In der sich so bildenden Reihe von Obertönen sind die ersten auf den Grundton folgenden sehr harmonisch, unser Gehör nimmt sie als sehr „passend“ zueinander wahr. Für Musiker sind die Bezeichnungen für diese konsonanten Tonabstände die Oktave, die Quinte und die Terz, woraus sich dann musikalische Harmonien ergeben. Generell kann man sagen, dass die ersten Naturtöne miteinander klingend als konsonant empfunden werden, die späteren in Bezug zum Grundton als dissonant. Mit diesem Spannungsverhältnis von harmonischer Spannung und Entspannung aufeinanderfolgender Klänge haben Komponisten immer gearbeitet, auf faszinierend unterschiedliche und vielfältige Weise. Was einmal als konsonant empfunden wird, kann in anderen musikalischen Zusammenhängen dissonant sein und umgekehrt. Neben der harmonischen Ebene des Zusammenklangs spielt natürlich die einstimmige Melodie eine große Rolle. Diese kann sich in kleinen Abständen bewegen, wie es in einfachen Liedern, Kinderliedern, Volksliedern und Schlagern geschieht, oder in großen Sprüngen. Hinzu kommt die zeitliche Strukturierung durch den Rhythmus, der schnell oder langsam sein kann, der ganz gleichmäßig sein kann wie Pulsschlag, Atmung oder auch unser Gehen. Daneben kann der Rhythmus aber auch aufwühlend sein, wie lateinamerikanische Rhythmen oder sogar ganz chaotisch. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich aus der sogenannten „Zwölfton-Musik“ die „serielle Musik“,
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deren Ziel – verkürzt gesagt – unter anderem die Vermeidung tonaler Strukturen oder regelmäßiger Rhythmen ist. Es wird dadurch ein Grad an Abstraktion und Komplexität erreicht, der hörend selbst von Fachleuten nicht nachvollzogen werden kann und auch nicht soll. Es hat sich inzwischen ein Spezialistentum für „Neue Musik“ herausgebildet, sowohl auf Seiten der Musiker als auch des Publikums, durch Ensembles und Festivals, die vor allem zeitgenössische Musik aufführen. Dabei tritt oftmals die emotionale Wirkung von Musik gegenüber der intellektuellen Wahrnehmung in den Hintergrund. Zeitgenössische „E-Musik“ ist sehr präsent in den Konzert- und Rundfunkprogrammen. Ein wesentliches Problem ist jedoch, dass sehr viele neue Werke nur ein einziges Mal aufgeführt werden und danach nie wieder, also nicht ins Repertoire übergehen. Von dem, was als volkstümliche Musik bezeichnet werden kann, und was ja immer noch sehr weit verbreitet ist, hat sich diese Art von „moderner Musik“ so weit entfernt wie nur irgend möglich. Musikalische Parameter wie Kantabilität, tänzerische Rhythmen, Zusammenspiel von harmonischer Spannung und Entspannung, oder einfach mal konsonante Klänge kommen in ihr nicht vor, sind eigentlich sogar dogmatisch verpönt, ebenso wie erkennbare Melodien, Themen und Motive, an die man sich erinnern kann und die verarbeitet und variiert werden. Es gibt aber berechtigte Zweifel daran, ob die Aufgabe dieser „menschlichen“ und „natürlichen“ Parameter durch ähnlich starke musikalische Qualitäten ersetzt werden konnte. Das menschliche Bedürfnis nach melodischem Gesang, Harmonien und tänzerischen Rhythmen ist jedenfalls ungebrochen, und dem könnten sich heutige Komponisten wieder stärker zuwenden. Die Sorge, dann nur regressiv, konservativ und „neoklassisch“ komponieren zu können, ist angesichts der unendlichen, unausgeschöpften Möglichkeiten musikalischen Materials vermutlich unbegründet. Christoph Dammann
Meine Auszeit
Meine RHEINPFALZ. Meine RHEINPFALZ. Alles was für mich wichtig ist. Alles was für mich wichtig ist.
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LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2015
MUSIK
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Hinterfragt kritisch die Hermetik der Neuen Musik: Komponist Torsten Rasch. © Maurice Foxall
Der zeitgenössische Komponist Torsten Rasch im Interview
Torsten Rasch ist einer der interessantesten deutschen Komponisten unserer Zeit. 1965 in Dresden geboren, sang er bis 1983 im berühmten Kreuzchor. Anschließend spielte er in einer Rockband, bevor er von 1986 bis 1990 Komposition und Klavier an der Dresdner Musikhochschule studierte. Nach dem Mauerfall wanderte er nach Japan aus, wo sich sein Interesse für Filmmusik entwickelte. 2002 kehrte er nach Deutschland zurück. Für seinen Liedzyklus „Mein Herz brennt“, der auf Songs von Rammstein beruht, wurde Rasch mit einem Echo-Klassikpreis ausgezeichnet. Mit den Pet Shop Boys arbeitete er am Soundtrack „Battleship Potemkin“, seine erste, auf einen Text von Thomas Brasch zurückgehende Oper „Rotter“ wurde 2008 an der Oper Köln uraufgeführt. Es folgte, als Auftragswerk der English National Opera, die Oper „Die Herzogin von Malfi“ (UA 2010 in London). Raschs Oratorium „A Foreign Field“ erlebte seine Uraufführung 2014 in Chemnitz, und neue Orchesterlieder des Komponisten – wiederum auf Texte von Thomas Brasch – erklingen erstmals in der Konzertreihe der Stadt Kaiserslautern.
Je tz tt Je tz P -Plero rosebe be lesen! n! rheinpfalz.de/probelesen rheinpfalz.de/probelesen oder 0631 3701-6640 oder 0631 3701-6640
LUTRA: Herr Rasch, am 25. September werden Ihre Orchesterlieder auf Texte von Thomas Brasch in Kaiserslautern uraufgeführt. Werden wir dabei Melodien hören?
ttzztteeJJ --eebboorrP P !!nneesseell Torsten Rasch: Aber ja. Vielleicht sollte man dabei großzügig mit dem Begriff „Melodien“ umgehen,
denn „Hänschen klein“, Lady Gaga und Mahler – da findet man überall Melodien. Manche kann man sich einfacher merken, was aber nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal sein muss. LUTRA: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass selbst große Teile des gebildeten Klassik-Publikums so ungern „moderne“ Musik hören und viele zeitgenössische Werke nach ihrer Uraufführung nie wieder gespielt werden? Rasch: Darüber haben sich schon viele gelehrte Menschen den Kopf zerbrochen. Andere nehmen es einfach nicht wahr, weil so eine „wunderbare Symbiose“ zwischen Feuilleton und Neuer Musik besteht. Die neueste Musik hatte es zu jeder Zeit schwer. Da muss man nur mal das „Lexicon of musical invective“ durchblättern, wo man zeitgenössische Kritiken und Publikumsreaktionen nachlesen kann. Komponisten wie Brahms oder Tschaikowski, ohne die heute keine Konzertsaison vorstellbar ist, wurden in der Luft zerrissen. Vielleicht liegt es daran, dass vieles in der zeitgenössischen Musik einfach furchtbar klingt? Oder weil man ihr nicht folgen kann? Oder weil sie versucht, aus historisch verständlichen Gründen, alles Bestehende zu überwinden und Neues zu schaffen? Was macht man, wenn man merkt, niemand kommt mit? Man könnte sagen: die Masse ist noch nicht so weit. Oder man könnte, wenn man denn nicht ganz verbohrt ist,nfragen, eseleboobrpdieser /ed.zlWeg afpnivielehr
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LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2015
LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2015
MUSIK
MUSIK
FÜNF KONZERTE FÜR 30 EURO
LUTRA: Sie kennen Katharina Thalbach, die ehemalige Lebensgefährtin von Thomas Brasch, schon sehr lange und haben gemeinsam mit ihr die Texte für Ihre Lieder ausgesucht. Wie gehen Sie bei der Vertonung dieser Texte vor?
Dirigiert das Konzert, in dem Raschs neue BraschVertonungen uraufgeführt werden: Kaiserslauterns Generalmusikdirektor Uwe Sandner. © Pfalztheater Kaiserslautern
leicht eine Sackgasse war oder ist. Ich glaube, dass heute weltweit eine ungeheure Bandbreite existiert, in der komponiert wird. Und diese zeitgenössische Musik ist auch durchaus akzeptierter Teil der Konzertprogramme in den USA, in Skandinavien, in Großbritannien. Nur hierzulande begegnen wir vielerorts den Bewahrern der „Reinen Lehre“, die tatsächlich den „Fortschritt der Musik“ propagieren, als ob es ein Auto wäre. LUTRA: Was bedeuten für Sie Parameter wie Kantabilität, Konsonanz, Harmonien, tänzerische Rhythmen? Rasch: Kantabilität ist ein Mittel, das einer Stimme Ausdruck verleiht. Warum sollte ich ihr gerade dieses Mittel verweigern? Konsonanz: Eine Dissonanz macht auch in einem großen Rahmen, also zum Beispiel über ein ganzes Stück hinaus, keinen Sinn, wenn ihr nicht eine Konsonanz als Kontrast gegenübersteht. Niemand bemerkt ja eine Spannung wenn sie nicht in eine Entspannung mündet. Harmonien: unerschöpflicher Reichtum an Möglichkeiten, einer Melodie eine Richtung zu geben. Rhythmen: Obwohl ich Musik für Orchester als filigrane und diffizile Kunst betrachte, darf man doch nie vergessen, dass Musik immer auch den Körper anspricht. Oft ertappe ich mich, wie zum Beispiel bei „Le sacre du printemps“ mein Fuß mitwippt.
Das Jugend-Abo von Fruchthalle und Kammgarn bietet einen bunten Mix aus Jazz, Klassik und Comedy
Rasch: Ich versuche immer, der ersten Wirkung beim Lesen eines Textes gerecht zu werden. Ich glaube, damit komme ich der Intention des Dichters am nächsten. Dann natürlich analysiere ich: Gibt es Strophen? Wo sind Wiederholungen, Höhepunkte etc.? Am wichtigsten aber ist es, den „Ton“ zu treffen, der dem Text zu Grunde liegt. LUTRA: Sie schreiben für eine große, opulente Orchesterbesetzung und für eine Baritonstimme. Wie verständigen Sie sich mit Miljenko Turk, dem Gesangssolisten der Uraufführung? Rasch: Mit Miljenko war ich in Kontakt während der Komposition, weil ich ganz nah an seiner Stimme sein wollte. Nichts hilft einem Interpreten mehr, als wenn etwas für ihn geschrieben wurde. Interview: Christoph Dammann
KONZERT Sinfoniekonzert des Pfalztheater-Orchesters Dirigent: Uwe Sandner Bariton: Miljenko Turk Werke von Wagner (Holländer-Ouvertüre), Mahler (Lieder eines fahrenden Gesellen), Rasch (Orchesterlieder) und Schubert (Große Sinfonie C-Dur D 944) Fr 25.9.2015, 20 Uhr Fruchthalle, Kaiserslautern Karten: 0631 365-2316, 64725 oder 36219-814, www.eventim.de
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Der mehrfach preisgekrönte Pianist Artur Pizarro spielt am 03. März 2016 große, romantische Werke des Klavier-Solorepertoires in der Fruchthalle. © Alfredo Rocha
Ab der Saison 2015/16 bieten die Fruchthalle und die Kammgarn ein gemeinsames Jugend-Abo an. Es kostet 30 Euro, gilt für alle Schüler und Studenten bis 25 Jahre und beinhaltet fünf Konzerte. Vocal Jazz gibt’s zum Auftakt: Die bekannte Sängerin Cecile Verny bietet ein breites musikalisches Spektrum – von bluesigem Swing über hymnische Soulballaden bis hin zum kessen Bossa Nova (8.10.2015, Kammgarn). Das zweite Konzert der Jugend-Aboreihe ist eine sinfonische Reise von Spanien nach Böhmen: Unter der Leitung ihres Chefdirigenten Karel Mark Chichon spielt die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern Werke von Manuel de Falla, Antonín Dvořák und Wolfgang Amadeus Mozart (20.11.2015, Fruchthalle). Zur Musik-Comedy „Nightwash“ geht’s am 14. Januar 2016 nochmals in die Kammgarn, ehe dann am 3. März 2016 romantische Klaviermusik in der Fruchthalle erklingt: Der mehrfach preisgekrönte Pianist Artur Pizarro interpretiert Werke von Schumann, Chopin und Rachmaninow.
Den Abschluss bildet das Filmkonzert „Von Babelsberg nach Hollywood“. Parallel zu Projektionen von Filmklassikern wie „Robin Hood“, „Sunset Boulevard“, „Vom Winde verweht“ oder „Metropolis“ spielt die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz live die jeweils passende Filmmusik; es dirigiert Frank Strobel (3.6.2016, Fruchthalle). (red) INFO Das Jugend-Abo gibt es unter Vorlage eines Schüler- bzw. Studentenausweises in der Fruchthalle Kaiserslautern. Öffnungszeiten: Mo, Di, Do 9 – 12 Uhr, Mi 9 – 16 Uhr, Fr 9 – 13 Uhr Telefon 0631 365-3452 und -3451 Weitere Infos unter www.fruchthalle.de oder www.kammgarn.de
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donnerstag 15. oKtoBer
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BalKun Brothers
PoPa ChuBBy
15.10. bis 17.10. Oct. 15 through Oct. 17
JaCK BroadBent
feat.
LuCKy pETERSON
Krüger roCKt!
luCKy Peterson
danny Bryant
and Many More!
TICKETS: www.kammgarn.de Kammgarn wird gefördert durch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur.
nina attal
groove CooKies
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LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2015
LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2015
KUNST
KUNST
NEOBAROCKE ÜPPIGKEIT
Geschirr und toten Tieren. Waren im 17. Jahrhundert, der Blütezeit klassischer Stilllebenmalerei, die Kompositionen weitgehend thematisch orientiert, lassen sich die Fotografien Mercers nicht unbedingt Kategorien wie Jagd-, Küchen- oder Blumenstillleben zuordnen, und auch jahreszeitliche Ausrichtungen kommen eher selten vor.
Die fotografischen Stillleben der Vera Mercer
Führt man sich die klassische Definition des Stilllebens vor Augen, die davon ausgeht, dass unbewegte, leblose Gegenstände – nature morte – in den Bildern wiedergegeben werden, so überraschen Vera Mercers Kompositionen auf eigentümlich dynamische Weise durch Spannung und subtile Energie, die die dargestellten Tiere und Pflanzen ungewöhnlich beseelt wirken lassen. Eine kleine Bisamratte im Glas scheint das luzide Gefäß für ein Schläfchen zu nutzen, der Kopf eines Ziegenbocks schaut uns so kess entgegen, als wolle er sich im nächsten Moment die Lippen lecken und uns anmeckern. Das Gefieder von Fasanen, Hähnen und Krähen leuchtet so farbenprächtig und gesund, dass man es berühren und zahlreiche der in lebendigem Glanz drapierten Fische entweder in einen Topf oder zurück in ihr ursprüngliches Element expedieren möchte.
Chicken with Cheese, Paris 2008. © Vera Mercer
Als Kind wollte sie Gärtnerin werden. Eine Ausbildung in modernem Tanz erhielt sie von Mad Kleve, einer Schülerin der legendären Mary Wigman, die als eine der einflussreichsten Wegbereiterinnen und Protagonistinnen des rhythmisch-expressiven Ausdruckstanzes gilt. Ihre tatsächliche Berufung aber hat die 1936 in Berlin geborene Vera Mercer in der Fotografie gefunden. In jungen Jahren verheiratet mit Daniel Spoerri, dem Schweizer Begründer der sogenannten Eat-Art, bewegte sich Mercer selbstverständlich im Kreis der Künstler des Nouveau Réalisme, die sie porträtierte und mit denen sie, auch als eine Art Chronistin, zusammenarbeitete. Heute lebt die Fotografin in Omaha im US-Bundesstaat Nebraska und unterhält ein Studio in Paris.
In der Ausstellung „Vera Mercer. Stillleben“ zeigt das Museum Pfalzgalerie weitgehend barock anmutende Großaufnahmen von Lebensmitteln, Blumen,
Weiß man, dass Vera Mercer mit ihrem Ehemann in Omaha drei Restaurants betreibt, stellt sich eher früher als später der Gedanke ein, dass etliche dieser herrlichen Geschöpfe über kurz oder lang eine Tafel zieren werden – dann in einem anderen Aggregatzustand.
Ausgesprochen einladend wirken auch Gläser, Schalen, Karaffen und Kerzenleuchter, welche zahlreich und wiederkehrend die meist opulent bestückten Arrangements bevölkern. Zerbrechliche Materialien und niederbrennende Kerzen übernehmen die Funktion des „Memento Mori“, die im klassischen Stillleben die Vergänglichkeit alles Irdischen in Erinnerung ruft. Auch mag angesichts der Aufnahmen Mercers manchen Betrachter ein leises schmerzliches Gefühl der Nichtverfügbarkeit beschleichen, das die Lust an der grandiosen Üppigkeit des Dargebotenen ein wenig relativiert. Die Fotografien leiten den Blick nicht nur auf all die inhaltlichen Sensationen, sondern auch auf irritierende räumliche Aspekte, die den logischen Bildaufbau subversiv hinterfangen, auf malerisch-morbid anmutende Wandstücke und geheimnisvolle Hintergründe, die Fragen nach dem Aufbau der Installationen aufwerfen. Das allzu Offensichtliche erweist sich als geschickte Konstruktion, die die Lust am Motiv unterstreicht und eine ebenso einladende wie abschreckende Wirkung entfalten kann. Möglicherweise beleuchten hier Kontraste und Ambivalenzen, den barocken Vorbildern vergleichbar, Aspekte unserer Gesellschaft. Britta E. Buhlmann AUSSTELLUNG Vera Mercer. Stillleben 28.11.2015 bis 3.4.2016 Eröffnung: Freitag, 27.11., um 19 Uhr Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern Museumsplatz 1 Öffnungszeiten: Di 11 – 20 Uhr Mi – So 10 – 17 Uhr Info: 0631 3647-201, www.mpk.de
Mushroom, Omaha 2013.
© Vera Mercer
The Bass, Paris 2014. © Vera Mercer
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KUNST
KUNST
KUNSTWERK BUCH Das Museum Pfalzgalerie sammelt auch Künstlerbücher
Ein Aufenthalt in der Hölle: 1961 gestaltete der Surrealist André Masson „Une saison en enfer“ von Arthur Rimbaud (mpk, Graphische Sammlung, Foto: Gunther Balzer, Kaiserslautern). © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
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WEGE ZWISCHEN LINIE UND R AUM Das mpk zeigt Arbeiten der Künstlerin Katharina Hinsberg
Katharina Hinsberg, Divis, 2013, Farbstift auf Papier, ausgeschnitten, 30 x 30 cm, Foto: Achim Kukulies Düsseldorf, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Künstlerbücher sind, wie die Bezeichnung schon sagt, Bücher oder Buchobjekte von Künstlern, die in wie auch immer gearteter Weise das Buch zum künstlerischen Objekt machen. Dadurch und in ihrem Status als Originalarbeit unterscheiden sich Künstlerbücher grundsätzlich vom normalen Buch, das in hoher Auflage im Offsetdruck produziert wird. Weil Künstlerbücher im Gegensatz dazu meist als Unikate oder allenfalls in kleinen Auflagen erscheinen, werden sie auch als „rare books“ bezeichnet und in Bibliotheken in den „Rara“-Abteilungen aufbewahrt. Da Künstler Urheber von Künstlerbüchern sind, werden sie auch von den Graphischen Sammlungen der Museen gesammelt. Die traditionelle Form des Buches aus bedruckten, gebundenen Seiten wird in Künstlerbüchern oft verändert oder experimentell behandelt, in Frage gestellt, jedenfalls individualisiert. Anfangs noch an die Tradition der illustrierten Bücher angelehnt, gibt es heute im Künstlerbuch viele variable Ansätze: Objekte, Multiples, Collagen aus den unterschiedlichsten Materialien verwandeln das Buch zum ästhetischen Ereignis. Die Graphische Sammlung des Museums Pfalzgalerie Kaiserslautern verfügt in ihren Beständen über
eine ganze Reihe bedeutender Künstlerbücher: Von Max Slevogts „Leben des Benvenuto Cellini“ über Wassily Kandinskys „Klänge“ bis zu Robert Mangolds „Sieben Maximen“ zu Hölderlin und Robert Schwarz‘ „Passione di Roma“ zu Catull wurden über die Jahre viele verschiedene Formen und wesentliche Ausprägungen des Künstlerbuchs erworben und gesammelt. Heinz Höfchen
AUSSTELLUNG Schönheit gebunden – Künstlerbücher aus der Graphischen Sammlung des mpk 19.9.2015 bis 15.11.2015 Eröffnung: Freitag, 18.9., um 19 Uhr Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern Museumsplatz 1 Öffnungszeiten: Di 11 – 20 Uhr Mi – So 10 – 17 Uhr Info: 0631 3647-201, www.mpk.de
Die Zeichnung steht im Mittelpunkt des Schaffens von Katharina Hinsberg. Die Linie ist Grundlage und zentraler Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzung mit Materie und Raum. Außerdem nutzt die Künstlerin Mittel der Installation und der Bildhauerei. Sie geht der Frage nach, welche Wirkung zeichnerische Prozesse in ihrer Transformation und Neugestaltung im und mit dem Raum entfalten. Unter Verwendung von Farbstift, Tusche oder Grafit entstehen beispielsweise Zeichnungen auf Papier, die Katharina Hinsberg mit Messer und Skalpell ausschneidet und in neue Zusammenhänge stellt. Zuweilen werden Partien eines Blattes lediglich eingeschnitten, die Fläche dadurch aufgebrochen und der entstehende Raum als Gestaltungsmittel in die Zeichnung integriert. Außenrand und Binnengrenze, Fläche und Freiraum setzen in rhythmischer Komposition maßgebliche Akzente. Gitter und Netze, geordnete Linienstrukturen und solche, die in freier Formation Raum erobern, erweitern so die Betrachtungsmöglichkeiten ins Dreidimensionale. Ein wichtiges Kennzeichen der Arbeitsweise Hinsbergs ist die Serialität. In kontinuierlich entwickelten Werkgruppen wird der Prozess des repetitiven Zeichnens, der Geduld und ein erhebliches Maß an Konzentration fordert, eindrücklich vor Augen geführt. Die variantenreichen Arbeiten kann man als „Itinerar”
(Wegbeschreibung) lesen. Spuren, Routen, Wegenetze öffnen und verwandeln Räume, die zum Nachdenken über Wirklichkeit und Vorstellung, Fülle und Leere, Emotion und Ratio einladen. 1967 in Karlsruhe geboren, lebt und arbeitet die Künstlerin seit einigen Jahren auf der Raketenstation Hombroich bei Neuss. Katharina Hinsberg lehrt seit 2011 als Professorin für Konzeptuelle Malerei an der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken. Annette Reich AUSSTELLUNG Itinerar – Katharina Hinsberg 12.9.2015 bis 10.1.2016 Eröffnung: Freitag, 11.9., um 19 Uhr Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern Museumsplatz 1 Öffnungszeiten: Di 11 – 20 Uhr Mi – So 10 – 17 Uhr Info: 0631 3647-201, www.mpk.de
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KUNST
KUNST
BAULICHE M E TA M O R P H O S E N Zeichnungen von Stijn Jonckheere – ein Rückblick auf eine Ausstellung in der Architekturgalerie
Nach der Ausstellung „Taut meets Hussong“ gastierte in der Zeit vom 9. bis zum 26. Juni 2015 der junge belgische Künstler Stijn Jonckheere mit seiner Schau „What The Water Brought“ in der Architekturgalerie Kaiserslautern. Meist von realen Orten inspiriert, dokumentiert seine Arbeit durch kreative Prozesse entstandene Metamorphosen. Dabei spielen Erinnerungen, auch aus Jonckheeres Kindheit in Brüssel, eine entscheidende Rolle. Der 1989 im belgischen Torhout geborene, heute in München lebende und tätige Architekt zeigte Werke, die nicht auf traditionelle Vorschriften achten. Vielmehr geht es bei Jonckheeres axonometrischen Zeichnungen darum, dass der Betrachter einen Blick hinter die Kulissen der Realität und des Alltags werfen kann. Wie in einem Tagtraum gelten in seinen Arbeiten andere Naturgesetze, die weder Fehler korrigieren wollen, noch sich als verbesserte Version der Wirklichkeit dem Betrachter aufdrängen. Die Darstellungen sind von architektonischen Elementen geprägt, die konstruktiv anmuten, aber auf keinem realen Regelwerk basieren. Dabei schöpft Jonckheere aus seinem Repertoire als Architekt, für den Material und Form bestimmte Gefühlswelten widerspiegeln und symbolisieren.
Ein Tagtraumblick auf Architektur: Stijn Jonckheeres Digitalprint „Brabant (fragment II)“, 2015 © Jonckheere
KUNSTHANDWERK IM STETEN WECHSEL Der Kulturmarkt vor Weihnachten in der Fruchthalle
Vom 23. November bis 20. Dezember findet in der historischen Fruchthalle Kaiserslautern der nunmehr 34. Kulturmarkt vor Weihnachten statt. Auf dem Markt bieten rund 80 wechselnde Ausstellerinnen und Aussteller aus der Region hochwertiges Kunsthandwerk sowie Produkte aus der Fertigung karitativer Organisationen und vielfältige Geschenkideen zum Stöbern, Staunen und Kaufen an. Durch den stetigen Wechsel der Ausstellenden über den gesamten Zeitraum des Marktes können die Besucherinnen und Besucher immer wieder Neues entdecken, beispielsweise aus den Bereichen Keramik, Glas, Holz, Stein und Metall sowie individuellen und handgefertigten Schmuck, Stoffe, Mode und Weihnachtsdekorationen. Claudia Mühlberger
Zudem zitiert Jonckheere den belgischen Künstler Panamarenko als Teil seiner Inspiration. Dieser sagte sinngemäß: „In meiner Kunst ist das Flugzeug nicht dazu da, um bewegt zu werden, sondern um das Ideal Fliegen an sich in einer großen und aufwendig inszenierten, dysfunktionalen Geste zu verdeutlichen. Das Gefühl des Fliegens wird durch meine Kunst vermittelt. Dies ist viel stärker als das tatsächliche Fliegen.“
INFO 34. Kulturmarkt vor Weihnachten
In der zweiten Jahreshälfte zeigt die Architekturgalerie weitere spannende Ausstellungen; als besonderes Highlight geht die Diskussionsreihe „Stadtdiskurs“ in die dritte Runde. (red)
23.11. bis 20.12.2015 Fruchthalle Kaiserslautern Öffnungszeiten: Mo – So 12 – 19 Uhr (an Konzertabenden bis 20 Uhr)
INFO Blick in die Architekturgalerie © Privat
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© Stadt Kaiserslauten
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Info: 0631 365-4436 und -1410, www.fruchthalle.de, www.kaiserslautern.de
www.architekturgalerie.org © Stadt Kaiserslautern
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KUNST
KUNST
Zeitmessung quer durch die Zeiten: Für ihr Gemälde „In time – different times“ wurde Michelle Schmidt mit dem ersten Jugendkunstpreis Kaiserslautern ausgezeichnet.
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bereichsleiterin für Kunst und Kultur an der Volkshochschule sowie VHS-Direktor Michael Staudt.
© Volkshochschule Kaiserslautern
75 Jugendliche hatten ihre Wettbewerbspreise eingereicht. Die Gewinner wurden im Rahmen einer Vernissage am 9. Juni 2015 der Öffentlichkeit präsentiert. 30 Arbeiten wurden ausgewählt, um sie in einer Ausstellung in der VHS Galerie zu zeigen.
Spielen früher, heute und in der Zukunft: Der 2. Preis ging an Doreen Sychmüller (13) für Spielwiese. © Volkshochschule Kaiserslautern
WIE DIE ZEIT VERGEHT Der 1. Jugendkunstpreis Kaiserslautern wurde vergeben
Die Volkshochschule Kaiserslautern und ihre Jugendkunstschule haben mit Beginn des Herbstsemesters 2014 einen Jugendkunstpreis ausgelobt, der zukünftig alle zwei Jahre vergeben werden soll. Wettbewerbsthema 2014 war „Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“. Mit dem Jugendkunstpreis will die Volkshochschule in Zeiten eines „digitalen Klimawandels“ kulturelles und künstlerisches Bewusstsein stärken, eigene kreative Fähigkeiten wecken und vor allem Talente in der Region fördern und auch erste Ausstellungsmöglichkeiten bieten. „Ein solcher Preis ist in der Westpfalz einmalig und die Preise sind attraktiv“, sagt der Leiter der Volkshochschule Michael Staudt. Um den Jugendkunstpreis Kaiserslautern konnten sich alle jungen Menschen im Alter zwischen 12 und 20 Jahren bewerben, die ihren Wohnsitz zum Zeit-
punkt der Ausschreibung in Stadt oder Landkreis Kaiserslautern hatten oder ebendort eine Schule oder Ausbildungsstätte besuchten. Die Jugendlichen waren aufgerufen, eine Arbeit als Original in einer Mappe einzureichen. Die Werke konnten nur im zweidimensionalen Bereich, also flach gearbeitet werden. Es gab grundsätzlich keine Einschränkung bei der Wahl der Mittel. Mögliche Gestaltungen waren: Zeichnung, Malerei, Fotografie, Druckgrafik, Computergrafik, Collage und Decollage. Die eingereichte Arbeit musste sich mit dem aktuellen Thema der Preisausschreibung künstlerisch auseinandersetzen. In die Auswahljury wurden berufen: Marlene Jochem, die ehemalige Leiterin des Theodor-Zink-Museums, der Künstler Volker Tinti, der Direktor des Referats Kultur Dr. Christoph Dammann, Barbara Sand, Fach-
Lebenszyklus eines Hundes: Für „Schaltjahr“ bekam Skye Degen (15) den 3. Preis. © Volkshochschule Kaiserslautern
Der erste Preis wurde der 17-jährigen Michelle Schmidt zuerkannt, für ihr Gemälde „In time – different times“. In der Begründung der Jury heißt es dazu: „Es handelt sich um eine sehr gut ausgeführte Arbeit in Mischtechnik von Gouache und Pastell auf Aquarellpapier. Michelle Schmidt hat das Thema ‚Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft‘ durch Uhren dargestellt. Jede zeigt eine andere Zeit und jede ist anders gestaltet. Einige erscheinen antik, es gibt eine Sonnenuhr, Tierkreiszeichen und römische Ziffern, dazu auch modernes Design und scheinbar zeitlose Uhren, bis hin zur surrealen Auflösung der Zeitmessung wie bei Salvador Dalí. Keine der Uhren erscheint vollständig, wir sehen nur Ausschnitte ohne Anfang und Ende. Damit findet die Künstlerin überzeugende Wege, das Thema und die Vergänglichkeit und Kontinuität der Zeit künstlerisch zu verarbeiten.“ Der zweite Preis ging an Doreen Sychmüller (13) für das Acryl-Bild „Spielwiese“, Skye Degen (15) machte mit seinem „Schaltjahr“ den dritten Platz, und die zwölfjährige Darja Tarnopolskaja bekam für ihre Darstellung im „Fluss der Zeit“ den Sonderpreis der Jury. (red)
INFO Antlitz im „Fluss der Zeit“: Darja Tarnopolskaja (12) wurde mit dem Sonderpreis bedacht. © Volkshochschule Kaiserslautern
www.vhs-kaiserslautern.de
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KUNST
KUNST
L AU T E R N K R E AT I V V E R N E T Z T
zur Verbesserung der aktuellen kulturellen Situation in Kaiserslautern. Diskutiert wurde beispielsweise, wie ein besserer Überblick über die vielfältigen kulturellen Angebote und zahlreichen Termine hergestellt werden kann, beispielsweise durch eine digitale Infotafel an einem zentralen Ort in der Stadt. Auch der Wunsch nach mehr Möglichkeiten für temporäre Nutzungen von derzeit leer stehenden Immobilien wurde thematisiert, nach dem Vorbild des Projekts „Freiraum 1.0“ aus dem vergangenen Jahr.
Große Resonanz auf die ersten Treffen von "KL: KREATIV" in Kaiserslautern – Erste Visionen für die freie Szene
Zusammenkunft an runden Tischen: Jeweils mehr als 50 Kreative kamen zu den ersten Treffen von "KL: KREATIV", einer Initiative des städtischen Kulturreferats und der ZukunftsRegion Westpfalz. © ZRW
„Mit so vielen Teilnehmern hatte wirklich keiner gerechnet“, zeigte sich Stefanie J. SanderKneller vom Ansturm überwältigt. Im Auftrag der „ZukunftsRegion Westpfalz“ (ZRW) hatte die kreative Multiworkerin das erste Treffen von „KL: KREATIV“ vorbereitet und im Brauhaus an der Gartenschau zunächst einen Tisch für maximal 25 Personen reserviert. Spontan musste ein anderer Raum gefunden werden, in dem die über 50 Interessierten einen Platz fanden. Auf Einladung des Vereins „ZukunftsRegion Westpfalz“ und des städtischen Kulturreferats waren Künstler und Kunstinteressierte am 10. Juni 2015
zusammengekommen, wie auch Vertreter von Vereinen und Initiativen, Musikschulen und Museen. „Unser Ziel ist es, den informellen Austausch und die Vernetzung zwischen den Kreativen in Kaiserslautern anzuregen“, erläutert Christoph Dammann, Leiter des Kulturreferats der Stadt. „Vielleicht ergeben sich hieraus erfolgreiche Kooperationen und gemeinsame Projekte, die Kaiserslautern als Kulturstadt voranbringen“. Das erste Treffen diente vor allem dem gegenseitigen Kennenlernen, aber auch dem Austausch von Ideen
Um die angestoßene Dynamik zu nutzen, fand am 8. Juli ein weiteres Treffen statt, bei dem die eingebrachten Vorschläge und Wünsche vertiefend diskutiert wurden. Im Restaurant Bremerhof kamen rund 50 Interessierte zusammen und dokumentierten damit erneut das große Interesse an der neuen Initiative. Clev und Dammann berichteten über erste Erfolge auf der Suche nach möglichen Proberäumen und Veranstaltungsorten. Detailliert wurde über die Möglichkeit gesprochen, Gelder privater Stiftungen und der Europäischen Union für kulturelle Projekte zu akquirieren und damit trotz fehlender städtischer Mittel den Kulturstandort Kaiserslautern weiter zu beleben. Um herausragende Projekte zu realisieren, brauche es nicht unbedingt viel städtisches Geld macht Clev Mut, dies zeige die Jugendkulturwerkstatt in Pirmasens. Hans-Günther Clev, Geschäftsführer der ZRW, empfiehlt, zu Beginn auf kleine Projekte zu setzen, mit denen schnell sichtbare Erfolge erzielt werden können. Gleichzeitig regt er an, mutige Ideen zu entwickeln und auch das Große zu wagen. „Die rege Teilnahme am ersten Treffen von „KL: KREATIV“ zeigt, dass die kritische Masse vorhanden ist, um wirklich etwas zu bewegen. Dieses Potenzial sollten wir nutzen!“ Die ZRW stehe dabei als Unterstützer zur Verfügung, entscheidend sei aber das Engagement der Kreativen. „KL: KREATIV“ ist Teil der durch die ZRW angestoßenen regionsweiten Initiative „Westpfalz kreativ“, die in Pirmasens ihren Anfang nahm und nun auch
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in Kaiserslautern immer stärker Verankerung findet. Bereits im vergangenen Jahr hatte die ZRW unter www.westpfalz-kreativ.de einen westpfalzweiten Kultur- und Kreativpool eingerichtet, in dem sich sowohl Kulturschaffende als auch Dienstleister kostenlos präsentieren können. Das Internetportal erleichtert die Suche nach Kooperationspartnern und macht die Anbieter gleichzeitig für potenzielle Kunden sichtbar. Für den intensiven Austausch und die Entwicklung gemeinsamer Ideen ist der direkte Kontakt bei gemeinsamen Treffen allerdings unerlässlich. Nach dem vielversprechenden Auftakt wollen die Lauterer Kreativen daher in Zukunft regelmäßig zusammen kommen. ZRW
INFO Der nächste Kreativstammtisch in Kaiserslautern ist für Montag, 21.9.2015, um 19 Uhr im Theodor-Zink-Museum geplant. www.westpfalz-kreativ.de
hcp-werbeagentur.de
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GESCHICHTE
2015
Katastrophale Zustände: das Camp de Gurs um 1940.
© Archiv des Instituts für pfälzische Geschichte und Volkskunde
22. OKTOBER 1940
Vorschau 16.10. - 26.10.15 15.10. - 17.10.15 18.10.15 20.11.15 - 14.02.16 23.11. - 20.12.15 23.11. - 23.12.15
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Vor 75 Jahren: Ein Großteil der jüdischen Bewohner Kaiserslauterns wird nach Gurs deportiert
Lautrer Kerwe Kammgarn International Bluesfestival Verkaufsoffener Sonntag KL ON ICE Kulturmarkt vor Weihnachten Weihnachtsmarkt
Infos unter: www.kaiserslautern.de
Wer uns findet, findet uns gut!
Im Rahmen der so genannten „WagnerBürckel-Aktion“ wurden am 22. und 23. Oktober 1940 über 6.500 südwestdeutsche Juden in das Lager Gurs in den französischen Pyrenäen deportiert. Die beiden Gauleiter Robert Wagner (Baden) und Josef Bürckel (Saarpfalz) wollten damit ihren ehrgeizigen Plan umsetzen, ihre Gaue als erste für „judenrein“ erklären zu können, um sich damit zu profilieren. Die davon betroffenen, noch in Kaiserslautern wohnenden 46 Personen wurden am frühen Morgen des 22. Oktober aus ihren Betten gescheucht und aufgefordert, binnen einer Stunde mit nur einem Koffer pro Person für den Abtransport bereit zu sein. Dabei wurde kein Unterschied gemacht zwischen Kindern, Frauen oder Männern jeglichen Alters.
Zunächst wurden alle an der „Löwenburg“, in der Nähe des Bahnhofs, versammelt. Dort mussten sie ihres ungewissen Schicksals harren. Am späten Abend wurden sie dann unter Beschimpfungen der Hitlerjugend zum Güterbahnhof getrieben und in einen Zug eingepfercht. Drei Tage und vier Nächte lang war der Transport nun über Avignon und Toulouse unterwegs, bis man die Insassen in Oloron auf Lastwagen verlud und sie in das „Camp de Gurs“ brachte. Dieses war ursprünglich für Kämpfer und Flüchtlinge aus dem spanischen Bürgerkrieg errichtet worden, wurde aber seit Mitte 1940 zur Internierung von politisch Verfolgten, Juden und anderen von den Machthabern nicht erwünschten Personen genutzt. Vor Ort, oder bereits auf dem Transport, trafen die direkt aus Kaisers-
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GESCHICHTE
GESCHICHTE
lautern Deportierten auf weitere Kaiserslauterer, die in den vorangegangenen Monaten in größere Städte (zum Beispiel Mannheim) gezogen waren. Dort hatten sie sich vergeblich mehr Sicherheit erhofft.
wie seine Frau Betty (geb. Dreyfuß) und die beiden Töchter Ruth und Katharina in Gurs interniert war, starb etwa ein Jahr nach der Ankunft im Lager am 5. Oktober 1941. Die Frau und beide Töchter wurden ein Jahr später, im August 1942, von Gurs über Rivesaltes und Drancy nach Osten verschleppt und in Auschwitz ermordet.
Bereits im ersten Winter in Gurs starben viele derjenigen, die den Transport überlebt hatten, in dem umzäunten und im Matsch versinkenden Barackenlager. Die dort herrschenden hygienischen Verhältnisse und die Unterbringung der Gefangenen waren teilweise katastrophal. So waren anfangs etwa 60 bis 80 Menschen in einer Baracke untergebracht, in der sie teilweise auf dem nackten Boden schlafen mussten. Nicht einmal vier Wochen nach der Ankunft der Verschleppten war Adolf Stern, ein 78-jähriger ehemaliger Kaufmann aus Kaiserslautern, bereits tot. Seine Frau Regina Stern (geb. Strauß), die man mit ihm zusammen nach Frankreich gebracht hatte, starb 13 Monate nach ihrem Gatten am 2. Januar 1942.
Die für Familie Herze im Juni 2014 verlegten Stolpersteine in der Rudolf-Breitscheid-Straße 17. © Privat
Am 8. Dezember 1940, nach sechs Wochen im Elend des Lagers, starb die erst sieben Jahre alte Hannelore Herze an den Folgen einer Diphtherie-Erkrankung. Auch ihr Vater Jakob Herze, der 1938 bereits zeitweise im Konzentrationslager Dachau inhaftiert gewesen war, starb einige Monate später, am 15. April 1941, im Camp de Gurs. Seine Eltern, die Eheleute Hugo und Johanna Herze, überlebten zwar das Lager, das ihren Sohn und ihre Enkelin das Leben gekostet hatte, beide starben jedoch im Frühjahr 1943 im Abstand von nur vier Wochen im Lager Noé, nicht weit von Gurs entfernt. Der 85-jährige, hoch angesehene Kaiserslauterer Arzt Dr. Moritz Kühn war zusammen mit seiner jüngsten Tochter Maria Theresia nach Gurs gekommen, wo er nach sechs Wochen am 4. Dezember 1940 an den Strapazen starb. Seine Tochter wurde später weiter nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ein ebenfalls sehr schweres Schicksal ereilte die Familie Preis aus Kaiserslautern. Alexander Preis, der
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Perfider Nazi-Zynismus: „evakuiert 22.10.1940“ – die Deportation wurde in den Meldeunterlagen als „Evakuierung“ vermerkt. © Stadtarchiv Kaiserslautern
Junges Opfer: der Grabstein von Hannelore Herze in Gurs. © Roland Paul
Für die hier genannten, so grausam aus ihrer Heimat herausgerissenen Menschen wurden seit 2013 in Kaiserslautern bereits Stolpersteine verlegt. Somit konnten zumindest ihre Namen wieder in die Stadt, in der sie einst lebten, zurückkehren, um dabei zu helfen, ihr Schicksal nicht zu vergessen. Weitere Steine werden folgen. Mario Aulenbacher
INFO Am 12.10.2015 werden in Kaiserslautern die nächsten Stolpersteine verlegt. Informationen zur Stolpersteininitiative Kaiserslautern unter: www.stolpersteine-kl.de Im September 2015 plant das Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde in Kaiserslautern die Vorstellung des Buches „Die nach Gurs deportierten pfälzischen Juden“ von Roland Paul. Darin enthalten sind über 1.500 Kurzbiografien von pfälzischen Opfern der Verfolgung.
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GESCHICHTE
GESCHICHTE
FOTOGRAFIEREN FÜR DEN FRIEDEN Ausstellung der Bildjournalistin Erika Sulzer-Kleinemeier im Stadtmuseum Kaiserslautern
Längst ist Erika Sulzer-Kleinemeier zu einer Legende unter den aktiven Bildjournalisten geworden. Dabei hat sie immer Familie und Beruf vereint: „1967 zogen wir nach Frankfurt. Die ruhige Zeit der Theaterfotografie am Kammerspiel in Düsseldorf während der Babypause war vorbei. Jetzt versuchte ich mich als freie Bildjournalistin, und es klappte.“ Mit ihrer Familie lebte die Fotografin, die 1935 in Rostock geboren wurde und an der Karlsruher Akademie bei HAP Grieshaber und Robert Ruthardt studierte, in Düsseldorf, Frankfurt, London und San Francisco. Seit 1976 ist Erika Sulzer-Kleinemeier in Gleisweiler in der Pfalz zu Hause. Jens Stöcker
Demo 1987 in Mutlangen. © Erika Sulzer-Kleinemeier
Wider das Wettrüsten: Erika Sulzer-Kleinemeier wurde auch zur Chronistin der Friedensbewegung in den 1980er Jahren. © Erika Sulzer-Kleinemeier
„Mein Fotoarchiv gibt immer wieder den Blick frei für die Ereignisse der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts“, sagt Erika SulzerKleinemeier. Seit Karl Pawek in den 1950er Jahren ein Foto der Bildjournalistin im Kultmagazin „Magnum“ veröffentlichte, ist Erika Sulzer-Kleinemeier als Pressefotografin für „Spiegel“, „Zeit“, „Stern“, „Daily Telegraph“ und andere unterwegs. Ihre Fotografien dokumentierten Ereignisse der Zeitgeschichte, die unser kollektives Gedächtnis geprägt haben: Studentenproteste, politische Umbrüche, Staatsbesuche, aber auch den ersten antiautoritären Kinderladen. In den 70ern fotografierte SulzerKleinemeier Frauen am Arbeitsplatz – auch in den damals noch großen Industrieunternehmen in der Westpfalz. In den 80er Jahren entstanden Repor-
tagen über die Friedensbewegung. Die Fotografin dokumentierte den Fall der Berliner Mauer 1989, außerdem verfolgt sie mit ihren Aufnahmen die Spuren des jüdischen Lebens in der Pfalz. Als engagierte Bildjournalistin hat Erika SulzerKleinemeier immer dann auf den Auslöser gedrückt, wenn es darum ging, Momente festzuhalten, die, wie sie sagt, „vor ihrer Haustüre passieren“, was sowohl im geografischen wie im metaphorischen Sinn verstanden werden kann. Ihre Fotografien setzt Sulzer-Kleinemeier nie zu einem ausschließlich dokumentarischen Zweck ein, sondern immer auch, um Diskussionen in Gang zu bringen. Auch dass viele soziale und gesellschaftliche Probleme nach wie vor ungelöst sind, machen ihre Fotos sichtbar.
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AUSSTELLUNG Erika Sulzer-Kleinemeier – Fotografien bis 3.1.2016 Scheune des Theodor-Zink-Museums bis 1.11.2018 Wadgasserhof Stadtmuseum Kaiserslautern Steinstraße 48 Öffnungszeiten: Mi – Fr 10 – 17 Uhr, Sa, So 11 – 18 Uhr Info: 0631 365-2327, www.theodor-zink-museum.de
Big Data
Foto: x1klima via flickr
Couchsurfing
PRIVAT SPHÄRE Informationsfreiheit
Obdachlosigkeit
NSA
Im Wintersemester dreht sich bei uns alles um das Thema Privatsphäre. Unser Programm finden Sie ab Oktober 2015 auf: www.campuskultur-kl.de
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BILDUNG & FORSCHUNG
BILDUNG & FORSCHUNG
R AUM FÜR DIE T R A N S AT L A N T I S C H E D E B AT T E Das „Atlantische Forum“ der Atlantischen Akademie und der TU Kaiserslautern
Thema im Juni 2015: Prof. Dr. Manfred Berg von der Universität Heidelberg referierte über „Das Erbe der Lynchjustiz in den USA“.
1996 gegründet und mit Sitz in Kaiserslautern widmet sich die Atlantische Akademie seit nunmehr fast 20 Jahren den verschiedensten Themen der transatlantischen Beziehungen aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Dabei stehen zumeist außen- und sicherheitspolitische Aspekte seit 2002 im Fokus des „Atlantischen Forums“. Dreimal im Semester laden die Atlantische Akademie und die Politikwissenschaft der TU Kaiserslautern ein zur Diskussion über die aktuellen Herausforderungen im transatlantischen Miteinander. Ausgewiesene Experten beschäftigen sich dann mit unterschiedlichen Schwerpunkten der amerikanischen Politik, Geschichte, Wirtschaft und Kultur
D I G I TA L I S I E RU N G , Q U O VA D I S? Im europäischen Forschungsprojekt EMC2 wird Software für die Anforderungen der Zukunft fit gemacht
Software ist der Treiber für Innovationen © iStock.com / Hendrik5000
© Atlantische Akademie
9/11, die Tea-Party-Bewegung, NSA, die Drohnenpolitik, TTIP, die Energiepolitik, die politische Polarisierung und die Frage nach den Selbstheilungskräften der amerikanischen Demokratie: Die Beschäftigung mit den Vereinigten Staaten von Amerika und den transatlantischen Beziehungen hält eine große Bandbreite an Diskussionsthemen bereit.
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und berichten über ihre Forschungstätigkeiten. Die Veranstaltungen richten sich an alle Interessierten und laden ein zum Dialog über die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Der Eintritt ist frei. Informationen zu diesen und weiteren Veranstaltungen im Herbst/Winter 2015 findet man auf der Homepage der Atlantischen Akademie, auf ihrer Facebook-Seite oder auf Twitter (@AtlantAkademie). (red)
INFO Atlantische Akademie Rheinland-Pfalz e. V. Lauterstraße 2, Kaiserslautern Telefon 0631 366100 www.atlantische-akademie.de
Software umgibt uns tagtäglich. Mit der Digitalisierung aller Lebensbereiche werden die Anforderungen an Software immer komplexer. Das gilt vor allem für Softwarekomponenten, die als Steuerungselemente die unterschiedlichsten Funktionen übernehmen. Diese so genannten „eingebetteten Systeme“ finden sich im Auto, in Flugzeugen, in großen Industrieanlagen oder ganz banal in Haushaltsgeräten. Inzwischen müssen sie immer häufiger neue Aufgaben übernehmen und mit anderen Systemen kommunizieren. Dank Multi-Core-CPUs mit mehreren Rechenkernen bewältigen die neuesten Generationen eingebetteter Systeme hochkomplexe Aufgabenstellungen bei verhältnismäßig geringen Kosten. Aus in sich geschlossenen Systemen werden offene Systeme – smarte Ecosystems, die in jeder Situation zuverlässig agieren müssen. Deshalb sorgen jetzt in einem europäischen Großprojekt Forscher dafür, dass die Sicherheit nicht auf der Strecke bleibt: Fast 100 Partnerinstitutionen, ein Volumen von annähernd 100 Millionen Euro und etwa 800 Personenjahre an geplanter Arbeitskraft – das sind die Kennzahlen des europäischen Projekts
EMC2, des bisher größten seiner Art. Die Abkürzung steht für „Embedded Multi-Core systems for Mixed Criticality applications in dynamic and changeable real-time environments“ – zu Deutsch: eingebettete Multi-Core-Systeme für Anwendungen mit gemischter Kritikalität in dynamischen und veränderlichen Echtzeitumgebungen. Forschung und Industrie wollen bei diesem EU-Projekt gemeinsam die Voraussetzungen schaffen, damit die Steuergeräte von morgen diverse und wechselnde Aufgaben sicher bewältigen können. Denn viele der Steuerungsaufgaben sind „sicherheitskritisch“, das heißt, der Bremsassistent oder das Spurhaltesystem im Auto ebenso wie die Schubregelung eines Flugzeugs oder die Bewegungskontrolle eines Industrieroboters am Montageband müssen einfach zu 100 Prozent verlässlich funktionieren, sonst sind im Ernstfall Menschenleben gefährdet. Sicherheit wird dabei unter zwei Aspekten berücksichtigt: Safety und Security. Unter Safety versteht man die sichere Funktionalität, unter Security den Schutz vor Manipulationsversuchen, beispielsweise durch Hacker.
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Eine der Herausforderungen des Forschungsprojekts ist der Trend, dass eingebettete Systeme künftig nicht mehr komplett fertig von einem einzigen Hersteller oder Entwicklerteam konzipiert und realisiert werden. „Auf einem Steuergerät laufen künftig gleichzeitig Anwendungen mit unterschiedlichen Sicherheitsniveaus“, erklärt Dr.-Ing. Daniel Schneider vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE. „Es sind also Verfahren und Methoden nötig, die verlässlich und nachweislich verhindern, dass sich die verschiedenen Anwendungen gegenseitig negativ beeinflussen.“ Die Projektpartner entwickeln deshalb sowohl Lösungen für die Hard- und Software-Architekturen als auch Entwicklertools und Analysemethoden für die effiziente Zertifizierung der einzelnen Systemkomponenten und darauf aufbauender Systemverbünde.
Mit neuen Analyse- und Zertifizierungsverfahren wollen die Forscher zudem erreichen, dass sie die Sicherheit von offenen, dynamischen Systemen über die gesamte Laufzeit ihres Praxiseinsatzes hinweg evaluieren können. Die zentrale Schwierigkeit liegt dabei darin, dass bei der Entwicklung und bei den Tests der einzelnen Systeme noch nicht bekannt ist, in welchen Systemkonstellationen die Geräte während ihres Einsatzes eingebunden sein werden. Anders als bisher werden dann Produktinnovationen nicht mehr vor ihrer Inbetriebnahme durch eine Prüfung beispielsweise des TÜVs zertifiziert. Stattdessen müssen parallel zur Laufzeit Änderungen praktikabel und sicher stattfinden dürfen – es sind somit die Softwarearchitekturen und die Algorithmen, die hinter den Abläufen stecken, die zukünftig zu zertifizieren sind.
Im EMC2-Arbeitspaket „Systemqualifizierung und -zertifizierung“ entwickeln Wissenschaftler unter Leitung des Fraunhofer IESE die Grundlagen und Lösungen dafür. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, dass die Vielzahl beteiligter Systeme und die Ausweitung der Kommunikationsstrecken Hackern eine große Angriffsfläche bieten. „Safety, also die sichere Funktionalität, lässt sich dann nur gemeinsam mit der Problematik der Verwundbarkeit, also der Security, gewährleisten“, sagt Schneider. Mit Safety & Security Co-Engineering werden bei der Entwicklung neuer Systeme deshalb beide Aspekte zusammengebracht.
Das Fraunhofer IESE arbeitet mit seinem Know-how in den Bereichen Safety & Security an neuen Zertifizierungspraktiken, welche den Treiber heutiger und zukünftiger Innovationen, nämlich intelligente Software, stärker in den Fokus rücken. Bei zahlreichen Kongressen und Workshops sowie in Projekten mit Partnern aus Industrie und Wirtschaft bringt sich das Fraunhofer IESE mit seiner angewandten Forschung damit in den aktuellen Diskurs ein und gestaltet die Weichenstellung für eine sichere Digitalisierung aktiv mit.
Auch die Entwicklung, dass eingebettete Systeme immer häufiger vernetzt werden, um zusammenarbeiten zu können, findet Berücksichtigung: Die Konzepte der Industrie 4.0, des Internets der Dinge oder der Car-to-X-Kommunikation beispielsweise sehen vor, dass die Steuerungssysteme in sich laufend ändernden Konstellationen mit ihren „Kollegen“ kooperieren. Auch hierbei muss die Funktion jedes einzelnen Geräts und der von einer Vielzahl verschiedener Systeme gemeinsam übernommenen Aufgaben sicher gewährleistet werden.
Stephan Wengenroth / Nina Hahnel
Mehr fördern!
Wir machen die Region stark mit unserer Kulturförderung.
INFO www.iese.fraunhofer.de
– Gut für die Vereine – Gut für die Menschen – Gut für Kaiserslautern
Kreissparkasse Kaiserslautern www.kskkl.de
Mehr als eine Bankverbindung.
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BILDUNG & FORSCHUNG
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S YM B O L D E R I D E N T I TÄT Die Skulptur „Tensegrity“ auf dem Campus der Hochschule Kaiserslautern
An der Hochschule Kaiserslautern wurden Ideenfindung, Entwurf, Kommunikation, Prüfung der Machbarkeit und die letztendliche Realisation in Seminaren in der alltäglichen Hochschulwirklichkeit umgesetzt. An der Entstehung haben alle Studiengänge des Fachbereichs mitgewirkt. In Lehrveranstaltungen wurde in Modellversuchen das System erforscht. Ein Standort musste gefunden, die Stäbe berechnet, die Seile dimensioniert und statische Probleme gelöst werden. Die Skulptur verleiht dem Campus im Eingangsbereich einen Akzent und gibt ihm ein Symbol, das auf die vielfältigen Aktivitäten der dahinterliegenden Fachbereiche verweist und sie alle unter diesem Bild vereint. Es hat hohen Lehrwert für die Bauingenieure und einen gleichermaßen großen ästhetischen Reiz für die gestaltenden Berufe der Architekten, Innenarchitekten und Virtuellen Designer. Das Ge-
Gespannte Stäbe: Auf dem Hochschul-Campus wurde die Skulptur „Tensegrity“ eingeweiht. © Hochschule Kaiserslautern
Finanziert durch eine Spende der Stadtsparkasse Kaiserslautern entstand im Fachbereich Bauen und Gestalten der Hochschule Kaiserslautern eine Skulptur, die am 17. Juni 2015 feierlich eingeweiht wurde. Das Kunstobjekt, ein sogenanntes „Tensegrity“, ziert fortan den Eingangsbereich zu den Gebäuden des Fachbereichs auf dem Campus Kammgarn in der Schoenstraße. Entstanden ist das Werk, das die gemeinsame Identität der Studiengänge Architektur, Innenarchitektur, Bauingenieurwesen und Virtual Design symbolisieren soll, unter Leitung des Lehrgebiets Plastisches Gestalten von Prof. Matthias Heiermann. Die Namensgebung stammt aus dem Englischen und setzt sich zusammen aus „tension“ (Zugspannung) und „integrity“ (Ganzheit, Zusammenhalt). Diese Erfindung wird dem Ingenieur Buckminster Fuller
und dem Bildhauer Kenneth Snelsen zugeschrieben. Entscheidend bei der Bauweise ist, dass sich die Druckstäbe in dem System nicht untereinander berühren. Die Intention der Ingenieure, die das System „Tensegrity“ um 1920 entwickelten, war es, ein Tragwerksystem zu konstruieren, welches einerseits möglichst leicht ist, gleichzeitig aber größtmögliche Effizienz erzeugen kann. Sie bauten einen statischen Prototyp, unter Verwendung von Seilen, die auf Zug belastet sind, und Stäben, die auf Druck belastet sind. Durch eine Vorspannung der Seile wird dieses System stabil und tragbar. Das Speichenrad ist ein Beispiel, wie das System funktioniert. Während die Felge den Druck aufnimmt, übernehmen die Speichen die Zugkräfte. Bei jeder Umdrehung des Rades werden die Speichen auf Zug belastet und halten das Rad in seiner Form.
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meinschaftswerk gewinnt seinen ästhetischen Reiz durch die Technik, die eine extreme Verschlankung der Materialien mit sich bringt. Es wird mit dem minimalsten Aufwand an Material eine große technische Effizienz erreicht. Matthias Heiermann
INFO www.hs-kl.de
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LUTRA | Kulturmagazin Kaiserslautern • 2 | 2015
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BILDUNG & FORSCHUNG
BILDUNG & FORSCHUNG
VIRTUELLER FAHRZEUGTEST
dell ab. „Statt ihn als Volumenmodell abzubilden, stellen wir den Reifen als Schale dar – das spart viel Simulationszeit und berücksichtigt dennoch alle Eigenschaften“, erläutert Bäcker. Zunächst berechnen die Forscher einzelne Schalen für jede funktionale Lage des realen Reifens: eine für jede Stahlgürtellage, eine für die Bandage und so weiter. Diese fassen sie anschließend zu einer einzigen Schale zusammen. Das Besondere: Das Modell berücksichtigt auch die Seitenwand. Bei herkömmlichen Simulationen müssen die Autohersteller die Parameter gänzlich neu anpassen, sobald sich die Reifenbreite in der Simulation ändert oder der Reifendruck variiert. „Wir haben Geometrie und Materialeigenschaften komplett voneinander getrennt, man kann also die Geometrie des Reifens verändern, ohne das Modell angleichen zu müssen.“ Auch die Autohersteller wissen dies zu schätzen: Die Simulation ist bereits weltweit im Einsatz, unter anderem bei Toyota und Daimler.
CDTire/3D-Reifensimulation beim Überrollen eines Hindernisses. © Fraunhofer ITWM
Innovation am Fraunhofer ITWM in Sachen Reifensimulation
Das Fahrzeug rast über die unebene Straße, holpert über Steine und kracht in Schlaglöcher, schlittert über Eisflächen. Allerdings nur scheinbar: Denn bislang ist es noch gar nicht produziert. Vielmehr handelt es sich sowohl beim Auto als auch bei der buckligen Teststrecke um Simulationen. Wie „betriebsfest“ ist das Fahrzeug? Hält das Design, was es verspricht? Solche virtuellen Versuche bieten viele Vorteile: Bereits in einer frühen Entwicklungsphase lassen sich unterschiedliche Varianten eines Fahrzeugs erproben, sei es Auto, LKW oder Traktor, und das Design systematisch optimieren – ohne teure Prototypen.
Reifen, denn sie verhalten sich komplex und nichtlinear. Entweder ist die Berechnung langwierig, rechenintensiv und lässt sich nicht in das Gesamtmodell einfügen oder sie liefert ungenaue Ergebnisse. Forscher am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern entwickelten mit „CDTire/3D“ ein Simulationswerkzeug, das diesen Spagat meistert. „Mit der Technologie haben wir eine gute Balance gefunden zwischen Rechenzeit und Genauigkeit“, sagt Dr. Manfred Bäcker, Leiter der Reifen- und Fahrzeugsimulation am ITWM. Die Simulation bildet die Realität gut ab und ist gleichzeitig schnell.
Die Simulation des Fahrzeugs an sich hat man dabei gut im Griff. Eine Herausforderung sind jedoch die
Die Wissenschaftler bilden die Eigenschaften des Reifens über ein strukturmechanisches Schalenmo-
Temperaturverteilung in einem Formel 1-Reifen. © Fraunhofer ITWM
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Zusätzlich zu dieser Simulation beziehen die Wissenschaftler nun auch die Temperatur ein: Denn der Reifen wird beim Fahren verformt beziehungsweise durchgewalkt, und auch die Bremsen geben Hitze ab. In der Folge erwärmt er sich und verändert damit auch seine Eigenschaften. Die Forscher speisen die Ergebnisse aus „CDTire/3D“ in das Temperaturmodell ein, simulieren anhand dieser Berechnungen, wie sich die Hitze im Reifen ausbreitet, und koppeln die Ergebnisse zurück ins Strukturmodell. Das Schweizer Formel1-Team Sauber will das Temperatur-Modell künftig einsetzen, um seine Rennwagen schneller zu machen. „Da das System modular aufgebaut ist, können wir das Temperaturmodell an jedes beliebige Simulationstool koppeln“, sagt der Forscher. So lässt es sich auch an das Tool „CDTire/Realtime“ anbinden. Diese Software kann etwa beim Auslegen eines elektronischen Regelsystems wie dem elektronischen Stabilitäts-Programm, kurz ESP, eingesetzt werden: Bricht der Wagen aus, bremst das ESP einzelne Räder gezielt ab. Dieses Tool läuft – ebenso wie die Temperaturberechnung – in Echtzeit, allerdings bislang nur auf großen Rechnern im Labor. Künftig kann es während der Fahrt im Auto auf dort installierten Mikrocontrollern eingesetzt werden, um die Genauigkeit des ESP zu erhöhen. Bis dahin, schätzt Bäcker, werde es aber noch etwa ein bis zwei Jahre dauern. Fraunhofer ITWM INFO www.itwm.fraunhofer.de
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Konzerte
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der Stadt Kaiserslautern in der Fruchthalle
IMPRESSUM LUTRA. Kulturmagazin Kaiserslautern Heft 09 / Ausgabe 02 / 2015 Herausgeber: Stadt Kaiserslautern Redaktion: Dr. Christoph Dammann (Referat Kultur der Stadt Kaiserslautern) und Kai Scharffenberger (mssw PrintMedien Service Südwest GmbH, Kaiser-Wilhelm-Straße 34, 67059 Ludwigshafen, www.mssw-online.de) Design-Konzept: Lutz Lerchenfeld
LUTRA Referat Kultur der Stadt Kaiserslautern Rathaus Nord, Gebäude A Lauterstr. 2, 67657 Kaiserslautern Tel.: 0631 365-1410
[email protected] www.lutra-kl.de ISSN 2192-970X © 2015 Stadt Kaiserslautern, Referat Kultur der Stadt Kaiserslautern, Autorinnen und Autoren, Fotografinnen und Fotografen, Künstlerinnen und Künstler.
Layout und digitale Bildbearbeitung: ANTARES Werbeagentur GmbH
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LUTRA ist ein Kooperationsprojekt der Stadt Kaiserslautern mit dem Museum Pfalzgalerie, dem Pfalztheater, dem Kulturzentrum Kammgarn, der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern, dem Fraunhofer IESE, dem Fraunhofer ITWM, der Atlantischen Akademie, der Fachhochschule, der Volkshochschule Kaiserslautern, der Technischen Universität Kaiserslautern, der Pfalzbibliothek und der ZukunftsRegion Westpfalz.
Produktion: Kerker Druck GmbH, Kaiserslautern Distribution: pri-me, Kaiserslautern Auflage: 18.000 Exemplare Zur kostenlosen Auslage in zahlreichen Kultureinrichtungen in der Region Kaiserslautern
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