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Martina Hurst
Sehr geehrte Frau Wurth, sehr geehrte Frau Ehrhardt, ich habe gestern in der Zeitung über Ihre Initiative hinsichtlich der von einigen Parteien anvisierten Abschaffung der Sonderschulen gelesen. Ich kann Ihnen dazu nur von Herzen gratulieren und danke für Ihr Engagement sagen. Als Mutter von zwei kleinen Kindern bin ich Gott sei Dank noch nicht direkt betroffen, aber meine berufliche Erfahrung hat mir gezeigt, dass dies immer kommen kann. Als pädagogische Fachkraft im Bereich Beratung und Hilfesteuerung für behinderte Menschen habe ich selbst mehrfach erlebt, wie schwierig die Integration von Kindern mit den unterschiedlichsten Behinderungen (selbst mit intensiver Zusatzunterstützung) im Regelschulbetrieb ist und wie intensiv und gut die spezifische Förderung in den meisten jeweiligen Sonderschulen ist. Ich kann ihre Argumente nur unterstreichen. Auch ich finde den Grundgedanken der Inklusion gut, aber es muss von den Kindern und was für diese am Besten ist her gedacht werden. Da ich auch politisch ehrenamtlich aktiv bin habe ich ebenfalls mit großem Schrecken beobachtet, wie hier oft rein ideologisch gedacht und argumentiert wird und das individuelle Wohl der betroffenen Kinder außer Acht gelassen wird. Nicht nur das vorhandene pädagogische Know-how an den Sonderschulen, die deutlich bessere räumliche und materielle Ausstattung für die jeweiligen „Behinderungsbilder“ und Bedürfnisse sowie die kleinen Fördergruppen spielen hierbei meiner Meinung nach eine entscheidende Rolle sondern auch die Möglichkeit der Kinder die Erfahrung zu machen, nicht immer nur der „Außenseiter“, der „Andere“ zu sein und auch sich mit Kindern mit ähnlichen Schwierigkeiten vergleichen zu können. Ein konkretes Beispiel hat mir dies plastisch vor Augen geführt. Ich habe vor ein paar Jahren einen körperbehinderten Jungen (Rollstuhlfahrer) betreut, der per Einzelintegration im örtlichen Regelkindergarten war. Dies hat sehr gut geklappt und sowohl die Kinder als auch die Erzieherinnen haben sich wirklich toll auf ihn eingestellt und er sich seinerseits auf den dortigen Rahmen. Als es um die Einschulung ging war ich als beratende Fachkraft der Ansicht, dass er auf Grund seiner normalen geistigen Entwicklung und seiner hohen Motivation er mit entsprechender Unterstützung gut auch auf eine Regelgrundschule gehen könnte. Die wie sie sehr engagierten Eltern haben sich intensiv mit dem Für und Wider beider Wege (ich sage jetzt verkürzt und plakativ: Integration im „Normalen“ vs. Gezielter spezifischer Förderung) auseinandergesetzt. Den Ausschlag gab schließlich der Junge selbst, der sich ebenfalls intensiv Gedanken gemacht hat und mit seinen Eltern beide Schularten angeschaut hat, indem er klar sagte, dass er eben endlich auch mal mit anderen Kindern mit ähnlichen Problemen zusammen sein möchte und nicht immer nur der Alleinige mit einer Sonderrolle. Einen sehr erfolgreichen Weg finde ich übrigens die vielerorts so auch bei uns intensiv praktizierten Außenklassen, bei denen eine Klasse einer Sonderschule an einer Regelschule mit ihren Sonderschullehreren verortet ist und mit einer Parallelklasse der Regelschule in Fächern in denen sich dies anbietet (z.B. Musik, BK, Religion, Sport, …) gemeinsamer Unterricht, gemeinsame Projekte und auch gemeinsame Ausflüge statt finden. Ich kann daher ihre Initiative wie gesagt nur bekräftigen, dass es beide Wege geben muss und die Eltern nach reiflicher Überlegung und Beratung von ihrem Kind aus gedacht die Wahlmöglichkeit haben müssen. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen und der Rahmen muss zum jeweiligen Kind passen. Auch ich möchte als Mutter im Bedarfswahl wissen, dass es dieses fundierte Unterstützungssystem (dann noch) gibt und ich die Wahlmöglichkeit habe und nicht aus ideologischen Gründen hier Bewährtes über den Haufen geworfen wird. In diesem Sinne möchte Ich Ihnen nochmals für Ihr Engagement danken und Ihnen für Ihren Einsatz weiterhin alles Gute und viel Kraft wünschen. Freundliche Grüße Martina Hurst