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Maurizio Pollini - Kölner Philharmonie

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Maurizio Pollini Freitag 10. Februar 2017 20:00 Bitte beachten Sie: Ihr Husten stört Besucher und Künstler. Wir halten daher für Sie an den Garderoben Ricola-Kräuterbonbons bereit und händigen Ihnen Stofftaschentücher des Hauses Franz Sauer aus. Sollten Sie elektronische Geräte, insbesondere Mobiltelefone, bei sich haben: Bitte schalten Sie diese unbedingt zur Vermeidung akustischer Störungen aus. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass Bild- und Tonaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind. Wenn Sie einmal zu spät zum Konzert kommen sollten, bitten wir Sie um Verständnis, dass wir Sie nicht sofort einlassen können. Wir bemühen uns, Ihnen so schnell wie möglich Zugang zum Konzertsaal zu gewähren. Ihre Plätze können Sie spätestens in der Pause einnehmen. Bitte warten Sie den Schlussapplaus ab, bevor Sie den Konzertsaal verlassen. Es ist eine schöne und respektvolle Geste gegenüber den Künstlern und den anderen Gästen. Mit dem Kauf der Eintrittskarte erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihr Bild möglicherweise im Fernsehen oder in anderen Medien ausgestrahlt oder veröffentlicht wird. Maurizio Pollini Klavier Freitag 10. Februar 2017 20:00 Pause gegen 20:50 Ende gegen 22:00 PROGRAMM Frédéric Chopin 1810 – 1849 Deux Nocturnes op. 27 (1835/36) für Klavier Nocturne cis-Moll Nocturne Des-Dur Ballade Nr. 3 As-Dur op. 47 (1841) für Klavier Ballade Nr. 4 f-Moll op. 52 (1824/43) für Klavier Berceuse Des-Dur op. 57 (1844) für Klavier Scherzo h-Moll op. 20 (um 1835) für Klavier Pause Frédéric Chopin Deux Nocturnes op. 55 (1842/44) für Klavier Nocturne f-Moll Nocturne Es-Dur Sonate für Klavier h-Moll op. 58 (1844) Allegro maestoso Scherzo. Molto vivace Largo Finale. Presto, ma non tanto 2 ZU DEN WERKEN Kontrastgewitter für den Salon – Die Klavierwelten des Frédéric Chopin Noch keine zwanzig, und doch bereits ein vollkommener Künstler – ein Musiker, der seinen eigenen Stil gefunden hat, der die Menschen verzaubert und sie zugleich fürchtet. Ein Mann, der gerade erst seinen Abschluss am Konservatorium in Warschau gemacht hat und doch binnen weniger Monate zu einem Heimatlosen wird, sich nach Wien begibt und im Herbst 1831 in Paris ankommt. Frédéric Chopin meidet die große Bühne und liebt den Rückzugsort der Salons, dieses Zwischenreich aus Bourgeoisie und Bohème. »Ich passe nicht dazu Koncerte zu geben, das Publikum macht mich scheu, sein Athem erstickt mich, ich fühle mich paralysirt von seinen neugierigen Blicken und verstumme vor den fremden Gesichtern.« Zunächst ist er ein Unbekannter, doch rasch wird er vom Geheimtipp zum gehätschelten Gast in den Salons. Chopin lernt die Regeln der Pariser Gesellschaft schnell. Ende 1832 ist er beim Grafen d’Apponyi, dem österreichischen Botschafter, zu Gast und darf dort gemeinsam mit Liszt und Rossini am Klavier auftreten. Der Graf ist beeindruckt, und weil seine Frau Thérèse einen Klavierlehrer sucht, schickt er sie zu ihm. Im Salon der d’Apponyi ist Chopin mehrfach zu Gast, und hier dürfte es ihm ergangen sein wie anderswo: Chopin setzt sich (nach Aussage von Hector Berlioz) meist erst dann ans Klavier, nachdem die lautstärksten und plapperlustigsten Gäste bereits nach Hause gegangen sind. Die Stücke, die er aufführt, dürfen nicht zu lang sein: Mazurkas, Walzer, Polonaisen, Impromptus, und Nocturnes. Nach den beiden Werkgruppen op. 9 und op. 15 bilden die beiden Nocturnes op.  27 die dritte Sammlung dieser insgesamt noch jungen Gattung. Beide Stücke sind offensichtlich als Paar angelegt, das zeigen bereits die enharmonischen Tonarten cisMoll und Des-Dur. In der ersten Nocturne bewegt sich, über einer weit geschwungenen Begleitung der linken Hand, die Melodie in der rechten ständig zwischen Dur und Moll hin und her. Es ist eine düstere Stimmung, und auch der leidenschaftlichere 3 Mittelteil kann diesen Eindruck allenfalls vorübergehend auflockern. Kurzzeitig scheint sogar ein Triumph über die anfängliche Einsamkeit möglich, wenn Chopin As-Dur erreicht (die Tonart seiner späteren ›Heroischen‹ Polonaise op.  53) und in einen Mazurka-Gestus überleitet, doch ein kurzes Rezitativ, bezeichnenderweise im Bass, macht diesen Eindruck zunichte und führt wieder zur Trostlosigkeit des Anfangs zurück. Doch möchte Chopin diesen so mysteriösen, dunklen, gequälten Satz so nicht stehen lassen, daher setzt er ihm ein fast liebliches zweites Stück gegenüber. Er fordert piano und pianissimo, aber viel wichtiger ist die Vortragsbezeichnung dolce. Weich soll es klingen, natürlich und besonders in den Verzierungen der Melodie leicht – zarter Belcanto-Gesang fürs Klavier. Hier zeigt sich Chopins ganze Kunstfertigkeit: in einem fast verführerischen Wohlklang, in der subtilen Harmonik und Proportionen von geradezu klassischem Zuschnitt. Liebespaar und drei Brüder Neben der Nocturne hat Chopin mit der Ballade einer zweiten Gattung entscheidend zum Durchbruch verholfen. Seine vier Balladen sind in einem Zeitraum von acht Jahren entstanden: 1835, 1839, 1841, und 1842/43. Ob er wirklich der Erste ist, der eine »Ballade« für ein Soloinstrument komponiert hat, bleibe dahingestellt. Bekannt ist, dass Clara Schumann zur Zeit von Chopins g-Moll-Ballade ebenfalls an einem Werk gleichen Titel gearbeitet hat. Auf jeden Fall ist Chopin derjenige, der die Beliebtheit dieses Genres vorangetrieben hat wie kein zweiter. »Bei den zwei letzten Balladen«, so der Pianist Alfred Cortot, »scheint Chopin auf das Prinzip der dramatischen Gegenüberstellung der Themen zu verzichten, auf der der musikalische Aufbau der beiden ersten beruhte. Mehr Einigkeit als Konflikt.« Die dritte Ballade op.  47, die ins Jahr 1841 führt, bringt einen neuen Ton: Sie ist weniger düster und zugleich weniger heftig. Harmonisch ist sie erstaunlich symmetrisch angelegt – mit einem stürmischen Mittelteil in cis-Moll. Cortot: »die acht ersten Takte […] scheinen einen zärtlichen Dialog eines imaginären Liebespaares auszudrücken: ›Wirst du mich immer lieben‹. ›Ja, ich schwöre 4 es. Und du, wirst du mir deine Treue bewahren?‹ – ›Solange ich lebe.‹ In dieser frühlingsfrischen Atmosphäre verschafft sich eine rhythmische Durchführung Raum: die Ausbreitung jugendlichen Glücks, die reine Glut eines unschuldigen Gefühls.« Unverkennbar, auch eine musikalische Ballade möchte erzählen. Was? Das bleibt dem Hörer überlassen. Auch der vierten Ballade op.  52 in f-Moll hat man eine Vorlage unterschieben wollen: die Erzählung von den Drei Brüdern Budrys, die von ihrem Vater angeschickt werden, um Fälle zu sammeln. Die Brüder verschwinden, der Vater glaubt sie im Krieg gefallen. Dann jedoch kehren sie unverhofft heim, mit einer einzigen Braut, für drei! – Wie schon in der ersten Ballade liegt der Fokus ganz auf der Schluss-Sequenz, dem furiosen Finale. Der Italiener Roberto Cotroneo hat in seinem Erstlingsroman Presto con fuoco 1995 diese Ballade zum Thema gemacht: ein weltberühmter Pianist, der Ich-Erzähler, berichtet rückblickend von einem ungewöhnlichen Erlebnis in Paris, wo man ihm ein Autograph von eben dieser vierten Ballade angeboten hat – mit einem bislang unbekannten Finale, das den Erzähler dazu animiert, in einer fast kriminalistischen Rekonstruktion die Entstehungszeit dieses ›Presto von fuoco‹ und damit zugleich Chopins Kunst im Allgemeinen zu enträtseln … Filigranmuster aus 70 Takten Während seiner Beziehung zu George Sand hat sich Chopin immer wieder aufs Land, auf das Anwesen in Nohant in der Mitte Frankreichs zurückgezogen. Dort entstanden neben der vierten Ballade auch das letzte Scherzo, die Mazurkas op.  50 und die Polonaise op.  53. Auch den Sommer 1843 hat Chopin dort verbracht. Zurück in Paris spielt er vor einem kleinen Kreis aus seinen neuen Werken. Ob sie zu diesem Zeitpunkt alle schon ihre endgültige Fassung haben oder, wie die Berceuse Des-Dur op.  57, später noch einmal überarbeitet werden, lässt sich nicht verallgemeinernd festhalten. Die Berceuse basiert auf einer harmonisch schlichten Architektur. Ein schaukelndes Thema breitet sich wiegenliedartig aus und wird insgesamt sechzehnmal 5 variiert. Aus diesem gleichsam monotonen wie fesselnden Material webt Chopin ein Filigranmuster aus 70 Takten, das er mit geradezu verschwenderischer Pracht verziert. Zugeeignet hat er die Berceuse Mademoiselle Elise Gavard, Tochter eines mit ihm befreundeten Ingenieurs, Kunsthistorikers und Verlegers. Das ist bezeichnend für Chopin, der es minutiös vermieden hat, in seinen Widmungen viel von sich selbst preiszugeben. Eine Widmung an George Sand sucht man ebenso vergeblich wie Namen, die eine patriotische Gesinnung verraten würden. Kein König, kein Fürst, mit dem Chopin in persönlichem Kontakt stand, egal ob in Warschau, in Paris oder London, hat je eine Widmung erhalten. Dafür begegnen wir etwa seinem Kompositionslehrer, zwei alten Schulfreunden, einigen vornehmen polnischen Damen, Diplomaten oder schlicht Freunden wie Thomas Albrecht, dem Chopin sein erstes Scherzo h-Moll op. 20 zugeeignet hat. Albrecht, Weinhändler und sächsischer Konsul in Paris, hat später, 1847, dem kranken Chopin Asyl gewährt. Ein später Dank? Entrüstete Ausrufe Die genaue Entstehungszeit dieses Scherzos h-Moll op. 20 ist nicht ganz klar. Vermutlich um 1835. Oft wird seine Entrüstung über die revolutionären Unruhen in seiner polnischen Heimat mit diesem Werk in Verbindung gebracht. Das erscheint durchaus möglich, denn in diesem Werk scheinen viel Wut und protestlerische Auflehnung zu stecken. Presto con fuoco lautet die Vortragsbezeichnung, und mit zwei entrüsteten Ausrufen geht es direkt los. Dissonanzen, Synkopen, ein gärendes Brodeln im Bass, Skalen, die sich in Windeseile zu grellen Schreien entwickeln – inneren Frieden scheint dieses Werk nicht zu kennen, wäre da nicht der Mittelteil, in dem Chopin von Moll nach Dur wechselt und ein polnisches Volkslied verarbeitet: »Schlaf, kleiner Jesus«. Musik, die aus einer anderen Welt zu kommen scheint, und daher spielen manche Pianisten diesen Abschnitt mit seliger Gelassenheit und sehr langsamem Tempo. Weit her aber ist es mit dieser 6 Ruhe, mit dieser Besinnlichkeit jedoch nicht. Zum einen weil, dem Gesetz der Form gehorchend, nun der erste Teil wieder aufgegriffen wird, zum anderen, weil Chopin am Schluss im dreifachen Forte nochmals beißende Dissonanzen verwendet. Sie suggerieren alles, nur nichts Versöhnliches. Dieses Scherzo nährt den Verdacht, dass Chopins Musik nicht nur von seinem persönlichen Empfinden, von seinen Erlebnissen, Hoffnungen und Enttäuschungen geprägt ist, sondern auch von der Geschichte und der Musik seines Heimatlandes Polen. Militärisches in der Idylle Die letzten Werke dieses Programms führen wieder in die Zeit zwischen 1842 und 1844. Die beiden Nocturnes op.  55 zeigen Chopins Kunst der Komprimierung noch einmal eindrucksvoll. Bei ihm vollzieht sich das musikalisch-dramatische Geschehen meist innerhalb weniger Takte. Der Beginn der f-Moll-Nocturne ist auffallend schlicht, liedhaft. Wenn Chopin das Thema wiederholt, schmückt er es aus, Konfliktwelten scheinen unendlich weit weg – bis der Mittelteil mit einem fast militärischen, auf jeden Fall bedrohlichen Charakter einsetzt, bestehend aus einer parallel geführten Bewegung im Bass und beantwortet von schroffen, appellhaften Akkorden. Am Ende löst sich diese Musik in sphärische Höhen auf. Ein genialer Schluss. Die zweite Nocturne in Es-Dur erweckt den Anschein, als habe Chopin hier Palestrina, Bach und Mozart zusammengeführt. Welch ein Einfallsreichtum, wie er hier die Stimmen führt. Das ist Kontrapunkt der Extraklasse – und vom plüschigen Charakter einer unterhaltenden Salonmusik meilenweit entfernt. Hier zeigt sich Chopins ganzer intellektueller Scharfsinn, eine meisterhafte Vernetzung von Stimmen, und wieder auf eine belcantohafte Melodie im Mittelpunkt, die jeder nachsingen könnte. Aber was geschieht nicht alles unterhalb dieser Melodie?! 7 Energie ohne Ermüdung Im Jahr 1844 erleben wir Chopin in völliger Zurückgezogenheit. Er meidet Konzert, Theater, Salons. Er kränkelt, wieder einmal. Auch finanziell geht es ihm mau, während Franz Liszt virtuos spielend und virtuos reisend virtuos viel Geld verdient. Aufmunterung erfährt Chopin erst, als sich Besuch aus der polnischen Heimat ankündigt. Seine Schwester Ludwika und ihr Mann, der Jura-Professor Józef Kalasanty Jędrzejewicz, kommen erstmals nach Paris. Ludwika erweist sich für George Sand als »eine Frau mit einem engelsgleichen Charakter, die ihrer Zeit und ihrem Heimatland ganz und gar überlegen ist.« Man versteht sich gut. Ausfahrten, Konzertbesuche, Besuche – das volle Programm steht an, und Chopin bewältigt es über Wochen hinweg ohne große Mühen. »Die Bitterkeit ist aus seinem Herzen gewichen«, stellt George Sand erleichtert fest. Man kann darüber rätseln, ob sich diese Entwicklung innerhalb des Jahres 1844 auch in Chopins Klaviersonate op.  58 widerspiegelt. Auf jeden Fall strebt sie vom Dunklen ins Helle, vom Düsteren ins Heitere. Im Finale entlädt sich eine Energie, die keine Ermüdung kennt. Noch während des verwandtschaftlichen Besuches schreibt Chopin an dieser Sonate, seiner dritten. Sie nähert sich, verglichen mit dem Vorgänger-Modell, der b-Moll-Sonate mit dem berühmten Trauermarsch, wieder stärker der Konvention, gleichzeitig aber zeigt sich auch in ihr der Wunsch, die traditionelle Form zu verwandeln. Vergleicht man beide Sonaten, so steht das Scherzo jeweils an zweiter Stelle, also noch vor dem langsamen Satz. Doch in op. 58 strickt Chopin die Motive engmaschiger und stringenter. Das kraftvolle Entrée, ein bisschen marschmäßig, ist klar vom lyrischen zweiten Thema getrennt. Das wiederum steht ordnungsgemäß in der so genannten Parallel­ tonart zu h-Moll, nämlich in D-Dur. Später taucht sogar ein drittes Thema auf. Dafür lässt er – einer von Chopins genialen Kniffen – bei der Wiederaufnahme des ersten Teils sein Eingangsthema einfach weg. Das Scherzo ist relativ knapp. Hört man die flinken Läufe der rechten Hand, fragt man sich, ob es sich hier wirklich um den Satz innerhalb einer Sonate handelt. Das huscht und perlt wie in 8 einer Etüde oder einem von Chopins Préludes. Ruhiger Mittelpol ist das Trio, eine Art Barcarolle, sanft wiegend, und mit gelegentlich knurrig dreinfahrenden Basstönen. Anschließend folgt das Largo, dessen einleitender Bass unmittelbar an den vorigen Satz anzuschließen scheint. Aus dieser bedrohlich wirkenden Lage befreit sich Chopin schnell mit einer Melodie, die leicht trauermarschähnlich grundiert wird. Träumerisch der Mittelteil, wie der versonnene Eintritt in eine andere Welt und ganz weit weg vom »maestoso«-Charakter des ersten Satzes und vom huschenden Gestus des zweiten. Nach einer raschen Steigerung ist es vorbei mit aller Ruhe. Das Finale beginnt, halb Fantasiestück à la Schumann, halb pianistischer Walkürenritt. Spätestens hier erweist sich die dritte Sonate als Gegenentwurf zur zweiten, die mit einem fahlen Presto endet, das, kaum begonnen, schon wieder zu Ende ist. Jetzt aber lässt sich Chopin Zeit und gehorcht, bei allem Furor, streng den Gesetzen der Architektur: Es ist ein klassisches Rondo. Wiedergewonnener Lebensmut? Chopin stürmt vorwärts wie ein junger, kerngesunder Mensch. Von der Düsternis ist nichts mehr übrig … Christoph Vratz 9 WEITERHÖREN Oft fragwürdig sentimental – Diskographische Anmerkungen zu Chopins Nocturnes 19 Nocturnes sind es, die eine Opus-Zahl tragen; zwei weitere Werke kommen hinzu, in c-Moll und cis-Moll, die op.  posthum erschienen sind. Im Konzertsaal sind die Werke geschlossen kaum zu erleben, sie werden allenfalls in homöopathischen Dosierungen gereicht, als könne sich ihre Wirkkraft am ehesten entfalten, wenn nicht alle auf einmal konsumiert werden. Doch auf Tonträger ist die Auswahl gar nicht mal so schmal, wie man meinen könnte. Vor allem fällt auf, dass – gemessen an anderen Gesamteinspielungen – relativ viele weibliche Pianisten sich diesen Nocturnes gewidmet haben. Genannt seien stellvertretend Brigitte Engerer (1992/93, HM), Kathryn Stott (1992, Alto) und Idel Biret (1991, Naxos) – drei grundsolide Einspielungen, sensibel, emotional. Aber in die erste Reihe gehören diese Einspielungen wohl nicht. Schon eher wäre die Aufnahme mit Elisabeth Leonskaja aus dem Jahr 1991 zu nennen (Warner). Sie weiß genau, wie frei sie die improvisatorischen Momente angehen darf, kennt die Bedeutung der linken Hand, die nicht nur auf schmückendes Beiwerk reduziert wird. Dennoch gebührt die Krone unter den Pianistinnen zwei Aufnahmen. Die Kanadierin Angela Hewitt hat Chopins Nocturnes im November 2003 (Hyperion) an einem von ihr so geschätzten Fazioli-Flügel aufgenommen – für diese Musik eine wunderbare Entscheidung. Das Instrument klingt nie hart, aber ungemein farbig und reagiert auf alle Anschlagsnuancen mit der entsprechenden Feinheit. Hewitt verzärtelt diese Stücke nicht, aber sie weiß auch genau, wo Zärtlichkeit sein darf. Gleichauf ist die Einspielung mit Maria João Pires (1995, DG) zu nennen. Chopin komponiert in seinen Nocturnes keineswegs nur nachtstimmungsselig, sondern durchaus kraftvoll, kontrovers, zupackend. Diese Momente werden gern etwas verharmlost. Nicht so bei der Portugiesin, ihr con fuoco in op. 15, Nr. 1 gelingt grandios; und in den leisen, flüstermysteriösen Stücken, etwa das Dolcissimo am Ende von op. 27, Nr. 2 spielt sie anrührend, aber nicht kitischig. 10 Zurück in frühere Zeiten der Aufnahmetechnik. Aus den 60er Jahren stammen vier Gesamt-Aufnahmen der Nocturnes, die alle ihre Meriten haben. Keine davon möchte man wirklich missen. Der Pole Adam Harasiewicz – 1955 Gewinner beim Warschauer Chopin-Wettbewerb (und danach, übrigens wie Pollini, Student bei Benedetti Michelangeli) – war einer der ersten Pianisten, die sich anschickten, den kompletten Chopin auf Schallplatte festzuhalten. Seine Aufnahme der Nocturnes (1961/63, Brilliant) verrät sein tiefes Verständnis für diese Musik, frei von Zucker und anderen künstlichen Geschmacksverstärkern. Allein wie er den Beginn der f-Moll-Nocturne op.  55,1 vorträgt – so schlicht kann und soll diese Musik klingen. Neben der durch und durch integren Einspielung von Ivan Moravec (1965, Supraphon) – mit viel Ruhe und frei von fragwürdigen Sentimentalitäten – sind der Franzose Samson François (1966, EMI/Warner) und natürlich Artur Rubinstein zu nennen (RCA). François, von Alfred Cortot entscheidend gefördert, spielte, noch an die Traditionen des 19. Jahrhunderts angelehnt, einen etwas rhapsodischen, freieren Chopin. Das zeigt sich schon beim entschlossenen Beginn von op. 55,2. Der erste Ton ist ein verhallendes Ausrufezeichen, bevor der Triller einsetzt, der zum eigentlichen Beginn des Themas überleitet. Rubinsteins Chopin muss man nicht extra würdigen – eine eigene Qualitätsstufe. Man könnte nun überlegen, ob die Einspielungen von Daniel Barenboim (1981, DG) oder Claudio Arrau (1977/78, Philips) auf diesem Niveau mithalten können – im Zweifelsfall wäre die Frage allenfalls mit einem »Jein« zu beantworten. In dieser Liga bewegt sich auch Vladimir Feltsman, der im Jahr 2000 die Nocturnes aufgenommen hat – mit wechselndem Erfolg (Nimbus). Gleiches gilt auch für die Aufnahme mit Maurizio Pollini, der mit seinen frühen Chopin-Aufnahmen Maßstäbe gesetzt hat (Etüden) und über fast vier Jahrzehnte einen Großteil der Chopin-Werke auf CD festgehalten hat. Die Nocturnes hat Pollini erst 2004 aufgenommen, mit der ihm eigenen Grandezza und stellenweise auch jenem Feuer, das wir aus seinen frühen 60er Jahren her kennen. Pollini weiß genau, wie man ein Vorspiel, etwa von op. 62,1 gestaltet, bevor sie die Melodie entspinnen kann. Andererseits wirken einige Passagen etwas 11 marmor-kühl, als wolle Pollini sie vor einer zu großen Emotionalisierung schützen … Während einige Neueinspielungen, etwa die von Yundi Li (Warner) mit ihren übertriebenen Tempo-Dehnungen und -stauchungen, sich als mehr oder weniger überflüssige Beiträge erwiesen haben, hat Nelson Freire im Jahr 2009 eine der insgesamt überzeugendsten, berührendsten Aufnahmen der Nocturnes vorgelegt (Decca). Das ist wahrhaft geheimnisaufspürend und hineinhorchend. Er wagt einige antizyklische Betonungen, aber sie alle machen Sinn. Er löst Dissonanzen elegant auf, er spielt besonnen und nachdenklich, nie bagatellisierend oder beiläufig. Freire beantwortet die Frage nach der richtigen Dosierung, ohne dass er sie überhaupt stellt. Daher klingt diese Aufnahme herrlich natürlich. Wer die Nocturnes auf historischen Flügeln hören möchte, sollte sich an die Veröffentlichungen des Nationalen Chopin-Instituts aus Warschau halten. Dort gibt es eine Gesamtausgabe aller Chopin-Werke, und im Rahmen dieser Edition spielen Alex Szilasi (auf einem Pleyel Pianino von 1847) und Dang Thai Son (auf einem Erard von 1849) die Nocturnes – einige dieser Werke sind sogar von beiden Künstlern aufgenommen worden und bieten so Gelegenheit zu einem direkten Vergleich der unterschiedlichen Instrumente. Christoph Vratz 12 BIOGRAPHIE Maurizio Pollini Maurizio Pollini wurde 1942 in Mailand geboren und studierte bei Carlo Lonati und Carlo Vidusso. 1960 gewann er den Ersten Preis beim internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau. Seitdem konzertierte er in den weltweit bedeutenden Musikzentren mit international renommierten Dirigenten wie Karl Böhm, Herbert von Karajan, Sergiu Celibidache, Claudio Abbado, Pierre Boulez, Riccardo Chailly, Zubin Mehta, Riccardo Muti und Wolfgang Sawallisch sowie mit namhaften Orchestern. Sein Repertoire reicht von Bach bis zur zeitgenössischen Musik und beinhaltet u. a. auch das gesamte Sonatenschaffen Ludwig van Beethovens, das er in Berlin, München, Mailand, New York, London, Wien und Paris aufgeführt hat. Daneben brachte er Kompositionen von Giacomo Manzoni, Luigi Nono und Salvatore Sciarrino zur Uraufführung. 1995 eröffnete Maurizio Pollini in Tokio das Pierre Boulez gewidmete Festival, und im gleichen Jahr sowie 1999 spielte er bei den Salzburger Festspielen Konzertzyklen mit älteren Meisterwerken, aber auch Uraufführungen von Auftragswerken zeitgenössischer Komponisten. Weitere Konzertzyklen spielte er 2002 in der Cité de la Musique in Paris und in Tokio sowie 2003 in Rom. Beim Lucerne Festival 2004 gab Pollini als »Artiste Etoile« einen Soloabend sowie Solokonzerte unter Claudio Abbado und Pierre Boulez. In den letzten Jahren spielte er erneut Konzertzyklen beim Lucerne Festival, in der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom, in der Cité de la Musique in Paris, am Teatro alla Scala in Mailand sowie in Tokio und Berlin. 2010 gab er anlässlich Chopins 200. Geburtstages ein ChopinRecital in der Londoner International Piano Series. Anschließend spielte er das Pollini Project, eine Serie von fünf Soloabenden, in denen er die Entwicklung der Klaviermusik von Bach bis Boulez 13 nachzeichnete und für die er mit dem Royal Philharmonic Society Instrumentalist Award ausgezeichnet wurde. In dieser Spielzeit ist er mit zwei Programmen in der Londoner International Piano Series vertreten. Maurizio Pollini erhielt zahlreiche Auszeichnungen. 1987 verliehen ihm die Wiener Philharmoniker anlässlich der Aufführung der Beethoven-Klavierkonzerte in New York den »Ehrenring«. Er wurde 1995 mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Stadt Salzburg und 1996 in München mit dem Ernst von Siemens Musikpreis geehrt. 1999 erhielt er in Venedig den Rubinstein-Preis und 2000 den Premio »Arturo Benedetti Michelangeli« des Festivals von Brescia und Bergamo. Im Oktober 2010 wurde er in Tokio mit dem Praemium Imperiale ausgezeichnet. 2012 erhielt er den Royal Philharmonic Society Award und 2013 ehrte ihn die Università Complutense in Madrid mit der Laurea Honoris Causa. Seine Platteneinspielungen umfassen u. a. sämtliche Klaviersonaten von Beethoven, eine Gesamtaufnahme der Klavierwerke von Schönberg sowie Werke von Berg, Webern, Nono, Manzoni, Boulez und Stockhausen. Mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und Christian Thielemann nahm er Brahms’ Klavierkonzerte auf. Viele seiner Aufnahmen wurden mit zahlreichen international renommierten Preisen ausgezeichnet. Seine Einspielung der Nocturnes von Chopin wurde 2006 mit dem ECHO, dem Choc de la Musique, dem Victoire de la Musique und dem Diapason d’Or de l’Année sowie 2007 mit einem Grammy und dem Disco d’Oro ausgezeichnet. 2012 erhielt er für seine Einspielung von Brahms’ erstem Klavierkonzert den ECHO Klassik (Konzerteinspielung des Jahres). Zuletzt hörten wir Maurizio Pollini bei uns im Februar 2015. 14 Centrum Köln Vom Einsteigerklavier bis zum Konzertflügel – besuchen Sie das C. Bechstein Centrum Köln! C. Bechstein Centrum Köln In den Opern Passagen · Glockengasse 6 · 50667 Köln Telefon: +49 (0)221 987 428 11 [email protected] · bechstein-centren.de 15 KölnMusik-Vorschau Februar SA 11 21:00 SA 11 Shahrokh Moshkin Ghalam Tanz Zarbang Ensemble Behnam Samani Percussion Reza Samani Percussion Javid Afsari Rad Santur Imamyar Hasanov Kamancheh Andrea Piccioni Percussion 20:00 Avaye Doust Fariba Hedayati Setar Nazanin Pedarsani Tombak, Daf, Percussion Mojgan Abolfathi Daf, Udu, Percussion Shima Boloukifar Kamancheh Solmaz Badri Gesang Magisch meditativ und dann wieder fulminant ekstatisch – in diesen Ausdruckswelten bewegt sich das einzigartige Perkussionsensemble Zarbang seit zehn Jahren. Nicht selten lädt man für die musikalischen Verschmelzungen von persischer Folklore mit der Tradition der Sufis hochkarätige Gäste ein. Diesmal ist es der Tänzer Shahrokh Moshkin Ghalam, der seine internationale Karriere beim legendären »Théâtre du Soleil« startete und dem persischen Tanz mit Elementen des Flamenco eine einzigartig neue Form gegeben hat. Die Liebe zur traditionellen iranischen Musik bekam Fariba Hedayati quasi in die Wiege gelegt. Heute zählt sie zu den furiosesten Virtuosinnen auf der Langhalslaute Setar. Mit ihrem 1994 gegründeten Ensemble Avaye Doust tritt sie regelmäßig auf internationalen Weltmusikfestivals auf. Aber eben auch in der Heimat Iran begeistert diese aus fantastischen Musikerinnen bestehende Formation auf ihren Saiten- und Perkussionsinstrumenten und mit ihren zumeist selbst komponierten Liedern. Die Eintrittskarte hat auch Gültigkeit für das Konzert um 20:00. Die Eintrittskarte hat auch Gültigkeit für das Konzert um 21:00. SO 12 15:00 Filmforum Der Lieblingsfilm von Daniil Trifonov Eyes Wide Shut USA/GB 1999, 153 Min., FSK 16 Regie: Stanley Kubrick Drehbuch: Stanley Kubrick, Frederic Raphael, Musik: Jocelyn Pook Mit: Tom Cruise, Nicole Kidman, Sydney Pollack, Todd Field, Sky du Mont Medienpartner: choices Karten an der Kinokasse KölnMusik gemeinsam mit Kino Gesellschaft Köln 16 Foto: Bernhard Musil Mahan Esfahani Cembalo, Orgel Daniela Lieb Flöte Petra Müllejans Violine Hille Perl Viola da Gamba Mitglieder des Ensemble Modern Der Cembalist und Organist Mahan Esfahani wird in diesem Konzert mit befreundeten Musikern Werke unterschiedlicher Epochen interpretieren, die bei ihren Uraufführungen das Publikum überrascht, nachdenklich gemacht oder verstört haben. Musik, die angeregt hat und im Gedächtnis blieb. Dabei werden u. a. Steve Reichs Kompositionen »Piano Phase« und »Music for Mallet Instruments, Voices, and Organ« sowie Johann Sebastian Bachs »Musikalisches Opfer« und Henri Dutilleux’ »Les Citations« zu entdecken, neu oder wieder zu hören sein. Mittwoch 01.03.2017 20:00 SO DI 12 14 16:00 20:00 Beatrice Rana Klavier Michael Wollny Klavier Vincent Peirani Akkordeon Zürcher Kammerorchester Daniel Blendulf Dirigent Béla Bartók / Antal Doráti Suite für Klavier op. 14 Sz 62 bearbeitet für Kammerorchester Das deutsche Jazzklavier-Wunder Michael Wollny und der französische Jazzakkordeon-Magier Vincent Peirani kennen und schätzen sich schon lange. Geradezu überfällig war es daher, dass sich die beiden mehrfachen ECHOJazz-Preisträger zu einem Duo zusammentun. Und ob Wollny und Peirani nun in ihre Musik Jazz, Klassik, Pop oder Minimal Music einfließen lassen – immer ist man Ohrenzeuge eines musikalischen Dialogs zweier junger Meister auf der Höhe ihrer Kunst. 08.02.2017 20:00 Filmforum Orchester und ihre Städte: Zürich Helmut Käutner: »Die Zürcher Verlobung« MI Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie D-Dur KV 181 (162b) Sinfonie C-Dur KV 551 »Jupiter-Sinfonie« Ludwig van Beethoven Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur op. 15 A ● 15 Sonntags um vier 3 20:00 Daniel Müller-Schott Violoncello Gülru Ensari Klavier Herbert Schuch Klavier MO 13 Johannes Brahms Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1 e-Moll op. 38 20:00 Concerto Italiano Rinaldo Alessandrini Cembalo und Leitung Walzer op. 39 für Klavier zu vier Händen Werke von Claudio Monteverdi, Marco Uccellini, Tarquinio Merula und Adriano Banchieri Variationen über ein Thema von Robert Schumann Es-Dur op. 23 für Klavier zu vier Händen Seit über 30 Jahren garantiert Maestro Rinaldo Alessandrini mit seinem Ensemble Concerto Italiano musikalisch mitreißenden Schwung und herzzerreißenden Tiefgang. Die Musiker besitzen aber auch das nötige komödiantische Talent, um sich ins bunte Getümmel des venezianischen Karnevals zu werfen. Denn neben volkstümlich angehauchten »Scherzi musicali« von Monteverdi präsentieren sie eine Madrigalkomödie, die Adriano Banchieri 1608 für den »fetten Donnerstag«, den traditionellen Höhepunkt des italienischen Faschings geschrieben hat. Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 2 F-Dur op. 99 A ● Paul Hindemith Drei wunderschöne Mädchen im Schwarzwald, Walzer op. 6 für Klavier zu vier Händen 19:00 Einführung in das Konzert durch Bjørn Woll A ● Baroque … Classique 4 Philharmonie für Einsteiger 4 18 Kammermusik 3 Yuja Wang Foto: Deutsche_Grammophon_Nor- spielt Werke von Franz Schubert, Johannes Brahms und Frédéric Chopin 19:00 Einführung in das Konzert koelner-philharmonie.de 0221 280 280 Mittwoch 29.03.2017 20:00 Philharmonie-Hotline 0221 280 280 ­koelner-­philharmonie.de Informationen & Tickets zu allen Konzerten in der Kölner ­Philharmonie! Kulturpartner der Kölner Philharmonie Herausgeber: KölnMusik GmbH Louwrens Langevoort Intendant der Kölner Philharmonie und Geschäftsführer der KölnMusik GmbH Postfach 102163, 50461 Köln ­koelner-­philharmonie.de Redaktion: Sebastian Loelgen Corporate Design: hauser lacour kommunikationsgestaltung GmbH Textnachweis: Die Texte von Christoph Vratz sind Originalbeiträge für dieses Heft. Fotonachweise: Maurizio Pollini © Deutsche Grammophon / Cosimo Filippini Gesamtherstellung: adHOC ­Printproduktion GmbH Grigory Sokolov spielt Werke von Foto: Heike_Fische Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven koelner-philharmonie.de 0221 280 280 Samstag 08.04.2017 20:00