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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen Die Grenzen des Erlaubten (Folge 11) Menschenrechte für Tiere Vom Untertan zum Mitgeschöpf Von Klaus Wilhelm Sendung: Samstag, 8. Oktober 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Gábor Paál Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2015
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MANUSKRIPT Radio Akademie Intro: Die Grenzen des Erlaubten Ansage: Menschenrechte für Tiere – Vom Untertan zum Mitgeschöpf. Eine Sendung von Klaus Wilhelm. Atmo 1: Schafe (läuft unter Text) Sprecherin: Stellen Sie sich das mal vor! Eine Stadt in der fernen Zukunft. Auch Schafe bewohnen den Ort, bewegen sich frei über Grünflächen, dürfen aber nicht überall rein. Für Unterkunft ist gesorgt. Dafür leisten die Tiere den Menschen Gesellschaft, mähen das Gras, sorgen für Dung respektive Dünger für die Gärten. Ihre Wolle wird verkauft, der Ertrag für sie in eine Krankenkasse einbezahlt oder an einen Rechtsbeistand überwiesen. Stellen Sie sich das mal vor! Alle Tiere, die wir domestiziert haben: Nicht nur Schafe, auch Hunde, Katzen, Rinder, Schweine, Ziegen, Hühner, Puten, Gänse, Enten, Kaninchen erhalten eine Staatsbürgerschaft. Sie wären deshalb noch keine mündigen Bürger mit allen dazugehörigen Rechten und Pflichten. Sondern ähnlich wie Kinder – die Staatsbürger sind, aber auch nicht wählen dürfen. Zum Beispiel. Aber mit einem Recht auf territoriale Souveränität und Selbstbestimmung, mit einem Recht auf angemessene Unterkunft, Nahrung und medizinische Versorgung. Auch für einwandernde Tiere wie Füchse, Biber, Waschbären, Spatzen, Ratten. Selbst Ratten. Stellen Sie sich das mal vor! Sprecher: Politische Bürgerrechte für Tiere. Simpel. Provokant. Weit weg. Aber: einer der jüngsten Vorschläge in der Tierethik. Der Ethik um die Rechte und den Schutz des Tieres. Ein Feld, das gepflastert ist mit Fallstricken und widerstreitenden Meinungen. Cut 1: Herwig Grimm Das sind spannende Ansätze, die momentan natürlich a bisserl utopischen Charakter haben. Aber trotzdem, Utopien haben immer die Funktion, Gegenwart reflektieren zu können, also mit der Utopie die Gegenwart zu reflektieren. (Stimme etwas hoch) Sprecher: Herwig Grimm ist Philosoph – und Professor am Messerli-Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Eine außergewöhnliche Einrichtung, in der Tierärzte, Verhaltensbiologen und Philosophen gemeinsam die vielfältigen Beziehungen zwischen Mensch und Tier untersuchen – samt der tierethischen Fragen, die sich dabei zwangsläufig stellen. Atmo 2: Hartes, dumpfes lautes Geräusch („Wommmmmm“) Sprecherin: Die Gegenwart: Allein in Deutschland züchten, mästen und töten wir jährlich 750 Millionen Nutztiere, um uns zu ernähren – obwohl wir ohne Fleisch nicht verhungern würden. Wir halten uns 33 Millionen Streicheltiere. Wir experimentieren jährlich mit 2
drei Millionen Mäusen, Ratten und anderen Tieren in Versuchen zu Forschungszwecken. Cut 2: Herwig Grimm Rechtlich müssen Sie das in Österreich und Deutschland: Sie müssen es als Mitgeschöpf thematisieren und anerkennen. Allerdings, da beißt die Maus keinen Faden ab: Wenn Sie sich anschauen, wie wir mit Tieren umgehen, sind das natürlich nicht einmal Untertanen. Atmo 3: Tierversuchsgegner skandieren in Tübingen Tierversuche gehören ab-ge-schafft! Sprecherin: September 2014: In Tübingen demonstrieren Tierschützer gegen Experimente mit Affen im Max-Planck-Institut für Kybernetik. Sie haben einen Pfleger eingeschleust, der Fotos blutiger Versuchsaffen aufnahm. Die Tierschützer der „Soko Tierschutz“ und ihr Anführer Friedrich Mülln emotionalisieren die Debatte: Cut 3: Friedrich Mülln Heute fand die dritte Großdemo gegen Tierversuche statt. Hier am Tatort, MaxPlanck-Institut Tübingen, wo die Affen leiden, gelitten haben und unsere UndercoverRecherche rechtswidrige Forschung belegt hat. Sprecherin: Die Max-Planck-Gesellschaft und ein Sachverständiger bescheinigen dem Institut, gemäß dem Tierschutzgesetz gehandelt zu haben. Doch die Lage eskaliert. Die Forscher werden sogar bedroht. Die Staatsanwaltschaft rückt ein und beschlagnahmt Material. Und die Debatte um Tierversuche wird, wieder einmal, heftig geführt. Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer: Cut 4: Theresia Bauer In welchem Umfang brauchen wir tierexperimentelle Forschung auch in Zukunft und setzen wir die richtigen Standards und zeigen wir den nötigen Respekt vor der Kreatur? Diese Diskussion hat nicht nur etwas mit Tübingen zu tun. Ich bin sicher, dass wir überwinden müssen die große Emotionalität und dieses Schwarz-WeißDenken „ganz oder gar nicht“. Der Weg wird einer sein, besser abzuwägen und abzuschichten, wo brauchen wir Tierversuche? Was können wir tun, um das Leid zu begrenzen? Aber gerade die biomedizinische Entwicklung wird auch in Zukunft, da bin ich mir sicher, wird es auch in Zukunft notwendig machen, tierexperimentell zu forschen. Atmo 4: Demonstranten Tierversuche gehören ab-ge-schafft. Und wann? Jetzt! Sprecherin: 2. Mai 2015: Das Max-Planck-Institut kündigt an, die Versuche an Affen einzustellen und künftig nur noch an Nagetieren zu forschen. Cut 5: Grimm 3
Grundsätzlich: Die Mensch-Tier-Beziehung fußt drauf, dass wir Tiere instrumentalisieren. Jede Mensch-Tier-Beziehung hat einen Nutzen. Und wir halten Tiere nicht ohne Grund. Egal wo. Und wenn es ein Streicheltier ist, wenn ich einen Hund halte, dann erwarte ich mir auch eine bestimmte Bereicherung meines Lebens zum Beispiel. Und wenn ich einen Goldfisch halte, dann hat der für mich ja einen ästhetischen Wert. Was weiß ich, ja. Die Frage ist aber: Wie weit gehen wir in dieser Instrumentalisierung? So würde ich ansetzen. Da gibt’s unterschiedliche Traditionen. Atmo 5: Clip PETA Dies sind die Körper derer, die Opfer unserer Tierausbeutungsindustrie wurden. Derer, die nie eine Chance hatten und deren Lebenswillen in unserer Gesellschaft kein Gehör findet. Diese Tiere wurden getötet, nur um dann verspeist und vergessen zu werden. Gestorben für ein Stück Fleisch. Sprecherin: Eine PR-Aktion der Tierrechtsorganisation PETA vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Aktivisten bahren tote Körper von Tieren auf, die aus den Kadavertonnen der Intensivtierhaltung in Deutschland stammen. Mehr als 55.000 Mal wurde dieses Video auf Youtube angeklickt – und, dort natürlich, kontrovers kommentiert. Zitator 1: Bin eigentlich ein sehr gelassener Mensch, doch beim Thema Tierleid könnte ich explodieren. Sprecherin: Schreibt ein Nutzer namens Alexander. Ein anderer, Martin, widerspricht: Zitator 2: Tiere zu essen ist doch vollkommen in Ordnung! Wo ist das Problem? Solange man nicht zu viel isst, ist es okay für die Umwelt, Gesundheit etc. Zitator 1: Gott hat Tiere für uns Menschen erschaffen. Wir müssen gut mit ihnen umgehen. Jedoch vegan zu leben, ist keine Lösung. Zitator 2: Lutscht an euren Karotten rum, aber lasst uns „Monster“ in Ruhe unser Fleisch essen. Akzeptanz ist hier das große Wort. Sprecherin: Schließlich meldet sich Nutzerin Sabrina: Zitatorin: Mir kommen einfach nur die Tränen. Sprecherin: Rückblick: Sprecher: 4
Haben Tiere Gefühle, Empfindungen, Gedanken – oder sind es einfach lebende, aber unbeseelte Dinge? Schon seit Jahrhunderten denken Philosophen über diese Fragen nach. Vor allem die Größten der Zunft prägten im 17. und 18. Jahrhundert das Bild vom Tier, das bis Mitte des 20. Jahrhunderts dominieren sollte. Sprecherin: Der berühmte französische Philosoph René Descartes billigt Tieren zwar durchaus eine körperliche Seele und körperabhängiges Sinnesempfinden zu. Aber das ändere nichts daran, dass sie ausschließlich materielle Lebewesen ohne unsterbliche Seele sind. Entsprechend hält Descartes es für kein Verbrechen, Tiere zu töten, zu essen und an ihnen Experimente durchzuführen. Und für den großen Philosophen Immanuel Kant war klar: Insofern Tiere sich nicht selbst mit Hilfe der Vernunft Zwecke setzten, haben sie nur einen relativen Wert. Als Mittel, und heißen daher Sache, wohingegen vernünftige Wesen Personen genannt werden. Atmo 6: buntes Durcheinander verschiedener Tierstimmen Sprecherin: [Je stärker die Philosophie die Fähigkeit zur Vernunft als Wesensmerkmal des Menschen betonten, desto größer erschien die Distanz zu anderen Tieren. Und desto leichter fiel es, von einem fundamentalen statt einem graduellen Unterschied zwischen Mensch und Tier auszugehen.] Nicht einmal Charles Darwin änderte dieses Bild grundlegend. Und das, obwohl seine Evolutionstheorie ja gerade das Gegenteil implizierte, nämlich dass der Mensch mit den Affen verwandt ist. Und alle anderen Tiere in einem weit verästelten Stammbaum untereinander auch. Der Mensch ist biologisch betrachtet ein Tier, mit einer besonderen Entwicklung, aber nichts fundamental anderes als ein Tier. Doch [aus dieser Erkenntnis folgte lange Zeit nichts.] Erst in den 1970er-Jahren leitete der australische Philosoph Peter Singer eine Debatte ein, die seitdem nicht abebbt, wie die Berliner Philosophin und Tierrechtlerin Friederike Schmitz betont: Cut 6: Schmitz Peter Singer hat gesagt, als Utilitarist: Wir müssen bei ethischen Entscheidungen die Interessen aller Betroffenen berücksichtigen. Tiere haben auch Interessen. Also müssen wir ihre Interessen gleichberechtigt mit den Interessen der Menschen abwägen. Und dann kommt raus, dass zum Beispiel nicht ethisch zu rechtfertigen ist, die ethischen Interessen von Tieren – also nicht zu leiden – nicht zu verletzen nur um triviale Interesse von uns – das Interesse am Fleisch – zu befriedigen. Sprecherin: Wenn man die biologisch-geistigen Fähigkeiten zum Maßstab macht, argumentierte Singer, verdienen erwachsene Menschenaffen mindestens denselben Schutz wie dreijährige Kinder. Auch müssten Primaten die gleichen Menschenrechte zugebilligt werden wie geistig behinderten Menschen. Diese Sicht mündete in der These: Tiere haben unverletzliche Grundrechte auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit. Denn: Cut 7: Schmitz Wir Menschen haben Grundrechte nicht nur aufgrund einer Eigenschaft, die nur Menschen haben. Solche Begründungen funktionieren alle nicht. Sondern der Grund, warum wir Menschenrechte haben, ist, dass wir Subjekte eines Lebens sind, also 5
dass wir bewusste empfindende Subjekte sind. Genau das sind aber Tiere auch. Also müssen sie auch entsprechende Grundrechte haben. Es lässt sich also quasi kein Unterschied festmachen zwischen Menschen und Tieren, mit dem man begründen könnte, dass Menschen Grundrechte haben und Tiere nicht. Sprecherin Daraus folgt nach Ansicht dieser Tierrechtsbefreiungsposition: Tiere haben ein Recht auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit. Und: Cut 8: Friederike Schmitz Wir sollten fühlende Individuen, also andere empfindungsfähige Tiere, nicht zu unseren Zwecken nutzen und töten. Das heißt, wir sollten die Tierhaltung zur landwirtschaftlichen Produktion und die Tierversuche und Tiernutzung zu Unterhaltungszwecken etc. pp. abschaffen [und sollten uns zudem um ein möglichst friedliches und faires Zusammenleben mit den nicht domestizierten Wildtieren bemühen. Das ist ja auch so ein Problem, dass wir ständig Wildtiere töten, Arten ausrotten und so weiter.] (Stimme hoch) Atmo 7: Hartes, dumpfes lautes Geräusch („Wommmmmm“) Sprecher: Verhaltensbiologen haben immer wieder Belege dafür gefunden, dass Tiere in der Tat in vielen Fähigkeiten an den Menschen heranreichen. Allenfalls quantitative Unterschiede trennen Menschen und zumindest die anderen Wirbeltiere – Fische, Reptilien, Vögel, Säugetiere. Das zeigen unzählige Studien. Tiere sind hoch intelligent, kognitiv versiert. Der Schimpanse mehr als die Forelle. Der Rabe mehr als der Gecko. Auch manche Individuen mehr als andere. Wirbeltiere zeigen ein breites Gefühlsspektrum von der simplen Angst bis zu Freude, Trauer und Mitgefühl – und Schmerz. [Den fühlen wahrscheinlich sogar Fische. Wenn man narkotisierten Fischen Essigsäure ins Maul spritzt, fressen sie nach dem Aufwachen nicht mehr, haben keinen Fluchtreflex mehr, dafür aber schlägt ihr Herz schneller. Alles Anzeichen von Schmerz. Und sie beginnen, ihr Maul zu reiben. Überdies haben Fische Schmerzrezeptoren. Keine Beweise, aber starke Anzeichen von Schmerz. Cut 9: Herwig Grimm Die schreien halt nicht. Deshalb haben die a schlechte Lobby.] Sprecher: [… sagt dazu trocken Herwig Grimm.] Einige Wirbeltiere planen zukünftige Handlungen. Sie benutzen Werkzeuge. Sie kommunizieren versiert und können sogar basale Regeln von Grammatik. Sie erfinden neue Verhaltensweisen, lernen neue Dinge und geben sie an die nächste Generation weiter. Sie sind Großmeister der sozialen Interaktion, versetzen sich in andere hinein, kooperieren, helfen in Not geratenen Artgenossen und entwickeln füreinander Sympathie oder auch Abneigung. Sie besitzen Persönlichkeit. Tiere der gleichen Art entwickeln sogar unterschiedliche kulturelle Angewohnheiten. So geben Schimpansen in Westafrika die Tradition des Nüsseknackens an ihre Jungen weiter – nicht genetisch. Und die Schimpansen Ostafrikas tradieren die Gabe, mit Stöcken nach Ameisen zu angeln. Cut 10: Ludwig Huber 6
Und alle diese Verhaltensmuster sind in der Fülle ethisch sehr stark aufgeladen, das heißt sie haben Implikationen für die Frage, wie wir solche Tiere, mitfühlende, mitdenkende, selbstbestimmte, zu eigenen Entscheidungen, zu alternativen Abwägungen fähige Lebewesen, behandeln. Sprecher: … sagt der Zoologe Ludwig Huber, ebenfalls vom Messerli-Forschungsinstitut. Atmo 8: buntes Durcheinander verschiedener Tierstimmen Sprecher: Aus diesen Erkenntnissen leitet unsere Gesellschaft samt ihrer Bürger ab: Das Tier gehört geschützt. Und setzt das um in ihrem juristischen System. Zum Beispiel im Tierschutzgesetz. [Zitator 1: Paragraf 1: Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.] Cut 11: Grimm Nichtsdestotrotz ist das Ziel Tierschutz immer auch eines, das auch eingeschränkt werden kann. Und auch eingeschränkt wird. Das sehen Sie zum Beispiel an der Stelle, wo man sagt: Wir dürfen Tiere verwenden. Für wissenschaftliche Zwecke. Aber nur unter bestimmen Bedingungen. Diese Kompromisshaftigkeit wird da recht schön ausgedrückt, eigentlich. Beispielsweise ist vorgeschrieben, dass man nur Tiere verwenden darf, wenn es keine andere Möglichkeit gibt und nur so viele Tiere verwenden darf, wie unbedingt nötig sind. Und die Tiere, die verwendet werden, dürfen nur so verwendet werden, dass sie möglichst wenige Belastungen haben. Das sind noch immer genug Belastungen, da braucht man keine Sorge haben. Sprecher: Der wortgewandte Niederösterreicher betreibt angewandte Tierethik, wie er sagt. Das heißt: Anders als Tierrechtler mit ihrer fundamental oppositionellen Haltung, sucht er nach immer tiefer greifendem Tierschutz im bestehenden System. Es gibt viel zu tun für ihn. Denn das Credo von der „geringen Belastung“ der Tiere interpretieren wir nach Gutdünken. In der Massenhaltung von Nutztieren bis zum Extrem. Da werden männliche Ferkel – nur wegen ihres Geschlechts – ohne Betäubung kastriert. Da sind Tiere so hoffnungslos unterfordert, dass sie sich gegenseitig die Schwänze abbeißen und so eng ineinander gepfercht, dass von art-, geschweige denn tiergerechter Haltung keine Rede sein kann. Cut 12: Herwig Grimm Und da, glaube ich, muss man sich als Gesellschaft natürlich auch die Frage stellen, ob wir es uns uns leisten können, nämlich in moralischer Hinsicht, Tiere auf eine Art und Weise zu halten, die in vielen Bereichen fraglich ist. Ich würde nicht sagen, immer und überall. Doch was das Flächenangebot in industrieller Tierhaltung betrifft, was das Beschäftigungsangebot in industrieller Tierhaltung betrifft, in der Mast von 7
Geflügel und Schweinen, also da gibt es viel Luft nach oben. Und wirklich ein Bedarf, zu verbessern. Atmo 9: Grunzende Schweine in der Experimentalanlage Schwein in Dummerstorf (Atmo läuft durch) Sprecherin: Dummerstorf bei Rostock, Forschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere, Experimentalanlage Schwein. Hier arbeiten Forscher daran, das Wohlbefinden von Schweinen in der konventionellen Haltung zu verbessern. Im Sinne der sogenannten „animal welfare“. Sprecher: Eine weitere Spielart der Tierethik. Sie fordert, dass grundlegende Bedürfnisse der Tiere erfüllt sind: Nahrung, Wasser, Temperatur, Gesundheit, keine negativen Emotionen wie dauerhafte Angst. Dafür positive Emotionen im Sinne des Wohlbefindens. Geistige Unterforderung von Schweinen ist eines von vielen Problemen in der konventionellen Landwirtschaft. Die Wissenschaftler haben eine Methode entwickelt, wie sie den Grips der Tiere in der alltäglichen Haltung animieren. Etwa bei der Fütterung von Zuchtsauen in diesem Stall. Atmo 10: Maschine sagt: Gloria! Sprecherin: Ein Schwein hört seinen Namen – Gloria –, öffnet daraufhin die Tür zu seiner Futterbox, geht rein und frisst seine Ration. Klingt wenig spektakulär. Ist es aber nach Ansicht der Biologin Sandra Düpjan. Es handelt sich nämlich um eine sogenannte Aufruf-Fütterung. Cut 13: Reportage aus dem Stall (Düpjan / Autor) Sandra Düpjan: Im Gegensatz zur Abruffütterung, wo eben jedes Tier individuell seine Futtermenge abrufen kann, haben wir hier das Ganze erweitert. Die Tiere können nämlich nur dann fressen, wenn sie vorher gerufen wurden, mit ihrem individuellen Namen. Den lernen sie am Anfang darüber, dass immer dann, wenn sie Futter bekommen, wird der Name ihnen vorgespielt. Über einen Lautsprecher, der an der Futterstation angebracht ist. Und dann gehen wir eben hin, wenn sie das erfolgreich verknüpft haben, dann ruft man erst, spielt den Namen also ab. Dann muss das Tier wissen, jetzt kann ich hingehen zu der Futterstelle. Und die Tür wird aufgehen und ich kann reingehen und meine Futterportion fressen. Autor: Was hat das mit dem Wohlbefinden der Tiere zu tun? Düpjan: Insofern, dass wir dadurch die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Tiere besser erfüllen. Die Tiere können lernen. Ein Schwein muss auch in freier Wildbahn immer lernen, wie komme ich am besten an Futter? Und das ist ja in der praktischen Haltung an sich überhaupt nicht mehr gefordert. Das ist aber eben auch was, was die Tiere gerne machen. [Das ist mit Belohnung verknüpft. Und deswegen ist das positiv. Und wenn ich das eben ausnutze, dass die Tiere diese Denkleistung bringen können, dann beschäftige ich sie ja sinnvoll.] 8
Sprecher: Durch die Methode geht es sehr gesittet zu im Stall. Die Tiere streiten nicht ums Futter. Sie wirken entspannt und gelassen – im Gegensatz zu Schweinen in einem herkömmlichen Stall. Cut 14: Düpjan / Autor Düpjan: [Wir nutzen hier wirklich mal das Köpfchen, weil Schweine sind sehr intelligent, können wahnsinnig viel lernen und das muss man eben auch ein bisschen ausnutzen, um die Tiere sinnvoll zu beschäftigen. Weil es eben auch nicht langweilig wird, im Gegensatz zu einem Gegenstand, den ich reinhänge, der schnell uninteressant wird. Das ist da eine Herausforderung, die ist jeden Tag wieder akut. Und das muss das Tier jeden Tag wieder lösen: Wie komme ich an mein Futter? Autor: Letzten Endes könnte ja dabei rauskommen, dass die, wenn die mehr beschäftigt sind, dass es weniger von diesen unerwünschten Effekten in der Nutztierhaltung gibt wie Schwanzabbeißen oder so was. Düpjan: Genau,] Wir haben in einem Versuch mit Mastschweinen tatsächlich auch zeigen können, dass die Tiere, die eine Aufruffütterung haben, erstens entspannter sind in anderen Testsituationen. Aber auch ne bessere Immunantwort haben bei einer Entzündung. Die Gesundheit ist bei denen besser. Und sie zeigen weniger Verhaltensstörungen. In dem Fall war das das sogenannte Bellynosing, also das Besaugen und Bearbeiten der Bauchseite von Artgenossen, was teilweise zu schweren Entzündungen führen kann bei dem Tier, was da besaugt wird. Und die Fleischqualität ist auch verbessert. Sprecher: Prinzipiell sei das System reif für die Praxis im konventionellen Schweinestall, meint Sandra Düpjan. Atmo 11: freistehende Atmo, Schweine Sprecher: Doch sind derlei Maßnahmen mehr als Schönheitsreparaturen in einem System, das von Grund auf krankt und das Tier nur als Teil einer industriellen Produktionskette betrachtet? Cut 15: Sandra Düpjan Unser Ziel ist es schon, Forschung zu betreiben unter Bedingungen der konventionellen Haltungssysteme. Der Marktanteil von Bio ist so gering, dass man schon mehr erreicht bzw. für mehr Tiere was erreicht, wenn man ne Verbesserung letztlich entwickelt, die eben für die konventionelle Haltung funktioniert. Sprecher: Diese Verbesserungen würden das Endprodukt – Fleisch- und Wurstwaren – aber teurer machen. Der Verbraucher müsste mitziehen. Der Verbraucher – und seine Moral gegenüber dem Tier: Trotz Zuwächsen in jüngster Zeit leben nach einer repräsentativen Umfrage nur 3,5 Prozent der Deutschen vegetarisch. Viele von ihnen essen dabei Eier und Milchprodukte. Die Zahl der Veganer – sie verzichten auf jegliche Lebensmittel vom Tier – dürfte derzeit die Einprozent-Hürde nicht nehmen. Im Umkehrschluss heißt das: 99 Prozent der Bevölkerung essen tierische Produkte, fast alle von ihnen Fleisch. Die Allermeisten sogar tierische Produkte, die aus der 9
konventionellen Tierhaltung stammen. Und doch bezeichnen sich Umfragen zufolge die meisten Deutschen als tierlieb. Judith Benz-Schwarzburg - ebenfalls Philosophin am Messerli-Institut in Wien – weiß vom Entfremdungsprozess zwischen dem Verbraucher und dem Produktionsprozess tierischer Produkte. Cut 16: Judith Benz-Schwarzburg [Insofern sind psychologische Prozesse interessant, die einsetzen, obwohl wir wissen, wie es produziert wurde. Und obwohl wir wissen, dass das mal ein Tier war. Ganz so einfach, dass wir sagen, es ist ein Entfremdungsprozess, können wir es uns nicht machen. Weil] Ich glaube, dass viele Menschen, wenn sie einen kurzen Moment innehalten oder die ein oder andere Reportage über Schlachtungen, Tiertransporte, Intensivtierhaltung sehen, dann doch ne Ahnung haben. Und dennoch, die Produkte kaufen. Und da ist ganz interessant, dass das Absprechen von Leidensfähigkeit, aber auch das Absprechen von komplexen soziokognitiver Fähigkeiten ne Rolle spielt bei diesem Prozess. Und zwar gibt es psychologische Studien, die ganz schön zeigen, dass Menschen genau denjenigen Tieren, die sie essen wollen, also den klassischen Nutztieren, komplexe kognitive Fähigkeiten absprechen. Das heißt, wir reden dumm, was wir essen wollen. Sprecher: Was, meint die Philosophin, die Bedeutung der Kognition bei Tieren – und deren Erforschung – unterstreicht. Judith Benz-Schwarzburg hat sich intensiv mit den soziokognitiven Fähigkeiten von Tieren beschäftigt. Simpel gesagt: mit ihrer Intelligenz. Und ob sie sich in Artgenossen hineinversetzen können – was als eine der komplexesten Leistungen überhaupt gilt im Sozialleben. Außer dem Menschen schaffen das auch einige Tierarten. Insgesamt sind Wirbeltiere bis hinunter zu Fischen smarter als der Mensch über Jahrhunderte gedacht hat. Die Kognition spielt in der Betrachtung des Mensch-Tier-Verhältnisses für die Philosophin deshalb eine entscheidende Rolle. Denn intelligente Tiere hätten höchstwahrscheinlich auch komplexe psychische Bedürfnisse – exploratives Verhalten, soziale Interaktion und so weiter. Sie lassen sich in Gefangenschaft meist nicht artgerecht erfüllen. Selbst bei höchsten Standards der „animal welfare“ und der Vermeidung von Leid bei der Haltung. Cut 17: Benz-Schwarzburg Und ich glaube, um Ihre Frage zu beantworten, dass wir da tatsächlich nicht alles machen dürfen, was wir tun. Sprecher: Zum Beispiel Menschenaffen und andere Affen in der Forschung zu verwenden. Tiere im Zoo zu halten. Delfine für therapeutische Zwecke einzusetzen. Schweine und andere Nutztiere in der Nahrungsmittelproduktion. Katzen im Haus einzusperren. Derlei intelligente Tierarten mit komplexen Verhalten, plädiert Frau BenzSchwarzburg, seien Subjekte im strengeren Sinne. Sie sollten unveräußerliche Rechte bekommen – ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit und auf Leben. Cut 18: Benz-Schwarzburg Im Moment haben wir eine strenge Trennungslinie zwischen Mensch und Tier. Generell, wenn wir jetzt die großen Menschenaffen mit dazu zählen zu der 10
moralischen Gemeinschaft, in die auch der Mensch gehört und wir bestimmte starke Rechte zugestehen, dann muss diese Grenze, wenn sie auf Kognitionsargumenten basiert, sicher eine sein, die grundsätzlich offen ist für jede andere Tierart, bei der ähnliche vergleichbare komplexe Fähigkeiten vorkommen. Vielleicht sogar für jede Tierart, wo wir es nicht genau wissen. Weil im Zweifelsfall für den Angeklagten. Weil wir nicht wissen, was die Forschung in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren zeigen könnte. Sprecher: Ein Recht auf Leben! Dürfen wir Tiere töten? Und falls ja, wann? Cut 19: Benz-Schwarzburg Warum sollte sich die Tötungsfrage nicht stellen? Beim Menschen stellt sie sich doch auch? Liefern Sie mir erst mal einen Grund dafür, warum sie beim Tier nicht auftauchen sollte? Menschen, die meinen, die Tötungsfrage stellt sich nur beim Menschen, müssten darlegen, warum das so sein sollte. Ich finde, da gibt’s Erklärungsbedarf von seiten derjenigen, die das ablehnen. Und man kann natürlich so argumentieren, dass Mensch und Tier grundsätzlich verschieden sind. Weil das Tier hat kein Wissen über die eigene Zukunft, kein Interesse am Weiterleben. Es ist kein Subjekt. Was auch immer Sie da bringen. Aber meiner Meinung nach werden alle diese Dinge zunehmend auch durch die Kognitionsforschung infrage gestellt. Sprecher: Nach dem herrschenden Paradigmen der angewandten Tierethik, der Animal Welfare, ist das zentrale Kriterium für den Umgang mit Tieren die Vermeidung von Leid. Doch nun folgendes Gedankenexperiment: Sprecherin: Eine Gruppe Jugendliche fängt eine Katze. Einer der Jugendlichen steigt auf eine Mauer und springt der Katze auf den Kopf. Einfach so. Die Katze ist sofort tot. Sie wurde nicht gequält. Sie hat nicht gelitten. Sprecher: In einem moralischen System, in dem nur die Leidvermeidung eine Rolle spielt, wäre dieses Verhalten nicht verwerflich. Die meisten Menschen jedoch würden es intuitiv verurteilen. Für Benz-Schwarzburg ein Beleg dafür, dass wir uns bei jeder Tiernutzung immer Fragen stellen müssen, die darüber hinausreichen, wie wir die Nutzung von Tieren mit möglichst wenig Leid gestalten können. Es muss – wie es das Tierschutzgesetz auch vorsieht – stets einen vernünftigen oder hinreichenden Grund geben, um ein Tier zu töten. Nur Leid zu vermeiden genüge nicht. Doch was ist ein hinreichender Grund? Cut 20: Benz-Schwarzburg Und ich finde diesen hinreichenden Grund sehr wichtig für alles, was wir tun. Also ich zum Beispiel würde eigentlich verlangen, dass jemand einen guten Grund haben sollte, einen Mensch oder ein Tier zu töten. Allein der Wunsch, Fleisch zu essen, weil es mir schmeckt oder weil ich das ästhetisch mag, würde mir zum Beispiel nicht ausreichen, um ne Tötung zuzulassen. Und das würde auch beim Menschen auf gar keinen Fall so gelten. 11
Sprecher: Herwig Grimm, der Chef von Judith Benz-Schwarzburg, sieht das pragmatischer. Die Tötung von Tieren hält er in der Nahrungsmittelproduktion dann für gerechtfertigt, wenn gewisse Standards in der Haltung gegeben sein. Nämlich dann, wenn die Tiere nicht leiden und die Haltungsbedingungen vertretbar seien. Was die konventionelle Tierpoduktion eben nicht leistet. Die biologische Landwirtschaft in seinen Augen sehr wohl. Insofern hat es jeder Mensch selbst in der Hand, Tierleid zu reduzieren. Nicht als Konsument, wie er sagt. Sondern als Bürger. Denn der Konsument trifft im Supermarkt eine komplett rationale Entscheidung: Er entscheidet sich meist für das günstigste Produkt. Cut 21: Grimm Was wir leider zu wenig in der Debatte haben, dass alle die Leute, die an dieser Nahrungsmittelkette dran hängen – Konsumenten, Produzenten, Handel und auch Veterinärmediziner – dass alle diese Leute gesellschaftliche Verantwortung tragen. Nämlich als Bürger. Und sie sind auch aufgerufen, eine Gesellschaft weiterzuentwickeln, was Mensch-Tier-Beziehung betrifft. Ich für mich habe diese Entscheidung getroffen. Ich lege bei meinem Konsumverhalten mehr Wert auf die Haltungsbedingungen, dass die gut waren bei den Tieren. Wenn ich Tiere kaufe, dann nur biologisch gehaltene. Das heißt auch: mehr Flächenangebot, Tageslicht. Das sind ja alles Dinge, die sich unmittelbar daran knüpfen. Sprecher: Grimms Berliner Kollegin [Friederike Schmitz] verzichtet – ganz getreu ihrer radikalen Tierrechtsposition – komplett auf tierische Produkte. Wie viele junge Menschen vor allem in Großstädten. Vegan ist in gewissen Kreisen hip. Cut 22: Schmitz Ich glaube nicht, dass unsere Kultur irgendwie kaputtgeht, wenn wir keine Currywurst mehr essen. [Dass es nicht leicht ist, sich unbedingt gegen das Normale – und das Normale ist ja im Moment, Fleisch zu essen – das ist es auf jeden Fall. Das erfordert je nach sozialem Umfeld eine Art von Mut. Dass man gegen Normen und eigene Neigungen entscheiden muss, das sehe ich sofort ein.] (Stimme hoch) Atmo 12: buntes Durcheinander verschiedener Tierstimmen Sprecher: Einstweilen erscheinen die Positionen der pragmatischen und der radikalen Tierethik kaum vereinbar. Doch es braucht beide Strömungen, um mehr im Sinne des empfindsamen Wesen Tiers zu erreichen. Und es braucht Bürger, die sich bewusst mit dem Thema auseinandersetzen. Davon gibt es letzten Endes noch viel zu wenige. ***
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