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ACHTUNG SPERRFRIST DONNERSTAG 19.01.2017-‐ 20:00 MEZ
Menschliches Gewebe in einer Petrischale: Forschung und ethische Auswirkung von organoider Technologie Annelien L. Bredenoord1, Hans Clevers2, und Juergen A. Knoblich3
1 Julius Center for Health Sciences and Primary Care, Abteilung für medizinische
Geisteswissenschaften, University Medical Center Utrecht, Utrecht, Niederlande. 2 Hubrecht Institute/Royal Netherlands Academy of Arts and Sciences, Princess Maxima
Center and University Medical Center Utrecht, 3584CT Utrecht, Niederlande 3 IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der österreichischen Akademie der
Wissenschaften. 1030 Wien, Österreich
Jegliche Korrespondenz ist zu richten an J.A.K.
[email protected]
ZUSAMMENFASSUNG
Die Fähigkeit, menschliches Gewebe in vitro aus Stammzellen zu erzeugen, hat in der biomedizinischen Forschungsgemeinschaft, bei Patienten und der Öffentlichkeit hohe Erwartungen geweckt. Diese Organoide ermöglichen Studien um die Entwicklung von Organen sowie die Ausbildung von Krankheiten besser zu verstehen und ermöglichen es auch, Medikamente oder Substanzen direkt auf menschlichem Gewebe zu testen. Organoide halten ihr Versprechen, den gesamten Innovationszyklus in der biomedizinischen Forschung zu beeinflussen. Sie haben Auswirkungen auf Bereiche, die von jeher intensiver ethischer Debatte unterliegen, von Tierversuchen und der Nutzung von embryonalem oder fötalem menschlichen Gewebe bis hin zu Präzisionsmedizin, organoider Transplantation und Gentherapie. Allerdings wirft die organoide Forschung auch weitere ethische Fragen auf, die eine Überprüfung und mögliche Neuausrichtung der ethischen und gesetzlichen Richtlinien verlangen. In diesem Beitrag beschreiben wir den derzeitigen Stand der Forschung und diskutieren die ethischen Auswirkungen der organoiden Technologie.
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Einleitung
In den vergangenen Jahren konnte man eine Wiederentdeckung der 3D-‐‑ Zellkultur-‐‑Technologien erkennen, die ursprünglich in den 80er und 90er Jahren [1,2,3] entwickelt wurden, als die Trennung und Wiederzusammenführung von Zellen aus sich entwickelnden Organen in 3D genutzt wurde, um die induktive und Adhäsionsprozesse leitende Organogenese zu verstehen. In den letzten 10 Jahren sind Organoide in der wissenschaftlichen Literatur wieder häufiger geworden, wenn auch in einer etwas anderen Form. Ein Organoid definiert sich nun als eine 3D-‐‑Struktur, gewachsen aus Stamm-‐‑ und Vorläuferzellen und bestehend aus organspezifischen Zelltypen, die sich selbstständig über Zellsortierung und räumlich beschränkte Abstammungsbindung organisieren [1]. Das Spannendste daran ist, dass viele neue Studien Kulturtechnologien beschreiben, die ermöglichen, dass sich menschliche Stammzellen selbst in 3D-‐‑ Strukturen organisieren und so wesentliche strukturelle und funktionale Eigenschaften einer Vielzahl von bestimmten Organen offenlegen. Menschliche Organoide wurden für eine Vielzahl von Organen etabliert, darunter Darm, Niere, Bauchspeicheldrüse, Leber, Gehirn und die Netzhaut [1,2]. Organoide können aus zwei Arten von Zellen wachsen: 1) aus pluripotenten Stammzellen, wie embryonalen Stammzellen (ES) und induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) oder 2) aus organbeschränkten adulten Stammzellen (aSCs). Beide Ansätze hängen entscheidend vom Expansions-‐‑ und Organisationspotenzial der Zellen in der Kultur ab. In einem typischen organoiden Protokoll werden diese Stammzellen in Richtung besonderer Abstammungslinien getrieben, und zwar über Kombinationen an Wachstumsfaktoren in Kulturmedien. Indem man zulässt, dass die Zellen auf
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kontrollierte Weise mit definierten Medien differenziert werden, folgen die meisten organoiden Methoden den endogenen Zellschicksal-‐‑Signalwegen Sie wiederholen entweder die Organentwicklung ausgehend von pluripotenten Stammzellen oder rekapitulieren die Reparatur von adulten Organen aus adulten Stammzellen in einer Kulturschale [2]. Eine 3D-‐‑Unterstützungsmatrix ist von wesentlicher Bedeutung, typischerweise Matrigel , die ermöglicht, dass ®
diese Ereignisse in derselben 3D-‐‑Ausrichtung auftreten, wie sie in vivo auftreten würden. Das Ergebnis ist ein in vitro-‐‑Gegenstück zum Organ, das sowohl der Architektur als auch der Physiologie auf akribischer Detailebene ähnelt [1, 2, 3]. Da Organoide die Entwicklung und Erhaltung eines menschlichen Organs nachbilden, haben sie das Potenzial, die biomedizinische Forschung zu revolutionieren und die Arzneimittelforschung zu verändern. Von Patienten abgeleitete Organoide bieten Möglichkeiten, Pathologien menschlicher Erbkrankheiten in einer Petrischale nachzuahmen und eine personalisierte Behandlung zu entwickeln, sei es für Erbkrankheiten oder Krebserkrankungen [2,3,4,5,6]. Wir erwarten, dass die organoide Technologie Einfluss auf die ethischen Dimensionen in Zusammenhang mit dem gesamten Innovationszyklus in der biomedizinischen Forschung hat. Einige dieser ethischen Herausforderungen ähneln denen, die durch die regenerative Medizin auferlegt werden, die darauf abzielt, beeinträchtigte Funktionen durch Reparatur, Austausch oder Regeneration von Zellen, Geweben oder Organen wiederherzustellen [7]. Daher verlangt der Einfluss der Organoide auf die Grundlagenforschung, die klinische Forschung und die Präzisions-‐‑ und regenerative Medizin eine umfassende Beurteilung der ethischen und gesellschaftlichen Auswirkungen.
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Die Entwicklung der organoiden Technologie gestaltet die experimentelle Stammzellenbiologie in Bereichen, die traditionell Gegenstand intensiver ethischer Diskussionen sind, neu, dazu gehören Tierversuche und der Einsatz menschlicher Embryonen für die Forschung. Nachstehend beschreiben wir den derzeitigen Stand der Forschung und diskutieren die ethischen Aspekte, die von organoider Technologie betroffen sind. Obwohl viele dieser Aspekte auf alle Typen der Stammzellforschung zutreffen, sind wir der Ansicht, dass die öffentliche Aufmerksamkeit, die die Organoiden erfahren, und die Erwartungen, die in diese Art der Forschung gesetzt werden, eine separate Diskussion rechtfertigen.
Der Einfluss von Organoiden auf Tierversuche Tierversuche werden verbreitet eingesetzt, um die menschliche Embryonalentwicklung und Organfunktion zu verstehen [8]. In diesem Sinne beinhalten Krankheitsforschungsstrategien häufig die Erstellung von Tiermodellen. Labortiere – üblicherweise Mäuse -‐‑ werden genetisch verändert oder anderwertig manipuliert, um einen umfassenden Satz an Symptomen in Zusammenhang mit einer bestimmten Krankheit zu entwickeln. Histologische und biochemische Analysen solcher Krankheitsmodelle liefern wertvolle Einblicke in die zugrundeliegenden Krankheitsmechanismen. Darüber hinaus können Tiermodelle dabei helfen, Wirkstoffe zu identifizieren, Moleküle, deren gehemmte Aktivierung diese Symptome lindern oder aufheben. Letztlich können Tiermodelle dazu verwendet werden, die Wirksamkeit und Nebenwirkungen chemischer Verbindungen vorherzusagen, die diese Medikamentenziele beeinflussen.
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Obwohl Tiermodelle höchst erfolgreich waren, wurde die Übertragung ihrer Ergebnisse auf den Menschen zu einem Engpass in der Krankheitsforschung und Therapieentwicklung [9]. Große Unterschiede im Stoffwechsel und der Regulierung von Größe und Lebensdauer tragen alle zu der Tatsache bei, dass die meisten Medikamente, die an Tieren entwickelt wurden, letztlich in klinischen Studien am Menschen scheitern. Organoide bieten eine Alternative. Sie werden aus menschlichen Zellen generiert und ahmen daher den menschlichen Stoffwechsel und die Zellteilung nach. Obwohl keines der derzeit verfügbaren organoiden Modelle die komplette Physiologie eines menschlichen Organs rekapituliert, wurden Organoide bereits erfolgreich für die Krankheitsmodellierung und Medikamentenforschung eingesetzt, z. B. für die Entwicklung individualisierter menschlicher Krebsmodelle [4,10] oder für die patientenspezifische Beurteilung der therapeutischen Wirkungen von Mukoviszidose-‐‑Medikamenten [11]. Die Entstehung organoider Modelle hat einen bedeutenden Einfluss auf die laufende ethische Debatte zu Tierversuchen. Derzeit ist das Opfern von Tieren zu Forschungszwecken – aber auch zum menschlichen Verzehr -‐‑ gängige Praxis, jedoch weit davon entfernt, ethisch neutral zu sein [12]. Es sind verschiedene Sichtweisen zur Akzeptanz des Einsatzes von Tieren für die Forschung vorhanden [13]. Strikte Gegner von Tierversuchen sind der Ansicht, dass jegliche Art von Tierversuchen moralisch nicht vertretbar ist, unabhängig vom Zweck oder dem möglichen Nutzen [14]. Eine Sichtweise von vielen ist es, Tierversuche unter strengen Auflagen zu akzeptieren. Eine Reihe von Bemühungen, häufig zusammengefasst als die 3Rs (Replacement – Reducement – Refinement [Ersatz -‐‑ Reduzierung -‐‑ Verfeinerung]) wurde international als
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Werkzeug der öffentlichen Politik gut angenommen, um ein Gleichgewicht zwischen der Möglichkeit von Tierversuchen und dem gleichzeitigen Respekt gegenüber Tieren zu schaffen. Dies beinhaltet den Ersatz von Tierversuchen durch alternative Methoden, die Reduzierung der Anzahl benötigten Tiere und die Verfeinerung der Verfahren, sodass die Tiere weniger Schäden erleiden [13]. Obwohl diese Grundsätze gemeinhin anerkannt sind, führten sie zu unterschiedlichen Auslegungen und verschiedenen Konflikten bei der Reduzierung/Verfeinerung. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn es um die Wahl zwischen weniger Schäden an den Tieren oder mehr Schaden an weniger Tieren geht, z. B. durch Einsatz eines Tieres für jedes Experiment oder den wiederholten Einsatz von Tieren in verschiedenen Experimenten oder von niederen Spezies in einer höheren Anzahl oder höheren Spezies in einer geringeren Anzahl einzusetzen. [13] Dieses komplexe ethische Dilemma steigert die Notwendigkeit ergänzender oder alternativer Ansätze.
Organoide Technologie kann als die lang erwartete Alternative zu Tierversuchen angesehen werden. Allerdings bestehen derzeit einige Einschränkungen der meisten organoiden Protokolle, die deren Fähigkeit, Krankheiten nachzubilden, einschränken. Ein Punkt ist, dass, obwohl Organoide häufig die Organhistologie im kleinen Maßstab rekapitulieren, ihre allgemeine Form oft variabel ist und es ihr an der definierten reproduzierbaren allgemeinen Architektur, die für ein menschliches Organ typisch ist, fehlt [1]. Künftig kann diese Einschränkung durch die Verwendung spezieller „biologischer“ Gerüste überwunden werden, die die organoide Größe standardisieren und reproduzierbare Polaritätsachsen erzeugen [15,16]. Der zweite Punkt ist, dass die meisten organoiden Protokolle keine Blutgefäße aufwiesen, wodurch die
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organoide Größe und Komplexität eingeschränkt wird und aufgrund von unzureichender Sauerstoff-‐‑ und Nährstoffversorgung Artefakte erzeugt werden. Wie bereits gesagt, kann dieses Problem möglicherweise überwunden werden, und zwar durch die Co-‐‑Kultivierung von Organoiden mit Blutgefäßen, die unter Verwendung eines von mehreren in vitro-‐‑Protokollen, die bereits vorhanden sind, generiert werden. Gleichermaßen fehlt den aktuellen organoiden Protokollen das periphere Nervensystem, das die meisten Organe anregt. Der dritte Punkt bezieht sich auf die Tatsache, dass Organoiden derzeit Immunzellen fehlen und sie daher keine Interaktionen mit dem Immunsystem wiedergeben. Obwohl diese Probleme durch die Entwicklung geeigneter Co-‐‑ Kultur-‐‑Protokolle überwunden werden könnten, ist es unwahrscheinlich, dass Organoide das detaillierte Verständnis von Immunreaktionen so rekapitulieren können, wie es in Tiermodellen erhalten werden kann.
Zusätzlich zu diesen technischen Einschränkungen gibt es eine Reihe von Entwicklungs-‐‑ und Krankheitsaspekten, bei denen es eher unwahrscheinlich ist, dass sie je in Organoiden nachgebildet werden können. Dazu gehören komplexe und unerwartete Wechselwirkungen, die auf Organismus-‐‑Ebene zwischen verschiedenen Geweben und Organsystemen auftreten, die nur im Zusammenhang mit dem ganzen Tier entdeckt werden können. Ein Beispiel hierfür ist, dass, obwohl Krebs in Organoiden nachgebildet werden kann [4], die komplexen Wechselwirkungen, die zu Organabbau führen, nicht nachgebildet werden können. Die jüngste Identifizierung äußerst komplexer Organwechselwirkungen bei Adipositas, die sowohl das Darm-‐‑Mikrobiom, das parasympathische Nervensystem und die Bauchspeicheldrüse [17] einbeziehen, bietet ein weiteres anschauliches Beispiel für komplexe
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Organwechselwirkungen, deren Ermittlung der Experimente an Tieren bedarf. Somit ist es unwahrscheinlich, dass Organoide Tierversuche jemals vollständig ersetzen. Um es nach Aristoteles zu formulieren: der Körper ist größer und komplexer als die Summe seiner Teile. Während also Tierversuche niemals völlig überflüssig werden, beeinflusst die organoide Technologie dennoch die Ethik von Tierversuchen. Die Verwendung von Organoiden ist eher ergänzend als konkurrierend zu diesen klassischen Forschungsmethoden zu sehen. Jedoch könnte sich die Beweislast für den Einsatz von Tieren möglicherweise hin zu einem Paradigma der „Einhaltung oder Erklärung" verschieben: entweder verwendet man Organoide oder man erklärt, warum Tierversuche notwendig sind. Die Begründung, Tierversuche dem Einsatz organoider Modelle vorzuziehen, könnte von Fall zu Fall erforderlich werden. Sowohl das ethische Paradigma als auch die Gesetzgebung zu Tierversuchen bedürfen möglicherweise der laufenden kritischen Prüfung. In vielen Regionen der Welt umfassen Gesetze zu Tierversuchen bereits Anforderungen an Verhältnismäßigkeit und untergeordnete Wichtigkeit, das bedeutet, dass Forscher sich kontinuierlich bemühen müssen, Tierversuche zu reduzieren, zu verfeinern und zu ersetzen. Fördereinrichtungen und Forschungsinstitute müssen Richtlinien vorweisen, um zu gewährleisten und zu prüfen, ob die eingereichten Experimente in der Tat notwendig und verhältnismäßig waren und wenn ja, ob die Studien mit den geringstmöglichen negativen Auswirkungen auf die Tiere durchgeführt wurden. Dies kann durch Hinzufügen bestimmter Paragraphen in Förderanträgen erreicht werden, oder indem Prüfer von Förderanträgen diese Paragraphen speziell berücksichtigen oder aber über Tier-‐‑Ethik-‐‑Kommissionen/Forschungs-‐‑
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Ethik-‐‑Komitees. Wissenschaftliche Zeitschriften können hier auch eine Rolle spielen. Sie können die Tier-‐‑Ethikstandards erhöhen, indem Autoren Raum gegeben wird für die Definition von Verfeinerung und Tierschutz-‐‑Maßnahmen, die durch das Forschungsteam getroffen werden [18]. Gleichzeitig bleibt es für die organoiden Forscher wichtig zu betonen, dass grundlegende Einblicke und klinische Behandlungen nicht ohne Tierversuche entwickelt werden können.
Einfluss der Organoiden auf die Forschung an menschlichen Embryonen und Föten Neben ihrer Auswirkung auf Tierversuche beeinflussen Organoide– insbesondere solche, die aus pluripotenten Stammzellen erzeugt werden -‐‑ die Nutzung von Forschungsmaterial, das aus menschlichen Embryonen und Föten gewonnen wird (in Bezug auf Woche 1 bis 8 nach der Befruchtung bzw. Woche 9 und darüber hinaus). Derzeit unterliegt das menschliche Gewebe von Embryonen und Föten einer Vielzahl von Techniken, darunter die Kurzzeitkultur, die Immunfärbung, Genexpressionsstudien und Biochemie. Außerdem wurden Versuche mit Live-‐‑Bildgebung an menschlichen fötalen Gehirnen durchgeführt, die zu bedeutenden Einblicken in die Bildung des menschlichen Gehirns führten [19]. In einem aktuellen Beispiel wurde menschliches embryonales Gehirngewebe verwendet, um die Verbindung zwischen Zika-‐‑Virus und den damit verbundenen Gehirnentwicklungs-‐‑ Pathologien zu erklären [20,21]. Es gibt unzählige Sichtweisen dazu, ob es gerechtfertigt ist, menschliche Embryonen für die Forschung zu erschaffen und zu verwenden. Im Großen und
Ganzen können drei Positionen des moralischen Standpunkts zu menschlichen
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Embryonen und Föten unterschieden werden [22,23]. Der erste Standpunkt ist der Ansicht, dass der menschliche Embryo vollständigen Schutz ab der Befruchtung verdient, sei es, da er bereits als Mensch gilt oder aber weil er das Potenzial hat, ein Mensch zu werden. Von dieser Sichtweise aus gilt die Vernichtung menschlicher Embryonen als ethisch inakzeptabel. Diese absolutistische Position wird vor allem durch orthodoxe christliche Traditionen verteidigt [24]. Es ist keine Sichtweise, die allen Religionen gemein ist, da selbst konservative jüdische und muslimische Traditionen die Beseelung des menschlichen Embryos nicht bei der Empfängnis, sondern später in der Entwicklung sehen, der exakte Zeitpunkt variiert jedoch in der Zeit und je nach Denkweise. Der zweite Standpunkt besagt, dass der frühe Embryo bereits ein moralisches Ansehen besitzt, das sich im Laufe der Entwicklung und Schwangerschaft steigert. Die Unterstützung für diese Ansicht umfasst einige Aspekte der menschlichen Entwicklungsbiologie: der frühe Embryo ist bewusstlos (nicht von Gefühl und Bewusstsein geprägt) und kann nicht als Individuum gelten, da die Zwillingsbildung noch eintreten kann [25]. Diese gradualistische oder dazwischenliegende Sichtweise hält die Forschung in frühen Entwicklungsstadien für akzeptabel. Die Position kann auch durch andere moralische Werte ausgeglichen werden, wie das Potenzial, Krankheiten zu verhindern oder zu heilen oder das menschliche Leid zu lindern. Dies hat beispielsweise zur bekannten 14-‐‑Tages-‐‑Regel geführt, die Forschung an menschlichen Embryonen in vitro in dem Zeitraum zulässt, bevor der Primitivstreifen entsteht [26]. Der dritte Standpunkt misst dem frühen menschlichen Embryo keinen unabhängigen moralischen Status bei. Bei dieser Sichtweise können Embryonen bedingt erschaffen und zu Forschungszwecken
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eingesetzt werden. Diese Sichtweise weist Überschneidungen mit der zweiten Sichtweise auf, da sie während der Schwangerschaft dem Fötus einen moralischen Status beimisst, unterscheidet sich aber hinsichtlich der Bewertung des frühen Embryos. Für jeden dieser Standpunkte besteht die Bedingung, dass die Zustimmung derjenigen vorliegen muss, die die Gameten, den sich entwickelnden Embryo oder Fötus zur Verfügung stellen [22,23]. Viele Länder der Welt haben den zweiten, gradualistischen Standpunkt übernommen, der zur allgemeinen Intuition passt, dass der Verlust eines Fötus während der Schwangerschaft zunehmend problematisch wird. Diese Länder erlauben die Forschung an Embryonen unter strengen Kriterien. Gleichwohl erlaubt die Mehrheit dieser Länder nicht die bewusste Schaffung von menschlichen Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken. Üblicherweise ist die Forschung auf Embryonen beschränkt, die aus In-‐‑Vitro-‐‑ Befruchtungen (IVF) zurückleiben. Obwohl dies zu einer gemeinhin akzeptierten Meinung wurde, stellt es ein ethisches Dilemma in sich selbst dar, da das IVF-‐‑Verfahren die Schaffung und Vernichtung von überschüssigen oder ungeeigneten menschlichen Embryonen „ausschließlich" zur medizinischen Behandlung, in diesem Fall die Unfruchtbarkeit, beinhaltet [25]. Formell legt diese gängige Praxis also einen höheren ethischen Wert auf die Behandlung von Unfruchtbarkeit als auf die Entwicklung von Therapien für andere, häufigere und oft tödliche Erkrankungen. Die Entstehung der organoiden Technologie könnte das Gleichgewicht zwischen diesen verschiedenen Sichtweisen beeinträchtigen. Trotzdem müssen sowohl internationale als auch lokale Richtlinien für die Forschung an menschlichen Embryonen nicht unbedingt angepasst werden. Die Mehrheit der
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Regeln umfasst bereits Anforderungen an Verhältnismäßigkeit und untergeordnete Wichtigkeit. Dies impliziert, dass Embryonen nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn keine anderen Forschungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung hat kürzlich ihre Richtlinien zur Stammzellforschung und klinischen Umsetzung [27] überarbeitet, um Genehmigung und Überwachung von einem auf die Forschung an menschlichen Embryonen spezialisierten Aufsichtskomitees [27] zu verlangen. Zumindest müssen die Forscher zunehmend erklären, welche Art (und wie viel) Gewebe oder Zellmaterial notwendig und angemessen ist, das heißt, dass der erwartete soziale Wert der Forschung die moralischen Schäden der Nutzung eines Embryos oder Fötus für die Forschung überwiegt. Dies könnte ein neues Gleichgewicht für die Notwendigkeit und Rechtfertigung der Forschung an Embryonen schaffen. Aus rein wissenschaftlicher Sicht wird die Entstehung der organoiden Forschung wahrscheinlich nicht dazu führen, dass der Bedarf an menschlichen Embryonen abgeschafft werden kann. Tatsächlich kann sie diesen möglicherweise gar erhöhen. Die wachsende Verschiebung von tierischen zu menschlichen Modellen könnten zu einer verstärkten Prüfung der Reagenzien (zum Beispiel Antikörper) und der Forschungsergebnisse an „echtem" menschlichem Gewebe führen, ähnlich wie bei iPS-‐‑basierten Beobachtungen, die derzeit mit dem „Goldenen Standard", den ESC-‐‑Modellen, verglichen werden müssen. Somit kann die Validierung der neu entstehenden organoiden Modelle möglicherweise deren Vergleich mit normalem menschlichem Gewebe erforderlich machen, zumindest zu Beginn, und hierfür ist eine detailliertere Analyse der tatsächlichen menschlichen Embryologie erwünscht. Die jüngsten
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Erklärungen des vom Zika-‐‑Virus ausgelösten Erkrankungsmechanimus haben belegt, wie Experimente an organoiden Systemen und an menschlichem Gewebe ergänzend zusammenspielen können [20,28,29,30,31]. Ohne vorherige Prüfung der organoiden Systeme durch Vergleich mit tatsächlichem menschlichem Gewebe und ohne Bestätigung der Ergebnisse an menschlichen Embryonen [20,21], hätte der Wert dieser Experimente für die daraus resultierenden medizinischen Empfehlungen nicht ausgereicht. Es sollte außerdem darauf hingewiesen werden, dass viele Personen Organoide nicht für eine moralisch neutrale Alternative zu menschlichen Embryonen halten. Somit ist der moralische und rechtliche Status menschlicher Organoide ebenfalls Garant für Diskussionen. Beispielsweise wurde der Wert, den Spender ‚ihren‘ Organoiden beimessen noch nicht betrachtet und sollte von qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden untersucht werden [32]. Spezielle ethische und empirische Forschung ist notwendig, um die Erstellung zunehmend raffinierterer Kulturen, die menschliche Organe, einschließlich des Gehirns, in vitro rekapitulieren, zu beurteilen. Zerebrale Organoide, sogenannte „Mini-‐‑Gehirne" oder „Zerebroide" sind besonders sensibel, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, da sie individuelle kognitive Eigenschaften aufdecken könnten [32]. Es ist beachtenswert, dass in jüngsten Experimenten aus Stammzellen geschaffene embryoide Körper über ein Stadium hinaus entwickelt wurden, in dem der Embryo üblicherweise in den Uterus eingesetzt würde. Obwohl dies möglicherweise die Analyse dieser besonders interessanten Phase der menschlichen Entwicklung zuließe, wurden die Experimente aufgrund der oben genannten 14-‐‑Tages-‐‑Regel vor Ablauf von 14 Tagen unterbrochen [33,34]. Es könnte hilfreich sein, die ethischen Überlegungen, die der 14-‐‑Tages-‐‑
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Regel zugrundeliegen zu überdenken [26]. Schließlich ist es so, dass viele der aktuellen Entwicklungs-‐‑Organoiden aus menschlichen ES-‐‑Zellen stammen, für deren Erstellung der Einsatz und die Vernichtung von Embryonen erforderlich ist, die aus der IVF stammen oder speziell zu Forschungszwecken erschaffen wurden. Im Hinblick auf die Angaben oben gehen wir davon aus, dass Organoide einer weiteren Untersuchung und einer möglichen Neuausrichtung der ethischen und rechtlichen Richtlinien bezüglich der Forschung an menschlichen Embryonen bedürfen. Der Einfluss von Organoiden auf die Forschung an menschlichem Gewebe
Organoide aus adulten Stammzellen stellen ihre eigenen spezifischen ethischen Fragen dar. Um eine stetige Versorgung mit solchen Organoiden zu bieten, müssen menschliche biologische Proben in sogenannten lebenden Biobanken, Sammlungen an menschlichen Biomaterialien für medizinisch-‐‑ wissenschaftliche Forschungszwecke, gelagert werden [10]. Um Material zu sammeln, müssen Biobanken entweder restliche Gewebebestände verwenden, die im Rahmen der klinischen Versorgung übrig bleiben oder Gewebe speziell für die Forschung sammeln. Im Laufe der vergangenen Jahre entstand eine ethische Debatte zu Ethik und Regelung von Biobanken. Organoides Biobanking ist ein vielversprechender und spannender neuer Bereich mit erheblichem Potenzial für wissenschaftliche Forschung, Präzisionsmedizin und dem Gebiet der regenerativen Medizin [10]. Die ethischen Herausforderungen des organoiden Biobanking sind nicht neu, die Lagerung und Verwendung von Organoiden in Biobanken ist eine komplexe konvergierende Technologie, in der verschiedene ethische Diskussionen zusammenkommen [32].
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Erstens, das organoide Biobanking wirft Herausforderungen in Bezug auf die Einwilligung des Spenders auf. Das traditionelle Paradigma für die Verwendung von menschlichem Gewebe zu Forschungszwecken war „Einwilligung oder Anonymisierung": der Forscher kann entweder die Einwilligung des Spenders erhalten oder Maßnahmen ergreifen, um die Probe zu anonymisieren [32,35]. Für organoides Biobanking wird eine komplette Anonymisierung niemals vollständig möglich noch eine bevorzugte Option sein, da dies die Probe von der Geschichte des Patienten trennt und verhindert, dass die organoiden Ergebnisse zum Nutzen des Biobank-‐‑Spenders verwendet werden. Beispielsweise führte die Erzeugung von Mukoviszidose-‐‑Organoiden zur Errichtung eines in vitro-‐‑Systems zur Prognose der Reaktion einzelner Patienten auf ein bestimmtes Medikament -‐‑ ein Experiment, das auf anonymisierte Weise nicht möglich ist [36]. Somit verlangt die Verwendung von menschlichem Gewebe für organoides Biobanking die Berücksichtigung des Einwilligungsverfahrens des Patienten, zum Beispiel eine Einverständniserklärung, mit der der Spender seine ausdrückliche Zustimmung zum Biobanking gibt oder, in diesem Zusammenhang eher unwahrscheinlich, eine Abmeldeerklärung, wobei das Gewebe verwendet wird, es sei denn, der Spender verweigert dies [37]. Das einheitliche Verfahren, die Einwilligung des Patienten auf eine bestimmte Fragestellung der Forschung zu beschränken, zum Beispiel bezüglich einer bestimmten Erkrankung, scheint nicht machbar, da Biobanken von einer Vielzahl von Forschern genutzt werden, die an unterschiedlichen Problemen arbeiten. Häufig ist es die Kombination aus diesen Ergebnissen, die den größten Wert erzeugt. Um diese sich ändernden Bedürfnisse zu erfüllen, haben wir die ‚breite Einwilligung für die Regelung‘ als
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sinnvolle Möglichkeit vorgeschlagen, die Zustimmung zum Biobanking zu erhalten [38]. Dazu wird der Spender über die Regelungsstruktur einer Biobank, einschließlich der ethischen Aufsicht, der Datenschutzrichtlinie, der Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Partnern, der Datenverwaltung, dem Datenaustausch, der Kommunikation mit Spendern und der Rücktrittsrichtlinie informiert [38]. Diese Art der Einwilligung ermöglicht den Spendern, eigenständige Entscheidungen zur Teilnahme an der organoiden Biobank zu treffen und gleichzeitig wird ermöglicht, dass das Material von mehreren Forschern verwendet wird, die an unterschiedlichen Problemstellungen arbeiten. Die Erstellung dieser Art von Einwilligung verlangt selbstverständlich die Errichtung einer festen und zu einem gewissen Grad unveränderlichen Regelungsstruktur, die die Interessen der Vielzahl von Beteiligten schützt und nicht allein durch wissenschaftliche Bedürfnisse angetrieben wird [39]. Zweitens wirft organoides Biobanking spezifische ethische Herausforderungen der Inhaberschaft und der Verwendung auf. Wie Zelllinien haben auch Organoide eine genetische und funktionale Verbindung zum Spender [32]. Im Gegensatz zu Zelllinien jedoch, identifizieren sich die Inhaber möglicherweise sehr unterschiedlich mit komplexen organoiden Modellen, die aus ihren Zellen generiert wurden, eine Tatsache, die während des Einwilligungsverfahrens des Patienten zu berücksichtigen ist. Weitere empirische Studien werden Aufschluss darüber geben, ob sich die Spender möglicherweise anders im Hinblick auf Organoide fühlen, als sie es im Hinblick auf andere Zellen und Gewebe tun, wie sich Spender mit ihren
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Organoide identifizieren, welche Interessen sie an Organoiden haben könnten und ob und in welchem Maße sie die Spende von Gewebe für Organoide gleich oder anders sehen als die anderer Arten von Zell-‐‑ und Gewebeforschung. Solche Studien werden ermitteln, ob eine gesonderte Einwilligung und ein Aufsichtsprozess für die Erstellung von Organoiden notwendig sind. Dies wird tatsächlich für die vielen gewerblichen Anwendungen von organoiden Modellen noch relevanter werden, die während der nächsten Jahre zu erwarten sind [40,41]. Organoide bieten einzigartige Möglichkeiten für die Entwicklung von Medikamenten, die Toxikologie und die Präzisionsmedizin und werden unserer Erfahrung nach für Pharmaunternehmen schnell attraktiv [32,41,42,43]. Zum Beispiel können Organoide für das Medikamenten-‐‑Screening mit hohem Durchsatz verwendet werden und führen letztlich zur Markteinführung neuer Medikamente [44]. Somit erfordert die kommerzielle Nutzung der von Patienten gewonnenen Organoide eine angemessene Regelung der Inhaberschaft und eine gerechte Verteilung der Rechte auf Patienten-‐‑Spender, Forscher und den Ersteller der Organoiden.
Einfluss von Organoiden auf klinische Forschung
Neben ihrer Nutzung als Forschungswerkzeuge wird von Organoiden erwartet, dass sie für die Präzisions-‐‑ und die regenerative Medizin eingesetzt werden. 3D-‐‑organisiertes menschliches Gewebe, das von iPS-‐‑Zellen eines Patienten generiert wird, ermöglicht die Erstellung personalisierter Organoide, die wiederum Tests patientenspezifischer Reaktionen auf bestimmte Verbindungen ermöglichen [11,36]. Darüber hinaus bieten kultivierte Organoide ein erhebliches Potenzial für den Austausch von beschädigtem Gewebe oder gar
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ganzen Organen, ein Potenzial, das in Tiermodellen bereits belegt wurde [45,46,47]. Präzisionsmedizin Personalisierte Medikamententests an Organoiden bieten spannende Alternativen für den derzeit in Phasen unterteilten Medikamententest, bringen aber gleichzeitig neue ethische Herausforderungen mit sich. Gegenwärtig unterscheiden die Forschungsethikkommissionen (oder die Prüfungsgremien, IRBs) und die Gesetzgebung streng zwischen Forschung und medizinischer Versorgung. Organoide könnten die Grenzen zwischen diesen beiden Gebieten möglicherweise verwischen. Einerseits kann der personalisierte Medikamententest an Organoiden als Forschung betrachtet werden, da er Einblicke in die Medikamenten-‐‑ und Krankheitsmechanismen bietet. Andererseits ist er als medizinische Versorgung zu betrachten, wenn er Teil einer Behandlungsstrategie für einen individuellen Patienten wird. Darüber hinaus hängen die aktuellen Richtlinien für Medikamentenerstattung seitens der Versicherungsgesellschaften üblicherweise von den Nachweisen ab, die in großangelegten Studien erhalten wurden. Organoide können eine Überarbeitung dieser Vorgehensweise erforderlich machen, da sie möglicherweise eine neue Art der Beweisführung schaffen, bei der die Wirksamkeit für einzelne Patienten (n=1) oder sehr kleine Patientengruppen belegt werden kann [32]. Die Möglichkeit, einzelne Mukoviszidose-‐‑Patienten für eine selektive Medikamentenbehandlung auf Basis eines organoiden Schwellungstests [36] auszuwählen und die Ermittlung der patientenspezifischen Reaktionen auf verschiedene Medikamente an Darmkrebs-‐‑ oder Bauchspeicheldrüsenkrebs-‐‑
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Organoiden aus Biobanken sind Beispiele für die Leistungsfähigkeit dieser neuen Herangehensweisen [10,48]. Schließlich könnten Organoide den Prozess der Medikamentenentwicklung grundlegend verändern. Aktuelle erste Studien am Menschen sind so konzipiert, dass sie die maximale tolerierte Dosis eines neuen Medikaments untersuchen. Erst wenn das Medikament als sicher gilt, wird in den Studien der Phase II und III die Wirksamkeit ermittelt. Dieser Ansatz setzt die Teilnehmer der ersten Phase unbekannten Risiken neuer Interventionen aus, ohne dass dabei Aussicht auf therapeutischen Nutzen besteht [49]. Wenn Medikamente zuerst an Organoiden getestet würden, könnten oder sollten Studien der Phase I künftig häufiger Sicherheit und Wirksamkeit vereinen [49]. Tatsächlich wurde in Japan ein neues Regulierungssystem eingeführt, um den neuen Herausforderungen der Stammzellbiologie gerecht zu werden, die Ermittlung der Wirksamkeit wurde gar von den klinischen Versuchen vor Markteinführung auf einen Mechanismus nach Markteinführung verschoben. Obwohl ein solches ‚Überholspursystem‘ für die Patienten einen früheren Zugang zu neuen Interventionen bieten könnte, betonen wir den Bedarf eines Verfahrens, das effizient ist und gleichzeitig aber wissenschaftlich beurteilt, ob die neuen Interventionen sicher und wirksam sind [50].
Transplantation von Organoiden Die Transplantation von Organoiden zur Reparatur oder gar zum Austausch von geschädigten Organen bringt spezifische ethische Herausforderungen mit sich. Die kürzliche Entdeckung von transplantierbaren Leberstammzellen, die zu Organoiden weiterentwickelt werden können und
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somit eine schnell verfügbare und anhaltende Hepatozyten-‐‑Quelle [46] darstellen, hat die Möglichkeit der Transplantation dieser 3D-‐‑Kulturen eröffnet und möglicherweise die Aussichten für Patienten mit Lebererkrankungen revolutioniert. Die Umsetzung dieser und ähnlicher Studien von den ersten Studien am Menschen hin zu größeren randomisierten kontrollierten Studien ist für die Untersuchung derer langfristigen Sicherheit und Wirksamkeit von wesentlicher Bedeutung. Allerdings bringen sowohl der umsetzende Schritt in die klinische Forschung als auch die Umsetzung in der Öffentlichkeit ernste ethische Herausforderungen mit sich [51,52]. Erste Studien am Menschen sind naturgemäß ethisch anspruchsvoll, da Risiko und Nutzen vor Verfügbarkeit von in vivo Daten im Menschen geschätzt werden müssen [25]. Neben diesen sogenannten harten, quantifizierbaren Auswirkungen wird die organoide Technologie auch „softe“ Auswirkungen haben, da sie unsere moralischen Handlungen, Erfahrungen, Wahrnehmungen und Lebensqualität beeinflusst [52,53]. Organoide und Stammzellen unterscheiden sich von den herkömmlichen Arzneimitteln auf verschiedene Weisen [54]. Zuerst einmal ist wenig (prä)klinisches Wissen innerhalb dieses wachsenden Gebiets vorhanden. Zweitens sind Tiermodelle möglicherweise keine guten Prädiktoren für das, was im menschlichen Körper abläuft. Drittens verlangt die Transplantation von Organoiden, im Gegensatz zu herkömmlichen Medikamententests invasive Verfahren. Es gibt einige Ausnahmen: Leberorganoidtransplantate können über die Pfortader eingeführt werden und dieses Verfahren wird bereits in laufenden Studien unter Verwendung von adulten Hepatozyten angewendet. Viertens kann der Einsatz von Stammzellen zu unerwarteten Risiken führen; Effekte durch unkontrolliertes und ungerichtetes
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Wachstum können nie völlig ausgeschlossen werden. Letztlich ist das gesamte Konzept der Regeneration von kompletten Geweben oder Organen ex vivo neu und es kann zu unerwarteten Ereignissen kommen. Aus all diesen Gründen stellt die Organoidtransplantation ethisch einen sogenannten ‚komplexen Übergangsversuch‘ dar, in dem verschiedene invasive vermittelnde und Studienverfahren kombiniert werden [55]. Eine solche Studie führt zu ethischen Herausforderungen, die proaktiver Kontrolle bedürfen. Ein interdisziplinärer, vorsichtiger Ansatz ist daher unabdingbar, um die ersten organoiden Transplantationen auf ethisch einwandfreie Weise zu ermöglichen.
Organoide und Gen-‐‑Bearbeitung
Die Stammzellen, die Organoide bilden, können bereits unter Verwendung von Genom-‐‑Bearbeitungs-‐‑Tools, wie CRISPR/Cas9 verändert werden. Die modifizierten Organoide können klonal erweitert und die eingeführte genetische Veränderung kann überprüft werden, während nicht beabsichtigte Effekte durch eine genomweite Sequenzanalyse ausgeschlossen werden können. In der Tat wurde die CFTR-‐‑Gen-‐‑Mutation unter Verwendung von CRISPR/CAS9 in Organoiden, die von zwei Mukoviszidose-‐‑Patienten erhalten wurden, korrigiert [56]. Somit scheint die Kombination aus Gen-‐‑ Bearbeitung und organoiden Technologien ein ideales Instrument für Gentherapie-‐‑Strategien zu bieten. Obwohl wir der Ansicht sind, dass die Ethik der Gentherapie den Rahmen dieses Übersichtsartikels sprengen würde, wird jedoch sofort deutlich, dass die Kombination aus Gen-‐‑Bearbeitung mit regenerativer Medizin auf Basis von Organoiden die hierin dargestellten Überlegungen weiter verkompliziert.
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Auswirkung der organoiden Technologie auf Forschungsethik und Integrität
Das Potenzial und die öffentliche Sichtbarkeit der organoiden Technologie werfen ethische Fragen auf, die nicht nur deren mögliche Anwendung in der Medizin sondern auch die Organoidforschung selbst betreffen. Aufgrund der ständigen steigenden Effizienz und des Tempos in der biomedizinischen Forschung, erreicht die organoide Forschung schnell die Phase der medizinischen Umsetzung, obwohl sie noch immer als „Grenzwissenschaft" gelten sollte. Im Jahr 1992 erstellte Henry Bauer das Konzept eines ‚Wissensfilters‘, um die Erstellung der gemeinhin anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu beschreiben [57]. An der „Grenze" verschwimmt der Fortschritt der wissenschaftlichen Kenntnis, Erkenntnisse sind nicht ausreichend repliziert und oft umstritten. Nach mehreren Durchgängen der Begutachtung durch Kollegen, Veröffentlichung, Replikation und Kontrolle durch andere, haben Erkenntnisse viele Filter durchlaufen und können zu Lehrbuchwissen werden -‐‑ oder aber auch obsolet. „Grenzwissenschaft" hat das Potenzial, bestehende Forschungsparadigmen zu transformieren und Ansätze zu schaffen, die in der „Mainstream-‐‑Wissenschaft" oder der „normalen" Wissenschaft nicht verwendet werden, so Thomas Kuhn [58]. In der Grenzwissenschaft ist es wahrscheinlicher, dass Forscher die Neuheit und die Möglichkeiten der Innovation hervorheben, um die Aufmerksamkeit von Parteien zu erlangen, die für die finanzielle, politische oder moralische Unterstützung von Nöten sind [59]. Obwohl sie relativ unreif ist, hat die organoide Forschung bereits die Phase
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der Kommerzialisierung und der medizinischen Anwendung erreicht und erlegt den Wissenschaftlern, die in diesem Gebiet tätig sind, besondere Verantwortung auf. Biologen, die in der Grundlagenforschung arbeiten, sind vielleicht nicht immer an den unmittelbaren medizinischen Einfluss ihrer Arbeit gewöhnt, wohingegen Mediziner den experimentellen Charakter des Großteils der organoiden Forschung unterschätzen. Einzelne Organoide können sehr variabel sein und sehr seltene morphologische Merkmale können übermäßig herausragend gestaltet werden, indem bestimmte Bilder oder Ergebnisse ausgewählt werden. Außerdem fehlt es Organoiden an vordefinierten Polaritätsachsen, dies erschwert die Interpretation einzelner 2D-‐‑Bilder ohne die gesamte 3D-‐‑Architektur des Organoids, aus dem sie ausgewählt wurden, zu kennen. Um diese Komplikationen zu vermeiden ist die Errichtung eines organoid-‐‑ spezifischen Qualitätsstandard für die Analyse von Krankheitsphänotypen wichtig. Jedes Experiment muss von ausreichend Informationen begleitet werden, um die gesamte Qualität des spezifisch gewählten Protokolls zu beurteilen. Darüber hinaus wird die 3D-‐‑Rekonstruktion von gesamten Organoiden verdeutlichen, wie die gesamte Morphologie des Organoids zur großangelegten Architektur des entsprechenden Organs passt und ermöglicht die gesamte Platzierung einzelner Bilder innerhalb der gesamten Struktur. Abschließend müssen sorgfältige Statistiken jegliche Schlussfolgerung begleiten, die aus einem organoiden Experiment gezogen wird. Die Gewährleistung dieser umfassenden Qualitätsstandards verankert das langfristige Vertrauen der medizinischen Gemeinschaft in die neu entstehende Technologie. Abschließend wirft das öffentliche Interesse an organoiden Systemen
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besondere ethische Fragen hinsichtlich der Kommunikation mit der Öffentlichkeit, Patienten, Ärzten, Unternehmen und Medien auf. Die Art und Weise, in der Wissenschaft in der öffentlichen Kommunikation dargestellt wird, kann Erwartungen und Verständnis beeinflussen und Debatten zu Richtlinien einen Rahmen geben [60]. Eine ungenaue oder unvollständige Darstellung der Forschung kann verschiedenste negative Folgen haben, beispielsweise bei der Verwendung von Unternehmen, die unbestätigte „Stammzellenbehandlungen" verwenden [27]. Darüber hinaus verlangt die Kommunikation über verschiedene (soziale) Medien in der Regel eine Vereinfachung der wissenschaftlichen Ergebnisse. Obwohl dies für gemeinhin anerkannte wissenschaftliche Ergebnisse völlig legitim ist, wird es problematisch, wenn die Ergebnisse vorläufig sind oder die spezifische Interpretation einzelner Wissenschaftler darstellen. Dies und das öffentliche Interesse an Organoiden und deren Nutzung für die Analyse von Krankheiten in Einklang zu bringen kann zur Herausforderung werden. Dennoch sollte gemeinhin akzeptiert werden, dass Ergebnisse nicht mit der Presse geteilt werden, bevor eine Begutachtung durch einen Kollegen erfolgte, oder aber sollte dies sehr differenziert und vorsichtig geschehen. Obwohl man sich während der jüngsten Untersuchung der Zika-‐‑ Infektionspathologie streng an diese Regel gehalten hat, wurden einige frühere Fälle undokumentierter wissenschaftlicher Ergebnisse an die Presse [61] weitergeben und führten zu Verwirrung. Die allgemein akzeptierte Singapur-‐‑ Stellungnahme zur Forschungsintegrität, die die Grundlage fürviele wissenschaftliche Verhaltenskodizes ist, ist in diesem Punkt nicht ausreichend klar [62].
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Glücklicherweise wurden in die 2016 ISSCR Richtlinien zur Stammzellforschung und klinischen Umsetzung nun explizit Empfehlungen zur öffentlichen Verantwortung von Stammzellforschern aufgenommen. Hoffentlich helfen diese dabei, eine genaue, ausgeglichene und reaktive öffentliche Darstellung der regenerativen Medizin und Stammzellforschung zu fördern [27]. Das wachsende Interesse an der organoiden Forschung kann es für Forschungseinrichtungen erforderlich machen, bestimmte Vorschriften zu erlassen, die Interaktionen mit der Presse vor der Begutachtung durch Kollegen und vor Veröffentlichung schlichten. Dies gilt insbesondere dann, wenn kommerzielle Interessen, wie die Gründung von Unternehmen, auf dem Spiel stehen [63]. In solchen Fällen sollten es Wissenschaftler unterlassen, offenkundig optimistische Behauptungen anzustellen und sollten offen sämtliche Interessenskonflikte erläutern.
Schlussfolgerung
Organoide bieten ein hohes Potenzial dafür, die menschliche Entwicklung und Krankheiten in menschlichem Gewebe zu untersuchen. Organoide Technologie kann Tierversuche reduzieren und möglicherweise die Lücke zwischen der präklinischen Medikamentenentwicklung und Studien am Menschen schließen. Wir gehen davon aus, dass Organoide Modellsysteme werden, die als Ergänzung zu bestehenden Tiermodellen in vivo und zellbasierten in vitro-‐‑Modellen fungieren. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass die organoide Technologie Tierversuche und Experimente an menschlichen Embryonen und Föten vollständig ersetzen wird. In diesem Beitrag haben wir die ethischen Herausforderungen zusammengefasst, die sich aus dieser Technologie ergeben. Organoide stehen mehreren Ebenen der
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Komplexität [64] gegenüber, nicht nur in technischer Hinsicht sondern auch im Hinblick auf ihre ethische Einführung in die Forschung, die klinische Versorgung und die Gesellschaft. Nur indem man sich dem konstruktiven interdisziplinären Dialog zu diesen Problemen verpflichtet, der nicht nur Wissenschaftler sondern auch Patienten, Politiker, Ärzte und die Öffentlichkeit einbezieht, können wir verantwortungsbewusste Innovation und langfristige Akzeptanz dieser spannenden Technologie gewährleisten.
Danksagungen
Wir danken den Mitgliedern unserer Forschungsteams für die zahlreichen Diskussionen, die zu den Ideen führten, die in diesem Artikel zum Ausdruck gebracht werden. J.A.K. bedankt sich bei Ulrich Körtner und Christiane Druml für die aufschlussreichen Diskussionen zur Ethik der organoiden Stammzellforschung und der an menschlichen Embryonen. Wir bedanken uns außerdem bei Madeline Lancaster, Helmuth Gehart und Norman Sachs für die Bereitstellung der Bilder und bei Tibor Kulcsar für die grafische Unterstützung. Die Arbeit von A.L.B. wird von der niederländischen Organisation für Gesundheitsforschung und -‐‑entwicklung ZonMw, Fördernr. 731010020, unterstützt. Die Arbeit des Labors von J.A.K. wird unterstützt von der Österreichischen Akademie für Wissenschaft, dem österreichischen Wissenschaftsfonds (Fördernr. I_1281-‐‑B19 und Z_153_B09) und einer erweiterten Förderung vom Europäischen Forschungsrat (ERC).
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