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Mit Den Mitteln Der Philosophie

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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Mit den Mitteln der Philosophie Wie ein gutes Leben gelingt, trotz kompletter Abhängigkeit Von Ulrich Noller Sendung: 30. Juni 2016, 10.05 Uhr Redaktion: Nadja Odeh Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Zusammen mit seiner Frau und einem Team von Helfern lebt er ganz oben im einzigen Hochhaus des kleinen Städtchens Bammental nahe Heidelberg. Karl Zeidler Ich leide an einer so genannten spinalen Muskelatrophie. Etwas einfacher gesagt: Muskelschwund. Der mittlerweile weit fortgeschritten ist. Ich benötige sehr viel Pflege, Handreichungen. Heute sagt man gerne Assistenz, was ja auch stimmt. Autor Die Diagnose kam, als Karl Zeidler drei Jahre alt war. Das war 1948. Zeidlers Krankheitsvariante ist so selten, dass sie damals in der Literatur noch gar nicht beschrieben war. Schon in der Grundschule, mit acht, war es ihm nicht mehr möglich, beim Morgengebet mit aufzustehen – und stehen zu bleiben. Man dachte damals, der Junge hätte keine große Lebenserwartung, es war nicht vorstellbar, dass er mit seinem Muskelschwund älter und ja, sogar alt werden würde. Karl Zeidler Meine Mutter musste das dann so hören, das war in Ulm, und das werde ich nie vergessen, wie sie das immer erzählte, der hat ein bisschen Schwäbisch gesprochen: „Fraule, Fraule, des isch nix Gutes!“ (..) Das war ein Schock, der sie sehr nieder warf, denn sie hat im Krieg ihren ersten Sohn verloren, 1944, und ich kam 1945 zur Welt. Autor Mit fortschreitender Krankheit nahm für Karl Zeidler auch die Abhängigkeit von Hilfe immer weiter zu. Trotzdem strahlt er, wenn man ihm begegnet, einen ungeheuren Lebenswillen aus, und die Lebenslust blitzt aus seinen Augen. Das ist beeindruckend, wenn man bedenkt dass Karl Zeidler – außer Kauen und Sprechen und Schauen – nichts mehr ohne Hilfe bewerkstelligen kann. Karl Zeidler Die Krankheit (..), das war dann so, dass ich zwar gehen und stehen konnte, aber eingeschränkt. Ich sackte immer wieder mal in mich zusammen, konnte mich selber aber wieder erheben. Das ging so bis zu meinem achten Lebensjahr, dann war damit Schluss, und ich kam aus dem Rollstuhl dann nicht mehr heraus. Allerdings konnte ich noch vieles, vieles, was heute nicht mehr geht, selber machen: Mir das Gesicht 2 waschen und essen. Und wenn ich pinkeln musste, das alles selber erledigen. Also, die Assistenz, von der wir heute sprechen, war damals geringfügiger. Autor Karl Zeidler beschäftigt ein Team von um die zehn Helfern, meist Studenten. Heißt: er ist niemals allein – es sei denn, er bittet darum. Aber auch dann ist der Helfer im Nebenraum. Mehr an Freiheit als ein gelegentlicher „mentaler Hofgang“ ist für diesen Lebenslänglichen nicht möglich. Will er sich am Bart kratzen, den Kopf umbetten, das Hemd zurecht zupfen – für alles braucht Karl Zeidler Unterstürzung. Karl Zeidler Der Muskelschwund tut an und für sich überhaupt nicht weh. Was man dann spürt: Dass einfach anstrengende Dinge nicht mehr gehen. Ich denke jetzt zum Beispiel, probeweise sozusagen, ich möchte meinen Arm heben – aber der hebt sich nicht. Autor Karl Zeidler lebt damit, dass seine Fähigkeiten schwinden und auf Dauer verschwunden bleiben. Besserung wird es niemals mehr geben. Karl Zeidler Relativ neu für mich ist: (..) Die Fähigkeit zu kauen und zu schlucken. Ich muss mittlerweile vieles pürieren lassen, also breiige Sachen, das ist eine Einschränkung, zum Beispiel Fleisch zu kauen, ist sehr anstrengend und muss dann lange im Mund gekaut werden, also (..) ich brauche zum Essen sehr lange. Das ist, weil es ja auch Muskeln sind, die da im Spiel sind, die die Arbeit machen, auch bedrückend. (..) Da habe ich auch jetzt noch, weil es relativ neu ist, mit zu tun. So ein Punkt war, wo ich mich selber noch rasieren konnte, wo ich mir selber die Augen noch auswischen konnte. Wenn diese Fähigkeiten verloren gehen, das tut dann psychisch weh, ja? Autor Kann man unter diesen Umständen glücklich sein? Wie geht ein gelungenes Leben im Zeichen einer solch kompletten Abhängigkeit? Eine Frage der Haltung, meint Karl Zeidler. Und: Ganz wichtig ist natürlich auch das Verhältnis zu den Pflegenden. Karl Zeidler ist im Prinzip der Manager eines mittelständischen Betriebs, dessen Geschäft es ist, sein eigenes Leben am Laufen zu halten. Ein Job, der Fingerspitzengefühl und Umsicht verlangt. Und eine nachhaltige Führungsphilosophie, die die unterschiedlichen Charaktere und Begabungen optimal zum Einsatz kommen lässt. Karl Zeidler (..) ich muss also auf die ca. 10 Leute, meistens sind es Männer, eingehen. Ich muss ja gucken, wie geht es demjenigen, der gerade für mich zuständig ist, wie ist er drauf, was kann er bringen, mit wem kann ich eine kleine Reise machen? Oder, noch andere Fragen: Mit wem kann ich ins Dorf runter marschieren, also mich schieben lassen, und den Berg wieder rauf? Ich muss also abwägen: Ist es sinnvoll, das mit A zu machen oder mache ich es lieber mit B? Auch sind manche Helfer für das, was nachts anfällt, mich auf den Rücken drehen, pinkeln lassen, Schluck trinken lassen und so weiter, das sind kurze, kleine Dinge, aber das kann mancher nicht. Weil er kein Nachtmensch ist, also nicht munter wird, oder es zu anstrengend empfindet. 3 Autor Das Verhältnis von Karl Zeidler zu seinen lebens-erhaltenden Mitarbeitern ist im Grunde paradox: Es ist eine geschäftliche Beziehung – die zugleich voller Intimität steckt. Denn, wie gesagt: die Mitarbeiter sind in fast jedem Moment des Lebens unverzichtbar. Beim Toilettengang. Bei der Körperpflege. Bei Besuchen. Wenn Herr Zeidler anders sitzen möchte – oder wenn er einfach nur mal in Ruhe aus dem Fenster übers verregnete Bammental gucken möchte. Karl Zeidler Ich denke, die so genannte Chemie sollte stimmen, sollte immerhin auf einem gewissen Level sein. Das spürt man relativ früh, bei den ersten zwei, drei Mal schon. Und dann die Fähigkeiten, mit dem Körper eines anderen, also meinem Körper, umzugehen. Manche haben da bei der Körperpflege auch zwei linke Hände, entweder sie trauen sich nicht oder sind aus anderen Gründen überfordert. Aber es ist auch möglich, tiefenpsychologisch gesehen (..), dass sie diese Nähe, die sich eben auch auf die körperliche Nähe ausdehnen muss, dass die ihnen nicht angenehm ist, aber das finanzielle Einkommen ist für sie ja schon wichtig, und die werden auch innerlich abwägen, will ich das machen, ich muss das machen, das ist für die auch ein Dilemma, ja? Autor Hinzu kommt noch eine andere besondere Anstrengung: Da Karl Zeidler jegliche Mittel der Körpersprache fehlen – also: Mimik, spontane Handbewegungen und dergleichen – muss er alles, aber auch alles in Sprache übersetzen. Karl Zeidler Nichtsdestotrotz, so ein lockeres, vertrauensvolles Verhältnis, wo man auch mal miteinander Spaß haben kann, Unsinn erzählen. So, jetzt komme ich auf das Wort nicht... - das Blödeln! - ja, jetzt hab ich´s. Ein Psychologe sagte mal, Blödeln ist Psychohygiene, das, wenn geht, das ist gut, das muss sich irgendwie auf dem Gebiet der Kommunikation ein bisschen treffen. Eine kritische, sehr unangenehme Situation ist, (..) stellen Sie sich vor, ich frühstücke mit einem Assistenten. Er kann es sich leisten, gar nichts zu sagen. Und ich muss: Jetzt möchte ich das. Jetzt möchte ich das andere. Gib mir das noch. Oder auch: Smalltalk fehlt sogar manchmal. So: Heute ist es schön; ach scheiß Wetter, oder furchtbares Wetter. Für mich ist das schwierig. Wenn jemand offen ist, wenn jemand gerne plaudert, ist es für mich viel, viel leichter. Autor Einfühlungsvermögen ist erforderlich, wechselseitige Empathie. Nur: Wer ist das überhaupt, der Andere, das Gegenüber, wie kann man ihn verstehen, sich in ihn hinein versetzen, wo man doch kraft seiner ganz und gar unterschiedlichen Lebensbedingungen und -erfahrungen eben ein GANZ anderer ist, ja sein muss? Wie kommt das erstaunliche Wunder zu Stande, dass wir Menschen auch ein Miteinander haben, das gewissermaßen zwischen uns schwebt? Eine philosophische Grund-Frage, die sich im Leben von Karl Zeidler auf besondere Weise zugespitzt stellt. Und auch noch in einer höchst ungleichen, einer asymetrischen Beziehung: Für den einen ist es ein Job, für den anderen geht es um alles. Das war allerdings, so Karl Zeidler, nicht immer so. 4 Karl Zeidler Es war so, dass die Zivildienstleistenden ja aus ganz anderen Motiven zu mir kamen. Da war die Dienstpflicht, und die haben sich interessiert. Und viele haben das auch wie – die Arbeit an einem Projekt genommen. Sie haben sich – durchschnittlich – im Vergleich zu heute weitaus mehr identifiziert mit mir. (..) – die haben sich so identifiziert, man könnte, man sollte eigentlich von Freundschaft reden. Und das eigentlich asymetrische Verhältnis wurde gar nicht so wahrgenommen. Und sie haben auch meine großen Pläne, die ich hatte, also meinen Entwurf eines Tages, einer Woche, einer Reise, da haben die sich nicht gesperrt. Sondern das fanden die interessant und haben da auch viel mitgenommen. (..) Und das ist heute, auch mit den Assistenten, die sich ihr Geld, was sie brauchen, verdienen, völlig anders. Autor Ein gravierender Aspekt einer Ethik der Pflege in Abhängigkeit ist die Frage der Finanzierung. Die Pflege von Herrn Zeidler ist geregelt, auch und insbesondere finanziell. Das ist gut so, gar keine Frage, und es ist vermutlich in unserer Gesellschaft auch gar nicht anders denkbar. Aber: Dadurch, dass die Betreuung auf diese „buchhalterische“ Weise geregelt ist, wird jede Handlung an Herrn Zeidler auch Teil eines Geschäfts, einer Transaktion. Berührungen ohne „professionellen“ Charakter sind in seinem Leben selten geworden. Karl Zeidler Eigentlich könnte man sagen: Warum stört dich das? Aber mich stört schon, dieser Aspekt, weil... - Ich zögere. - Weil, ich hätte es gern anders, so wie früher bei den Zivis. (..) Ich bekomme ja das zu spüren, dass für den Helfer die finanziellen Mittel wichtig sind. (..) Die meisten sind so eingestellt, aus welchen Gründen auch immer, dass sie eine gewisse Summe von Geld verdienen wollen, verdienen zu müssen, um das und das verwirklichen zu können, zum Beispiel das Studium. Und dann, wenn es geboten wäre, mir mehr zu helfen, sich zurückziehen. (..) Und da fühle ich mich so was wie: missachtet. Das war völlig anders bei den Zivis, weil ich ja wusste, die haben sich aus freien Stücken für diese Dienstart – individuelle Schwerbehindertenbetreuung, so hieß es damals - entschieden, und da kam dieses Gefühl nicht auf. Autor Jemanden wie Karl Zeidler zu betreuen ist bei genauerer Betrachtung eben nicht einfach nur ein Job. Dann zumindest, wenn dem Pflegebedürftigen tatsächlich nicht nur ein Über-leben, sondern ein möglichst gutes Leben möglich sein soll. Und „gutes Leben“, das heißt insbesondere auch: Selbstbestimmung. Karl Zeidler (..) Und ich kann mir vorstellen, dass manche auch, wenn sie sich für den Dienst interessieren, das nicht vor Augen haben oder vor Augen haben können. Manche meinen auch, sie müssten hier noch was verändern oder Farbe in mein Leben bringen oder einen Schwung. Aber all das hab ich ja schon. Ich will ja mein Leben, was sich so auf den Punkt entwickelt hat, weiter leben. Ich möchte jeden Schritt gehen, ich möchte selbst bestimmen. Das ist vielen nicht bewusst. Die wollen sich sehr einbringen, und - (..) die Pflege und die Assistenz wird für mich immer vom Stempel, also von der Eigenart, von der Persönlichkeit des jeweiligen Helfers mit bestimmt. Da kann er auch nichts dafür. Er bringt sich ja selbst mit rein. Und wenn 5 dann die beiden – also er und ich – gut zusammen wirken können, das ist toll. Aber wenn er will mich verändern, sagen wir es ganz kurz, dann wird es sehr, sehr schwierig. Autor Da kann allein schon ein kleiner Ausflug mit dem Rollstuhl zur großen psychochoreographischen Herausforderung werden. Karl Zeidler Jeder Mensch hat ja seine Gangart. Manche haben einen schweren Gang, manche gehen ganz flott und leicht. Ich hatte mal einen, der traute sich nicht, mit mir einigermaßen zügig spazieren zu gehen, der trippelte nur. Und das aus einem Helfer heraus zu bringen, also ihm zu sagen, das kannst du so nicht machen – das bringt fast nichts. Ich kann natürlich vieles selbst bestimmen, und ich kann auch Grenzen setzen. Aber die direkte Umsetzung von einem Plan, da muss ich mich dann oft auch begnügen. Autor Wo nicht Pflegebedürftige einfach mal kurz die Sitzposition ändern, wenn ihnen etwa der Rücken zwickt, muss jemand wie Karl Zeidler einen komplexen Prozess des Zusammenspiels mit anderen in Gang setzen. Wobei die gewünschte Selbstbestimmung schon in kleinen Dingen an ihre Grenzen stoßen kann. Karl Zeidler Es macht traurig, mindestens nachdenklich, aber auch mitunter etwas depressiv. Gottseidank bin ich ein Typ, der in so einer Stimmung nicht lange bleibt. Ich bin leicht da wieder hervor zu holen. Aber ich war auch schon, wenn jemand angelernt werden musste, am Ende der Kräfte, dass ich dann, ja, geschrien habe! Meine Frau hat mich dann beruhigt, das war wichtig. Ich wollte ja den Helfer nicht so attackieren, dass ich ihn runter drücke. Aber für meine Emotionen konnte er das Verständnis auch nicht aufbringen. Autor Ein Mindestmaß an Selbstbestimmung ist im Grunde genommen nur möglich, wenn Karl Zeidler den Chef gibt. Er ist, sagt er, ein Imperator wider Willen. Karl Zeidler Asymetrische Beziehung gibt es zum Beispiel vom Lehrer zum Schüler, vom Boss zum Angestellen (..) - also, wenn derjenige, der anschafft, etwas sagt, und der andere macht das. Das ist asymetrisch. Bei Freunden, bei Ehepartnern sollte es nicht so sein. Diese Asymetrie, die liegt mir auch nicht, aber sie muss, sie muss unbedingt sein. Autor Insofern macht natürlich auch die Sache mit der Bezahlung Sinn: Wo einer den anderen entlohnt, da ist schließlich klar geregelt, wer die Anweisungen gibt und wer sie zu befolgen hat. 6 Karl Zeidler Ich muss sagen, dieses ständige Anschaffen, jetzt gib mir dieses Stück Brot, jetzt gib mir einen Schluck Wein oder Wasser, es gibt ja so unsäglich viele Dinge, und die immer wieder anzuschaffen, immer wieder zu sagen, gib mir, mach mir, was ja auch schon grammatikalisch Imperative sind, ich kann das und habe mich daran gewöhnt – aber müsste ich es nicht mehr machen, wäre ich froh. Autor Jemandem, der von Pflege abhängig ist, auf ideale Weise zu helfen, heißt also, eben jene komplexe Natur des paradoxen Machtverhältnisses von Pflegebedürftigem und Pflegendem so zu gestalten, dass der eine möglichst wenig Imperator sein muss und der andere möglichst wenig Befehlsempfänger. Zugleich muss klar sein, dass es nur und ausschließlich um den Pflegebedürftigen und sein Befinden und seine Vorstellungen geht. Die Asymetrie der Beziehung sollte also möglichst aufgehoben werden – und doch zugleich möglichst vorhanden bleiben. Karl Zeidler Allerdings muss ich sagen, es gibt Phasen, wo die Beziehung, auch wenn sie ungleich ist, auch wenn sie asymetrisch ist, trotzdem gut läuft. Nicht nur mit Befehl und Gehorsam, sondern man kommt sich nahe, man tauscht vieles aus. Es ist ja auch so (..), dass ich Dinge anvertraut bekomme, die man höchstens dem besten Freund sagt. Und da verschwindet dann diese asymetrische Beziehung, sie ist also (..) dass man sich von Mensch zu Mensch auf derselben Ebene begegnet. Autor Freiheit im Sinne von vollkommener Unabhängigkeit ist angesichts all dessen natürlich extrem schwierig. Fast unmöglich sogar. Karl Zeidler hat trotzdem eine Form von Freiheit gefunden, und zwar mit Hilfe technischer Mittel. Karl Zeidler Der freie Wille ist natürlich mehr beschränkt, als bei anderen Menschen. Durchschnittlich gesehen. Ich denke jetzt an etwas – und zwar die Spracherkennung an meinem Computer. Ich kann mich da hinsetzen lassen, das Headset aufsetzen lassen, und dann kann ich sprechen oder im Netz auch surfen und so weiter. Früher war das nicht möglich. Da hatte ich weniger Freiheit als heute. Jetzt muss ich natürlich noch aufpassen, dass mir das bleibt, dass nicht jemand sich hinter mich stellt in den Rücken und liest, was ich schreibe. Das ist ein großer Fortschritt! Durch die Technik kann man die Freiheit erweitern! Das hat mir sehr geholfen. Das ist so mein Reich geworden. Autor Die Freiheit an sich aber findet Karl Zeidler aber insbesondere auch durch das Denken und durch die Philosophie. Karl Zeidler (..) Ich weiß noch, das ist lange her, als ich gerade so einen Spaziergang machte, durch einen Kurs „Grundlagen der Philosophie“, da habe ich mir Gedanken gemacht zu dem Ausspruch, den hat der Kant gemacht, das Ding an sich kann man nicht erkennen, das war eine Erleuchtung sondergleichen! Also, ich kann jetzt nicht erkennen, was im anderen vorgeht. Ich sehe eben mit der Brille, die mir gegeben ist. 7 Sie sehen den Baum anders als ich. Das geht ja so weit – diese Aspekte – das hat mich dermaßen begeistert. Man muss ja nicht alles, was ein Philosoph geschrieben oder gesagt hat, so nehmen, als sei es der Weisheit letzter Schluss, man darf es auch hinterfragen, nicht? Autor Bleibt die Frage nach dem guten Leben. Er könne verstehen, sagt Karl Zeidler, wenn Menschen in seiner Situation darüber nachdenken, ein so beschwerliches Leben zu beenden. Sein Fall ist das nicht. Wohl auch deshalb, weil er die zentrale Frage der Philosophie für sich längst beantwortet hat. Karl Zeidler Ich habe ein gutes Leben. Ich konnte das erreichen und bekommen, was ich mir als junger Mann schon wünschte, eine Familie, ein Kind. Ich denke, dass zu einem guten Leben nicht gehört, dass alle Wünsche in Erfüllung gehen, sondern dass ich mich verwirklichen kann. Also meine Hobbys, meine Interessen, aber auch die kleinen Genüsse im Alltag wie das Glas Wein, die befriedigen mich. Und so würde ich sagen: Ja, ich habe ein gutes Leben. 8