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Interview mit Frau Prof. Dr. Marion Subklewe vom Oktober 2015
Mit körpereigenen Kräften gegen den Krebs Mit der Immuntherapie hat sich in den letzten Jahren eine neue Säule in der Behandlung von Krebs etabliert. Ihre Erfolge bei einigen Tumorarten sorgen nicht nur für Aufsehen in der medizinischen Fachwelt. Besonders Patienten mit fortgeschrittenem Krankheitsverlauf erhoffen sich viel von den neuen Therapien. lebensmut hat Oberärztin Prof. Marion Subklewe zu Erfolgen, Erwartungen und Realitäten befragt. Frau Prof. Subklewe, wie funktioniert die Krebsimmuntherapie grundsätzlich? Im Unterschied zu anderen Therapien wird der Tumor bei der Immuntherapie nicht direkt durch Medikamente etc. attackiert. Vielmehr geht es darum, das Immunsystem des Patienten so zu aktivieren, dass es die Krebszellen abtötet oder aber den Krebs wirksam kontrolliert und am Weiterwachsen hindert. Das Immunsystem als Wächter und Waffe gegen den Krebs? Genau. Die Rolle des Immunsystems bei der Kontrolle maligner Zellen hat die Forscher schon viele Jahrzehnte beschäftigt. Warum erkranken einige Menschen an Krebs, viele andere aber nicht? Heute weiß man nicht nur, dass das Immunsystem in der Lage ist, Krebszellen zu zerstören und Tumoren zu kontrollieren. Zudem kennt man immer mehr Hebel, um die Kraft der Immunzellen gezielt gegen den Krebs zu lenken. Was kann das Immunsystem daran hindern, Krebszellen zu bekämpfen? Wir wissen heute, dass Krebszellen mit der Zeit Eigenschaften entwickeln, mit denen sie die Immunabwehrzellen manipulieren oder lahmlegen können. Oder sie tarnen sich derart, dass sie nicht mehr als entartete Zellen erkennbar sind. Das wachsende Verständnis für die Wirkmechanismen in gesunden wie Krebszellen bildet nun die Grundlage für die Entwicklung neuer, zielgerichteter Medikamente und Therapien. Da aber jede Tumorart unterschiedliche Täuschungs- oder Manipulationsmechanismen zeigt, geht es wesentlich darum, die einzelnen Untergruppen zu differenzieren, um neue, zielgerichtete Medikamente und Therapien zu entwickeln. Welche Formen der Immuntherapie gibt es? Es gibt derzeit drei verschiedene Konzepte: Einmal die Gabe von Antikörpern in Form von Medikamenten, welche die beschriebene Blockade der Immunzellen lösen, so dass unsere „Körperpolizei“, die T-Zellen, die Krebszellen wieder identifizieren, attackieren oder am Wachstum hindern können. Die zweite Möglichkeit besteht darin, T-Zellen zu entnehmen, entsprechend zu präparieren, also quasi „scharfzustellen“, und per Infusion wieder dem Körper zuzuführen. Und schließlich gibt es die Impfung. Dabei werden ebenfalls wieder die Immunzellen aktiviert. Bei den zum Einsatz kommenden Antikörpern unterscheidet man zwischen monoklonalen Antikörpern, welche die Tumorzelle auf verschiedene Weise für das Immunsystem kenntlich machen, und
bispezifischen Antikörpern. Diese Konstrukte greifen mit einem Arm die Tumorzelle und mit dem anderen die T-Zelle. So zusammengeführt, kann die T-Zelle die Tumorzelle zerstören. Wann wird die Immuntherapie eingesetzt? Die Immuntherapie erfolgt im Anschluss an die konventionelle Therapie. Das heißt: Die Chirurgie bleibt unverzichtbar und auch Chemo- und Strahlentherapie behalten ihren Stellenwert. Aber danach, wenn es darum geht, möglichst alle verbleibenden Tumorzellen im Körper aufzuspüren, zu zerstören und so ein Rezidiv zu verhindern, sind die Immuntherapien ideal. Das Problem bei vielen bösartigen Krankheitsformen ist ihr Wiederauftreten. Kommt es zu einem Rezidiv, sind viele Krebserkrankungen nicht mehr heilbar. Wie stark sind die Nebenwirkungen bei den verschiedenen Immuntherapien? Das ist natürlich je Patient und Medikament unterschiedlich, aber viele der Medikamente sind erstaunlich gut verträglich. Die klassischen Nebenwirkungen der Chemo treten nicht auf. Was beobachtet wird, sind Symptome wie bei einer Infektion, Fieber, Gliederschmerzen etc., die in der Regel nach wenigen Tagen verschwinden. Da die Medikamente von den Patienten in der Regel sehr gut vertragen werden, wird die Therapie häufig ambulant durchgeführt. Allerdings treten in seltenen Fällen Autoimmunkrankheiten auf, die beim behandelnden Arzt eine besondere Vorsicht und Verständnis erfordern. Bei welchen Krebserkrankungen kommt die Immuntherapie schon zum Einsatz? Hier ist als Erstes die allogene Stammzelltransplantation zu nennen, die eigentliche Mutter der Immuntherapie. Sie wird bei Leukämien schon viele Jahre standardmäßig durchgeführt. Dabei erhält der Erkrankte Stammzellen eines anderen Menschen, im Prinzip also ein fremdes Immunsystem. Für ihre hohe Heilungsrate sind wieder die T-Zellen verantwortlich, welche die residuellen, d.h. die übriggebliebenen Leukämiezellen eliminieren. Bei den neuartigen Immuntherapien mit im Labor erzeugten Antikörpern ist der schwarze Hautkrebs (Malignes Melanom) ein gutes Beispiel. Schon 2011 wurde ein Antikörper für das fortgeschrittene Melanom zugelassen. Für einen Teil der Patienten werden hier sehr beeindruckende Therapieerfolge erreicht. Wirkt ein Antikörper nur bei einer ganz bestimmten Tumorart? Nicht unbedingt. Das versucht man in sogenannten Basketstudien (Basket Study) herauszufinden. Das sind Studien, in denen verschiedene Krebsarten mit dem gleichen Antikörper behandelt werden. Im Rahmen einer solchen Medikamentenstudie ist beispielsweise herausgekommen, dass das Plattenepithelkarzinom auf den Antikörper für das Maligne Melanom sehr gut anspricht. In Deutschland wurde der Antikörper jetzt im Juli dieses Jahres für diese besondere Form von Lungenkrebs zugelassen. Es geht also schnell voran, nicht nur mit Erkenntnissen, sondern auch bei den Zulassungen? Insbesondere bei den soliden Tumoren sind die immuntherapeutischen Optionen weit fortgeschritten. Die hämatologischen Erkrankungen hinken noch ein wenig hinterher. Aber auch da gibt es bereits sehr erfolgreiche Konzepte und laufende Studien, beispielsweise zu einem der Checkpoint-Inhibitoren bei Morbus Hodgkin, der sicher zur Zulassung kommen wird. Checkpoint-Inhibitoren lösen quasi die Bremsen der T-Zellen, damit diese die Krebszellen attackieren können.
Man muss sich klarmachen, dass die jetzt von mir genannten Beispiele erst den Beginn dieses neuartigen Therapiekonzepts markieren. Eine große Reihe von Medikamenten befindet sich derzeit in frühen Studienphasen und weitere werden erst noch in die Studien gehen. Ich erwarte deshalb, dass in den nächsten zwei bis fünf Jahren sehr viele neue Medikamente in der Klinik gegeben werden. Wo werden die neu zugelassenen Medikamente eingesetzt? Klassischerweise kommen sie zunächst da zum Einsatz, wo keine etablierte Therapie existiert, also bei fortgeschrittenen Krankheitsstadien bzw. in der Drittlinientherapie. Die Bemühungen der Forschung zielen darauf, diese Therapien auch in früheren Stadien zum Einsatz zu bringen. Das bringt uns zu Ihren aktuellen Forschungsprojekten, eines davon eine therapeutische Impfung. Richtig. Unsere klinische Forschungsgruppe für diese Therapie ist am Helmholtz-Institut angesiedelt. Die Patienten werden bei uns am Klinikum Großhadern betreut. Wir impfen Patienten mit akuter Myeloischer Leukämie gegen den schon vorhandenen Krebs, und zwar dann, wenn eigentlich keine Erkrankung mehr nachweisbar ist – die ideale Situation für immuntherapeutische Strategien. Unsere Patienten haben ein hohes Rückfallrisiko mit häufig über 50 Prozent. Da es sich um eine neue Therapie handelt, nehmen nur Erkrankte teil, die eigentlich eine allogene Stammzelltransplantation erhalten sollten, aber aufgrund fehlender Spender, weiterer Erkrankungen oder Alter dafür nicht geeignet sind. Diese Patienten impfen wir mit ihren eigenen Zellen. Dazu entnehmen wir weiße Blutkörperchen und optimieren sie mittels eines im Labor entwickelten „Reifungscocktails“. In einem dreiwöchigen Prozess werden diese dendritischen Zellen auf die Aktivierung der T-Zellen perfekt ausgerichtet. Wie gehen Sie bei der Impfung vor? Die Patienten werden über sechs Monate insgesamt zehn Mal ambulant unter die Haut geimpft. So versuchen wir, die verbliebenen Leukämiezellen zu eliminieren, die für das Rezidiv verantwortlich sind. Bislang haben wir schon über 60 Impfungen gegeben und allen Patienten geht es gut. Allerdings sind wir erst Anfang der zweiten Studienphase. In zwei Jahren werden wir wissen, was der Erfolg unserer Studie ist. Stichwort individualisierte Krebstherapie: Wie lässt sich die Immuntherapie hier einordnen? Natürlich muss man auch in der Immuntherapie personalisiert und individualisiert vorgehen. Ein Beispiel dafür ist unser zweites Forschungsprojekt, eine klinische Studie mit Patienten, die an Akuter Myeloischer Leukämie erkrankt sind. Sie ist im Oktober an sechs Zentren weltweit gestartet und wir sind eines von zwei teilnehmenden deutschen Zentren. Dabei handelt es sich um einen bispezifischen Antikörper. Wir haben schon im Vorfeld über drei Jahre die präklinischen Daten generiert und etliche Faktoren identifiziert, welche die Effektivität dieses Antikörpers beeinflussen können. So können wir vom ersten Studientag an genau auf diese Parameter schauen und zügig sagen, ob ein Patient von der Therapie profitieren wird. Jetzt sind wir gespannt, ob sich das in der Praxis auch bestätigt. Gibt es noch andere Möglichkeiten, wenn das Aktivieren der T-Zellen mit Antikörpern nicht gelingt? Es gibt einen neuen Ansatz, der in den USA schon enormes Aufsehen erregt hat, in Deutschland jedoch noch nicht angewendet wird. Dabei werden T-Zellen entnommen und in der Kultur genetisch
manipuliert. Der ganze Prozess dauert sechs Wochen. Die T-Zellen erhalten dabei ein Konstrukt, das an der Oberfläche wie ein Antikörper funktioniert, während eine Signaldomäne intrazellulär die T-Zelle massiv aktiviert. Die so manipulierten T-Zellen werden vermehrt und dem Patienten als Infusion zurückgegeben. Diese T-Zellen sind in vielen Fällen extrem aktiv, was auch zu teils erheblichen Nebenwirkungen führen kann. Die Patienten können wie bei einer sehr schweren Infektion hohes Fieber, Schüttelfrost etc. bekommen, müssen stationär, teilweise auf der Intensiv behandelt werden und es gab auch tödliche Komplikationen. Aber in 90 Prozent der Fälle – hauptsächlich bei Akuter aber auch Chronisch Lymphatischer Leukämie – gab es unglaubliche Therapieerfolge. Noch sind das frühe Studien, die nichts über das Langzeitüberleben aussagen. Doch die Therapien sind so erfolgreich, dass jetzt schon Pharmafirmen mit aufgesprungen sind und entsprechende Studien auch bei uns starten werden. Was wird getan, um diese Nebenwirkungen in den Griff zu bekommen? Natürlich arbeitet die Forschung schon seit einiger Zeit daran, die Sicherheit dieser T-Zellen zu erhöhen. Zum Beispiel mit Konstrukten, die einen An-/Aus-Schalter integrieren, so dass mit einem zweiten Medikament die manipulierten T-Zellen wieder abgestellt werden können. Mit den wachsenden Erfahrungen mit diesen Zellen verbessert sich auch die Fähigkeit zu erkennen, wann es in die falsche Richtung geht und gegenzusteuern Bis 2016 bei uns die Sache losgeht, werden die TZellen viel besser zu kontrollieren sein.
Das Interview für lebensmut e.V. führte Regine Kramer