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Musikstunde: Geigenbauer I

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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Das turbulente Leben des Christian Friedrich Daniel Schubart (3) Von Stephan Hoffmann Sendung: Mittwoch, 31.08. 2016 Redaktion: Bettina Winkler 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2 2 „Musikstunde“ mit Stephan Hoffmann Das turbulente Leben des Christian Friedrich Daniel Schubart (3) SWR 2, 29. August – 2. September 2016, 9h05 – 10h00 Heute mit Stephan Hoffmann. Es geht in dieser Woche um das turbulente Leben des „Brauskopfs und gewaltigen Trinkers“ Christian Friedrich Daniel Schubart – um den Journalisten, Dichter, Komponisten, aber auch Frauen- wie Alkoholverehrer und Gefängnisinsassen. Ludwigsburg war um 1770 der Mittelpunkt der schwäbischen Welt. 1764 hatte Herzog Carl Eugen seinen Hofstaat von Stuttgart hierher verlegt und ein repräsentatives Schloss samt Opernhaus errichten lassen. Zu einer solchen Residenz gehörte natürlich auch die Halbwelt einschließlich der Prostitution – zumal der Herzog in diesem Punkt mit bestem Beispiel voran ging. Carl Eugens Zeitgenosse Casanova beschrieb die herzogliche Hofhaltung: „Er hatte französische Komödie, italienische, ernste und komische Oper. ...Alle Tänzerinnen waren hübsch und jede rühmte sich, den Herzog wenigstens einmal glücklich gemacht zu haben.“ Nun gab es einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Herzog und dem städtischen Organisten Christian Friedrich Daniel Schubart: Der Herzog als absolutistischer Herrscher war den bürgerlichen Moralvorstellungen entzogen, außerdem war Carl Eugens Ehe längst zerbrochen und seine Frau an den väterlichen Hof nach Brandenburg zurück gekehrt. Schubart war zwar ebenso flatterhaft wie Carl Eugen, aber er war verheiratet, noch dazu mit einer äußerst sittenstrengen Frau. Dazu kam, dass er keinem Streit mit seinem Dienstvorgesetzten, dem evangelischen Dekan Philipp Jacob Zilling, aus dem Weg ging. Zilling war, wie berichtet wird, ein „strenger Eiferer auf der Kanzel“, der in seiner Gemeinde nicht besonders beliebt war und dem die ausführlichen Orgelvorspiele Schubarts ein Dorn im Auge waren. Man munkelte, viele Kirchenbesucher kämen vor allem um des Orgelspiels willen, weniger wegen der moralinsauren Predigten. Zilling forderte Schubart auf, sich auf der Orgel kürzer zu fassen. Sein Vorspiel sei besser als das, was danach komme, gab Schubart zur Antwort. -------------Musik 1: Christian Friedrich Daniel Schubart, Choralvorspiel „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz“. Wilhelm Krumbach, Orgel. Archiv-Nr. 336-4657. Tr. 6. Dauer: 1'41“ ------------Wilhelm Krumbach spielte Schubarts Choralvorspiel „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz“. Nicht nur an seiner Dienststelle hatte Schubart jede Menge Ärger, zu Hause war das nicht anders. 3 Seine Frau Helene ließ sich die zahlreichen Seitensprünge und die sonstigen Eskapaden ihres Mannes nicht gefallen, packte die Koffer und die Kinder und floh wieder einmal zu ihren Eltern nach Geislingen. „Bester Schwager“, schrieb Schubart an diesen, „meine Situation ist verzweifelt. Heute früh versehe ich mein Amt, ich ...komme nach Hause, und Bett, Weib und Kinder sind weg. ...Bester Schwager, lebe wohl! Ich habe viel verdient, aber nicht so viel!“ Eben dieser Schwager schickte ihm in der Folgezeit seine Hausmagd Barbara Streicher, damit sie Schubarts hausfrauenlosen Haushalt einigermaßen in Ordnung halten sollte. Doch Schubart hatte auch eine andere Verwendung für sie: er machte sie zu seiner Zweitfrau. Bei den Ludwigsburger Bürgern und beim Magistrat der Stadt wurde ein derart unmoralisches Verhalten gar nicht gern gesehen, Schubart wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, und das war diesmal kein solch fideles Gefängnis wie das zu Schubarts Studentenzeit in Erlangen, wo er ein Klavier zur Verfügung hatte und Damenbesuch empfing: „Wasser und Brot, Kälte und faules Stroh, Gestank und Ungeziefer fand ich hier zur Pflege,“ beschrieb er diesmal seine Haftbedingungen. Als Schubart das Gefängnis wieder verlassen durfte, wurde er nicht nur aus dem Organistendienst entlassen, sondern auch aus Württemberg ausgewiesen. ----------Musik 2: Schubart, Christian Friedrich Daniel, Sonate für Klavier F-Dur. 1. Satz. KarlHeinz Lautner, Klavier. Archiv-Nr. M0417572. 01-001. Dauer: 2'14“ ----------Karl-Heinz Lautner spielte den ersten Satz aus Christian Friedrich Daniel Schubarts Klaviersonate F-Dur. In Ludwigsburg konnte Schubart nach der Ausweisung natürlich nicht bleiben, aber wo sollte er hin? Es begann eine Zeit der Wanderschaft, mal mit, meist aber ohne Geld und oft genug auch ohne Dach überm Kopf. Wenigstens fanden sich immer wieder wohlhabende Gönner, bei denen er für einige Zeit Unterschlupf fand. Zum Beispiel beim Baron von Kastell, einem Landsitz in der Nähe Heidelbergs. Wieder kamen ihm seine pianistischen wie seine kompositorischen Fähigkeiten zugute: Schubart fantasierte am Flügel, komponierte für das gleichfalls Klavier spielende Töchterchen des Barons ein Rondo mit Variationen, das ich leider nicht auftreiben konnte, und erntete dafür nicht nur viel Beifall, sondern auch die Sympathie und – wichtiger noch – die Gastfreundschaft der adeligen Familie. Dieses Muster wiederholte sich wenig später in Heidelberg: Vorspielen, Beifall ernten, empfohlen werden wieder an einen anderen hochmögenden Herrn. In diesem Fall war das der Graf von Nesselrodt, ein einflussreicher Mann am Hof des Kurfürsten Carl Theodor in Mannheim. Im Hause des Grafen genoss Schubart wieder einmal die Gastfreundschaft eines reichen Gönners und er revanchierte sich durch seinen Beitrag zum abendlichen 4 Musizieren. Daran nahm auch der Graf selber teil – laut Schubart spielte er sehr gut Violine. Wir wissen nicht, was der Graf spielte, aber wir wissen, dass die folgende Violinsonate Mozarts in Mannheim entstand und zwar etwa in der gleichen Zeit, in der auch Schubart Mannheim besuchte. ----------Musik 3: W. A. Mozart, Violinsonate D-Dur KV 306. 1. Satz (Allegro con spirito). Frank Peter Zimmermann, Violine; Alexander Lonquich, Klavier. EMI CDC 7 49712 2. Tr. 1. Dauer: 7'23“ ---------Der Geiger Frank Peter Zimmermann und der Pianist Alexander Lonquich waren das mit dem ersten Satz von Mozarts D-Dur-Violinsonate KV 306. Mannheim muss – nebst Schwetzingen, der Sommer-Residenz des kunstliebenden Kurfürsten Carl Theodor – besonders auf die Komponisten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine geradezu magnetische Wirkung ausgeübt haben. Immerhin war hier nach Auskunft Leopold Mozarts das beste Orchester in Deutschland angesiedelt, es „hat lauter junge Leute durchaus von guter Lebensart, weder Säufer, noch Spieler noch liederliche Lumpen.“ Auch Schubart pries das Mannheimer Orchester in den höchsten Tönen: „Sein Forte ist ein Donner, sein Crescendo ein Catarakt, sein Diminuendo – ein in der Ferne hinplätschernder Krystallfluss, sein Piano ein Frühlingshauch.“ ------------Musik 4: Johann Stamitz, Sinfonie G-Dur. Concerto Köln. Menuetto – Presto. Teldec 3984-28366-2. Tr. 13-15. Dauer: 7'07” -------------Das Concerto Köln war das mit den drei letzten Sätzen von Johann Stamitz' Sinfonia G-Dur, komponiert für die Mannheimer Hofkapelle. Kein Wunder also, dass auch ein herumvagabundierendes Klaviertalent wie Christian Friedrich Daniel Schubart, der wie so oft auf der Suche nach einer attraktiven Festanstellung war, sein Glück auch in der musikgesättigten Atmosphäre in Schwetzingen versuchte. Die Sache ließ sich gut an: „Ich spielte verschiedene Stücke auf dem Fortepiano, sang ein russisches Kriegslied, das ich soeben gemacht hatte, stand auf, sprach über Literatur und Kunst und gewann des Kurfürsten vollkommenen Beifall. 'Ich will ihn öfters hören und sprechen,' sagte er mit heiterster Miene, als ich Abschied nahm.“ Bei seinem nächsten Besuch wurde Schubart sogar die Ehre zuteil, über ein vom Kurfürst gegebenes Thema fantasieren zu dürfen. Auch hier wissen wir nicht, was das für ein Thema war. Wenigstens wissen wir das im Falle eines anderen Herrschers und eines anderen Komponisten: 1747 hatte Friedrich II. Johann Sebastian Bach eine ganz ähnliche Aufgabe gestellt. 5 ----------Musik 5: J. S. Bach, Ricercar aus dem Musikalischen Opfer. Florilegium. Channel Classics CCS 14598. Tr. 5. Dauer: 7'08“ ----------Das war das Ensemble Florilegium mit dem sechsstimmigen Ricercar als Bachs Musikalischem Opfer. Wenn Schubart doch nur sein loses Mundwerk im Zaum gehalten hätte! Aber nein, er musste eine lästerliche Bemerkung über die Akademie der Wissenschaften machen, die Carl Theodor 1763 gegründet hatte und die ihm besonders am Herzen lag. Natürlich kam dieses abfällige Urteil dem Kurfürsten zu Ohren; Schubart selbst beschreibt die fatale Wirkung: „Mein mit wankender Hand erbautes Häuschen stürzte in den Sand. Nun war ich wieder gänzlich verlassen. Meine Gönner und Freunde zeigten mir Stirnen, von denen die Ungnade des Fürsten frostig auf mich schauerte; ich floh, denn Frost und Kaltsinn war mir immer ärger als der Tod. - Wohin nun?“ Aber entweder hat Schubart ein bisschen geflunkert oder aber der Kurfürst war wirklich ein äußerst großzügiger Mann, der schnell wieder verzieh. Denn beim Abschied von Schwetzingen wurde Schubart vom Kurfürsten mit Geld beschenkt. Vom Grafen von Schmettau, mit dem er sich inzwischen angefreundet hatte, sowieso. Als der Graf Schubart beim Packen zusah und merkte, dass dieser das kurfürstliche Geld versandfertig machte, fragte der Graf: „Wem schicken Sie dies Geld? - Meiner armen Frau und Kinder. - Gut, legen Sie auch diese 100 Gulden bei. Schreiben Sie Ihrer Familie, sie soll für mich beten.“ Wieder hatte Schubart Glück. Vielleicht sollte man besser sagen: Er nutzte die gesellschaftlichen Möglichkeiten, die aus seiner musikalischen wie literarischen Begabung resultierten. Jedenfalls kam er auch diesmal wieder bei wohlhabenden Gönnern unter. Einer davon war der kurbayerische Gesandte Baron von Leuden, der Schubart auf die Chancen aufmerksam machte, die sich für ihn in München ergeben könnten. Und er setzte hinzu: „Wenn Sie sich entschließen könnten, Ihre Religion zu verändern.“ Bayern war schließlich streng katholisch, Schubart aber war Protestant. Schubart war die Konfession einerlei – so meinte er jedenfalls. Tatsächlich gibt seine Autobiographie darüber Auskunft, wie viel Skrupel ihm die geplante Konversion bereitete, die er letztlich dann doch nicht vollzog. Immerhin machte er in München die Bekanntschaft mit der Musik Orlando di Lassos, der 200 Jahre vor Schubarts München-Besuch hier gewirkt hatte. ------------Musik 6: Orlando di Lasso, Alma Redemptoris mater. Pro Cantione antiqua. BMG GD 77066. Tr. 10. Nach 7'09 ausblenden. Dauer: 7'09“ ------------ 6 Das Ensemble Pro Cantione antiqua unter Bruno Turner war das mit Orlando di Lassos sechsstimmigem Magnificat „Praeter rerum seriem“. Auch Schubarts Plan, sich in München fest anstellen zu lassen, scheiterte genauso wie die entsprechenden Vorhaben zuvor. Die Münchner hatten ein Leumundszeugnis über Schubart in Stuttgart angefordert – mit dem zu erwartenden katastrophalen Ergebnis. Es blieb ihm also gar nichts anderes übrig als München zu verlassen und sein Glück anderswo zu versuchen. Er liebäugelte damit, nach Stockholm auszuwandern, was daran scheiterte, dass seine Kleidung in einem beklagenswert schlechten Zustand war. Er machte also in Augsburg Station, um seine Kleider in Ordnung bringen zu lassen. Ob er das tatsächlich machte, ist nicht bekannt; wohl aber, dass er von März 1774 bis Januar 1775 in Augsburg blieb. Der Grund: Er lernte den Herausgeber des „Schwäbischen Journals“ kennen, der gerade einen guten, einfallsreichen Redakteur suchte, denn seine Zeitung dümpelte dahin. Schubart hatte einen besseren Vorschlag: Er ließ sich als Redakteur einer neuen Zeitschrift anstellen, die er „Deutsche Chronik“ nannte. Mit dieser “Deutschen Chronik“, die erstmals am 31. März 1774 und von da an zweimal wöchentlich erschien, war Schubart zwar von Anfang an erstaunlich erfolgreich, er zog sich aber auch die energische Gegnerschaft der Augsburger Stadtoberen zu. Vielleicht hängt auch beides zusammen und er war deshalb so erfolgreich, weil er mit der gesellschaftlichen Elite so respektlos umging. Der Augsburger Bürgermeister von Kuhn schäumte jedenfalls: „Es hat sich ein Vagabund hier eingeschlichen, der begehrt für sein heilloses Blatt einen Hut voll englischer Freiheit: - Nicht eine Nussschale voll soll er haben.“ Die Artikel der „Deutschen Chronik“ diktierte Schubart im Wirtshaus zum Walfisch bei reichlichem Alkohol- und Tabakgenuss. So blieb ihm noch genug Zeit, um Konzerte, Klavier- und Vorlesestunden zu geben. Nicht nur als Pianist, auch als Sänger ist er aufgetreten. ------------Musik 7: Chr. Fr. D. Schubart, Die Henne. Victor von Halem, Bass; Horst Göbel, Klavier. Archiv-Nr. 3360794. Tr. 9. Dauer: 2'46“ -----------Der Bassist Victor von Halem wurde von Horst Göbel begleitet bei Christian Friedrich Daniel Schubarts Lied „Die Henne“. Und wieder gibt es Probleme: Schubart schreibt in der „Deutschen Chronik“ Artikel gegen die Jesuiten. Zitat: „Ihre Moral ist verderblich und dem Staate nachteilig.“ Nun ist Augsburg zu dieser Zeit eine bikonfessionell regierte Stadt mit zwei Bürgermeistern, einem katholischen und einem protestantischen. Der katholische Bürgermeister lässt Schubart verhaften, der protestantische protestiert, man einigt sich schließlich auf Schubarts Ausweisung. Wieder einmal 7 muss Schubart fliehen – diesmal nach Ulm, das ist nahe liegend, denn dort wird schon jetzt seine „Deutsche Chronik“ gedruckt. Immer noch werden die Artikel des Blattes im Wirtshaus diktiert, jetzt nicht mehr im Augsburger „Walfisch“, sondern im Ulmer Lokal „Baumstark“. Die Deutsche Chronik hat zunächst etwa 1000, später bis zu 1600 Exemplaren Auflage, sie gehört damit zu den viel gelesenen Periodika und verschaffte Schubart ein hinreichendes Einkommen. Die „Deutsche Chronik“ wurde zur Institution. „Mir ist es auf meinen Reisen mehrmals begegnet,“ schreibt Schubarts Sohn Ludwig über seinen Vater, „dass Wirte, Kellner, Handwerksburschen, Postillons, Friseurs, Bediente nicht nur Lieder von ihm sangen, sondern ganze Blätter seiner Chronik auswendig wussten.“ ------------Musik 8: Chr. Fr. D. Schubart, Der Kohlenbrenner. Hans-Joachim Pfingsttag; Renate Walter, Klavier. Archiv-Nr. M0417810. 01-004. Dauer: 3'19“ (auf Ende einblenden) -------------Hans-Joachim Pfingsttag sang Schubarts Lied „Der Kohlenbrenner“. Er wurde begleitet von Renate Walter. Und das war für heute auch die Musikstunde über Christian Friedrich Daniel Schubart. Stephan Hoffmann sagt auf Wiederhören und freut sich, wenn Sie morgen, zur vierten Folge der Musikstunde mit dem Titel „Brauskopf und gewaltiger Trinker“ wieder einschalten.