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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde „Sehr brillant, angenehm in die Ohren“ Mozarts Klavierkonzerte (4) Von Christian Schruff Sendung:
Donnerstag, 15. September 2016
Redaktion:
Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
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„Musikstunde“ mit Christian Schruff „Sehr brillant, angenehm in die Ohren“ Mozarts Klavierkonzerte (4) SWR 2, 12. September – 16. September 2016, 9h05 – 10h00 Mit Christian Schruff. „Sehr brillant, angenehm in die Ohren“. Mozarts Klavierkonzerte Willkommen zu Folge 4 mit Wiener Konzerten. Titelmusik Sechs Klavierkonzerte in einem Jahr. Das ist die Leistung Mozarts im Jahr 1784. Er ist 28 Jahre alt. Und er reitet förmlich auf einer Welle des Erfolgs. Mozart ist unangefochten der führende Pianist in Wien und bietet seinem Publikum reichlich Gelegenheit, sein Können als Virtuose und als Komponist zu bestaunen. Auf dem Höhepunkt dieses Jahres spielt Mozart sagenhafte 23 Konzerte innerhalb von 46 Tagen. Er spielt die Konzerte nicht nur, er muss dafür auch erstmal komponieren. Hat Mozart also Massenware herausgeworfen? Im Gegenteil! Jedes Klavierkonzert überrascht mit neuer Ausdruckstiefe und neuen Lösungsideen für die formale Gestaltung. Es gibt freilich auf Gemeinsamkeiten unter den sechs Konzerten des Jahres 1784. So hat Mozart z.B. viele Melodien, viele Themen in einem bestimmten Marschrhythmus erfunden. Offenbar mochte er diesen Rhythmus sehr. Er liegt auch seinem „Kleinen Trauermarsch für Klavier“ zu Grunde. Musik 1 CD Track 5 Wolfgang Amadeus Mozart Kleiner Trauermarsch c-Moll KV 453a Ronald Brautigam, Hammerflügel BIS, BIS-CD-895, EAN7318590008959, LC03240
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Einer der führenden Mozart-Pianisten unserer Tage – Ronald Brautigam – hat hier Mozarts „Kleinen Trauermarsch c-Moll“ gespielt, KV 453a. Diesen Trauermarsch hat Mozart seiner Schülerin Barbara Ployer ins Stammbuch geschrieben – im selben Jahr, in dem er auch das G-Dur-Konzert für sie geschrieben hat mit der Köchel-Nummer 453.
3 Wie Mozart diesen Marschrhythmus in vielerlei Gestalt erscheinen lässt, will ich Ihnen an den Anfängen zweier Konzerte zeigen, am besagten G-Dur-Konzert vom April des Jahres und am C-Dur-Konzert KV 467, das im März 1785 komponiert wurde, also knapp ein Jahr später. Wenn Sie diese beiden Konzertanfänge hören, dann hören sie groß ausgeprägte Orchester-Einleitungen – Expositionen genannt. Darin wird das musikalische Material ausgebreitet, mit dem sich Solist und Orchester im Satz beschäftigen werden. Beide Seiten werden diese „Themen“ aufgreifen, zerlegen, neu zusammensetzen oder in andere Farben tauchen – andere Harmonien, andere Klangfarben. Sie werden die farbigen Blasinstrumente hören im Dialog mit den Streichern und dem Soloklavier. Mozart lässt inzwischen in der Regel Flöte, 2 Oboen, 2 Fagotte und 2 Hörner mitspielen. Diese Konzert-Expositionen sind genau so gebaut wie die Eröffnung, wie die Exposition einer Sinfonie. Es gibt zwei Themen in zwei verschieden Tonarten, das erste Thema in der Grundtonart – Tonika genannt -, das zweite mit anderem Charakter in der Dominante. Im Konzert geht es dann aber anders weiter als in einer Sinfonie. Es gibt eine zweite Exposition. Darin spielt das Solo-Klavier die Themen. Und hier, im G-Dur-Konzert hat Mozart dem Klavier noch ein eigenes Thema gegeben, zwischen dem ersten und dem zweiten. So wird schon diese Konzerteröffnung zu einem unerhörten Erlebnis verschiedener Emotionen, Klangfarben und Harmonien. Der Marschrhythmus kommt hier übrigens ganz leicht und heiter daher. Musik 2 CD Track 1 ausblenden ab 5:17 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 17 G-Dur KV 453 1. Allegro Kristian Bezuidenhout, Hammerflügel Freiburger Barockorchester Petra Müllejans HARMONIA MUNDI, HMC 902147, EAn 3149020214725, LC07048 Hier endet die doppelte Exposition im 1. Satz des G-Dur-Konzerts KV 453. Und sie endet, führt weiter wie Mozart diesen Satz schon begonnen hat, mit wunderbaren harmonischen Überraschungen. Absage Wie werden später noch mehr hören aus diesem Konzert.
4 Vielleicht ist ihnen aufgefallen, dass Kristian Bezuidenhout nicht erst bei seinem Solo-Einsatz angefangen hat, mitzuspielen. Er hat die ganze Zeit schon mitgespielt, hat in den Tuttistellen des Orchesters „col basso“ gespielt. So steht es überall in Mozarts Klavierkonzerten. Er hat den Bass mit der linken Hand mitgespielt, mit der rechten die Harmonien ergänzt – Generalbass nennt man das. Zu Mozarts Zeiten war das die Regel! Der Solist, in Mozarts Fall meist Mozart selbst, hat ja das Orchester geleitet vom Klavier aus. Indem er den Bass mitspielte, hat er dem Orchester Orientierung gegeben und – wo nötig – auch fehlende Bläserharmonien ergänzt. Noch die Klavierkonzerte Frédéric Chopins sind mit Generalbass veröffentlicht worden! Heute handhaben die Solisten das unterschiedlich. Die Vertreter der historisch informierten Praxis auf Hammerflügeln spielen meist mit, die „modernen“ Pianisten, die Steinway-Fraktion sozusagen, überlässt das meist dem Orchester allein. Nun aber, wie angekündigt, noch die Exposition des C-Dur-Konzerts KV 476. Die ist rund ein Jahr später komponiert worden. Hier spielen im Orchester auch Trompeten und Pauken mit. Der Tonfall ist schon in der Satzbezeichnung ausgedrückt: Allegro maestoso. Den ersten Einsatz des Soloklaviers hat Mozart wieder ganz anders gelöst, um sein Publikum zu überraschen. Hören Sie, die gerade erschienene Aufnahme mit dem Chinesischen Pianisten Hai’ou Zhang und den Heidelberger Sinfonikern unter Thomas Fey. Musik 3 CD Track 4 ausblenden ab 4:25 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 20 C-Dur KV 467 1. Allegro maestoso Hai’ou Zhang, Klavier Heidelberger Sinfoniker Thomas Fey HÄNSSLER CLASSIC, HC 16037, EAN881488160376, LC13287 Absage So weit diese kleine Detail-Betrachtung der Anfänge zweier MozartKlavierkonzerte aus der Klavierkonzert-Hochzeit 1784-85. Stress ist keine Erfindung unserer modernen Zeit. Mozart hatte 1784 extremen Stress. Seinem Vater schrieb er im März des Jahres, als er gerade am B-Dur-Konzert arbeitete:
5 „sie müssen mir verzeihen, daß ich wenig schreibe, ich habe aber ohnmöglich Zeit, da ich die 3 lezten Mittwochs in den fasten ........ 3 Concerte ... auf abonnement gebe ... im theater werde ich vermuthlich dieses Jahr 2 accademien geben – sie können sich leicht vorstellen, daß ich nothwendig Neue Sachen spielen muß – da muß man also schreiben. – der ganze Vormittag ist den scolaren gewidmet. – und abends hab ich fast alle tage zu spiellen.“ Das Gute an diesem Stress: Mozart verdient prächtig! Er ist ohne Frage der meistgesuchte Pianist in Wien. Im September 1784 leisten sich die Mozarts eine neue, größere Wohnung – die Mietausgaben verdoppeln sich! Constanze ist schwanger mit dem zweiten Sohn. Karl Thomas Mozart kommt im September zur Welt. Er wird später in Mailand Musik studieren, dann aber die Musik aufgeben, um in Mailand in der staatlichen Finanzbuchhaltung zu arbeiten. Wie sein älterer Bruder, Franz Xaver Mozart, hinterlässt Karl Thomas keine Kinder, so dass mit Mozarts Kindern dieser Familienzweig ausgestorben ist. Immerhin lebte Karl Thomas lang genug, um dem Mozarteum in Salzburg zu dessen Gründung 1841 einen Flügel seines Vaters zu vermachen... Wolfgang Amadeus Mozart komponierte sein G-Dur-Konzert KV 453 übrigens wieder für seine Schülerin Barbara Ployer, „die es mir gut bezahlte“. Der dritte Satz ist ein Variationensatz. Dessen Thema hörte Mozart eines Tages aus der Kehle eines Vogels gesungen. Er hat genau notiert, wo der Vogel eine Fermate machte, also einen Ton länger hielt, und wo der Star einen Ton zu hoch zwitscherte. Eine Besonderheit ist der Schluss dieses Satzes. Mozart hat diesen Schluss „Finale“ überschrieben. Ein Finale, das wie aus einer opera buffa genommen klingt, eigentlich sogar wie eine Vorwegnahme der Zauberflöte. Papageno, der Vogelfänger aus der „Zauberflöte“ lässt grüßen! Musik 4 CD Track 3 7:47 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 17 G-Dur KV 453 3. Allegro Kristian Bezuidenhout, Hammerflügel Freiburger Barockorchester Petra Müllejans HARMONIA MUNDI, HMC 902147, EAN 3149020214725, LC07048 SWR 2 Musikstunde
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Absage
6 Mozart schrieb seinem Vater im April 1784, kurz nachdem er dieses G-Dur-Konzert geschrieben hatte: „übrigens bin ich | die wahrheit zu gestehen :| auf die lezthin müde geworden – vor lauter spielen – und es macht mir keine geringe Ehre daß es meine zuhörer nie wurden“. Nach dem G-Dur Konzert, dem vierten im Jahr 1784, ließ Mozart das Genre bis September ruhen, dann nahm er noch zwei Konzerte in Angriff: das B-Dur-Konzert KV 456 und das F-Dur-Konzert KV 459. Das B-Dur-Konzert schrieb Mozart wiederum für eine Pianistin: Die blinde Maria Theresia von Paradis. Paradis war eine Klavier-Schülerin vom konkurrierenden Wiener Virtuosen Leopold Koželuch. Bei Antonio Salieri hatte sie Komposition studiert. Sie war drei Jahre jünger als Mozart und wurde ab 1783 eine Berühmtheit in Paris, London und ihrer Heimatstadt Wien. In London trat sie am 3. November 1784 auf und spielte dort wahrscheinlich Mozarts B-Dur-Konzert, das der kurz voher am 30. September vollendet hatte. Mozart selbst spielte das Konzert dann im Februar des nächsten Jahres. Da war sein Vater Leopold in Wien. Der war mittlerweile 65 Jahre alt und ein stolzer Vater. Er schrieb an Nannerl, Mozarts Schwester: „am Sonntag abend war im Theater die accademie der ital: Sängerin Laschi ... und dein Bruder spielte ein herrliches Conzert, das er für die Paradis nach Paris gemacht hatte. Ich war hinten nur 2 Logen von der recht schönen württemb: Prinzessin neben ihr entfernt und hatte das vergnügen alle Abwechslungen der Instrumente vortrefflich zu hören, daß mir vor Vergnügen die thränen in den augen standen. als dein Bruder weg gieng, machte ihm der kayser mit dem Hut in der Hand ein Compl: hinab und schrie bravo mozart.“ Hier etwas vom zweiten Satz aus diesem Konzert. Ich habe eine Aufnahme mit dem französischen Pianisten Robert Casadesus gewählt, der noch im letzten Jahr des 19. Jahrhunderts geboren wurde. Casadesus war ein enger Freund von Maurice Ravel und nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in den USA beliebt. Dirigenten wie Eugene Ormandy, Leonard Bernstein oder – wie in dieser Aufnahme – George Szell, schätzen seinen klaren, schlanken Ton und die unsentimentale Interpretation.
7 Musik 5 CD 2 / Track 2 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 18 B-Dur KV 456 2. Andante un poco sostenuto Robert Casadesus, Klavier Columbia Symphony Orchestra George Szell SONY, CB 831, EAN 5099750339022, LC06868
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Absage Casadesus hat diesen Satz nicht tragischer als nötig empfunden und ein fließendes Tempo gewählt. Damit lag er ganz auf Mozarts Linie. Der hat in dieser Phase ohnehin deutlich zügige Tempi bevorzugt. So sind die beiden schnellen Sätze dieses B-Dur-Konzert von Mozart mit „Allegro vivace“ bezeichnet, im nächsten Konzert wählt Mozart sogar die damals schnellsten Tempi. Sogar dessen langsamer Satz ist noch „Allegretto“ überschrieben, also in Wirklichkeit gar nicht langsam. Mozart schickte die Noten dieser Konzerte auch an seine Schwester in Salzburg und gab ihr einen Tipp für das Tempo der langsamen Sätze: „Ich lasse ihr aber sagen, daß in keinem Concerte Adagio, sondern lauter Andante seyn müssen.“ Adagio bedeutet langsam, Andante aber „gehend“... Die lebhafte, fast gehetzte Betriebsamkeit in Mozarts Leben hat sich bis in die Tempi seiner Klavierkonzerte niedergeschlagen.
Musik 6 CD 8 / Track 6 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 19 F-Dur KV 459 3. Allegro assai Alfred Brendel, Klavier Academy of St. Martin-in-the-Fields Sir Neville Marriner PHILIPS, 464 800-2, EAN 02894648002, LC00350
7:18
Absage Dieses F-Dur-Konzert führte Mozart übrigens auch im Oktober 1790 in Frankfurt am Main auf. Anlass war die Kaiserkrönung Leopolds II.. Zu der hat Mozart noch ein extra „Krönungskonzert“ komponiert. Aber auch das gerade gehörte Konzert ist also ein „Krönungskonzert“...
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Die Krönung dieser SWR2 Musikstunde soll das d-Moll-Konzert sein. Mozart hat es am 10. Februar 1785 vollendet und schon am folgenden Tag uraufgeführt! Er soll dabei sogar einen besonderen Pedalflügel benutzt haben, mit dem er tiefer klingende Basstöne spielen konnte. In Mozarts Handschrift finden sich Markierungen für diese Pedaltöne. Das d-Moll-Konzert ragt aus den 27 Klavierkonzerten heraus. Es ist das erste überhaupt in Moll. Es hat einen tiefen, ernsten und dramatischen Charakter. Die Kadenzen improvisierte Mozart. Er wollte sie später aufschreiben. Erhalten sind sie nicht! Die Kadenz, die Sie gleich hören, hat Ludwig van Beethoven geschrieben und genutzt. Während alle anderen Mozart-Konzerte bald von den Spielplänen verschwanden, blieb das d-Moll-Konzert ununterbrochen auch während des 19. Jahrhunderts im Repertoire der Pianisten... Kaum zu glauben, dass so ein Werk offenbar mit der heißen Nadel genäht war. Das Finalrondo konnte noch nicht einmal geprobt werden vor der Uraufführung, weil Mozart noch die Kopisten beim Schreiben der Stimmen beaufsichtigen musste. Doch Vater Leopold konnte an Nannerl berichten: „Das Concert war unvergleichlich, das Orchester vortrefflich.“ Das gilt auch für die folgende Aufnahme des Finales aus dem d-Moll-Konzert: Claudio Abbado leitet das Orchestra Mozart, Solistin ist Maria João Pires. Musik 7 CD Track 6 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll KV 466 3. Rondo: Allegro assai Maria João Pires, Klavier Orchestra Mozart Claudio Abbado DG, 002894790075, EAN02894790075, LC00173
8:07
Absage „Sehr brillant, angenehm in die Ohren“. Mozarts Klavierkonzerte. Das war Teil 4 der SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff. Zum Schluss morgen die letzen Klavierkonzerte. Ihnen bis dahin einen schönen Tag.