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SWR2 Musikstunde Und wenn die Welt voll Teufel wär’ – Vom Überdauern der ittelalterlichen Teufel (5) Von Frieder Reininghaus Sendung:
Freitag 13. Januar 2017
Redaktion:
Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
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SWR2 Musikstunde mit Frieder Reininghaus Und wenn die Welt voll Teufel wär’ – Vom Überdauern der mittelalterlichen Teufel (5) SWR 2, 09. Januar – 13. Januar 2017 - 9h05 – 10h00
Signet SWR2 Musikstunde Heute mit … Titelmusik „Und wenn die Welt voll Teufel wär / und wollt uns gar verschlingen, / so fürchten wir uns nicht so sehr ...“ – mit diesem Trost und Zuspruch beginnt die dritte Strophe von Martin Luthers Trutz- und Bekenntnislied Ein feste Burg ist unser Gott. Der oder die Teufel gehören da so selbstverständlich zur „Welt“ wie Ochs und Esel zu Weihnachten. Die Teufel kommen beim Reformator freilich keineswegs nur im Konjunktiv vor. Als Einzelpersönlichkeit wie in Rudeln sollten sie auch dem in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts reformierten religiösen Denken erhalten bleiben, dem allgemein gesellschaftlichen ohnedies. Noch lange sind aus der Poesie wie aus den dramatischen Dichtungen die verschiedenen Erscheinungsformen der Antipoden Gottes, der Wahrheit, des Lichts kaum wegzudenken – wobei der „Fliegengott, Verderber, Lügner“ keineswegs im Habit der Reformationszeit, des Barock oder der Rokoko-Zeit des Wegs kommen muss. Er kann fürwahr ganz anders auftreten als von Goethe in Faust. Der Tragödie erster Teil portraitiert: mit dem „Mäntelchen von starrer Seide,/ Die Hahnenfeder auf dem Hut“. Durch die literarischen Vorlagen blieben die anschaulichen Figuren wie die Denkformen des Satans und des Satanischen auch der Musik erhalten – möglicherweise auch dank einer tieferen Verbindungslinie der künstlerischen Seelenverwandtschaft. Kontinuität der Teufelsmetaphorik war und blieb dort gegeben, wo sich die Texte der Kompositionen streng an Luthers Wort hielten – z.B. in Johann Sebastian Bachs Kantate Nr. 80. Musik 1: Johann Sebastian Bach, aus Kantate 80 Ein feste Burg ist unser Gott, No. 5, „Und wenn die Welt voll Teufel wär”, CD-Kasette Harnoncourt; Teldec 4509-91759-2; Vol. 5, CD 1, Track 11, Dauer: 3‟15“ Der Tölzer Knabenchor und der Concentus musicus Wien unter Leitung von Nikolaus Harnoncourt riefen mit der Bach-Kantate No. 80 den „Fürst[en] dieser Welt“ aus der dauerhaften Bilderwelt Martin Luthers in Erinnerung. – Mit von der Partie ist der Teufel freilich auch in neueren Kompositionen, die sich auf Leben
3 und Werk des Reformators beziehen. In einer Oper z.B., die vom Theater Erfurt zur Einweihung eines neuen großen Hauses im Jahr 2003 bei Egon und Peter Aderhold in Auftrag gegeben wurde und mit den lokalen und regionalen Bezügen kalkulierte. Die Aderholds lieferten eine Geschichts-Doppelstunde mit Musik vorwiegend nach älteren Rezepturen. Musik 2: Peter Aderhold, Luther (Oper; Erfurt 2003); Chor und Orchester des Theaters Erfurt; Dirigent: Walter E. Gugerbauer; O-Ton des Theaters O-Ton-CD des Theaters mit dessen freundlicher Genehmigung; Track 1; Anfang; dazu nach ca. 25“ bis 30“ Text; Dauer (freistehend): ca. 1‟00“ Zwischen gigantischen Orgelpfeifen, die sich in kühnem Sprung zu Gegenwartsängsten in Raketentrümmer verwandelten, hob diese Oper darauf ab, wie menschlich der Theologe zu Beginn der Neuzeit gewesen sei (weniger, wie theologisch der Mensch Luther war). Das liegt im Trend. Musik 2: wird hochgezogen; nach ca. 30“ bis 35“ wieder Text dazu: Vor einem guten Dutzend Jahrzehnten, bei der Uraufführung der Luther-Oper von Vater und Sohn Aderhold in Erfurt, präsentierte sich der Bariton Johannes M. Kösters zunächst als zergrübelter Philologe, den während der Quarantäne auf der Wartburg die Stimmen seiner Gegner und Anhänger bis in den Erschöpfungsschlaf verfolgen. (Musik wird ausgeblendet) Dann setzt er sich mit dem Ensemble seiner Gegner auseinander, die alle des Teufels sind – unterschiedliche Inkarnationen des Bösen schlechthin. „Ha – leb ich noch?“ fragt sich der Opernheld Luther bei seinem unfreiwilligen Studienaufenthalt in sicherem Gewahrsam – und er faucht den Teufel an: „Siebenschwänziges Ungeheuer,/ bin ich dir entwischt? Satanas – Verwandlungskünstler,/ in welcher Maske willst du noch/ erscheinen?/ Als Ablasshändler?/ Als Papst?/ Als Bilderstürmer?/ Oder als der Erzteufel/ aus Mühlhausen,/ der Müntzer, der die/ Bauern aufhetzt/ wider die Obrigkeit?“ Musik 3: Peter Aderhold, Luther (Oper; Erfurt 2003); Chor und Orchester des Theaters Erfurt; Johannes M. Kösters; Dirigent: Walter E. Gugerbauer; O-Ton des Theaters; Track 1; von 3‟43“ an unterm vorangehenden Text; freistehend von 4‟08“– 6‟36 [oder 5‟19“]; am Ende wieder Text dazu, Dauer: 1‟11“ Dass das Theater in der thüringischen Landeshauptstadt aus Luther künstlerisches Kapital schlagen will, ist naheliegend: Nicht weit vom Spielort, im Schwarzen Kloster der Augustiner-Eremiten, begann ja das Wirken des Mannes, der zur Titelfigur avancierte. Die Aderholds waren die ersten nicht (und sind die letzten nicht), die das bedeutende Leben Martin Luthers und dessen nachhaltige Lehre
4 unter Theateraspekten auswerteten. Schon Richard Wagner erwog 1868 im Gefolge seiner Meistersinger, ein Werk über den Reformator und dessen Liebesleben zu schaffen. Er ließ das Projekt Luthers Hochzeit dann aber wieder fallen – zugunsten der Fertigstellung des Rings des Nibelungen. Als weit unprätentiöser, hinsichtlich der theologischen Botschaften allerdings konziser als die Aderhold-Oper erwies sich, ebenfalls in Erfurt, das Musical von Øystein Wiik und Gisle Kverndokk, das in den letzten Tagen hier in den Musikstunden gelegentlich bereits erwähnt wurde. „Gnade kann man nicht kaufen“ – so einfach und richtig können Musical-Sentenzen zu einer so komplexen Sache wie der Gnadenlehre und dem Ablasshandel geraten. Überhaupt vermittelt das Erfurter Historien-Musical von 2003 mancherlei Hinweise zu den Anfechtungen, Selbst- und Glaubens-Zweifeln des Reformators. Es folgt damit dem überwiegend Zeitgeistigen im protestantischen Milieu, das vom wortgewaltigen Prediger und deutschen Revolutionär, den das 19. Jahrhundert vor allem feierte, nicht mehr viel wissen will. Und erst recht nicht von Luthers Teufel, der ja durch den Wurf mit dem Tintenfass nach dem Schatten, der durch seine Übersetzer-Kemenate huschte hätte tödlich getroffen werden können – eben weil dieser protestantische Handstreich nur Legende gewesen sein soll. So wurden in Thüringen, das mit dem benachbarten Sachsen-Anhalt darum wetteifert, „Land der Reformation“ zu sein, die heutigen Landpartien des Satans einem nur rudimentär mit Musik bestückten Open-Air-Spektakel am Fuß der Wartburg überlassen: Luther – Das Fest. präsentierte neben „Gaukelei und Feuershows“ sowie „dressierten Greifvögeln“ als Filetstück das Drama Luthers Teufel. Wenigstens auf solchen Volksfesten geht er also heute noch ernsthaft um und nicht nur travestiert und ironisiert wie sonst auf dem Theater. Musik 4: Gisle Kverndokk, Martin L. – das Musical; CDs vom Theater Erfurt; CD 1, Anfang; die ersten 44“ unter den vorigen Text unterblenden; Dauer: 0‟59“ „Martin Luther, eine riesenhafte Inkarnation deutschen Wesens, war außerordentlich musikalisch“, schrieb Thomas Mann wenige Tage nach dem Ende des zweiten Weltkriegs in seiner Grundsatzrede über Deutschland und die Deutschen. Dennoch, so fuhr der Romancier fort, liebe er ihn nicht – und gestand: „Das Deutsche in Reinkultur, das Separatistisch-Antirömische, AntiEuropäische befremdet und ängstigt mich, auch wenn es als evangelische Freiheit und geistige Emanzipation erscheint, und das spezifisch Lutherische, das Cholerisch-Grobianische, das Schimpfen, Speien und Wüten, das fürchterlich Robuste, verbunden mit zarter Gemütstiefe und dem massivsten Aberglauben an Dämonen, Incubi und Kielkröpfe, erregt meine instinktive Abneigung. Ich hätte nicht Luthers Tischgast sein mögen [...] und bin überzeugt, daß ich mit Leo X., Giovanni de Medici, dem freundlichen Humanisten, den Luther ‚des Teufels Sau,
5 der Babst‟ nannte, viel besser ausgekommen wäre.“ So weit das Bekenntnis Thomas Manns. Das, was dessen „instinktive Abneigung“ erregte – der von Luther fortgepflanzte „Aberglauben an Dämonen, Incubi und Kielkröpfe“, hat freilich nicht wenige Künstler des rationalistisch gestimmten 18. Jahrhunderts, des „romantischen“ 19. Jahrhunderts und selbst des neusachlich intonierenden 20. Jahrhunderts fasziniert. Die Incubi stammen wohl ursprünglich aus dem prähistorischen Mesopotamien und waren (oder sind) nachtaktive Dämonen, die sexuelle Träume und Alpträume verursachen. Es heißt, sie nähern sich unbemerkt schlafenden Frauen, mit denen sie sich im Dunkeln paaren, woran diese sich aber nicht oder höchstens wie an einen Traum erinnern können. Dieser Sphäre am nächsten kommt wohl das Pandämonium, das 1846 Eingang in La Damnation de Faust von Hector Berlioz fand. In Steigerung der bis dahin für die Musikbühne aufgebotenen Mittel wurde die Walpurgisnacht des Goetheschen Faust I. zur „Höllenfahrt“ umgedeutet. Äußerste musikalische Mittel waren da will¬kommen. Der Chor der Verdammten singt „in Höllensprache“: „Has, has, has! Tradi oun Marexil „ firtrudinxé burrudixé“. Musik 5: Hector Berlioz, La Damnation de Faust; Philharmonia Chorus & Orchestra; Myung-Whun Chung; DG 463 500-2; CD 2; Track 18; Dauer: 1‟47“ Bryn Terfel als Mephistopheles, der Philharmonia Chorus und das Philharmonia Orchestra begaben sich unter der Leitung: Myung-Whun Chung mit dem Pandämonium von Hector Berlioz in die tieferen Regionen des Teuflischen und zu den „Ausschweifungen“ wilder Träume. Im christlichen Mittelalter unterlagen Traum-Berichte von nächtlichen wechselnden theologischen, kirchen- und strafrechtlichen Bewertungen; in Hexenprozessen spielten sie immer wieder eine Rolle. Den Theaterfreunden begegnen die Incubi in dem seit 1829 öffentlich gespielten Faust I. von Goethe. Indem der alternde Gelehrte die Natur des Hundes erkunden will, den er vom Osterspaziergang mit nach Hause brachte und der in seinem Studierzimmer keine Ruhe geben will, versucht er es mit den verschiedensten Beschwörungsformeln. Bevor er das Tier als „Flüchtling der Hölle“ enttarnt, herrscht er es an: „Bring häusliche Hülfe,/ Incubus! Incubus! Tritt hervor und mache den Schluß!“ Aber als des Pudels Kern erweist sich dann der zunächst wie ein „fahrender Scholastikus“ hinterm Ofen hervortretende Mephisto, der sich schon in der nächsten Szene als fein gekleideter Herr von Welt präsentiert. Vor dem Hintergrund des von Luther auf Goethe gekommenen Teufels erheben sich die brillanten Mephisto-Musiken des 19. Jahrhunderts. Die zu ihrer Zeit kompositorisch avancierteste findet sich in Franz Liszts Faust-Symphonie aus den 1850er Jahren. Diese symphonische Dichtung, ein physiognomisches Portrait der schillernden
6 Mephistopheles-Figur, bildet mit einer Dauer von 16 Minuten das musikalische Hauptstück der heutigen Musikstunde. Musik 6: Franz Liszt, Mephistopheles, aus Eine Faust-Symphonie; 3. Satz: New York Philharmonic Orchestra, Dirigent: Leonard Bernstein; Sony SMK 47470, Track 3, Dauer: 12‟30” Das New York Philharmonic Orchestra spielte, dirigiert von Leonard Bernstein, den 3. Satz aus Eine Faust-Symphonie von Franz Liszt: Mehistopheles. Die von Legenden umrankte und überwucherte Historie des Johann Faust, unzählig oft literarisch bearbeitet, in Bildern dargestellt und mit Musik bedacht, erscheint seit mehr als vierhundert Jahren nicht nur als eine (Rand-)Figur der Reformationszeit. Da etliche Wissenschaftler den Protagonisten nicht ausschließlich als fiktive und dann literarische Figur erklären wollen, mag man cum grano salis davon ausgehen, dass der reisende Magier, Astrologe, Alchemist und Wahrsager vielleicht um 1480 geboren wurde – möglicherweise in Knittlingen an der württembergisch-badischen Grenze – und um 1541 bei Staufen im Breisgau für den sprichwörtlich gewordenen Pakt einstehen musste. Fausts Lebenszeit entspricht ziemlich genau der von Luther. Und erkennbar schlägt sich der Umbruchprozess der Reformations-Zeit auch in Dr. Fausts Wissensdrang, dem (auch die eigene Person einschließenden) Experimentiergeist und der Lebensführung nieder. Auch im Verhältnis zum Teufel. Nicht zufällig hat Hanns Eislers Libretto zu einer von ihm geplanten, aber wegen politischer Widrigkeiten in der DDR nie ausgeführten Oper den Zusammenhang von Gelehrten- und Magier-Biographie und allgemeinen Zeitumständen akzentuiert – wie vor ihm schon Ferruccio Busoni (und anders als Mendelssohn, Schumann, Wagner, Gounod oder Arrigo Boito bei seiner grandiosen Oper Mephistofele). Das Diabolische ist der Musik des 20. Jahrhunderts Reiz für die Musik geblieben; in den zurückliegenden hundert Jahren war gewiss kein Mangel an neueren szenischen Werken zum Faust-Themenkreis (aber das wäre nun wieder ein ganz eigenes Thema). Ein einziges Beispiel nur sei hier herausgegriffen: der bereits erwähnte Doktor Faust von Busoni, geschrieben zwischen 1910 und 1924, aber nicht ganz fertig gestellt. Im Jahr nach Busonis Tod wurde das Hauptwerk des fulminanten Pianisten, zunächst klangexperimentierfreudigen, dann auf den Kurs einer neuen „Klassizität“ einschwenkende Komponisten mit Ergänzungen seines Schülers Philipp Jarnach an der Staatsoper Dresden uraufgeführt. Das Libretto rekurriert nur marginal auf Goethe. Busoni ging von der 1587 in Frankfurt gedruckten Historia von D. Johann Fausten und der Puppenspiel-Überlieferung aus: Dass Faust Gretchen verführt, schwängert und im Stich lässt, bleibt eine Episode im zweiten Vorspiel, die Ermordung von Gretchens Bruders einem kurzen
7 Intermezzo vorbehalten; das „Hauptspiel“ springt aus der Wittenberg-Welt ins Italien der Renaissance, an den Hof von Parma, wo der wundersam zu neuem Lebens- und Liebesmut gelangte Professor die schöne junge Herzogin in deren Hochzeitsnacht erobert. Zurück in Wittenberg wird der „Höllenbezwinger“ Faust von seinen Studenten nach den Erfahrungen während des italienischen Semesters befragt. Er kann es sich nicht verkneifen, den jungen Herren mit dem Gastspiel bei der Herzogin imponieren zu wollen. Da platzt Mephistopheles herein, der in dieser Oper als moderner Dienstleister erscheint, nicht nur willig, sondern eben auch auf teuflische Weise eigenwillig ist. Er klärt die wissbegierige Jugend über die infame Heldentat auf und bringt die Quittung der Liebe mit, die ihm die sterbende Herzogin anvertraute. Ein diabolischer Gruß: Das Kind hat den Transport über die Alpen nicht überstanden. Musik 7 F. Busoni, Doktor Faust, Orchestre et chœur de L‟opera National de Lyon; Kim Begley (Mephisto), Dirigent: Kent Nagano; Erato 3984-25501-2; CD 3, Track 1; Dauer: 4‟03“ Ferruccio Busoni: Doktor Faust. Der Bariton Dietrich Henschel sang den nach Wittenberg zurückgekehrten Gelehrten, der Tenor Kim Begley war Mephistopheles; mit von der Partie: Orchestre et chœur de L‟opera National de Lyon; Leitung von Kent Nagano. Das Hauptwerk Busonis, der halb Italienisch, halb deutsch war, fühlte, dachte und schrieb, führt nicht nur den soziokulturellen Kontrast zwischen dem deutschprotestantischen Norden und der katholischen Renaissance-Sphäre Oberitaliens vor Augen und Ohren, sondern auch die mit Mitteln der Kunst möglich werdende Überwindung beidseitiger Begrenzungen. Diese Faust-Oper lässt sich als grandioser Kommentar zu jenem religiösen und auch mit musikalischen Mitteln ausgetragenen Nord-Süd-Konflikt lesen und hören, der mit der Reformation ausbrach, im 19. Jahrhundert mit der großen Rivalität zwischen der symphonisch aufgerüsteten deutsch-österreichischen Musikdramatik und der sich auf ganz andere Weise modernisierenden italienischen Oper eskalierte. Den beiden Seelen in Busonis Brust half Nationalismus nicht weiter – weder der eine noch der andere; und konfessionelle Rechthaberei auch nicht. [Prolog und Epilog rahmen die symmetrisch angelegte und von sinfonischen Intermezzi durchschossene Handlung – die Anreden des Dichters an die Zuschauer holen grundsätzlich, auch theatertheoretisch aus, nachdem bereits die ersten Zeilen die Hauptrichtung vorgaben: „Von Kind auf hat ein Stück mich hingerissen, / darin der Teufel was zu sagen hat, / des Kindes Ahnung wird, im Mann, zum Wissen, doch hälfe Wissen nicht, würd‟ es nicht Tat“.]
8 Musik 8: Ferruccio Busoni, Doktor Faust, Orchestre de L‟opera National de Lyon; Kent Nagano; Erato 3984-25501-2; Cortège; CD 2, Track 1; Dauer: 3‟42“ [Das Orchestre de L‟opera National de Lyon spielte, Kent Nagano dirigierte ein symphonisches Intermezzo aus Ferruccio Busonis Oper Doktor Faust, das dem Deutsch-Teuflischen den Weg an den Fürstenhof zu Parma in der Reformationszeit bereitet. Luthers Teufel haben sich in den Jahrhunderten seit der Reformation weit hinausbewegt aus der Anschauungswelt des Reformators. Von ihm meinte der Kulturhistoriker Egon Friedell, dass der Rationalismus – der schlimmste Feind von Engeln und Teufeln – als das große Thema der heraufziehenden Neuzeit, über Luther keine Macht gehabt habe: „Er verabscheute die Vernunft und ihre Werke wie nur irgendein Scholastiker und nannte sie“ – ich zitiere – „‚des Teufels Hure‟. Die neue Astronomie hat er abgelehnt, weil sie mit der Bibel nicht in Ein¬klang stand. Die großen geographischen Entdeckungen des Zeit¬alters sind an ihm spurlos vorübergegangen. Er war auch nicht ‚sozial‟ denkend, wie sein Verhalten im Bauernkrieg gezeigt hat, überhaupt Ordnungsfanatiker, immer auf der Seite der ‚Obrig¬keit‟ und in allen gesellschaftlichen und politischen Fragen ein Anhänger der mittelalterlichen Gebundenheit.“ [Wie reimte Heinrich Heine so treffend? „Der Knecht singt gern ein Freiheitslied / des Abends in der Schenke, / das fördert die Verdauungskraft / und würzet die Getränke“.] – Der Countertenor Franz Vitzthum singt, begleitet vom Lautenisten Julian Behr, Martin Luthers Cantus „Ein neues Lied wir heben an“, das früheste erhaltene Luther-Lied, und meint, dass es bei einem „Musikabend im Hause Luther“ in etwa so geklungen habe (eine Annahme, die man nicht teilen muss). Musik 9: Martin Luther, Ein neues Lied wir heben an; Christophorus CHR 77403; Franz Vitzthum, Julian Behr; CD 2 „Luthers Laute“; Track 19; Dauer: 0‟47; Ein letztes Mal soll Egon Friedell zitiert werden. Der Kulturtheoretiker weist nicht nur darauf hin, wie sehr Luthers Denken „Altes bewahrt“ und in modifizierter Form fortgeschrieben hat, sondern auch auf die gegenläufige Tendenz, auf den „Türöffner Luther“. Der habe eben auch, ich zitiere, „geistige Zusammenhänge gesehen, die erst in Jahrhunderten ihre volle lebendige Verwirklichung finden sollten.“ Das Moderne in Luthers Denken beruhe, schreibt Fridell, im Wesentlichen auf drei Momenten: „Zunächst auf seinem lndividualismus. Dadurch, daß er die Religion zu einer Sache des inneren Erlebnisses machte, hat er auf dem höchsten Gebiete menschlicher Seelenbetätigung etwas Ähnliches vollbracht wie die italienischen Künstler auf dem Gebiete der Phantasie.“
9 Mit der Befreiung der Persönlichkeit „verband sich aber als zweites, ein demokrati-sches Moment. Indem Luther verkündete, daß jeder Gläubige von wahrhaft geistlichem Stande, jedes Glied der Kirche ein Priester sei, vernichtete er das mittelalterliche Stellvertretungssystem, das der Laienwelt den Verkehr mit Christus nur durch be¬sondere Mittelspersonen: durch Christi Statthalter und dessen Beamtenhierarchie gestattet hatte, und führte damit in das kirchliche Leben dasselbe Gleichberechtigungsprinzip ein, das die Französi¬sche Revolution später in das politische Leben brachte. Und drit¬tens hat er dadurch, daß er das ganze profane Leben des Tages für eine Art Gottesdienst erklärte, ein ganz neues weltliches Ele¬ment in die Religion gebracht. Mit der Feststellung, daß man überall. und zu jeder Stunde, in jedem Stand und Beruf, Amt und Ge¬werbe Gott wohlgefällig sein könne, hat Luther eine Art Heilig¬sprechung der Arbeit vollzogen: eine Tat von unermeßlichen Folgen.“ Soweit das Resümee des Wiener Kulturtheoretikers Egon Friedell, der sich im März 1938 dem Zugriff der Gestapo durch einen Sprung aus dem Fenster seiner Wohnung im 3. Stock des Hauses Gentzgasse 7 im 18. Bezirk entzog. Thomas Mann entzog sich dem deutschen Terror durch den sauren Weg ins Exil – erst in die Schweiz, dann nach Kalifornien. Und überlebte. Wie viele andere vor und nach ihm verwies er darauf, wie gespalten, janusköpfig und in der Rezeptionsgeschichte ambivalent ihm Luther erschien: als „ein ungeheuer großer Mann, groß im deutschesten Stil, groß und deutsch auch in seiner Doppeldeutigkeit als befreiende und zugleich rückschlägige Kraft“. Dem ist hier nur wenig hinzuzufügen. Das Ensemble Musica Antiqua Wien spielt zum Abschluss dieser Sendung und der Musikstunden-Woche zu Martin Luther eine Huldigungsmusik, die dem Reformator in dessen Sterbejahr 1546 zugeeignet wurde: D. Martini Lutheri Symbolum. Die Komposition stammt von Caspar Othmayr, der zum Zeitpunkt der Entstehung als Lehrer in Heilbronn angestellt und überzeugter Lutheraner war. Othmayr schrieb zahlreiche Arbeiten dieses Typs – Vertonungen von Wahlsprüchen Prominenter – und stellte sie in einem repräsentativen Band zusammen. Die ehrerbietige Haltung des Komponisten entspricht jener der Maler, die honorige Menschen der Reformationszeit im Sonntagsstaat und mit ernsten Minen festhielten. [Das LutherSymbolum findet sich auf einer aus den frühen 80er Jahren stammenden CD des Heidelberger Labels note1music in der verdienstvollen Dokumentation Martin Luther und die Musik]. Musik 10: Caspar Othmayr, D. Martini Lutheri Symbolum; Musica Antiqua Wien; Leitung: Bernhard Klebel; CD-Anthologie Luther und die Musik, CD 3, Track 7, Dauer: 2‟19“
10 Die Musikstunde „Und wenn die Welt voll Teufel wär“ – die fünfte und letzte in der Reihe zu Martin Luther und die Musik von Frieder Reininghaus, endete mit dem Luther-Symbolum von Caspar Othmayr. Es spielte das Ensemble Musica Antiqua Wien unter Leitung von Bernhard Klebel.