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wsi mitteilungen 6/ 2015
N Mark Bly th: Wie Europa sich k aput tspart. Die gescheiterte Idee der Austeritätspolitik
Verlag J.H.W Dietz Nachf. Bonn, 2014 ISBN 978-3-8012-0457-0 352 Seiten, 26,00 €
ahezu zeitgleich erschienen zwei Bücher über europäischen Banken kauften so viele Staatsschulden der Austeritätspolitik, „Wie Europa sich kaputtspart“ Peripherie […] wie sie nur konnten.“ (S. 119). Den systemischen Hauptgrund für die europäische Mivon Mark Blyth und „Austerität“ von Florian Schui. Beide kritisieren diese Politik fundamental, ihre Ar- sere sieht Blyth daher in der Einführung des Euro: „Das gumentationslinien unterscheiden sich aber erheblich. Das europäische Währungsprojekt war von Beginn an ein wenig zweitgenannte Buch ist hervorragend gelungen, das erste wahnsinnig. Erst jüngst hat sich gezeigt, dass es an absoluten Irrsinn grenzt.“ (S. 114). Der Euro sei „eine finanzpoliweniger. Blyth definiert Austerität als „eine Art von Deflationie- tische Weltuntergangsmaschine“ (S. 85), „ein Desaster für rung, wobei die Wirtschaft durch eine Senkung von Löhnen, alle“ (S. 111) bzw. „eine geldpolitische WeltuntergangsvorPreisen und öffentlichen Ausgaben wettbewerbsfähig ge- richtung“ (S. 115). „Deshalb ist ‚interne Abwertung‘ mittels macht wird. Erreicht wird dieses Ziel (angeblich) am besten, eines Absenkens von Löhnen und Preisen der einzige Ausindem man das Budget, die Schulden und die Defizite des weg. Das aber heißt: Austerität. Dies ist der wahre Grund, Staatshaushalts reduziert“ (S. 24). warum wir alle sparen müssen. Noch einmal: Es geht einzig Blyth Befund lautet (S. 34): „Austerität funktioniert und allein um die Rettung der Banken.“ (S. 126). nicht in der Praxis, sie lässt die Armen für die Fehler der Viele Komponenten von Blyth’s Argumentationskette Reichen bezahlen“. Dem ist voll zuzustimmen – nicht aber sind richtig, ihre Verknüpfung zur Gesamtdiagnose ist aber seiner Begründung, warum diese Politik Europa dominiert: grundfalsch (Bewegungen wie der „Alternative für DeutschHauptursache dafür sei die Bankenrettung. „Nachdem die land“ wird sie aber gefallen). Die apodiktische VerdamBanken gerettet wurden, müssen wir nun weitersparen, um mung des Euro-Projekts fordert mehrere Einwände heraus. Einwand 1: Austerität wurde schon seit den 1970er Jahauf weitere Schocks reagieren zu können.“ (S. 30). Und weiter: „Austerität ist nicht einfach der Preis, der für die Ban- ren propagiert und spätestens 1992 in der EU verordnet kenrettung zu bezahlen ist. Es ist der Preis, den Banken (Maastricht-Kriterien), keinesfalls erst seit der Bankenkrise. andere bezahlen lassen.“ (S. 30). Blyth leitet seine Diagno- Diese Fehldiagnose folgt aus einer anderen: Austerität sei se aus drei Faktoren ab. “[…] kein integraler Bestandteil wirtschaftswissenschaftliFaktor 1: In den großen Euroländern beträgt die Bilanz- cher oder anderer Theorien.“ (S. 42). Tatsächlich ergibt sich summe der Banken etwa das 4-Fache des Bruttoinlands- die Forderung nach Austerität aus der klassischen und noch produktes (BIP), in den USA hingegen nur 120 %. Überdies mehr aus der neoklassischen (und österreichischen) Theoverfügen die USA über die globale Reservewährung. Der rie. Einwand 2: Die negativen Erfahrungen der USA mit der Rettungsaufwand in einer Bankenkrise sei daher in Europa viel größer und erzwinge eine harte Sparpolitik (S. 29f. und monetaristischen Politik der 1980er Jahre, ihre HinwenS. 120ff.). dung zu einer primitiv-keynesianischen Politik seither, die Faktor 2: „Nach 1970 entstand ein neues ‚deutsches Pro- gleichzeitige Übernahme der neoliberalen Leitlinien durch blem‘ für die europäischen Nachbarn, nämlich mit der Ef- die EU sowie die wachsende Macht Deutschlands waren fizienz und Produktivität der Deutschen mitzuhalten“ die wichtigsten Ursachen, warum sich die Austeritätspolitik (S. 112). Grund: „Deutschland stellt tolle Sachen her, [...] in der EU seit 25 Jahren viel stärker ausbreitete als in den für die alle bereit sind, mehr zu zahlen als für die Alterna- USA. tiven.“ (S. 113). Zusätzlich verschaffe die restriktive LohnEinwand 3: Daher wurde der Euro nach neoliberalen politik Deutschland einen Preisvorteil „zum Nachteil aller Leitlinien konzipiert. Nicht die Währungsunion „an sich“ anderen Länder“ (S. 113). erzwang somit Austerität, sondern ihre neoliberale AusgeFaktor 3: Die Währungsunion erzwinge eine Austeri- staltung. Der Euro wurde auch deshalb als Instrument zur tätspolitik, da die Wettbewerbsfähigkeit nur mehr durch Schwächung von Sozialstaat und Gewerkschaften eingeLohn- und Preissenkungen verbessert werden kann. Sie setzt, weil beide in Europa stärker sind als in den USA. wirke daher wie früher der Goldstandard – unvereinbar mit Einwand 4: Mit der Höhe der Bilanzsummen der Banken der Demokratie, weil die Deflationspolitik der Bevölkerung steigen die Kosten ihrer Rettung nicht notwendigerweise, es untragbare Lasten aufbürde (S. 114). Die Einführung des kommt auf die Höhe der faulen Kredite an. Es ist daher auch Euro sei aber noch gravierender, weil dadurch nationale unrichtig zu vermuten, dass die Pleite einer Bank Kosten in Höhe ihrer Bilanzsumme verursacht (S. 120). Währungen überhaupt abgeschafft wurden. Einwand 5: Der Rückgang der deutschen LohnstückkosLaut Blyth führten diese drei Faktoren Europa in die Krise: Mangels eigener Geldpolitik konnten die einzelnen ten seit 1999 war keine notwendige Folge der WährungsuniEuroländer auf die Bankenkrise nicht so flexibel reagieren on. Diese gab vielmehr eine klare Richtlinie in Gestalt der wie etwa die USA oder Großbritannien. In der Folge stiegen Zielinflation von 2 % vor. Nicht der Euro, sondern die mit ihm die Zinsen in den Krisenländern (PIIGS) dramatisch, die unvereinbare Lohnpolitik Deutschlands hat die Krise vertieft. Anleihen dieser Länder wurden entwertet und das verEinwand 6: Diese Fehlentwicklung kann durch überschlechterte die Bilanzen der europäischen Banken. Diese durchschnittliche Lohnsteigerungen in Deutschland korriwaren nämlich durch den Euro „zu verantwortungslosem giert werden, Austerität in den Krisenländern braucht es Handeln“ eingeladen worden (S. 118ff.): „[…] die großen dazu nicht. © WSI Mitteilungen 2015 Diese Datei und ihr Inhalt sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Verwertung (gewerbliche Vervielfältigung, Aufnahme in elektronische Datenbanken, Veröffentlichung online oder offline) sind nicht gestattet.
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Einwand 7: Eine Währungsunion unterscheidet sich beralen John Locke, David Hume, Adam Smith und David vom Goldstandard dadurch, dass die Geldbasis von der Ricardo als Folge ihrer staatskritischen Grundhaltung (dass Zentralbank gesteuert und im Krisenfall erhöht werden sich diese gegen einen autoritär-feudalen – und keinen dekann. Dass die EZB dies erst spät tat, ist Folge ihrer mone- mokratischen – Staat richtet, bleibt bei Blyth „unterbelichtet“). taristischen Position und nicht der Währungsunion. Angesichts der sich verschärfenden sozialen Konflikte Einwand 8: Die positiven Effekte fester Wechselkurse auf die Performance des Gesamtsystems fallen mehr ins im 19. Jahrhundert plädiert John Stuart Mill für einen MitGewicht als der Nachteil, dass einzelne Länder nicht (mehr) telweg zwischen der Wahrung der individuellen Bürgerabwerten können. So hatten die Länder Südeuropas in den rechte und einem (minimalen) sozialen Ausgleich. Dieser 1950er und 1960er Jahren ihre Währungen nicht abgewer- „Neue Liberalismus“ wird zum ideologischen Fundament tet und dennoch wirtschaftlich aufgeholt. Umgekehrt haben für die ersten Schritte in Richtung auf einen Sozialstaat. Dagegen wenden sich die Vertreter der Österreichischen ihnen die wiederholten Abwertungen zwischen 1971 und 1999 außer einer höheren Inflation nichts gebracht. Schule, insbesondere Friedrich A. von Hayek und Joseph Einwand 9: Zwischen 1999 und 2008 sind die Schulden Schumpeter. Den „Generalangriff “ auf deren Austeritätsder PIIGS-Staaten nur im Ausmaß von ca. 3 % der Bilanz- denken trägt John M. Keynes vor. In seiner „Allgemeinen summe der Euro-Banken gestiegen. Ihre Lage hat sich daher Theorie“ (1936) erklärt er, warum Sparpolitik und Lohndurch die Abwertung der PIIGS-Staatsanleihen viel weniger kürzungen in die Weltwirtschaftskrise führten. Der Keyneverschlechtert als durch die vorangegangene Entwertung sianismus prägt daher die Wirtschaftspolitik bis Mitte der 1970er Jahre. von Aktien, Immobilien und Rohstoffen (2007/2008). In Deutschland überdauert das Austeritätsprinzip die Einwand 10: In einer neoliberal-finanzkapitalistischen Spielanordnung prägen manisch-depressive Schwankungen keynesianische Prosperitätsphase als Teil des „Ordolibe– „Bullen- und Bärenmärkte“ – die Dynamik der für Unter- ralismus“, in den USA wird es von der Österreichischen nehmer wichtigsten Preise wie Wechselkurse, Rohstoffprei- Schule, dem Monetarismus von Milton Friedman und der se, Zinssätze und Aktienkurse. Die Realwirtschaft verliert „Neuen Politischen Ökonomie“ von James Buchanan geimmer mehr an Dynamik, Finanzalchemie boomt, Finanz- pflegt. vermögen werden geschaffen, die nicht durch reale Werte Die Stunde der Neoliberalen schlägt nach der – von ihgedeckt sind. Der Euro war und ist das Richtige im Falschen: nen geforderten – Aufgabe des Systems fester WechselkurEin anti-neoliberales Projekt zur endgültigen Überwindung se (1971): Auf die Dollarabwertung reagiert die OPEC mit von Devisenspekulation innerhalb einer finanzkapitalisti- einem „Ölpreisschock“, in der nachfolgenden Rezession schen Spielanordnung. Diese muss aufgegeben werden, aber steigen Arbeitslosigkeit und Inflation. Damit war der nicht der Euro. Keynesianismus erledigt, denn seine Vertreter hatten ja die Dies zeigt auch ein Vergleich mit der realkapitalistischen Existenz einer Phillips-Kurve behauptet und damit einen Spielanordnung der 1950er und 60er Jahre. Damals lenkten „trade-off “ zwischen beiden Größen (dass die Neoliberalen stabile Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktienkurse und mit ihrer Forderung nach „flexiblen“ Wechselkursen selbst Zinssätze (unter der Wachstumsrate) das Gewinnstreben zum gleichzeitigen Anstieg von Inflation und Arbeitslosigkeit beigetragen hatten, erwähnt Blyth leider nicht). auf unternehmerische Aktivitäten in der Realwirtschaft. Seit den 1990er Jahren versuchen neoliberale ÖkonoDie meisten der oben angeführten Einzelargumente finden sich auch in Blyth’s Buch, sie sind jedoch falsch zusam- men wie Alberto Alesina, zu belegen, dass Sparpolitik – mengesetzt mit dem Ziel, die Hauptthese zu untermauern, selbst in einer Rezession – die Wirtschaft belebt. Blyth dowonach die Bankenrettung die wichtigste Ursache für die kumentiert in hervorragender Weise den ideologischen Austeritätspolitik in Europa darstelle. Besonders die Ent- Charakter dieser „wissenschaftlichen“ Literatur und (damit) wicklung der Bankenkrise in den USA und ihre Ausbreitung ihre inhaltlichen und methodischen Schwächen. auf Europa sind gut dokumentiert, ebenso die verheerenden Im letzten Teil seines Buchs belegt Blyth am Beispiel der Folgen der Umdeutung der Bankenkrise in eine Staatschul- Geschichte seit 1914, dass und warum eine Austeritätspodenkrise und ihre Bekämpfung durch eine Sparpolitik. litik in der Praxis immer gescheitert ist und dokumentiert Blyth zeigt, dass all dies nur möglich wurde, weil sich detailliert, dass diese Politik die Hauptursache für die anseit den 1960er Jahren der Mainstream der Wirtschaftswis- haltende Krise von Wirtschaft und Gesellschaft in Europa senschaften vom Keynesianismus abwendete und die neo- ist. Seine Argumente werden sich in der Auseinandersetklassische Gleichgewichtstheorie wieder zum Standard er- zung um die künftige Politik in Europa als sehr nützlich klärte, erweitert um besonders realitätsfremde Annahmen erweisen. wie vollkommene Information. Denn Theorien verändern die Wirklichkeit, deswegen bezeichnet sie Blyth als „Gebrauchsanweisungen“. Im zweiten Teil seines Buchs behandelt Blyth daher die Rolle von Austerität in der Theoriegeschichte und der politischen Praxis. Das Fundament legen die klassischen Li4 78
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Besonders gut ist Schui das Kapitel über Keynes gelunas Buch von Florian Schui ist einfacher zu rezensieren, es ist rundum gelungen. Er begreift Aus- gen (S. 115ff. ). Er erklärt nicht nur das „Sparparadox“, dass terität nicht nur als ökonomisches, sondern auch also (zu viel) Sparen zu einer systematischen Zielverfehlung als philosophisches Prinzip („Maßhalten“). Daher beginnt führt, sowie die anderen Komponenten des „LehrbuchSchui sein Buch (S. 29ff.) mit der Rolle von Genügsamkeit Keynes“, sondern auch den – weniger bekannten – Moralim Denken von Aristoteles und Thomas von Aquin: Was philosophen Keynes. Diesem geht es um Antworten auf die braucht der Mensch für ein „gutes (christliches) Leben“? Frage, unter welchen Bedingungen „gut Leben“ gelingen Dabei bedeutet „gut“ sowohl moralisch richtig als auch ge- kann. Eine davon besteht darin, die „Liebe zum Geld“ als lungen. „halb-kriminelle und halb-pathologische Krankheit“ zu beEine der Stärken des Buchs: Schui diskutiert das Denken greifen. Diese und andere Überlegungen zur langfristigen über Austerität immer in seiner Wechselwirkung zu den gesellschaftlichen Entwicklung sind in Keynes’ Aufsatz „Die jeweils herrschenden ökonomischen Verhältnissen. So war wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Enkelkinder“ zudie Forderung nach Maßhalten bei Aristoteles wie bei Tho- sammengefasst – und aktueller denn je. mas von Aquin eingebunden in eine wirtschaftlich stagnieDas Kapitel über Hayek („Austerität für den Staat“) trägt rende und hierarchisch gegliederte Gesellschaft (daher wesentlich zu einem besseren Verständnis des folgenden könnte und sollte Maßhalten der Vermögenden auf höhe- Rätsels bei (S. 145ff.): Die nach der Finanzkrise dramatisch rem Niveau erfolgen als der Armen). verschärfte EU-Sparpolitik hat Wirtschaft und Gesellschaft Mit der Entstehung und Ausbreitung des Kapitalismus in Europa verwüstet, dennoch halten die Eliten am Austebegann das Produktionspotenzial zuerst langsam und ab ritätsprinzip fest. Hayek leitet seine Forderung nach einem dem 17. Jahrhundert beschleunigt zu wachsen. Damit ent- auf seine Kernfunktionen reduzierten Staat aus dem Wert stand ein Widerspruch zwischen der moralischen Forde- der „Freiheit“ als höchstem Gut ab – Letztere wird negativ rung nach Genügsamkeit und der Notwendigkeit einer begriffen als Freiheit vom Staat. Dafür müsse man kurzfrissteigenden Nachfrage. Darauf konzentrieren sich die tig auch Opfer bringen, langfristig würde es sich immer Schriften von Aufklärern wie Mandeville und Voltaire (S. lohnen. So macht Hayek seine Theorie immun gegen Ein51ff.). Mag der Konsum der Reichen moralisch verwerflich wände, die auf dem Misserfolg von Sparpolitik beruhen. sein, so stiftet er doch gesellschaftlichen Nutzen. Denn wie lang langfristig ist, sagt Hayek nicht. Letztlich bedeutet Austerität die Politik der/für die FreiDem entgegnet Rousseau, dass die Menschen durch die Tyrannei des Konsums sich selbst und ihren Mitmenschen heit, und dafür sollte den Menschen kein Opfer zu groß entfremdet würden, eine solidarische Gesellschaft erforde- sein. Welche Menschen konkret die Opfer bringen müssen, re mehr Gleichheit und weniger (Luxus-)Konsum: Der wie sich eine solche Politik auf den sozialen Zusammenhalt moralisch-normative Aspekt von Austerität ist ihm wichti- auswirkt, kann Hayek daher offen lassen. ger als der ökonomisch-faktische. Wieder zeigt Schui die enge Verflechtung von Ideologie Die klassischen Theoretiker (und Apologeten) des Ka- und Realität auf: Erst als die Vermögenden in den späten pitalismus – von Adam Smith und David Ricardo bis zu 1960er Jahren immer stärker in die Defensive gerieten, Max Weber – sehen keinen Widerspruch zwischen Auste- nahm die Resonanz auf Hayek immer mehr zu (sein ideorität und ökonomischer Dynamik. Vielmehr sei das Sparen logisches Hauptwerk, „Der Weg zur Knechtschaft“, war der Reichen die Voraussetzung für die Bildung von Kapital schon 1944 erschienen). Seine Theorie wurde gemeinsam (S. 71ff.). Gleichzeitig legitimieren sie so die Ungleichheit mit dem – sehr unterschiedlich fundierten – Monetarismus in der (kapitalistischen) Gesellschaft. von Milton Friedman zur ideologischen Basis der neolibeAuch für Karl Marx ist Sparen Vorrausetzung für Inves- ralen Konterrevolution. titionen, doch stammt es nicht aus der Genügsamkeit der Obwohl Schui einen sehr weiten Bogen spannt, ist sein Kapitalisten, sondern aus der Ausbeutung der Arbeiter (er- Buch leicht zu lesen und überaus anregend. Er indoktriniert zwungene Austerität). Thorsten Veblen sieht in den Kapi- nicht, stellt überraschende Querverbindungen her (so sieht talisten nicht mehr jene Klasse, welche durch Ausbeutung er im Stolz der Deutschen auf ihr „Exportweltmeistertum“ den „Fortschritt der Produktivkräfte“ vorantreibt, sondern den Ersatz für den Stolz auf ihre – jüngere – Geschichte, eine Elite, die Reichtum anhäuft mit dem Zweck, ein Ma- S. 14f.), welche wiederum andere Zusammenhänge besser ximum an Luxuskonsum zur Schau zu stellen. verständlich machen (wie das Unverständnis in DeutschAuch im Kapitel über die Zwischenkriegszeit (S. 91ff.) land gegenüber der Kritik an seinen Exportüberschüssen). behandelt Schui die Austeritätspolitik nicht nur als finanz- Als begnadetem Synthetiker gelingen ihm die Überblickspolitischen Konsolidierungsversuch, sondern bezieht an- kapitel besonders gut. Das Vorwort zur deutschen Ausgabe dere Dimensionen mit ein. So war etwa die Rückkehr macht in wenigen Seiten die mit der Austeritätspolitik verGroßbritanniens zum Goldstandard von geradezu magi- bundene Entfremdung zwischen Deutschland und wichtischen Vorstellungen über den Eigenwert dieses Wäh- gen Partnern in Europa verständlich. Auch die Einführung rungsregimes geleitet. Und die deutsche Deflationspolitik (S. 19ff.) sowie das Abschlusskapitel (S. 207ff.) sind besonhatte auch das Ziel, die erstarkende Arbeiterbewegung zu ders zu empfehlen. schwächen. Stephan Schulmeister, Wien
Florian Schui: Austerität. Politik der Sparsamkeit: Die kur ze Geschichte eines groSSen Fehlers
Blessing München, 2014 ISBN 978-3-89667-533-0 256 Seiten, 19,99 €
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