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10. Juli 2015
Thema Ein ehemaliger Hausmeister aus der Eifel, Christoph Holthuysen, versucht in seinem Gemüsegarten in Brissago ein nachhaltiges, ertragreiches Ökosystem nach den Prinzipien der Permakultur zu schaffen
Christoph Holthuysen: neben einer Wilden Karde in seinem Garten (links), während er die Funktionsweise einer Rigole erklärt (mitte), hinter einem Hügelbeet, das sich zur Feuchtigkeitsspeicherung eignet (rechts) von Martina Kobiela Trotz der Hitze der letzten Tage bewässert Markus Pölz den Garten der Ahorn-Gemeinschaft in Contone auch bei den derzeitigen Wetterverhältnissen nicht. Das ist möglich, weil der Gemüsegarten nach den Grundsätzen der Permakultur betrieben wird, erklärt der Permakultur-Designer und -Lehrer. Er ist überzeugt: “Permakultur würde auch für kommerzielle Gemüsebauern Sinn machen.” Auch Christoph Holthuysen ist sich sicher, dass die Permakultur dem konventionellen Gemüseanbau überlegen ist. Besonders auch, um mit der aussergewöhnlichen Hitze und Trockenheit dieser Tage fertigzuwerden. Er zeigt auf einen länglichen, mit Stroh bedeckten Hügel in seinem terrassierten Garten in Brissago und erklärt: “Das ist ein Hügelbeet, es eignet sich gut, um Feuchtigkeit zu speichern.” Mit seiner grossen Hand schiebt er das Stroh, das mit kleinen Stöckchen befestigt ist, auf die Seite, greift in die dunkle, lockere Erde: “Sehen Sie, sie ist noch feucht”, meint der Gärtner mit strahlenden blauen Augen. Um ein Hügelbeet anzulegen, wird zunächst ein Graben gegra-
NATUR IST NICHT DER FEIND DER AGRIKULTUR ben, mit kompostierbarem Material gefüllt, das gröbste zuunterst, und schliesslich wieder mit Erde bedeckt. Diese wird schliesslich mit Stroh oder Heu belegt. Einerseits speichert ein solches Beet die Feuchtigkeit besser als ein flaches Beet, andererseits entsteht durch die Kompostierung im Inneren Wärme, bis zu 70°C, die die Anbauzeit im Herbst markant verlängert. Auch eine Kombination mit Rigolen sei zur Speicherung der Feuchtigkeit geeignet. Eine Rigole ist ein Pufferspeicher, um Regenwasser aufzunehmen und versickern zu lassen. Holthuysen ist stolz auf seine bisherigen Erfolge beim Gärtnern. Es ist ihm anzusehen, dass er viel Zeit im Freien mit seinem Rosenkohl, Kohlrabi und seinen Zwiebeln verbringt. Er ist muskulös, seine Hände sind rau und
unter den Fingernägeln ist dunkle Erde. Sein Gesicht hat die Farbe von Radiesschen, seine Haare diejenige von Karotten. Seine Augen sind von Krähenfüssen gezeichnet. Der ehemalige Hauswart und Mitarbeiter in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung ist seit knapp sechs Jahren Gemüsebauer. Der Autodidakt hat sich der Permakultur verschrieben. Der Begriff bezeichnet eine Art der nachhaltigen Landwirtschaft, die sich aus der er biodynamischen Landwirtschaft heraus entwickelt hat. Er stammt aus den englischen Wörtern “permanent” und “agriculture”. Der Anbau orientiert sich an der Funktionsweise von Ökosystemen. Es wird ein stabiles und ertragreiches System geschaffen, bei dem sich die Pflanzen gegenseitig mit Nährstoffen
versorgen und sogar “Schädlinge” fernhalten. Die Natur wird als Partner angesehen und nicht als Gegner. Analog gibt es in der Permakultur kein Unkraut – sondern Beikraut, erklärt Holthuysen. In seinem Garten scheint es vor “Beikraut” nur so zu wimmeln und alles durcheinander zu wachsen. Doch der Deutsche aus der Eifel scheint jede Pflanze zu kennen. Er erklärt, dass er versuche, Symbiosen zwischen den Pflanzen zu schaffen. Hungrige Tiere bekämpft er entweder gar nicht, wie die Blattläuse auf einer seiner Sonnenblumen, oder gibt ihnen andere Futterquellen, wie Beinwell für die Mäuse. Nur beim Kampf gegen die Schnecken hat Holthuysen vorläufig aufgegeben und organische Schneckenkörner eingesetzt. Er ist enttäuscht, dass er auf diese
Methode zurückgreifen musste, aber die Wirbellosen waren zu gefrässig: “In einer Nacht haben sie die Hälfte meiner Tomatensetzlinge aufgefressen.” Holthuysen hat im Tessin und im nachhaltigen Gemüseanbau sein Zuhause gefunden, auch wenn noch nicht alles so klappt, wie er es gerne hätte. Der 30-Jährige hat ein unstetes Leben hinter sich. Mit 15 zog er aus dem Elternhaus aus, um im Wald zu leben. Er machte seinen Hauptschulabschluss und versuchte sich als Schreinerlehrling, was ihm aber nicht gefiel. Dann begann er zu jobben und zu reisen. Mit 17 Jahren lebte er an einem Strand in Südafrika so lange in den Tag hinein, bis er vergass, welcher Monat oder Wochentag es war. Heute ist das anders: Holthuysens Leben dreht sich um die
Monate, die Jahreszeiten. So wie die Karden und Salate ihre Wurzeln in seinen nachhaltigen Gärten schlagen, schlägt der bedächtige Deutsche im Tessin seine Wurzeln und hat in der Arbeit im Rhythmus der Natur seinen Lebenssinn gefunden. Derzeit wohnt er bei einer Vierköpfigen Familie zur Untermiete. Er ist überzeugt, dass er mit 100 Quadratmetern nach den Prinzipien der Permakultur bestellten Bodens fünf Personen das ganze Jahr über mit Gemüse versorgen kann. Dabei baut er auch ungewöhnliche Lebensmittel an: die Wilde Karde zum Beispiel. Der Stängel der etwa zwei Meter hohen Pflanze könne als Fleischersatz zubereitet werden, erklärt Holthuysen, der kein Vegetarier ist. Auch die Stängel von geschossenem Salat seien ein unterschätztes Nahrungsmittel. Holthuysen und Pölz leisten Pionierarbeit. Im Tessin kennt kaum jemand die Permakultur. Es gibt nur eine handvoll Projekte, wie die Azienda al Faii in Colla, den Permakultur-Kindergarten in Locarno, das Projekt “Dalla terra al piatto” in Gudo und den Bergbauernhof Munt la Reita bei Cimalmotto. Infos: www.lagerla.org und www.permakultur.ch
Das heisse und trockene Wetter macht den Tieren zu schaffen, zur Freude der Winzer auch der asiatischen Kirschessigfliege
Die Konsequenzen für die Ernte sind noch nicht abzusehen Auch nach der Hitzewelle bestimmt das Azorenhoch das Wetter im Alpenraum weiterhin, sagt Meteo Schweiz. Zu erwarten seien weiterhin überdurchschnittlich warme, sonnige Tage. Das macht den Tessiner Landwirten zu schaffen. Mauro Bertossa vom Agroscope glaubt, dass den Soja-, Maisund Sonnenblumenfeldern im Tessin eine Katastrophe droht, wenn es nicht bald ausgiebig regnet, wie er dem Corriere del Ticino erklärte. Paolo Bassetti von der Vereinigung der Tessiner Gemüse- und Obstbauern (TiOr) ist weniger alarmi-
stisch. Einzig die neu gesetzten Jungpflanzen für die Herbsternte, wie Zucchini, machen ihm Sorgen. Er sagt: “Für die Obst- und Gemüsebauern bedeutet das aussergewöhnlich heisse und vor allem trockene Wetter mehr Arbeit und mehr Ausgaben.“ Denn es müssten Sonnenschutzmassnahmen getroffen werden und die Felder müssten mehr gegossen werden. Auch Tiere leiden unter Hitze. Glücklicherweise jedoch, so Kantonsarzt Tullio Vanzetti auf Anfrage der TZ, befänden sich die meisten Kühe derzeit in den Bergen, auf einer Höhe von über 1'800 Metern.
Hühner und Schweine seien häufig aber noch im Tal und müssten von den Landwirten vor den Auswirkungen der Hitze und der Sonneneinstrahlung geschützt werden: „Genauso wie die Tiere im Winter vor der Kälte geschützt werden, müssen sie nun vor den hohen Temperaturen geschützt werden.“ Das bedeutet, dass schattige Plätze zur Verfügung gestellt werden und dass die Tiere dauernd Zugang zu frischem Wasser haben müssen. Schweine, die nicht durch ein Haarkleid vor den schädlichen UVStrahlen geschützt werden, müssten ausserdem die
Möglichkeit bekommen sich zu suhlen, erläutert der Kantonsarzt: “Der Schlamm fungiert als natürliche Sonnencreme.” Auch manche Insekten leiden. Die aus Asien stammende Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) leidet unter den hohen Temperaturen. Die Männchen werden unfruchtbar, die Weibchen legen keine Eier mehr und viele Exemplare sterben an Austrocknung. Eine gute Nachricht für die Tessiner Winzer, deren Traubenernte letztes Jahr stark von der Fruchtfliege dezimiert wurde. mk