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Oswald Georg Bauer. Die Geschichte der Bayreuther Festspiele: Band I: 1850–1950, Band II: 1951–2000. Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2016. 1.292 S., 1.111 meist farb. Abb. (gebunden), ISBN 978-3-422-07343-2. Reviewed by Bernd Buchner Published on H-Soz-u-Kult (December, 2016)
O.G. Bauer: Die Geschichte der Bayreuther Festspiele Auf dem Gebiet der Kulturgeschichte, die sich in den vergangenen Jahrzehnten als eine eigenständige, aber mit anderen Zugängen verbundene Leitperspektive der Geschichtswissenschaften etabliert hat, liegt ein besonderes Augenmerk inzwischen auf den politischen, sozialen und gesellschaftlichen Implikationen künstlerischer Organisationen, Institutionen und Veranstaltungen. Wesentlich deutlicher als früher werden etwa die Zusammenhänge zwischen Musik und Politik herausgearbeitet. Siehe z.B. Pamela M. Potter, Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten Reiches, Stuttgart 2000; Nikolaus Bacht (Hrsg.), Music, Theatre and Politics in Germany: 1848 to the Third Reich, Aldershot 2006; Andreas Linsenmann, Musik als politischer Faktor. Konzepte, Intentionen und Praxis französischer Umerziehungs- und Kulturpolitik in Deutschland 1945–1949/50, Tübingen 2010. Als beispielhaft ist dabei ein Forschungsprojekt zur Gesellschaftsgeschichte der Oper zu nennen, das seinen Niederschlag in der Buchreihe Musikkulturen europäischer Metropolen im ” 19. und 20. Jahrhundert“ gefunden hat. Herausgegeben von Philipp Ther, Celia Applegate, Moritz Csáky, HeinzGerhard Haupt, Sven Oliver Müller, Michael Walter und Michael Werner; siehe http://www.boehlau-verlag. com/Musikkulturen_europaeischer_Metropolen_ im_19_und_20_Jahrhundert.htm (20.11.2016; bislang 13 Bände). Die Bayreuther Festspiele sind ein wichtiger Spezialfall in der Geschichte des internationalen Musiktheaters; insofern ist es verwunderlich, dass es nicht nur erhebliche Forschungslücken, sondern auffallend wenige Überblicksdarstellungen zu dem Unternehmen Richard Wagners gibt. Selbst zur vieldiskutierten Rolle Bayreuths
in der NS-Zeit vermisst man eine wissenschaftlich tragfähige Analyse. Eine epochenübergreifende Institutionsgeschichte fehlt vollkommen; das hat auch – aber nicht nur – mit der bis vor kurzem katastrophalen Archivsituation rund um die Festspiele zu tun. Bisher einzige Gesamtdarstellung: Frederic Spotts, Bayreuth. Eine Geschichte der Wagner-Festspiele, München 1994. Die verdienstvolle Reihe der Arbeitsgemeinschaft 100 Jahre Bayreu” ther Festspiele“ mit instruktiven Einzelbänden stammt aus den 1970er-Jahren. Zur politischen Dimension der Bayreuther Festspiele hat der Verfasser dieser Rezension eine Monographie vorgelegt; siehe Bernd Buchner, Wagners Welttheater. Die Geschichte der Bayreuther Festspiele zwischen Kunst und Politik, Darmstadt 2013; rezensiert von Gero Tögl, in: H-Soz-Kult, 22.09.2015, http://www.hsozkult.de/publicationreview/ id/rezbuecher-20370 (20.11.2016). Oswald Georg Bauer behebt diesen Mangel nun. Der langjährige Mitarbeiter und Pressechef des früheren Festspielleiters Wolfgang Wagner, der somit eine Doppelfunktion als Wissenschaftler und Zeitzeuge ausübt, war schon zuvor mit Veröffentlichungen zum Thema hervorgetreten. Oswald Georg Bauer, Richard Wagner. Die Bühnenwerke von der Uraufführung bis heute, Frankfurt am Main 1982; ders., Richard Wagner in Würzburg. Der Beginn einer theatralischen Sendung“, Petersberg ” 2004; ders., Wolfgang Wagner. Der Festspielleiter. Der Regisseur. Der Bauherr. Ein Arbeits-Buch zu seinem Andenken, Bayreuth o.J. [2011]. An seiner nun fertiggestellten Geschichte der Bayreuther Festspiele“ hat er rund ” anderthalb Jahrzehnte gearbeitet; er hat dabei unzählige Quellen und die reichhaltige, aber bislang eher verstreute Sekundärliteratur ausgewertet. Das monumentale, zwei1
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bändige Buch wird auf Jahrzehnte hinaus Maßstäbe setzen. Bestechend in der Detailfülle, farbig und hellsichtig formuliert, bietet das Werk ein großes, überwältigendes Leseerlebnis. Jede Opernproduktion auf dem Grünen Hügel von 1876 bis zum Jahr 2000 wird in Text und Bildern ausführlich dargestellt, einschließlich zeitgenössischer Beurteilungen und Kritiken, sodass der Band auch ein unverzichtbares Handbuch zur Bayreuther Inszenierungsgeschichte im Wandel der Zeit und zu ihrer Rezeption darstellt.
der Festspiele gelang schon 1951, nun unter Leitung der Wagnerenkel Wieland (1917–1966) und Wolfgang (1919– 2010). Während der Ältere mit wegweisenden Inszenierungen Bayreuth an die Spitze der damaligen Wagnerinterpretation hievte, tat sich der Jüngere mit Geschäftssinn sowie der Fähigkeit hervor, immer wieder innovative Regisseure an den Grünen Hügel zu holen.
Dass Bauer die Ära des viel kritisierten Wolfgang betont nachsichtig darstellt und dabei auch noch das alte Bild der von Feinden umringten Trutzburg Bayreuth Umsichtig und souverän schildert Bauer zunächst die bemüht, ist angesichts seiner persönlichen VerbundenGeburt der Festspielidee Richard Wagners aus dem Geist heit mit dem jahrzehntelangen Festspielleiter verständder griechischen Antike sowie ihre vielfältigen Wand- lich. Dies zählt zu den wenigen Mankos des Buches. Auch lungen bis zur Verwirklichung in Bayreuth ab 1876. Dies Richard Wagner selbst kommt beim Autor bisweilen zu macht es schwer, einen letztgültigen Festspielgedanken gut weg – oft übernimmt Bauer dessen teils krude Halherauszudestillieren, obgleich die Bayreuther Orthodo- tungen einfach, manche Widersprüche und Kantigkeixie genau dies immer beansprucht hat. Eine immer wie- ten werden geglättet, vieles lässt sich so eindeutig nicht derkehrende Frage ist etwa, inwieweit Wagner sein Un- aus den Quellen lesen. Problematisch erscheint zuweilen ternehmen mit Berufung auf den deutschen Geist“ als der streng chronologische Aufbau des Buches (jedes Fest” Nationaltheater betrachtet wissen wollte. Bauer stellt spieljahr erhält ein eigenes Unterkapitel). Eine Reihe von beide Varianten nebeneinander, die zustimmende und Gesichtspunkten hätte sich besser systematisch abhandie skeptischere Antwort. Auf die Ära der Komponis- deln lassen, etwa die Festspielfinanzen. Die eher annalistenwitwe Cosima Wagner blickt der Autor betont kri- tische als analytische Stoffordnung macht es dem Leser tisch, wirft ihr fehlende Qualifikation für die Leitung der schwer, den Überblick zu wahren und Dinge sinnfällig in Festspiele, die Verfälschung von Richards Intentionen so- den Gesamtzusammenhang einzuordnen. Zentrales steht wie die Politisierung Bayreuths im Sinne des völkisch- oft neben Belanglosem, vieles ist redundant. nationalistischen Denkens im Kaiserreich vor. Immerhin Angesichts der unfassbaren Detailfülle fallen manleitete sie die Festspiele deutlich länger als ihr verstorche Einzelheiten ins Auge, die Bauer weglässt. Sie bebener Mann, nämlich von 1883 bis 1906. In Sohn Siegtreffen fast alle das Verhältnis Bayreuths zum Natiofried, der 1907 das Regiment übernahm, sieht Bauer einalsozialismus. So fehlt die Information, dass Siegfried nen Erfüllungsgehilfen von Cosimas Intentionen. Es sei und Winifred Wagner bei Hitlers Putschversuch 1923 in zudem problematisch gewesen, dass sich Siegfried das ” München waren, angeblich zufällig, und dem verletzKostüm des Universalkünstlers anzog, das er nicht austen Hermann Göring sämtliche Klinikrechnungen bezufüllen vermochte“ (I 355). zahlten. James E. und Suzanne Pool, Hitlers Wegbereiter Als Siegfried 1930 starb, rückte seine englische Frau zur Macht. Die geheimen deutschen und internationalen Winifred, eine glühende Anhängerin des Nationalsozia- Geldquellen, die Hitlers Aufstieg zur Macht ermöglichlismus, in die Festspielleitung. Paradoxerweise erfolg- ten, Bern 1979, S. 113. Im Fall von Hans Frank, Reichsmite erst in Hitlers Hoftheater“, so die berühmte For- nister und ab 1939 Generalgouverneur im besetzten Po” mulierung Thomas Manns Im Schatten Wagners. Tho- len, lässt der Autor unerwähnt, dass Frank zu den wichmas Mann über Richard Wagner. Texte und Zeugnisse tigsten Hausfreunden der Wagners zählte und noch im 1895–1955. Ausgewählt von Hans Rudolf Vaget, Frank- Zweiten Weltkrieg in der Villa Wahnfried ein und aus furt am Main 1999, S. 209. , eine gewisse szenische Mo- ging. Beim Spruchkammerverfahren gegen Winifred zidernisierung. Zwar galt der neue Stil als eher unideolo- tiert Bauer längst widerlegte Zeugenaussagen, sie hagisch, doch kulturpolitisch wurden die Festspiele mit ih- be niemals nach Parteizugehörigkeit“ gefragt und vie” ” rer internationalen Strahlkraft zu einem Aushängeschild le Bedrängte aus der Haft befreit“. Ein Gegenbeispiel ist des faschistischen Staates. Folgerichtig war dann, dass der Bayreuther Lehrer und Sozialdemokrat Oswald Merz im Zweiten Weltkrieg die NS-Organisation Kraft durch (1889–1946), der im KZ Dachau einsaß. Winifred erklär” Freude“ die Regie am Grünen Hügel zur moralischen Er- te, sie werde nie einen Finger für ihn rühren. Merz starb hebung von Rüstungsarbeitern, Sanitätshelfern und ver- bald nach dem Krieg an den Folgen der KZ-Haft. Buchwundeten Soldaten missbrauchte. Die Wiedergründung ner, Wagners Welttheater, S. 147. 2
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Schließlich fallen in dem Buch zahllose Doppelungen und Wiederholungen unangenehm auf. Dafür, dass ein Autor angesichts einer solchen Stoffmasse stellenweise den Überblick verlieren kann, lässt sich durchaus Verständnis aufbringen. Anscheinend wurde das 1.200seitige Werk aber nicht oder nur oberflächlich lektoriert. Teilweise finden sich im Abstand von wenigen Zeilen wortgleiche Formulierungen. Dass sich Bayreuth zum Vatikan in Sachen Wagner“ gemacht habe, liest man an ” sechs Stellen (I 192, 206, 266, 312, 352, 588). Immer wieder heißt es auch, Cosima habe sehr darauf geachtet, dass ihrem Sohn Siegfried kein Konkurrent um die Festspielleitung erwuchs. Dass Bayreuth im Zweiten Weltkrieg zu
36 oder fast 37 Prozent zerstört wurde, taucht drei Mal im Text auf (I 648f., II 9), immerhin nur doppelt hingegen der Hinweis, die Wehrmacht habe auf dem Dach des Festspielhauses eine Fliegerbeobachtungsstelle“ einrichten ” wollen, was Winifred verhindert habe (I 643, 649). Diese Unzahl von Dubletten ist zwar ärgerlich, schmälert Bauers Verdienst jedoch nicht. Auch dass den Autor am Ende eine gewisse Melancholie befällt, ist nachvollziehbar: Bayreuth hat immer die Kraft entwickelt, sich aus sich ” selbst zu erneuern. Wie oft wurden die Festspiele totgesagt oder ihr Ende prophezeit oder vorausgesehen! Wie oft hat sich Richard Wagner schon im Grab umgedreht¡‘ (II 535)
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