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Presseinformation: IANNIS XENAKIS ORESTEÏA Warum tötet ein Mensch einen Menschen? Das ist das Thema von Aischylos’ Orestie. Die Tragödientrilogie spinnt ein Netz von familiären, politischen und religiösen Bezügen, um die zahlreichen Morde innerhalb einer Familie, dem Haus des ruhmreichen Feldherrn Agamemnon, zu erklären. Blutige Gewalt, die auch von Frauen ausgeht, beherrscht die Bühne, und am Ende steht die Frage, ob es ein Ende der Konflikte geben kann. Diese Produktion will dem Geist der antiken griechischen Tragödie nachspüren und diesen zugleich heute erfahrbar machen, - als Verhandlung des Lebens im öffentlichen Raum. Die Spielstätte ist der Brunnen vor der Karlskirche und Wasser und Feuer werden die zentralen Gestaltungselemente dieser Opernproduktion sein: Damit aus ihr das vitale Feuer der Griechen fließe, das die Tragödie und ihren transzendentalen Charakter umgibt, mit ihrer Erfahrung über das Wasser des Lebens und der Luft des Todes. Das Leben ist wie eine ewige Quelle, die immer sprudelt, sich dazu selbst zerreißt und den Schmerz und die Leiden empfindet, vom Wesentlichen abgetrennt zu sein. (...) Das ist es, was Fura dels Baus immer angestrebt hat, vor allem in ihren ersten Arbeiten, und in der Orestie sehen wir sie wieder bei dem Versuch, dieses Spiel des ständigen Aufbaus und Abrisses der Welt zu reflektieren und dem Zuschauer eine Tür zu diesem Mysterium zu öffnen. (Carlus Padrissa) IANNIS XENAKIS' ORESTEIA-MUSIK Insgesamt ähnelte das griechische Drama mit seinem Wechsel von Sprech-. Rezitationsund Gesangspartien eher einer Oper des 17. Jahrhunderts als einem modernen Theaterstück. Xenakis erweist sich in seiner Musik zur Oresteia als genauer Kenner des antiken griechischen Theaters. Er verwendet die Elemente der alten Tragödie, ohne sie nachahmen oder gar rekonstruieren zu wollen. Insbesondere mit der Reduktion auf einfache Rhythmen in vielen Passagen des Werkes wird eine archaisierende Wirkung erzielt, die durch die sparsame Begleitung durch Blasinstrumente und ein Violoncello noch verstärkt wird. Dazu tritt - gleichsam als verfeinernder Widerpart - die Verwendung von Mikrointervallen wie Viertel- und Dritteltönen im Chor. In dem nachträglich als Einschub in Agamemnon komponierten Kassandra-Teil, in dem der Solist nur vom Schlagzeug begleitet wird, nimmt Xenakis offensichtlich Bezug auf eine Szene aus dem Orestes-Drama des Euripides, in der ein phrygischer Sklave von den Ereignissen im Palast des Menelaos berichtet - nicht in Form einer Rede. sondern in einer exaltierten, im Falsett gesungenen Arie. Die im Wechsel von Falsett und Baritonlage geschriebene Szene; die den Dialog zwischen Kassandra und dem Chorführer wiedergibt. VON DER AFFIRMATION STÄDTISCHER GERICHTSBARKEIT ZUR UTOPIE MENSCHLICHER GERECHTIGKEIT Iannis Xenakis’ Oresteia-Musik wurde ursprünglich für eine Aufführung komponiert, in der dem gesprochenen Text der Trilogie des Aischylos eine tragende Rolle zukam. Auch bei der szenischen Aufführung in Sizilien, für die Xenakis die Kassandra-Szene nachkomponierte, wurden zumindest Teile des Aischylos’schen Textes mit der Musik des griechischen Komponisten kombiniert. Nichtsdestotrotz kann die Musik von Oresteia als in sich geschlossene Einheit genommen werden, in der mit Bedacht ausgewählte Teile des Dramentextes in einen sinnvollen und sich selbst genügenden Zusammenhang gebracht wurden. Denn Xenakis hat für das, was man eine „Suite“ nennen könnte, eine Auswahl getroffen, die sich nicht nur an musikalischen, sondern auch an den dramaturgischen Kriterien orientiert. So ist Oresteia auf der einen Seite ein Kaleidoskop von nur lose miteinander verbundenen Szenen aus der Aischylos’schen Trilogie, in der jeder Ausschnitt für sich selbst steht. Auf der anderen Seite sind diese Szenen durch einen roten Faden miteinander verbunden. Dieser rote Faden erscheint aber nur dem, der zumindest den Inhalt der drei Atriden-Dramen in ihrer von Aischylos gewählten Form kennt: Es ist eine Gesellschaft der Blutrache, in die wir hineinversetzt werden, eine Gesellschaft, in der blutige und ekelerregende Morde – wie jener an den Brüder des Aigisthos, die ihrem eigenen Vater von dessen Bruder zum Essen serviert wurden – durch ebenso blutige Racheakte geahndet wurden und werden. Die Menschen, die als handelnde Personen auftreten, stehen unter einem äußeren Zwang, einem Fluch, der auf ihrer Familie lastet. Aber mit jeder Handlung, zu der sie sich aus freien Stücken entscheiden, laden sie neue Schuld auf sich: „Wer handelt, muss auch leiden“, verkündet der Chor in Agamemnon. „Denn das ist göttliches Gesetz.“ Durch Leiden lernen. Dieser Satz könnte als Motto über der Oresteia-Trilogie stehen. Xenakis lässt und daran teilhaben. Nur an einem Punkt weicht er von der antiken Dichtung ab: Bei Aischylos steht am Ende der Eumeniden eine Apologie der demokratischen athenischen Institution, die an die Stelle der tyrannischen politischen und rechtlichen Verhältnisse der Vergangenheit getreten sind. In der dichterischen Form ist es die Stadtgöttin Pallas Athene, die der barbarischen Zeit der Blutrache ein Ende setzt, indem sie als Mitglied des athenischen Gerichtshofes ihre entscheidende Stimme für den Freispruch des nach Athen geflüchteten Orestes geltend macht und die Erinnyen, die Rachegötter, dazu überredet, ihre neue Rolle als segenbringende Eumeniden anzunehmen. Für den Schluss seiner Oresteia hat Xenakis eine strahlend helle Musik komponiert, die sich nicht in die Glorifizierung irgendeines bestehenden Zustandes verrennt, sondern die Utopie einer menschlichen, von Krieg und Aggression befreiten Welt anklingen lässt, die es durch tätiges, menschliches Eingreifen erst zu schaffen gilt. Am Ende sind wir nach dem Erschrecken über die Greuel der Atriden-Welt im Heute angelangt. Der Schluss, der das Publikum in die Aufführung mit einbezieht, ist eine Aufforderung zur Emanzipation, zur Beendigung der Rolle als passiver Beobachter einer blutigen Wirklichkeit, die in den letzten Jahren wieder bedrohlich nahe an die vorgeblich sicheren Bastionen dessen gerückt ist, was man in überheblicher Selbstüberschätzung europäische Zivilisation genannt hat. LUFT, FEUER, WASSER UND ERDE IN DER EXTASE EINER TRAGÖDIE Es ist ein Vergnügen, die Orestie aufführen zu können, die einzige erhaltene Trilogie aus dem antiken griechischen Theater. Und vor allem, die Musik von Xenaquis zu hören und seine Visualisierung vom Ende des Fluchs über das Haus des Atreus zu interpretieren. Ich stelle mir das Jahr 458 v. Chr. vor, und die Schauspieler/Sänger, die, berauscht von der Musik, sich selbst vergessen, sich selbst von außen sehen, in einem Zustand, der gleichzeitig Rausch und Nüchternheit ist. Wie Nietzsche sagte, haben die westlichen Gelehrten nur die Schatten der Griechen erahnt und kaum die oberste Schicht deren Welt durchdrungen. Uns fehlt die Musik, um die antiken Griechen kennenzulernen, und der Grieche Xenaquis hat versucht, nachzuempfinden, damit aus ihr das vitale Feuer der Griechen fließe, das die Tragödie und ihren transzendentalen Charakter umgibt, mit ihrer Erfahrung über das Wasser des Lebens und der Luft des Todes. Das Leben ist wie eine ewige Quelle, die immer sprudelt, sich dazu selbst zerreißt und den Schmerz und die Leiden empfindet, vom Wesentlichen abgetrennt zu sein. Ich wünschte, dass Publikum spürte den chaotischen Abgrund, der sich unter der Welt der Formen erstreckt, und aus dem diese sich erheben. Die Orestie bringt das schrecklichste Leiden mit, indem sie die Logik des Individuums zerstört und den Menschen mit seiner beklemmenden Beschränktheit und Entsetzen konfrontiert; aber auch mit dem höchsten Vergnügen, mit dem göttlichen Rausch, wenn man sich befreit sieht von allen Ketten, die uns daran gehindert haben, die Einheit zu betrachten, die unter aller Existenz liegt. Ihre Kunst ist die Musik, die den heiligen Enthusiasmus erzeugt, der die Menschen in Übereinstimmung mit der Natur singen und tanzen lässt. Das ist es, was Fura dels Baus immer angestrebt hat, vor allem in ihren ersten Arbeiten, und in der Orestie sehen wir sie wieder bei dem Versuch, dieses Spiel des ständigen Aufbaus und Abrisses der Welt zu reflektieren und dem Zuschauer eine Tür zu diesem Mysterium zu öffnen: Eine Erfahrung zu erleben, umgeben von einem Chor und der wunderbaren Musik von Xenakis. Carlos Padrissa