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Reproduktionsmedizin
Vitrifikation Frank Nawroth
Bei der langsamen Kryokonservierung wird den einzufrierenden Zellen das intrazelluläre Wasser durch kryoprotektive Lösungen entzogen, in der sie zur Vorbereitung mehrere Minuten verbleiben. Dies soll die sonst beim langsamen Einfrieren ablaufende intrazelluläre Kristallisation des Wassers verhindern. Die Vitrifikation einer Lösung ist definiert als die „Solidifikation von Wasser ohne Eiskristallbildung bei Temperaturen weit unter 0 °C, verursacht durch eine extreme Erhöhung der Viskosität der Lösung während des Abkühlens“ [8, 9]. Durch sehr schnelles Abkühlen des Wassers konvertiert die Lösung in einen glasähnlichen amorphen Aggregatzustand ohne kristalline Strukturen. Bei der Vitrifikation ist kein vollständiger Flüssigkeitsentzug erforderlich, da durch die hohen Einfriergeschwindigkeiten (direktes Eintauchen in LN2) der Vitrifikationsvorgang schneller abläuft als die Entstehung von Eiskristallen. Daher sieht die Flüssigkeit nach der Vitrifikation – im Unterschied zum milchig-weißen Aussehen nach dem langsamen Einfrieren – klar und durchscheinend („vitriös“) aus, was zur Namensgebung der Methode geführt hat. Ein standardisiertes Vitrifikationsprotokoll sowohl für Eizellen als auch Embryonen ist momentan nicht verfügbar, da " Eizellen und Embryonen ein unterschiedliches Verhältnis zwischen Oberfläche und Volumen aufweisen, " Eizellen, Zygoten, Teilungsstadien und Blastozysten unterschiedliche Kühlund Erwärmungsraten erfordern und " die verschiedensten Zellstadien eine unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber Kälte aufweisen.
Abb. 1 Durch die Dehydrierung (Äquilibrierung) deutlich geschrumpftes Zytoplasma einer Zelle in Metaphase II in Vorbereitung auf die Kryokonservierung (Abb. aus [22] mit freundlicher Genehmigung der Springer Verlag GmbH).
Vitrifikation von Eizellen !
Die erste Lebendgeburt unter Verwendung von Vitrifikationsprotokollen gelang Kuleshova et al. im Jahr 1999 [13]. Das Einfrieren von Eizellen kann die Fertilität von Frauen sichern, welche " sich einer Chemotherapie unterziehen müssen, " ihren Kinderwunsch aufgrund von Karriere, Partnerschaftstatus oder psychologischen, emotionalen Gründen zeitlich verzögern („social freezing“) " oder wenn am Tag einer Eizellentnahme zur In-vitro-Fertilisation (IVF) oder intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) die Masturbation nicht gelingt bzw. akut eine Azoospermie vorliegt. Im Folgenden wird anhand der Vitrifikation von Eizellen kurz die praktische
Durchführung der Methode inklusive der späteren Erwärmung in einem der möglichen Protokolle dargestellt. Die Dehydrierung der Zelle beginnt mit einer Inkubation der Zellen in 7,5 % Ethylenglykol (EG)/Dimethylsulfoxid (DMSO) und 20 % Protein. Die Dauer der Inkubation ist je nach Zelltyp unterschiedlich (von lang nach kurz: Eizelle – Zygote – Tag-3-Embryonen – Tag-5-Blastozysten). Daran schließt sich eine Inkubationsdauer von 60–70 s in 15% EG/DMSO, 0,5 M Zucker und 20 % Protein an. Der Einsatz eines Zuckers unterstützt die Dehydrierung wäh" Abb. 1). rend der Vitrifikation [22] (l Anschließend werden die Zellen auf ein Trägersystem („carrier“) aufgebracht und direkt (offenes System) oder erst nach Verschluss des Systems (geschlossenes System) in LN2 eingetaucht. Dabei ist es wichtig, dass die Zellen in einem kleinen Volumen der Vitrifikationslösung auf das Trägersystem aufgetragen werden [22] " Abb. 2 a bis e). (l Nach der Überführung der Zellen in das Trägersystem wird dieses in den mit flüssigem LN2 gefüllten Lagerbehälter ge" Abb. 3 a bis d). bracht [22] (l Für die Rehydrierung nach der Entnahme aus dem LN2 sind 3 Schritte notwendig: " Zuerst werden die Zellen in eine 1-MZuckerlösung gebracht. " Daran schließt sich eine Inkubation in 0,5 M Zucker an, " bis die Zellen letztendlich in einer zuckerfreien Lösung inkubiert werden. Die Verwendung einer Zuckerlösung während des Erwärmens erlaubt einen kontrollierten Austausch von Kryokonservierungsmittel und Wasser. Die Zelle kann
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Die Kryokonservierung bezeichnet die Lagerung vitaler Zellen und Gewebe in flüssigem Stickstoff bei − 196 °C (liquid nitrogen, LN2). Da sie unter natürlichen Bedingungen nie solch niedrigen Temperaturen ausgesetzt sind, werden spezielle Kryokonservierungsmethoden und kryoprotektive Lösungen benötigt, damit die Zellen und Gewebe diesen Prozess sowie das spätere Auftauen überleben. Seit dem letzten Jahrzehnt ist ein eindeutiger Trend von der zeitintensiven, langsamen Kryokonservierung mit programmierbaren Einfriergeräten hin zur Vitrifikation, einem zeiteffektiven, ultraschnellen Einfrierverfahren ohne kostenintensive Gerätetechnik, zu beobachten [16].
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Nach der Vitrifikation wurden Überlebensraten reifer Eizellen von ca. 95 % beschrieben [26]. Mittlerweile lassen sich unbefruchtete Eizellen – allerdings nur mit einem modifizierten Einfrierprotokoll und in einem darauf spezialisierten Zentrum – auch im „slow freezing“ ebenfalls mit besseren Ergebnissen einfrieren. Die publizierte Implantationsrate pro injizierter Oozyte lag hier bei 11,8 % (Alter ≤ 34 Jahre), 7,5 % (35–39 Jahre) bzw. 7,5 % (≥ 39 Jahre) [3]. Generell wird die Vitrifikation heute als Methode der Wahl angesehen [4]. Obwohl im Vergleich zu geborenen Kindern aus langsam eingefrorenen Eizellen die Geburt des ersten Babys aus vitrifizierten Eizellen erst ca. 13 Jahre später gelang, hat die Zahl geborener Kinder mittlerweile die nach langsamer Kryokonservierung übertroffen. Die längste bisher publizierte Lagerungsdauer und nachfolgende Geburt liegt bis dato für langsam eingefrorene Oozyten bei 13 Jahren [29] und für vitrifizierte Zellen bei 6 Jahren [5].
Abb. 2 a bis e Offenes Trägersystem (KITAZATO Cryotop®, Fa. Dibimed) (Abb. aus [22] mit freundlicher Genehmigung der Springer Verlag GmbH).
Tab. 1 Ergebnisse des nationalen italienischen Registers 2007–2011 [14]. Slow Freezing Zyklen (n)
Vitrifikation
p –
8 927
5 401
Überlebensrate/aufgetauter EZ
51,1 %
63,1 %
Fertilisierungsrate/injizierter EZ
68,9 %
68,0 %
0,037
Schwangerschaftsrate/Zyklus
12,0 %
14,4 %
< 0,001
Schwangerschaftsrate/Transfer
14,8 %
18,0 %
< 0,001
8,1 %
9,5 %
< 0,001
Implantationsrate/aufgetauter EZ geborene Kinder (n) Fehlbildungsrate
778
560
0,5 %
1,3 %
< 0,001
– 0,145
EZ – Eizelle
Die Neugeborenen zeigten kein erhöhtes Risiko kongenitaler Anomalien [23]. Das bestätigte eine weitere Auswertung aus dem italienischen Register sowohl für die langsame Kryokonservierung als auch für die Vitrifikation von Eizellen. Die Erfahrungen aus Italien sind besonders umfassend, da hier für IVF-Programme gesetzlich seit Längerem vorgeschrieben ist, dass nach der Follikelpunktion lediglich 3 Oozyten für die weitere Verwendung zur IVF oder ICSI genutzt werden können und alle überzähligen Zellen unbefruchtet eingefroren werden müssen. Erstaunlich in deren Statistik sind lediglich die im Vergleich zur Literatur niedrigeren Überlebensraten sowohl für das modifizierte langsame Protokoll als auch für die Vitrifi" Tab. 1). kation [14] (l Den Studiendaten Rechnung tragend, haben die amerikanischen Fachgesellschaften in ihrer aktuellen Leitlinie aus dem Jahr 2013 empfohlen, die Methode der Vitrifikation von reifen Oozyten ab sofort nicht mehr als experimentell anzusehen [28].
Vitrifikation von Vorkernstadien dadurch nur langsam expandieren und anschwillen, was sich positiv auf die Überlebensrate auswirkt. Der nicht membrangängige Zucker wirkt außerdem als osmotischer Puffer – er reduziert den osmoti-
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schen Schock auf die Zelle. Völlig verhindern kann die hohe Zuckerkonzentration das Anschwellen der Zelle nicht; Geschwindigkeit und Ausmaß werden aber reduziert [21].
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Ca. 1,5 h werden für die Kryokonservierung von Zygoten mit dem traditionellen langsamen Protokoll benötigt. Im Gegensatz dazu erfordert die Vitrifikation nur
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Abb. 3 a bis d Überführung des Trägersystems in den mit flüssigem LN2 gefüllten Lagerbehälter (Abb. aus [22] mit freundlicher Genehmigung der Springer Verlag GmbH).
ca. 10–15 min. Die Überlebensrate vitrifizierter Zygoten liegt bei > 90 % mit einer Teilungsrate von 80% am Tag 2 und einer Blastozysten-Formationsrate am Tag 5 von > 30% [1, 11, 17, 24].
Vitrifikation von Teilungsstadien !
Abhängig von der Wahl des Trägersystems demonstrierten Liebermann und Tucker [18] Überlebensraten von 80–90 % sowie Teilungsraten und eine Morulabildung von > 30 %. Die Überlebensrate von Embryonen nach langsamem Einfrieren oder Vitrifikation liegen vergleichbar um die 75–80 % [12]. Erfolgreiche Schwangerschaften und Lebendgeburten von vitrifizierten Teilungsstadien wurden beschrieben [6, 7, 25, 27]. Loutradi et al. [20] publizierten eine Metaanalyse und einen systematischen Review zur Kryokonservierung von Teilungsstadien unter Verwendung des traditionellen langsamen Protokolls
im Vergleich zu den Vitrifikationsprotokollen und fanden eine Überlebensrate von 84 bzw. 97 %. Vitrifikationsprotokolle zeigten sich auch hinsichtlich klinischer Schwangerschafts- (48 vs. 35 %) und Implantationsraten (39 vs. 15%) deutlich überlegen [2, 6, 15, 25]. Schlussfolgernd kann festgestellt werden, dass Vitrifikationsprotokolle für Teilungsstadien einen positiven Einfluss auf das gesamte weitere Outcome besitzen.
on des Kryokonservierungsmittels sein, sodass intrazellular Restwasser verbleibt, welches dann kristallisiert. Als hilfreich beschrieben einige Arbeitsgruppen die artifizielle Reduktion der Blastozoele vor der Vitrifikation [10, 19]. Nach der Vitrifikation menschlicher Blastozysten unter Anwendung verschiedener Trägersysteme betrug die Überlebensrate 72–90%, die klinische Schwangerschaftsrate 37–53 % und die Implantationsrate 22–30 % [21].
Vitrifikation von Blastozysten
Fazit für die Praxis
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Die Blastozyste ist ebenso wie die unbefruchtete Eizelle besonders empfindlich gegenüber niedrigen Temperaturen. Ihre Besonderheit liegt im flüssigkeitsgefüllten Blastozoel. Es ist bekannt, dass die Überlebensrate nach Vitrifikation mit zunehmendem Volumen des Blastozoels abnimmt. Eine mögliche Ursache dafür könnte eine nicht ausreichende Permeati-
Mit der Vitrifikation steht eine einfache Technologie zur Verfügung, die sich schnell in ein IVF-Labor integrieren lässt. In Anbetracht der beschriebenen Daten kann unschwer prognostiziert werden, dass die Vitrifikation sich als Alternative zu den langsamen Einfrierprotokollen weiter etablieren bzw. diese zunehmend verdrängen kann.
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Der Diskussion über die Anwendung von offenen Trägersystemen und die mögliche Gefahr der Kontamination der Zelle mit Bakterien, Pilzen oder verschiedenen Virustypen in LN2 kann durch den Einsatz eines geschlossenen Trägersystems begegnet werden [21]. Seit 2015 existiert auch erstmals ein automatisiertes Gerät für die geschlossene Vitrifikation, das den Arbeitsaufwand noch weiter reduzieren und die Abläufe ggf. noch konsistenter gestalten könnte.
Interessenkonflikt !
Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Danksagung !
Mein Dank gilt Frau Dr. rer. nat. Beatrice Maxrath für ihre Hilfe bei der Bereitstellung der Abbildungen.
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Korrespondenz Prof. Dr. Frank Nawroth Facharzt-Zentrum für Kinderwunsch, Pränatale Medizin, Endokrinologie und Osteologie, Hamburg Frank.Nawroth@ amedes-group.com
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