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Manuskript Katholische Welt
Psychoanalyse und Religion Die Narzissmustheorien als Herausforderung für den Glauben
Autor/in:
Inka Kübel
Redaktion:
Wolfgang Küpper / Religion und Kirche
Sendedatum:
Sonntag, 21. Juni 2015 / 08.05 - 08.30 Uhr www.br.de/bayern2/religion
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Seite 1
Atmo:
Kirchenglocken / Gesang: Ich glaube Gott ist Herr der Welt
Zuspielung:
Die praktische Religion in der Kirche, wenn sie da reingehen und zuhören ist immer noch eine ganz menschlich-familiare Vorstellung. Vater-unser, das ist diese Gottesvorstellung, gegen die Freud damals schon angetreten ist, dass hier eine menschliche Sozialisationsgeschichte nach oben transponiert wird und eine ganz bestimmte Bezogenheit und Abhängigkeit des Menschen definiert wird, dass also die menschlich erlebten Eltern, in denen wir Schutz suchen, die uns überlegen sind nun in einer sehr menschlichen Form nach oben verlagert werden und die Abhängigkeit, die Unfreiheit des Menschen, diese infantile Position weiterschreiben.
Sprecherin:
Religionskritik mit klaren Konturen: Der Psychoanalytiker Dr. Bernd Horn gehört aktuell zu den schärfsten Religions- und Kirchenkritikern seiner Zunft. Er hat langjährige klinische Erfahrung und viele Patienten behandelt, die streng religiös oder gar in Sekten sozialisiert wurden. Für ihn steht die Psychoanalyse in der Tradition der Aufklärung, der Emanzipation, der Erweiterung des WISSENS – nicht des Glaubens.
Musik:
„Oh lasst Euch nicht verführen…
Zuspielung :
Ich habe, als ich die Gottesvergiftung geschrieben habe auch gedacht, ich muss die Menschen erlösen, total, von ihrer Gottesvorstellung. Davon bin ich weit entfernt, sondern, ich folge auch nicht Freuds radikalem Atheismus, den halten viele Menschen, auch gebildete gar nicht aus. Freud hat hier ein
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Erwachsenen-, ein Reifungsbild vermittelt, was nur einer Elite, einer aufgeklärten Elite möglich war.
Sprecherin:
Tilmann Moser. Der Freiburger Psychoanalytiker ist mit seiner „Gottesvergiftung“ in den 70-er Jahren schlagartig prominent geworden. Seine Abrechnung mit einem unterdrückenden, lebensfeindlichen Gott war gründlich und persönlich befreiend. Moser hat im Laufe der Jahre aber sanftere Töne angeschlagen Heute sagt er, dass Gott ihn in Ruhe lässt und umgekehrt.
Atmo:
Kirchensound
Zuspielung:
Das Entscheidende was ich für die Theologie sehe an diesen neuen Entwicklungen, dass wir hier Grundlagen entdecken, etwa das, was Erikson als das Urvertrauen beschrieben hat und selber mit dem Begriff Glauben verknüpft hat, dass das sozusagen die strukturellen Grundlagen und Voraussetzungen im Menschen sind, um so etwas wie einen religiösen Glauben überhaupt zu ermöglichen.
Sprecherin:
Prof. Heribert Wahl. Katholischer Theologe mit psychoanalytischer Ausbildung. Er sucht seit vielen Jahren den Dialog mit der Psychoanalyse, sieht ihre Erkenntnisse als Bereicherung für die Theologie und das religiöse Menschenbild. - Horn, Moser und Wahl repräsentieren die unterschiedlichen Facetten, die sich in der Auseinandersetzung von Religion und Psychoanalyse zeigen, teils ergänzend, teils konflikthaft.
Musik:
Freudiana (Charcot)
Sprecherin:
Warum glauben wir an etwas, von dessen Existenz wir nichts wissen? Warum ist Glaube trotz der Unbeweisbarkeit Gottes für
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viele Menschen so bedeutsam? Geschieht Glauben aus NotWendigkeit oder ist er eine Fähigkeit, in tiefere Dimensionen der Geheimnisse des Lebens einzutauchen? Wer glaubt, wer nicht?
Sprecherin:
Auf einige dieser Fragen geben die Narzissmustheorien der Psychoanalyse Antworten. Sie haben ihren Ursprung bei Sigmund Freud. Und sie sind der Schlüssel moderner Religionskritik – auch wenn es je nach Schule unterschiedliche Ansätze gibt, was unter Narzissmus eigentlich genau zu verstehen ist. Der Aspekt, dass wir heutzutage als selbstverliebte Egomanen durch die Welt laufen, ist da nur die klischeehafte Spitze des Eisberges. Es geht vielmehr um Erkenntnisse über die früheste Verfasstheit des Menschen, die Prägungen schon im Mutterleib, die Bedingungen, denen ein Neugeborenes ausgeliefert ist und die seine weitere Entwicklung maßgeblich mit bestimmen. In dieser frühesten Lebensphase ist Religion nach diesen Modellen verankert. Der Psychoanalytiker Heinz Henseler brachte die Erkenntnisse in den neunziger Jahren mit den Worten auf den Punkt:
Zitator:
Religion ist eine Beziehungsform, die sich übernatürlich anfühlt, auf Transzendentes zu verweisen scheint, aber in Wirklichkeit in frühkindlichen Beziehungsformen ihre Wurzeln hat.
Sprecherin:
Die Narzissmustherorien gehen auf den späten Sigmund Freud zurück. Die Quelle der Religion sah er in erster Linie in der frühen existenziellen Hilflosigkeit des Menschen. Die Psyche produziert deshalb Wunschvorstellungen, Illusionen, die ihm helfen mit dieser fragilen Grundsituation umzugehen. Religion gibt hier Antwort und Halt.
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Seite 4
Zitator:
Die religiösen Vorstellungen, die sich als Lehrsätze ausgeben, sind nicht Niederschläge der Erfahrung oder Endresultate des Denkens, es sind Erfüllungen der ältesten, stärksten, dringendsten Wünsche der Menschheit; das Geheimnis ihrer Stärke ist die Stärke ihrer Wünsche.
Musik:
„Oh lasst Euch nicht vertrösten…“
Sprecherin:
Für Sigmund Freud bestand die Funktion der Religion in Tröstung, Belehrung und Anleitung. Er meinte kritisch:
Zitator:
Religionen können diese Aufgaben nicht lösen, ohne den Wert des Lebens herabzudrücken, das Bild der realen Welt zu entstellen und die Intelligenz aufs heftigste einzuschüchtern.
Sprecherin:
Dem stell Freud die Überzeugung gegenüber, dass Wissenschaft diese drei Aufgaben besser, nüchterner wenn auch weniger tröstlich zu lösen vermag. Den Begriff des Narzissmus führte Freud erst sehr spät ein, ohne damit direkt auf Religionskritik abzuzielen. Um bestimmte Phänomene zu erklären, musste er sein ursprüngliches Triebmodell grundlegend ändern. Am Ende sah er im Narzissmus eine Art Ur-Libido des „Ich“, , das vorgeburtlich und zu Beginn des Lebens noch kaum entwickelt ist. Der Narzissmus beschreibt so einen Zustand des Daseins ohne Bewusstsein für eine Außenwelt. Freud spricht hier vom primären Narzissmus. Beziehung ist in diesem Konzept das Ergebnis auf sich selbst gerichteter Triebe – und keine eigenständige Motivation. Diese Auffassung hat sich verändert. Bernd Horn:
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Seite 5
Zuspielung:
Heute sehen wir den Menschen etwas anders als zu Freuds Zeiten, wir sehen ihn nicht mehr als autonomes Individuum allein, sondern von Lebensanfang an in Beziehung zur Umwelt.
Sprecherin:
Einer der ersten, die das psychoanalytische Modell des Narzissmus mit Religion in Verbindung gebracht haben, war der französische Analytiker Béla Grunberger. In seinem Buch „Narzissmus, Christentum, Antisemitismus“, das in der Szene zum Klassiker wurde, liefert er eine kritische Analyse der Verstrickungen des Christentums mit Antisemitismus. Ein Teil seiner Ausführungen beinhaltet die These, dass religiöse Bedürfnisse und Gedankengebäude letztlich auf dem Wunsch beruhen ganz frühe, auch pränatale Erfahrungen wieder wachzurufen. Grunberger spricht vom „seligen Schwimmen und Schweben“ und vom Gefühl „erhebender Erhabenheit“, das den Fötus und den Säugling in quasi-religiöses Erleben führt - und wonach sich auch der Erwachsene immer wieder zurücksehnt. Religion als Regression auf frühestes Erleben. Theologen, die sich um den Dialog mit der Psychoanalyse bemühen sehen darin eine Reduktion. Mit dem Grunberger-Modell ließen sich nur vage mystische Erfahrungen erklären, sagt Heribert Wahl:
Zuspielung:
Was fehlt, ist die ganze personale Seite, dass man es mit konkreten Figuren zu tun hat, auch im religiösen Raum, zu denen auch ganz bestimmte Beziehungen hergestellt werden, und wo sich das Ganze nicht darin erschöpft, dass das einzelne Subjekt im All-Eins herumschwimmt und sich grandios phantasiert.
Sprecherin:
Wahl findet in der Weiterentwicklung der Narzissmus-Theorien Modelle, die das Phänomen Religion aus seiner Sicht besser
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beschreiben können. Und das umso passender, je stärker der Beziehungsaspekt betont wird.
Sprecherin:
Der britische Kinderarzt und Analytiker Donald Winnicott nimmt eine Schlüsselrolle im Dialog zwischen Theologie und Psychoanalyse ein. Von ihm stammen die Begriffe „Übergangsobjekt“ und „intermediärer“, „schöpferischer“ oder „illusionärer Raum“. Was ist damit gemeint? Säuglinge und Kleinkinder haben zum Beispiel häufig Schnuffeltücher, Püppchen oder Kuscheltiere, die es ihnen erleichtern, Phasen zu überbrücken, in denen die Mutter nicht anwesend ist. Nach und nach lösen sie sich aus der symbiotischen Beziehung mit der Mutter und können sich mit Hilfe des Übergangsobjekts von der engen Bindung ent-wöhnen. Der intermediäre Raum liegt dabei quasi zwischen innerer und äußerer Realität. Er besteht aber nicht nur in dieser frühen Phase, sondern lebenslang und bekommt im Verlauf der psychischen Reifung eine andere Gewichtung und Bedeutung. Und genau in diesem intermediären Raum ist nach Winnicott auch –aber nicht nurReligion zu verorten.
Musik:
Freudiana (Charcot)
Sprecherin:
All diese neueren Theorien verlassen das Freudsche Modell des primären Narzissmus zugunsten eines Modells der primären LIEBE, wie der Theologe Wahl betont. Dabei hat Sigmund Freud diesen Paradigmenwechsel in gewisser Hinsicht schon vorbereitet:
Zuspielung:
Er hat sie unbedingt vorbereitet. Allein dadurch, dass er in dieser großen mutigen Offenheit das VERFAHREN der Psychoanalyse erfunden hat. Nämlich diese BEZIEHUNG. Die ja einmalig ist.
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Sprecherin:
Je mehr sich die Psychoanalyse dem Beziehungsaspekt zuwendet, desto stärker wandeln sich –so Wahl- nicht nur die Begriffe von Illusion, Realität und Kultur, sondern die gesamte Einstellung zur Religion. In diesen Modellen wird der Mensch zum Individuum nicht in erster Linie durch die Überwindung von Abhängigkeits-Beziehungen, sondern DURCH Beziehung. Beziehung und Autonomie bedingen einander.
Zuspielung:
Das ist kein Widerspruch, und das ist kein Gegensatz, sondern das ist eigentlich die ERMÖGLICHUNG, dass ich wirklich autonom bin, wenn ich gehalten und getragen bin in einer Beziehung, die das zulässt. Die das ermöglicht. Und ich wiederum dann natürlich auch wechselweise gegenüber dem anderen seine Autonomie fördere. Aber Autonomie in sich, nur für mich – das ist eigentlich eine Karikatur.
Sprecherin:
Das Gefühl gehalten und getragen zu sein – hier zeigt sich eine Parallele zu religiösem Empfinden und einer zentralen Botschaft des Christentums. Wahl spricht von der „Transformation“ der frühen Beziehungserfahrung und davon, dass sie im Religiösen eine „Entsprechung“ findet. Für ihn gilt dieses Modell nicht nur für den Beginn des Lebens, sondern ein Leben lang.
Zuspielung:
Das ist für ein vierjähriges Kind und für einen Pubertierenden anders als für einen Erwachsenen im mittleren Lebensjahr und für einen alten Menschen, der dem Tod entgegengeht. Auch alle diese brauchen lebensmehrende Gegenüber, die zu ihnen passen. Die mit ihnen eine Resonanz eingehen – auf der jetzt angesagten Lebensstufe. Denn dieses lebens-mehrende Gegenüber, das ist mir immer vorgegeben. Das ist nicht etwas,
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was ich herstelle. Und das ist nichts anderes als was die Theologie mit Gnade beschreibt.
Musik:
Kirchensound
Sprecherin:
Je offener die Theologie, je stärker ihr Wille nach aufgeklärter Religion, desto eher baut sie diese Erkenntnisse in ihr Menschenbild ein. Von Seiten der Psychoanalyse wird das aber zum Teil kritisch beäugt. Bernd Horn etwa wittert eine Vereinnahmungsstrategie befürchtet, dass einzelne Aspekte der psychoanalytischen Narzissmus-Theorien von der Theologie benutzt werden, um die eigene Position auf elaboriertem Niveau zu festigen und insofern dem Kern der Religionskritik auszuweichen.
Zuspielung:
Die Psychoanalyse ist ein wissenschaftlicher Zugang, falsifiziert sich, versucht über sich nachzudenken, ist in einem ständigen Fluss. Die Religion ist (nach meiner Meinung) kein wissenschaftlicher Zugang, es ist ein geoffenbarter Zugang, sie ist dogmatisch, sie hat Lehrsätze von vor 2000 Jahren, auf die sie sich noch beruft, danach wird teilweise noch die Sexualmoral gemacht und die Umgangsweise miteinander.
Sprecherin:
Horn fordert: Denken ohne Dogmen, Wahrheitssuche als Prozess. Falsifizierbarkeit als Voraussetzung dafür. Ganz im Sinne Freuds, der gesagt hat-
Zitator:
Denkverbote sind eine weit größere Gefahr für die Zukunft der Menschheit als der Verlust der Religion
Sprecherin:
Das Menschenbild Freuds ist negativ und positiv zugleich: Nüchtern erkennt er, wie stark auch die menschliche Psyche in
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der Evolution verhaftet ist, wie der Mensch nur scheinbar Herr im eigenen Haus ist – einerseits. Aber Freud hat auch ein tiefes Vertrauen in die Kraft des menschlichen Geistes.
Zitator:
Auf die Dauer kann der Vernunft und der Erfahrung nichts widerstehen und der Widerspruch der Religion gegen beide ist allzu greifbar. …Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör geschafft hat.
Musik:
„Oh lasst Euch nicht verführen…“
Sprecherin:
Gottesvorstellungen verbunden mit der Überzeugung, dass es ein Weiterleben nach dem Tode gibt, fallen für Freud klar in den Bereich der Illusion. Der Mensch muss sich von diesen kindlichen Vorstellungen emanzipieren, ins wissenschaftliche Denksystem hinein reifen. Religion ist dabei eher hinderlich. In den Worten moderner Freudianer hört sich das dann so an: Bernd Horn.
Zuspielung:
Ohne dieses spirituelle Erklärungsangebot Religion wächst kein Mensch auf. Manche haben Glück, dass andere Gedanken, die an sie herangetragen werden, die dann einen Widerspruch zu diesem religiösen Denksystem entstehen lassen, und manchmal hat man das Glück, dass der Kontrast zwischen der ganz naiven, simplen religiösen Welterklärung und den einfachen Grundgesetzen der Physik und der Biologie, die wir erkennen können, dass das so drastisch ins Auge springt, dass dann für viele früher oder später eine Distanz zu diesem Kinderglauben entsteht.
Sprecherin:
Für Horn ist es nach wie vor das aufklärerische Moment der Psychoanalyse, das weiter entwickelt werden muss im Sinne
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Seite 10
Freuds. Religionskritik auf Basis der Narzissmusforschung ist dabei ein Element – aber nicht das einzige.
Zuspielung:
Es ging Freud, es ging der Psychoanalyse darum, den Menschen zu befreien, dass er Abhängigkeiten, die natürlich unvermeidlich sind, erkennt und sich mit ihnen offen und aufklärerisch auseinandersetzt. Ich glaube wir müssen aufpassen: Das ganze Modell, was er uns geschenkt hat, was wir natürlich zeitgemäß verändern und verbessern, stellt sich gegen jeden Ismus. Sei es nun in der Religion, sei es in der Beziehung, sei es in der Sozialisation. Es gibt ein Weiterentwickeln. Es gibt ein beim jetzigen Stand meines Wissens seh ich das und das, es gibt immer eine Entwicklung, es gibt immer eine Reflexion –und das ist das Gegenteil von jedem Ismus und jeder Ideologie. Z.B. von Religion, wo es nicht diese Selbstkritik gibt. Wo es bei der Gottesvorstellung dieses unvermeidliche ewig Geoffenbarte und Dogmatische gibt.
Sprecherin:
Es bleibt eine Kluft zwischen dem ursprünglich aufklärerischen Anspruch der Psychoanalyse und dem theologischen Denken – auch bei Offenheit, auch bei Dialog. Gleichzeitig stößt die Religionskritik an Grenzen: Wer glaubt, glaubt. Punkt. Die Menschen bleiben – so könnte man in diesem Rahmen argumentieren- wider besseres Wissen hartnäckig religiös.
Musik:
Kirchensound
Erschließt sich religiöse Wahrheit vor allem an den Grenzen der Vernunft? Und wenn ja – hat sie höhere Bedeutung als etwa die wissenschaftliche Erkenntnis?- Ähnlich wie bei Freud der Mensch ins wissenschaftliche Denken hinein reifen muss, sieht der Theologe Wahl hier eine Art gegenläufige Bewegung der Reife: Weg vom Kinderglauben, hin zum reifen Glauben.
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Seite 11
Zuspielung:
Darin kann die Theologie heute am meisten profitieren, im Blick auf das Bild vom Menschen, was darin sichtbar wird und wie dieser Mensch dann eben Beziehungen aufnimmt mit Seinesgleichen aber auch mit solchen Symbolzeichen wie etwa Gott, so dass da immer mit den mitwachsenden Transformationen eine auch reife Religiosität entstehen kann, die man nicht mehr wie Freud es getan hat als infantil und unreif abtun kann, weil es quasi Relikte aus der Frühzeit des Menschen sind, die er nicht überwunden hat.
Sprecherin:
Trotz aller theologischen Ansätze, die Psychoanalyse in den aufgeklärten Glauben zu integrieren, sie bleibt ein Stachel im Fleisch der Religion. Nicht zuletzt deshalb, weil nicht überprüft werden kann, ob sich der Inhalt des Glaubens auf etwas Reales bezieht oder nicht doch Illusion ist.
Zitator :
Dass Religion die Fähigkeit hat zu trösten, macht sie nicht wahrer. Richard Dawkins.
Sprecherin:
Na und? Könnte man fragen. Ist Trost nicht Grund genug zu glauben? Aus therapeutischer Sicht spricht wohl einiges dafür – sofern es ein positiver Glaube ist, der, wie Tilmann Moser sagt, nicht als angstmachendes Erziehungsinstrument missbraucht wird.
Zuspielung:
Ich finde, Religion kann auch hilfreich sein für manche Menschen, die die Freudsche Rigorosität, dass Religion nur Neurose ist, nicht teilen.
Sprecherin:
Religion so Moser, hat auch in der therapeutischen Situation einen Platz. Er, der mit Gott abgerechnet hat und dessen
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Schwerpunkt auf der Behandlung sogenannter ecclesiogener Neurosen liegt, spricht von „Momenten der Andacht“.
Zuspielung:
Ich spüre etwas, was mich übersteigt in manchen Therapiesituationen, wo ich voller Andacht den Patienten erlebe als leidend. Aber es nichts mehr, was gottartig über mir ist.
Sprecherin:
Der therapeutische Nutzen des Glaubens wird zum Teil hoch eingeschätzt. Die bestehenden Untersuchungen darüber sind umstritten, aber es scheint doch so zu sein, dass ein positiver Glaube an einen „unvergifteten Gott“, einen, der als innere psychische Repräsentanz freundlich wachsen konnte, nicht auf dem Boden einer lebensfeindlichen Moralvorstellung oder missbraucht als Erziehungsinstrument der Eltern, dass so ein Glaube eine heilsame Ressource sein kann, wie Moser es in seinem Buch „Gott auf der Couch“ nennt.
Zuspielung:
Es legitimiert nicht Religion als solche und als Glaubenskörper und als Dogma. Es legitimiert die Bedürftigkeit eines Menschen, etwas außer sich, etwas was höher ist als er zu akzeptieren und es im Grunde, ich sags mal scharf: Manchmal ist Religion ein gutartiges Medikament und manchmal ist es ein Suchtmittel.
Sprecherin:
Die Gefahr liegt in der Dosierung des Medikaments. Moser betont, dass in der religiösen Sozialisation häufig ein übergroßes Beziehungs-Angebot gemacht oder sogar aufgezwungen wird. Und das macht dann unfrei und abhängig.
Zuspielung:
Unsere Geborgenheit ruht in Gott. Das ist in vielen Chorälen uns so vermittelt worden, in vielen Predigten, und wenn ich mal zappe am Radio, dann höre ich das immer noch: Wir sind geborgen in Christus, wir sind geborgen in der Gottesmutter, und
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diese Verheißung war verführerisch und hat uns in falsche Hoffnung gestürzt und für viele folgt daraus Bitterkeit und Abkehr. Aber es wird ja in der katholischen Kirche selbst gestritten - denken sie an die Fraktionen im Vatikan, da kämpfen Aufklärung gegen manchmal sogar verstockten Konservatismus – es ist so viel in Bewegung, dass man auch sagen kann: Aufklärung kommt endlich ein Stück weit an. (Moser)
Musik:
Freudiana (Charcot)
Zuspielung:
Und dann am Sonntag laufen dann diese Aufgeklärten in diese dunklen Hallen und beten nach einer ganz familiären Art und Weise einen Himmel an, der sich in seiner Einfalt nicht vom Himmel der griechischen Götter unterscheidet. Nur dass eben statt der vielen, einer oben ist, obwohl auch die Vielen dann unten herumlaufen, da gibt es ja dann diese Schutzengel, die Hierarchie der Engel – das Ganze hat noch so etwas Kindliches und Infantiles, dass ich mich manchmal wundere, was die Intellektuellen mit ihrem Intellekt machen.
Sprecherin:
Zwei Analytiker – zwei Wege. Tilmann Moser, der vor krankmachenden Gottesbildern warnt, sich verabschiedet hat von Gott, aber den therapeutischen Wert von Religion akzeptiert und Bernd Horn, für den Religiosität und Freiheit sich prinzipiell ausschließen.
Zuspielung:
Es wird dem Menschen eigentlich seine emanzipatorische Fähigkeit, seine Auseinandersetzung mit seiner Natur und mit der Herkunft etwas genommen, wenn man ihn entmündigt. Er ist da entmündigt. Er wird infantilisiert. Und auch dagegen hat sich die Freudsche und psychoanalytische Religionskritik gewandt, dass sie gesagt hat, wir möchten eigentlich die Würde der
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Person schützen, dass er aus dieser Gegebenheit heraus nicht einen höheren Erlöser braucht, denn wenn der nicht da ist, siehts wieder schlimm für ihn aus, sondern, dass er sich selber aus der Aufgabe des Lebens aus der Verbundenheit, aus der Natur, aus dem Herkommen aus der Natur erkenntnismäßig entfalten kann.
Sprecherin:
Der Freudianer Horn fordert entsprechend nicht nur wissenschaftliche Aufklärung, sondern auch Sinnstiftung ohne Transzendenz, Ethik orientiert an humanistischen Werten und nicht an göttlichen Geboten.
Zuspielung:
Brauchen wir wirklich eine religiöse Verankerung der Moral oder der Ethik? Oder gibt es nicht eine humanistische Verankerung der Ethik, die viel lebensnäher ist und in der Konsequenz viel hilfreicher für die Menschen, als wenn sie ihre letzte Verantwortung auf etwas abschieben, was vielleicht nicht da ist.
Sprecherin:
Aufgeklärte christliche Religion braucht vernünftige Argumente auch für moralische Gebote, so die Replik der Theologie. Es schließt sich nicht aus. Die Frage, ob sich Glaube und Vernunft vereinbaren lassen oder ob es ein Kampf um bessere Argumente und beanspruchte Wahrheiten bleibt, beantwortet der Religionsphilosoph Friedo Ricken in seinem Buch „Glauben, weil es vernünftig ist“ – und erläutert im Gespräch:
Zuspielung:
Vernunft ist ein Wort mit vielfacher Bedeutung. Es gibt viele Formen der Vernunft, und eine große Gefahr ist: wir verengen uns auf einen ganz bestimmten Vernunftbegriff, etwa der Vernunftbegriff der Naturwissenschaften, und das ist eine ganz ganz gefährliche Sache. … Es kann mir kein Mensch erklären den Schritt vom physikalischen Bereich zu einer einzigen Mikrobe erklären. Das muss beantwortet werden. Und da kommt
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eben auch ein reiner Naturalist nicht dran vorbei, wenn er an der Evolution in diesem Sinne festhält.
Sprecherin:
Staunen als Erkenntnisweg. Ein wesentlicher Aspekt, um Zugang zu Religion zu bekommen und von innen heraus zu beurteilen, zu erneuern, zu korrigieren, wo es nötig ist. Dazu kann auch die Psychoanalyse beitragen. Aber sie kann –so Ricken- die religiöse Wahrheit nicht in Frage stellen:
Zuspielung:
Eine Religion kann man nicht andemonstrieren… ich glaube man kann es üben. Sei es im Islam, im Judentum, im Christentum da ist Religion immer eine Übung.
Ricken kontert:
Sprecherin:
Ist das nun eine Immunisierung der Religion? Oder der bessere Zugang zur „Wahrheit“? Wird hier im Zirkel argumentiert oder bietet es die umfassendere, treffendere Weltdeutung, auf die man sich eben einlassen muss, um sie zu begreifen?
Musik:
Freudiana (Charcot)
Sprecherin:
Wahrheit oder Irrtum der Religion ist Spekulation. Ihre Existenz ist ein Faktum. Das letzte Wort hat der Gläubige, der sich der psychoanalytischen Religionskritik stellen kann, aber nicht muss. Denn Glaube ist auch legitime Sinndeutung für den einzelnen – und nicht Wahrheit an sich.
Atmo:
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