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Referat Von Dr. Med. Werner Tschan, Basel

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Werner Tschan INSOS 7.5.2015 INSOS Implementierung von Schutzkonzepten Prävention von sexualisierten Grenzverletzungen in Institutionen Zürich 07.05.2015 Dr. med. Werner Tschan Basel bsgp.ch Ziele für dieses Modul 1. Schutzkonzepte umsetzen – Prävention, Intervention, Nachsorge 2. Faktenwissen zu sexuellen Grenzverletzungen 3. Was tun? - Handlungskompetenz 4. Was ist OK? Was sind NO GO Situationen - Reflexion der eigenen Haltung INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Warnung Die Vorlesung von Werner Tschan handelt von sexualisierter Gewalt in Institutionen und deren Prävention. Die Ausführungen und die Fallbeispiele sind schockierend. Einzelne Punkte können bei Gewaltbetroffenen als Triggermechanismen wirken und zu einer Reaktivierung traumatischer Erinnerungen führen und damit seelische Reaktionen auslösen. INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Gewalt-Prävention Gewalt ist, was die Gesellschaft als Gewalt wahrnimmt resp. bezeichnet. Opferperspektive ist eine andere Realität. Opfer von Gewalt werden kaum wahrgenommen. Opfer sind vielfach rechtlos! Prävention mit den Betroffenen, nicht bloss für die Betroffenen (Selbstbestimmung). INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Gewalt in Europa EU (2014) ca. 505 Mio. Einwohner. 42‘000 faceto-face Interviews in EU-28 33% aller Frauen im Alter von 15-74 Jahren haben Gewalt erlebt; das sind 62 Mio. betroffene Frauen (5.3.2014 FRA) Der Rechtsstaat soll Menschen vor Gewalt schützen. INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Gewalt an Menschen mit Behinderung 75% aller Menschen mit Behinderungen sind von Gewalt betroffen. Der Schutz der Schwächsten ist eine zentrale Aufgabe des Rechtstaates. Die Schweiz hat die UN Behindertenkonvention (CRPD) am 15.04. 2014 ratifiziert und verpflichtet sich damit für deren Umsetzung. INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Sexualpädagogik Menschen mit Behinderungen brauchen Anleitung im Umgang mit Nähe und Distanz.  Sie sollen sich frei von Angst und Gewalt mit Nähe und Distanz auseinandersetzen können.  Sie können nur NEIN sagen, wenn sie wissen, wo die Grenzen sind. INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Übergriffsszenarien Institutionen können auf viele Arten betroffen sein:  PSM (Übergriffe durch Fachleute an Klienten)  Übergriffe durch Mitarbeiter an Mitarbeitern (sexuelle Belästigung)  Übergriffe in der Institution durch Drittpersonen (Angehörige, Besucher, Dienstleister, etc.)  Übergriffe unter Bewohnern in der Institution (Sorgfaltspflicht)  Übergriffe von Bewohnern an Mitarbeitern (Workplace Violence)  Fehlverhalten ausserhalb der Institution (z.B. ein Heimleiter wird wegen Kinderporno-Konsum angezeigt)  Nicht-Ermöglichen von Sexualität und Partnerschaft in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Was sagen Opfer von sexualisierter Gewalt? viele schweigen, aus Scham, aus Angst, aus Nichtwissen  keine spezifischen Zeichen resp. Symptome  rund 20% erzählen ihren Eltern, Bezugspersonen etwas  rund 50% erzählen zuerst etwas ihren Peers  >50% der Opfer benötigen mehr als 20 Jahre  http://www.ACEstudy.org INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Vielen Opfern wird nicht geglaubt weil man sich das nicht vorstellen kann ...  keine curriculare Vermittlung  keine Kenntnisse über Täterstrategien  Es heisst oft: Opfer lügen, übertreiben ...  Die Justiz: „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Gedanken zur Prävention  „Schnell beschriebenes Papier ist nichts wert, wenn es nicht mühsam und Punkt für Punkt in der Institution auch real umgesetzt wird“. (Mertes 2013, p. 33)  „Institutionen können … Machtmissbrauch nicht selbst aufklären, sondern bedürfen dazu der Hilfe von aussen“. (Mertes 2013, p. 81) INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Mythen und Fakten  … das gibt es nicht bei uns …  Wir haben ein umfassendes Präventionskonzept.  Das sind Einzelfälle – man kann nicht auf die strukturellen Bedingungen rückschliessen ...  Man kann ja diesen Opfern kaum glauben … INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Schutzkonzepte umsetzen  Problemakzeptanz  Umsetzung in der Institution (Leistungsvereinbarung)  Vorgehensweisen, Guidelines  Schulung der Mitarbeiter  Konzept: Was tun mit fehlbaren Fachleuten? INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Eigene Erfahrungen  Sind Sie persönlich schon mit solchen Situationen konfrontiert gewesen?  Was haben Sie getan?  Was sind Ihre Erfahrungen?  Tauschen Sie sich mit der Nachbarin/dem Nachbarn aus INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Eigene Erfahrungen (2)  „We are learning through our mistakes“ Karl Popper 1963  Die Schwelle dessen, was für möglich gehalten wird, verschiebt sich (siehe NZZ Nr. 298, 23. Dez. 2014)  Menschen in Machtpositionen stehen auf der Seite der Politik, der Justiz und der Polizeiorgane; man kennt sich: Minenfeld! INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Schutzkonzepte  Prävention  Intervention  Nachsorge bsgp.ch Was tun Sie? Was tun Sie nicht?  3er Gruppen  Sie kommen nach Ihrem Urlaub zurück und stellen in der Einrichtung fest, dass mehrere BewohnerInnen sich verändert haben – einzelne wirken völlig verstummt und ziehen sich zurück, andere sind ausser sich wegen Kleinigkeiten. Sie sprechen eine Teamkollegin an, welche Ihre Feststellung teilt. Das habe vor etwa 10-14 Tagen angefangen ... INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Um was geht es? Institutionen sind Hochrisikobereiche für Fehlverhalten und sexualisierte Übergriffe.  Täter schaffen sich ihre Tatorte  die Institutionen lassen sie gewähren  Nur wer Macht hat, kann die Täter-Fachleute stoppen INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Fehlende Reaktionen Untersuchungen von Aiha Zemp:  Zwei Drittel aller Frauen mit Behinderungen erleben sexualisierte Gewalt  Die Hälfte aller Männer mit Behinderungen erlebt sexualisierte Gewalt  Obwohl die Fakten bekannt sind, erfolgten keine Massnahmen INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Gewalt-Prävention «Je tabuisierter […] die Gewalt ist, um so grösser ist die ethisch-moralische Brisanz, die mit dem Aufdecken einer solchen Gewalt durch wissenschaftliche Forschungsergebnisse einhergeht» (Gast 2002, p. 129). INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Grenzen und Verantwortlichkeit  Die Fachperson führt die Behandlung und ist für die Einhaltung fachlicher Grenzen verantwortlich.  Es handelt sich um eine einseitige fachliche Aufgabe, die sich nicht an Patienten/Klienten delegieren lässt.  Professionelle Nähe – professionelle Distanz INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Was ist OK? Was nicht?  Beispiele INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Grenzen und Verantwortlichkeit  Grenzen entsprechen dem State of the Art  Grenzüberschreitungen zum Wohle und Nutzen des Klienten/Patienten – eigentliche Abweichungen vom Standard  Grenzverletzungen = NO GO / Verletzungen der fachlichen Regeln INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Häufigkeit von Gewalt  42% aller Frauen und 28% aller Männer gemäss SAVI Report  27% aller Frauen und 16% aller Männer in USA (Finkelhor et al. 1990).  FRA Studie (5.3.2014): 33% der Frauen im Alter von 15-74 Jahren INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Pandemie  sexualisierte Gewalt ist ein globales Phänomen  sexualisierte Gewalt findet vor unseren Augen statt – wir sehen sie nicht.  Opfer von sexualisierter Gewalt sind de facto rechtslos – d.h. der Rechtsstaat schützt die Opfer nicht. INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Was tun: ein Klient/eine Klientin umarmt Sie  Sie finden es toll und erwiedern den Kontakt?  Sie stossen die Person zurück: goht‘s no?  Sie lösen sich sofort und stellen klar wo die Grenzen liegen INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Was tun: ein Klient/eine Klientin umarmt Sie  Sie finden es toll und erwiedern den Kontakt?  Sie stossen die Person zurück: goht‘s no?  Sie lösen sich sofort und stellen klar wo die Grenzen liegen  3 D Strategie: Demeanor, Debriefing, Dokumentation INSOS 07.05.2015 bsgp.ch 3 D Strategie (nach T. Gutheil)  Demeanor = eigene Rolle verdeutlichen  Debriefing = dem Klienten in der Bewältigung der Situation behilflich sein; Gespräch mit Eltern/Beistand  Dokumentation = Akten, Krankengeschichte  Eine Richterin: „Immer wenn sich delikate Situationen ergebent, hören Ärzte auf die Krankengeschichte weiterzuführen ...“ INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Definitionen  fachliches Fehlverhalten  PSM (Professional Sexual Misconduct)  Grenzverletzungen INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Fachliches Fehlverhalten Fachliches Fehlverhalten wird aus der professionellen Sichtweise verstanden:  Fachliches Fehlverhalten wird definiert als Verhalten einer Fachperson, welches KlientInnen oder MitarbeiterInnen schädigt oder schädigen könnte.  Ein kritisches situationsadäquates Verhalten mit dem Ziel der Verbesserung bestimmter Situationen ist kein fachliches Fehlverhalten. INSOS 07.05.2015 bsgp.ch PSM Professional Sexual Misconduct alle Formen von sexuellen Übergriffen in der fachlichen Rolle  sexuelle Handlungen  hands-off Delikte  sexualisierte Verhaltensweisen und Sprache PSM ist eine Form von fachlichem Fehlverhalten. INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Grenzverletzungen Abweichungen vom professionellen Standard  Grenzüberschreitungen  Grenzverletzungen = NO GO Situationen INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Rolle der Institution  Die Übergriffe werden im Rahmen der fachlichen Rolle verübt:  Machtmissbrauch  Vertrauensmissbrauch  individualpathologische Sichtweise ist nicht ausreichend INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Heutige Sichtweise  Opfer-Täter-Institutionsdynamik  Täterstrategien vor dem Hintergrund der Institution  Täter testen die Grenzen des Gegenübers  Die fachliche Rolle wird für Grooming eingesetzt INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Täterstrategien INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Modus operandi (1) Fantasien Grenzen Grooming Sex Schweigen INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Modus operandi (2) Fantasien Grenzen Grooming Sex Schweigen INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Modus operandi (3) Boundary Training: Storyboard INSOS 07.05.2015 Modus operandi (5) Gruppenarbeit HS Grooming INSOS 07.05.2015 Modus operandi (6) Schweigen Fantasien Boundary Training: Delikt-Rekonstruktion Sexuelle Aktivitäten Angst, Drohungen Sex INSOS 07.05.2015 targeting grooming bsgp.ch Finkelhor: Hürdenmodel INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Wie häufig kommt PSM vor?  Einzelfälle? INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Wie häufig kommt PSM vor?  Umfragen unter Fachleuten  Umfragen unter Folgetherapeuten  Opferbefragungen  Bevölkerungsbefragungen „consumer reports“ INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Health Monitor Ontario / Kanada 1998  110‘000 Personen (1%) geben an, im Zeitraum der letzten 5 Jahre Übergriffe durch Fachleute im Gesundheitswesen erlebt zu haben.  Weitere 220‘000 Personen (2%) geben für den gleichen Zeitraum an, unangemessene Verhaltensweisen (inappropriate behavior) erlebt zu haben (z.B. Umziehen ohne Sichtsucht, etc.). INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Grössenordnung Schweiz  16‘000 Übergriffe jährlich im Gesundheitswesen  >40 Übergriffe jeden Tag  knapp 3% der Mitarbeiter im Gesundheitswesen (541‘824 Personen / 2008; www.bfs.admin.ch) INSOS 07.05.2015 bsgp.ch PSM an Kindern  rund 25% aller sexualisierten Gewaltdelikte an Kindern werden durch Fachleute in ihrer Arbeit verübt  Hohe Dunkelziffer – 50% aller Delikte werden durch die Opfer erst nach >20 Jahren offen gelegt  Knaben sind etwas häufiger als Mädchen betroffen  kleinste Kinder können betroffen sein! INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Einzelfälle?  Sexualisierte Gewalt findet vor unseren Augen statt - wir sehen sie nicht. INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Sandro Del Prete: Message of love from the dolphins, 1987 INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Meine Forschung zur Prävention ierter Gewalt in Institutionen und der en Prävention. analysiert, in denen Fachleute Menschen mit hnen zum Schutz an vertraut hat, Gewalt angetan r über Mythen und Fakten sexualisierter Gewalt auf. bricht das Schweigen, schaut hin und ermutigt eden, gemeinsamen zu handeln, um sexualisierte ufzudecken und zu verhindern. Damit leistet das m potenzielle Opf er zukünftig wirksamer schützen verhalten und der GAU sexualisierter Gewalt Tschan Sexualisierte Gewalt Werner Tschan Sexualisierte „Institutionen sind Hochrisikobereiche Gewalt Praxishandbuch zur Prävention von sexuellen Grenzverletzungen bei Menschen mit Behinderungen für sexualisierte Gewalt“ ? ? – Täterstrategien, Modus operandi, Grooming, ieren ? – Neutralisierungsstrategie, Täterschutz, e Gewalt für Betroffene? – Posttraumatische olgest örungen, sekundäre Traumatisierungen, unentdeckt bleiben ? Opf ern eine Stimme geben geschehen ? – Hilfeangebote, Rehabilitation – ISBN 978-3-456-85109-9 ag Kopenhagen onto Cambridge, MA INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Meine Forschung zu den Ursachen „Schweigen ist die stärkste Waffe der Täter“ INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Cave: kantonale Meldepflichten  Je nach Kanton, wo Sie tätig sind, bestehen in den Gesundheitsgesetzen Meldepflichten  Dies gilt für: ZG, NW, SZ, TI, UR und BL (Stand Mai 2015)  KESB, Opferhilfestellen, etc. kontaktieren, Daten anonym halten INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Take home Nicht schweigen! INSOS 07.05.2015 bsgp.ch Kontakt  Dr. med. Werner Tschan PO Box 475 CH-4012 Basel fon 061-331-6113 [email protected]  http://www.advocateweb.org INSOS 07.05.2015 bsgp.ch