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Risiken Für Bakterielle Infektionen Nach Tätowierungen

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MEDIZIN ORIGINALARBEIT Risiken für bakterielle Infektionen nach Tätowierungen Ein systematisches Literaturreview Ralf Dieckmann, Ides Boone, Stefan O. Brockmann, Jens A. Hammerl, Annette Kolb-Mäurer, Matthias Goebeler, Andreas Luch, Sascha Al Dahouk ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Tattoos erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. In den Industrienationen sind mittlerweile 10 – 20 % der Erwachsenen tätowiert. Angesichts dieser weiten Verbreitung sollten nicht nur die Allgemeinbevölkerung, sondern auch medizinisches Fachpersonal und Entscheidungsträger in der Gesundheitspolitik die möglichen gesundheitlichen Folgen des Tätowierens stärker beachten. Methode: Es erfolgte eine systematische Literaturrecherche zu klinischen Infektionen infolge von Tätowierungen und zu mikrobiologischen Studien, in denen kontaminierte Tätowiertinten analysiert wurden. Des Weiteren wurden auf einer internationalen Tattoo Convention in Deutschland Proben von Tätowierfarben genommen und bakteriologisch untersucht. Ergebnisse: Im Rahmen der Literaturrecherche konnten 67 Fälle bakteriellinfektiöser Komplikationen nach Tätowierungen in den Jahren 1984 bis 2015 identifiziert werden. Beschrieben wurden lokale Hautinfektionen, Abszesse, nekrotisierende Fasziitis und schwerwiegende systemische Infektionen wie Endokarditis und septischer Schock. Studien zur Erfassung bakteriologischer Kontaminationen haben gezeigt, dass sowohl geöffnete als auch geschlossene Tätowierfarben klinisch signifikante Mengen bakterieller Krankheitserreger enthalten können und somit eine mögliche Infektionsquelle darstellen. In unserer eigenen Untersuchung waren 2 von 39 Tätowierfarben mit aeroben mesophilen Bakterien kontaminiert. Schlussfolgerung: Unzureichende Hygienemaßnahmen in Tätowierstudios und eine mangelhafte Wundversorgung durch nichtmedizinisches Fachpersonal sind Hauptrisikofaktoren für Infektionen infolge des Tätowierens. Außerdem können Tätowierfarben fakultativ pathogene Bakterien enthalten, die ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko darstellen. Komplikationen in Form von systemischen Infektionen scheinen jedoch selten aufzutreten. ►Zitierweise Dieckmann R, Boone I, Brockmann SO, Hammerl JA, Kolb-Mäurer A, Goebeler M, Luch A, Al Dahouk S: The risk of bacterial infection after tattooing—a systematic review of the literature. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 665–71. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0665 Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Abteilung Biologische Sicherheit, Berlin: Dr. rer. nat. Dieckmann, Ph. D. Boone, Dr. rer. nat. Hammerl, Prof. Dr. med., M.Sc. Al Dahouk Kreisgesundheitsamt, Abteilung Infektionsschutz, Reutlingen: Herr Brockmann Universitätsklinikum Würzburg, Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Würzburg: Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Kolb-Mäurer, Prof. Dr. med. Goebeler Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Abteilung Chemikalien- und Produktsicherheit, Berlin: Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Luch Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH), Abteilung Innere Medizin III, Aachen: Prof. Dr. med., M.Sc. Al Dahouk Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 40 | 7. Oktober 2016 K örperschmuck, darunter auch Tattoos, erfreut sich weltweit zunehmender Beliebtheit. Laut aktueller Studien sind in Industrienationen circa 10–20 % der erwachsenen Bevölkerung tätowiert (1). Da Infektionen als Komplikation von Tätowierungen derzeit nicht meldepflichtig sind, ist die Inzidenz Tattoo-assoziierter Infektionen weitgehend unbekannt. Eine wissenschaftsbasierte Risikoquantifizierung ist aufgrund der schlechten Datenlage nicht möglich. Tätowierungen sind gemäß der Internationalen Klassifikation der Behandlungsmethoden in der Medizin (ICPM) operative Eingriffe mit eigener Nummer im Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS Version 2016: 5–890.0). Sie werden jedoch nur äußerst selten von Ärzten durchgeführt, so dass die Überwachung von Infektionen, die mit einer Tätowierung im Zusammenhang stehen, nicht anhand der verfügbaren medizinischen Datenbanken erfolgen kann. In Deutschland können seit 2008 Komplikationen infolge medizinisch nicht indizierter Schönheitseingriffe kodiert werden. Neben Piercings und Tätowierungen umfasst dieser Diagnosecode jedoch auch eine Vielzahl anderer Eingriffe einschließlich einer Reihe ästhetischer Operationen. Da aktuell kein International Classification of Diseases (ICD)-Code existiert, der den Zusammenhang zwischen Infektion und Tätowierung verlässlich abbildet, können Infektionsraten auf Basis der Daten deutscher Krankenversicherungen nicht zuverlässig abgeschätzt werden. In epidemiologischen Studien beschrieben 0,5–6 % aller Tätowierten infektiöse Komplikationen nach dem Eingriff (2–6). Angesichts der steigenden Anzahl tätowierter Menschen könnten Tätowierungen künftig eine nicht unerhebliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen (7, 8). Ärzte sollten sich der seltenen, jedoch mitunter ernsthaften Komplikationen Tattoo-assoziierter Infektionen bewusst sein. Bei der Tätowierung wird die Haut traumatisiert und mikrobielle Erreger können die epidermale Barriere leichter durchdringen. Dadurch werden zunächst lokal begrenzte Hautinfektionen hervorgerufen. Leichte bis mittelschwere oberflächliche kutane Infektionen werden häufig nicht ärztlich behandelt, da sie selbstlimitierend sind beziehungsweise durch lokale Desinfektionsmaßnahmen und Wundbehandlung abheilen können. Das Ein- 665 MEDIZIN GRAFIK Literaturrecherche in elektronischen Datenbanken (dedupliziert) n = 1 361 Literatur aus anderen Quellen (manuelle Suche in Referenzlisten, Google Scholar) n = 18 Begutachtung des Titels und der Zusammenfassung n = 1 379 Ausschluss von 1 252 Datensätzen Gründe: alleiniger Nachweis von Mycobacterium spp.; nichtbakterielle Infektion; nichtinfektiöse Genese; keine klinische Studie Begutachtung und Evaluation der gesamten Publikation n = 127 Ausschluss von 93 Datensätzen Gründe: Übersichtsarbeiten, die auf bereits berücksichtigten Einzelfallberichten beruhen; alleiniger Nachweis von Mycobacterium spp.; kein Erregernachweis Veröffentlichungen zu bakteriellen Infektionen infolge von Tätowierungen n = 27 (Tabelle 1) Veröffentlichungen zu bakteriell kontaminierten Tätowiertinten n=7 (Tabelle 2) (mykobakterielle Infektionen bzw. Kontaminanten wurden nicht berücksichtigt) Literaturrecherche: Ausgewählt und bewertet wurden klinische Studien und Fallbeschreibungen zu bakteriellen Infektionen infolge einer Tätowierung und mikrobiologische Studien zur bakteriellen Kontamination von Tätowiertinten dringen der Bakterien in Blut- und Lymphgefäße der tieferen Hautschichten kann jedoch systemische Infektionen hervorrufen. Die Schwere der Infektion hängt hierbei wesentlich von der Virulenz des Erregers, dem Immunstatus des Tätowierten sowie dessen Grunderkrankungen ab. Um die Risiken für eine bakterielle Infektion im Zusammenhang mit Tätowierungen und die damit verbundenen gesundheitlichen Folgen besser bewerten zu können, haben wir neben der bakteriologischen Untersuchung verschiedener Tätowiermittelfarben eine systematische Literaturanalyse durchgeführt. Methoden Literaturreview Unsere Literaturrecherche umfasste Publikationen, die in den Datenbanken MEDLINE (PubMed), Scopus, Web of Science, BIOSIS Previews, EMBASE hinterlegt und/oder mit Hilfe des Suchdienstes Google Scholar zu finden waren. Ausgewertet wurden Studien und Einzelfallbeschreibungen zu ● bakteriellen Infektionen, die kurz nach einer Tätowierung aufgetreten waren, aber nicht durch Mykobakterien verursacht wurden ● bakteriell kontaminierten Tätowierfarben, wobei mykobakterielle Verunreinigungen ebenfalls nicht berücksichtigt wurden. Die Grafik zeigt den Auswahlprozess (ausführliche Beschreibung der Methode im eKasten 1). 666 Mikrobiologische Untersuchungen Untersucht wurden 39 amtliche Proben aus Tätowiermittelfarben, die im September 2014 von örtlichen Gesundheitsbehörden auf der 10. International Tattoo Convention in Reutlingen (Baden-Württemberg) nach dem Zufallsprinzip asserviert wurden. Aerobe mesophile Bakterien (das heißt Bakterien, die bevorzugt unter gemäßigten Temperaturen kulturelles Wachstum zeigen) wurden mittels validierter Methoden für die mikrobiologische Analyse von Kosmetika (EN ISO 21149: 2009) nachgewiesen und gezählt. Der Nachweis spezifizierter (Escherichia [E.] coli, Pseudomonas [P.] aeruginosa, und Staphylococcus [S.] aureus) und nichtspezifizierter Bakterien erfolgte nach EN ISO 18415: 2011. Die Bakterienisolate aus kontaminierten Proben wurden mittels MALDI-ToF-MS (Matrix-Assisted Laser Desorption/Ionization Time-of-Flight Mass Spectrometry) und 16S rRNA-Sequenzierung identifiziert. Ergebnisse Infektionen infolge von Tätowierungen Mit Hilfe der verwendeten Suchbegriffe fanden sich 1 379 Einträge, von denen jedoch 1 345 hauptsächlich aufgrund nichtinfektiöser Komplikationen oder aufgrund von Infektionen durch nichtbakterielle Pathogene wieder ausgeschlossen wurden. Fallserien wurden nur berücksichtigt, wenn die Einzelfälle nicht bereits in anderen Publikationen aufgeführt wurden (Grafik). Zwei systematische Literaturreviews zu Hautinfektionen Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 40 | 7. Oktober 2016 MEDIZIN durch nichttuberkulöse Mykobakterien (NTM) als Folge von Tätowierungen wurden erst kürzlich veröffentlicht (9, 10). Da unsere Recherche lediglich vier weitere Berichte mit insgesamt sechs neuen Fällen (e1–e4) hervorbrachte, wurden mykobakterielle Infektionen mangels zusätzlichen Erkenntnisgewinns in unserer Datenanalyse und -interpretation nicht berücksichtigt. Wir haben insgesamt 67 Fälle nichtmykobakterieller Infektionen identifiziert, die sich in 27 Veröffentlichungen aus den Jahren 1984 – 2015 (11–37) fanden. Es handelte sich überwiegend um schwere bakterielle Infektionen nach intradermaler Applikation von Tätowierfarben (Tabelle 1, eTabelle). Eine Fallserie der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA enthielt nur aggregierte Daten (16), weshalb die darin beschriebenen 34 Fälle nicht in die statistische Analyse eingeschlossen wurden. Die meisten Patienten waren männlichen Geschlechts (75 %). Das Durchschnittsalter betrug 28 Jahre (Altersbereich: 0–48 Jahre). Die Fallberichte kamen überwiegend aus den USA (n = 12), Europa (n = 11) und Neuseeland (n = 5). Die Zahl der Berichte stieg im Laufe der Zeit: 9 von 11 Fällen in Europa und 10 von 13 in Nordamerika wurden zwischen 2011 und 2015 veröffentlicht, was möglicherweise auf eine verstärkte Wahrnehmung der Infektionsproblematik hinweisen könnte. In 81 % der Fälle war S. aureus der Infektionserreger. Die gewählte antibiotische Therapie erfolgte, soweit entsprechende Angaben vorlagen, über einen Zeitraum von durchschnittlich 6 Wochen (variierend zwischen 1 und 15 Wochen). Zwei Patienten verstarben infolge einer Komplikation infektiöser Genese (11, 15). Bakterielle Kontamination von Tätowierfarben Da bislang nur sieben Berichte zu bakteriell kontaminierten Tätowierfarben veröffentlicht wurden (Tabelle 2), haben wir anlässlich einer Tattoo Convention 39 verwendete Tätowiertinten amtlich beprobt, um anhand des bakteriellen Kontaminationsgrades das Infektionsrisiko nach subepidermaler Applikation abschätzen zu können. Laut Etikett galten 19 Tätowiertinten (49 %) als steril beziehungsweise sterilisiert. 15 (38%) der Produkte enthielten Benzisothiazolinon als Konservierungsmittel, 3 weitere zusätzlich Methylisothiazolinon und Phenoxyethanol. Bei 23 Farbstoffen wurde Alkohol als Lösungsmittel verwendet, meist Isopropylalkohol. Unter den 39 untersuchten Tätowiertinten waren zwei (5 %) mit aeroben mesophilen Bakterien verunreinigt (~107 Bakterien pro Gramm Tinte). Beide Produkte enthielten keinerlei Konservierungsstoffe. In einer Probe wurden verschiedene Pseudomonas-Spezies (P. pseudoalcaligenes, P. stutzeri, P. fluorescens-Gruppe) sowie Delftia spp. (D. lacustris/tsuruhatensis-Gruppe) gefunden. Die andere Probe war mit P. aeruginosa, Stenotrophomonas maltophilia, Agrobacterium tumefaciens/Rhizobium sp. sowie Bakterien der Gruppe Staphylococcus warneri/pasteuri kontaminiert. Die von uns identifizierten Bakteriengattungen deckten sich weitestgehend mit den in der Literatur beschriebenen Erregern (Tabelle 2). Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 40 | 7. Oktober 2016 TABELLE 1 Lokale Hautinfektionen, systemische Komplikationen und Ätiologie nichtmykobakterieller Infektionen infolge von Tätowierungen* lokale Hautinfektionen (Referenz) aus Wundabstrichen oder Drainagematerial isolierte Bakterien (Referenz) – Abszesse (12, 16, 22, 25, 27, 30, 33, 34) – Corynebacterium diphtheriae (23, 24) – Erythem (18, 20, 35–37) – kutane Diphtherie (23, 24) – Pseudomonas aeruginosa (36) – Serratia marcescens (34) – nekrotische Fasziitis oder Gewebsnekrose (12, 15, 21, 22) – Staphylococcus aureus (23, 24, 29, 37) MSSA (22, 30) MRSA (17, 22, 25) – Pusteln oder Papeln (13, 16, 35, 36) – Streptococcus pyogenes (22) – staphylogenes Lyell-Syndrom („staphylococcal scalded skin syndrome“, SSSS) (37) – Weichteilinfekt (12, 15–17, 21–24, 26) systemische Komplikationen (Referenz) aus Blutkulturen, Gewebeproben, Wundabstrichen und/oder Drainagematerial isolierte Bakterien (Referenz) – abdominales Kompartmentsyndrom (15) – Bacteroides fragilis (12) – Bakteriämie (16) – Blutvergiftung (11, 12, 27, 29, 32) – Endokarditis (14, 18, 19, 28, 32) – Iliopsoas-Abszess (31) – nekrotisierende Pneumonie (33) – septischer Schock, teilweise mit Organversagen (15, 21) – spinaler Epiduralabszess (13) – toxisches Schocksyndrom (TSS) (35) – tropische Pyomyositis (26) – xanthogranulomatöse Pyelonephritis (20) – Corynebacterium spp. (15) – Haemophilus influenzae (29) – Klebsiella oxytoca (12, 15) – Moraxella lacunata (19) – Pseudomonas aeruginosa (11, 12, 15, 21) – Staphylococcus aureus (14, 15, 21, 26) MSSA (12, 13, 27, 28, 32, 35) MRSA (16, 20, 31, 33) – Staphylococcus lugdunensis (18) – Streptococcus pyogenes (12,15, 21) – Streptococcus spp. (Gruppe A) (27) – Streptococcus spp. (Gruppe C) (21) *Ergänzungen siehe eTabelle; MSSA, Methicillin-sensibler Staphylococcus aureus; MRSA, Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus Diskussion Zu den infektiösen Komplikationen nach Tätowierungen gehören Hautinfektionen wie Impetigo, Erysipel, Abszesse und Weichteilinfekte sowie systemische Infektionen, die in seltenen Fällen zu lebensbedrohlichen Komplikationen in Form von Endokarditis, septischem Schock und Multiorganversagen führen können (38). Akute eitrige Hautinfektionen oder Bakteriämien treten normalerweise innerhalb weniger Tage nach dem Stechen eines Tattoos auf und werden überwiegend von Methicillinresistenten S. aureus (MRSA) oder Methicillin-sensiblen S. aureus (MSSA), Streptococcus spp. und P. aeruginosa verursacht. Nichttuberkulöse mykobakterielle Hautinfektionen In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Berichte über nichttuberkulöse mykobakterielle Infektionen nach Tätowierungen veröffentlicht (9, 10). 667 MEDIZIN Conaglen et al. haben insgesamt 25 Veröffentlichungen zusammengefasst und analysiert, in denen 71 Infektionen mit nichttuberkulösen Mykobakterien (NTM) wie Mycobacterium [M.] chelonae, M. haemophilum und M. abscessus als Folge einer Tätowierung bestätigt worden waren und 71 weitere Fälle, bei denen der Zusammenhang zwischen Infektion und Tätowierung als wahrscheinlich galt (10). NTM-Infektionen traten bei gesunden Menschen typischerweise innerhalb von Wochen beziehungsweise Monaten nach der Tätowierung auf und manifestierten sich als lokal begrenzte Hautinfektionen in Form von Papeln, Pusteln oder Knötchen im Tattoo oder in unmittelbarer Nähe des Tattoos. In vielen Fällen waren die Läsionen auf eine einzige Farbe innerhalb des Tattoos beschränkt. Der am häufigsten postulierte Übertragungsweg war die Verdünnung der Tätowiertinte mit nichtsterilisiertem Wasser. Die mehrmonatige Behandlung mit Clarithromycin allein oder in Kombination mit Chinolonen führte in der Regel zum Ausheilen der langwierigen Infektion. Andere bakterielle Infektionen Sieben Fälle bakterieller Infektionen traten nach traditionellen Tätowierungen („Samoa-Tattoo“) bei jungen Männern aus Neuseeland, Australien und den USA auf (12, 15, 21, 23, 24, 27). Typischerweise entwickelten die Patienten zunächst ein Erysipel, multiple subkutane Abszesse sowie nekrotisierende Weichteilinfekte im Bereich des Tattoos und in der Folge polymikrobielle Septikämien, die teilweise in einen septischen Schock mit lebensbedrohlichem Multiorganversagen mündeten. Bei einem dieser Fälle war eine kutane Diphtherie durch das toxinbildende Bakterium Corynebacterium diphtheriae (var. gravis) ausgelöst worden (23, 24). Der Haut-/Wunddiphtherie ging wahrscheinlich eine Primärinfektion mit S. aureus voraus. Ein Patient verstarb im septischen Schock an akutem Herzversagen als direkte Folge der rituellen Tätowierung (15). Sowohl die Tätowiertinte als auch das verwendete natürliche gelbe Pigment (Kurkuma) waren hochgradig mit grampositiven Bakterien kontaminiert. Die meisten Patienten erlangten ihre Gesundheit wieder, allerdings nach mitunter längeren Krankenhausaufenthalten mit intravenöser Antibiotikatherapie. Die mangelhafte Reinigung beziehungsweise Sterilisation des Tattoo-Equipments, unzureichende Infektionsschutzmaßnahmen sowie die Invasivität des Eingriffs gelten als Hauptrisiken des traditionellen Tätowierens. In den Jahren 2004/2005 wurden in den USA durch die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) 34 MRSA-Infektionen nach Tätowierungen durch 13 verschiedene, nicht staatlich zugelassene Tätowierer erfasst (16). Bei der Mehrheit der Patienten handelte es sich um Männer weißer Hautfarbe ohne Grunderkrankungen oder gesundheitliche Risikofaktoren. Die meisten Infektionen waren 668 leicht bis mittelschwer (Erysipel, bakterielle Pusteln und Abszesse); eine Abheilung konnte nach chirurgischer Intervention (Inzision, Drainage) beziehungsweise oraler Antibiotikagabe erreicht werden. Bei vier Patienten kam es zu einer Bakteriämie, so dass sie zur intravenösen Gabe von Vancomycin in ein Krankenhaus eingewiesen werden mussten. Suboptimale Maßnahmen der Infektionsprävention seitens der nicht lizensierten Tätowierer wurden als wichtigster Risikofaktor identifiziert. Ähnliche Krankheitsverläufe und Risikofaktoren wurden vor kurzem bei drei Fällen einer S.-aureusInfektion nach Tätowierung beschrieben (22). In zumindest einem dieser Fälle könnte kontaminierte Tinte für die Übertragung der Bakterien verantwortlich gewesen sein, da die Hautinfektion auf eine einzige Farbe innerhalb des Tattoos beschränkt war. Zwei Ausbrüche von Haut- und Weichteilinfektionen, hervorgerufen durch „community-associated“MRSA (CA-MRSA) beziehungsweise PantonValentine-Leukozidin(PVL)-positive MSSA, unter Insassen einer Justizvollzugseinrichtung in den USA sowie einem Gefängnis in Frankreich waren ebenfalls auf unhygienische Tätowierpraktiken zurückgeführt worden (17, 30). Seltene durch S. aureus verursachte Komplikationen im Zusammenhang mit einer Tätowierung sind das durch Bakterientoxine hervorgerufene toxische Schocksyndrom (TSS) sowie das staphylogene Lyell-Syndrom („staphylococcal scalded skin syndrome“, SSSS) (37). Fünf Fälle infektiöser Endokarditis, bei denen angenommen werden muss, dass sie eine unmittelbare Folge von Tätowierungen waren, fanden sich in der Literatur. Bereits vorliegende Herzklappenfehler galten in vier dieser Fälle als Risikofaktor. Die Infektionen waren auf Keime, die zur (temporär) residenten Haut- und Schleimhautflora gehören, wie S. aureus (14, 28), S. lugdunensis (18) und Moraxella lacunata, zurückzuführen (19). Klinisch traten in den meisten Fällen Fieberschübe und Kurzatmigkeit innerhalb einer Woche nach dem Stechen des Tattoos auf. Zusammenfassend kann man festhalten, dass Bakterien infolge der Tätowierprozedur in den menschlichen Körper eindringen können, wobei sich das klinische Bild Tattoo-assoziierter Infektionskrankheiten heterogen gestaltet und die auslösenden Krankheitserreger häufig mannigfaltiger sind als erwartet (Tabelle 1, eTabelle). Kontaminierte Tätowierfarben als potenzielle Infektionsquelle Obwohl die meisten zugelassenen Tätowierstudios mittlerweile (eigenen) Hygieneregeln folgen, kommt es dennoch zu bakteriellen Infektionen. Unzureichender Infektionsschutz gilt als die häufigste Ursache. Krankheitserreger finden sich auf Oberflächen im Tätowierstudio oder auf inadäquat sterilisiertem Tattoo-Equipment. Letztlich können auch natürliche Kommensalen beziehungsweise die tranDeutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 40 | 7. Oktober 2016 MEDIZIN TABELLE 2 Bakterielle Kontaminationen von Tätowiertinten Referenz Anzahl untersuchter Tätowiertinten (geöffnet/ ungeöffnet) Anzahl (%) positiver Proben gesamt geöffnet, ungeöffnet bakterielle Belastung [KbE/g] (Probenzahl) identifizierte Bakterienspezies Reus und van Buuren (2001) (e5) 63 (32/31) 11 (18) 8 (25), 3 (10) 104–105 (1), > 105 (7) 102–104 (3) Pseudomonas aeruginosa, P. putida, P. fluorescens Charnock (2004) (e6) 12 (10/2) 7 (58) 6 (60), 1 (50) 102–103 (2), 106–109 (4) 102–103 (1) grampositive, aerobe Stäbchen, Citrobacter freundii, Achromobacter xylosoxidans, A. denitrificans, Corynebacterium sp., Brevundimonas diminuta, P. aeruginosa, Stenotrophomonas maltophilia, Leuconostoc spp., Methylobacterium mesophilicum Droß und Mildau (2007) (e7) 245 (hauptsächlich geöffnet) 26 (11) 102–107 (26) Pseudomonas spp., Citrobacter spp., aerobe Sporenbildner, Ralstonia pickettii, Koliforme Baumgartner und Gautsch (2011) (e8) 145 (106/39) 41 (28) 27 (26), 14 (36) < 101 (5), 101–103 (18), 103–108 (4) < 101 (7), 101–103 (7) Enterococcus spp., Micrococcus spp., Staphylococcus spp., Brevundimonas vesicularis, P. fluorescens, S. maltophilia, Bacillus spp., Geobacillus spp., Paenibacillus spp., Virgibacillus pantothenticus, Brevibacillus laterosporus Kluger et al. (2011) (e9) 16 (16/0) 0 (0) – – – Høgsberg et al. (2013) (e10) 64 (6/58) 7 (11) 1 (17), 6 (10) Bonadonna et al. (2014) (e11) 34 (27/7) 29 (85) 23 (85), 6 (86) 102 (1) 102–103 (6) Streptococcus spp., Acinetobacter sp., Bacillus sp., Staphylococcus sp., Aeromonas sobria, Acidovorax, Pseudomonas sp., Dietzia maris, Blastomonas sp., Enterococcus faecium < 101 (11), 101–103 (12) < 101 (4), < 102 (2) Bacillus spp., Staphylococcus spp., Enterobacter intermedius, Cronobacter sakazakii, Sphingomonas paucimobilis KbE, koloniebildende Einheit siente Hautflora sowohl der tätowierten Person als auch des Tätowierers zur Infektion führen. Frisch gestochene Tattoos können sich im Verlauf des Heilungsprozesses durch mangelhafte Wundversorgung beziehungsweise Körperpflege entzünden. Außerdem ist es möglich, dass der eingebrachte Farbstoff während des Herstellungsprozesses oder in der Anwendung kontaminiert wurde. Bakteriologische Studien (e5–e11) zeigen, dass sowohl geöffnete (in Gebrauch befindliche) als auch ungeöffnete (bisher nicht verwendete) Tätowiertinten oft beträchtliche Bakterienmengen enthalten, was darauf hinweist, dass Tattoo-Farbstoffe selbst ein Infektionsrisiko darstellen (Tabelle 2). Kontaminationsraten jenseits von 10 % sind bei Tätowiertinten nicht ungewöhnlich. In ungeöffneten Farbstoffbehältern lassen sich typischerweise Bacillus-Spezies und andere sporenbildende Bakterien finden, in vergleichsweise geringen Konzentrationen (102–103 koloniebildende Einheiten pro Gramm Tinte [KbE/g]). Demgegenüber ist die bakterielle Belastung bereits geöffneter Flaschen relativ hoch (103–109 KbE/g). Aus geöffneten Flaschen wurden beispielsweise gramnegative aerobe Bakterien wie P. aeruginosa in großen Mengen isoliert (e6). Als ubiquitär verbreiteter UmDeutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 40 | 7. Oktober 2016 weltkeim besiedelt der Erreger beispielsweise feuchte Böden, Leitungswasser und Waschbecken sowie die menschliche Haut. Grampositive Bakterien wie Staphylococcus spp., die zur temporär residenten Hautflora gehören, können sowohl in geöffneten als auch ungeöffneten Flaschen nachgewiesen werden (e8). Bei der Mehrzahl der aus Tattoofarben isolierten Bakterien handelte es sich jedoch nicht um hochgradig virulente Keime, sondern vielmehr um opportunistische Erreger (e5–e11). Viele der bakteriellen Gattungen, die mit Tattooassoziierten Infektionen in Verbindung gebracht wurden, stimmen mit den Gattungen überein, die in mikrobiologischen Untersuchungen von geöffneten Tintenflaschen nachgewiesen wurden (Tabellen 1 und 2, eTabelle). Das Umfüllen von Farbstofflösungen aus Vorratsflaschen in kleinere, nichtsterile Behälter, die während des Stechens der Tätowierung wiederholt verunreinigt werden, stellt zwar nur eine, jedoch zweifelsfrei eine sehr wahrscheinliche Kontaminationsquelle dar, vor allem dann, wenn die Öffnung der Vorratsflasche immer wieder mit dem Behälter in Berührung kommt. Unter nichtsterilen Bedingungen beziehungsweise mit kontaminierten Flüssigkeiten (Leitungswasser oder „destilliertes“, 669 MEDIZIN aber nicht keimfreies Wasser) gemischte Farben sind ebenfalls potenzielle Infektionsquellen. Bakterien können in Tätowierfarben leicht infektiöse Dosen erreichen (> 103 bis 108 KbE/g) (Tabelle 2), vor allem dann, wenn diese unsachgemäß konserviert werden (e6, e8, e10). Tätowierfarben scheinen bisher als Gesundheitsrisiko unterschätzt zu werden. Standardisiertes Vorgehen bei Tätowierdienstleistungen sowie obligatorische Qualitätssicherungsmaßnahmen sind erforderlich, und zwar nicht nur für Tätowierstudios, sondern auch für die Hersteller von Tätowiertinten (Aspekte der Regulierung im eKasten 2). Fazit Angesichts der zunehmenden Beliebtheit von Tattoos bei gleichzeitig unzulänglicher Regulierung von Hygienemaßnahmen – sowohl bei der Herstellung von Tätowiertinten als auch beim Tätowieren selbst – müssen Infektionsrisiken, die von dieser Art der Körperkunst ausgehen, als relevant für die öffentliche Gesundheit eingestuft werden (2, 3, 8, 38). Da viele Verbraucher sich des Infektionsrisikos im Zusammenhang mit Tätowierungen nicht bewusst sind und Tattoo-Studios, die die notwendigen Hygienestandards einhalten, nicht explizit ausgewiesen sind, besteht ein dringender Regulierungsbedarf im Sinne des Verbraucherschutzes. Ärztinnen und Ärzte sollten mögliche Komplikationen, die mit dem Tätowieren einhergehen, kennen, ihre Patienten über Gesundheitsrisiken aufklären und bei entsprechender Prädisposition auf die Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen wie beispielsweise einer spezifischen medizinischen Nachsorge aufmerksam machen. Falls erforderlich, sollten Patienten auf Tattoos verzichten, um gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden. Danksagung Diese Studie wurde mit Hilfe von intramuralen Forschungsgeldern des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) finanziert. Interessenkonflikt Prof. Al Dahouk hat ein medizinisches Gutachten mit Bezug zum Thema erstellt. Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht. Manuskriptdaten eingereicht: 2. 12. 2015, revidierte Fassung angenommen: 8. 6. 2016 LITERATUR 1. Kluger N: Epidemiology of tattoos in industrialized countries. Curr Probl Dermatol 2015; 48: 6–20. 2. 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KERNAUSSAGEN ● Hautinfektionen als Folge einer Tätowierung werden für die öffentliche Gesundheit voraussichtlich weiter an Bedeutung gewinnen. ● Schwerwiegende systemische bakterielle Infektionen nach Tätowierung wurden sporadisch beschrieben. ● Unzureichende Hygienemaßnahmen und prädisponierende Vorerkrankungen sind wichtige Risikofaktoren; Tätowierfarben als potenzielle Infektionsquelle wurden bislang möglicherweise unterschätzt. ● Im Sinne des Verbraucherschutzes erscheint die Etablierung verbindlicher Qualitätsstandards für Tätowiermittelhersteller, Tattoo-Studios und Tätowierer dringend angeraten. ● Ärztinnen und Ärzte sollten ihre Patienten in geeigneter Weise über mögliche Gefahren und klinische Komplikationen des Tätowierens aufklären. 670 12. Korman TM, Grayson ML, Turnidge JD: Polymicrobial septicaemia with Pseudomonas aeruginosa and Streptococcus pyogenes following traditional tattooing. J Infect 1997; 35: 203. 13. 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DOI: 10.3238/arztebl.2016.0665 @ The English version of this article is available online: www.aerzteblatt-international.de Zusatzmaterial Mit „e“ gekennzeichnete Literatur: www.aerzteblatt.de/lit4016 oder über QR-Code eKästen und eTabelle: www.aerzteblatt.de/16m0665 oder über QR-Code Hinweise für Autoren von Diskussionsbeiträgen im Deutschen Ärzteblatt ● Reichen Sie uns bitte Ihren Diskussionsbeitrag bis spätestens vier Wochen nach Erscheinen des Primärartikels ein. ● Argumentieren Sie wissenschaftlich, sachlich und konstruktiv. Briefe mit persönlichen Angriffen können wir nicht abdrucken. ● Schreiben Sie klar und deutlich, fokussieren Sie sich inhaltlich. Vermeiden Sie es, Nebenaspekte zu berühren. ● Sichern Sie die wichtigsten Behauptungen durch Referenzen ab. 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