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WISSEN & CAMPUS ÖKO-LOGISCH
Lasst Leo, wie er ist Von Joachim Wille
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er CO2-Fußabdruck von Titanic-“Leo“ ist riesig. Berechnet hat ihn noch keiner genau. Aber der frisch gekürte OscarPreisträger dürfte ein Mehrfaches der 16 Tonnen des Treibhausgases in die Atmosphäre pusten (lassen), die der US-Bürger im Schnitt jährlich zu verantworten hat. Heizung und Strom für mehrere Villen und Wohnungen in New York und Kalifornien, Flüge im Privatjet, Urlaube auf der Yacht – da kommt schon Einiges zusammen. Leonardo di Caprio besitzt zwar auch einen Toyota Prius, der dank Hybrid-Antrieb vergleichsweise wenig Sprit verbraucht. Aber das reißt es nun wahrlich nicht raus. Darf „Leo“, der Filmstar und Millionär, trotzdem Öko-Aktivist sein? Seine Dankesrede bei der Oscar-Verleihung für die Hauptrolle im Überlebensdrama „The Revenant“ zu fast zwei Dritteln dem Klimawandel widmen? Aufrufen, nur Regierungschefs zu unterstützen, Klimawandel die gegen die „großen Verwar Thema schmutzer“ seiner Rede vorgehen und sich „für die Menschheit“ und „für die Milliarden von Unterprivilegierten“, die vom Klimawandel am meisten betroffen sind? Klar darf er das. Denn dürfte er nicht, dann wäre es schnell ziemlich still um das Problem Klima- und Umweltschutz. Denn dann müsste man strenge Maßstäbe auch bei vielen anderen Zeitgenossen anlegen. Die meisten Menschen, die sich um Klima und Umwelt kümmern – ob Wissenschaftler, Politiker, Unternehmer, Lehrer oder Umweltschützer – liegen mit ihrem CO2 Ausstoß deutlich über dem ProKopf-Durchschnitt ihrer Länder und sowieso über dem Limit von zwei Tonnen CO2 pro Jahr, die global als klimaverträglich gelten. Journalisten natürlich auch. Immer noch besser, sie alle zusammen erhöhen durch ihre Arbeit das Bewusstsein der Wähler – und damit den Druck auf die Politiker für eine ambitionierte Klimapolitik, als wegen eines schlechten CO2-Gewissens zu verstummen. Außerdem, wer wollte ernsthaft ein Urteil über Leonardo di Caprios persönlichen Einfluss auf das Weltklima zu fällen? Der Hollywood-Star hat schon 1998, im Jahr nach dem „Titanic“-Megaerfolg, eine eigene Umweltstiftung gegründet, erst jüngst wieder 15 Millionen Dollar für grüne Projekte springen lassen, sich als UNKlimabotschafter einspannen lassen, mit dem Papst Öko-Themen verhandelt, auf Klima-Demos gesprochen und sich für die „Divestment“-Bewegung eingesetzt, die für die Umschichtung der Öl- und Kohle-Milliarden an der Börse in Öko-Energien kämpft. Das zusammen bewirkt wohl viel mehr, als wenn „Leo“ das Licht in der Villa ausknipst oder sich nur noch jeden zweiten Tag elektrisch rasiert. Obwohl, vielleicht macht er das ja schon. Sein Bart sah zuletzt so aus.
Frankfurter Rundschau
Donnerstag, 3. März 2016
72. Jahrgang
Nr. 53
Donnerstag, 3. März 2016
72. Jahrgang
Schutzschild bricht auf I
m Januar 1995 kam es zu einem Naturspektakel besonderer Art: In der Westantarktis zerbrach eine gigantische SchelfeisPlatte. Zwar waren schon zuvor immer wieder Eisschelfe in viele kleine Eisberge zerfallen, aber erst der Kollaps von Larsen A mit einer Eisfläche von der Größe Berlins konnte dank Radartechnologie durch die Wolken beobachtet werden. Im März 2002 folgte Larsen B, 3200 Quadratkilometer groß. 720 Milliarden Tonnen Eis verabschiedeten sich ins Meer und schmolzen. Das Eisschelf war dreieinhalb mal so groß wie Larsen A und hatte über 10 000 Jahre bestanden. Schon wurde gemutmaßt, es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch das Nachbarschelfeis Larsen C kollabiert – mit einer Fläche größer als Baden-Württemberg. Satellitendaten sollen gezeigt haben, dass sich die Dicke dieses Eisschelfs allein zwischen 1998 und 2002 um vier Meter verringert hatte. Heißt das, dass wir vor einer Kettenreaktion von auseinanderfallenden Eispanzern stehen – und durch die nun in den Ozean auslaufenden Gletscher der Meeresspiegelanstieg viel rapider ansteigt als gedacht?
Schelfeis wirkt wie ein Sicherheitsring und verhindert, dass Gletscher auslaufen Johannes Fürst vom GlaziologieInstitut der Universität Grenoble wollte dieser Frage auf den Grund gehen. Und nahm sich einen äußerst ambitioniertes Ziel vor: die Kartierung des gesamten Schelfeises in der Antarktis. Das Schelfeis hat eine wichtige Funktion: Es umgibt die Antarktis wie ein Sicherheitsring und verhindert, dass die Gletscher schnell auslaufen. Es ist bis zu mehrere hundert Meter dick, ragt mancherorts haushoch aus dem Meer und ist direkt mit den Gletschern und den Eisströmen auf dem Kontinent verbunden. Weil es auf dem Meer schwimmt, trägt es selbst nicht zum Anstieg des Meeresspiegels bei, wenn es schmilzt. Bricht das Schelfeis allerdings weg, etwa durch eine Erwärmung des Meereswassers oder der Lufttemperaturen, können die Gletscher im Inland schneller ins Meer hinausströmen – mit bis zu achtfachem Fließtempo – und lassen den Meeresspiegel ansteigen. Glaziologe Fürst vergleicht das Schelfeis mit der Stützfunktion der Hochschiffstreben gotischer Kathedralen. Das Problem: Diese Stützelemente sind, um im Bild zu bleiben, sehr stark angefressen. Bislang brachen an den Rändern zwar immer wieder Teile des Eises ab und trieben als Eisberge auf das Meer hinaus. Allerdings kam immer wieder neues Eis durch die Gletscher nach. Ein Gleichgewicht. Bislang. Fürst speiste gemeinsam mit Kollegen von der Universität Erlangen al-
lerhand Satellitendaten in ein komplexes Eisfluss-Rechenmodell ein, in dem etwa Eisdicke und Eisfluss simuliert wurden, um den Anteil des sogenannten Passiveises zu bestimmen. Passiveis hat keinerlei Stützfunktion für die Gletscher auf Land – ob es schmilzt oder nicht, spielt keine Rolle für den Anstieg des Meeresspiegels. Die Kartierung des Schelfeises liegt nun vor. 13,4 Prozent des gesamten Schelfeises der Antarktis besteht aus Passiveis, fanden die Forscher heraus und publizierten das jetzt im Fachmagazin Nature Climate Change. In manchen Regionen war der Anteil allerdings deutlich geringer. Vor allem die Westantarktis, der geologisch vielgestaltige Teil des Kontinents südlich von Südamerika, liegt in einem gefährlichen Bereich. Würde der Westantarktische Eisschild komplett abschmelzen, ließe das den Meeresspiegel um etwa drei Meter ansteigen. „Wir waren überrascht, dass wir ganz genau messen konnten, wo die Hotspots in der Westantarktis sind“, sagt Fürst. Am fragilsten zeigten sich die Bellinghausen- und die Amundsen-See, wo das passive Eis an manchen Stellen fast vollständig fehlte. „Wir erwarten, dass dort ein weiterer Schelfeisrückgang unmittelbare Konsequenzen hat und zu einem verstärkten Eisausfluss vom Festland führt“, sagt Fürst. „Das ist deshalb besorgniserregend, weil wir in dieser Region bereits seit zwei Jahrzehnten eine auffällig schnelle Dickenabnahme der Schelfeise und einen dynamischen Eisverlust im Landesinneren beobachten.“ Auch der Totten-Gletscher, ein riesiger Gletscher in der Ostantarktis südlich von Australien, zeigte sich in Fürsts Modell alles andere als stabil. Er weist einen Passiveis-Anteil von ganzen 4,2 Prozent auf. Würde der Gletscher verschwinden, käme es zu einem Meeresspiegelanstieg vergleichbar mit dem Verschwinden der kompletten Westantarktis. Und das ist gar nicht mal so unwahrscheinlich, wie eine Forschergruppe um Jamie Greenbaum von der University of Texas im Fachmagazin Nature Geoscience vor knapp einem Jahr zeigte. Demnach greift warmes Meereswasser auch dieses Gebiet an – und zwar über zwei tiefe Kanäle unter dem Gletscher. Um etwa zehn Meter pro Jahr soll das Schelfeis dort schmelzen. Auch wenn das Modell von Fürst die fragilen Stellen des antarktischen Schelfeises aufdeckt, kann es nicht voraussagen, wann es zum nächsten Eisschelf-Kollaps kommt – dahinter stecken komplizierte physikalische Prozesse. Zumindest aber für Larsen C kann Fürst in gewisser Weise Entwarnung geben: Selbst wenn es zu dem prognostizierten Kalben, also dem Teilverlust seines Eisschelfs kommt, so habe das keine unmittelbare Auswirkung auf die dahinterliegenden Gletscher – das Schelfeis dort ist passiv.
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„Das System ist aus dem Gleichgewicht“ Der Glaziologe Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut über das Schmelzen der Eisschilde
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Rolle. Dort ist es so kalt, dass das Eis gar nicht erst schmilzt.
n Grönland und der Antarktis läuft die Eisschmelze unterschiedlich ab. Aber wie geht das Schwinden der Eisschilde vor sich? Wie kommt es zum Anstieg des Meeresspiegels? Der Glaziologe Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven gibt Antworten.
Stützendes Eis in der Antarktis erodiert Von Benjamin von Brackel
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Herr Eisen, Sie waren mehrfach auf Grönland und der Antarktis. Was zieht sie dorthin? Mich fasziniert die Kraft der Gletscher, wie sie die Berge runter fließen. Aber auch die ewigen Weiten der großen Eisschilde. Wir Glaziologen haben dazu eine persönliche Beziehung. Wie waren die Bedingungen bei Ihren Untersuchungen auf der Antarktis? Vor zwei Jahren fuhren wir von der Neumayer-Station aus das Ekström-Schelf hinauf. Es war minus 15 bis minus 20 Grad kalt – allerdings ist das manchmal angenehmer als unsere Winter in Deutschland. Die Luft ist sehr trocken und es ging bei uns damals nur ein leichter Wind. Es ist rund um die Uhr hell, das wiegt die Kälte in gewisser Weise auf. Antarktis oder Grönland – was fasziniert sie mehr? Auf dem Eisschild spielt es keine Rolle: Es ist weit, flach, weiß. Grönland hat den Vorteil, dass man mit dem Flugzeug über Kopenhagen schnell hinkommt. Und es gibt dort Dörfer. Die Reise zur Antarktis dauert dagegen eine knappe Woche – von Kapstadt aus gibt es inzwischen eine Luftbrücke. Gerade die Weite des Innlandeises vermittelt einem ein ganz anderes Gefühl der Abgeschiedenheit. Schmilzt das Eis auf Grönland anders als auf der Antarktis? Die Oberfläche der Antarktis schmilzt so gut wie nicht, weil die Temperaturen das ganze Jahr unter dem Gefrierpunkt liegen. Das Eis schmilzt nur unter dem Schild, wo es auf dem Felsbett aufliegt. Oder wenn das Eis vom Inland in den Ozean fließt oder Eismassen vom Schelfeis abbrechen und ins Meer fallen. Und in Grönland? Dort taut das Eis im Sommer seit ein paar Jahren fast auf der gesamten Fläche an. Grönland ist aufgrund seiner Lage südlich des Nordpols viel stärker den wärmeren Luftströmungen ausgesetzt. Einige Gletscher transportieren dort das Eis schneller ins Meer ab.
Wie eine Wunde im Eis, hier am Astrolabe Gletscher in der Ost-Antarktis.
BRUNO JOURDAIN
Die Antarktis hat einen Schutzring aus Schelfeis, der verhindert, dass die Gletscher das Eis schnell ins Meer abtransportieren. Grönland aber fehlt solch ein Schutzschild? Genau, Grönland hat zwar kleine Schelfe, aber das sind nur einzelne Gletscher. Die Antarktis hat fast durchweg Flachmeere drum herum. Sie ist auch durch ihre Lage als Kontinent am Pol, isoliert im südlichen Ozean, viel stärker geschützt von Einflüssen etwa aus den Tropen. Gewisse Wetterereignisse schirmen die Antarktis ab, warme Luftmassen können deshalb nicht so oft bis
Eiskante am Astrolabe Gletscher.
BRUNO JOURDAIN
Warum müssen wir dann beunruhigt sein? In der Antarktis trägt vor allem das wärmere Ozeanwasser zum Abschmelzen bei – vor allem in der Amundsen-See in der Westantarktis. Dort könnte es zu einer Kettenreaktion kommen, die dazu führt, dass sich Schelfe und Gletscher unumkehrbar zurückziehen. Das hängt mit der Topographie des Eisuntergrundes zusammen: In der Westantarktis fällt der Untergrund an den Rändern des Eisschildes oft ins Landesinnere hinein ab. Wie ein Becken, in dem das Eis liegt. Solange das Ozeanwasser das Schelfeis nur soweit unterspült hat, dass es nicht über den Hang am Boden hinaus kommt, bleibt das Eisschild stabil. Zieht sich die Gründungslinie des Eises aber soweit zurück, dass das Ozeanwasser zur Schmelze am Hang Richtung Landesinnere führt, fängt das Problem an. Es beginnt eine dynamische Instabilität, das Eisschild zieht sich immer weiter zurück. Und da von oben immer mehr Eis drückt, erhöht sich die Fließgeschwindigkeit und es wird mehr Eis zum Meer transportiert. Hat der Prozess einmal eingesetzt, lässt er sich nicht mehr aufhalten. Wir befürchten, dass das System bereits aus dem Gleichgewicht geraten ist. Was bedeutet das für den Meeresspiegelanstieg? Würde alleine die Westantarktis abschmelzen, könnten sich die Ozeane um drei Meter heben.
Expedition ins Eis: Olaf Eisen trotzt der Kälte.
AWI
DER ANSTIEG DES MEERESSPIEGELS Olaf Eisen forscht am Alfred Wegener Institut Helmholtz-Zentrum für Polarund Meeresforschung in Bremerhaven. Seine Spezialgebiete sind Geophysik und Bewegung von Eisschilden und Gletschern, Klimarekonstruktion, Meeresspiegel-Anstieg sowie die Interaktion von Eis, Ozean und Atmosphäre.
Hälfte, möglicherweise sogar gänzlich, verursacht. „Die neuen Meeresspiegeldaten bestätigen erneut, wie ungewöhnlich unser Zeitalter der globalen Erwärmung durch Treibhausgas-Emissionen ist“, sagt Stefan Rahmstorf, Mitautor der Studie und Ko-Leiter des PIKForschungsbereichs Erdsystemanalyse.
Im 20. Jahrhundert ist der Meeresspiegel so schnell gestiegen wie seit 3000 Jahren nicht, wie eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) belegt. Der Vergleich von vergangenen natürlichen Meeresspiegelschwankungen mit aktuellen Zahlen zeige den Einfluss des Menschen auf. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit habe dieser den Anstieg mindestens zur
Eine weitere Studie zeigt, wie stark der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts ansteigen könnte, sollte es keinen ernsthaften Klimaschutz geben. Das Ergebnis einer Kombination aus Computersimulation und Statistik: 50 bis 130 Zentimeter. Selbst im Falle einer weltweiten ambitionierten Klimapolitik würde der Meeresspiegel um 20 bis 60 Zentimeter ansteigen.
dorthin vordringen. Grönlands Klima ist sehr viel wechselhafter.
sofort ins Meer ab, sondern dringt zunächst in den Firn ein, also Altschnee, der sich nach ein paar Jahren zu Eis zusammenpresst. In Grönland dient der Firn im Landesinneren als Puffer. Ist der Firn kalt genug, gefriert das Gletscherwasser und bleibt als Masse erhalten. Auf der Antarktis spielt das Firneis keine so große
Was bringt das Eis in der Antarktis und in Grönland zum Schmelzen? Auf Grönland sind es vor allem die wärmeren Lufttemperaturen. Das Wasser der schmelzenden Gletscher fließt allerdings nicht
Trägt die Antarktis heute schon zum Meeresspiegelanstieg bei? Das ist umstritten. In der Westantarktis nimmt das Eis sehr deutlich ab, aber in der Ostantarktis nimmt es an einigen Stellen sogar zu. Weil es dort in den vergangenen Jahren wärmer wurde, konnte mehr Wasser verdunsten und mehr Schnee fallen. Vermutlich hält das aber nur einige Jahrzehnte an, bis es auch dort zu einer Schmelze kommt. Es ist nur eine Frage von Jahrzehnten, bis auch die Ostantarktis zum Meeresspiegelanstieg beiträgt. Welches Rätsel gilt es für Glaziologen als nächstes zu lösen? Die Frage ist: Wie stabil ist die Ostantarktis? Darüber wissen wir noch sehr wenig. In manchen Bereichen wissen wir noch nicht mal, wie dick das Eis ist und wie der Untergrund aussieht. Aber das müssen wir wissen, wenn wir wirklich verstehen wollen, wie der Klimawandel das Eis beeinflusst. Wir brauchen mehr Daten für die Klimamodelle. Im kommenden Winter wollen wir deshalb auf der Antarktis untersuchen, wie der geobiologische Untergrund unter dem Eis aussieht und wie sich Geologie und Eisprozesse gegenseitig beeinflussen. Interview: Benjamin von Brackel Benjamin von Brackel ist Redakteur beim Online-Magazin klimaretter.info, mit dem die Frankfurter Rundschau in einer Kooperation die Berichterstattung zu den Themen Klima und Umwelt intensiviert.