Transcript
HS | 4/2015
MEDIZIN
Sonnenschutzmittel – Interview mit Prof. Dr. Christian Surber CHRISTA INGLIN | Übermässige Sonnenexposition verursacht Sonnenbrände und kann zu einer vorzeitigen Hautalterung oder langfristigen Schäden und Zellmutationen bis hin zu Hautkrebs führen. Neben Textilien und Sonnenbrille bieten verschiedene Sonnenschutzprodukte einen Schutz vor den negativen Folgen einer übermässigen Sonnenexposition. Prof. Dr. Christian Surber informiert im nachfolgenden Interview über lokal anwendbare Sonnenschutzmittel und gibt allgemeine und bezogen auf kranke Haut spezifische Empfehlungen ab.
Herr Prof. Surber, überhöhte oder zu lange ultraviolette (UV-)Strahlung durch Sonnenexposition kann die Haut vorzeitig altern lassen, nachhaltig schädigen und im schlimmsten Fall sogar zu Hautkrebs führen. Sind lokal anwendbare Sonnenschutzprodukte generell geeignet, die negativen Folgen der Sonnenexposition zu verhindern? Grundsätzlich ja, aber das Auftragen von Sonnenschutzmittel in Form von Lotionen, Cremen etc. ist die am wenigsten wirksame Schutzmassnahme. Kleider oder das Aufsuchen von Schatten sind viel effektiver – und nicht vergessen sollte man die Sonnenbrille zum Schutz der Augen. Den Konsumentinnen und Konsumenten steht eine grosse Auswahl an Sonnenschutzprodukten zur Verfügung. Massgebliches Kriterium ist dabei der Sonnenschutzfaktor
Prof. Dr. Christian Surber
(Lichtschutzfaktor LSF). Was sagt der LSF über die Schutzleistung des Produktes aus? Der LSF ist ein Mass für die Schutzwirkung eines Sonnenschutzproduktes vor allem im UV-B-Bereich. Der LSF wird meist von unabhängigen Untersuchungslaboratorien an freiwilligen Probanden nach genau normierten, interna-
SONNENSCHUTZMITTEL | 5
MEDIZIN
HS | 4/2015
tional anerkannten Regeln bestimmt. pektive vervierfacht, da der prozentuale Der LSF gibt an, wieviel mal länger man Anteil an absorbierter UV-Strahlung sich mit einem Sonnenschutzmittel der durch das Sonnenschutzmittel lediglich Sonne aussetzen kann, um wenige Prozente anohne einen SonnenGute Sonnenschutzsteigt. Das hiesse: Die brand zu bekommen, produkte schützen soSchutzleistung verbeswohl im UV-A- wie als dies mit der jeweils sert sich bei steigendem auch im UV-B-Bereich. individuellen EigenLichtschutzfaktor nur schutzzeit möglich wäum wenige Prozente. re. Die Eigenschutzzeit ist vom Hauttyp Der LSF bezieht sich jedoch nicht auf die abhängig. Die Eigenschutzzeit eines sehr durch das Sonnenschutzprodukt «herhellhäutigen Menschen beträgt bei Son- ausgefilterte» Strahlung, sondern auf die nenhöchststand etwa fünf bis zehn Mi- Strahlung, die in die Haut eindringt und nuten. schädigt. Bei LSF 15 erreichen ca. 6,7 Den LSF sollte man nur als Richtfaktor Prozent, bei LSF 30 ca. 3,3 Prozent und verstehen und nicht versuchen, seine bei LSF 60 rund 1,7 Prozent der UVSchutzzeit genau zu berechnen. Dies aus Strahlung die Haut – dies entspricht eigutem Grund – der LSF wird nach stan- ner Verdoppelung beziehungsweise Verdardisiertem Auftragen von 2 mg/cm2 vierfachung der Lichtschutzleistung Sonnenschutzprodukt unter Laborbe- (siehe Grafik). dingungen bestimmt. Im Alltag werden häufiger weniger als 1 mg/cm2 aufgetra- Gibt es einen maximalen Sonnenschutzfakgen und das Sonnenschutzprodukt geht tor? bei Freizeitaktivitäten häufig durch Ab- Um ein Rennen um immer höhere Sonrieb auch wieder schnell verloren. nenschutzfaktoren zu verhindern, hat man sich in Europa auf vier SchutzSchützen Sonnenschutzprodukte mit einem niveaugruppen geeinigt: Niedriges (LSF LSF 50 doppelt so gut wie solche mit einem 6, 10), mittleres (LSF 15, 20, 25), hohes LSF 25? (LSF 30, 50) und sehr hohes SchutzniGrundsätzlich ja. Leider gibt es viele fal- veau (LSF 50+). Die Bezeichnungen der sche Aussagen dazu, was die Zahlen tat- Schutzniveaugruppen wurden bisher sächlich aussagen. Beispielsweise wird von Industrie und Konsument nicht anhäufig kolportiert, dass sich die Schutz- genommen. Deshalb wird weiter mit den leistung von LSF 15 auf LSF 30 bezie- LSF argumentiert und geworben. Der hungsweise LSF 60 nicht verdoppelt res- LSF lässt sich durchaus über 50+ stei-
6 | SONNENSCHUTZMITTEL
HS | 4/2015
gern, allerdings verschlechtern sich die sensorischen Eigenschaften der Produkte wieder und das regelmässige Auftragen wird erschwert. Bei Produkten mit sehr hohem Schutzniveau tendieren Konsumenten nicht selten dazu, weniger Produkt aufzutragen und/oder sich noch länger der Sonne zu exponieren. In anderen Teilen der Welt gibt es Sonnenschutzprodukte mit LSF grösser als 100 – dort ist das Rennen um einen noch höheren Wert voll im Gange. Auf dem Markt sind Sonnenschutzprodukte mit physikalischen und/oder mit chemischen Filtern erhältlich. Worin unterscheiden sich die beiden Filterarten hinsichtlich ihrer Wirkung und Schutzleistung? Diese Unterscheidung ist etwas irreführend. Mit den physikalischen Filtern sind meist Titandioxid und Zinkoxid gemeint. Alle anderen Filter werden häufig
MEDIZIN
als chemische Filter bezeichnet. Tatsache ist, dass alle Filter chemische Substanzen sind und als Produkt eines chemischen Herstellprozesses entstehen. Titandioxid und Zinkoxid sind anorganische, partikuläre (Nano- und Mikropartikel) Filter, sie gelten weitgehend als nicht beziehungsweise kaum reaktionsfähig. Sie reflektieren, streuen und absorbieren die auf die Haut auftretende Sonnenstrahlung. Alle anderen Filter sind organischer Natur, enthalten Kohlenstoffatome. Sie können ebenfalls partikulär sein und absorbieren die Sonnenstrahlung. In der Regel werden mehrere verschiedene Filter in ein Produkt eingearbeitet, um die gewünschte Schutzleistung, also die Höhe, und Schutzbreite, das heisst UVA und UVB, zu erzeugen. Der Schutzvorgang, also Absorption, Streuung und Reflektion, findet auf der Haut und in den obersten Schichten der
SONNENSCHUTZMITTEL | 7
MEDIZIN
Hornhaut statt. Bei dem seit einigen Jahren propagierten Infrarot-Schutz (IR) wird keine Strahlung absorbiert und «unschädlich» gemacht, sondern der durch die Infrarotstrahlung angestossene Schädigungsprozess in der Haut gehemmt. Was sind Breitbandfilter? Man spricht von Breitbandfiltern, wenn die Filter sowohl im UV-A- wie auch im UV-B-Bereich UV-Strahlung absorbieren. Gute Sonnenschutzprodukte schützen sowohl im UV-A- wie auch im UVB-Bereich. Welches sind die schädlichen Folgen bei einer übermässigen UV-A-Bestrahlung? UV-A-Strahlung ist verantwortlich für die Hautbräunung und die Hautalterung. Sie galt bisher als weniger aggressiv als UV-B-Strahlung. Neuere Studien zeigen jedoch, dass sie auch Stunden nach einem Sonnenbad ErbsubstanzSchäden verursacht, die Hautkrebs auslösen können. Es ist deshalb wichtig Sonnenschutzprodukte anzuwenden, die sowohl im UVA-und UV-B-Bereich schützen. Woran erkennt man, ob ein Sonnenschutzmittel einen guten UV-A-Schutz bietet? Der UV-A-Schutz eines Produktes wird ebenfalls nach international anerkannten Regeln experimentell bestimmt und be-
8 | SONNENSCHUTZMITTEL
HS | 4/2015
rechnet. Bei ausreichendem Schutz kann der Hersteller den UV-A-Schutz mit dem UV-A-Logo auf der Packung angeben («UVA» in einem Kreis). Darauf sollten Sie als Konsument unbedingt achten. Empfehlen Sie kombinierte Sonnenschutzprodukte, die einen UV-B- und einen UVA-Schutz enthalten? Ja, in jedem Fall. Kann es bei der Verwendung von Sonnenschutzprodukten zu Nebenwirkungen oder Einschränkungen der Schutzleistung kommen, wenn man vor oder nach dem Auftragen des Sonnenschutzes medizinische Präparate wie zum Beispiel kortisonhaltige Salben oder Präparate mit Vitamin D3 oder Vitamin A-Abkömmlingen anwendet? Das ist eine sehr wichtige Frage, zu der es leider keine Untersuchungen gibt und wahrscheinlich auch kaum geben wird. Die Industrie verändert und verbessert ihre Sonnenschutzprodukte laufend und die Frage der Verträglichkeit müsste immer wieder neu untersucht werden. Ich empfehle deshalb Patienten, die eine topische Therapie anwenden, sich mit Kleidung vor der Sonnenstrahlung zu schützen oder sich im Schatten aufzuhalten. Wenn trotzdem ein Sonnenschutzmittel zur Anwendung kommen muss, dann empfehle ich Produkte anzuwenden, die ausschliesslich auf Titandioxid und/oder Zinkoxid basieren.
HS | 4/2015
MEDIZIN
Kann sich die Schutzleistung von Sonnen- gegenüber einzelnen Bestandteilen der schutzprodukten auch auf starker Psoriasis Formulierung, z.B. Parfum. Vor dem Plaque entfalten? Hintergrund der häufigen Anwendung Eine starke Verhornung der Haut redu- von Sonnenschutzmitteln sind Unverziert das Eindringen von UV-Strahlung träglichkeiten bis heute immer noch selbereits. Die Schutzleisten. Da es äusserst aufOffensichtlich enttung eines Sonnenwendig ist, den Auslöser zündete Haut sollte schutzproduktes entfaleiner Unverträglichkeit durch Kleidung oder tet auf jeder Haut ihre zu eruieren, empfehle durch Schatten Wirkung. Die Frage ist, ich einfach das Produkt geschützt werden. ob ein Produkt auf eine zu wechseln. Als erstes würde ich ein Produkt geschädigte Haut aufgetragen werden sollte. Darüber gibt es empfehlen, das ausschliesslich durch Tileider auch keine produktspezifischen tandioxid und/oder Zinkoxid schützt. Untersuchungen. Empfehlen kann ich nur, Produkte ohne Alkohol anzuwen- Schützen Sonnenschutzsprays genau so gut den und Produkte zu wählen, die sich wie Cremen? mühelos, ohne Reiben, von der Haut Theoretisch schon – vorausgesetzt, dass entfernen lassen. der gleiche LSF deklariert ist und die genau gleiche Menge aufgetragen wird. Gibt es Erfahrungswerte oder Studien darü- Allerdings ist bei vielen Sprays die auf ber, ob chemische Filter bei entzündeter Haut die Haut verabreichte Menge im Verdie Entzündung noch verstärken können? gleich zu Cremen kleiner und damit die Offensichtlich entzündete Haut sollte Schutzleistung auch geringer. Darüber durch Kleidung oder durch Schatten ge- hinaus geht während des Sprayens ein schützt werden. Wenn sich diese Opti- grosser Teil des Produktes an die Umgeonen absolut nicht umsetzen lassen, bung verloren und erreicht die Haut gar würde ich Produkte empfehlen, die aus- nicht. Ich empfehle deshalb nie Sprays. schliesslich auf Titandioxid und/oder Zinkoxid basieren. Was ist zu beachten, damit ein Sonnenschutzprodukt seine Wirkung optimal entHaben Sonnenschutzmittel Nebenwirkungen? falten kann? Grundsätzlich sind Unverträglichkeiten Wie eingangs erwähnt, tragen wir uns möglich, so zum Beispiel gegen einzelne meist zu wenig Sonnschutzprodukt auf Filter eines Produktes oder aber auch die Haut auf, um die auf der Packung
SONNENSCHUTZMITTEL | 9
MEDIZIN
angegebene Schutzhöhe (LSF) zu erreichen. Ich empfehle deshalb generell, sich vor der Exposition zweimal, wie Sie sich es gewohnt sind, einzucremen. Damit erreichen Sie etwa die notwendigen 2 mg/cm2 und cremen vielleicht auch noch Stellen ein, die Sie vorher «vergessen» haben. Was bedeutet «wasserfest» bei einem Sonnenschutzprodukt? «Wasserfest» und «extra wasserfest» sind Produkteigenschaften, die ebenfalls nach international anerkannten Vorschriften für jedes Produkt ermittelt werden müssen. An freiwilligen Probanden wird die Schutzleistung (LSF) eines Produktes vor und nach Aufenthalt in einem Wasserbecken (Jacuzzi) ermittelt. Beträgt die LSF nach dem Wasseraufenthalt 50 Prozent des auf der Packung deklarierten Wertes, wird das Prädikat «wasserfest» oder «extra wasserfest» vergeben. Persönlich halte ich wenig von diesem Prädikat. Die meisten Menschen trocknen sich nach einem Bad mit einem Handtuch ab und damit ist auch der Schutz weg. Darüber hinaus ist die Zeit, in der man sich im Wasser aufhält, im Vergleich zu derjenigen am Strand in der Regel auch sehr klein und Surfern empfehle ich ohnehin das Tragen eines Schutzanzuges. Grundsätzlich sollte man sich nach dem Aufenthalt im Wasser oder nach starkem
10 | SONNENSCHUTZMITTEL
HS | 4/2015
Schwitzen erneut eincremen, um den Schutz aufrecht zu erhalten. In der Tageskosmetik werden immer häufiger Sonnenschutzfilter beigegeben. Ist das immer sinnvoll? Ich beurteile dies als grundsätzlich sinnvoll. Dennoch ist es für den Konsumenten meist nicht ersichtlich, in welchem Ausmass (Höhe) und in welchem Bereich (UV-A- und UV-B-Spektrum) das Produkt wirkt. Ein guter UV-A-Schutz trägt sicher zu Hemmung der Hautalterung bei. Der Körper braucht für die Produktion von Vitamin D Sonnenlicht. Verhindern Sonnenschutzprodukte mit einem hohen LSF, dass im Körper der Prozess für die Produktion von Vitamin D aktiviert wird? Ein Sonnenschutzprodukt verringert die Strahlungsmenge, die in die Haut eindringt, er verhindert sie nicht. Auch bei einem Produkt mit LSF 50+ gehen ein paar Protonen durch – nur eben weniger. Aber die wenigen genügen, um die Vitamin D-Synthese aufrecht zu erhalten. Es ist sogar so, dass zu viel UVStrahlung die Vitamin D-Synthese in der Haut wieder drosselt. Auch bei mässiger Strahlung bei Bewölkung kann die Haut Vitamin D produzieren. In der Schweiz haben trotzdem viele Menschen über fünfzig Jahre ein Vitamin D-Defizit. Dies hängt aber vor allem da-
HS | 4/2015
mit zusammen, dass die Haut ab diesem Alter weniger effizient Vitamin D produzieren kann. Zur Supplementierung stehen viele frei verkäufliche Produkte zur Verfügung. Wie finden Konsumentinnen und Konsumenten das für sie geeignete Produkt? Am besten durch Probieren. Das sensorische Gefühl während des Auftragens, die Verteilbarkeit und das Hautgefühl nach dem Auftragen sind entscheidend, ob ein Produkt überhaupt und dann immer wieder aufgetragen wird. Also wählen Sie dasjenige Produkt, das Ihnen am meisten zusagt. Gibt es eine allgemeine Empfehlung, die Sie unseren Leserinnen und Lesern auf den Sommer hin mitgeben? Ich empfehle Ihnen, ein Produkt zu wählen, das Sie sich gerne auf die Haut streichen. Vor einem längeren Aufenthalt im Freien empfehle ich Ihnen besonders, sich zweimal einzucremen. Dies, um einerseits die erforderlich Menge von 2 mg/cm2 aufzutragen und um
Prof. Dr. phil. nat. Christian Surber ist an den Dermatologischen Universitätskliniken in Basel und Zürich als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Gastprofessor tätig. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Lokaltherapie der kranken Haut und
MEDIZIN
andererseits beim ersten Mal ausgelassene Stellen doch noch zu erreichen. Sonnenschutzprodukte wirken sofort. Allerdings wird empfohlen, 20 bis 30 Minuten vor der Sonnenexposition die Produkte einzureiben. Man erreicht dadurch eine höhere Haftung des Produktes auf der Haut. Als Vergleich nenne ich hier das Auftragen von Dispersionsfarbe auf einer Wand: Diese muss auch erst Abtrocknen, bevor man sie berühren kann. Aber bitte bedenken Sie, dass Sie dennoch den Aufenthalt an der Sonne zeitlich begrenzen sollten und sich durch Kleidung, Kopfbedeckung und Sonnenbrille viel besser schützen können. Herr Prof. Surber, ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses interessante Gespräch.
der Hautschutz – insbesondere der Sonnenschutz. In diesem Zusammenhang untersucht er auch Patienten- und Konsumentenverhalten – so z.B. das Sonnenschutzverhalten von Kindern und Jugendlichen.
SONNENSCHUTZMITTEL | 11