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Sozialreport - Fachhochschule Potsdam

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Fachhochschule Potsdam Fachbereich Sozialwesen /Soziale Arbeit Wintersemester 2014 Sommersemester 2014/15 Sozialreport der Werkstatt Gender/Queer und Diversity Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit? Erkenntnisinteresse: Inwiefern ist der Diskurs zu Gender/Queer und Gendervielfalt in der Praxis der Sozialen Arbeit angekommen? Projektleitung Dozent*innen: Tutor: Prof. Dr. Gudrun Perko Leah Carola Czollek Domenico Janz Studierende der Werkstatt Farah Abdullayeva, Amir Reza Arastoo, Jennifer Becker, Kai Meret Brieske, Laura Marina Ederer, Freya Ehrhardt, Anika Juliane Gerlach, Zenna Gürgen, Christian Höldtke, Niusha Khosravi Koochaksarai, Bianka Koch, Anne Mense, Jason Omer, Anastassiya Shilova, Melina Strohe, Carolin Wiggert 1 Danksagung Wir danken all unseren Interviewpartner*innen sowie allen Umfrageteilnehmer*innen für ihre Zeit. Die Gespräche und Befragungen gaben die inhaltliche Grundlage für unser Forschungsergebnis. Desweiteren danken wir Torsten Hoppe, der uns mit seiner praxisnahen und zugänglichen Art in dem Seminar zur Gesprächsführung auf die Interviews vorbereitet hat. Weiter danken wir Frau Franziska Homuth, die uns während der zwei Semester für die gesamte Sozialforschung fachlich zur Seite stand, uns in den Arbeitsschritten begleitet und besonders für die finale Anfertigung des Sozialreports engagiert unterstützt hat. Unser besonderer Dank gilt unseren Dozentinnen,Prof. Dr. Gudrun Perko, Leah Carola Czollek und unserem Tutor Domenico Janz. Die Offenheit und das Vertrauen, mit denen sie uns vom ersten Tag an begegneten, haben uns über die Zeit der Werkstatt gestützt und für die gemeinsame Arbeit motiviert. Auch ihre fachliche Kompetenz und die authentische und engagierte Vermittlung der Themeninhalte in einer angenehmen Arbeitsatmosphäre waren uns eine wertvolle Unterstützung. Vielen Dank. 2 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Phasenmodell zur Erreichung des Sozialreportes 5 2. Theoretische Grundlagen 10 2.1 Gender/Queer und Gendervielfalt 10 2.2 Diversity 10 2.3 Intersektionalität 10 2.4 Transgender 10 2.5 Intersexuell 11 2.6 Zielsetzung aus sozialarbeiterischer Perspektive: Sensibilisierung 11 3. (Gesetzliche) Grundlagen für die Soziale Arbeit 12 3.1 Grundgesetz (GG) 12 3.2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 13 3.3 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) 13 3.4 Gender Mainstreaming (GM) 14 3.5 Fazit 14 4. Empirische Daten 16 4.1 Empirische Daten zu Homosexualität in Deutschland 16 4.2 Strafverfolgung von homosexuellen Menschen weltweit 16 4.3 Trans*Personen am Arbeitsmarkt 16 4.4 Fazit 17 5. Gender/Queer und Diversity in Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit 18 5.1 Gendergerechte soziale Arbeit mit Wohnungslosen 18 5.2 Soziale Arbeit mit Frauen, Männern und queeren Menschen 20 5.2.1 Soziale Arbeit mit Frauen 21 5.2.2 Soziale Arbeit mit Männern 22 5.2.3 Soziale Arbeit mit queeren Menschen 23 5.3 Soziale Arbeit mit Menschen mit Behinderung 24 5.3.1 Die UN-BRK, Inklusion und aktuelle Stimmung in der Gesellschaft 24 5.3.2 Wer lebt mit einer Behinderung und was verbirg sich hinter dem Begriff? 26 5.3.3 Geschlecht und Behinderung 28 5.3.4 Handlungsbedarf und Projekte der sozialen Arbeit 30 5.4 Fazit 32 6. Visuelle Beobachtung zu Gender/Queer und Diversity sowie Intersektionalitäten 33 7. Empirische Studie 41 7. 1 Gewinnung von Interviewpartner*innen 7.1.1 Legende 41 41 3 7.1.2 Erhebungsansatz 42 7.1.3 Auswertungsansatz 43 7.1.3.1 Auswertungsansatz bezogen auf die geführten Interviews 43 7.1.3.2 Auswertungsansatz bezogen auf die Online-Befragung 44 7.2 Auswertung der Interviews 44 7.2.1 Themenrelevanz 44 7.2.2 Sensibilisierung 46 7.2.3 Diskriminierung 47 7.2.4 Ansprechpartner*innen 48 7.2.5 Identitätsdimensionen 49 7.2.6 Fazit 50 7.3 Online-Umfrage 53 7.3.1 Angaben zur Umfrage 53 7.3.2 Demographische Daten 54 7.3.3 Auswertung 56 7.3.4 Fazit 63 8.Ergebnisse und Schlusswort 64 9.Literaturliste 65 10. Anhang 68 10.1 Fragebögen: Sozialarbeiter*innen 69 10.2 Fragebogen: Jugendliche 70 10.3 Interviews 71 10.3.1 Interview mit einer_m Sozialarbeiter*in in einem Jugendclub 71 10.3.2 Interview mit einer_m Sozialarbeiter*in eines Aufklärungsträgers 81 10.3.3 Interview mit einer_m Sozialarbeiter*in in einem Jugendclub 89 10.3.4 Interview mit einer_m Jugendlichen in einem Jugendclub 96 10.4 Online Umfrage 99 4 1. Einleitung und Phasenmodell zur Erreichung des Sozialreportes „(…) also wenn jetzt zum Beispiel (…) ähm ein Junge gerne TANZT, ja? Ähm (...) und vielleicht auch in ner Tanzgruppe hier äh mitmacht, dann ist das natürlich was Außergewöhnliches und äh das würde schon dafür sorgen, dass er gleich gemobbt wird, weil das ist ja sehr mädchenhaft und es passt ja gar nicht ins Rollenbild eines Jungen, schon gar nicht (...) ja mit dem Hintergrund, den er vielleicht hat.“ (Zitat einer Sozialarbeiterin aus einem Interview für unsere Recherche zum Sozialreport) Dieser Ausspruch einer Sozialarbeiterin begegnete uns während einer durchgeführten Befragung zu unserem übergeordneten Forschungsthema des Sozialreportes „Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit“. Auf den folgenden Seiten haben wir uns intensiv mit der Thematik der Gendervielfalt in der Praxis der Sozialen Arbeit auseinandergesetzt. Durch die von uns geführten Interviews, aus welchen auch das oben genannte Zitat stammt, sind wir zu interessanten Ergebnissen gekommen, die sich aus einer objektiven Herangehensweise und Schlussfolgerungen unserer Datenerhebung ergaben. Der Weg zu den Ergebnissen des Reportes resultierte aus unserer gewählten Werkstatt Gender/Queer und Diversity, in welcher wir mit einer Gruppenstärke von sechzehn Personen gemeinschaftlich zusammenarbeiteten, da im Studiengang der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Potsdam alle Studierenden im ersten und zweiten Semester eine von sechs Projektgruppen, auch Werkstatt genannt, absolvieren. In diesen Werkstätten werden verschiedene Bereiche der Sozialen Arbeit praxisnah behandelt und selbstständig erste Forschungsfragen bearbeitet. In unserer Gruppe zukünftiger Sozialarbeiter*innen beschäftigten wir uns intensiv mit der Thematik Gender/Queer und Diversity. Unser Lernprozess wurde durch unsere Lehrenden, Prof. Dr. Gudrun Perko und Leah Carola Czollek, sowie unserem Tutor, Domenico Janz, begleitet. Parallel zu unserer Arbeit an Forschungsvorhaben und theoretischen Grundlagen, erhielten wir auch Unterstützung beim Erlernen des wissenschaftlichen Arbeitens. Die intensive Einführung in die Sozialforschung erfolgte durch Frau Franziska Homuth, die uns zusätzlich das entsprechende Fachwissen zur 5 Auswertung der Interviews vermittelte. Unsere gemeinsame Zusammenarbeit innerhalb der Werkstatt, welche jeweils einmal wöchentlich während der letzten zwei Semester stattfand, kann als dynamischer Prozess verstanden werden, wobei sich jedes Mitglied individuell mit der Gemeinschaft weiterentwickelt hat und seine ganz eigene Aktivität und Energie in die Gruppe einbrachte. Als Abschluss und gleichzeitig Höhepunkt der gemeinsamen Erfahrungen mit dem Thema Gender/Queer und Diversity kann das Schreiben des Sozialreportes benannt werden. In diesem wissenschaftlichen Bericht, den wir über die zwei Semester der Werkstattphase vorbereitet haben, verknüpften wir fachlich erlerntes Wissen mit dem Praxisfeld Sozialarbeitenden in jugendsozialarbeiterischen Einrichtungen im Hinblick auf den Umgang mit sexueller Vielfalt. Der Weg zur Findung des geeigneten Themas eines solchen Reportes bzw. die Formulierung einer Forschungsfrage sowie Teilforschungsfragen und eines erwies sich als Herausforderung, welche klare Strukturen, Regeln und Verhaltensweisen bei der Entscheidungsfindung und -umsetzung voraussetzte. Hier stand die Balance von Gemeinschaftssinn und Selbstverantwortung der Gruppenteilnehmer*innen im Zentrum. Entscheidend für unser Vorgehen bei der Verfassung des vorliegenden Reportes waren konkrete Vereinbarungen zwischen den Teilnehmer*innen. Information und Kommunikation waren während unserer gemeinsamen Zusammenarbeit Voraussetzung, um eine verantwortungsvolle, kompetente Arbeit und Zusammenarbeit in der Gruppe zu gewährleisten. So erfolgte schon in der Phase der ersten gemeinsamen Zusammenarbeit der Werkstattteilnehmer*innen die Erkennung der Wichtigkeit von dem Verfügbarsein von Informationen, dem Verstehen und dem Kommunizieren. Um diese essentiellen Bestandteile jeder Gruppenarbeit für alle zu jeder Zeit verfügbar zu machen, haben wir uns entschlossen, die Dokumentation jeder Werkstattsitzung einzuführen. Protokolle wurden zu jeder Werkstattsitzung geführt und enthielten die wichtigsten Inhalte des Tages, wobei jede Woche ein anderes Mitglied für diese Aufgabe zuständig war. Ziel war es, allen Teilnehmer*innen der Werkstatt eine gewisse Entscheidungssicherheit zu geben und eine Voraussetzung für die Abstimmung innerhalb des Teams zu sichern. Auch 6 erarbeitete Definitionen und fachliche Inhalte wurden dokumentiert. Neben der eben beschriebenen Verschriftlichung, erfolgte in offenen Diskussionen eine Moderation. So wurden gemeinsame Lernprozesse, die mit offenem Meinungsaustausch einhergingen, gelenkt und strukturiert. Zudem nutzen wir Kommunikationsunterstützungen, welche die Grundlage für Inklusion und Teilhabe an Gesprächen untereinander waren. Durch diese Kommunikationsunterstützung bestand die Notwendigkeit, sich mit dem Thema gerechte und ausgewogene Kommunikation auseinanderzusetzen und diese für sich selber einzuhalten bzw. in einer persönlichen Einschätzung offen über eventuelle Verbesserungsmöglichkeiten zu sprechen. All diese Formen der Organisation haben uns in den einzelnen Etappen des Sozialreportes weitergeholfen. Aufgrund dessen war es erst möglich, Abläufe zu entwerfen und Notfallvarianten zu entwickeln, Anforderungen abzuschätzen sowie Hindernisse und Beanspruchung rechtzeitig zu erkennen und im Zeitmanagement einzuplanen. In diesem komplexen Gruppenprozess entschieden wir uns gemeinsam direkt in die Praxis des Feldes der Jugendsozialarbeit zu gehen und konkrete Fragen an Sozialarbeitende einer Einrichtung zu stellen, wobei diese mithilfe der Methoden von Meuser/Nagel (1991; 2009) ausgewertet wurden. Als wir die Interviews bei den Einrichtungen der Jugendsozialarbeit noch nicht durchgeführt hatten und noch keine praktischen Erfahrungen mit dem Heranziehen von Interviewpartner*innen hatten, war zunächst auch das Befragen eines Jugendlichen im Alter zwischen 14-21 Jahren geplant, der die gleiche Einrichtung nutzt, in der auch der zu befragende Sozialarbeitende tätig ist. Doch nach der Kontaktaufnahme mit potentiellen Einrichtungen, erfuhren wir schnell, dass das Finden eines zu interviewenden Jugendlichen kompliziert war. Nun erfolgte in der Werkstattgruppe eine Art Demotivation. Diese Situation wendeten wir ab, indem wir neue Handlungsspielräume gestalteten und Anreize zur Kompetenzentwicklung anregten. Dadurch wurden von den im Voraus festgelegten Interviewgruppen ausschließlich Sozialarbeiter*innen interviewt, wobei es uns doch gelang, einen Jugendlichen zum Thema Umgang mit Sexuelle Vielfalt in jugendarbeiterischen Einrichtungen zu befragen. Inhalte unseres Interesses waren die Auseinandersetzung mit sexueller Vielfalt, die entsprechende Sensibilisierung in Einrichtungen, Umgang mit Diskriminierung, das Vorhandensein von kompetenten Ansprechpartner*innen für die Jugendlichen und die Berücksichtigung von 7 Identitätsdimensionen. Das der Studie zugrunde liegende Sample besteht insgesamt aus neun Personen wobei acht der Befragten Expert*innen waren. Als unsere offenen Forschungsfragen für die Interviews der Sozialarbeiter*innen kristallisierten sich dementsprechend Folgende heraus: 1. Inwiefern ist es in Ihrer Einrichtung relevant, sich mit dem Thema sexuelle Vielfalt auseinanderzusetzen? 2. Inwieweit findet eine Sensibilisierung für sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung statt? 3. Wie gehen Sie mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung um? 4. Inwieweit stehen direkte Ansprechpartner*innen in Ihrer Einrichtung zum Thema sexuelle Vielfalt bei Jugendlichen zur Verfügung? 5. Inwieweit werden in Ihrer Einrichtung in der Arbeit mit den Jugendlichen Identitätsdimensionen (Diversity-Kategorien) wie soziale Herkunft, Behinderung, Migration, Religion usw. berücksichtigt (Intersektionalität)? Die geführten Interviews wurden anschließend transkribiert und paraphrasiert, wobei eine festgelegte Gruppe anschließend das gewonnene Material aus allen Interviews bearbeitete. Die Ergebnisse der von uns geführten Interviews werden in diesem Sozialreport vorgestellt. Darüber hinaus wurde eine online-Untersuchung zur gleichen Thematik, welche sich ausschließlich an Jugendliche gerichtet hat, auf dem Portal www.umfrageonline.com durchgeführt. 114 Personen im Alter von 14 bis 22 Jahren teilgenommen, Unser Interesse lag darin herauszufinden, inwiefern der Diskurs zu Gender/Queer und Gendervielfalt in der Praxis der Sozialen Arbeit angekommen ist. Die folgenden Seiten werden unser Erfahrungswissen sowie unsere zielgerichteten Beobachtungen der Vorgänge in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit im Hinblick auf den Umgang mit sexueller Vielfalt darlegen. Grundlage unserer wissenschaftlichen Arbeit sind neben dem Darlegen von erworbenem Fachwissen zu Gender/Queer, Diversity, Intersektionalität und sexuelle Diskriminierung, die von uns geführten Interviews mit Sozialarbeiter*innen, welche uns systematisch einen Einblick in dieses Thema gewähren. 8 Phasenmodell zur Erreichung des Sozialreportes Aufschlüsselung Aufgliedern der Ausgangssituation Konzipieren der Arbeitsbereiche Umsetzung Programmstufen   Wahrnehmung der Aufgaben   Entwicklung von Maßnahmen     Detaillierung und Umsetzung     Wiederholung von Arbeitsschritten Klärung von Anliegen Erwartungen und Wünsche der Gruppe klären Vorbesprechung und Planung der Durchführung jeder Veranstaltung  Gemeinsame Einigung von Gesprächsregeln und Umgangsformen untereinander  Festlegung der Dokumentation (Protokolle) und der genutzten Gesprächsleiter (Moderation) Regelung der Pausen  Alternative Abläufe entwerfen und Notfallvarianten entwickeln (Lösungsstrategien von Problemen)  Anforderungen abschätzen und Nachfrage nach Mitarbeitenden planen (interner Tausch der Mitglieder einer Gruppe)  Hindernisse und Beanspruchung erkennen  Zeitmanagement (Terminabsprachen treffen)  Fortschritte, aber auch Rückschritte messen Aktuelle Herausforderungen erfassen und abschätzen (Durchführung von Interviews) Gemeinsame Ziele definieren und in ihrer Bedeutsamkeit einordnen (Rangfolge der Wichtigkeit für den Report erstellen) Aufgabenstellungen bestätigen (Einigkeit schaffen) Im Zuge der Erkennung des Ausmaßes der Aufgabenfülle einen Entscheid zur Vertiefung von Fachwissen fällen Entscheid zur Durchführung von Exkursionen, um u. a. dort erfahrenes Material produktiv in die eigene Arbeit einzubinden Erkennung der Wichtigkeit der Rücksprache untereinander Vollständiges Abschlussdokument erstellen Kontrolle durchführen (Qualität) Konkrete Nutzung von erlernten Methoden und Werkzeugen zur Verschriftlichung (Zitieren, Paraphrasieren, Transkribieren) Einsatz von erlerntem Fachwissen 9 2. Theoretische Grundlagen 2.1 Gender/Queer und Gendervielfalt Der Begriff meint das kulturell-geschlechtlich konstruierte Geschlecht, Geschlechterrollen und Funktionen. Um Gendervielfalt auszudrücken, existiert der Begriff Queer. Er bedeutet die Gesamtheit aller Geschlechteridentitäten und Geschlechterempfindungen sowie individuellen Lebensweisen. Bei dem Begriff Gender geht es also um bestimmte Rollenerwartungen, die von der Gesellschaft definiert sind. Frauen und Männer bzw. Mädchen und Jungen werden bestimmte Verhaltensweisen, Rollen und Funktionen zugewiesen. Genderviefalt bzw. Queer erweitert die Dimensionen von Möglichkeiten und zeigt so die vielfältigen Lebensrealitäten von Menschen an: u.a. heterosexuell, lesbisch, schwul, transgender, intersexuell. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 2.2 Diversity Diversity meint Vielfalt, Heterogenität, Unterschiedlichkeit und bezieht sich in den Konzeptionen auf die Diversität von Menschen. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 2.3 Intersektionalität Intersektionalität bezieht sich auf das weite Feld der Überschneidungen von Diskriminierungs- und Gewaltformen in Bezug auf alle Diversitykategorien sowie auf die Idee, dass z.B. Sexismus als Diskriminierung aufgrund von Geschlechterzugehörigkeiten, Gemeinsamkeiten und Anschlusspunkte mit z. B. Rassismus, Antisemitismus oder Heterosexismus und mit anderen Diskriminierungsformen und Diskriminierungsstrukturen aufweist. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 2.4 Transgender Als Transgender bezeichnen sich Menschen, die Ihre Geschlechtsidentität jenseits binärer Geschlechterzuordnung (Frau/Mann) leben. Sie nähern sich zuweilen über hormonelle Behandlungen oder über Operationen dem jeweils anderen Geschlecht an. Dabei entspricht das körperliche Geschlecht nicht dem empfundenen Geschlecht: Jemand hat das Bedürfnis, seinen Körper dem empfundenen Geschlecht anzupassen oder fühlt sich mit seinem körperlichen Geschlecht wohl, möchte sich der entsprechenden Rolle aber nicht anpassen. 10 Transgender wird aber auch als Oberbegriff für Menschen verstanden, für die das gelebte Geschlecht keine zwingende Folge des bei Geburt zugewiesenen Geschlechts ist. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 2.5 Intersexuell Als intersexuell benennen sich Menschen, deren Körper von Geburt an männliche und weibliche (sichtbare und nicht sichtbare) Geschlechtsmerkmale aufweist. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 2.6 Zielsetzung aus sozialarbeiterischer Perspektive: Sensibilisierung Ziel einer Gender/Queer bewussten Sozialen Arbeit ist die Sensibilisierung verschiedener Lebensweisen von Menschen im Hinblick auf Geschlechteridentitäten und Begehrensformen. Die Sensibilisierung verfolgt das Ziel, Bewusstsein zu schaffen und eine Empfänglichkeit für diese Themen zu fördern. 11 3. (Gesetzliche) Grundlagen der sozialen Arbeit In der Sozialen Arbeit mit Schwerpunkt auf Gender/Queer und Diversity gibt es spezifische rechtliche Grundlagen, auf denen unsere Forschung und somit auch diese Arbeit basiert. Wir haben uns dementsprechend auch in der Werkstatt ausführlich mit ihnen beschäftigt und werden im Folgenden genauer auf einige Artikel des Grundgesetzes, auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), sowie die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) eingehen. Außerdem beschäftigten wir uns mit verschiedenen Konzepten in diesem Bereich der Sozialen Arbeit und möchten im Folgenden eines, nämlich Gender Mainstreaming (GM), vorstellen. 3.1 Grundgesetz Art. 1, Abs. 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Art.1, Abs. 2: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Art. 2, Abs.1: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Art. 2, Abs. 2: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“ Art. 3, Abs. 1: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Art. 3, Abs. 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Art. 3, Abs. 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ (Vgl. https://www.bundestag.de/grundgesetz[letzter Zugriff: 20.6.2015]) 12 3.2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG Das AGG ist ein deutsches Bundesgesetz, das „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen soll“ (§1 AGG) Es wurde am 17. 08. 2006 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I Nr. 39, S. 1897-1910) verkündet. Neben Gleichstellungen im allgemeinen Zivilrecht beinhaltet das AGG in großem Maß arbeitsrechtliche Vorschriften zum Schutz vor Benachteiligungen am Arbeitsplatz. Daraus ergibt sich der persönliche Anwendungsbereich, der Schutz aller Beschäftigten (§ 6) und die Verpflichtung der Arbeitgeber*innen, Benachteiligungen zu unterlassen, zu verhindern oder zu beseitigen. Der sachliche Anwendungsbereich beinhaltet Vorschriften zu Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, Zugang zur Erwerbstätigkeit, Urlaubsregelungen u.v.m. (Vgl. http://www.gesetze-im-internet.de/agg/BJNR189710006.html[letzter Zugriff: 20.6.2015]) 3.3 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) Im Dezember 2006 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen und trat im Mai 2008 in Kraft. Ihr Originaltitel lautet „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“. Die Konvention stellt kein Sonderrecht für Menschen mit Behinderung dar, sondern fordert die selbstverständliche Umsetzung aller Menschenrechte auch für Menschen mit Behinderung und explizit die Teilhabemöglichkeit. Ein wichtiger Absatz der Konvention lautet: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung auf der Grundlage der Chancengleichheit gewährleisten zu können, gewährleisten die Vertragsstaaten ein Integratives Bildungssystem.“ (Artikel 24) In der englischen Originalfassung heißt es jedoch „inclusive education system“. Artikel 50 der Konvention besagt, dass die englische Version rechtsverbindlich ist. Die Inklusion wurde somit ein einklagbares Recht für jeden. Im Juni 2011 verabschiedete das deutsche Bundeskabinett einen Nationalen Aktionsplan (NAP), welcher strategische Ziele und Maßnahmen zur Umsetzung der UN-BRK innerhalb der nächsten zehn Jahre festlegt. (Vgl. http://www.behindertenrechtskonvention.info/[letzter Zugriff: 20.6.2015]) 13 3.4 Gender Mainstreaming Das Wort Gender Mainstreaming setzt sich aus den englischen Begriffen Gender (das soziale, gesellschaftlich konstruierte Geschlecht) sowie Mainstreaming (vorherrschende Richtung/Hauptströmung) zusammen. Das Konzept beinhaltet, die unterschiedlichen Lebenslagen und Interessen von Männern und Frauen auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen zu berücksichtigen. Ziel ist die Gleichstellung der Geschlechter. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 3.5 Fazit Die im Grundgesetz festgelegten Menschenrechte sind von großer Bedeutung für die Gesellschaft und nicht nur für den Bereich der Sozialen Arbeit. Im Zuge einer sich ständig wandelnden Gesellschaft verändert sich auch die Gewichtung verschiedener Gesetze und deren Aktualität. Dies zeigt sich in verschiedenen Gesetzgebungen, wie dem AGG und der UN-BRK, die gegenwärtig zunehmend an Bedeutung gewinnen. Das heißt nicht, dass es Themen wie Diskriminierung am Arbeitsplatz oder andere in genannten Gesetzen geregelte Problematiken zuvor nicht gegeben hat, sondern, dass diese heutzutage stärker thematisiert und benannt werden. Das AGG und die UN-BRK wurden erst im Jahr 2006 verabschiedet. Knapp zehn Jahre nach der Verabschiedung dieser Gesetze wird die Kritik daran lauter. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive wird zum Beispiel der im AGG verwendete Begriff „Rasse“ als diskriminierender Begriff abgelehnt. Auch bietet es einige Gesetzeslücken, die es zum Beispiel ermöglichen, strukturelle Diskriminierung zuzulassen, auch wenn der Anspruch des Gesetzes ein ganz anderer ist: als so genannte Tendenzbetriebe (z.B. die Kirche) können Menschen nicht über das AGG klagen, wenn sie eine Arbeitsstelle bei gleicher Qualifikation nicht erhalten obgleich sie gemäß der Personenbezogenen Merkmale diskriminiert werden. Mit den oben genannten Gesetzesgrundlagen und Grundsätzen korrespondiert der ethische Kodex der Sozialen Arbeit Er beinhaltet zum Beispiel Prinzipien zur Beachtung der Menschenwürde, der Umsetzung sozialer Gerechtigkeit sowie Erwartungen an das berufliche Verhalten von Sozialarbeiter*Innen. Der Kodex wurde herausgegeben von der International Federation of Social Workers - IFSW (Internationale Vereinigung der SozialarbeiterInnen) und verabschiedet am Weltdelegiertentreffen der IFSW in Colombo, Sri Lanka, 6. - 8. Juli 1994. Der Kodex kann als Leitfaden für die Arbeitsweise von Sozialarbeiter*innen gesehen werden. Jedoch gibt es keine Konsequenzen bei Nichtberücksichtigung des Kodexes. (Vgl. 14 http://www.sozialarbeit.at/files/ethiccodex_ifsw_1.pdf[letzter Zugriff: 20.6.2015]) Während wir uns in der Werkstatt mit Gender Mainstreaming beschäftigten, fiel uns auf, dass das Konzept zwar Männer und Frauen, jedoch zum Beispiel nicht alle LGBTIQ-Menschen berücksichtigt und somit zum Beispiel dem für die Sozialen Arbeit relevanten DiversityKonzept als diskriminierungskritisches Konzept (vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2012) widerspricht. Wir wünschen uns, dass alle Menschen tatsächlich gleiche Chancen zugesprochen bekommen und gleiche Behandlung nicht nur in der Theorie vor dem Gesetz, sondern auch im Alltag erfahren, dass Inklusion Umsetzung findet in allen Bereichen des sozialen Lebens. So verstehen wir Inklusion als weiten Begriff. 15 4. Empirische Daten Um die Thematik der sexuellen Vielfalt von verschiedenen Perspektiven betrachten und alle Hintergründe verstehen und nachvollziehen zu können, verwendeten wir in der Werkstatt verschiedene Ansätze. Wir besuchten Praxiseinrichtungen, um die Aktualität und den Umgang mit dem Thema in der Gesellschaft zu untersuchen, befassten uns aber auch mit theoretischen Grundlagen und empirischen Daten, um uns ein umfangreiches Hintergrundwissen zu erarbeiten. Im Anschluss zeigen wir Beispiele empirischer Daten auf, die wir in der Werkstatt besprochen und auf die wir einen besonderen Fokus gelegt haben. 4.1 Empirische Daten zu Homosexualität in Deutschland Seit 2001 ist es Menschen gleichen Geschlechts in Deutschland möglich, ihrer Beziehung einen rechtlichen Rahmen zu geben. Das statistische Bundesamt geht (Stand: März 2015) von 35.000 eingetragenen Lebenspartnerschaften und 72.000 gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften aus. Die Zahl der eingetragenen Lebenspartnerschaften hat sich demnach seit 2006 fast verdoppelt: in Deutschland leben mehr Männer (57%) als Frauen (43%) in eingetragenen Lebenspartnerschaften. (Vgl. https://www.lsvd.de/recht/lebenspartnerschaft/statistik.html[letzter Zugriff: 20.6.2015]) 4.2 Strafverfolgung von homosexuellen Menschen weltweit In 87 Ländern werden homosexuelle Menschen strafrechtlich verfolgt und verurteilt, in 8 Ländern wird Homosexualität sogar mit der Todesstrafe geahndet. Im Gegensatz dazu ist das Ausleben von Homosexualität in 143 Ländern legal, in 18 Ländern und 36 US-Staaten ist lesbischen und schwulen Menschen eine Heirat möglich. Erst im Mai 2015 wurde in Irland per Volksentscheid mit großer Mehrheit für die Ehe unter gleichgeschlechtlichen Paaren gestimmt. (Vgl. http://www.fluter.de/de/131/thema/12581/)[letzter Zugriff: 20.6.2015]) 4.3 Trans*Personen am Arbeitsmarkt 88% der in Österreich Befragten fanden es schwierig, als Trans*Person einen Arbeitsplatz zu finden (vgl. Frketic/Baumgartinger 2008). 29% unter in Belgien befragten Trans*Personen gaben an, bei Bewerbungen wegen ihres Trans*Seins keine Chance gehabt zu haben (vgl. Motmans et al. 2010). Eine US-weite Erhebung ergab, dass 44% der Befragten wegen ihres 16 Trans*-Seins bei Bewerbungen nicht berücksichtigt wurden. Viele Trans*Menschen haben keinen Zugang zur Anpassung ihrer Dokumente an das gelebte Geschlecht, viele Trans*Personen geben aufgrund von bzw. aus Angst vor Diskriminierung selbst ihren Arbeitsplatz auf. Teilnehmer*innen der Transgender EuroStudy verfügten zu 48% über einen Hochschulabschluss. Jedoch verdienten 49% weniger als 25.000 Euro pro Jahr, 37% unter 20.000 Euro, und lagen damit unter dem EU-Durchschnitt von 28.000 Euro. (Vgl. Jannik/Sauer 2010) 4.4 Fazit Während unserer Recherche stellten wir unter anderem fest, dass sexuelle Vielfalt in unserer Gesellschaft häufig noch ein tabuisiertes Thema ist, mit dem sich teilweise nur oberflächlich auseinander gesetzt wird. Wie man in Deutschland sehen kann, hat sich schon einiges in den vergangenen Jahren in Form von rechtlichen Grundlagen wie des AGG verändert. Nun können sich zum Beispiel seit 2001 gleichgeschlechtliche Paare in eine Lebenspartner*innenschaft eintragen lassen, jedoch ist es ihnen nicht gestattet zu heiraten. Auch in vielen anderen Bereichen ist unserer Auffassung nach noch weit von einer gleichberechtigten Gesellschaft entfernt. Wie man auch in einer Statistik zum Thema „Transgender am Arbeitsmarkt“ erkennen kann, fällt es Trans*Menschen deutlich schwerer, Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen. Diese Statistik bezieht sich auf mehrere EU-Länder. Wir haben uns mit empirischen Daten und Statistiken zu dieser Thematik beschäftigt. Während dieser Bearbeitung fiel uns auf, dass diesem für uns so wichtigen Thema, häufig in vielen Gesellschaften nicht die unserer Meinung nach nötige Aufmerksamkeit beigemessen wird. Sowohl über Vorträge unser Mitstudent*innen als auch durch Eigenrecherche, haben wir sehr viele verschiedene Informationen sammeln und uns einen umfangreichen Überblick schaffen können. Wir hatten nicht vor Augen gehabt, wie sehr Menschen, die nicht in cisund heteronormative Rollenvorstellungen passen, heutzutage noch immer unter Diskriminierung und Benachteiligung leiden. 17 5. Gender/Queer und Diversity in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit Das folgende Kapitel befasst sich mit der Entstehung und Anwendung Gender/Queer und Diversity gerechten Konzepte und Handlungsmethoden innerhalb der Arbeitsfelder Sozialer Arbeit. Das Augenmerk wird auf die Geschichte und Praxisbereiche der Sozialen Arbeit im deutschsprachigen Raum gerichtet sein. Auf Grund der großen Anzahl an Arbeitsbereichen innerhalb der Sozialen Arbeit und der Tatsache, dass diese sich – reagierend auf gesellschaftliche, soziale und politische Wandlungsprozesse – stets erweitern, erhebt diese Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr wird versucht, durch drei spezifische Beispiele einen tieferen Einblick in die zu untersuchende Thematik zu erlangen. Der Fokus wird auf den Entwicklungen der Sozialen Arbeit innerhalb des 20. und 21. Jahrhunderts in Bezug auf Gender/Queer und Diversity liegen und nicht auf der Entstehungsgeschichte der Sozialen Arbeit im Allgemeinen. Der erste Abschnitt wird nach einem kurzen historischen Überblick aufzeigen, wann und aus welchen Gründen Gender/Queer Konzepte in die Soziale Arbeit mit Wohnungslosen Einzug erhalten haben. Außerdem wird ein Berliner Projekt vorgestellt. Im zweiten Abschnitt untersuchen wir das Arbeitsfeld Soziale Arbeit mit Menschen mit „Behinderung“1. Es werden Rechtsgrundlagen erläutert, aktuelle Bezüge dargestellt und Positivbeispiele Gender/Queer und Diversity gerechter Arbeit mit „Behinderten“ vorgestellt. Im dritten Abschnitt wird auf die historischen Entwicklungen, Anforderungen und Aufgaben Sozialer Arbeit mit Frauen, Männern und Queers eingegangen. Die drei ausgewählten Arbeitsfelder sollen dazu dienen, beispielhaft aufzuzeigen, inwieweit Gender/Queer und Diversity gerechte Ansätze in der Sozialen Arbeit umgesetzt werden (können). Abschließend möchten wir einen kurzen Überblick über die aktuellen Herausforderungen in den verschiedenen Praxisfeldern der Sozialen Arbeit in Bezug auf Gender/ Queer und Diversity geben. 5.1 Gender/Queer gerechte Soziale Arbeit mit Wohnungslosen Die Arbeit mit Wohnungslosen in der Sozialen Arbeit ist historisch gesehen seit den 1960er Jahren ein wichtiges Aufgabenfeld. Bis in die 1980er Jahre ging es jedoch lediglich um die Verwaltung von sogenannten „Obdachlosensiedlungen“. Im Zuge der Reform der sozialen 1 Wir setzen diesen Begriff in Anführungsstriche, da es ein stigmatisierender Begriff ist. 18 Arbeit, welche auf die 1968er Bewegung zurückzuführen ist, versuchte man Obdachlose durch sozialpädagogische Einrichtungen längerfristig in die Gesellschaft zu integrieren anstatt sie zu exkludieren. In den Anfängen der Arbeit mit wohnungslosen Menschen spielte das soziale und biologische Geschlecht vorerst keine erwähnenswerte Rolle und einem genderspezifischen Umgang wurde eine sehr geringe Relevanz zugeschrieben (AG SPAK M20, Empirie einer Subkultur, Obdachlosensiedlung Wiesbaden-Mühltal). Gründe für Obdachlosigkeit sind vielschichtig und wegen ihrer inneren respektive äußeren Ursachen stets individuell zu betrachten. Dennoch kristallisiert sich als ein häufig auftretender wichtiger äußerer Faktor Armut beziehungsweise prekäre Situationen am Arbeits- und Wohnungsmarkt, die häufig durch schulische und berufliche Bildung bedingt sind, heraus. Aus innerfamiliären Problematiken die teilweise auf äußere Faktoren zurückzuführen sind, resultieren weiterführende Problematiken, die ebenfalls ein Koeffizient für Obdachlosigkeit sein können (Dober/Kreidl/Milekic/Amann 2014: 17ff). Da Frauen ein erhöhtes Armutsrisiko haben, welches durch Ablehnung, Unterdrückung und oftmals eine schlechtere Bezahlung bei der Ausführung der Lohnarbeit bedingt sind, sind diese öfter von Wohnungslosigkeit betroffen. In der Öffentlichkeit werden männliche Obdachlose dominierend wahrgenommen und Frauen oft nur als “Anhängsel” anderer männlicher Wohnungsloser akzeptiert (vgl. Dober/Kreidl/Milekic/Amann 2014). Sexualisierte Gewalt und Übergriffe auf weibliche Obdachlose sowohl in Institutionen als auch auf der Straße stellen ein Problem dar (Dober/Kreidl/Milekic/Amann 2014). Wohnungslosenunterkünfte sind ebenfalls mehrheitlich männlich dominiert, in Folge dessen kann Frauen dort oftmals kein geeigneter Schutzraum geboten werden. Eine weitere Folge der Obdachlosigkeit ist die Prostitution, welche bei Männern geringer verbreitet ist. Eine Konsequenz dessen sind häufig gesundheitliche Probleme, Krankheiten und Schwangerschaft (vgl. Thomas 2010). Notunterkünfte bieten meist niedrig schwellige Angebote, wie einen Schlafplatz für die Nacht und Infrastrukturen in Form von sanitären Einrichtungen etc. Ein Schutzraum insbesondere für Frauen wird somit tagsüber in der Regel nicht geboten. Aus den vorher genannten Faktoren geht hervor, dass in der Arbeit mit Wohnungslosen gerade Frauen ein gendergerechtes und auf sie zugeschnittenes sozialpädagogisches Einrichtungskonzept benötigen, um ihnen einen Schutzraum und Hilfsangebot für diese 19 Lebenssituation und die damit einhergehenden individuellen und strukturellen Probleme zu schaffen. Da es in Deutschland wenige solcher Einrichtungen gibt, stellen wir exemplarisch für eine solche Einrichtung ein Projekt aus Berlin Wedding vorstellen. Das “Frauenbedacht” ist ein Projekt der Berliner Wohnungsnotunterkunft, in der Bornemannstraße 12. Es besteht aus fünfundzwanzig Einzelzimmern und zwei Einzimmerwohnungen, wovon eine für eine Frau mit Kind ist. Drei Sozialarbeiter*innen, eine Psycholog*in sowie mehrere Praktikant*innen und Mitarbeiter*innen arbeiten in dieser Notunterkunft. Teilweise bleiben Frauen dort auch über Jahre, was die Plätze sehr begehrt macht. Durch die zentrale Vergabe durch das “Lageso” (Landesamt für Gesundheit und Soziales) können bezirksübergreifend freie Plätze vergeben werden. Die Miete wird hierbei meist durch das Jobcenter beziehungsweise dem Sozialamt bei keinem oder zu geringem Einkommen übernommen. Die Unterkunft soll einen Schutzraum für obdachlose Frauen bieten, in der sie bei der Suche nach alternativen und weiterführenden Hilfsangeboten sowie die Intervention von akuten oder psychischen Krisen durch die Sozialarbeiter*innen und die Psycholog*in unterstützt werden. Ziel dieser Einrichtung ist es längerfristig Frauen aus der Obdachlosigkeit zu holen und die allgemeine Situation dieser zu verbessern. (Vgl. http://www.strassenfeger-archiv.org/article/4314.frauenbedacht.html; http://www.gebewo.de/frauen-bedacht[letzter Zugriff 20.6.2015]) 5.2 Soziale Arbeit mit Frauen, Männern und queeren Menschen Um auf die Anforderungen und Herausforderungen der Sozialen Arbeit mit Frauen, Männern oder mit queeren Menschen einzugehen, ist es von großem Nutzen, auch auf die jeweils anderen Gruppen und Arbeitsfelder einzugehen. Die historischen Entstehungsbedingungen und wissenschaftlichen Arbeitsgrundlagen sind in diesem Kontext wesentlich für das Verständnis der gegenwärtigen Gegebenheiten und Herausforderung in der Sozialen Arbeit mit Frauen, Männern und queeren Menschen. Nachfolgend werden die wissenschaftlichen Entstehungsbedingungen der Sozialen Arbeit in diesen Arbeitsbereichen erläutert und Beispiele für gegenwärtig aktive Einrichtungen eingeführt, wobei auch auf die Herausforderung der Eingrenzung ihrer Arbeit in den oben genannten Gruppen einzugehen sein wird. Da die Kategorie Gender immer häufiger in der Sozialen Arbeit im Zusammenhang mit anderen Diskriminierungskategorien im Sinne von Diversity betrachtet wird, um einem Intersektionalitätsanspruch gerecht zu werden, ist es 20 nicht immer einfach, Einrichtungen die Soziale Arbeit von und mit verschiedenen Gruppen anbieten, unter eine bestimmte Rubrik zu subsumieren. Beispielsweise sind viele Einrichtungen, die Angebote für Schwule, Lesben und Trans* Menschen bereithalten, nicht zwingend aus ihrer eigenen Beschreibung als queere Einrichtungen zu erkennen. Einrichtungen, die Beratungs- oder Wohnprojekte für männliche Opfer sexualisierter Gewalt anbieten, mögen als queere Einrichtungen nicht erkennbar sein, sie sind aber im Rahmen des Diversity-Anspruches auch für queere Opfer sexualisierter Gewalt zuständig. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 5.2.1 Soziale Arbeit mit Frauen Die Entstehung von autonomen Frauenhäusern geht auf die 1970er Jahre und die politischen Analysen und Forderungen der Neuen Frauenbewegung zurück, die in diesem Beispiel ihren Weg in die konkrete Praxis fanden. Ein vordergründiges Ziel war die Öffentlich- und Sichtbarmachung der Gewalt von Männern gegen die Frauen und das Aufdecken und Benennen struktureller Gewalt. Da die politische Analyse im Laufe der Zeit weiteren Differenzierungen, Erweiterungen und Neuerungen unterworfen war, wirkte sich dies auch auf die Soziale Arbeit in Frauenhäusern aus. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Analyse der Gewalt in den 1980er Jahren, die in vielen geisteswissenschaftlichen Kontexten aufgegriffen wurde und die Frage nach der Mittäterschaft der Frauen in den Raum stellte. Nachdem als erwiesen galt, dass Frauen nicht nur Opfer, sondern auch Täterinnen sein können, die zur Gestaltung, Reproduktion und Stabilisierung der patriarchalen Machtverhältnisse beitragen, veränderte sich damit auch die Soziale Arbeit in Frauenhäusern. Weitere Veränderungen gingen auf Migrantinnen zurück, die als Mitarbeiterinnen in einigen Frauenhäusern beschäftigt waren und den Feminismusbegriff der Neuen Frauenbewegung als mangelhaft kennzeichneten, da er vorwiegend auf deutsche Frauen zugeschnitten war und keine Sensibilität in Bezug auf die Themenkomplexe um Rassismus ahnen ließ. Da in einigen Städten mehr als die Hälfte der Nutzerinnen der Frauenhäuser Migrantinnen waren, bewirkte diese Auseinandersetzung die Erkenntnis, dass alleine das „Frau-Sein“ für das Verständnis der Situation der Migrantinnen in Frauenhäusern nicht ausreicht, wenn man die gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse und verschiedene Diskriminierungen außer Acht lässt. Diese Überlegungen führten zu der Notwendigkeit, Migrantinnen als Mitarbeiterinnen einzustellen, die auch Kenntnisse des Sorgerechts, 21 Aufenthaltsrecht, arbeitsrechtliche Angelegenheiten, Beratungs- und Unterkunftsmöglichkeiten und weiterer spezifische Kenntnisse erwarben. Um das Beispiel einer Einrichtung anzuführen: das Interkulturelle Frauenhaus ist in Berlin als Frauenhaus, Beratungsstelle und Wohnprojekt eine wichtige Anlaufstelle für Migrantinnen und Kinder in Gewaltsituationen. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) Der neue Blick auf die Soziale Arbeit mit Frauen brachte auch neue Angebote mit sich, wie am Beispiel des Interkulturellen Frauenhauses in Berlin besonders deutlich wird. Mitarbeiterinnen mit interkulturellen Kompetenzen, Krisenintervention und Beratung in der Muttersprache, qualifizierte Rechtsberatung unter Einbeziehung von Anwältinnen, die detaillierte Kenntnisse im Ausländer- und Familienrecht besitzen, sowie ein spezifisches Programm für Kinder von Gewalt betroffener Migrantinnen im Frauenhaus und Wohnprojekt gehören zu diesen Neuerungen. Das Interkulturelle Frauenhaus verbindet die Soziale Arbeit mit der politischen Arbeit. Ihre Mitarbeiterinnen beschreiben aber auch Defizite in Bezug auf die Interkulturelle Öffnung in Sozialverwaltung und Soziale Dienste im Allgemeinen. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) Ein Thema, das weniger in der Praxis und mehr in Diskussionen aufgegriffen wurde, war die Auseinandersetzung mit der Thematik „Frauen als Gewalttäterinnen“. Als die Debatte über dieses tabuisierte und heikle Thema eröffnet wurde, ließen die bedrückten Reaktionen auf wenig Erleichterung als Folge dieses Tabubruchs schließen. Die Erkenntnis dass auch Frauen/Lesben gewalttätig sein können, blieb in der Praxis ohne Konsequenzen, etwa im Hinblick auf die Frage, ob auch gewalttätige Frauen in Frauenhäusern aufgenommen werden sollten. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) Eine von den Queer Studies angestoßene Debatte um die Aufnahme von Transgender, die von Gewalt betroffen sind, wirft jedoch neue Fragen um den Schutz und Betreuung der Frauen in Frauenhäusern auf, die jedoch im Kern um die Frage kreisen, wer eigentlich bestimmt, wer eine Frau ist. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 5.2.2 Soziale Arbeit mit Männern Die Soziale Arbeit mit Männern steht seit den 1980er Jahren unter dem Einfluss der theoretischen und praktischen Ergebnisse der Frauenbewegung in Bezug auf Geschlechterkategorien. Auch die Kritische Männerforschung hat zu der Entstehung von verschiedenen Formen von Männerarbeit und Männerberatung geführt. Als Beispiele 22 können „Pfefferprinz- Männernetzwerk und Aktion“, „Verein Dissens“ und „Forschungsnetzwerk AIM“ genannt werden. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) Der Blick auf Frauen als Opfer und Männer als Täter in der patriarchalen Ordnung ließ den Umkehrschluss zu, dass Männer keine Opfer und Frauen keine Täterinnen sein konnten. Durch eine differenziertere Betrachtung dieser Zusammenhänge veränderten sich auch die Bedingungen in der Sozialen Arbeit mit Männern. Auf der einen Seite entstanden Angebote für (in ihren Beziehungen) Gewalt ausübende Männer, die häufig die Methoden der Gruppenarbeit nutzten und weiterhin nutzen. Ziel ist es, auf eine gewaltfreie Lösung von Konflikten und Beziehungskrisen hinzuarbeiten. Auf der anderen Seite führte die Erkenntnis, dass auch Männer Opfer von psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt sein können, zur Bildung von Einrichtungen, die speziell Hilfe in diesem Bereich anbieten (z.B. Tauwetter). (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 5.2.3 Soziale Arbeit mit queeren Menschen Im Vergleich zu der Entstehung von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen bilden spezifische sozialarbeiterische Initiativen für queere Menschen einen relativ neuen Praxisbereich. Obwohl ihre Ausbreitung erst mit der Etablierung der Queer Studies in den 1990er Jahren ansetzt, gab es schon vorher Initiativen im deutschsprachigen Raum wie beispielsweise das 2001 gegründete Schwule Überfalltelefon MANEO in Berlin. Die Zuordnung von queeren Einrichtungen ist aufgrund der intersektionalen Zielsetzung nicht immer eindeutig vorzunehmen. Aus diesem Grund werden ihre Selbstbezeichnungen als Anhaltspunkt für eine Außenbezeichnung als Queer im sozialarbeiterischen Kontext genutzt. Beispiele etablierter Projekte, die als Zusammenschluss verschiedener freier Träger der Jugendhilfe in der „Queeren-Jugend-Hilfe-Berlin“ arbeiten, sind ABqueer e.V, AJA Erziehungswohngruppe, GLADT- Gays and Lesbians aus der Türkei Berlin-Brandenburg e.V., gleich gleich e.V., Jugendnetztwerk Lambda Berlin-Brandenburg e.V., Jugendprojekt OstEnde e.V., KomBi- Kommunikation und Bildung, Lesbenberatung Berlin e.V., LSVD Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, Landesverband Berlin-Brandenburg e.V., Schwulenberatung Berlin, TGNB- Transgender Netzwerk Berlin. In diesen Projekten wird Gender als erweiterte Kategorie gedacht, in der nicht nur Frauen und Männer, sondern auch Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans*Personen und Intersexuelle Platz finden. Der intersektionale Ansatz erlaubt ein Zusammendenken von Gender mit 23 anderen Kategorien wie Migration oder „Behinderung“. Den genannten Initiativen geht es meist nicht nur um Soziale Arbeit, sondern auch um politische Arbeit, indem sie sich wie am Beispiel des Projektes KomBi, gemäß des Diversity-Konzeptes gegen Diskriminierung und für gesellschaftliche Vielfalt aufgrund von Hautfarbe, ethnischer Herkunft, Alter, Behinderung, Religionszugehörigkeit, sexueller Identität und Geschlecht einsetzen. Auch der Kampf gegen Abschiebung von Menschen aus der Bundesrepublik oder staatlich unterstützte Gewalt gegen LGBTIQ Menschen in der Türkei (GLADT) sowie der Abbau von Vorurteilen, Diskriminierung, Pathologisierung und Exotisierung von Transgendern (TGNB-Transgender Netzwerk Berlin) gehören zu den politischen Aktivitäten dieser Initiativen in BerlinBrandenburg. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) Eine wesentliche Herausforderung, die in der Sozialen Arbeit mit einem intersektionalen Ansatz einer besonderen Beachtung bedarf und nicht auf die Arbeit im queeren Bereich beschränkt ist, besteht in einer differenzierten Auseinandersetzung mit Diskriminierung, Rassismus, Vorurteilen und Stereotypen, ohne jedoch die Menschen in ihrer spezifischen Gruppe selbst zu stereotypisieren bzw. die Probleme bei Migranten zu kulturalisieren. Die Bedeutung einer Verknüpfung zwischen Sozialer und politischer Arbeit besteht im Einklagen von Menschenrechten, das seinerseits die Kenntnis von Gesetzesgrundlagen und die Reflexion der Theorien sozialer Gerechtigkeit erforderlich macht. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 5.3 Soziale Arbeit mit Menschen mit Behinderung „Die Menschen können sehr verschieden sein, ihre Träume sind es nicht“ (Jens Peter Jakobsen, dänischer Schriftsteller) Ein Aktionsfeld der Sozialen Arbeit ist die Arbeit mit „behinderten“ Menschen. Dabei sind Sozialarbeiter_innen immer wieder vor die Aufgabe gestellt, offizielle Leitlinien und Gesetze in einer teils „behinderten“-feindlichen Gesellschaft umzusetzen. In diesem Zuge müssen sie sich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit ihre Tätigkeit Gender/Queer und Diversity gerecht ist, beziehungsweise werden kann. 5.3.1 Die UN-Behindertenrechtskonvention, Inklusion und aktuelle Stimmungen in der Gesellschaft Seit 2006 die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland ratifiziert wurde, ist die 24 Umsetzung der Inklusion das Hauptthema in Bezug auf Fragen hinsichtlich der Menschen mit „Behinderungen“. Wie, wann und ob überhaupt Inklusion geschehen soll, darüber gehen die Meinungen von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft stark auseinander. Artikel 24 der Konvention: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen (…)“ „Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass (…) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben. (…)“ Allgemein fasst die UN-Behindertenrechtskonvention sieben Querschnittthemen, welche in allen Handlungsfeldern berücksichtigt werden: Assistenzbedarf, Barrierefreiheit, Gender Mainstreaming, Gleichstellung, Migration, Selbstbestimmtes Leben und Vielfalt von Behinderung. Dies äußert sich in Zielen wie der Überwindung historisch bedingter Benachteiligung und Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung und dem Schritt vom überholten System der Wohlfahrt und Fürsorge zur Selbstbestimmung, um nur einige zu nennen. Inklusion ist jedoch das oberste Ziel. Inklusion verfolgt die Prinzipien der Wertschätzung und Anerkennung von Vielfalt (Diversität) in Bildung und Erziehung. Die Struktur passt sich dabei den individuellen Bedürfnissen an, nicht der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen der Struktur. In dem Konzept der Inklusion werden Menschen nicht mehr in Gruppen (z.B. hochbegabt, behindert, anderssprachig ...) eingeteilt. Heterogenität wird als normale und positive Gegebenheit betrachtet. Demnach wird im inklusiven Ansatz davon ausgegangen, dass alle Menschen verschieden sind und jeder Stärken und Schwächen besitzt. Jeder Mensch ist folglich ein selbstverständliches, gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft. (Vgl. Hinz 2006) Konkret bedeutet dies unter anderem die Auflösung der Förderschulen und Einbindung von Kindern mit „Behinderungen“ in die Regelschulen, wobei genau dieser Prozess zu vielen Streitpunkten führt. Laut einer Studie sind Kinder mit Förderbedarf an Regelschulen Kindern im gleichen Alter an Förderschulen in Mathematik und Lesen ein halbes Jahr, im Zuhören sogar ein ganzes Jahr, voraus. Dieses Ergebnis nutzen Befürwortende der Inklusion als 25 Argument gegen Förderschulen. Andere Expert*innen warnen jedoch vor voreiligen Schlüssen: „Man darf die Förderschulen nicht verteufeln“, sagt die Psychologin und Leiterin des Projekts BiLief (einer Längsschnittstudie zu Inklusion) Elke Wild. Der Vorsprung verringere sich mit der Zeit und fände seinen Ursprung eher in der Verteilung der Schüler*innen, als in der Annahme, dass Regelschulen per se besser wären. Alle Schulformen hätten daher durchaus ihre Berechtigung, so Wild. (Vgl. http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/inklusion-behinderte-kinder-an-regelschulenlernen-besser-a-968288.html[letzter Zugriff: 20.6.2015]) Bernd Ahrbeck geht es nicht darum, gegen die wünschenswerte gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit „Behinderungen“ zu fechten. Unter dem kontrafaktischen Motto, dass es keine Behinderung gibt, sondern nur behindernde äußere Umstände, spricht er sich gegen jeglichen sonderpädagogischen Förderbedarf aus. Der Leidtragende sei dabei die Person mit Behinderung selbst, dem programmatisch die Aufmerksamkeit entzogen werden würde. Menschliche Besonderheiten wie Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung, Religion und Behinderung wären damit nur noch Teile eines bunten Lebensspektrums. (Vgl. Ahrbeck 2011) Die „Welt“ berichtet von einer großen Verunsicherung der Gesellschaft. Die Lehrer*innen seien überfordert, die Eltern fürchten um die Lernfortschritte ihrer Kinder. Daraus resultiert eine Separierung von Kindern, welche einer speziellen Betreuung bedürfen, ungeachtet der Tatsache, dass viele aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten mithalten könnten. Der Autor des Artikels Dr. Thomas Sebastian Vitzthum, macht damit auf die große Diskrepanz zwischen Theorie und praktischer Umsetzung, die momentan vorherrscht, aufmerksam. Inklusion könne man verordnen, Akzeptanz dafür nicht. (Vgl..http://www.welt.de/debatte/kommentare/article114923615/Inklusion-kann-manverordnen-Akzeptanz-nicht.html[letzter Zugriff: 20.6.2015]) 5.3.2 Wer lebt mit einer Behinderung und was verbirgt sich hinter dem Begriff? Eine allgemein gültige Definition existiert nicht, allerdings gibt es verschiedene Ansätze und Formulierungsversuche, die hier ausschnitthaft als eine Art Definitionssammlung dargelegt werden. Laut §2 Absatz I des SGB IX sind Menschen „behindert“, wenn ihre „körperliche Funktion, 26 geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“ Diese Definition geht jedoch nur von einer Beeinträchtigung einzelner Lebensbereiche infolge der „Behinderung“ aus und nicht infolge der Gesellschaftsstrukturen beziehungsweise gesellschaftlichen Gegebenheiten. Die 2004 in Deutschland verabschiedete Einteilung der Weltgesundheitsorganisation „Inernational Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) bezieht dagegen Umweltfaktoren wie Assistenz- oder Heilmittelbedarf und personelle Faktoren wie die Geschlechtszugehörigkeit, Alter, kulturelle Herkunft mit ein. Vereinfacht gesagt wird bei der Ermittlung der ICF ein sehr umfassender Fragenkatalog ausgefüllt, welcher einen komplexen Überblick ermöglicht. Die ICF ist also ein Zusammenschluss des medizinischen und sozialen Modells von „Behinderung“. Während das medizinische Modell besagt, dass die „Behinderung“ ein persönliches Problem ist und entsprechend die Einschränkung an der Teilhabe des gesellschaftlichen Lebens eine Folge der Schädigung ist, funktioniert das soziale Modell von „Behinderung“ anders herum. Dieses Modell sieht das Problem in der Umwelt, infolge derer der Mensch behindert wird. Es muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass sowohl die körperliche Funktionsfähigkeit als auch die gesellschaftliche Teilhabe immer an der Norm des Menschen ohne Beeinträchtigung gemessen wird. Im Kontext mit dem Begriff Barriere, wird Behinderung auch als eine dauerhafte und gravierende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhabe bzw. Teilnahme einer Person angesehen, verursacht durch das Zusammenspiel ungünstiger Umweltfaktoren, sozialer oder anderer Faktoren (Barrieren) und solcher Eigenschaften der Person mit Behinderung, welche die Überwindung der Barrieren erschweren oder unmöglich machen. (Vgl. www.lexikon.freenet.de/Behinderung[letzter Zugriff: 20.6.2015]) Oftmals suggerieren wir etwas mit unserer Sprache, dessen Tragweite uns nicht bewusst ist. Doch wie kann ein nichtdiskriminierender Sprachgebrauch aussehen? Dies ist der Versuch, durch Beispiele ein Gespür für diese Thematik zu vermitteln: 1. Mensch mit Behinderung Viele Menschen mit Behinderung empfinden die Reduzierung auf ihre Behinderung als diskriminierend, weil sie nicht in erster Linie über ihre körperliche Eigenart definiert werden wollen. Sie sind Menschen, die einen 27 Namen haben, ihre individuelle Geschichte und ihre eigenen Lebensumstände. Der Terminus ‚behindert‘ dagegen suggeriert Unfähigkeit und Unzulänglichkeit, setzt also vermeintlich Nicht-Normatives dem Normativen gegenüber. Aus diesem Grund werden Begriffe wie "Mensch mit Behinderung" als angenehmer empfunden, wobei die Diskussion um gerechte Bezeichnungen keineswegs beendet ist. 2. Barrierefreiheit Barrierefreiheit bedeutet Zugänglichkeit und Benutzbarkeit von Gebäuden und Informationen für alle, egal ob sie auf einen Rollstuhl angewiesen sind, ob es sich um Mütter mit Kleinkindern oder Personen nicht deutscher Muttersprache handelt, denn die uneingeschränkte Teilhabe am sozialen Leben ist für alle Menschen relevant. 3. Eine Behinderung haben/ mit einer Behinderung leben Außerdem sollte Aufgrund der Objektivität soll die Bezeichnung „an einer Behinderung leiden“ vermieden werden, weil nur die Personen selbst weiß, ob sie tatsächlich ‚leidet‘ oder nicht. Zudem erschwert die Umwelt das Leben von Menschen mit Behinderungen. Besser sind deshalb neutrale Bezeichnungen, wie „eine Behinderung haben“ oder „mit einer Behinderung leben“. 4. Gehörlos Der Terminus ‚gehörlos‘ löst zunehmend den Begriff ‚taubstumm‘ ab. Denn gehörlose Menschen sind keineswegs stumm, sie können sprechen und verstehen sich als Angehörige einer Sprachminderheit. 5. Einen Rollstuhl benutzen Die Redewendung ‚an den Rollstuhl gefesselt sein‘ ist vor allem in Medienberichten noch sehr verbreitet. Rollstuhlfahrer*innen empfinden sie als unangebracht, da sie nicht ‚gefesselt‘ sind. Im Gegenteil, der Rollstuhl bedeutet Mobilität. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) 5.3.3 Geschlecht und Behinderung Sowohl Geschlecht als auch Behinderung sind laut den Gender Studies und Disability Studies 28 gesellschaftliche Konstrukte, die nicht nur „in sich“ (männlich/weiblich – nicht behindert/behindert) eine hierarchische Bewertung enthalten, sondern auch untereinander. Diese stereotypen Zuschreibungen bedingen die Interaktion mit anderen Menschen und Institutionen, aber auch die Chancen und Möglichkeiten auf Teilhabe. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) Geschlecht ist eine Kategorie, welche die Menschen sozialstrukturell betrachtet in etwa zwei gleich große Gruppen einteilt, die aber vor dem Hintergrund einer historisch gewachsenen, hierarchischen Geschlechterordnung dem Mann immer noch eine Vormachtstellung gegenüber der Frau einräumt. Behinderung ist im Vergleich dazu eine Kategorie, die eine bestimmte Art der Abweichung von der männlichen bzw. weiblichen Normalität definiert und klassifiziert. Damit gerät eine von der Gesamtbevölkerung abweichende Minderheit, eine soziale Randgruppe, in den Blickpunkt. (Vgl. Jacob/Wollrad 2007) Gender spielt im Leben von Menschen mit einer Beeinträchtigung eine große Rolle. Für Frauen potenzieren sich Zuschreibungen wie Schwäche, Passivität und Unselbstständigkeit, wohingegen eine hohe Diskrepanz der zugeschriebenen Attribute bei Männern und Männern mit „Behinderung“ existiert. Daraus folgt außerdem, dass Mädchen aufgrund ihrer Weiblichkeit überbehütet werden, während bei Jungen eher Bemühungen stattfinden, sie in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Welche stereotype Zuschreibungen an Männer, Frauen und Menschen mit „Behinderung“ existieren, zeigt folgende Grafik: männlich behindert weiblich stark schwach schwach aktiv passiv passiv unabhängig abhängig abhängig selbstständig unselbstständig unselbstständig potent machtlos machtlos attraktiv unattraktiv attraktiv rational emotional 29 Geist Körper Körper (Vgl. Köbsell 2007: 32) Die Nichtanerkennung ihrer Weiblichkeit, die die Sozialisation von Mädchen mit „Behinderungen“ von Geburt an prägt, suggeriert schon früh, dass sie für die klassische Frauenrolle als Partnerin und Mutter ungeeignet sind. Dabei bezieht sich die Aberkennung von Geschlecht sowohl auf körperliche beziehungsweise sexuelle Aspekte, als auch darauf, was allgemein unter „Frausein“ affirmiert wird, wie Reproduktionsaufgaben. Doch obwohl Frauen mit „Behinderung“ oftmals als „sexuelle Neutren“ erzogen werden, haben 60 % der in Einrichtungen Lebenden sexualisierte Gewalterfahrungen. Nicht selten zählen Männer mit Behinderung zu den Tätern. (Vgl. Pircher/Zemp 1996) Diese Problematik wird in der UN-Behindertenrechtskonvention aufgegriffen. In Artikel 6 wird eine Mehrfachdiskriminierung von Mädchen und Frauen aufgrund des Kriteriums der „Behinderung“ und des Geschlechts anerkannt und Maßnahmen verlangt, um gewährleisten zu können, dass sie alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll und gleichberechtigt genießen können und ihre Autonomie gestärkt wird. Weiterhin wird bereits in der Präambel p auf die besondere Gefährdungslage von Menschen mit „Behinderung“, bei denen weitere Statusmerkmale, wie zum Beispiel Geschlecht, hinzukommen aufmerksam gemacht. In Buchstabe s wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, bei der Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten die Geschlechterperspektive mit einzubeziehen. Artikel 16 Absatz 1 verpflichtet die Konventionsstaaten Menschen mit Behinderung vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch, einschließlich ihrer geschlechtsspezifischen Aspekte, zu schützen. 5.3.4 Handlungsbedarf und Projekte der Sozialen Arbeit Wo finden sich Ansprechpartner*innen, beziehungsweise zielgruppenspezifische Angebote für Menschen mit „Behinderung“, welche auf unterschiedliche Merkmale wie Herkunft, Geschlecht, Alter und Sexualität (Diversitiy-Kategorien) eingehen? Zwar sind viele Ansätze zur Sozialen Arbeit mit Menschen mit „Behinderungen“ vorhanden, doch kann im Kontext der Sozialen Arbeit noch nicht von einer existierenden Gender/Queer 30 gerechten oder Diversitiy gerechten Sozialen Arbeit mit Menschen mit „Behinderungen“ gesprochen werden.“ (Vgl. Theunissen 2006; Czollek/Perko/Weinbach 2009.) Gerade wenn es um die Belange von Lesben, Schwulen und Transgender im Behindertenbereich geht, werden große Defizite deutlich. Wobei dies seinen Ursprung in der bisherige Absprechung des Geschlechts von Menschen mit „Behinderungen“ findet. Auch die Mädchenarbeit und der Schutzraum für Menschen mit „Behinderung“, die Opfer psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalt geworden sind, ist ausbaufähig und das obwohl der Genderreport des BMFSFJ (2008) zum einen ausdrücklich erklärt, dass eine Mehrfachdiskriminierung von Frauen mit „Behinderungen“ in vielen Lebensbereichen nachweisbar ist und zum anderen die Benachteiligungen von Frauen und Mädchen mit „Behinderungen“ im Lebenslauf kumulieren. Ein weiteres aufkommendes Feld der Sozialen Arbeit ist die Unterstützung der Elternschaft von Menschen mit „Behinderungen“. Doch auch hier funktioniert das wirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage. Es kommen immer mehr Positiv-Beispiele in der Gesellschaft auf: Die qub aus Frankfurt am Main beispielsweise lädt zum interaktiven Austausch ein: „Hallo, Du bist lesbisch, schwul, bisexuell, trans* oder sonst irgendwie queer mit einer Behinderung oder mit einer chronischen Krankheit? Du suchst Kontakt zu Menschen, denen es auch so geht? Wir, die Gruppe qub-queer und behindert, bieten die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch, Themennachmittage und Freizeitaktivitäten.“ (www.qub-frankfurt.de, o.J., o.S.(letzter Zugriff: 20.6.2015) Ein Projekt aus der Region ist das „Netzwerk behinderter Frauen Berlin e.V.“ Dieser Verein setzt sich mit den Themenfeldern „Inklusive Frauengesundheit – barrierefrei und kultursensibel“, „Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderung“ und „Inklusion von Frauen und Mädchen mit Behinderung/chronischer Erkrankung und Migrationsgeschichte“ auseinander. Diese dienen dem übergeordneten Ziel der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in allen gesellschaftlichen Bereichen. (Vgl. http://www.berliner-behindertenzeitung.de/netzwerk-behinderter-frauen-berlin-ev/[letzter Zugriff: 20.6.2015]) Um weitere Defizite beseitigen zu können und die Etablierung und Umsetzung der Konzepte Gender/Queer und Diversitiy voranzutreiben, ist eine Reflexion der Fragen „Wie ist die Ressourcenverteilung zum Beispiel in Bezug auf soziale und kulturelle Herkunft, Armut und 31 Reichtum und Alter?“ und „Gibt es diversitätsbezogene, zielgruppenspezifische Angebote für behinderte Menschen?“ nötig. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009: 162 ) 5.4 Fazit Soziale Arbeit beschäftigt sich seit ihren Anfängen mit der Förderung des Menschen als Hilfe zur Selbsthilfe. Die Wahrung der Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Identitäten und Lebensentwürfen, die Hilfestellung bei Herausforderungen des Lebens sowie Bewältigung von Problemen spielen dabei eine wichtige Rolle. Da Menschen auf Grund zahlreicher Kriterien und Identitätsdimensionen Diskriminierungen wie beispielsweise Rassismus, Ableismus, Sexismus, Homo- und Transphobie ausgesetzt sind, ist es in unseren Augen naheliegend anzunehmen, dass Gender/Queer und Diversity gerechte Ansätze längst tief verankert in der Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit vorzufinden und auch aus ihr heraus entstanden sind. Im Gegenteil lässt sich konstatieren, dass Gender/Queer- und Diversitygerechtigkeit in der Praxis der Sozialen Arbeit leider keine Selbstverständlichkeit darstellen. Betrachtet man die historischen Entwicklungen lässt sich außerdem feststellen, dass sowohl Gender/Queer als auch Diversity-Konzepte in der Regel durch die Einflussnahme gesellschaftlicher und sozialpolitischer Bewegungen und wissenschaftliche Theorien in die Soziale Arbeit Einzug erhalten haben. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009) Zwar liegt es im Wesen der Sozialen Arbeit, auf gesellschaftliche, politische und soziale Veränderungen zu reagieren, so möchten wir dennoch kritisch anmerken, dass die Soziale Arbeit wenige eigene Impulse gesetzt hat. Auch, wenn es, wie beschrieben, bereits Einrichtungen, Beratungsangebote, Methoden und Projekte gibt, die sich Gender/Queerund Diversity gerechter Arbeit widmen, so gibt es noch sehr viele Leerstellen und großen Handlungsbedarf. Da Soziale Arbeit in der Regel eine Klientisierung vornimmt, also bestimmte Zielgruppen konstruiert, ist die Gefahr groß, dass Menschen auf bestimmte Kriterien reduziert werden und in der Arbeit mit ihnen allumfassende Identitätsdimensionen nicht berücksichtigt sowie strukturelle Diskrimierungsformen ausgeblendet werden. Die Herausforderung der Sozialen Arbeit, und damit einhergehend allen Tätigkeitsbereichen, besteht in der Vermittlung von Gender/ Queer- und Diversitytheorien, Trainings und Weiterbildungen. Dies sollte in unseren Augen ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Ausbildung und Profession sein. 32 6. Visuelle Beobachtung zu Gender/Queer und Diversity sowie Intersektionalitäten Im Laufe unserer Werkstatt und der damit verbundenen Arbeit an unserem Sozialreport untersuchten wir eines dienstags die Potsdamer Innenstadt nach Dingen, die mit unserem Hauptthema der Werkstatt, „Gender/Queer und Diversity“ zu tun haben und hielten diese mit dem Fotoapparat fest. In Kleingruppen aufgeteilt, gingen wir vor die Tür, auf den „alten Markt“ und verstreuten uns in alle Richtungen. Bereits nach wenigen Schritten stießen wir an einem Ampelfeiler auf einen bunten Aufkleber, auf dem stand „Fußballfans gegen Homophobie“. Oder die Ampel an sich bzw. die Ampelmännchen – wieso eigentlich „Männchen“? Kurze Zeit später in den Bahnhofspassagen im Spielzeugladen, zwei getrennte Regale, eins davon für kleine Jungen – komplett in blau – und das andere für Mädchen, alles in rosa. Stereotypische Aussagen über die Frauen- und Männerrollen auf Postkarten im Zeitschriftenladen. Das Symbol für den Wickelraum, auf dem klischeehaft eine weibliche Person abgebildet ist, die ihr Kind wickelt, zudem wieder in rosa und direkt daneben das blaue Männer-Toilettenzeichen. Gerade in Bezug auf das Thema Gender und den damit verbundenen traditionellen und heteronormativen Rollenverteilungen sowie Stereotypen von Mann und Frau fanden wir Unmengen an Motiven, Symbolen und anderen Dingen. Deutlich seltener konnten wir Sachen finden, die im Zusammenhang mit Queer oder Diversity stehen. Wie zum Beispiel ein kleines Plakat im Schaufenster eines linken Buchladens, welches auf ein Treffen für Regenbogenfamilien hinweist, oder der bereits anfangs erwähnte Aufkleber. Durch den bewusst abzielenden Blick auf Dinge, die im Zusammenhang mit dem Werkstattthema stehen, wurde uns klar wie vorherrschend das traditionell heteronormative Bild der Geschlechter und derer Rollen im öffentlichen Raum ist und wie es somit zur Normalität für viele wird ohne abweichend darüber nachzudenken. Zum Glück gab es aber auch positiv Beispiele. Nachfolgend ist nun eine Auswahl unserer Bilder zu sehen. 33 34 35 36 37 38 39 40 7. Empirische Studie Die vorliegende Studie untersucht, anhand von Expert*inneninterviews, den Umgang mit sexueller Vielfalt in der Sozialen Arbeit. Darüber hinaus wurde eine Online Untersuchung zur gleichen Thematik, welche sich allerdings ausschließlich an Jugendliche gerichtet hat, auf dem Portal www.umfrageonline.com durchgeführt. 7.1 Gewinnung von Interviewpartner*innen Im Rahmen der Studie liegt der Fokus auf der Auseinandersetzung mit der Perspektive verschiedener Sozialpädagog*innen bzw. Sozialarbeiter*innen aus unterschiedlichen Einrichtungen. Der Grund liegt in der Gewinnung erster empirischer Anhaltspunkte, welche zwischen der theoretischen sowie konzeptionellen Ebene verglichen werden können. Für die Gewinnung der verschiedenen Interviewpartner*innen bzw. Untersuchungspartner*innen wurden zum einen bereits bestehende Ressourcen genutzt und zum anderen weitere, mögliche Interviewpartner*innen kontaktiert, um sie über die Studie zu informieren und möglicherweise dafür zu gewinnen. Das der Studie zugrunde liegende Sample besteht aus neun Personen wobei acht der Befragten Expert*innen waren. Um dem von mehreren Interviewpartner*innen geäußerten Wunsch nach Anonymität gerecht zu werden, haben wir uns bewusst gegen eine namentliche Nennung der unterschiedlichen Expert*innen entschieden. Auch geschlechtliche Identitäten, diversitybezogene Zugehörigkeiten oder biografische Hintergründe werden im Rahmen dieser Studie nicht benannt. 7.1.1 Legende der Interviewpartner*innen IP1a+b Schulsozialarbeiterin und Schulsozialarbeiter einer Gesamtschule mit Grund- und Oberstufe in Berlin. Das Interview wurde am 17.04.2015 von Farah Abdullayeva und Jennifer Becker geführt. IP2 Sozialarbeiterin in der Familien- und Jugendarbeit in Berlin. Die Klienten der Interviewpartnerin sind in erster Linie Menschen mit Migrationshintergrund. Das Interview wurde am 16.04.2015 von Farah Abdullayeva geführt. IP3 Sozialarbeiter in einem Jugendclub in Berlin. Das Interview wurde am 17.05.2015 von Kai Meret Brieske geführt. 41 IP4 Schulsozialarbeiterin an einem Internat in Berlin. Das Interview wurde am 17.05.2015 von Kai Meret Brieske geführt. IP5 Angehender Sozialarbeiter bei einem Aufklärungsträger in Berlin. Das Interview wurde am 14.04.2015 von Anne Mense geführt. IP6 Sozialarbeiter einer Beratungsstelle für Wohnungslose Flüchtlinge und Migrant*innen. Das Interview wurde 12.04.2015 von Melina Strohe geführt. IP7a Sozialarbeiterin in einem Jugendclub in Potsdam. Das Interview wurde am 19.01.2015 von Carolin Wiggert geführt. IP7b Jugendlicher in den Jugendclub in dem IP7a tätig ist. Das Interview wurde am 30.03.2015 von Carolin Wiggert geführt. 7.1.2 Erhebungsansatz Der Erhebungsansatz bezieht sich auf das Konzept des theoriegenerierenden Expert*inneninterviews nach Bogner und Menz (2009), welche sich direkt auf Meuser und Nagel (1991) beziehen. Die Interviewpartner*innen sind als Funktionsträger*innen eines organisatorischen sowie institutionellen Kontextes zu betrachten (vgl. Meuser/Nagel 1991), im Fall der vorliegenden Studie als Professionelle der Sozialen Arbeit. Das in diesem Kontext stehende Expert*innenwissen steht im Fokus unserer Studie, somit wendet sich diese dem professionellen Wissen der Interviewten zu (vgl. Meuser/Nagel 1991). Der Expert*innenstatus der von uns befragten Personen ergibt sich unserer Meinung nach aus zweifacher Hinsicht: die befragten Personen sind alle in einem sozialpädagogischen bzw. sozialarbeiterischen Kontext tätig und verfügen über eine dementsprechende, institutionellen Fachrichtung, welche sich aus der konzeptionellen Ausrichtung der verschiedenen Institutionen herleitet. Somit sind die Interviewpartner*innen als Expert*innen ihrer eigenen Praxis zu bezeichnen. Weiterführend können die Befragten auch als Expert*innen für den Gegenstand der zugrunde liegenden Forschung betrachtet werden. “Im theoriegeleiteten Experteninterview befragen wir Experten, weil ihre Handlungsorientierungen, ihr Wissen und ihre Einschätzung die Handlungsbedingungen anderer Akteure in entscheidender Weise (mit-)strukturieren und damit das Expertenwissen die Dimension sozialer Relevanz aufweist. Nicht die Exklusivität des Wissens macht den 42 Experten für das deutungswissensorientierte Interview interessant, sondern seine Wirkmächtigkeit.“ (Bogner/Menz 2009: 71) Der von uns durchgeführten Untersuchung liegt ein Interviewleitfaden (siehe Anhang) zugrunde. Dieser ermöglicht bzw. stellt den Bezug zum thematischen Zentrum sowie die Vergleichbarkeit der Aussagen sicher. Die inhaltliche Erstellung des Gesprächsleitfadens in Bezug auf die durchgeführte Studie, basiert auf der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Themenfeld der Gender/Queer- und Diversitykompetenzen. Zudem wurde eine Onlinebefragung zur gleichen Thematik durchgeführt. 7.1.3 Auswertungsansätze Im folgenden Kapitel werden die verschiedenen Auswertungsansätze der Interviews sowie der Online Befragung dargestellt. 7.1.3.1 Auswertungsansatz in Bezug auf die geführten Interviews Grundlage der Interviewauswertung war ein Verfahren, welches Meuser und Nagel (1991/2007) für die Analyse von Experten*inneninterviews entwickelt haben. Bei dem Ansatz wird auf qualitativ-inhaltsanalytischen Verfahrensweisen (vgl. Mayring 2008) sowie von etwaigen "Einzelfallintressen" (vgl. Bohnsack 2003) verzichtet. Das von Meuser und Nagel entwickelte Verfahren richtet sich an der Logik einer rekonstruktiven Sozialforschung aus, jedoch wird der “Funktionskontext der Expert*innen in Rechnung gestellt und muss nicht mehr erschlossen werden“ (Meuser/Nagel 2010: 468). Im Folgenden werden relevante Vorgangsweisen zur Analyse der Interviews erläutert: Schritt 1: Paraphrase der transkribierten Interviews Um den Gehalt der Texte zu erschließen bzw. zu filtern, wurden die transkribierten Interviews zunächst paraphrasiert. Schritt 2: Thematisches Ordnen Hierbei wurden Bedeutungseinheiten bestimmt und codiert, um das vorhandenen Material aufzubrechen und thematisch neu zu ordnen. Schritt 3: Thematischer Vergleich 43 Die übergreifenden Codierungen bilden das Fundament, um interviewübergreifende Bezüge herzustellen (vgl. Meuser/Nagel 2010). Ziel ist es gemeinsam thematische Inhalte herzuleiten. Die Forschungsergebnisse, welche aus dem Gesamtmaterial hergeleitet wurden, werden unter der Einbeziehung ausgewählter Zitate nachvollziehbar dargestellt. Schritt 4: Konzeptionalisierung und Generalisierung Bezugnehmend auf den Sozialreport wurden die Schritte 3 und 4 nach Meuser/Nagel (1991) zusammengefasst; das Datenmaterial wurde auf Grundlage des erläuterten methodischen Vorgehens aufgezeigt und verfolgt den Sinn der Ergebnispräsentation. 7.1.3.2 Auswertungsansatz in Bezug auf die Online Befragung Das Portal, über welches die Umfrage durchgeführt wurde, bietet nach Abschluss der Befragung eine vollständige Datenbank zu allen gegebenen Antworten. Da es nach den ersten Teilnehmern durch die individuellen Antwortfelder auffiel, dass das Thema „Sexuelle Vielfalt“ falsch verstanden wurde und die Antworten auf Sexualität allgemein basierten, wurden diese vor der Auswertung aus der Datenbank entfernt. Im Weiteren wurden die einzelnen Ergebnisse über Diagramme und unter Berücksichtigung der Interwieergebnisse ausgewertet und in Bezug gesetzt. 7.2 Auswertung der Interviews 7.2.1 Themenrelevanz Die Relevanz zur Auseinandersetzung mit dem Thema „Sexuelle Vielfalt“ wird von den Einrichtungen insgesamt bestätigt, jedoch aus ganz unterschiedlichen Perspektiven begründet. Lediglich IP7a sieht grundsätzlich eher keine Relevanz für die Thematik, da die Kinder und Jugendlichen, welche die Einrichtung besuchen, dieses Thema aus ihrem jeweiligen Hintergrund und Umfeld nicht mitbringen. Es besteht nach dem Eindruck der Mitarbeiter*innen in der Einrichtung somit kein aktiver Handlungsbedarf, dennoch kommt es zur Thematisierung und Auseinandersetzung, sofern die Jugendlichen durch Medienberichte auf die Thematik aufmerksam werden. „Wenn denn, so ne Geschichten in der Öffentlichkeit, irgendwie was äh, wenn ich da an Conchita Wurst denke oder so ne? Also dass denn das Thema aufgegriffen wird und drüber geredet wird, aber nicht so aus dem persönlichen Umfeld der Kinder und Jugendlichen.“ (IP7a, 7 ff) Auch IP3 spricht 44 Medienberichte als Grundlage der Thematisierung durch die Jugendlichen in der Einrichtung an, wobei beobachtet wird, dass diese medialen Einflüsse zu einem eher negativen Bild von beispielsweise Homosexualität führen. Die Relevanz zur Auseinandersetzung sieht IP3 unter anderem in der herrschenden Jugendsprache. So werden Begriffe wie „schwul“ und „Schwuchtel“ von den Jugendlichen beleidigend in ihrer alltäglichen Kommunikation verwendet. Auch IP4 spricht die negative und beleidigende Kommunikation unter den Jugendlichen an. Sich in der Einrichtung aktiv damit auseinanderzusetzen wird durch einen hohen Anteil homosexueller Jugendlicher begründet, gegen die entsprechende Vorurteilen und Äußerungen durch andere Jugendliche gerichtet sind. So zeigt sich gerade nach einem Coming-out ein anderer, abweisender Umgang der Jugendlichen untereinender, dem durch die Thematisierung und Auseinandersetzung entgegengewirkt werden soll. „[...] Aber als der sich dann irgendwann mal geoutet hatte, dann war auf einmal sowie 'ich will nicht mehr mit dem tanzen' […] 'der macht mich dann bestimmt an und so'“ (IP4, 65 ff) Während in der Einrichtung von IP4 Wert darauf gelegt wird, dass Homosexualität als normal von den Jugendlichen verstanden wird, zeigt sich in der Einrichtung von IP1a und b, dass Jugendliche, die in diesem Bezug von den Mitarbeiter*innen als „auffällig“ bezeichnet und als provozierend wahrgenommen werden. " [...] jetzt zum Beispiel eine Person die mir einfällt, die PROVOZIERT ES AUCH." (IP1a, 29 f) [...] also, wenn jetzt zum Beispiel (..) ähm ein Junge gerne TANZT, ja? Ähm (..) und vielleicht auch in ner Tanzgruppe hier äh mitmacht, dann ist das natürlich was Außergewöhnliches und äh das würde schon dafür sorgen, dass er gleich gemobbt wird [...]" (IP1a, 38 ff) Diese Jugendlichen bilden laut der Mitarbeiter*innen die Grundlage zur Auseinandersetzung mit sexueller Vielfalt, jedoch wird erklärt, dass es durch den Migrationshintergrund vieler Jugendlichen nicht wirklich zu einer Thematisierung und Beschäftigung mit dem Thema kommt. So sind es laut der IP1a die Jugendlichen selber, die dafür sorgen, dass es zu keiner aktiven Auseinandersetzung mit der Thematik kommt. Die Einrichtung von IP6 wird ausschließlich von Jugendlichen mit Migrationshintergrund besucht, jedoch sieht man dies im Vergleich zur Einrichtung von IP1a und b nicht als Grund, sexuelle Vielfalt nicht zu thematisieren. Zu den Aufgaben der Einrichtung gehört sowohl die Begleitung Jugendlicher im Transgenderprozess als auch die Betreuung von Klient*innen, welche eine deutlich ablehnende Einstellung zu sexueller Vielfalt aufweisen. Die Begegnung von Jugendlichen mit verschiedensten Hintergründen und Einstellungen macht es hier besonders relevant, sich mit der Thematik zu beschäftigen. „[...] dadurch, dass selbst die 45 Leute, die homophob sind wenn die hier her kommen, erleben die ja so Menschen […] ändern relativ schnell ihre Meinung einfach durchs kennenlernen [...].“ (IP6, 17) Im Gegensatz zu den übrigen Einrichtung ist IP5 direkt bei einem Aufklärungsträger beschäftigt, der sich darauf spezialisiert hat, in der Arbeit mit Schüler*innen und Lehrkräften ein Bewusstsein für sexuelle Vielfalt zu schaffen, womit die Relevanz zur Auseinandersetzung mit der grundsätzlichen Tätigkeit des Interviewpartners begründet ist. 7.2.2 Sensibilisierung Bis auf IP2 wird von allen Interviewpartner*innen bestätigt, dass Sensibilisierung grundsätzlich notwendig ist. IP2 begründet die fehlende Notwendigkeit mit der, auf den Migrationshintergrund der Klient*innen basierenden, fehlenden Auseinandersetzung mit dem Thema. In den anderen Einrichtungen wird deutlich, dass Sensibilisierung in der Definition und Professionalisierung sehr unterschiedlich behandelt wird. Sowohl IP1a und b, als auch IP4 arbeiten mit jugendlichen Schüler*innen. Während IP4 in der Einrichtung selbst als Beauftragte für das Thema „Sexuelle Vielfalt“ für die Sensibilisierung der Mitarbeiter*innen und Schüler*innen verantwortlich und verfügbar ist, wird von IP1a erklärt, dass Sensibilisierung über Workshops externer Aufklärungsträger ausschließlich für Schüler*innen zur Verfügung steht und die IP1a und b, sowie Mitarbeiter*innen der Einrichtung nicht fachlich geschult und sensibilisiert werden. IP4 spricht an, dass die Sensibilisierung der Schüler*innen über den Sexualkundeunterricht bisher unzureichend ist und sieht das zukünftige Einbringen der Thematik mittels fachübergreifender Unterrichtsmaterialien durch die fehlende Aufgeschlossenheit der Eltern als schwierig an. „[…] da bin ich auf jeden Fall gerade dran mich mit den Lehrern zu treffen und darum auch zu bitten, dass sie auf dieses Thema nicht so einfach rüber rutschen, sondern das noch mal explizit erklären, dass es jetzt auch homosexuelle, heterosexuelle, bisexuelle und dann auch diese unterschiedlichen Geschlechter, transsexuell und so weiter und so fort.“ (IP4, 111 ff) IP1a sieht die Mitarbeiter*innen vor Ort selber als sensibilisiert an, da diese nach eigenem Ermessen auf Auffälligkeiten wie Kleidung oder Bewegung bei den Schüler*innen achten. „[...]einfach in ihrer Art. Zu gucken, ich mein, gibt’s irgendwas. Aber nicht jetzt speziell äh / (..) also einfach auf die Auffälligkeit Kleidung oder Bewegung oder so, das fällt natürlich immer auf. Aber ähm ja, also sonst nicht jetzt irgendwie speziell.“ (IP1a, 62 ff) Das Heranziehen externer Aufklärungsträger, wie es von IP1a bereits genannt wurde, wird von 46 IP6 ebenfalls als Kontakt zur Sensibilisierungsarbeit mit den Klient*innen angegeben. Diese Aufklärungsarbeit bildet die Grundlage der Tätigkeit von IP5. Dieser ist sowohl auf die Sensibilisierung Jugendlicher durch Workshops zum Thema „Sexuelle Vielfalt“, als auch auf die Weiterbildung von Fachkräften und Mitarbeiter*innen in verschiedenen Einrichtungen spezialisiert. Durch die Erläuterungen von IP3 sowie IP7 a und b zeigt sich, dass in beiden Einrichtungen großer Wert auf die regelmäßige Kommunikation mit den Jugendlichen zur Thematik gelegt wird, um einen sensiblen und verständigen Umgang zu erzielen. IP3 berichtet dabei von einer positiven Entwicklung innerhalb der Einrichtung und einem inzwischen sehr offenen Umgang der Jugendlichen mit dem Thema. „[...] jetzt wird eben nicht drüber diskutiert 'darf ich das Lied hören oder nicht', oder ist das richtig was se sagen, sondern, ähm die Diskussion geht eher darum inwiefern der Text diskriminierend ist oder nicht […].“ (IP3, 86 ff) IP7b bestätigt die Aussage von IP7a und fügt hinzu, dass den Jugendlichen, neben den ansprechbaren Mitarbeiter*innen, zusätzlich Informationsmaterialen frei zur Verfügung stehen, um sich bei eigenem Interesse weiterführend mit dem Thema auseinandersetzen zu können. 7.2.3 Diskriminierung Wie IP2 bereits angegeben hat, ist das das Thema „Sexuelle Vielfalt“ in der Arbeit mit den Klient*innen nicht relevant und so wird auch das Vorkommen von Diskriminierung verneint. "Das ist kein Thema, bei den Klienten. Weil wir arbeiten sehr viel mit (..) in multikulturellen Zusammenhängen." (IP2, 20 ff) Die anderen Interviewpartner*innen teilen mit, dass bei beobachteten Diskriminierungsfällen eingeschritten und in die aktive Kommunikation mit den Jugendlichen gegangen wird. Über Gespräche wird in den Einrichtungen versucht, bei den Jugendlichen ein Bewusstsein über den Hintergrund und die Auswirkungen ihres Handelns zu schaffen. IP3, IP4 und IP7a sprechen in diesem Zusammenhang noch einmal die Jugendsprache an und erläutern, dass Beleidigungen in Bezug auf sexuelle Vielfalt verboten sind und bei Verstoß gegen diese Verbote sanktionierend reagiert wird. So gibt es in der Einrichtung von IP3 ein strukturiertes Vorgehen bei Beleidigungen und allgemein diskriminierendem Verhalten. Nachdem bei erstmaliger Diskriminierung ins Gespräch gegangen wird, kommt es im zweiten Schritt zu einer Verwarnung, welcher das Hausverbot im Falle eines dritten Diskriminierungsvorfalls folgt. "[…] wenn es halt ähm bei diesem, bei der, bei den Ausdrucken bleibt, also, diskutieren wir einmal, beim zweiten Mal sagen, 47 erinnern wir sie an die Regel, beim dritten Mal gibt es dann Hausverbot." (IP3, 98 ff) Es wird jedoch auch mitgeteilt, dass Jugendliche mit eigenem, queeren Hintergrund selten die Einrichtung besuchen bzw. sich dort nicht outen, da sie Einrichtungen dieser Art grundsätzlich als ungeschützten Raum wahrnehmen, in dem es vermehrt zu Diskriminierung kommt. Das Zusammentreffen von Menschen mit LGBTIQ Hintergrund und Menschen mit beispielsweise trans- oder homophober Einstellung wird in der Einrichtung von IP5 hingegen aktiv genutzt, um die Jugendlichen miteinander zu Konfrontieren und ein Bewusstsein füreinander zu schaffen. Durch Gespräche und das Miteinander vor Ort soll Diskriminierung hier im direkten Kontakt abgebaut werden. IP1a und b ziehen nicht nur präventiv sondern auch im Fall aktiver Diskriminierung externe Aufklärungsträger heran, um die internen Gespräche mit den Jugendlichen durch externe Fachkräfte zu stützen. IP5, als Mitarbeiter eines Aufklärungsträgers bestätigt, dass das Ziel in der Arbeit mit den Jugendlichen unter anderem das Schaffen eines diskriminierungsfreien Raums ist. Um Diskriminierungsfälle zu reflektieren und eine dauerhafte Auseinandersetzung damit zu schaffen, werden innerhalb des Trägers regelmäßige Plenen einberufen. 7.2.4 Ansprechpartner*innen Bei der Frage nach speziellen Ansprechpartner*innen zum Thema „Sexuelle Vielfalt“ zeigt sich, dass die IP 1a und b, sowie IP 6 trotz fehlender Sensibilisierung als Ansprechpersonen für die Jugendlichen zur Verfügung stehen und es darüber hinaus keine spezialisierte und fachlich sensibilisierte Person zu der Thematik in der Einrichtung gibt. IP6 gibt an, dass die Jugendlichen die Mitarbeiter*innen der Einrichtung als vertrauensvolle Ansprechpartner*innen wahrnehmen und wissen, zu wem sie mit welchen Themen gehen können. Darüber hinaus stellt man bei Bedarf Kontakt zu externen Gesprächspartner*innen her, um den Jugendlichen eine qualifizierte Beratung zu ermöglichen. Auch IP7a erklärt, selbst als Ansprechperson für die Jugendlichen zur Verfügung zu stehen. IP7b bestätigt dies und schätzt die zuständige Mitarbeiterin als vertrauensvolle und offene Person ein, die für die Jugendlichen jederzeit für Gespräche verfügbar ist. In der Einrichtung von IP3 kommt das gesamte Team aus der Gender- bzw. Mädchenarbeit und steht den Jugendlichen mit dem fachlichen Hintergrund der bisherigen Arbeit gemeinsam zu dem Thema „sexuelle Vielfalt“ zur Verfügung, auch wenn dafür bisher laut IP3 noch kein Bedarf bestand. "[...] die drei hauptsächlichen Erzieher Sozialarbeiter und äh Leitung ähm alle drei sehr sensibilisiert sind 48 äh zu dem Thema, weil wir einfach aus ner, ja Organisationsstruktur kommen, die sich sehr stark mit Gender und äh Mädchen-Jungenarbeit, äh sexueller Vielfalt auseinandergesetzt hat und auseinandersetzt und das halt als Thema macht.” (IP3, 130 ff) Während es in den meisten Einrichtungen keine geschulte und nur für dieses Thema zuständige Ansprechperson gibt, ist IP4 in der Einrichtung speziell für das Thema „Sexuelle Vielfalt“ zuständig und soll Mitarbeiter*innen und Schüler*innen fachlich zur Verfügung stehen. Wie aus dem Interview jedoch hervorgeht, fehlen dafür bisher sowohl die zeitlichen Kapazitäten, als auch grundsätzliche Informationen über die verfügbare Mitarbeiterin für die Schüler*innen. Die Arbeit von IP5 ist im Unterschied zu den anderen Interviewpartner*innen grundsätzlich darauf ausgelegt, als Ansprechperson für Schüler*innen und Mitarbeiter*innen an Schulen zur Verfügung zu stehen bzw. durch Workshops aktiv an sie heranzutreten. 7.2.5 Identitätsdimensionen Mehrere Interviewpartner*innen sprechen zu dem Umgang mit Identitätsdimensionen besonders Migration und ethnische Vielfalt an, wobei von allen erklärt wird, dass diese Themen in den Einrichtungen nicht zu Konflikten unter den Jugendlichen führen. Während in den meisten Einrichtungen von Jugendlichen mit türkischem oder arabischem Hintergrund die Rede ist, erklärt IP4, dass in der Einrichtung junge Menschen aus der ganzen Welt zusammenkommen und dabei ein offener und toleranter Umgang miteinander gepflegt wird. „[...] sehr tolerant. Alle! Die Erwachsenen. Die Kinder. Also ist wirklich überhaupt keine Frage wer wo herkommt, wer wie alt oder sowas.” (IP4, 288 ff) Auch die Herkunft aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten bzw. Klassen wird unter den Jugendlichen nicht thematisiert. Desweiteren geht die Vielfalt an Herkunft mit der Vielfalt von Religionen einher und auch in Bezug darauf wird in der Einrichtung ein diskriminierungsfreier Umgang unter den Jugendlichen wahrgenommen. Gleiches erklärt IP7b zu der Einrichtung die er besucht und er erklärt, dass die Jugendlichen in diesen Bereichen keine Unterschiede machen und Themen wie Herkunft und Religion weder hinterfragen noch bewerten. IP3 weist darauf hin, dass man sich in der Arbeit mit den Jugendlichen auf die Kernthemen konzentriert und es zu keiner genauen Auseinandersetzung mit Intersektionalität kommt. Zwar sind es Jugendliche mit Migrationshintergrund, mit denen in der Einrichtung gearbeitet wird, doch definieren sich die Problematiken durch andere Themen, welche in der Arbeit dann fokussiert und nicht grundsätzlich in Verbindung mit der Herkunft der Jugendlichen 49 gesetzt werden. Neben Herkunft und Religion werden von AP7a auch Menschen mit Behinderung angesprochen, denen die Einrichtung einerseits durch Mitarbeiter und Besucher jederzeit gerne offen steht, andererseits jedoch nicht die räumlichen Voraussetzungen bietet, um alle interessierten Besucher*innen entsprechend empfangen zu können. Auf die Sensibilisierung zu der Thematik wird in der Einrichtung in jedem Fall Wert gelegt, wie IP7b berichtet. So wird über Themenabende, Filme und Erfahrungsberichte von Familien über Menschen mit Behinderung informiert und ein offener Umgang miteinander gefördert. In der Arbeit von IP5 spielen Diversität und Intersektionalität eine große Rolle, da sich in der Aufklärungsarbeit seiner Einrichtung zeigt, dass die Verknüpfungen verschiedener Themen immer präsent sind. Die Einrichtung hat dabei den Anspruch, die Komplexität von sexueller Vielfalt und anderen Themen zum Ausdruck zu bringen und aufzuzeigen, dass es durch die individuellen Merkmale jedes einzelnen Menschen zu einer entsprechend individuellen Vielfalt von Diskriminierung kommen kann und man sich jeder dieser vielfältigen, persönlichen Situationen auch ebenso individuell annehmen kann und sollte. 7.2.6 Fazit Insgesamt stechen IP2, IP5 und IP7a unter den Befragten heraus. Während IP5 in der Aufklärungsarbeit aktiv ist und von den Eirichtungen der anderen Interviewpartner*innen und deren Einrichtungen zur Sensibilisierung der Jugendlichen herangezogen wird, zeigt sich bei IP2, dass das Thema „Sexuelle Vielfalt“ keinerlei Relevanz in der betreffenden Einrichtung hat und die Themen des Interviews als nicht präsent verneint werden. IP7b ist Besucher der Einrichtung von IP7a und bietet im Interview ein wertvolles Feedback zu den Aussagen von IP7a. Abschließend zeigt sich, dass es in den verschiedenen Einrichtungen zu ähnlichen Themen und Konflikten in Bezug auf sexuelle Vielfalt kommt, mit diesen jedoch unterschiedlich umgegangen wird, wobei sich im Umgang eine gewisse Parallelität zum jeweiligen Grad der Spezialisierung und Sensibilisierung der Sozialarbeiter*innen beobachten lässt. Während die IP1a und b ohne eigene Sensibilisierung die Verantwortung zum Umgang mit dem Thema an die Jugendlichen selber abgeben und die Probleme eher in den Jugendlichen sehen, die von den heteronormativen Rollenvorstellungen abweichen, wird in den anderen Einrichtungen Wert darauf gelegt, dass die Jugendlichen sich mit Respekt und Toleranz begegnen und den 50 Themen der sexuellen Vielfalt offen und frei von Diskriminierung begegnen. In den Einrichtungen, in denen die Mitarbeiter*innen sensibilisiert bzw. fachlich weitergebildet sind, wird vermehrt auf sprachlichen Umgang der Jugendlichen geschaut und aktiv zu sexueller Vielfalt informiert und aufgeklärt. Durch verschiedene Interviewpartner*innen wurde der Migrationshintergrund der Jugendlichen angesprochen, wobei sich eine unterschiedliche Haltung dazu zeigt. Während sich in den Einrichtungen von den IP1a und b sowie IP2 zeigt, dass die Herkunft der Jugendlichen als Grund angegeben wird, sich in der Arbeit nur wenig bis gar nicht mit sexueller Vielfalt auseinanderzusetzen, wird das Thema in den Einrichtungen von IP4 und IP6 in den Bezug auf die verschiedenen Nationalitäten der Jugendlichen nicht eingegrenzt oder ausgeschlossen. Mehrere Einrichtungen arbeiten mit Aufklärungsträgern zusammen, wobei diese in erster Linie zur Aufklärung der Jugendlichen, nicht aber zur Weiterbildung der Mitarbeiter*innen in Anspruch genommen werden. Grund für die geringe bis fehlende Ausbildung der Mitarbeiter*innen in Bezug auf sexuelle Vielfalt sind laut der Interviewpartner*innen oft fehlende zeitliche und finanzielle Kapazitäten. So stehen den Jugendlichen in den meisten Einrichtungen keine spezialisierten Ansprechpartner*innen zur Verfügung, jedoch werden die Interviewpartner*innen und weitere Mitarbeiter*innen von den Jugendlichen oft als vertrauensvolle Ansprechpersonen in Anspruch genommen. IP4 ist in der Einrichtung speziell als Ansprechperson für sexuelle Vielfalt zuständig, beklagt jedoch ebenfalls fehlende Kapazitäten und den mangelnden Informationsfluss innerhalb der Einrichtung. Diskriminierendes Verhalten wurde in mehreren Einrichtungen beobachtet und mit den Jugendlichen thematisiert. Teilweise werden auch hier außenstehende Berater*innen kontaktiert. In der Einrichtung von IP3 konnte eine positive Entwicklung zum Umgang mit sexueller Vielfalt beobachtet werden, nachdem die Mitarbeiter*innen in der Einrichtung auf diskriminierende Jugendsprache und ähnliches Verhalten eingegangen sind und dies regelmäßig mit den Jugendlichen besprochen und dadurch ein anderes Bewusstsein bei den Jugendlichen geschaffen haben. Es zeigt sich, dass die aktive Auseinandersetzung mit sexueller Vielfalt zu einem offenen und diskriminierungsfreien Umgang unter den Jugendlichen führen kann. Voraussetzung dafür ist jedoch die grundsätzliche Haltung und fachliche Ausbildung der zuständigen Mitarbeiter*innen. Dafür stehen derzeit jedoch oft zu wenig Mittel zur Verfügung. Aufklärungsträger leisten wertvolle Arbeit und Unterstützung in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit und stehen auch für die Fortbildung von Mitarbeiter*innen zur 51 Verfügung. Konfrontationen in den Einrichtungen sind durch diskriminierende Jugendsprache und grundsätzliche Abwehr gegen beispielsweise Homosexualität zu beobachten, wodurch es zu Beleidigungen und Mobbing kommt. Die Reaktion der zuständigen Sozialarbeiter*innen reicht von der Wahrnehmung vermeintlich provozierender Jugendlicher durch abweichendes bzw. auffälliges Verhalten, über klare Verbote von Diskriminierung und entsprechende Sanktionierung, bis zu Konfrontation und Aufklärung durch Gespräche und das Heranziehen außenstehender Expert*innen. Ähnlich diskriminierendes oder abwehrendes Verhalten wird in den Einrichtungen zu Themen wie Herkunft und Behinderung laut der Interviewpartner*innen nicht beobachtet. 52 7.3 Online-Umfrage 7.3.1 Angaben zur Umfrage Um auch Jugendliche bzw. Schüler*innen zu dem Thema „Sexuelle Vielfalt“ befragen zu können, wurde über die Plattform www.umfrageonline.com eine Online-Umfrage erstellt und über soziale Netzwerke, Foren und Internetseiten verbreitet. Ausgewählt wurden dafür vor allem Jugendclubs, Schulen, Hausaufgabenforen, Jugendzeitschriften, TV-Formate für Jugendliche und Foren zu Mobbing und Diskriminierung. Die Umfrage war rund 6 Wochen lang aktiv und konnte in dieser Zeit anonym von Schüler*innen ab 14 Jahren beantwortet werden. Die Umfrage beinhaltete neben Auswahlfeldern zu einigen Fragen auch Freifelder, womit die Teilnehmer*innen die Möglichkeit hatten, individuell Erfahrungen und Meinungen mitzuteilen. Zur genauen Einsicht steht der Aufbau der Umfrage im Anhang zur Verfügung. Nach den ersten Beantwortungen wurde auffällig, dass das Thema „Sexuelle Vielfalt“ den Teilnehmer*innen in der Definition nicht ausreichend klar ist und vermehrt im Sinne von Sexualität allgemein auf die Fragen geantwortet wurde. Daraufhin wurde ein neuer Einleitungstext mit einer genauen Erläuterung eingestellt, woraufhin die Teilnehmer*innen dann im direkten Kontext der sexuellen Vielfalt auf die Fragen antworteten und Erfahrungen und Meinungen zu der Thematik mitteilten. Die Antworten der ersten Teilnehmer*innen wurden für die Auswertung entfernt, da diese durch den abweichenden Themenbezug für das Ergebnis als nicht relevant zu betrachten waren oder dieses hätten verfälschen können. Teilweise haben sich die Antworten innerhalb verschiedener Fragen inhaltlich überschnitten, daher wurde entschieden, nicht alle Fragen einzeln in der Auswertung zu visualisieren. 53 7.3.2 Demographische Daten An der Umfrage haben, abzüglich der ersten Beantwortungen, 114 Personen im Alter von 14 bis 22 Jahren teilgenommen. Vor allem Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren, welche unserer Zielgruppe für die Umfrage besonders entsprechen, haben die Umfrage beantwortet. Alter 16 Jahre 7% 7% 14 Jahre 19% 19 Jahre 7% 15 Jahre 17 Jahre 9% 14% 18 Jahre 20 Jahre 11% 12% 21 Jahre 14% 22 Jahre Der Anteil von männlichen und weiblichen Teilnehmer*innen der Umfrage ist ausgeglichen. Darüber hinaus geben rund 4% der Jugendlichen bei der Frage nach dem Geschlecht „queer“ an. Geschlecht 4% weiblich 47% 49% männlich queer 54 Die Teilnehmer*innen kommen aus 14 verschiedenen Bundesländern und es zeigt sich, dass vor allem Schüler*innen aus Berlin, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Nordrhein-Westphalen die Umfrage beantwortet haben. Aus den Bundesländern Saarland und Thüringen haben sich keine Teilnehmer*innen gefunden. Bundesland 17% 4% 6% 17% 9% 15% 15% Berlin Sachsen-Anhalt Hamburg Nordrhein-Westphalen Baden Württemberg Schleswig-Holstein Brandenburg Bayern Niedersachsen Sachsen Bremen Hessen Mecklenburg-Vorpommern Rheinland-Pfalz Insgesamt präsentiert sich ein gemischtes Feld von Teilnehmer*innen. Zum einen haben queere, weibliche und männliche Personen die Umfrage beantwortet, zum anderen sind alle für die Umfrage interessanten Altersstufen ausgeglichen vertreten. Auch die Verteilung auf die Bundesländer ist sehr gemischt und gibt keine feste Tendenz zu Teilnehmer*innen aus einem bestimmten oder ausschließlichen Teil Deutschlands. Durch die Teilnehmer*innenzahl sind die Daten aus der Befragung nicht repräsentativ, bieten aber einen interessanten Einblick in die Auffassung und Meinung von über 14jährigen zum Thema „Sexuelle Vielfalt“ und ergänzen die Aussagen aus den Expert*inneninterviews aus einem eigenen Blickwinkel. 55 7.3.3 Auswertung 1| Wo ist Dir das Thema „Sexuelle Vielfalt“ bisher bereits begegnet? 15% 8% 4% 71% Internet/Soziale Netzwerke Schule 48% Fernsehen Zeitung/Zeitschrift Jugendclub Andere 57% 60% Das Thema ist mir bisher nicht begegnet Bei dieser Frage hatten die Jugendlichen die Möglichkeit der Mehrfachantwort. Es zeigt sich, dass das Thema in Einrichtungen, welche durch die Experteninterviews befragt wurden, für die Jugendlichen präsent ist. Die Aussage der Interviewpartner*innen, dass Jugendliche durch Medien zu diesen Themen geprägt werden bzw. dort Informationen darüber beziehen, lässt sich hier aufgreifen, da die Teilnehmer*innen vor allem Internet, Fernsehen und Zeitungen/Zeitschriften angeben, wenn es um die Begegnung mit dem Thema „Sexuelle Vielfalt“ geht. Zu der Antwortmöglichkeit „Andere“ wurden von den Jugendlichen speziell Freunde angegeben. Auffällig ist, dass 4% der Teilnehmer*innen angeben, dem Thema bisher gar nicht begegnet zu sein. In der Betrachtung der Daten zeigt sich, dass es sich dabei um 14-jährige Personen handelt, die in der Umfrage auch weiterführend angeben, dass in ihrem Umfeld nicht darüber gesprochen oder informiert wird. Während der Auswertung ist aufgefallen, dass „Familie“ als Auswahlfeld nicht vorgegeben wurde, jedoch auch über das Zusatzfeld nicht als individuelle Antwort auftaucht. 56 2| Wird unter den Jugendlichen an Deiner Schule über das Thema „Sexuelle Vielfalt“ gesprochen? 38% ja 62% nein 3| Wird das Thema „Sexuelle Vielfalt“ an Deiner Schule innerhalb des Unterrichts thematisiert? 30% nein ja 70% Bei den Fragen nach der Thematisierung von sexueller Vielfalt wird deutlich, dass das Thema unter den Jugendlichen durchaus sehr präsent ist, im Gegenzug dazu aber im Unterricht nicht bzw. nur wenig angesprochen bzw. besprochen wird. Zu beiden Fragen hatten die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, individuell mitzuteilen wie über das Thema gesprochen wird bzw. inwieweit es im Unterricht stattfindet. Thematisierung unter Jugendlichen:  „Meist eigentlich gut, ist ja ein Interessantes Thema. Nur manche machen sich darüber lustig. Das sind aber wenige.“  „Es wird bei mir verschieden umgegangen mit dem Thema Lesben und Schwule. Die einen finden es eklig, die anderen ganz normal.“  „Eine Freundin von mir ist bisexuell und spricht manchmal über ihre Probleme dadurch.“ 57  „Meist eher als Scherz oder Vorlieben ohne die eigene Neigung auszudrücken. (Z. B. mögen die meisten Jungs Lesben und einige Mädchen Schwule, stehen aber größtenteils selbst auf das andere Geschlecht.) Wir hatten auch ein Mädchen in der Klasse, die eine weibliche feste Freundin hatte. Niemand hat sich negativ in unserer Klasse darüber geäußert. Unsere Klassengemeinschaft allgemein ist aber sehr gut.“  „Früher eher negativ, aber seit ein paar Jahren hauptsächlich positiv im Sinne von Toleranz.“  „Ich selbst bin lesbisch und spreche offen darüber.“  „Abwertend. Aber ich halt mich da raus.“ Durch die Angaben der Jugendlichen ergeben sich Parallelen zu den Informationen der Expert*innen in den Interviews. Grundsätzlich wird sexuelle Vielfalt thematisiert, wobei es durchaus zu negativen Meinungen und Äußerungen kommt. Doch zeigt sich auch ähnlich wie in der Schilderung von einer interviewten Person, dass es zu einer positiven Entwicklung durch die Auseinandersetzung mit sexueller Vielfalt und Toleranz kommen kann. Nicht übersehen werden sollte die Äußerung, dass sich für junge Menschen mit LGBTIQ Hintergrund Probleme aufgrund ihrer sexuellen Orientier ergeben können und sie diesbezüglich Ansprechpartner*innen aufsuchen. Die Schwierigkeiten der einen Seite lassen sich mitunter durch die abweisende Haltung der anderen Seite begründen. Insgesamt wird durch den Großteil der Antworten, von denen hier nur einige exemplarisch aufgeführt wurden, aber ein eher offenes und positives Bild seitens der Jugendlichen vermittelt. Thematisierung im Unterricht:  „Nur sehr selten.“  „Ja, es wurde aber nicht sehr ausführlich behandelt.“  „In der 4., 6. und 9. Klasse Sexualkunde.“  „Im Philosophie-Unterricht kam dieses Thema zur Sprache.“  „Nur oberflächlich (Philosophieunterricht nur für 1-2 Stunden) im Rahmen der Political Correctness.“ Bei der Thematisierung im Unterricht nehmen die Jugendlichen sexuelle Vielfalt kaum wahr. Der Sexualkundeunterricht wird teilweise angesprochen, darüber hinaus erwähnen einige Teilnehmer*innen den Philosophieunterricht. Insgesamt scheint das Thema „Sexuelle 58 Vielfalt“ nur sehr wenig in den Unterricht eingebracht zu werden, obwohl sich durch die vorangegangene Frage zeigt, dass das Thema unter den Jugendlichen sehr präsent ist und es dort mitunter zu negativen Haltungen und Äußerungen kommt, die zur Gesprächsgrundlage in verschiedenen Unterrichtsthemen aufgegriffen werden könnten. Die in den Interviews mehrfach erwähnten externen Aufklärungsträger und entsprechende Workshops wurden von den Teilnehmer*innen in der Umfrage nicht angesprochen. Abgesehen von Unterrichtsinhalten ist es hier interessant, ob den Jugendlichen grundsätzlich bei Gesprächsbedarf eine Ansprechperson zur Verfügung steht, was als Frage in der OnlineUmfrage aufgegriffen wurde. 4| Gibt es an Deiner Schule eine Vertrauensperson bzw. einen Ansprechpartner für dieses Thema? 22% 41% weiß ich nicht ja nein 37% Viele Schüler*innen geben an, dass ihnen grundsätzlich gar nicht bekannt ist, ob es eine Ansprechperson zu Themen der sexuellen Vielfalt gibt. Darüber hinaus wird von 22% der Teilnehmer*innen mitgeteilt, dass an ihrer Schule keine spezielle Ansprechperson verfügbar ist. Diese Angaben bestätigen die Informationen aus den Interviews. Aus dem Schulkontext wurden 3 Expert*innen aus 2 verschiedenen Einrichtungen befragt und es zeigt sich, dass es in der einen Einrichtung keine speziellen Ansprechpartner*innen gibt und die Schüler*innen in der anderen Einrichtung nicht über die zuständige Mitarbeiterin informiert sind. Insgesamt wird durch die letzten drei Fragen klar, dass Jugendliche untereinander über sexuelle Vielfalt sprechen, sich darüber austauchen, mit Freunden über Probleme diesbezüglich reden und sich auch negativ und abweisend darüber geäußert wird. Gleichzeit ist das Thema durch Unterrichtsinhalte kaum präsent, wird wenig bis gar nicht angesprochen 59 bzw. in den Unterricht einbezogen und auch vertrauensvolle Ansprechpartner stehen in erster Linie nicht zur Verfügung bzw. sind den Schüler*innen nicht bekannt. 5| Findest Du es persönlich wichtig, dass über das Thema „Sexuelle Vielfalt“ gesprochen/informiert/aufgeklärt wird? 22% ja nein 78% In Bezug auf die Interviews und die bisherigen Fragen der Online-Umfrage ist es besonders aussagekräftig, dass mehr als zwei Drittel der jugendlichen Teilnehmer*innen angeben, dass sie die Auseinandersetzung mit bzw. die Aufklärung über sexuelle Vielfalt als wichtig ansehen. Auch zu dieser Frage konnten sich die Jugendlichen individuell mitteilen, was im Folgenden durch einen Teil der Aussagen dokumentiert wird. Aufklärung über sexuelle Vielfalt:  „Ja, da es leider noch zu viele intolerante Personen gibt.“  „Ja, damit so mehr Toleranz und Verständnis gegenüber LGBT-Jugendlichen entsteht.“  „Ja, weil einer meiner besten Freunde schwul ist und ich so aus erster Hand immer wieder mitbekomme, dass es immer noch Thema ist und zu Komplikationen führt.“  „Ja, weil es dann von den Jugendlichen als "normaler" wahrgenommen werden würde und nicht mehr als unnormal und schlecht. Es wird Schüler an meiner Schule überhaupt nicht die Chance gegeben, sich selbst zu entfalten und das finde ich schade.“  „Ja, um die Gesellschaft in ihrer Toleranz und Gleichheit zu verbessern und jedem Menschen die Chance zu geben, nicht wegen ihrer/seiner sexuellen Vorlieben, Entscheidungen, Lebensweise als verwerflich betrachtet zu werden.“  „Ja weil man so etwas respektieren sollte. Sonst dürften Frauen heut wahrscheinlich nicht zur Schule gehen und Zwitter wären Attraktionen auf dem Jahrmarkt. Doch wir sind eine 60 fortschrittliche, moderne Gesellschaft. Ich appelliere an Gleichberechtigung. Was hat ein Geschlecht denn zu bedeuten!?“  „Ja. Ich finde, dies sollte aber vor allem elterlicherseits thematisiert werden.“  „Ja, aber jeder sollte sich dennoch seine eigene Meinung über sexuelle Vielfalt bilden können.“  „Nein, weil ich finde, dass durch eine derartige Aufklärung noch schlimmeres Mobbing unter Teenagern, z.B. bei Homosexualität, entsteht.“ Der Aufklärung über sexuelle Vielfalt stehen die Teilnehmer*innen größtenteils positiv gegenüber und sie begründen diese Haltung mit Themen, die sowohl in den Interviews als auch in dieser Umfrage bereits mehrfach angesprochen wurden. Die Schüler*innen selber beobachten fehlende Toleranz und daraus entstehende Problem für LGBTIQ Jugendliche. Sie argumentieren mit klaren Schlagwörtern wie Toleranz, Respekt, Gleichheit, Normalität und einer modernen Gesellschaft für mehr Aufklärung und Thematisierung von sexueller Vielfalt. Eine Person gibt an, dass Aufklärung wichtig ist, diese Aufgabe aber Eltern überlassen werde sollte. Von den Teilnehmer*innen, die angegeben haben, Aufklärung für nicht wichtig zu halten, wird von einer Person angegeben, dass Aufklärung und Thematisierung zu mehr Mobbing gegen beispielsweise homosexuelle Menschen führt. Da zeigt, dass es bei dieser Verneinung zur Auseinandersetzung mit der Thematik nicht um eine eigene Abwehrhaltung geht, sondern wahrgenommen wird, dass LGBTIQ Jugendliche mintunter durch diese Aufklärung mehr Leid erfahren, da mehr offene Thematisierung auch zu mehr offener Gegenwehr führt. Darin zeigt sich eine in den Befragungen bisher kaum wahrgenommene Komplexität des Themas, die hier von einem 16-jährigen Jugendlichen erkannt wird. Abschließend hatten die Teilnehmer*innen in der Umfrage die Möglichkeit, noch einmal ganz frei mitzuteilen, was sie insgesamt zum Thema „Sexuelle Vielfalt“ denken, was ihnen dazu noch einfällt oder was sie darüber selber gerne wissen wollen.  „Mich stört aufdringliches Verhalten und alle zu unnormaler Sexualität hin erziehen zu wollen. Rolle der Medien, gute und richtige Geschlechterbilder durch gesellschaftsschädliche zu ersetzen. Und Frechheit, nach "queer" oder anderen Geschlechtern bezogen auf das eigene Geschlecht in dieser Umfrage zu fragen, dafür genügt ein Blick in den Pass oder in die Hose.“ 61  „Meiner Erfahrung nach lassen Leute, die sich für die Gleichberechtigung dieser Menschen einsetzen, gänzlich keine anderen Meinungen zu und beharren stur auf ihre eigenen Standpunkte.“  „Mir ist es egal wer was für ein Leben oder Lebensstil lebt. Auch wenn mir gewisse Dinge nicht gefallen, habe ich nicht das Recht die Lebensweisen zu kritisieren.“  „Was tun in Situationen von Homophobie/ Transphobie/ Diskriminierung?“  „Mich stört, dass es in meiner Klasse viele Schüler gibt, die schwul als Schimpfwort benutzen.“  „Mich interessiert das Leben von sexuell Andersorientierten.“  „Ich persönlich fühle mich als Mädchen auch teilweise zu Mädchen hingezogen. Allerdings sind meine Eltern dagegen.“  „Ich als homosexueller Schüler des 12. Jahrgangs würde mich sehr dafür einsetzen, dass an Schulen das Thema sexuelle Vielfalt präsent ist. Im Moment ist die Situation an Schulen sehr gemischt. Wenn es eine Möglichkeit geben könnte irgendetwas zu tun, würde ich mich freuen.“ Bei den letzten Äußerungen und Mitteilungen wird noch einmal deutlich, dass die Meinung und Haltung gegenüber sexueller Vielfalt bei den befragten Jugendlichen gemischt ist, wobei auch hier exemplarisch eine vielfältige Auswahl gezeigt wird, während sich insgesamt verhältnismäßig viele positive und/oder interessierte Kommentare in der Auswertung der Online-Umfrage gezeigt haben. Auch in diesen letzten Antworten kristallisieren sich wichtige Themen heraus. Zum einen zeigt sich eine deutliche Abwehrhaltung mit der Begründung „unmoralischer“ Sexualität, die zudem in den Kontext der Erziehung und vor allem Anerziehung gebracht wird. Dies spiegelt ganz aktuelle Konflikte und Vorurteile wieder, die in der Gesellschaft herrschen und verbreitet werden. Ein Thema, welches auch in den geführten Interviews sehr präsent war, ist die Jugendsprache in der „schwul“ als Schimpfwort gebraucht wird. Dies fällt nicht nur Sozialarbeitern sondern auch Jugendlichen selber negativ auf und wird hier entsprechend erwähnt. Desweiteren konnten über die Umfrage auch Erfahrungen LGBTIQ Jugendlicher aufgenommen werden und so zeigt sich auch in den abschließenden Kommentaren, dass eben diese Jugendliche auf Aufklärung und Thematisierung angewiesen sind, da der 62 alltägliche Umgang mit sexueller Vielfalt ihr Leben sowohl zu Hause als auch im öffentlichen Raum maßgeblich beeinflusst und aktuell noch immer einschränkt. 7.3.4 Fazit Zusammengefasst weisen die Ergebnisse der Umfrage thematisch viele Parallelen zu den geführten Interviews auf, wobei deutlich wird, dass ein Großteil der Jugendlichen Interesse an dem Thema sexuelle Vielfalt hat und es viele für wichtig halten, dass darüber gesprochen und aufgeklärt wird. Zur Umsetzung davon scheint es jedoch an Unterrichtsinhalten und Ansprechpersonen zu fehlen, was sowohl aus der Umfrage als auch aus den Antworten der befragten Sozialarbeiter*innen hervorgeht. Auch wenn sich ein hohes Maß an Offenheit und Unterstützung unmittelbarer Bezugspersonen erkenn lässt, führen Vorurteile, fehlende Akzeptanz und diskriminierende Sprache noch immer dazu, dass Jugendliche mit LGBTIQ Hintergrund Einschränkungen und Leid erfahren. An Schulen wird dies offensichtlich kaum bis gar nicht aufgefangen. Während die Jugendlichen zum größten Teil den Eindruck machen, den Bedarf an Aufklärung sowie das Interesse an Informationen wahrzunehmen und für einen modernen und offenen Umgang mit sexueller Vielfalt bereit zu sein, scheint es sich seitens ihnen übergeordneten Instanzen und vorangegangen Generationen als schwierig darzustellen, diese Konfrontation, Auseinandersetzung und Entwicklung an die Jugendlichen heranzulassen. Die Vielzahl positiver Äußerungen sowie die Beispiele positiver Entwicklungen bieten aber abschließend eine ebenso positive Aussicht für den zukünftigen Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft. 63 8. Ergebnisse und Schlusswort Blicken wir auf unsere Hauptforschungsfrage „Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit?“ zurück, lautet unsere Antwort auf diese Frage: sehr vielfältig. Dies ist unsere Erkenntnis nach zahlreichen Interviews und langen Diskussionen über Themen, die Gender/Queer und Diversity betreffen. Sowohl rechtlich, als auch in diversen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit gewinnt diese Thematik immer mehr an Bedeutung. Gesetze werden zugunsten der Gleichberechtigung geändert bzw. neu eingeführt, jedoch gibt es bei der Umsetzung immer noch Lücken um Vorschriften zu umgehen. In den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit wird eine Gender/Queer und Diversity gerechte Arbeitsweise nur wenig umgesetzt. Diese Erkenntnis erlangten wir durch die Auswertung der Interviews. Durch den Vergleich der Interviews stellte sich heraus, dass die Herangehensweise an die Thematik sexuelle Vielfalt sehr unterschiedlich ist. Während die einen aktiv darüber sprechen, geben andere die Verantwortung an die Jugendlichen ab. Es sind keine einheitlichen Verfahrensweisen erkennbar, da jeder eine andere Meinung und somit Arbeitsweise zu dem Thema hat. Einige Einrichtungen arbeiten mit verschiedenen Aufklärungsträgern zusammen, jedoch arbeiten diese nur mit den Jugendlichen. Zahlreiche Fort- und Weiterbildungen zu dieser Thematik werden von den Trägern angeboten und können besucht werden. Scheinbar finden sie jedoch noch keine große Resonanz. Das wurde deutlich durch die Auswertung der Interviews. Die Sozialarbeiter*innen gaben an, dass sie keine Notwendigkeit sehen, kein Interesse haben oder einfach die notwendige Zeit fehlt. Weiterhin war in einer Einrichtung aber erkennbar, dass durch kontinuierliche Bearbeitung des Themas auch ein positiver Umgang erreicht werden kann. Im Allgemeinen wird das Thema dennoch sehr tabuisiert. Dies stellte sich vor allem bei der Suche nach Interviewpartnern*innen heraus. Es gestaltete sich als sehr schwierig Experten*innen und Jugendliche zu finden, die bereit waren mit uns über die Forschungsthematik zu sprechen. Daher konnten wir nur einen Jugendlichen zum Vergleich heranziehen. Die Jugendlichen, die an unserer Online-Umfrage teilgenommen haben, zeigten größeres Interesse, da hier keine persönlichen Gespräche erforderlich waren. Sie äußerten hier den Wunsch, dass die Thematik einen höheren Stellenwert bekommen sollte. Sowohl in der Schule, als auch im Freizeitbereich ist der Wunsch nach mehr Offenheit und 64 Information vorhanden. Für die Zukunft wäre das Einbringen des Themas Gender/Queer und Diversity in die Ausbildung und in sämtlichen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit als zentraler Bestandteil eine wichtige Überlegung. Weiterhin sollte auf die korrekte Umsetzung der Gesetze geachtet und Gesetzeslücken geschlossen werden, damit die Inklusion alle Menschen umfasst. Zudem müssten Konzepte erarbeitet werden, die im Alltag der Kinder- und Jugendarbeit umsetzbar sind, um die Thematik sexuelle Vielfalt zu enttabuisieren. Vor allem Sozialarbeiter*innen die schon länger im Beruf tätig sind, sollten an das Thema herangeführt und ihnen sollte die Angst vor Neuem genommen werden. Abschließend lässt sich sagen, dass die Erarbeitung des Sozialreportes uns viel neues Wissen eröffnete. Die Interviews gaben Einblicke in die Alltagsarbeit und brachten erstaunliche Fakten zutage. Insgesamt ist das Thema sehr interessant, vielseitig und themenübergreifend. Viele Forschungslücken bleiben noch offen. So wäre die Frage nach einer geeigneten Konzeption für sämtliche Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit ein interessanter Forschungsschwerpunkt. 65 9. Quellenangaben Literaturliste Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise, AG SPAK (Hrsg.): Empirie einer Subkultur. Obdachlosensiedlung Wiesbaden- Mühtal. Berlin 1977. Ahrbeck, Bernd: Der Umgang mit Behinderung. Stuttgart 2011. Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang: Experteninterviews in der qualitativen Sozialforschung. Zur Einführung in eine sich intensivierende Methodendebatte. In: Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang: Experteninterviews. Theorien, Methoden, Anwendungsfelder, Wiesbaden 2009. Bohnsack, Ralf: Rekonstruktive Sozialforschung: Einführung in qualitative Methoden, Opladen 2008. Czollek, Leah Carola/Weinbach, Heike/Perko, Gudrun: Lehrbuch Gender und Queer. Grundlagen, Praxis und Handlungsfelder. Weinheim und München 2009. 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Anhang 10.1 Fragebogen: Sozialarbeiter*innen Gesprächsleitfragen Alter: ____ Geschlecht: weiblich männlich queer ________________ Einrichtung der Sozialen Arbeit: ………………………………………………………………………………….. Soll Ihre Institution anonym bleiben? Ja Nein Interviewte Person: ………………………………………………………………………………………………….. Möchten Sie anonym bleiben? Ja Nein Wer sind die Nutzer_innen Ihrer Einrichtung? …………………………………………………………………. (z.B. Mädchenarbeit, Jugendsozialarbeit …) Was ist das Handlungsfeld Ihrer Einrichtung: ………………………………………………………………….. Offene Fragen (für Sozialarbeiter_innen) Übergeordnete Fragestellung Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit? Erkenntnisinteresse Inwiefern ist der Diskurs zu Gender/Gendervielfalt in der Praxis der Sozialen Arbeit angekommen? Teilforschungsfragen 1) Inwiefern ist es in Ihrer Einrichtung relevant, sich mit dem Thema sexuelle Vielfalt auseinanderzusetzen? 2) Inwieweit findet eine Sensibilisierung für sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung statt? 3) Wie gehen Sie mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung um? 4) Inwieweit stehen direkte Ansprechpartner_innen in Ihrer Einrichtung zum Thema sexuelle Vielfalt bei Jugendlichen zur Verfügung? 5) Inwieweit werden in Ihrer Einrichtung in der Arbeit mit den Jugendlichen Identitätsdimensionen (Diversity-Kategorien) wie soziale Herkunft, Behinderung, Migration, Religion usw. berücksichtigt (Intersektionalität)? 69 10.2 Fragebogen: Jugendliche Gesprächsleitfragen Alter: ____ Geschlecht: weiblich männlich queer _________________ Einrichtung der Sozialen Arbeit: ………………………………………………………………………………….. Interviewte Person: ………………………………………………………………………………………………….. Möchtest Du anonym bleiben? Ja Nein Wer besucht die Einrichtung? …………………………………………………………………. Worum geht es in der Einrichtung: ………………………………………………………………….. (bei Interviews von Jugendlichen: Einverständnis der Eltern: (schriftlich, auf einem Extra Blatt) Ja Nein Offene Fragen (für Jugendliche) Übergeordnete Fragestellung Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit? Erkenntnisinteresse Inwiefern ist der Diskurs zu Gender/Gendervielfalt in der Praxis der Sozialen Arbeit angekommen? Teilforschungsfragen 1) Was hast Du in der Einrichtung über sexuelle Vielfalt gehört? 2) Inwieweit wird das Thema sexuelle Vielfalt in der Einrichtung durch die Sozialarbeiter_innen herangetragen? 3) Wie gehen die Sozialarbeiter_innen mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle Vielfalt in der Einrichtung um? 4) Inwieweit stehen direkte Ansprechpartner_innen in der Einrichtung zum Thema sexuelle Vielfalt für Dich oder andere Jugendliche zur Verfügung? …. 5) Inwieweit wird in der Einrichtung mit Fragen von sozialer Herkunft, Behinderung, Migration, Religion usw. umgegangen? 70 10.3 Interviews 10.3.1 Interview mit einem_r Sozialarbeiter*in in einem Jugendclub Interview Sozialarbeiter zum Thema „Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit“ Interviewgruppe: Niusha Khosravi, Freya Ehrhardt, Hans-Jakob Deinzer, Kai Meret Brieske I1: Inwiefern ist es in deiner Einrichtung von Bedeutung, sich mit dem Thema sexuelle Vielfalt auseinanderzusetzen? B: Ja, seh` ich halt eher als so ne grundsätzliche Frage, ne, als so ne Grundsatzfrage, natürlich ist es total relevant, sich äh mit sexueller Vielfalt auseinanderzusetzen, ähm weil es einfach ein Problem unter den Jugendlichen, und Kindern und Jugendlichen, ist, wie sie aufwachsen, je nachdem der äh Sozialisation ist es halt ähm immer mit Vorurteilen belastet und ähm, ja. Deswegen denke ich, ist es grundsätzlich relevant, also, auf jeden Fall. I1: Haben, oder du, ne? Wir waren ja beim du, habt ihr denn irgendwelche besonderen Ideen, oder irgendwelche Maßnahmen oder so, also da du sagst, dass es relevant ist? Ob ihr schon irgendwas in Planung habt, oder / I2: Oder Kapazitäten dafür? B: Kapazitäten haben wir keine, wir haben mal angefangen zu überlegen, also wir hatten schon verschiedene Überlegungen, so ist es nicht, wir / es, es ist immer an der Umsetzung gescheitert. Äh zum Beispiel mit der Aids-Beratung haben wir uns unterhalten und die hatten / mit denen hatten wir angefangen so ne Art offenes, so ne offene Gesprächsrunde im Café einzurichten, wo’s dann natürlich um äh Homosexualität vor allem auch ging, oder gehen sollte, ähm, ja, man / neben dem ganzen Bürokratiekram verlaufen sich dann so wichtige Themenfelder wie also auch Jungenarbeit, zum Beispiel als Schwerpunktsarbeit, die wir eigentlich machen müssten, oder wollen von unserem Anspruch her. Ähm es dann aber nicht in die Umsetzung gerät. Das einzige was wir halt wirklich schaffen, ist n Mädchentag der einmal die Woche stattfindet. Ähm, aber ansonsten ist es halt grundsätzlich immer so nebenbei n Thema, also n Gesprächsthema, das heißt äh schwul, Schwuchtel, sonstwas sind halt alles irgendwelche ähm Ausdrucksformen, die halt die Kinder gerne benutzen, die für uns aber absolut tabu sind. Wo wir halt dann immer wieder 71 auch in diese Diskussionen reingehen, oder in die Diskussion gehen, wenn’s zum Beispiel dann als Antwort kommt „ey, aber das ist doch eklig schwul zu sein“, dann versuchen wir, mit denen darüber zu reden. I2: Und wie sind dann so die Reaktionen? B: Äh, über die äh / I2: Naja, über, dass ihr eingreift oder was sagt, also / B: Naja, inzwischen sind die Kinder das ziemlich gewohnt und erwarten das natürlich auch so‘n bisschen, ähm / I1: Aber machen das trotzdem noch? B: Es ist halt einfach ne Umgangssprache, es ist halt was, was in der Schule, wo in der Schule nirgendwo irgendwie eingegriffen wird, oder anderswo, sondern / und es ist auch äh schwul, vor allem, also ich bin jetzt vor allem beim schwul, weil alles andere ist noch gar nicht so richtig Thema für die, ähm, ist halt vor allem einfach eklig. So. Das ist das, was in deren Köpfen drin ist, ähm und dementsprechend, äh ist halt wenn wir jetzt tatsächlich in ne Diskussion auch gehen, ist das halt einfach so das Hauptargument, was bei den Kindern ist, und das es halt irgendwie total befremdend ist und äh unangenehm und irgendwie, ähm / Hauptargument zum Beispiel ist äh, alle Schwule sind pädophil. Äh, das ist äh n grundsätzlich n Problem was die Kinder mit Schwulen haben. I2: Äh die ein, also die haben dieses / B: Das ist das Bild, was die Kinder vor allem hier mitbringen. I2: Weißt du wo das herkommt? Also / B: Ähm, Ich glaube weil halt in den Medien vor allem davon berichtet wird, dass irgendwie, äh Männer sich an Jungen vergreifen. Und deswegen wird das halt irgendwie gleichgesetzt. Ähm das es aber grundsätzlich n, also einfach n Unterschied ist also wird halt so nicht wahrgenommen, das, ich glaube auch, dass es halt in den Familien sehr stark bestärkt wird. Und da würd‘ ich halt, grundsätzlich auch, auch vor allem, irgendwie gar nicht mal irgendwie was auch viel natürlich kommt, irgendwie es ist äh, „hat was mit religiöser Zugehörigkeit zu tun“, würd ich gar nicht mal so behaupten, sondern es hat halt wirklich sehr stark mit irgendwie dem soziolo/ also sozialen Hintergrund eher zu tun. Ähm, wachs‘ ich halt in ner kulturell gebildeten Familie auf oder in ner eher, ja sozial benachteiligten, also da hängt ja alles mit 72 ökonomischen Möglichkeiten und so weiter auch zusammen. I2: Also grundsätzlich von Seiten der Jugendlichen gibt es schon stärkere Vorurteile. B: Ja klar. Also durchaus. Ähm, ja. (4:31) I1: Okay, also die zweite Frage, inwieweit findet eine Sensibilisierung für sexuelle Vielfalt in deiner Einrichtung statt? I2: Das ist jetzt ein bisschen doppelt. B: Es ist, wird alles immer doppelt, also ich halt mich relativ ungerne halt, konkret an Fragen. I2: Ist schon okay, so soll‘s ja auch sein. B: Ähm, naja zum einen natürlich indem, dass wir, indem wir es halt einfach thematisieren. Ähm es geht, also wir thematisieren es auf verschiedenen Ebenen. Natürlich einmal direkt im Gespräch, wenn die Kinder halt schwul, Schwuchtel sonstwas benutzen. Dann geht’s aber auch bei der Art und Weise, oder der Möglichkeit irgendwie Musik auszuwählen, die Kinder können hier ja über YouTube irgendwie selber sich äh aussuchen, welche Musik grade läuft. Und da gibt’s aber klare Regeln. Also es darf halt nicht ähm homophob sein, es darf nicht sexistisch sein, jetzt im, bezogen auf die Frage der sexuellen Vielfalt zum Beispiel. Ähm das sind dann halt unsere Regeln und wir diskutieren auch mit den Kindern darüber und oder mit den Kindern und Jugendlichen, ähm inwiefern das Lied denn jetzt wirklich äh diskriminierend ist. Ähm, ja. I1: Wie reagieren die Jugendlichen beziehungsweise die Kinder darauf? B: Ähm zunehmend besser. Würd ich sagen. I1: Besser? B: Äh zunehmend, äh also am Anfang war es natürlich total schwierig, äh das zu thematisieren. Ähm und da haben wir richtig hasserfallte, äh-füllte Diskussionen irgendwie von den Kindern und oder Jugendlichen aus gehabt, äh die halt einfach das überhaupt nicht verstehen konnten, wie wir irgendwie Homosexualität in Schutz nehmen. Ähm inzwischen ist es so, also dass halt dann doch irgendwie sich Jugendliche anfangen zu trauen einzulenken und sagen „ey hier“, äh mein, ne wie hieß das, „mein Onkel ist ne Tante“ oder so was, war der beste Spruch. Ähm dass sie halt tatsächlich offener anfangen damit auch umzugehen, also zumindest diejenigen, 73 die halt nen offeneren Umgang mit äh sexueller Vielfalt haben, ähm, trauen sich jetzt auch das so zu sagen. Was halt am Anfang einfach nicht möglich war unter den Jugendlichen. Ähm und dass halt, tatsächlich auch n bisschen offener diskutiert wird inwiefern äh das / jetzt wird eben nicht drüber diskutiert „darf ich das Lied hören oder nicht“, oder ist das richtig was se sagen, sondern, ähm die Diskussion geht eher darum, inwiefern der Text diskriminierend ist oder nicht. Das heißt der Schwerpunkt der Diskussion hat sich so‘n bisschen verlagert. Ähm, was eben vor allem diese Diskussion um Unterhaltung / und äh es hat halt vier Jahre gedauert. I2: Vier Jahre? B: Naja seit vier Jahren sind wir als Team hier aktiv und vorher glaub ich nicht, dass es in der Form so stattgefunden hat. Also so konsequent. Ähm, ja. (7:31) I1: So dann, die dritte Frage: Wie gehen Sie mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung um? B: Ähm, es ist halt / wir haben n relativ klares Vorgehen, also es kommt halt n bisschen genau auf die Ebene an. Ähm wenn es halt äh bei diesem, bei der, bei den Ausdrücken bleibt, also, diskutieren wir einmal, beim zweiten Mal sagen / erinnern wir sie an die Regel, beim dritten Mal gibt’s dann auch Hausverbot. Das heißt für uns ist, äh wir sind n diskriminiero diskriminierungsfreies Haus, ne diskriminier I1&2: Ja, doch. B: Äh, das ist halt, schreiben wir uns ganz stark auf die Fahne, bei uns ist jeder willkommen, egal, ähm äh also bleiben wir bei sexueller Vielfalt, jeder ist willkommen. Ähm und äh wenn jemand diskriminiert wird, dann ist halt das, in erster Linie der Schutzraum für den, die, dis, für die diskriminierte Person. Das heißt ähm, derjenige der diskriminiert, muss gehen. Ähm da ist, da gehen wir relativ offen mit um. Es ist tatsächlich relativ wenig so, dass halt Kinder und Jugendliche, die sich nicht an eben an diese Rollenbilder Mädchen Junge halten, hierher kommen. Ähm oder zumindest wenn sie hierher kommen, sich in diesen Rollen eben bewegen. Das heißt, äh das queer-Verhalten und oder queere Jugendliche haben wir relativ wenig hier, ähm, was glaub ich schon auch einfach grundsätzlich mit dem Grundklima unter Jugendlichen, und Kindern und Jugendlichen eben zu tun hat. Also da, man geht halt 74 nicht in ne offene Jugendeinrichtung, wenn ich weiß, ähm wie, also weil einfach klar ist, dass irgendwie Diskriminierung schneller stattfindet. Oder auch wenn wir uns als Team halt da anders verhalten, aber uns hängt, lastet halt einfach dieses Standartbild von Jugendzentren an, was wir glaub ich nie loswerden. Weil wir den Namen einfach tragen. Jugendzentrum. I2: Aber wenn du jetzt sagst, also queere Jugendliche gibt es relativ wenig, heißt das, dass es schon, gibt welche, hier. Oder gab, oder / B: Ja, die halt glaub ich tatsächlich nicht ganz so offen damit umgehen, ich will auch keinen irgendwie in die Situation bringen, hier also n Beispiel aus denen machen und sagen, „guck mal äh, das Kind ist aber schwul, hast du was gegen den? Wusstest du das oder /“ Ha, nee das mach ich nicht, natürlich nicht. Das wäre / ähm Aber äh, es gibt halt wirklich relativ wenige, die halt aber auch nicht zu den Stammbesuchen – suchern gehören. Ähm. Joa. (10:29) I1: So dann zu der letzten Frage, ach ne vorletzte: Inwieweit stehen direkte Ansprechpartner/Ansprechpartnerinnen in ihrer Einrichtung zum Thema sexuelle Vielfalt bei Jugendlichen zur Verfügung? B: Mh, also wir haben halt nicht so, sowas wie n Awareness-Team, ähm was / Man muss halt uns als Einrichtung sehen, wo wir halt als äh die drei hauptsächlichen Erzieher Sozialarbeiter und äh Leitung ähm alle drei sehr sensibilisiert sind äh zu dem Thema, weil wir einfach aus ner, ja Organisationsstruktur kommen, die sich sehr stark mit Gender und äh Mädchen-Jungenarbeit, äh sexueller Vielfalt auseinandergesetzt hat und auseinander setzt und das halt als Thema macht. Ähm also eben, ich red grad von der Verbandsarbeit, also von dem Träger, äh, wo das halt einfach viel selbstverständlicher ist und viel klarer ist, auch bei den Teilnehmenden auf Fahrten und so weiter, dass man da anders miteinander umgeht, ähm aber das sind halt alles Kinder, die halt regelmäßig äh mitfahren und dadurch auch äh nem Team gegenübertreten, was sich auch n bisschen anders verhält. Und was einfach nicht ganz gesellschaftskonform ist und damit äh da halt n Umgang, n größere, n toleranterer Umgang vorhanden ist. Was man halt von den Jugendlichen hier nicht sagen kann, die kommen halt hier aus dem Kiez, es ist ne offene Einrichtung, ähm die sind wirklich anders sozialisiert allein dadurch, dass sie halt vor Allem in die 75 Einrichtung kommen und nicht irgendwie an Workshops, Seminaren und so weiter teilnehmen wo es halt zum Beispiel genau darum geht. Ähm, aber das Team selber kommt halt genau daher und dadurch sehen wir uns eigentlich alle drei als Hauptansprechpartner/-partnerinnen für die Thematik bei den Kids. Ähm, wobei es aus dem Zusammenhang von der offenen Arbeit glaub ich noch nicht irgendwie das Thema gab, was äh, wo es halt wirklich mehr um Beratungsbedarf ging von den Kindern. Zu sagen, hier, äh also wo’s halt wirklich um ja persönlichen Beratungsbedarf gab es gab halt gibt halt immer wieder diese Thematik, irgendwie, wie ist es denn, also was äh, also grade schwul und / schwul zu sein ist das Hauptthema glaub ich bei den Kids. Ähm aber so persönlichen Beratungsbedarf hatten wir bisher hier im Haus noch nicht. I1: Okay. I2: Meinst du, wenn es Bedarf gäbe, würden die euch ansprechen? B: Ich denk schon. Also den Eindruck hab ich schon, dass wir ganz klar die, genau da auch n Schutzraum vermitteln. Ähm, ist zumindest unser Anspruch, ich hoffe, dass wir das tun und die Kinder das auch so sehen, ähm, ja. (13:39) I1: Ähm, besondere Projekte? Habt ihr da irgendwie irgendwas geplant oder mal in Erwägung gezogen? B: Naja, ich hab halt die zwei Bereiche genannt, also einmal ganz konkrete Jungenarbeit, wo halt irgendwie auch äh, es nochmal glaub ich, na nicht, am Anfang auf jeden Fall nicht, aber irgendwann wenn man dann n bisschen länger Jungenarbeit macht, irgendwie mit den Jungs dann auch einfacher wird, über, ähm, offener über sexuelle Vielfalt zu reden, wo man da, man das auch anders thematisieren kann, ähm das ist halt ein Projekt, was uns / oder noch offen steht, was wir umsetzen müssen. Wir haben zwar schon ganz viele Materialien, und auch alle schon Jungenarbeit gemacht, aber die Zeit hier im Haus nicht. Ähm und äh, ja wie gesagt, die, das Projekt mit einfach so‘nem offeneren Gesprächsrunde mit der Aids-Beratung, ähm/ I2: Das gab‘s schon? B: Das gab‘s leider nicht, das gab‘s als Idee, aber / Und naja was wir halt relativ viel machen, also da tatsächlich, ne, ist halt, sind bei uns die Mädchen im Vorteil, weil wir halt Mädchenübernachtungen machen, wo dann eben auch äh Beziehung, Liebe und so weiter auch das Thema sein, sind. Immer. Grade bei den Mädchen, natürlich auch 76 mit nem bisschen anderen Schwerpunkt, wo’s halt eher auch um äh Selbstbewusstsein, seine eigene Rolle reflektieren irgendwie in Beziehungen geht. Ähm, aber eben natürlich auch das auf äh, immer der Bezug zu sexueller Vielfalt da ist. Das ist klar. I2: Das ist dann besagter Mädchentag, oder/ B: An dem Mädchentag ist das weniger so, da geht’s eher um, einfach den, das Cafe für die, nur für Mädchen auf zu haben. Das heißt, dass sie diesen Raum bekommen, den sonst äh der sonst von Jungs dominiert wird. I2: Einfach, weil mehr Jungs hier sind? B: Genau. Was n Grundproblem in der Jugendarbeit ist. Ähm und äh bei den Mädchenübernachtungen ist dann schon immer so’n bisschen n Workshopkonzept mit dabei und äh n etwas off/ klar offener Gesprächsrahmen. Da kann ich jetzt nicht so krass viel zu sagen, weil ich natürlich nicht die Mädchenübernachtungen mitmache. I2: Wie oft ist das? B: Äh ein, zwei Mal Im Jahr. I1: Achso ich dachte jetzt vielleicht alle zwei, drei Monate B: Nee es wäre schön, aber dazu braucht man Personal, das äh die, das so oft machen kann. I2: Wird das dann richtig geplant? Im Voraus lange, oder/ B: Joa. Genau. Wobei es, äh wir den Vorteil haben, dass wir hier wirklich auch quasi die Bücherei und das Büro von den Falken hier haben, da hinter euch zum Beispiel, da diese ganzen Workshopmaterialien haben, das heißt es ist relativ einfach, sich da so’n Genderworkshop mal rauszunehmen. Und dann den äh durchzuführen. Das heißt, die Materialien sind ja relativ alle hier. Jo. (16:35) I1: So, zu der letzten Frage, ähm inwieweit werden in ihrer Einrichtung in der Arbeit mit Jugendlichen Identitätsdimensionen in Diversity-Kategorien wie soziale Herkunft, Behinderungen, Migration, Religion und so weiter berücksichtigt? B: Naja spannend wird’s ja dann letztlich, naja tatsächlich was hier, was du nicht vorgelesen hast, die Intersektionalität. Mh. Wir versuchen schon so irgendwie, also haben halt verschiedene Kooperationspartner als Jugendzentrum. Ähm angefangen 77 mit äh den, äh direkt in unserer Umgebung liegenden Jugend- äh Flüchtlingswohnsheim, wobei das was am nächsten ist, grade keine Kinder und Jugendlichen in dem Alter unserer Zielgruppe haben, die sind alle entweder unter sechs, oder über 25, die da sind. Ähm, macht‘s halt auch mit dauerhafter Arbeit bei denen schwierig, weil’s halt so’ne Erstaufnahmestelle ist, die sind maximal drei Monate da und dann wieder weg. Ähm, wo halt eher welche herkommen, ist halt n bisschen weiter weg, das Jugendzentrum, aber die kommen jetzt doch regelmäßiger. Ähm. Das heißt, da gucken wir, dass wir halt äh Jugendliche mit flüchtlings- oder Fluchthintergrund haben, beziehungsweise nicht Hintergrund, sondern grade konkrete Fluchterfahrungen. Ähm interessant ist da zum Beispiel, dass es nur Jungs sind, die hier fest von denen kommen. Äh, wobei wir grade gehört haben, dass die Mädcheneinrichtung im Kiez die Mädchen über n Projekt geschafft hat abzufangen, was n bisschen gemein ist. Ähm, aber gut, dass die n Ort haben, wo sie hin gehen, so is‘ nich‘. Ähm und, was wir zum Beispiel auch, also machen, das zweite Projekt, wo’s äh um ne konkrete Benachteiligung oder ne Kooperation mit ner Einrichtung mit äh Jugendlichen mit Benachteiligungen ähm arbeiten, ist halt der Bereich Behinderungen. Wir arbeiten mit ‘nem Förderzentrum zusammen, die kommen zwei Mal die Woche mit Pädagogen hierher und wir versuchen halt also grad so’n eigenes Projekt der Inklusion in der offenen Arbeit umzusetzen. Wo’s ja eigentlich keine Vorbilder, keine Materialien oder, äh, also das geht auch gar nicht, dass man da irgendwelche Pläne hat oder sowas, wie sowas funktionieren soll. Ähm. Aber da geht’s halt ganz viel um die gemeinsame Reflektion des Teams dann. Zu überlegen, was sind unsere Schritte, wo schreiten wir ein, wo setzen wir Grenzen, wo ähm nehmen wir dann doch Kinder mit Benachteiligung grade aus dem Raum raus, grade wenn’s so voll ist, ist es äh manchmal einfach zu viel. Manchmal einfach total anstrengend. Also wo sind halt eben die Grenzen von Inklusion. Ähm und joa äh das sind dann /also Intersektionalität in der Form ist halt bei uns natürlich dann n Thema, wenn wir / dass wir natürlich mit allen über die sel / auch äh über dieselben Benachteiligungen und Benachteiligungsmuster reden und keinen Unterschied machen, wenn, sagen wir da wird jemand diskriminiert weil’s n Mädchen ist, oder / weil auch äh Kinder mit Behinderungen benutzen mal schwul oder Schwuchtel und 78 dann geh’n wir da auch genauso drauf ein oder reden über die Musik. Warum dürfen sie Bushido nicht hören zum Beispiel. Das ist äh / Und dann diskutieren wir halt auch mit denen dadrüber. Also, oder mit allen, das ist halt natürlich äh für uns n festes, eigentlich fester Bestandteil der Arbeit, so eben antidiskriminierende Arbeit. Ähm joa. I2: Und bei diesem Projekt, die kommen dann einfach hierher, mit ihren Sozialarbeitern und machen / B: Machen das was die jetzt auch grade machen. Also wir haben halt, versuchen schon auch n paar Projekte zu machen, die halt äh alle die da sind interessieren könnten, was halt bei uns grundsätzlich schwierig ist, weil, was die meisten interessiert ist, im Cafe rumzuhängen. Anstatt irgendwie n Musikprojekt zu machen oder sich auf irgendwas festzulegen. Das geht halt nicht. Das macht halt allen weniger Spaß interessanter Weise. Obwohl das, da haben sie aber ne Gemeinsamkeit, was ok ist. Dass sie alle lieber irgendwie Billard spielen oder irgendwie im Cafe rumhängen oder malen und äh am Rechner sitzen und sich gemeinsam darüber streiten, welche Musik als nächstes gehört wird. (21:06) I2: Ja, sehr interessant, spannend, danke für das Interview. Gibt’s von deiner Seite noch irgendwas was du gerne erzählen wolltest, oder / B: Nee ich find’s so’n bisschen spannend eigentlich äh tatsächlich zu hören, wie es in anderen Einrichtungen ist, aber ihr macht / wie viel Einrichtungen interviewt ihr? I2: Äh ich glaub vier oder fünf? I1: Ja. I2: Und du bist in der Tat der erste, der interviewt wird, deswegen können wir leider / aber Frey kann ja dann davon berichten. B: Ja, ne weil das find ich wirklich total spannend, also für uns ist es halt so’n Grundthema. So wo wir halt nicht äh, noch nie drüber gestritten haben, was äh wir da äh nicht irgendwie n Schwerpunkt auch unserer Erziehungsarbeit legen. Ähm also es ist halt quasi n Konsens. Und /Aber ich hab halt wirklich den Eindruck, dass äh, das nicht in allen Einrichtungen so ist. Ich bin, hab jetzt nicht so wirklich in anderen Jugendzentren außer hier gearbeitet, komme eigentlich aus der Kita- und Kinderladen- äh Sektion. Ähm aber es liegt glaub ich einfach daran, dass irgendwie 79 nicht alle so’n emanzipierten Kinder-und Jugendverband irgendwie im Rücken haben. Und äh grade so die Sozialarbeit, natürlich, es wird immer sensibler und es gibt halt irgendwie diese Regionaltreffen, aber / Also was irgendwie meine Kolle/ oder unsere Kollegin uns immer erzählt von den, der Mädchen AG aus’m Kiez, das ist halt echt schockierend so’n bisschen. Dass halt da n tota / absolutes Verständnis von moderner oder von dem ja von äh heutiger eigentlich fast schon selbstverständlicher ähm Arbeit zu, im Bereich Gender ist. Geht. Das ist halt echt Wahnsinn. Also wir haben halt zum Beispiel dieses Haus übernommen, wie gesagt vor vier Jahren. Das erste was wir gemacht haben, ist den Mädchenraum aufgelöst, äh aufzulösen. Und ähm, einfach um so’n Beispiel zu nennen wie halt Mädchenarbeit glaub ich so auf Bezirksebene so aussieht. Ähm wir haben halt erst mal die ganzen Nähmaschinen in den Bastelraum geräumt, wir haben äh so äh, irgendwelche Barbiepuppen auch weggeschmissen. Ähm es war halt nur klischeehaft. Es war absolut schockierend einfach zu sehen, wie halt hier Mädchenarbeit im Haus stattgefunden hat. Ähm auf ner Ebene die halt eigentlich eher hundert Jahre alt ist. Ähm, deswegen find ich’s halt total spannend, eigentlich was ihr da so raus / I2: Also da kann ich nur zu sagen, wir erstellen einen Sozialreport am Ende unserer Werkstatt und der wird auch allen Einrichtungen zugestellt. Also ihr könnt dann unsere Forschungsergebnisse lesen. B: Richtig als Forschung, ja? Wünsch ich euch viel Erfolg dabei. I1&2: Dankeschön 80 10.3.2 Interview mit einem_r Sozialarbeiter*in eines Aufklärungsträgers Interview Sozialarbeiter zum Thema „Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit“ Interviewgruppe: Anne Mense, Christian Höldtke, Jason Omer, Laura Marina Ederer, Melina Strohe A: Inwiefern ist es in ihrer Einrichtung relevant sich mit dem Thema sexuelle Vielfalt auseinanderzusetzen? D: Das ist ein großes Kernstück der Arbeit und die äh äh…Es ist eigentlich die ganze Hauptarbeit äh, weil alles um das Thema sexuelle Vielfalt sich dreht ähm das ist die Hauptarbeit. Das ist eigentlich auch der ganze Kernpunkt der ganzen Arbeit in der in in Gesellschaftsgruppen vor Ort, also im Berliner Raum, aufzuklären und halt Bewusstsein zu schaffen äh, das ist halt mehr als die vorherrschende Binärität der Geschlechterwelt. Das heißt, dass es halt mehr gibt als also…um es mal richtig zum Ausdruck zu bringen ähm noch mehr zu zeigen, als diese vorherrschende Heteronormativität. Das ist auch genauso wie äh das es auch äh Schwule und Lesben gibt, genauso wie auch Bisexuelle oder auch ähm wenn man die Geschlechtsidentitäten sich anschaut, dass es äh intergeschlechtliche, queere Menschen, genauso wie auch transgeschlechtliche Menschen gibt, die äh überwiegend in dieser Heteronormativität ausgegrenzt oder ähm nicht akzeptiert werden oder halt akzeptiert, scheinbar akzeptiert, aber nicht wirklich lebendig ähm anerkannt werden. Von daher ist es ein, also ist die Kernarbeit, auch der Sinn der ganzen Organisation äh, dort Aufklärungsarbeit zu bieten, um letztlich weniger Diskriminierung zu zulassen oder halt sichtbar zu machen, Diskriminierung sichtbarer zu machen. Das ist alles im geschlechtlichen Kontext äh die ganze Arbeit. Es dreht sich immer im Kontext des Geschlechts. Das ist halt der Fokus ähm, um wirklich die Kernkernarbeit ist eigentlich die Transgeschlechtlichkeit, die diese Thematik äh das es ähm ja neben dieser äh äh neben Bi- und Homosexualitäten auch Transgeschlechtlichkeiten gibt und diese mehr fokussiert wird, dass die, dass diese Minderheit auch ähm zum Ausdruck, ein Ausdruck finden kann und halt da auch ein Netzwerk geschaffen werden kann und dass Menschen sich austauschen können und auch gleichermaßen ganz egal welcher Herkunft, soziale Herkunft, oder auch kulturelle Herkunft oder auch welche Hautfarbe du hast, oder welche Sexualität oder oder oder. Also diese 81 ganzen Diversitätskategorien, dass diese ähm weniger, also dass es da zusammen, also dass es einfach ganz egal ist, woher oder wie du bist, sondern du bist einfach du und das ist einfach äh du sollst auch machen dürfen, wenn du kannst und das ist aber leider nicht immer so und dafür setzt sich halt die Arbeit dieser Organisation ein darüber aufzuklären, dass es halt mehr gibt als äh Richtig und Falsch. A: So, zweite Frage. Da bist du ja schon so ein bisschen darauf eingegangen. Inwieweit findet eine Sensibilisierung für sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung statt? D: Naja so, dass ist halt, also ich bin selber in einem Aufklärungsprojekt äh involviert und aktiv. Es gibt verschiedene andere Projekte. Und ich bin in diesem A-Projekt, Aufklärungsprojekt, die wo ähm äh Volontäre, also freiwillig Freiwillige Menschen ihre Freizeit opfern, nicht opfern äh aufbringen, Entschuldigung (Gelächter) äh um äh in Schulen äh Berliner Schulen ähm Aufklärungsarbeit zu leisten und Workshops geben. Meistens so neunzig Minuten, oder auch zweimal ne Doppelstunde oder je nachdem wie halt das in der Schule Stundenplan organisiert ist, aber meistens sind’s neunzig Minuten Workshops, wo alles Mögliche über sexuelle Vielfalt gesprochen wird, wo halt die Geschlechtsidentitäten und die sexuellen Identitäten zum Ausdruck gebracht werden und gezeigt werden, genauso wie auch ähm Coming-Out Geschichten den Schüler_innen erklärt werden und äh erzählt wird, wie das eigene Empfinden und die eigene Erfahrung ist, also ganz viel Biografiearbeit und gleichermaßen ein äh Peer-to-Peer Ansatz, also Peer-to-Peer (ausladende Geste) ähm dieser Ansatz. Das ist halt, um da halt die Stereotypen aufzubrechen in den Schulklassen selbst halt, also okay so sehen ja gar nicht alle Lesben aus oder so verhalten sich ja nicht alle Schwule oder so sehe ja gar nicht immer die transgeschlechtlichen Menschen aus und und und, wo halt auch da die Schüler_innen auch immer Möglichkeiten bekommen anonym Fragen zu stellen und dann diese auch oder auch Kommentare loswerden können, die sie dann äh anonym in die Runde stellen können ohne, dass jemand weiß, woher die Frage kommt. Und dann wird darüber gesprochen und denn gibt eigentlich immer ganz viele ähm „aha“ Effekte und Erlebnisse, natürlich auch Feedbacks. Und dann gibt es noch ein weiteres Projekt, also es gibt noch viele weitere Projekte ähm…Das eine ist das ähm Teach-Out, da werden direkte, da werden direkt die äh Pädagog_innen ähm weiterqualifiziert, ausgebildet, nicht ausgebildet, sondern Zusatzwissen ähm gegeben, wo halt auch Workshops gegeben 82 werden für die Pödagog_innen und Lehrkräfte, die ähh sich ähm ne also das A-Projekt beschäftigt sich mit Kindern und Jugendlichen direkt und das äh andere ist halt die pädagogische Schiene, wo halt die Menschen die halt Kinder begleiten und betreuen, dass die halt natürlich auch den gleichen äh das gleiche Wissen oder Zugänge bekommen. Und dass da halt auch das gleiche thematisiert wird und dann auch gleichermaßen, wie methodisch das auch angewendet werden kann, um das halt ähm zum Ausdruck bringen zu können, ohne dass es äh da Beklemmungen gibt, oder Schwierigkeiten ja das ist da äh oder wie sie auch bestimmte mit Umgängen mit Vorfällen, wenn zum Beispiel ein Lehrer äh schwul ist und da halt irgendwelche homophoben Vorfälle gibt oder irgendwelche Beschuldigungen, dass man da auch äh also intervenieren kann, oder halt auch das muss ja nicht mal ne Lehrkraft sein, sondern einfach ein Schüler oder Schülerin, die homosexuell ist, dass da ähm das man da auch machen kann, also dass man halt diese Homophobie oder auch Transphobie und und und, dass man das äh wie man damit umgehen kann, oder da ähm wie auch da präventiv auch arbeiten kann. Das ist halt ein ganzes Stück Präventivarbeit, aber überwiegend ist es wirklich überwiegend halt dieses Bewusstmachen darüber, dass es halt mehr gibt als heterosexuelle Menschen, die ausschließlich sys-geschlechtlich sind, also halt. Sys-geschlechtlich ist, ja… A: Erklär mal. D: Cisgeschlechtlich bedeutet, wenn das biologische Geschlecht mit dem ähm sozialisierten Geschlecht übereinstimmt, im dem Sinne. Und das ist halt, das ist da äh keine äh, was heißt keine, wenn das einfach übereinstimmt. Und transgeschlechtlich, wäre ja denn, wenn zu Beispiel das biologische Geschlecht äh da würd ich halt nicht sagen nicht nicht sagen, sondern da hab ich eigentlich mal eine andere Formulierung, die drückt das eigentlich mehr aus, bloß…ein blöder Moment mit so nem Mikrofon an der Backe, nein äh. Wenn das äh biologische Geschlecht ähm…och scheiße, jetzt ist mir die Formulierung, ich erzähl das immer den Kindern und Jugendlichen. Cisgeschlechtlich ist, wenn das biologische Geschlecht mit dem sozialisierten Geschlecht einhergeht und äh transgeschlechtlich, wenn es äh… oh Gott, jetzt hab ich, es ist ein ganz witziges Wort, was aber eine ganz große Bedeutung hat, so dass es eben nicht übereinstimmt, weil Nichtübereinstimmung wäre ja schon wieder äh wieder eine Wertung von eine Tendenz von Falsch, also ist einfach anders. Und anders kann 83 man natürlich auch positiv bewerten, aber mir kommt..ich… ja jetzt ist es gerade mal weg A: Vielleicht fällt es dir später ein. D: Genau. Vielleicht hoffentlich später. Genau, diese zwei Projektarbeiten. Und dann, gibt es auch noch äh ein weiteres großes Projekt, das ist das ähm in Kombination oder auch in Verbindung mit ner anderen äh Trägerschaft, also AB-queer e.V. und KomBi, Kommunikation und (..) Also es gibt auch noch Queerformat, das gibt es auch noch und das ist halt ähm auch vom Berliner Senat auch vor wenigen Jahren gefördert worden, 2007 war das nämlich, ähm das ist halt wo Berlin einsetzt oder ein tritt für eine sexuelle für eine sexuelle Vielfalt, in Berlin (..) och scheiße…da bin ich nicht so involviert, aber das ist ein ganz großes und wichtiges Projekt auch und das ist halt auch in Kombination, also in Zusammenarbeit mit einer anderen Trägerschaft, wo auch halt dieses Projekt eingegliedert ist ja, wo es halt auch äh also wo es auch…ich würde auch sagen, dass ist schon ein Stückweit auch politische Arbeit auch, und wo halt auch Trägerschaften sich dann halt auch informieren können, wo sie halt auch, also auch Materialen bekommen können und zur Verfügung gestellt bekommen können und wenn sie halt Workshops geben und und und. Das da äh ja die Zugänge irgendwie geschaffen sind und das wird halt auch vom Berliner Senat halt auch gefördert. Wie zum Beispiel auch die anderen Projekte. Aber natürlich nicht nur, sondern das ist natürlich auch son Eigenmittel, wo man auch selber aufbringen, damit man halt irgendwie auch sein äh seine Arbeit machen kann. A: Also die dritte Frage ist vielleicht ein bisschen schwierig für deine Einrichtung. Also die dritte Frage ist: Wie gehen Sie mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung um. D: Buuuhuu, das ist aber, das ist aber, das ist halt auch eine sehr wichtige Frage. Weil das ist halt auch äh zum Beispiel wir haben einmal die Woche im A-Projekt, da wo ich halt involviert bin, haben wir auch immer Plenum. Tauschen uns aus und erzählen halt was wir auch in den Schulklassen gemacht haben, wie es war, was es für Probleme gab, was es für Besonderheiten gab, wie es so auch einfach gelaufen ist. Wie die Stimmung war, wie 84 Methoden ähm ob die Methoden, also halt ähm ähm das was man sich vorgenommen hat, ob das alles auch funktioniert hat oder auch nicht und wie auch einfach ne Veranstaltung gelaufen ist. Und ähm dementsprechend ähm ist halt da der Anspruch, dass das halt ein diskriminierungsfreier Raum eigentlich sein soll. Das ist aber irgendwie unmöglich zu schaffen, scheinbar. Es kann…wir sind uns darüber bewusst, dass es einfach ein äh dass es Diskriminierung stets und ständig halt passiert. Nur ist halt auch die Frage damit umzugehen und halt äh das auch anzusprechen oder sichtbar zu machen. Und da ist das ähm wieder die Herausforderung das zu ähm also es wird immer wieder thematisiert, also was verstehen wir auch zum Beispiel, das ist in letzter Zeit ganz großes Thema, also seit nem halben Jahr oder dreiviertel Jahr ist es jetzt schon das Thema. Was bedeutet äh was ist Asexualität? Da gibt’s halt auch unterschiedliche Meinungen, also gibt’s halt große Kontroversen und da wir dann ähm müssen wir uns halt im Team auch verständigen. Was verstehen wir darunter? Was bringen wir halt in den Schulveranstaltungen rüber? Wie erklären wir etwas? Wie zum Beispiel auch transgeschlechtlich oder was auch cisgeschlechtlich ist, also wie das zum Ausdruck gebracht wird. Oder auch Travestiekunst äh und und und, also wie was man wie man das oder was ist jetzt FAM oder auch was ist unter Feminismus zu verstehen. Queer, queer ist ja auch noch so’n puhhhh was heißt denn das… Und da kommt man natürlich im Dialog und da passiert es auch, dass da ähm das man sich da auch irgendwie verständigen muss wie man oder wie miteinander umgegangen werden soll, weil ähm da auch immer wieder auch äh also mir passiert das auch zum Beispiel mal wieder. Ich merk das halt auch, also ich denke mal, dass das aufgrund meiner Sozialisation, dass ich halt auch äh Menschen, also die auch zum Beispiel auch bei uns, es gibt bei uns auch ganz viel transgeschlechtliche Menschen (.) und da äh passiert es auch immer wieder, dass ich halt diese Person halt nicht immer richtig anspreche mit dem Pronomen, weil ich dann einfach, das ist einfach Gewohnheit auch. Und das ist aber auch blöd für die Person gegenüber. Und es tut mir auch immer wahnsinnig leid. Also wenn das so Art hock passiert, also wenn ich so hier dö dö, dann ist das immer so, na na sorry, das ist leider falsch, weil ich bin, ich definiere mich anders, ja scheiße. Und das ist halt auch so ein bewusst machen. Also das ist schon ein großes Thema. Also für mich ist das auf jeden Fall ein großes Thema, und worüber halt auch in der Gruppe auch immer wieder äh gesprochen wird, oder sich halt verständigt wird. Auch gleichermaßen mit Diskriminierung, natürlich passiert das auch in den Schulveranstaltungen selbst auch, passiert auch ganz schön viel Diskriminierung zum Teil auch, weil (..) es gibt halt 85 auch Schulklassen, die sind äh richtig fit. Die haben echt Ahnung. Würde ich mal so sagen. Und es gibt halt auch Schulklassen, die sind da ist n bisschen homophober, transphober Umstand oder Sachen. Und das ist irgendwie so ja das ist dann, das ist halt die Frage, wie kann das angesprochen werden. Wie kann damit umgegangen werden? Und wie kann man auch zum Beispiel auch reagieren darauf, wenn zum Beispiel also ein guten Beispiel was ich immer habe ist: „Ey, ist ja voll schwul“. Wenn das von irgend’n Jugendlichen kommt. „Ey, ist ja voll schwul“. Auch in der Veranstaltung. So: „Woooow“ und dann sprech ich das an und dann so „Woooooow, das ist mir noch nie aufgefallen oder weniger aufgefallen, weil das ist ja so voll normal das Wort zu benutzen“. Genauso wie auch ähh „Das ist ja voll behindert“ Und das ist halt noch so’n anderes Beispiel, wo wo wo bei „schwul“ sind sie sich ganz schnell einig drüber so „Oh, das ist ja doch nich so cool“, aber bei „behindert“ so da dauert es manchmal doch‘n bisschen länger das irgdendwie oder halt so um verständlich zu machen, also halt auch wenn man gerade die Disability oder ähm diese ähm diese Kategorie anspricht, dass es da weniger das ist irgendwie, dass der Bezug dorthin herzustellen weniger leichter ist als, wenn man sagt das ist voll, also wenn man „voll schwul“ sagt, dass es irgendwie voll scheiße ist. Also das halt schwul als negativer Ausdruck genommen wird. (.) Ja, ansonsten, oder halt auch das ist auch ‘ne Frage, die halt auch die Kinder und Jugendlichen, also meistens die Jugendlichen denn auch haben, ob wir also wenn sie halt wissen ähm weil sie kriegen erst im Laufe der Veranstaltung meistens mit, dass äh die die Workshops geben, dass die äh trans oder äh äh transgeschlechtlich oder äh also…ich will ja nicht sagen homosexuell, das sind wir ja auch nicht nur, also halt die auch sexuell…Wenn sie erst im Laufe der Schulveranstaltung oder des Workshops kriegen sie mit, dass halt die Menschen, die da vorne den Workshop geben, die Workshops werden immer zu zweit gegeben, dann kriegen sie erst mit, dass da sie halt nicht unbedingt heterosexuell sind und auch nicht sysgschlechtlich äh gleichermaßen äh dass da „OH“ großes Staunen immer wieder doch so aufploppt. So so „OH, hätt man ja gar nicht gedacht“. Äh, genauso auch die…woah ich wollte jetzt noch was erzählen ähm ja ist weg. A: Okay, ist nicht schlimm. (.) Vierte Frage wäre, inwieweit… D: Ist oder Wäre? 86 A: ...ist, ja aber ich glaube du hast sie mir ja schon so an sich schon beantwortet. Inwieweit stehen direkte Ansprechpartner_innen in Ihrer Einrichtung zum Thema sexuelle Vielfalt bei Jugendlichen zur Verfügung. Ihr seid ja eigentlich generell Ansprechpartner, alle, ihr alle. D: Mhhm, definitiv. Also halt auch Ansprechpersonen für Trägerschaften oder halt also auch für Schulen zum Beispiel also, wenn sie halt irgendwelche Fragen haben, also auch Nachfragen von Lehrkräften, dass sie da auch sich jederzeit, ja das sie halt auch bei Rückfragen natürlich herzlich willkommen sind und das sie auch so weitestgehend auch möglich auch beantwortet werden. Äh, und dementsprechend, das ist halt ‘ne Anlaufstelle, wo halt, das ist einfach so, dass das die Kernarbeit ist, das ist wirklich die Kernarbeit. A: Okay, gut. Haben wir die Fragen also beantwortet. Und dann noch… D: Aber das ist, Entschuldigung, aber das wäre eher das sichtbar machen, also das ein ähhm also was war… A: Na inwieweit stehen direkte Ansprechpartner_innen in Ihrer Einrichtung zum Thema sexuelle Vielfalt bei Jugendlichen zur Verfügung? D: Ja, okay. A: Okay, jetzt kommen wir zur letzten Frage. Inwieweit werden in Ihrer Einrichtung äh in der Arbeit mit den Jugendlichen Identitätsdemensionen – kannst du damit was anfangen? – wie soziale Herkunft, Behinderung, Migration, Religion und so weiter berücksichtigt? D: Ja, das ist der Anspruch der Intersektionalität und das ist halt das ist äh. Das ist halt wirklich ähm. Also der Anspruch, dass es auf jeden Fall intersektional sein soll und auch ist und es wird eigentlich auch praktiziert, dieser intersektionale Anspruch. Nur, also mir fällt es dann auch mal wieder so auf und muss ich mich auch wieder zurück besinnen, dass das halt so die Kernarbeit ist, ist halt, sind äh LGBTIQ ähm Angelegenheiten, die äh behandelt werden, aber das es da natürlich zu Überschneidungen, zu zigtausend Überschneidungen in anderen Bereichen kommen, ist absolut klar und das ist wirklich auch so, das merk ich halt auch in der Teamarbeit auch immer mal wieder, dass ähm, das man auch viel zu oder das wir auch immer ähm das ist halt so diese Komplexität, dass wir uns diesen super gerne stellen 87 und wirklich auch annehmen, bloß das ist halt weniger also für Außenstehende, das wären halt in dem Fall die Jugendlichen, sag ich jetzt mal. Das ähm, die Rückkopplung, diese Rückkopplung nicht vergessen, also das diese Rückkopplung für uns ist selbstverständlich, im Weg eindeutig, aber für die Jugendlichen ist es ja dann weniger verständlich, wenn es halt so, was hat das jetzt zu tun, ob jetzt äh ähm ne Person äh homosexuell ist und äh vielleicht auch noch eine Disability hat, also eine Einschränkung, körperliche Einschränkung. Und auch noch das Geschlecht ne Frage ist, ob das jetzt äh ein cisgeschlechtlich oder transgeschlechtlich, also wenn man das jetzt auch nur bei Mann und Frau betrachtet, ob jetzt die Person äh männlich oder weiblich ist oder sich als Mann oder Frau versteht, so würde es eher zutreffen. Das ähm das man da halt die Unterdrückungsmechanismen, also wie man das halt denn zum Ausdruck bringt und was das eine mit dem anderen zu tun hat und wie komplex das Ganze ist. Das ist eher die hohe Kunst das halt zum Ausdruck zu bringen und so. Und das es auch immer noch auch verständlich ist für….Man darf auch nicht vergessen, es sind Workshops von neunzig Minuten, meistens neunzig Minuten, manchmal sind es auch hundertzwanzig, manchmal auch weniger als hundertzwanzig, aber in der Regel neunzig Minuten. Ähm. In der Teamarbeit und im Verein selbst ist das ein absolut hoher großer großer Anspruch. Das halt natürlich zu berücksichtigen und das halt auch und das halt auch diese Intersektionalität äh schon unendlich ist. Also die Diversitäten. (..) Und halt auch dementsprechend die Diskriminierungsformen dann auch. Ja. A: Okay. Vielen Dank. 88 10.3.3 Interview mit einer_m Sozialarbeiter*in in einem Jugendclub Interview Sozialarbeiter zum Thema „Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit“ Interviewgruppe: Bianka Koch, Carolin Wiggert, Anika Gerlach, Yves Hromada I: Also wir haben uns in unserer ähm oder ja in unserer Gruppe, in unserer Werkstatt, die ja Gender, Queer, Diversity heißt, haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in jugendsozialarbeiterischen Einrichtungen, also wie der da ist, der Umgang. Und da wollten wir jetze als Erstes einmal wissen, inwiefern es überhaupt hier in dieser Einrichtung das Thema sexuelle Vielfalt, wie relevant das ist, also hat das überhaupt einen hohen Stellenwert? S: Mmh, also kann ich sagen bei uns eigentlich so gut wie gar nicht. Also ähm aus der persönlichen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen eher so gut wie gar nicht. Wenn denn, so ne Geschichten in der Öffentlichkeit, irgendwie was äh, wenn ich da an Conchita Wurst denke oder so ne? Also dass denn das Thema aufgegriffen wird und drüber geredet wird, aber nicht so aus dem persönlichen Umfeld der Kinder und Jugendlichen. I: Ja. S: Da ist das Thema eigentlich so gut wie gar nicht relevant. I: Also kann man auch sagen, dass jetzt hier direkt so sexuelle Vielfalt auch gar nicht so wichtig ist, also dass S: Ne, es wird nicht so thematisiert. I: Ja. S Ne? Ja. I: Okey und inwiefern oder inwieweit ist denn eine Sensibilisierung da, also erklärst du den Kindern zum Thema was? S: Genau. Genau, also wenn irgendwelche Bemerkungen kommen ne, was weiß ich, wenn abfällig über andere sexuelle Einstellungen gesprochen wird oder so oder irgendwelche Meinungen kundgetan werden, dann gehe ich da drauf ein, red mit denen drüber und versuch sie dahingehend zu sensibilisieren und, also dass wir ähm eigentlich alle, die hier ehrenamtlich oder ich dann hier arbeite, dass wir da sehr offen ähm über das Thema reden und nicht ähm so verschämt weggucken oder so bei den Kindern, denn es ist nun mal sechste Klasse, das ist für die alles ganz spannend. Und ähm wir hatten auch einen Jungen 89 da, wo wir als Erwachsene sagen, ha mal gucken, wann er sich outet. So ne? Also wo Anzeichen da sind, dass er eventuell homosexuell ist, äh wie man das so vielleicht mal sieht, aber ähm wir haben es nicht thematisiert, haben aber gesagt: okey, wenn er zu uns kommt, dann gerne, aber wir haben ihn jetzt nicht drauf angesprochen ne? Und die Kinder sind ganz toll, also ihnen ist, also sie haben schon geäußert, dass er halt anders ist, so nachdem Motto: naja, er äh macht halt bei uns Mädchen mit, der ist dann auch sehr kreativ gewesen und hat mit beim Upcycling Projekt da Müllmode mit designed und so weiter. Er war als einziger Junge bei dem in dem Projekt und ähm es war dann so klar, ja er ist immer eher bei den Mädels mit bei und es wurde aber auch so akzeptiert, und äh so als ganz natürlich und selbstverständlich genommen, also es wurde nie irgendwie äh irgendwelche spitzen Bemerkungen gab es nicht oder so, ansonsten hätten wir das auf jeden Fall thematisiert. I: Mmh S: Aber dadurch, dass das so als ja, es ist halt er, Namen sage ich ja jetzt nicht, es ist halt er und er ist so wie er ist und so macht er hier bei den Sachen mit, die ihm Spaß machen und er wird so akzeptiert wie er ist. Deshalb wurde es nie so als Thema genommen ne, weil da kann man ja auch viel ansprechen, was er vielleicht noch gar nicht möchte oder was ihm vielleicht selber noch gar nicht so bewusst sein will. Ähm und ähm aber dadurch, dass das halt alles ein sehr offener und natürlicher Umgang damit war, war das nicht so das Thema für uns. I: Da hör ich jetzt auch raus, dass so mit diesen bestimmten Rollen, dass das gar nicht so hier ist, also wenn auch Kochangebote sind, dann S: Das machen sowohl Mädchen als auch Jungs mit, ähm wir haben hier auch einmal im Monat ne Wellnessoase, wo halt äh ne Stunde Kinderjoga gemacht wird und ne Stunde irgendwie was Schönes, wie wir haben Handpeeling hergestellt und dann eine Handmaske gemacht und nächstes Mal so ja mit Obst verkosten mit geschlossenen Augen und dann Obstsalat nachher machen und das ist auch für alle offen. Wir hatten äh beim ersten Mal noch ein Parallelangebot: fitte Barkeeper_Innen und da konnten sie sich selber aussuchen, bei was sie mitmachen. Also Lena zum Beispiel hat bei den Barkeeper_Innen mitgemacht und die anderen Mädels haben alle bei der Wellnessoase mitgemacht, aber es hat auch einer der Jungs bei der Wellnessoase mitgemacht und die andren Jungs bei den Barkeepern. Also es war ähm, ist halt so nach Interesse und nicht nach Geschlechtern eingeteilt. I: Da würde auch nie einer was sagen denn, wenn da jetzt ein Junge irgendwie oder ganz viele Jungs auf einmal bei der Wellnessoase mitmachen? 90 S: Ach ne, also das ist I: Sehr offen S: Ja, ja. I: Ist ja gut denn ja. Und wie gehen Sie oder wie gehen, wie gehst du mit Diskriminierungen um, wenn wirklich jetzt mal der Fall auftreten würde oder vielleicht auch schon ist, wie bist du da umgegangen, wenn dann irgendwie in Richtung sexueller Vielfalt diskriminiert wurde? S: Na, auf jeden Fall das Thema offen ansprechen und äh informieren auch ne? Weil meistens ist es ja dass die Kinder entweder Meinungen übernehmen, die sie von Zuhause irgendwie gehört haben oder dass sie halt äh nicht genau bescheid wissen, was ist das eigentlich, und da ist, find ich, immer das Wichtigste: Information. Dass wir sagen: okey, wir gucken, wir googeln jetzt mal und äh informieren uns, oder das, was ich weiß und ähm einfach so offen ansprechen und ähm und einfach nicht übergehen. Also auch wenns nur irgendwelche Sachen im Nebensatz sind, also das übergehe ich nicht, sondern das wird dann offen angesprochen. Und das verbitte ich denn auch, also dass die sich, äh hat man ja dann doch manchmal, also dass Jungs sich gegenseitig beschimpfen mit, was weiß ich, äh du schwule Sau oder irgendwie so was ne? Und das geht gar nicht. So nach dem Motto, manchmal wissen sie gar nicht, die Kleineren, was das eigentlich bedeutet und so weiter und denn ja, denn wird drüber gesprochen und erstmal gesagt so: Denkt euch mal, wenn ihr euch beschimpfen wollt, denkt euch mal andere Schimpfwörter aus, wie was weiß ich: du äh, weiß ich nicht, äh du blöde Leberwurst und irgendwie was, was aber nicht so, bestimmte Richtungen diffamiert. I: Ja. Okey. Und dann schätz ich mal mit direkte Ansprechpartner, weil hier steht noch: in wie weit stehen direkte Ansprechpartner in ihrer Einrichtung zur Verfügung, wenn du alleine hier arbeitest. S: Ja. I: Oder wenn hier Praktikanten da sind, wirst sicherlich du das sein S: Ja. Ja, genau. I: Aber jetzt direkt drauf geschult wirst du jetzt nicht sein? S: Ne. I: Wie ich jetzt rausgehört hab. S: Ne. Direkt geschult nicht. Also ähm, das ist mir ja freigestellt, was für Fortbildungen ich mache und ähm gibt’s ja SFBB zum Beispiel, die machen ja ganz viele Fortbildungen in den 91 verschiedensten Richtungen, die man besuchen kann, aber da das jetzt nicht so ein vordergründiges Thema bei uns ist, habe ich mich da jetzt noch nicht weiter gekümmert. I: Oder jetzt mal direkt geschaut mal nach so nen Angeboten hast du jetzt nicht? S: Ne, ne. I: Okey. Oder hast du es vielleicht mal vor? Weil das ja wirklich jetze ich finde zum Beispiel, dass das heutzutage oder jetze grade so diese Thematik ja im Kommen ist, weil es wirklich so viele Richtungen jetzt gibt, das ist ja wirklich unwahrscheinlich was es da jetzt alles gibt für Richtungen an sexueller Vielfalt und aber hast du jetzt nicht so S: Na wär schon auf jeden Fall ne Fortbildung mal Wert, um sich da mal zu informieren. I: Aber ich denke mal, dass das hier ja denn doch so dörflicher ist es jetzt hier auch bestimmt so gar nicht so Thema oder? S: Ähm einerseits Nein, einerseits ist es nicht Thema, aber andererseits wieder ähm sind die dann, haben die dann so ein Informationsdefizit und dafür ist es dann wieder notwendig. I: Ja. S: Bescheid zu wissen I: Ja. S: Ja, also das ist so zweigeteilt so. I: Ja. Okey, denn also hier ist noch: Inwieweit werden in Ihrer Einrichtungen in der Arbeit mit den Jugendlichen Identitätsdimensionen wie soziale Herkunft, Behinderung, Migration, Religion und so weiter berücksichtigt? Also ist es so, dass irgendeiner hier ist, der irgendwie behindert ist oder eine andere Religion hat oder so, dass der irgendwie diskriminiert wird oder werden die alle offen aufgenommen? S: Ja I: und einbezogen? S: Also wir sind halt offen für Alle und Jeden und da wird auch nicht nachgefragt, ob jemand was hat, natürlich bei sag ich mal, bei Behinderungen da will ich das als Fachkraft schon wissen vorher, also wir haben eine Jugendfahrt gemacht und da wurde mir vorher gesagt, dass ähm der Teilnehmer Asperger hat, ne? Aber das wusste von den Jugendlichen keiner und das war so toll, der ist so aus sich rausgegangen, das hätte man nie gedacht und die Eltern haben auch gesagt „Der ist aber ganz anders gewesen“. Die waren ja mal zu Besuch da die Eltern und sagt sie“ Das haben wir jetzt gar nicht vermutet, wenn man ihn jetzt so sieht“ ne? Also ist schon gut, wenn wir das wissen als Fachkraft, dass wir denn drauf eingehen 92 können und wissen, warum zieht er sich jetzt zurück, warum ist er jetzt ruhiger und will mit den Anderen nichts zutun haben oder so, aber da wird nicht irgendwie von vornherein da irgendwie was aufgebaut oder jemand ausgeschlossen oder so. I: Ja. Das hört sich ja toll an ja. S: Natürlich im Rahmen der Möglichkeiten ne? I: Ja. S: Also als einzige Kraft, also wenn jetzt sag ich jetzt mal die Räumlichkeiten, also für körperliche Behinderung, nur wenn wir mal an einen Rollstuhlfahrer denken. Das wäre jetzt hier nicht möglich ne? Was jetzt natürlich auch schade ist, aber das ist natürlich ein Ausschlusskriterium denn schon mal, aber ansonsten sind wir offen für alles. I: Sehr gut. Ja. Gibt es sonst noch etwas, was du zu dem Thema äußern möchtest? Oder was dir jetzt noch so spontan einfällt? S: Ich find das toll, dass das ein Thema ist bei euch an der Fachhochschule und dass da so großer Wert drauf gelegt wird, aber ansonsten kann ich da eigentlich nicht weiter. Also ich weiß, dass ähm viele ja, also dass von Ministeriums Seite aus und so weiter, da ganz viele Umfragen auch gemacht worden sind unter Fachkräften, also dass da auch eine Arbeitsgruppe gibt, die Genderthematik behandelt in der Jugendarbeit und so weiter und äh ich krieg da auch immer ganz viel zugeschickt. Willst du da nicht mitarbeiten? Und äh wo ich dann aber auch, das ist ein ganz wichtiges Thema, aber wie bei allen Sachen: die Zeit, um sich damit auch intensiv im theoretischen Bereich auseinanderzusetzen, das geht dann immer ein bischen unter, weil die praktische Arbeit dann halt immer den größten Teil einnimmt. I: ist ja auch wichtig. S: Ja, aber trotzdem ist es halt wichtig und ich denke mal, dass das halt noch nicht bei vielen Fachkräften so angekommne ist, also da ist dann doch so: also wir machen jetzt das Tischkickerturnier für die Jungs und die Mädchen haben ihre Nähangebote oder so ne? Also allein jetzt von der Gender Problematik her, ich denke das ist auch noch unterschiedlich. Kommt halt immer auf die Menschen drauf an. Und da denke ich, wären solche Fortbildungen schon wichtig, also dass man das nicht selber entscheidet, sondern vielleicht äh ja, vom Arbeitgeber her gesagt wird: So, innerhalb der nächsten zwei Jahre machst du da mal bitte wenigstens eine eintägige Veranstaltung dazu. I: Das man informiert ist. 93 S: Genau I: Okey. Gut. Habt ihr vielleicht noch irgendwas, was ihr nachfragen wollt? Wissen wollt? Gut, dann vielen Dank. S: Bitteschön I: Sehr informativ S: Na klar. Ja ich denke, dass auch ähm entscheidend dafür ist, ob Junge oder Mädchen die Einrichtung besuchen, äh welches Geschlecht die dort die tätigen Fachkräfte haben. Dass das auch eine große Rolle spielt ähm und da finde ich harkt es auch auch immer noch ein bisschen an unserem Jugendhilfesystem. Dass halt, die stellen halt so gering finanziert sind, dass das und auch ähm deshalb nicht attraktiv für viele ist und ähm und dass es immer noch wenig stellen gibt. Das hier zum Beispiel ist ja auch nur eine Stelle und dass es schon wichtig wäre zwei Stellen zu haben, wo jeweils eine von einem Mann und eine von einer Frau besetzt ist. Dass halt für alle äh Interessen und alle Geschlechter auch Ansprechpartner da sind. Und weil gerade in der Pubertät denk ich mal, da ist es für die Jungs auch wichtig oder in jedem Alter, da auch noch Rollenvorbilder zu haben, die halt über eine Person hinausgehen. Je mehr, umso besser. I: Mmh, und wie ist es denn bei Praktikanten? S: Da freu ich mich, wenn da Männer kommen. Also ich hab jetzt grad eine Praktikantin und ähm dann hatte sich aber danach noch ein junger Mann gemeldet, wo ich dann sage: Ja. Und wenn ihr denn zu zweit seit, ist egal, ich bin froh, dass dann ein Praktikant da ist und äh die können sich dann beide gut ergänzen und ähm das passt dann schon ganz gut. Ich hatte auch eine zeitlang einen Praktikanten, der an der Berufsakademie studiert hat. Das heißt, er war drei Monate äh im Studium und drei Monate immer hier. Und das drei Jahre lang und das ist natürlich toll. Also der hatte ein gutes Verhältnis zu den Jugendlichen aufbauen können und da hat man auch gemerkt, da wurden dann immer mehr Jungs, die dann kamen. Weil sie es einfach toll fanden, ne? und der hat dann auch mal eine spezielle Jungsnacht gemacht, während ich gleichzeitig eine Mädchennacht gemacht habe. Da hatten wir das schon nach Geschlechtern getrennt, weil es dann auch mal wichtig war, dann einfach auch Themen zu behandeln, die dann geschlechtsspezifisch sind. I: ja S: Und das passte dann auch, der ist dann halt mit denen dann halt nachts nochmal auf den Fußballplatz heimlich. So irgendwie nachts um 2. und so. Die Mädels haben denn hier 94 zusammengesessen und dann hier in den Schlafsäcken und haben noch Geschichten erzählt. Das war denn schon so dieses geschlechterdifferenzierte. Aber da hat man halt gesehen, dass das einfach gebraucht wird, dass halt da eine andere Ansprechperson da ist. Jetzt auch, meistens unabhängig vom Geschlecht, das da einfach nur eine andere Sichtweise, dass man sich aussuchen kann, zu wem hab ich eher ein Draht, mit wem kann ich eher leben I: Ja, das mit dem Ansprechpartner ist schwieriger. Hier ist nicht viel Auswahl S: Genau. Dann müssen sie zu mir kommen. I: Ja. S: Ob sie wollen oder nicht. Oder sie kommen halt nicht ne? I: Aber sie dürfen bestimmt auch zu den Praktikanten gehen Oder? S: Natürlich. Na klar. Ja können sie ja auch gehen. Natürlich I: Mmh okey 95 10.3.4 Interview mit einer_m Jugendlichen in einem Jugendclub Interview zum Thema „Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit“ Interviewgruppe: Bianka Koch, Carolin Wiggert, Anika Gerlach, Yves Hromada I: Ja, hallo, mein Name ist Carolin. Willst du, dass wir uns oder wollen Sie, dass wir uns duzen? J: Ja, sehr gerne. I: Okey. Gut, also wir kommen ja von der Werkstatt Gender, Queer, Diversity von der FH Potsdam und beschäftigen uns in unserer Werkstatt mit dem Umgang mit sexueller Vielfalt in jugendarbeiterischen Einrichtungen. Und da wollen wir jetze dir ein paar Fragen zu stellen, wie das hier in dieser Einrichtung so abläuft. Als erstes einmal, was hast du in der Einrichtung über sexuelle Vielfalt gehört? J: Das ist eigentlich ganz vielfältig. Also ähm in den Nachmittagsangeboten da ist das glaub ich allgemein so, da spricht man einfach darüber. Also da ist wenn das Thema aufkommt, dann kann man darüber reden und ähm ich bin ja jetzt vermehrt auch wegen meines Alters schon so z.B. im Jugendparlament ähm und da ist man mit gleichaltrigen und älteren Menschen zusammen und da kommt dann das Thema auch einfach mal auf. Auch weil es z.B. politisch interessant ist oder weil es Probleme gibt in dem Bereich allgemein und da bespricht man denn so was einfach. I: Okey. Dann ähm inwieweit wird das Thema sexuelle Vielfalt in der Einrichtung durch die Sozialarbeiterinnen herangetragen? J: Also zum einen haben wir hier im Flur so ne schöne Stellwand, da gibts verschiedenste Hefter, auch zum Thema sexuelle Identität, wie geht man damit um ähm, wie fühlen sich Menschen, wie kann man sich fühlen, eigentlich ist das auch von den Sozialarbeitern, also von der Sozialarbeiterin hier, von der Frau Köstel, wird das eigentlich sehr offen gehandhabt. Also ähm man merkt ihr an bzw. sie zeigt es auch deutlich, dass sie kein Problem hat mit sexueller Vielfalt, dass sie das wirklich toleriert, dass sie das ähm unterstützt und dass sie, wenn man, ich vermute mal, dass wenn man da selbst seine Identität erst finden müsste und da Fragen hat, kann man sich da bestimmt an sie wenden. I: Also spricht sie auch sehr offen darüber? J: Ja. Ja definitiv. I: Okey. Dann wie gehen die Sozialarbeiterinnen, oder Frau Köstel kann ich ja jetzt sagen, mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle Vielfalt in deiner Einrichtung um? Also wenn halt der Fall auftritt, dass jemand gehänselt wird. J: Also ähm Diskriminierung wird hier natürlich offen thematisiert. Also wenn was passieren würde, dann würde man, denk ich, offen damit umgehen. Also meines Wissens nach ist der Fall bisher nicht aufgetreten, dass man jemanden wegen seines Verhaltens, wegen seiner sexuellen Neigung diskriminiert hat, aber wenn das geschehen würde, dann denk ich, dass besonders auch Frau Köstel einen sehr offenen Umgang damit haben würde, also dass man mit dem Betroffenen sprechen würde, dass man wahrscheinlich in Einzelgespräche gehen würde, und fragen würde warum, was ist denn das Problem? Wieso hast du was dagegen? Dass man vielleicht die beiden Konfliktpartner, die Beiden die sich da sozusagen ein bisschen 96 äh ja gegenüberstehen, dass man die in ein Gespräch nimmt und dass man dann, also wenn so was auftritt, dass man so was auch mit den Leuten allgemein bespricht, die hier in den Club gehen. Dass die Kinder auch allgemein einen Eindruck davon haben: Es ist in Ordnung und jeder kann so sein wie er möchte. Wenn Diskriminierungsfälle hier auftreten würden, dann würde man, denk ich, sehr offen damit umgehen und versuchen, es zu ändern. I: Damit derjenige dann wieder gern herkommt. J: Genau. Auf jeden Fall. I: Gut. Denn inwieweit stehen direkte Ansprechpartner in der Einrichtung zum Thema sexuelle Vielfalt für dich oder andere Jugendliche zur Verfügung? J: Also wie gesagt Frau Köstel ist ja eine sehr sehr offene Person und man kann eigentlich mit ihr über alles reden. Also wenn man zu ihr gehen möchte, sie ist ja immer hier und ähm während den Nachmittagsangeboten kann man ja hierher kommen und Hausaufgaben machen oder sich mit Freunden treffen, aber wenn man dann mal mit ihr alleine reden möchte, dann kann man einfach zu ihr ins Büro gehen und mit ihr sprechen uns sie redet dann mit einem über die Probleme, die man hat und das funktioniert sehr gut meines Wissens nach. I: Gibts hier denn auch Praktikanten in der Einrichtung, dass man denn vielleicht auch mal einen Praktikanten hätte. J: Es gibt auch Praktikanten in regelmäßig bis unregelmäßigen Abständen. Also es gibt auch immer noch andere Leute, mit denen man reden kann. Allgemein sind auch die Kinder, die hierher kommen, glaube ich, sehr offen. I: Mmh. J: Man kann auch untereinander immer über so was reden. I: Das ist ja schön. Ja. Und was ist wenn, also, oder anders gefragt, soziale Herkunft, Behinderung, Migration und Religion sind ja auch immer so Themen bei Jugendlichen und Kindern. Wie wird hier damit umgegangen? Also ist das ein Problem bei euch? J: Also meines Wissens nach nicht. Wir hatten schon mehrere Veranstaltungsabende, besonders auch z.B. im Rahmen der Gesundheitswoche, die hier stattfindet. Ähm haben wir verschiedene Filmabende und Infoabende z.B. gemacht, bei denen sehr offen über das Thema Behinderung geredet wurde. Also da hatten wir z.B. ähm eine Filmvorführung mit einem Film über einen Jungen mit Downsyndrom. Da war dann auch eine Familie hier, die auch wirklich einen Sohn mit Downsyndrom hatte, mit denen konnten wir dann wirklich in einen offenen Dialog treten. Konnten mit denen sprechen und da erfährt man noch mal deutlich direkter, womit diese Leute so konfrontiert sind, was ihre Probleme sind und warum das eigentlich auch gar nicht so schlimm ist und warum die trotzdem glücklich sind. I: Ja und dass das letztendlich eigentlich normale Menschen sind: J: Ja natürlich. Auf jeden Fall. Also dass das natürlich Menschen sind, die irgendwo ein bisschen anders sind, aber dass man trotzdem ganz normal mit ihnen umgehen kann und dass das auch ganz normale Leute sind. I: Ja J: Nur eben ein bisschen anders und das sollte einem nichts ausmachen. I: Da hör ich jetzt raus, dass alle, die hier herkommen erstmal so aufgenommen werden wie sie sind. J: Ja, ja. Also auch wenns jetzt hier weniger so ist, du hast es gerade angesprochen Religion, Ausländer. Ich glaube, so sehr spielt das hier gar keine Rolle. Also ähm, da wird gar nicht unterschieden. Da wird nicht gefragt bist du Christ, bist du Muslim, bist du Jude. Das interessiert keinen. Das mag auch daran liegen, dass die Kinder natürlich auch noch in einem Alter sind, wo das noch deutlich weniger interessiert. Aber auch wenn jemand zu uns ins 97 Jugendparlament kommen würde ähm wäre das Letzte, was uns einfallen würde, glaube ich, die Frage: Bist du aus Deutschland oder welcher Religion gehörst du an? Das interessiert nicht. Da interessiert denn eben eher, welche polititsche Gesinnung trägst du mit dir? Was ist das, was du gerne erreichen möchtest? Weshalb möchtest du hier mitmachen? Also da sind denn wirklich die Aspekte der Jugendarbeit im Fokus. I: Mmh. Hast du sonst noch irgendetwas, was du zu dem Thema sagen möchtest, was dir spontan einfällt? J: Es ist schwierig, also ich ähm ich hab hier im Club z.B. noch nie diese Problematik mit der Gendersprache gehabt. Also ich finde, das ist immer noch so ein kompliziertes Feld, bei dem man immer noch nicht so genau weiß: Ok, wie nennt man jetzt was? Oder z.B. wie Toilettenschilder in der Zukunft aussehen? Soll es überhaupt noch welche geben? Also das sind so Problematiken, die z.B. interessant sind, die mir aber noch nicht so untergekommen sind. Ich weiß nicht, das hängt vermutlich auch mit der Zielgruppe des Jugendclubs zusammen. I: Mmh J: Also ähm das ist immer ein bisschen schwierig, weil man nicht so genau weiß: Okey, äh wie soll man jetzt jemanden ansprechen, wenn er eben anderer sexueller Gesinnung ist? Das ist so ein Aspekt, über den ich persönlich noch nicht so viel weiß. I: Wie man mit dem J: Also nicht wie man mit dem umgeht I: Ja. J: Sondern wie man z.B. diese verschiedenen Formen nennt. Also ich hab auf eurem Zettel vorhin z.B. Queer gelesen bzw. als ich mir das schon mal im Voraus angeguckt habe und da habe ich erstmal überlegt: Queer, was bedeutet das? Habe im Internet nachgeforscht, hab noch mal geguckt und bin dann auf ganz ganz viele verschiedene Begriffe gestoßen, ähm wie man eben die sexuelle Orientierung eben auch bezeichnen kann, also diese Gendersprache. Oder wie z.B. Geschlechtsformen aus der deutschen Sprache rausgenommen werden, genderneutral sozusagen oder wie, das fand ich ganz lustig, dass an der HumboldtUniversität die Professoren teilweise noch als Professorinnen angesprochen werden, egal ob sie jetzt männlich oder weiblich sind, einfach weil die Gendergruppe der Universität sehr frei und kreativ arbeitet. Das ist ganz lustig. Ich sehe manchmal nicht ganz den Sinn dahinter, also ich versteh das schon. Wäre es im Deutschen so gewesen, dass vor Hunderten Jahren einfach das zweite Geschlecht nicht gebildet worden wäre, dann gäbe es diese Problematik nicht. Also jetze ist es ja wirklich so, dass männlich, weiblich mit dieser Sprachform verknüpft ist und das bildet eben so ein bisschen Probleme in der aktuellen Sprache, also besonders im Deutschen. Dass eben Leute sagen: Frau Professor, warum das Professor? Professor ist doch männlich! Und aber eigentlich hat dieses männlich und weiblich hat in der Sprache überhaupt nichts zutun mit männlichen Personen und weiblichen Personen und das irritiert mich manchmal ein bisschen I: Ja, schon sehr schwierig. Da hatten wir uns ja auch schon drüber unterhalten in der Werkstatt. Ja. J: Das ist immer so ein kompliziertes Feld, aber ich denke, da kann man mit umgehen und ich glaube auch, dass Jana da mal eine Veranstaltung zu geplant hatte. I: Das ist ja bestimmt sehr interessant denn. J: Ja. I: Okey, dann bedanken wir uns. 98 10.3.4 Online-Umfrage 99 100 101 102 Impressum ©Fachhochschule Potsdam/ Fachbereich Sozialwesen Studiengang: Bachelor Soziale Arbeit Friedrich-Ebert-Straße 4. 14467 Potsdam Potsdam, 23.06.2015 Der Sozialreport ist ein Ergebnis aus der Werkstatt zum Thema: Gender/Queer und Diversity Wise 2014/15 und SoSe 2015 Projektleitung Gudrun Perko (Professorin für Gender und Diversity an der Fachhochschule Potsdam, Fachbereich Sozialwesen); Leah Carola Czollek (Leiterin des Instituts Social Justice und Diversity; Lehrbeauftragte an der Fachhochschule Potsdam) Tutor: Dominico Janz Studierende der Werkstatt: Farah Abdullayeva, Amir Reza Arastoo, Jennifer Becker, Kai Meret Brieske, Laura Marina Ederer, Freya Ehrhardt, Anika Juliane Gerlach, Zenna Gürgen, Christian Höldtke, Niusha Khosravi Koochaksarai, Bianka Koch, Anne Mense, Jason Omer, Anastassiya Shilova, Melina Strohe, Carolin Wiggert Lay Out: Anne Mense, Kai Meret Brieske 103