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04.11.2015
Überblick – – – –
Suizidalität im Jugendalter
Prävalenz Definition Ätiologie Umgang
Paul L. Plener Le Suicide (1877) Edouard Manet
Die Zahlen dahinter •
In D sterben pro Jahr ca. – – – –
•
Prävalenz I
2.300 Menschen an den Folgen von HIV 7.000 Menschen an illegalem Drogenkonsum 5.700 Menschen im Straßenverkehr 10.000 Menschen am Suizid
Statistisch gesehen stirbt ca. jede Stunde ein Mensch in D am Suizid
Statistisches Bundesamt, www.destatis.de
•
Suizid: weltweit 14. häufigste Todesursache (16.7/ 100.000 Menschen/ Jahr). – Geschlechtsunterschiede – nationale Unterschiede
•
Suizidales Verhalten nimmt mit Beginn der Adoleszenz zu, hat einen ersten Gipfel b. 16 Jahren und nimmt im jungen Erwachsenenalter wieder ab
•
Männliche Jugendliche verüben ca. 4 mal so häufig Suizid wie weibliche Jugendliche
•
In D: zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen Nock et al., 2008, Eaton 2007
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Prävalenz III- Deutschland
Prävalenz II- Deutschland Geschlecht
5-15
15-25
25-45
m
12
444
1715
w
9
122
447
gesamt
21
566
2162
Ca. 200-250 Suizide/Jahr < 18 Jahren
Schmidke et al., 2008, Statistisches Bundesamt, 2010
Prävalenz III- Deutschland •
Heidelberger Schulstudie: (n= 5759, mittleres Alter: 14.9, SD: 0.73)
Suizidmethoden bei Jugendlichen: Suizide •
EAAD (15 Länder, n=14.738 Suizide, 15-24a, 2000-2005)
•
Erhängen: häufigste Methode (5 mal häufiger bei männlichen Jugendlichen)
•
♀: – – – ♂: – – –
– Suizidgedanken: 14.4 % – Suizidversuche: 7.9 % – Suizidpläne: 6.5 %
•
BELLA Studie (n= 2863 Familien, Alter: 11-17) – 6 Monatsprävalenz: Suizidgedanken: 3.8 %
•
Ulmer Schulstudie (n=665, Alter: 14-17)
•
Värnik et al., 2009
1. Erhängen 2. Vergiftungen 3. Sprung aus großer Höhe 1. Erhängen 2. Sprung aus großer Höhe 3. Waffen (Schweiz und Finnland: 1. Platz)
– Suizidversuche: 6.5 % – Suizidgedanken: 35.9 % Brunner et al., 2007, Resch et al., 2008, Plener et al., 2009
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Definition II
Definition I • Suizid: Willentliche Beendigung des eigenen Lebens • Suizidgedanken: Gedanken darüber sich das Leben zu nehmen • Suizidplan: Die Formulierung einer spezifischen Methode mittels derer eine Person aus dem Leben scheiden will • Suizidversuch: Aktion, die mit der Intention zu sterben ausgeführt wird, jedoch nicht tödlich endet Nock et al., 2008
Gedanken und Planung
Nock, 2010
Vom Gedanken zum Versuch
Suizidgedanken 34%
Suizidplanung 66%
28%
72%
Nock et al., 2008, Kessler et al., 1999
Suizidversuche
Nock et al., 2013
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Ätiologie- Biologie
Ätiologie: Bildgebung
• Dysregulation – Serotonin: • Weniger präsynaptische 5-HT Transporter • Upregulation postsynaptischer Rezeptoren • Verminderter Nachweis von 5-HIAA im Liquor – Noradrenalin: • α2- adrenerge Rezeptoren vermehrt • Hyperaktivität der HPA Achse
• •
42 Studien (SPECT, MRT, fMRT, PET) Hinweis auf abweichende Aktivierung in fronto-cingularstriatalem (FCR) Netzwerk (li>re) – Entscheidungsfindung – Problemlösestrategien – Impulsivität
Van Heeringen et al., 2011, 2012, Giedd et al., 2009
Braquehais et al., 2012, Brent & Mann 2005, Brent & Melhem 2008, Mann & Curier 2007, Mann, 2003
Ätiologie- Genetik • Suizidales Verhalten: genetischer Anteil: ca. 30-50% • Sowohl Suizide als auch Suizidversuche: familiäre Häufung (auch nach Kontrolle v. psychiatrischen Erkrankungen) • Höhere Konkordanzraten b. monozygoten Zwillingen • Möglicherweise vermittelt durch Impulsivität • Kandidatengene: – TPH: Tryptophan Hydroxylase – SERT: Serotonin Transporter – 5HTR1A, 5HTR2A, 5HTR1B: Serotonin Rezeptoren – MAOA: Monoaminooxidase • Ergebnis: bislang inkonklusiv
Ätiologie- Psychische Krankheit •
Über 90% der Menschen (auch Jugendliche!), die an einem Suizid versterben, leiden an einer psychischen Krankheit
•
Höchstes Risiko für suizidales Verhalten: – Affektive Erkrankungen – Drogenabusus, Substanzkonsum
Brent et al., 2009, Cavanagh et al., 2003, Nock et al., 2008, Burszetin & Apter, 2009, Foley et al., 2006, Brausch et al., 2009, Boden et al., 2007, Shaffer et al., 1996
– Impulskontrollstörungen – Psychotische Zustände – Persönlichkeitsstörungen – Esstörungen – Störungen des Sozialverhaltens
Mann et al., 2009, Brent & Mann 2005, Brent & Melhem 2008, Mann & Curier 2007, Mann 2003
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Ätiologie- Schlaf •
Schlafstörungen Prädiktor Versuche und Suizide
Ätiologie- Soziale u. familiäre Risikofaktoren f.
Suizidgedanken,
• 2 prospektive Studien b. Jugendlichen (n=392 bzw. 6504, 3 Jahre): – Schlafstörungen: Prädiktor f. Suizidgedanken und Suizidversuche – (nach Kontrolle f. Geschlecht, elterl. Depression, vorherige Suizidalität,..)
• Bullying (Täter & Opfer) • Familiäre Geschichte suizidalen Verhaltens: – Suizidversuch der Mutter: verfünffacht Risiko für Suizidgedanken und Risiko f. Suizidversuch (6-9x). – Risiko vor allem erhöht wenn sexueller Mißbrauch der Mutter – ev. Impulsivität als Mediator
Burzstein & Apter, 2009, Shaffer & Craft, 1999, Brown et al., 1999, McKeown et al., 1999, Dube et al., 2001, Melhem et al., 2007, Brodsky et al., 2008
Wong et al., 2011, Wong et al., 2012, Goldstein et al., 2008
Ätiologie- familiäre Risikofaktoren
Ätiologie: Traumatische Ereignisse I •
Suizidversuch Elternteil Affekt. Störung Elternteil
•
Impulsive Aggr. Elternteil Suboptim. fam. Umfeld
Affekt. Störung Kind
•
•
Vernachlässig./ Missbrauch
Impulsive Aggr. Kind
Suizidversuch Kind
Stressoren Brent & Mann, 2006
Mehrere Studien: Missbrauchserfahrungen – Suizidalität (Bruffaerts et al., 2010, Cash & Bridge, 2009, Stein et al., 2010) Sex. Missbrauch: (Stein et al., 2010) – Suizidgedanken: OR: 2,2 – Suizidversuche: OR 2,6 Körperliche Misshandlung: – Suizidgedanken: OR: 1,8 – Suizidversuche: OR: 1,9 Longitudinale Studie: Suizidversuch: – sex. Missbrauch, – sex. Missbrauch durch Familienmitglied, – Schwere des sex. Missbrauchs (Brezo et al., 2008)
•
Zahl d. traumatischen Erlebnisse: Zusammenhang mit Schwere d. suizidalen Handlung (Plener et al., 2011, Stein et al., 2010)
•
Mehr traumatische Erlebnisse 6 Monate vor SA (OR: 5.5), weniger soziale Unterstützung (OR: 3.37) (Pompili et al., 2011)
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Joiner, 2005
Theorien zum Suizid I • Präsuizidales Syndrom nach Ringel (1953) • Einengung, – Situative Einengung: Einengung persönlicher Möglichkeiten – Dynamische Einengung: Einengung der persönlichen Gefühlswelt, Reduktion der Abwehrmechanismen – Einengung der zwischenmenschlichen Beziehungen – Einengung der Wertewelt: Langeweile, Interesselosigkeit, Entwertung • Gehemmte und gegen die eigene Person gerichtete Aggression • Selbstmordphantasien
Intervention
Interpersonelle-psychologische Theorie
Erworbene Fähigkeit sich selbst zu schädigen
Sich wie eine Last fühlen
Sich von anderen isoliert erleben
+
Suizidwunsch
Präventionsstrategien
Prävention
• Frühe Intervention sinnvoll • Am Besten in Notaufnahme • Safety Planning Interventions (SPI)
Ereignisse: Streß
Affekt. od. psych. Leiden
Suizidgedanken
A bis E
Behandlung
D
Impulsivität
C
C Hoffnungslosigkeit Zugang let. Mittel Imitation
Suizidale Handlung
A: Aufklärungsprogramme: Öffentlichkeit, Ärzte, Gatekeeper B. Screening f. Menschen mit Risiko
B
D
• Postkarteninterventionen hilfreich
Stanley 2012, Stanley & Brown, 2008, Robinson et al., 2012
„ACS“
F
C: Pharmakotherapie D: Psychotherapie E: Nachsorge nach Suizidversuch F: Restriktion d. Zugangs zu letalen Methoden G: Richtlinien f. Medien
G
Mann, 2005
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„Werther“ revisited • • •
Inzidenzrate 28 Tage vorher und nachher: IR: 2.2 28 Tage zuvor: 53 (1.89) 28 Tage danach: 121 (4.32)
Ladwig et al., 2012
10 Alarmsignale • Mitteilung sterben oder sich das Leben nehmen zu wollen • Zunehmender Substanzkonsum • Ausdruck von Sinnlosigkeit • Anzeichen von Ängstlichkeit (incl. Änderung der Schlafgewohnheiten) • Das Gefühl äußern in Situationen gefangen zu sein • Gefühl der Hoffnungslosigkeit • Sozialer Rückzug • Ungewöhnlicher Ausdruck von Ärger und Wut • Rücksichtloses Verhalten • Zeichen von Stimmungsänderungen Rudd et al., 2006, Wintersteen et al., 2007
Das BELLA Konzept
??????
• Beziehung aufbauen • Erfassen der Situation • Linderung von Symptomen • Leute einbeziehen • Ansatz zur Problembewältigung
• Wie würden SIE nach Suizidalität fragen?
Sonneck, 2000
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Umgang mit suizidalen Krisen I
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• Suizidalität: „Haben Sie schon daran gedacht, sich das Leben zu nehmen ?“ • Vorbereitung: „Denken Sie bewußt daran oder drängen sich derartige Gedanken, auch wenn Sie es nicht wollen, auf ?“ • Ankündigungen: „Haben Sie schon über Ihre Absichten mit jemandem gesprochen ?“ • Einengung: „Haben sich Ihre Interessen, Kontakte zu anderen etc. gegenüber früher reduziert ?“
• Darf man denn das?
Sonneck, 2000
Umgang mit suizidalen Krisen II • Wer fragt macht nichts falsch – Weder durch Fragebogenuntersuchungen (Gould et al., 2005), noch durch persönliche Ansprache (Crawford et al., 2011) wird Schaden angerichtet
• CAVE: Falls Ihr Gegenüber suizidal erscheint-
– Fragen wird von Betroffenen eher als entlastend beschrieben (Gould et al., 2005)
• FRAGEN SIE DANACH !
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