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SWR2 OPER Moderationsmanuskript von Reinhard Ermen
Claudio Monteverdi: „L’Orfeo“ Sonntag, 03.04.2016, 20.03 Uhr
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Wir senden „L’Orfeo“ , eine Favola in Musica. Text von Alessandro Striggio. Die Musik zu dieser Oper in einem Prolog und fünf Akten schrieb Claudio Monteverdi. Sie hören eine im wahrsten Sinne des Wortes historische Aufnahme unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt, die im November/Dezember 1968 in Wien entstand. Die Leitung hatte Nikolaus Harnoncourt. Als die Nachricht vom Tod dieses Dirigenten, Forschers und Ausgräbers die Musikwelt erreichte, war dieser Opernabend längst programmiert. Anlass war ursprünglich die Nachricht, die Harnoncourt am 5. Dezember 2015, also einen Tag vor seinem 86. Geburtstag bekanntgab, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen aus dem aktiven Musikleben zurückziehen werde. Am 5. März ist er im Kreis der Familie, so steht es in der Todesanzeige „friedlich entschlafen“. Aus der Würdigung wird so eine Erinnerung. Die Idee bleibt die gleiche, nämlich, den Musiker durch eine seiner Referenzaufnahmen zu ehren. Deshalb senden wir auch die originale Einführung von Harnoncourt, die seinerzeit Teil der Schallplattenerstausgabe war. Nach der Oper hören sie noch eine der letzten Aufnahmen des Dirigenten, die Sinfonie Nr. 41 in C-dur KV 551, die Jupiter-Sinfonie von Wolfgang Amadeus Mozart. In beiden Fällen, also für Monteverdi und Mozart spielt der Concentus Musicus Wien. Monteverdis „L’Orfeo“ gilt als erste Oper der Musikgeschichte und wurde gleichzeitig der erste Höhepunkt der jungen Gattung. Bezeichnenderweise ist das Stück noch immer oder seit längerem wieder Bestandteil des eisernen Repertoires, was partiell auch ein Verdienst von Nikolaus Harnoncourt ist. Die erste Oper war nicht die allererste. Zum Ende des 16. Jahrhunderts lag die Idee in der Luft, mit Hilfe des neuen Sprechgesangs, des Rezitativs, bzw. auf Basis des monodischen Stils eine musikdramatische Form zu kreieren, die das, was sich gelehrte Kreise unter der antiken Tragödie vorstellten, mit aktuellen musikalischen Mitteln realisieren sollte. „L‘Orfeo“ von Monteverdi wurde das erste überzeugende Beispiel der neuen Kunstform. Die Musik hat das Zeug, die Geschichte über 100 Minuten lang zu beatmen; heut spricht man von ‚abendfüllend‘. Die Musik dient dem Drama, sie hüllt es in einen Klangraum, sie hält die Handlung zusammen obwohl extreme Kontraste Teil des Konzeptes sind. Einheit und Kontrast gehen von der Musik aus, die hochinspiriert daherkommt und sich auch ‚handwerklich‘ auf einem sehr hohen Niveau bewegt. Für Nikolaus Harnoncourt liegt der Schlüssel zu dieser einheitsstiftenden Kraft auch in einem Grundtempo, aus dem sich alle anderen Gangarten entwickeln. Doch über diesen Aspekt spricht er in seiner akustischen Einführung zur Plattenerstausgabe von 1969 nicht. Es geht primär darum, die Hörer mit der neuen alten Klangwelt des Stückes vertraut zu machen. Den Namen des Sprechers (es ist nicht Harnoncourt) verrät das Plattenetikett nicht. Monteverdi, L’ORFEO, Einführung Harnoncourt Telefunken Das alte Werk SKH 21-3 = 13‘34“ Zur historischen Aufnahme, eine historische Einführung nach einem Text von Nikolaus Harnoncourt. Und nun zur Aufnahme selbst. – Die Besetzung: La Musica und Euridice – Rotraud Hansmann Orfeo – Lajos Kozma Massagiera, die Botin und Speranza, die Hoffnung – Cathy Berberian Caronte – Nikolaus Simkowsky Proserpina und Ninfa – Eiko Katanosaka Plutone – Jacques Villisech Apollo – Max van Egmond Vier Hirten – Günther Theuring, Nigel Rogers, Kurt Equiluz und Max van Egmond Drei Geister – Nigel Rogers, Kurt Equiluz und Max van Egmond Die Capella antiqua München Der Concentus Musicus Wien 2
Leitung – Nikolaus Harnoncourt Nach der Toccata folgt der Prolog. Die Personifizierte Musik kündigt das folgende Stück an, das den „verwirrten Herzen Ruhe schenkt“, das selbst den eiserstarrten Sinnen Regungen von „Zorn“ und „Liebe“ entlocken kann. Der erste Akt gehört dann dem glücklichen Paar Orpheus und Eurydike. Orpheus, der als Sänger Wunderdinge bewirken kann, dem singend Menschen und Tiere zu Füßen liegen, hat sein Glück gefunden. Hirten und Nymphen teilen seine Freude, die mit madrigalesken Liedern und Tänzen gefeiert wird. Dankeshymnen erklingen zu Ehren der ewigen Götter. „L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi, Prolog und 1. Akt. „L’Orfeo“, Prolog und 1. Akt = 24‘16“ SWR 2 Opernabend, Sie hören „L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi in einer historischen Aufnahme unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt aus dem Jahr 1968 mit der Capella Antiqua München und dem Concentus Musicus Wien. Die Vokalsolisten sind Lajos Kozma, Rotraud Hansmann, Cathy Berberian, Nikolaus Simkowsky, Eiko Katanosaka, Max van Egmond, Günther Theuring, Nigel Rogers und Kurt Equiluz. Was noch heute an dieser 48 Jahre alten Aufnahme fasziniert, ist ihr liedhafter Tonfall, der sich mühelos in die musikdramatischen Grenzbereiche verlängert. Im Vordergrund steht eine unabdingbare Nähe zu den Zuhörern, die Musik spielt zwar mit Momenten der Entrückung, sie macht die Grenzgänge dieser Mythe hörbar, aber sie distanziert sich niemals vom Publikum. Eine frühbarocke Kammermusik, die mit einem Bein noch in der Spätrenaissance steht, hat das Sagen. Auf der Hörbühne agieren schlanke Stimmen, bzw. Charaktere. Es hat sich eine Spezialistenszene der sogenannten ‚Alten Musik‘ versammelt, was interessante Überraschungen nicht ausschließt. Die Sopranistin Cathy Berberian etwa, die hier als Messagiera und Speranza zu hören ist, war eigentlich eine ausgesprochene Enthusiastin der Neuen Musik. Nikolaus Harnoncourt fungiert als Leiter der Produktion. Er selbst verstand sich allerdings noch nicht als Dirigent, sondern als eine Art Konzertmeister, der das Ganze vom Cello, bzw. von der Gambe aus beaufsichtigte. Er war zum Zeitpunkt der Aufnahme auch noch (hauptberuflich) Cellist bei den Wiener Symphonikern. 1952 hatte er diesen Posten angenommen. Erst 1969 kündigte er die feste Stelle im Sinfonieorchester, um als freier Musiker zu arbeiten, ab 1972 auch als Dirigent. So kann man es Harnoncourts ausgesprochen informativen Webseite entnehmen. In die Szene der alten Musik wuchs er sozusagen hinein. 1953 gründete er mit Freunden und Mitverschworenen den Concentus Musicus Wien, einen Kreis, der sich langsam, aber stetig zu einem unentbehrlichen Orchester für entsprechende Literatur entwickelte. Bis heute gibt es den Concentus, dessen Repertoire mit der Neugierde seines Leiters und Erfinders gewachsen ist. Das hat sich inzwischen herumgesprochen. Harnoncourt wird häufig als ein Protagonist der historischen Aufführungspraxis vereinnahmt. Vielleicht war er das zu Beginn seiner Karriere, wahrscheinlich war er das auch noch zur Zeit dieser Aufnahme. Aber die längste Zeit seines erfolgreichen Dirigentenlebens war er ein gebildeter, glänzend informierter, aber auch subjektiv agierender Musiker, der sein historisches Basiswissen nutzte, um Musik für seine Zeit zu machen. Damit hat er auch dieser Musizierhaltung zum Durchbruch ins allgemeine Bewusstsein verholfen … Es geht weiter mit „L’Orfeo“. Noch eben wurde der Wunsch ausgesungen, dass das schöne Glück der Liebenden ewig dauern möge. Auch zu Beginn des zweiten Aktes preisen Hirten und Nymphen gemeinsam ein Arkadien, wo ewiger Frühling zu herrschen scheint. Doch dann erscheint die Botin mit einer schrecklichen Nachricht: Eurydike ist tot, beim Blumensuchen wurde sie von einer Schlange gebissen. Klagelieder treten an die Stelle der 3
heiteren Weisen. Orpheus will in die Unterwelt hinabsteigen, um durch die Macht seines Gesanges die geliebte Eurydike wieder zu erlangen. Die Gefährten fürchten, dass sie nun beide für immer verloren haben: Eurydike durch den Biss der Schlange, Orpheus durch dessen übergroßen Schmerz. „L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi, der zweite Akt. „L’Orfeo“, 2. Akt = 24‘39“ SWR 2 Opernabend, Sie hören „L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi in einer historischen Aufnahme unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt aus dem Jahr 1968 mit der Capella Antiqua Münhen und dem Concentus Musicus Wien. Die Vokalsolisten sind Lajos Kozma, Rotraud Hansmann, Cathy Berberian, Nikolaus Simkowsky, Eiko Katanosaka, Max van Egmond, Günther Theuring, Nigel Rogers und Kurt Equiluz. Die Wiederbesinnung auf die Opern des lange vergessenen Monteverdi begann Ende des 19. Jahrhunderts, wie in dem Artikel zu „L’Orfeo“ von Wolfgang Osthoff in Piepers Enzykopädie des Musiktheaters nachzulesen ist. Komponisten wie Vincent d’Indy oder später Carl Orff haben sich darum bemüht, freilich in eigenen Fassungen und Bearbeitungen. Mit wechselndem Erfolg. In den 60er Jahren gab es eine ausgesprochen erfolgreiche Ballettversion in Düsseldorf von Erich Walter in musikalischen Fassungen von Erich Kraack. Harnoncourts Aufnahme war nicht der erste Versuch einen historisch korrekten „Orfeo“ zu produzieren. Legendär wurde eine glänzend besetzte Plattenproduktion unter August Wenzinger aus dem Jahr 1955 mit dem Ensemble der Sommerlichen Musiktage Hitzacker. Doch diese Aufnahme für die „Archiv Produktion“ der Deutschen Grammophon Gesellschaft blieb etwas für Spezialisten, für einen kleinen Hörerkreis. Auch Harnoncourt bedient 1968 mit seiner Aufnahme für Telefunken „Das Alte Werk“ noch ein ähnliches Publikum. Doch das Interesse an dieser Musik wächst, zumal Harnoncourt das mitspielende Forschungsinteresse durch seinen musizierenden Subjektivismus lustvoll überspringt. Und dann hat er ab Mitte der 70er Jahre zusammen mit dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle im Züricher Opernhaus einen szenischen Zyklus mit den drei Monteverdi-Opern realisiert, der diesen Komponisten endgültig wieder ins Repertoire einführte. Von diesen Aufführungen entstanden zwischen 1978 und 1986 auch Videoaufzeichnungen, denen man entnehmen kann wie genau und generös Harnoncourt sich auf die Bedingungen zum Beispiel des Theaterbetriebs einstellen kann. Aber das ist eine andere Geschichte. Es geht weiter mit dem dritten und vierten Akt. Orpheus ist unterwegs zu den Pforten der Unterwelt. Die Hoffnung höchstpersönlich geleitet ihn, doch das Reich der Schatten selbst darf sie nicht betreten, denn über der Tür steht geschrieben: „Lasst alle Hoffnung zurück, die ihr hier eintretet.“ Der Schiffer Charon, der die toten Seelen ans andere Ufer bringt, stellt sich dem Sänger in den Weg, denn auch die Lebenden dürfen die Unterwelt nicht betreten. Orpheus greift zur Leier. Zwar kann er den Fährmann nicht dazu bringen, ihn über den Styx zu setzen, aber der grimmige Wächter schlummert ein. Orpheus besteigt die Barke und rudert sich selbst hinüber. Die Götter der Unterwelt werden von dem begnadeten Sänger schnell überwunden. Zu Beginn des vierten Aktes fleht Proserpina den Gatten Pluto an, Orpheus seine Eurydike zurückzugeben. So gebeten, macht der Herrscher des Schattenreiches eine Ausnahme. Orpheus mag die Geliebte wieder mitnehmen, doch erst wenn er wieder bei den Lebenden ist, darf er sich nach ihr umsehen. Diese kleine Bedingung wird ihm zum Verhängnis. Als er sich zu früh nach ihr umdreht, hat er Eurydike für immer verloren. „Orpheus besiegte die Hölle“, so kommentieren die Geister, „und wurde dann von seiner Leidenschaft besiegt.“ 4
„L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi, der dritte und vierte Akt. „L’Orfeo“, 3. und 4. Akt = 43‘36“ SWR 2 Opernabend, Sie hören „L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi in einer historischen Aufnahme unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Ein inzwischen vertrautes Ritornell eröffnet den fünften Akt, der wie ein Epilog, wie eine szenisch-dramatische Coda erscheint. Orpheus beklagt sein Schicksal. Das Echo verdoppelt partiell sein Lamento. Der Sänger zerschlägt die Laute und schwört aus purer Verzweiflung der Liebe zu den Frauen ab. Trost kommt von oben. Apollo steigt herab und nimmt den zornigen Sänger, seinen Sohn im Geiste, was die Musik, die Kunst angeht, mit sich in den Himmel. „L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi, der fünfte Akt. „L’Orfeo“, 5. Akt = 15‘09“ SWR 2 Opernabend, das war „L’Orfeo“ , eine Favola in Musica. Text von Alessandro Striggio. Die Musik zu dieser Oper in einem Prolog und fünf Akten schrieb Claudio Monteverdi. Die Ausführenden waren: La Musica und Euridice – Rotraud Hansmann Orfeo – Lajos Kozma Massagiera, die Botin und Speranza, die Hoffnung – Cathy Berberian Caronte – Nikolaus Simkowsky Proserpina und Ninfa – Eiko Katanosaka Plutone – Jacques Villisech Apollo – Max van Egmond Vier Hirten – Günther Theuring, Nigel Rogers, Kurt Equiluz und Max van Egmond Drei Geister – Nigel Rogers, Kurt Equiluz und Max van Egmond Die Capella antiqua München Der Concentus Musicus Wien Leitung – Nikolaus Harnoncourt Diese historische Aufnahme der Plattenindustrie entstand zwischen dem 28. November und dem 1. Dezember 1968 in Wien im Casino Zögernitz. Wir bleiben bei Nikolaus Harnoncourt, der am 5. März dieses Jahres gestorben ist. Als Motto stand über Todesanzeige der Familie ein wunderbarer Satz „Die Kunst ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet.“ Dass diese Verbindung immer mal wieder spürbar ist, dass wir im besten Fall immer noch an dieser Nabelschnur hängen, belegen gelegentlich auch große Aufnahmen. Im Falle von Harnoncourt konnten sie auch polarisieren. Denn oft genug verband der Dirigent mit ihnen eine ganz persönliche Ansicht; zum Beispiel als er im Oktober 2013 die drei letzten Sinfonien vom Wolfgang Amadeus Mozart einspielte, - mit seinem Orchester, mit dem Concentus Musicus Wien. Harnoncourt war der festen Überzeugung, dass Mozart mit diesen drei Stücken, die uns heute wie das Vermächtnis dieses jungen Genies erscheinen, das eigentliche Reich der 5
(absoluten) Musik verlassen habe und damit ein dreiteiliges Instrumental Oratorium geschaffen habe. Was von dieser Idee zu halten ist, inwiefern damit auch eine Botschaft verbunden ist, die Harnoncourt verschweigt, muss an dieser Stelle nicht erläutert werden. Tatsache ist, dass er hier eine grandiose Aufnahme vorgelegt hat. Die Sinfonie Nr. 41 in Cdur, gelegentlich auch als „Jupiter-Sinfonie“ charakterisiert, ist darunter die großartigste. Deshalb an dieser Stelle diese Sinfonie KV 551; wie schon gesagt, mit dem Concentus Musicus Wien, 45 Jahre nach dem „Orfeo“ von eben. Die Satzbezeichnungen lauten: Allegro vivace. Andante cantabile. Menuetto (Allegretto). Molto allegro. Mozart, Sinfonie Nr. 41, C-dur, KV 551 = 39‘18“
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