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BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE SAMSTAG, 2. MAI 2015
KULTUR 43
Basler Opernkonzept wird weiterentwickelt Staatsoper Hamburg Georges Delnons erster Spielplan ten italienischen Theatermanns Romeo Castellucci.
VON CHRISTIAN FLURI
Es ist ein typischer Opernspielplan von Georges Delnon, den er als seinen ersten in Hamburg präsentiert hat. Er entspricht seinem Opernkonzept – das heisst: Bekannte Opern überraschend und bilderstark für uns Menschen des 21. Jahrhunderts erzählen, unterschiedliche Regiehandschriften vorstellen, Schauspielregisseure für die Oper gewinnen. Und es baut auf den Säulen: Klassiker, zeitgenössische Oper, Barock, Stückerfindungen und Raritäten. Mit einem Opern-Etat von 60 Millionen Euro kann Delnon auch anders anrichten als in Basel, diese Chance nutzt er kreativ. Und mit Genaralmusikdirektor Kent Nagano steht ihm ein erstklassiger Dirigent zur Seite, der neuen Sichtweisen auf alte Werke offen gegenübersteht und sich immer für die zeitgenössische Musik eingesetzt hat. Delnon ist hier an einem traditionsreichen Haus, das unter anderem seit Mitte des 20. Jahrhunderts auf einen Reigen legendärer Uraufführungen zurückblicken kann. Unter Rolf Liebermann – auch einem Schweizer – wurde hier beispielsweise 1971 Mauricio Kagels Neuerfindung des Musiktheaters, «Staatstheater», uraufgeführt. Auch hier will Delnon klare Zeichen setzen, so an Liebermann erinnern. Delnon startet in Hamburg mit einem wahren Premierenfest vom 18. bis 20. September. Da ist einmal die Premiere der ersten grossen Oper am 19. September mit Hector Berlioz’ «Les Troyens» – die romantische Version von Vergils Epos «Äneis» des französischen Komponisten, die Konzentration auf die tragische Liebesgeschichte um Dido und Aeneas. Der gefeierte Schauspielregisseur Michael Thalheimer inszeniert das Operntableau. Thalheimer hat noch unter Michael Schindhelm in Basel mit seiner zweiten Opernregie für Furore gesorgt: Giuseppe Verdis «Rigo-
Castellucci inszeniert Bach
Georges Delnon hat in Hamburg seinen Opernspielplan vorgestellt. KEN
letto». Der oft am Schauspiel in Hamburg arbeitende Thalheimer inszeniert aber sehr wenig für die Oper.
Start mit Marthaler Zur ersten Premiere in der Opera Stabile, dem Opernlabor des Hamburger Hauses, nimmt Delnon eine Produktion des Theater Basel mit, die hier Mitte Mai ihre Uraufführung erlebt: Christoph Marthalers neues Stück «Isoldes Abendbrot» mit Anne-Sophie von Otter. Die dritte Premiere in Hamburg ist eine Uraufführung. Delnon gab dem Schweizer Komponisten Michael Werthmüller, dem Schöpfer einer effektvollen, kraftstrotzenden, stark rhythmisierten Musik, den Auftrag für ein neues Werk. «Weine nicht, singe» nach dem Libretto von Dea Loher, wird von Jette Steckel inszeniert. Auch sie ist den Baslern von ihrer eindrücklichen «Tosca» (Giacomo Puccini) bestens bekannt. Auch aus Basel nimmt Delnon Christof Loys Inszenierung von Richard Strauss’ Spätwerk «Daphne» mit. Wohl weltweit aufsehenerregend ist das Projekt des avancier-
Der Italiener inszeniert im April 2016 unter dem Titel «La Passione» Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion. Delnon holt Castellucci diesen Juni bereits nach Basel – in einer Koproduktion mit dem Théatre de la Villette, dem Festival d’Automne à Paris und der Art Basel: mit «The Parthenon Metopes – szenische Installation für 6 Schauspieler, 4 Notärzte und Sanitäter». Weitere Highlights dürften Mozarts Meisterwerk «Le Nozze di Figaro», inszeniert vom norwegischen Regisseur Stefan Herheim, der klassische Werke in packenden Bildern ins Heute zu übertragen weiss. Giacomo Rossinis Grand Opera «Guillaume Tell» vertraut er dem jungen Schweizer Schauspielregisseur Roger Vontobel als erste Oper an. Als Dirigent stellt er ihm den grossen Belcanto-Fachmann Gabriel Ferro zur Seite. Und die grosse Uraufführung ist «Stilles Meer» von Toshio Hosokawa. Die Autorin des Librettos, Oriza Hirata, inszeniert die neue Oper über die Katastrophe von Fukushima. Der prägende Basler Regisseur, der in Delnons Hamburger Startsaison – noch – fehlt, ist Calixto Bieito. Er wird wohl später in Hamburg inszenieren. Delnon muss – wie an jedem grossen Haus – zudem aufs bestehende Repertoire zurückgreifen. Er zeigt auch hier eine glückliche Hand, wählt unter anderem Peter Konwitschnys Blick auf Verdis «Don Carlo» oder Ruth Berghaus’ legendäre Inszenierung von Wagners «Tristan und Isolde». So zollt er der stets der Fortschrittlichkeit verpflichteten Tradition des Hauses seinen Respekt. Das kommt ebenso im edlen Spielplanheft zum Ausdruck, in den drei Büchern für die Oper, das Ballett mit Chef John Neumeier und die Konzerte mit Chef Kent Nagano.
Stets auf alles gefasst sein Jazz Festival Basel Drei Konzerte im Gare du Nord zeigten zeitgenössische Strömungen auf. VON REINER KOBE
Mit drei unterschiedlichen ThemenKonzerten ist das Basler Jazz Festival in der Mitte seiner dreieinhalb ereignisreichen Wochen ins Gare du Nord umgezogen. Das charmante, etwas aus der Zeit gefallene einstige Bahnhofsbuffet bot den idealen Rahmen für aktuelle, zeitgenössische Strömungen des Jazz. Die drei Konzerte förderten an zwei Abenden interessante Aspekte zutage. Zum Beispiel, dass der Jazzhörer stets auf alles gefasst sein muss. Denn «Hildegard lernt fliegen» changiert zwischen strenger Organisation und totalem Chaos. Zurücklehnen ist nicht, wenn durchkomponierte Parts und zappaeske, dadaistische Passagen zwischen human Beat-Boxing und syllabischem Scat-Gesang den ausverkauften Raum erfüllen. Das Berner Sextett, an dessen Spitze der Sänger Andreas Schaerer steht, ist längst flügge geworden und wurde vom Festival-Chef kokett «Schweizer Export-Gut» genannt. Völlig zu Recht: Tourneen führten fast über den gesamten Globus. Wie ein Irrwisch segelt Schaerer durch unterschiedliche vokale Welten. Seine mimisch gestützten Gesangs- und Sprachattacken werden von allseits aufmerksamen Begleitmusikern unterstützt. An-
dreas Tschopp an der Posaune, Matthias Wenger und Benedikt Reising an den Saxofonen, die sowohl solistisch als auch unisono brillieren, spinnen mit ihren vielfach exaltiert gespielten Instrumenten und expressiven Spitzfindigkeiten am tumultartigen Konzept. Bassist Marco Müller und Schlagzeuger Christoph Steiner bieten zünftig Paroli. Sie alle werden selber zu Charakterdarstellern. Die Musiker sind irgendwie immer zu Diensten, sie werden von Schaerer geschickt eingesetzt. Sie liefern die entsprechenden Farben, um bizarre
Trickreich variiert der gerade 33 Jahre alte Akinmusire den Trompetenton, von federleicht weich bis metallisch hart. Geschichten zu liefern, polymetrische Konstrukte zu produzieren oder – nicht zu fassen – um durch kammermusikalische Fragilität zu berühren.
Neues Talent aus Nigeria Anderntags dann ging es ruhiger zu, obwohl «Italianità!» anstand. In stiller Bescheidenheit, doch ebenso berührend, glänzte das Duo Rita Marcotulli/Luciano Biondini. Die Pianistin und der Akkordeonist begegnen sich in blindem gegenseitigen Einverständnis und sind immer wieder für Überraschungen gut. Die innige Liebe zu den traditionellen Liedern ihrer italienischen Heimat wird immer wieder durch Improvisationen aufgebro-
chen. Kombiniert mit den Jazz-Erfahrungen, die sowohl Marcotulli wie Biondini bieten, finden diese Zwiegespräche zwischen Spontaneität und Melodik statt – leider sind die Reihen nicht so gefüllt wie am Vortag. An Spontaneität liess es die anschliessende Ambrose Akinmusire Group missen, obwohl sie den Zuhörer nach «New York today» führte, ins Mekka des Jazz. Bewundernswert aber, wie der kalifornische Trompeter mit nigerianischen Wurzeln, als «absolute Novität» angekündigt, sämtliche Spielarten beherrscht. Trickreich variiert der gerade 33 Jahre alt gewordene Akinmusire den Trompetenton, von federleicht weich bis metallisch hart. Er moduliert Melodien in einem Atemzug, wechselt Klänge und experimentiert mit erstaunlichsten Lauten. Freilich werden die ausgefeilten Techniken nicht bloss zur Schau gestellt, sondern sind integriert in den musikalischen Gruppenprozess. Dieser liess zu wünschen übrig, da nur neue, offensichtlich noch nie gespielte Eigenkompositionen auf dem Programm standen. Pianist Sam Harris verfällt am altertümlichen Synthesizer in wabernde Klangwallungen, Bassist Harish Raghavan und Schlagzeuger Justin Brown erzeugen ein rhythmisches Geflecht, das nicht wie sonst voller Energie steckt. Versöhnlich wieder die überragende Zugabe: allein vom Pianisten begleitet liefert Ambros Akinmusire in seiner Interpretation von «Body and Soul» , dem unumstösslichen Klassiker von 1930, einen weiteren Beweis seiner Klasse.
Barnett Newman: Day Before One, 1951, 334,7×127,3 cm.
M. P. BÜHLER
«Kompromisslos» Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum (13) Thüring Bräm, Komponist und Dirigent, wählt Barnett Newmans Bild «The Day Before One» aus dem Jahr 1951
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In einer Zeit, in der ein Informationsüberfluss von allen Seiten auf uns einströmt, wächst das Bedürfnis nach Konzentration und maximalem Ausdruck mit wenigen Mitteln. Seit meiner Gymnasialzeit hat mich die Reduktion aufs Wesentliche in der Malerei zum Beispiel bei Mondrian sehr berührt. Und da gab es im Kunstmuseum Basel ab 1959 plötzlich ein Bild, das mich damals vorerst sehr aufregte: eine grosse violett-blaue Fläche im Längsformat mit zwei engen Streifen oben und unten. Ich dachte, ich könnte das auch malen, ging nach Hause und versuchte es und realisierte, dass es viel schwieriger war, als anfänglich gedacht. Eine so grosse Fläche mit der gleichen Farbe ebenmässig zu bemalen, bewirkt
eine Art Trance, durch das lange Hinschauen beginnt sich die Fläche zu beleben: Es ergibt sich ein Hineinschauen in ein tiefes Etwas, das nur an den Rändern begrenzt wird. Es ist eine Art Entstehung der Welt aus dem Nichts (wie am Anfang von Joseph Haydns «Schöpfung»). Da wurde ein Weg zur Konzentration gezeigt, der zugleich Ruhe und Aufregung beinhaltete mit äusserster Reduktion der Mittel. Da eröffnete sich Unendlichkeit und Begrenzung. Nicht ein äusserer bildlicher Eindruck wurde da abgebildet, sondern der Abgrund einer bodenlosen inneren Welt auf der Suche nach Sinn. Das Bild hat für mich in keiner Weise Staub angesetzt. Die Kompromisslosigkeit fasziniert mich auch heute noch.»
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Mein Lieblingswerk Mit unserer Serie «Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum» wollen wir während der Zeit der Schliessung des Kunstmuseums dessen Schätze in unser Bewusstsein rufen. Dies, obwohl einige Meisterwerke im Museum der Gegenwartskunst (Moderne) und im Museum der Kulturen (Alte
Meister) zugänglich sind. Jede Woche stellt eine bekannte Persönlichkeit aus der Region ihr Lieblingswerk aus der Sammlung des Kunstmuseums vor. Am 25. April wählte Beat von Wartburg, Direktor der Christoph-Merian-Stiftung, Matthias Grünewalds «Die Kreuzigung Christi» (FLU)
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