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Skript zur Vorlesung
Theoretische Physik III (Quantenmechanik) von Volker Meden Sommersemester 2016 RWTH Aachen
11. Februar 2016
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Inhaltsverzeichnis 1 Zwei (Gedanken-) Experimente 1.1 Doppelspaltexperimente mit Licht und Elektronen . . . . . . . . . 1.2 Der Stern-Gerlach Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 6 13
2 Der N -dimensionale unit¨ are Raum 2.1 Grundlagen und die Dirac-Notation . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Fortgeschrittene Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 19 28
3 Nochmal die (Gedanken-)Experimente 3.1 Wahrscheinlichkeiten, Messwerte und Operatoren . . . . . . . . . 3.2 Weitere Konzepte der Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 33 42
4 Wellenpakete und Schr¨ odingergleichung 4.1 Wellenpakete in der Elektrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Wellenpakete in der Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . . . .
47 49 52
5 Der Hilbertraum
61
6 Die Postulate der Quantenmechanik
73
7 Schro ¨dingergleichung in einer Dimension 7.1 Allgemeine Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Station¨are Schr¨odingergleichung mit Potenzial . . . . . . . . . . .
77 79 85
8 Der harmonische Oszillator
101
9 Die Dynamik von Quantensystemen 109 9.1 Das Schr¨odingerbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 9.2 Das Heisenbergbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 10 Elektromagnetische Felder 10.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Der Aharonov-Bohm-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Weiteres Postulat: Komposition von Quantensystemen . . . . . . 3
117 117 122 128
4
INHALTSVERZEICHNIS 10.4 Die Pauligleichung: Spin- und Bahnfreiheitsgrade . . . . . . . . . 129
11 Der 11.1 11.2 11.3
Drehimpuls in der Quantenmechanik 133 Drehimpulsoperatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Rotationen und Translationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Die Addition von Drehimpulsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
12 Ein Teilchen im Zentralpotenzial
155
13 Das Wasserstoffatom
165
14 N¨ aherungsmethoden 14.1 Das Variationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Zeitunabh¨angige St¨orungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Zeitabh¨angige St¨orungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167 167 170 179
15 Ununterscheidbare Teilchen 15.1 Allgemeine Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 Zwei Elektronen im ¨außeren Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Das Periodensystem der Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187 187 191 194
16 Verschr¨ ankung und lokaler Realismus 197 16.1 Zwei-Photonen-Zust¨ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 16.2 Verschr¨ankte-Zust¨ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 16.3 Ein Test f¨ ur den lokalen Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Kapitel 1 Zwei (Gedanken-) Experimente Als Einstieg in die QM Vorlesung, deren Gegenstand die Theorie der Bewegungsgesetze nichtrelativistischer Mikroobjekte (m 6= 0, v c) ist, werden wir zwei (Gedanken-) Experimente diskutieren, deren jeweiliger Ausgang sich nicht mit Hilfe der Methoden der klassischen Mechanik erkl¨aren l¨asst. Allgemeiner gilt, dass sich viele Experimente in der “Mikrowelt” nicht mit Hilfe der an Hand unserer allt¨aglichen Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse verstehen lassen. Wir werden auch einige Betrachtungen zu Photonen (mit Ruhemasse m = 0) anstellen, soweit sich ihr Verhalten ¨ahnlich behandeln l¨asst, wie das von Mikroteilchen mit endlicher Ruhemasse. Die beiden hier vorgestellten (Gedanken-) Experimente f¨ uhren uns bereits darauf, dass in der “Mikrowelt” nur statistische Aussagen u ¨ber physikalische Messgr¨oßen (Ort, Impuls,. . . eines Teilchens) m¨oglich sind. Im Gegensatz zur klassischen Mechanik, in der die Bewegung eines makroskopischen Teilchens durch die Bahnkurve gegeben ist, und damit der Ort zu einer gegeben Zeit eindeutig festliegt, ist der Ort eines sich bewegenden Elektrons zu einer Zeit t “nur” durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt. Letztere kann aber eindeutig festgelegt werden. Um uns nicht gleich am Anfang der Vorlesung in philosophischen Exkursen zu verlieren, werden wir diese Ihnen sicherlich eigenartig erscheinende allgemeine Diskussion zun¨achst abbrechen und zu gegebener Zeit fortsetzen. ¨ Ahnlich zur klassischen Mechanik, die sich mit der Bewegung makroskopischer K¨orper besch¨aftigt, ohne sich um ihre innere Struktur zu k¨ ummern, wird auch in der Quantenmechanik nicht die Frage untersucht, was ein Elektron oder Proton “ist” und aus welchen Konstituenten diese Teilchen wom¨oglich aufgebaut sind. Die Diskussion der beiden (Gedanken-) Experimente soll zus¨atzlich den ersten mathematischen Einschub Kapitel 2 motivieren. Um die Quantenmechanik “zu verstehen” ben¨otigt man Konzepte, die Ihnen zum Teil aus den Mathematikvorlesungen bekannt sein sollten, die aber zum Teil u ¨ber die Standardvorlesungen hinaus gehen und daher im Rahmen der QMI eingef¨ uhrt werden m¨ ussen. Wir bezeichnen die Experimente als “(Gedanken-) Experimente” da sie zwar einerseits tats¨achlich ausgef¨ uhrt worden sind (und noch ausgef¨ uhrt werden), wir 5
6
KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE
aber andererseits idealisierte, zum Teil auf dem Computer ausgef¨ uhrte Experimente beschreiben und dabei auch u ¨ber die experimentellen Grenzen hinausgehen werden. Wir werden aber auch “reale” Messergebnisse betrachten. Unser Einstieg in die Quantenmechanik folgt nicht der historischen Abfolge, die zu ihrer Entwicklung gef¨ uhrt hat.
1.1
Doppelspaltexperimente mit Licht und Elektronen
Das man Licht als elektromagnetische Welle beschreiben kann, wissen Sie bereits aus der Schule. Andererseits haben Sie sicherlich schon vom Photoeffekt geh¨ort, den Einstein 1905 durch seine “Lichtquantenhypothese” erkl¨aren konnte. Im Gegensatz zu Beugungsexperimenten (z.B. Beugung am Doppelspalt oder Gitter), die den Wellencharakter von Licht zeigen, ist es zum Verst¨andnis des Photoeffekts wichtig, dass die Energie in diskreten Einheiten (Quanten) eintrifft. Die sich mit der Lichtgeschwindigkeit c bewegenden Quanten nennt man Photonen. Sie sollten sich dar¨ uber wundern, dass man zum Verst¨andnis von Experimenten mit Licht mal das Wellen- und mal das Teilchenbild heranziehen muss. Am Ende dieser Vorlesung werden Sie jedoch einen Formalismus gelernt haben, der eine gewisse “Vereinheitlichung” beider Bilder mit sich bringt. Dabei m¨ochte ich nicht behaupten, dass man den Welle-Teilchen-Dualismus im Sinne unserer Alltagserfahrung “verstehen” kann - was eine Aussage darstellt, die bereits wieder eher philosophischer Natur ist. Einen Erkl¨arungsansatz f¨ ur unser “nicht-Verstehen” liefert die evolution¨are Erkenntnistheorie, nach der der Intellekt an unserer Alltagswelt selektiert wurde, die keine offensichtlichen “statistischen” Quanteneffekte beinhaltet. Wir wollen jetzt demonstrieren, dass sich im Doppelspaltexperiment mit Licht, welches Sie auch aus dem Praktikum kennen, sowohl der Wellen- als auch der Teilchencharakter von Licht untersuchen l¨asst. Wie in der Abbildung 1.1 dargestellt soll das Licht der Wellenl¨ange λ aus einem Laser auf einen Doppelspalt (technische Details wie Blenden usw. interessieren uns hier nicht) mit Spaltabstand d und Spaltweite s fallen. Wir “beobachten” das sich ergebende “Bild” der Spalte in einem Abstand L d hinter dem Doppelspalt. Nach einer zeitlichen Mittelung u ur1 λ d2 /L ergibt sich als Funktion ¨ber eine Periode und f¨ des Beugungswinkels θ gem¨aß dem Wellenbild die in Abbildung 1.2 dargestellte Intensit¨atsverteilung (bis auf einen hier unwichtigen Vorfaktor) 2
I(θ) ∼ [cos(θ)] {cos [kd sin(θ)/2]} 1
2
sin [ks sin(θ)/2] ks sin(θ)/2
2 (1.1)
Unter den Annahmen L d und λ d2 /L l¨asst sich die zeitlich gemittelte Intensit¨ats¨ verteilung recht einfach herleiten; siehe Ubungen.
1.1. DOPPELSPALTEXPERIMENTE MIT LICHT UND ELEKTRONEN
7
Abbildung 1.1: Skizze des Doppelspaltversuchs.
mit den bekannten Intensit¨atsminima und -maxima. Dabei bezeichnet k = 2π/λ die Komponente des Wellenvektors, die senkrecht zur Doppelspaltebene steht. Sie wird auch als Wellenzahl bezeichnet. Das Interferenzbild l¨asst sich mit Hilfe des ¨ Huygensschen Prinzips verstehen, nach dem von jedem Punkt in den Offnungen eine “Elementarwelle” ausl¨auft. Die Interferenz dieser Wellen f¨ uhrt dann zu dem ¨ Beugungsmuster. In der Ubung werden Sie die Intensit¨atsverteilung I(θ) “zur Erinnerung” nocheinmal herleiten. Ist nur einer der beiden Spalte ge¨offnet, so ergibt sich eine Intensit¨atsverteilung die aus Gl. (1.1) durch weglassen des zweiten Faktors folgt und in Abbildung 1.3 dargestellt ist.
Reduzieren wir jetzt die Intensit¨at der Lasers bei nur einem ge¨offneten Spalt, so wird das Bild Abbildung 1.3 auf dem Detektorschirm immer blasser. Um es weiterhin beobachten zu k¨onnen, verwenden wir als Detektorfl¨ache eine Matrix von einzelnen Detektoren, die in der Lage sind die pro Zeiteinheit eingetroffene Energie zu messen. Ist die Intensit¨at nun hinreichend gering, so zeigen f¨ ur ein kurzes Zeitintervall nach Anschalten des Lasers nur einige wenige, scheinbar zuf¨allig in der Matrix verteilte Detektoren, an, dass ein bei allen anzeigenden Detektoren gleicher Energiebetrag eingetroffen ist. Diese Beobachtung l¨asst sich nur mit Hilfe der “Lichtquantenhypothese” erkl¨aren. Jedes einzelne Signal entspricht dem
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KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE
1
I/Imax
0.8 0.6 0.4 0.2 0 -0.06
-0.04
-0.02
0 θ
0.02
0.04
0.06
Abbildung 1.2: Beugungsbild im Doppelspaltversuch mit ks = 100 und kd = 1000. 1
I/Imax
0.8 0.6 0.4 0.2 0 -0.06
-0.04
-0.02
0 θ
0.02
0.04
0.06
Abbildung 1.3: Beugungsbild wenn nur einer der Spalten ge¨offnet ist (ks = 100).
Eintreffen eines Lichtquantums, d.h. eines Photons. Licht hat damit (auch) Teilcheneigenschaften. Variiert man die Frequenz ν des Lasers, so stellt man fest, dass die Photonen eine Energie E = hν = ~ω, mit der Kreisfrequenz ω = 2πν haben. Dabei bezeichnet h = 6.6262 · 10−34 Js das Plancksche Wirkungsquantum und ~ die in der Quantenmechanik h¨aufig auftretende Gr¨oße ~ = h/(2π). Der Impuls der Photonen betr¨agt p = ~k = h/λ. Warten wir nun eine l¨angere Zeit und messen kumulativ die an den Detektoren eintreffende Energie, so ergibt sich aus dem zun¨achst zuf¨allig erscheinenden Muster, langsam wieder die Intensit¨atsverteilung Abbildung 1.3. Diese k¨onnte man dann im Rahmen der klassischen Mechanik als Ergebnis der Streuung von Teilchen mit unterschiedlichem Anfangsort und eventuell leicht variierendem Anfangsimpuls am Rand des Spalts zu erkl¨aren versuchen. In einem n¨achsten Schritt ¨offnen wir wieder beiden Spalte und reduzieren
1.1. DOPPELSPALTEXPERIMENTE MIT LICHT UND ELEKTRONEN
9
die Intensit¨at des Lasers soweit, dass sich immer nur ein Photon in der Apparatur befindet. Klassisch kann jedes Photon nur eine Trajektorie besitzen, die entweder durch den einen oder den anderen Spalt f¨ uhrt. Da sich immer nur ein Photon in der Apparatur befindet, kann es zu keinen Photon-Photon St¨oßen kommen. Damit erwarten wir im Teilchenbild, dass sich nach langer Zeit ein Intensit¨atsmuster ergibt, welches durch I1 + I2 gegeben ist, wobei Ij das Muster ist, was sich ergibt, wenn nur der Spalt j ge¨offnet ist. Auf der Detektormatrix beobachten wir zun¨achst wieder ein r¨aumlich scheinbar zuf¨alliges Eintreffen einzelner Photonen. Warten wir aber lange genug und messen die Energie kumulativ, so ergibt sich immer sch¨arfer, dass Interferenzmuster Abbildung 1.2. Das zeigt deutlich, dass das Beugungsbild nicht als Ergebnis von klassischen Mehr-Photonen-Streuprozessen erkl¨art werden kann - was bei hoher Laserintensit¨at eine m¨ogliche alternative Erkl¨arung (neben der obigen auf der Welleneigenschaft des Lichts beruhenden Erkl¨arung) f¨ ur das Auftreten des Interferenzbildes darstellen k¨onnte. Die Beobachtung des “Wellen-Interferenzbildes” Abbildung 1.2 ist unvereinbar damit, dass die Photonen wohldefinierten klassischen Trajektorien folgen. Das oben beschriebene sich langsame Aufbauen des Beugungsbildes ist in der ersten in der Vorlesung gezeigten Computersimulation verdeutlicht.
Abbildung 1.4: Elektronenbeugungsbild bei der Beugung an einem und zwei Spalten (aus C. J¨onsson, Zeitschrift f¨ ur Physik 161, 454 (1961)).
Wenn nun Licht sowohl Teilchen- als auch Wellencharakter besitzt, zeigen dann Elektronen, Protonen, Atome und Molek¨ ule, also Objekte die man allge2 meinhin als Teilchen bezeichnen w¨ urde auch Welleneigenschaften? L. de Broglie (Nature 112, 540 (1923)) schlug 1923 vor, einem Teilchen mit Impuls p = |~p| eine Wellenzahl k = p/~ und damit eine Wellenl¨ange λ = 2π/k (de BrogliWellenl¨ange) zu zuordnen. Entsprechend sollte sich in einem Doppelspaltexperiment ein Interferenzbild wie f¨ ur Licht ergeben. Ersetzen wir in dem obigen Experiment den Laser durch eine Elektronenkanone, den Doppelspaltschirm durch 2
Das Elektronen Teilcheneigenschaften haben, sieht man z.B. in der Ihnen bekannten Braun¨ opfchenversuch. schen R¨ ohre oder dem oft schon in der Schule ausgef¨ uhrten Millikanschen Oltr¨
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KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE
einen elektronenundurchl¨assigen Schirm und die Detektoren durch solche, die in der Lage sind Elektronen nachzuweisen, so ergeben sich exakt die gleichen Beobachtungen wie f¨ ur Licht.3 Erneut ben¨otigen wir zur Beschreibung der einzeln eintreffenden Elektronen das Teilchenbild, zum Verst¨andnis des nach l¨angerem Warten sich ergebenden Beugungsbildes jedoch das Wellenbild. Auch k¨onnen wir das gezeigte Computerexperiment als eines f¨ ur Elektronen auffassen. Die zweite Simulation zeigt den dynamischen Vorgang des Durchtreten eines durch ein Wellenpaket beschriebenen Elektrons4 durch einen Doppelspalt. Das Interferenzmuster ist dabei hinter dem Doppelspalt deutlich erkennbar.5
Abbildung 1.5: Zeitliche Abfolge von Intensit¨atsbildern beim Doppelspaltexperiment mit einem verd¨ unnten Heliumstrahl (λ = (4.6 ± 0.5) · 10−11 m).
Abbildung 1.4 zeigt das Doppelspaltbeugungsbild eines Elektronenstrahls von C. J¨onsson (Zeitschrift f¨ ur Physik 161, 454 (1961)). Interferenzexperimente wurden inzwischen auch mit Neutronen und kleinen Atomen wie z.B. Helium ausgef¨ uhrt. Die Abbildung 1.5 zeigt eine zeitliche Abfolge von Intensit¨atsbildern die bei der Beugung eines sehr d¨ unnen Heliumstrahls in der Gruppe von Mlynek 3
Experimentell wurde der Wellencharakter von “Teilchen” erstmals in einem Beugungsexperiment mit Elektronen an einem Kristallgitter von Davisson und Germer gefunden. 4 Sollten Ihnen nicht klar sein, was ein Wellenpaket ist, so m¨ ussen Sie nur noch einige Vorlesungsstunden abwarten, bis der Begriff in dieser Vorlesung genau besprochen wird. 5 Bis auf das erkennbare Auseinanderlaufen des Wellenpaketes, w¨ urde die Beugung f¨ ur ein Lichtwellenpaket analog ablaufen.
1.1. DOPPELSPALTEXPERIMENTE MIT LICHT UND ELEKTRONEN 11 gemessen worden sind. Die Neutronenbeugung dient heute als ein nicht mehr wegzudenkendes Werkzeug zur Untersuchung der Struktur von Festk¨orpern, Fl¨ ussigkeiten und (biologischen) Makromolek¨ ulen. Die schwersten Teilchen f¨ ur die Welleneigenschaften in einem Experiment mit vielen Spalten (Gitter) nachgewiesen werden konnten, sind die “fußballartigen” (siehe Abbildung 1.6) C60 - und C70 Molek¨ ule (M. Arndt et al., Nature 401, 680 (1999)). Ein experimentelles Interferenzbild ist in Abbildung 1.7 gezeigt.
Abbildung 1.6: Struktur des C60 -Molek¨ uls. Der Durchmesser eines C60 -Molek¨ uls betr¨agt ca. 7 · 10−10 m.
Abbildung 1.7: Interferenzbild von C60 -Molek¨ ulen (aus O. Nairz, M. Arndt und A. Zeilinger, Am. J. Phys. 71, 319 (2003)) bei der Beugung an einem Gitter. Die durchgezogene Linie zeigt die theoretische Vorhersage. Die relevanten Parameter sind: m = 1.2 · 10−24 kg, mittlere Geschwindigkeit v¯ = 117 m/s, L = 1.2 m, d = 1 · 10−7 m, s = (5.5 ± 0.5) · 10−8 m.
Um Interferenzexperimente mit immer schwereren Teilchen durchf¨ uhren zu k¨onnen, gilt es einige experimentelle Probleme zu u ¨berwinden. Hier soll nur das
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KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE
offensichtlichste genannt werden: Wie man Gl. (1.1) entnimmt, r¨ ucken die Minima des Interferenzbildes f¨ ur kleiner werdende Wellenl¨ange λ immer n¨aher zusammen ¨ (siehe Ubung). Da nun λ = h/p gilt, nimmt die Wellenl¨ange proportional zur Masse (und der Geschwindigkeit) der Teilchen ab. Die C60 -Molek¨ ule aus dem obigen Experiment hatten z.B. eine (mittlere) de Broglie-Wellenl¨ange von ca. 5 · 10−12 m. Um die Minima f¨ ur schwere Teilchen weiterhin aufl¨osen zu k¨onnen, ben¨otigt man daher Detektoren mit einer extrem hohen r¨aumlichen Aufl¨osung. Auch wenn ein C60 -Molek¨ ul Gr¨oßenordnungen schwerer ist als ein Elektron, ist es sicherlich noch kein makroskopisches Teilchen. Um Ihnen ein Gef¨ uhl daf¨ ur zu geben, wie klein die de Brogli-Wellenl¨ange eines makroskopischen Teilchens ist, betrachten wir als Beispiel ein 10−3 kg schweres Teilchen, welches sich mit 10−2 m/s bewegt. Die Wellenl¨ange ist dann 10−29 m!! F¨ ur jede vern¨ unftige Kombination der Spaltparameter s und d liegen die Minima im Interferenzbild so dicht, dass sie mit keinem Detektor aufgel¨ost werden k¨onnen. Wir stellen somit fest, dass (zumindest) Photonen, Elektronen, Neutronen, Helium und C60 -Molek¨ ule weder klassische Teilchen noch klassische Wellen sind, da ihre Bewegung und ihre Wechselwirkung mit Detektoren mit beiden Bildern unvereinbar ist. In dieser Hinsicht sind sie physikalische Objekte, die in der uns gewohnten Umwelt keine Analogien besitzen. Aus dem Doppelspaltexperiment l¨asst sich bereits eine zentrale Eigenschaft der Theorie der Bewegung von Mikroobjekten erkennen. Trotz gleicher Anfangsbedingung f¨ ur alle Elektronen bzw. Photonen und identischer Versuchsbedingungen beobachtet man (bei einem verd¨ unnten Strahl) mal hier das Auftreffen eines Elektrons auf dem Schirm und mal dort. Bei gen¨ ugend langer Versuchsdauer (hinreichend vielen Einzelereignissen) stellt man aber fest, dass auf jeder Teilfl¨ache des Beobachtungsschirms im Mittel ein durch das Interferenzbild bestimmter Anteil an Elektronen bzw. Photonen aus der Gesamtzahl der auf dem Schirm auftreffenden Teilchen eintrifft. Anders gesagt: Wir k¨onnen eine Wahrscheinlichkeit daf¨ ur angeben, dass dieser oder jener Detektor bei der Wiederholung des Versuchs unter gleichen Bedingungen ein Teilchen anzeigen wird. Wir k¨onnen aber nicht mit Sicherheit voraussagen, welcher Detektor es im n¨achsten Augenblick tats¨achlich sein wird. Die erste in der Vorlesung gezeigte Simulation beruht exakt auf diesem Wahrscheinlichkeitsprinzip. Das Interferenzmuster Gl. (1.1) ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung gem¨aß der der Computer “ausw¨ urfelt” wo auf dem Beobachtungsschirm das n¨achste Teilchen auftreffen wird. Damit stellt sich sofort die Frage, ob wir “nur” eine Wahrscheinlichkeitsaussage treffen k¨onnen, weil wir bestimmte Bedingungen der “Mikrowelt” (noch) nicht aufgedeckt haben. Die meisten Theoretiker betrachten heute in den Aussagen der Quantenmechanik die Wahrscheinlichkeit als unmittelbar gegeben. Sie wird nicht durch die unvollst¨andige Kenntnis objektiv vorhandener Informationen eingef¨ uhrt. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff k¨onnte nicht durch die Zunahme oder Pr¨azisierung unseres Wissens aus der Theorie eliminiert werden. Unabh¨angig davon, ob dieser Standpunkt gerechtfertigt ist oder nicht, k¨onnen wir die Dynamik der Mikroobjekte mit Hilfe
1.2. DER STERN-GERLACH VERSUCH
13
der zu entwickelnden “statistischen” Theorie im Vergleich mit Experimenten extrem erfolgreich beschreiben. Man k¨onnte soweit gehen, die Quantenmechanik als die erfolgreichste aller Theorien der Physik zu bezeichnen. Die Quantenmechanik hat damit die Aufgabe, die f¨ ur jedes Experiment streng bestimmten Wahrscheinlichkeiten aus vorgegebenen Bedingungen zu berechnen. Wir werden parallel zum Formalismus die so genannte Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik verwenden. Sie fasst die statistischen Aussagen der Quantenmechanik zusammen. Als letzten Aspekt des Doppelspaltexperimentes betrachten wir die Frage was mit dem Interferenzmuster passiert, wenn man versucht mit einer zus¨atzlichen “Vorrichtung” zu bestimmen, durch welchen Spalt ein Elektron bzw. Photon hindurch getreten ist. Wie wir sp¨ater genauer untersuchen werden, f¨ uhrt eine solche “Lokalisierung” der Elektronen immer zum verschwinden des Interferenzbildes. Um Informationen u ¨ber das Verhalten von Mikroobjekten zu erhalten, muss man ihren Zustand zwangsl¨aufig st¨oren. Die in der klassischen Physik u ¨bliche Idealisierung, den Einfluss von Messapparaten beliebig klein machen zu k¨onnen, erweist sich in der “Mikrowelt” als unhaltbar.
1.2
Der Stern-Gerlach Versuch
Das Stern-Gerlach Experiment wurde zum ersten Mal 1921 ausgef¨ uhrt. Wie in ¨ Abbildung 1.8 dargestellt, treten aus einem Ofen durch eine kleine Offnung (ungeladene) Atome (im urspr¨ unglichen Experiment Silberatome) in ein angrenzendes Vakuum aus. Durch eine Blende tritt der Atomstrahl in ein in der Querrichtung (in der Skizze die z-Richtung; die Ausbreitungsrichtung des Strahls wird als die y-Richtung festgelegt) inhomogenes Magnetfeld ein, welches von geeigneten Polschuhen erzeugt wird. Man beobachtet nun folgendes: Wird das Magnetfeld eingeschaltet, so spaltet der Strahl (von Silberatomen) in zwei Strahlen (in etwa) gleicher Intensit¨at auf, die in entgegengesetzte Richtungen (entlang der z-Achse) abgelenkt werden, und die mit einem geeigneten Detektor nachgewiesen werden k¨onnen. In Abbildung 1.9 ist das Ergebnis eines entsprechenden Experimentes dargestellt. K¨onnen wir dieses Ergebnis mit Hilfe klassischer Methoden verstehen? Der klassischen Elektrodynamik folgend, hat ein Teilchen mit magnetischem Moment ~ mit einem Magnetfeld B. ~ Die resultierende µ ~ eine Wechselwirkungsenergie −~µ · B Kraft in z-Richtung betr¨agt damit ∂Bz ∂ ~ µ ~ · B ≈ µz , (1.2) Fz = ∂z ∂z wobei wir die Terme proportional zu ∂Bx(y) /∂z vernachl¨assigt haben.6 In der klassischen Beschreibung gehen wir davon aus, dass die Atome einer Trajektorie z Diese N¨ aherung rechtfertigt sich wie folgt: Bis auf Randeffekte gilt ∂B ∂y = 0 (die Form der ~ ×B ~ = 0 auch ∂By = 0. Aufgrund der Polschuhe h¨ angt nicht von y ab) und damit wegen ∇ ∂z
6
14
KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE
Abbildung 1.8: Schematischer Aufbau des Stern-Gerlach Versuchs.
folgen. Sp¨ater werden wir mit Hilfe der Heisenbergschen Unsch¨arferelation verstehen k¨onnen, dass f¨ ur das vorliegende Experiment auch unter Ber¨ ucksichtigung der Quantenmechanik die “N¨aherung” einer klassischen Trajektorie zul¨assig ist. Um die Ablenkung im Magnetfeld zu verstehen, nehmen wir an, dass die aus dem Ofen austretenden (Silber-) Atome ein magnetisches Moment µ ~ haben. Im Ofen sind die magnetischen Momente der einzelnen Atome statistisch verteilt, wobei hier statistisch im klassischen Sinne gemeint ist: Jedes Atom hat sein festes magnetisches Moment. Aufgrund unzureichender Information kennen wir dieses jedoch nicht. Also sollten im Strahl Atome mit µz > 0 und µz < 0 vorkommen und zwar mit einer kontinuierlichen Verteilung7 zwischen −|~µ| und |~µ|. Wir erwarten daher klassisch einen breiten Fleck und nicht zwei wie im Experiment. Unsere “klassische” Erwartung und die ihr widersprechende experimentelle Beobachtung sind noch einmal schematisch in Abbildung 1.10 dargestellt. Die Aufspaltung erfolgt symmetrisch um die Null herum, die durch die Position der Strahlmitte gegeben ist, d.h. µz = ±µ0 . Aus dem Abstand der beiden Flecken kann µ0 bestimmt werden, da die Magnetfeldst¨arke bekannt ist. Auch wenn wir bisher nicht verstehen k¨onnen, welche quantenmechanische Eigenschaft zur “Quantisierung” des magnetischen Moments, bzw. zu der Aufspaltung des Strahls f¨ uhrt, werden wir jetzt einige Gedankenexperimente mit Stern-Gerlach Apparaturen (SG-Apparaturen) ausf¨ uhren. Wir werden dabei “lernen” welche mathematischen Methoden wir zur Beschreibung des Experimentes und damit der noch unbekannten Eigenschaft des Atoms ben¨otigen. Schematisch ist die Aufspaltung in zwei Strahlen in Abbildung 1.11 dargestellt. Bei der Spezifikation der SG-Apparatur ist dabei zus¨atzlich angegeben, dass die Polschuhe des Magneten so ausgerichtet sind, dass die Ablenkung in ±~e3 -Richtung stattfindet. Wir werden folgend auch rotierte SG-Apparaturen betrachten, die entlang einer beliebigen Richtung gegeben durch den EinheitsGeometrie der Polschuhe h¨ angt Bz in dem Bereich, in dem die Teilchen durch das Magnetfeld x treten, nur schwach von der x-Koordinate ab und damit folgt analog wie oben ∂B ∂z ≈ 0. 7 Es gibt keinen “klassischen” Grund, warum die Verteilung aus zwei Maxima bestehen sollte.
1.2. DER STERN-GERLACH VERSUCH
15
Abbildung 1.9: Intensit¨atsverteilung in einem Stern-Gerlach Experiment (aus H. Kopfermann, Kernmomente). Die auf der durchgezogenen Linie liegenden Messpunkte sind ohne das Magnetfeld aufgenommen worden.
vektor ~n = sin θ cos ϕ ~e1 + sin θ sin ϕ ~e2 + cos θ ~e3 aufspalten. Dabei bezeichnet θ den Winkel zwischen ~n und ~e3 , sowie ϕ den in der ~e1 -~e2 -Ebene gelegenen Winkel zwischen ~n und ~e1 . 0 klassische Erwartung
exp. Ergebnis
Abbildung 1.10: Idealisierter Ausgang eines Stern-Gerlach Versuchs.
Ofen
SG, e3
e 3 ,+ e 3 ,−
Abbildung 1.11: Schema eines Stern-Gerlach Experiments. Zun¨achst stellen wir uns die Frage was passiert, wenn man zwei gleichartige SG-Apparaturen hintereinander aufstellt, wobei aber der “-” Strahl hinter der ersten blockiert wird (siehe Abbildung 1.12). Hinter der zweiten zeigt sich in diesem Fall nur ein Fleck (bzw. ein Strahl). Die gesamte Intensit¨at bleibt im oberen Strahl. Verwenden wir statt der zwei ~e3 SG-Apparate zwei ~n Apparate erhalten wir ein analoges Ergebnis mit einer Ablenkung in ~n-Richtung. Interessanter ist das in Abbildung 1.13 dargestellte Experiment, in dem der Atomstrahl zuerst auf einen ~e3 SG-Apparat trifft, hinter dem der ~e3 , − Strahl ab-
16
KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE Ofen
SG, e3
SG, e3
e 3 ,+ kein e 3,−
Abbildung 1.12: Schema zweier hintereinander ausgef¨ uhrter Stern-Gerlach Experimente.
Ofen
SG, e3
e 1 ,+
SG, e1
e 1 ,−
Abbildung 1.13: Analog zu Abbildung 1.12 aber mit einer verdrehten zweiten SG-Apparatur.
sorbiert wird. Der verbleibende ~e3 , + Strahl trifft dann auf einen ~e1 SG-Apparat. Aus diesem treten dann zwei ~e1 , ± Strahlen gleicher Intensit¨at aus. Bedeutet das, dass der ~e3 , + Strahl aus Atomen besteht, die zu 50% durch ~e1 , + und zu 50% durch ~e1 , − charakterisiert werden k¨onnen? Es wird sich herausstellen, dass diese Vorstellung in die Irre f¨ uhrt. Wir gehen einen Schritt weiter und betrachten den in Abbildung 1.14 skizzierten Aufbau. Er macht eine der u ¨berraschenden Eigenschaften der Quantenmechanik auf eindringliche Weise klar.8 Im Anschluss an den ~e1 SG-Apparat, wird der ~e1 , − Strahl absorbiert und der ~e1 , + Strahl durch einen ~e3 SG-Apparat geschickt. Experimentell beobachten wir hinter dem ~e3 SGApparat wieder zwei (!!) Strahlen mit jeweils halber Intensit¨at des ~e1 , + Strahls. ¨ Das ist eine große Uberraschung, falls wir unserem klassischen Konzept folgend annehmen w¨ urden, dass die Atome des ~e1 , + Strahls durch die Eigenschaft ~e3 , + und ~e1 , + charakterisiert sind. Aus einem nachfolgenden ~e3 SG-Apparat sollte also nur ein ~e3 , + Strahl austreten. Wie kommt es zur “Wiederbelebung” der ~e3 , − Komponente? Damit erweist sich das Modell nach dem die Atome, die in den dritten SG-Apparat eintreten durch die Eigenschaft ~e3 , + und ~e1 , + charakterisiert werden als unzul¨anglich. Ofen
SG, e3
SG, e1
SG, e3
e 3 ,+ e 3 ,−
Abbildung 1.14: Analog zu Abbildung 1.13 aber mit einer dritten SG-Apparatur.
Da Ihnen die gerade diskutierte Situation wahrscheinlich neu erscheint, ist es sinnvoll die Ihnen “bekanntere” Polarisation von Licht zu untersuchen. Beim 8
Diese Eigenschaft ist u ¨berraschend oder vielleicht sogar eigenartig, wenn man sie aus der Perspektive der klassischen Mechanik betrachtet. Am Ende dieser Vorlesung werde Effekte der hier diskutierten Art Sie nicht mehr u ¨berraschen.
1.2. DER STERN-GERLACH VERSUCH
17
Durchtritt von Licht durch eine Reihe von zu spezifizierenden Polarisatoren kommt es zu einem v¨ollig analogen Effekt. F¨ ur diesen Fall sind wir in der Lage den beobachteten Effekt durch eine kleine Rechnung zu best¨atigen. Wir betrachten dazu eine sich in y-Richtung ausbreitende, monochromatische, ebene Lichtwelle (alternativ ausgedr¨ uckt: einen Strahl von Photonen), die durch den Vektor des elektrischen Feldes9 ~ r, t) = E1 cos (ky − ωt + α1 ) ~e1 + E3 cos (ky − ωt + α3 ) ~e3 E(~
(1.3)
gegeben ist. Komplex geschrieben ergibt sich ~ r, t) = (E1~e1 + E3~e3 ) ei(ky−ωt) , E(~
(1.4)
~ r, t) ist dabei als der Realteil von mit E1 , E3 ∈ C.10 Das physikalische Feld E(~ ~ E(~r, t) gegeben. Die Polarisation der Lichtwelle (die Polarisation der Photonen) wird durch E1 und E3 festgelegt und kann durch einen Vektor in einem zweidimensionalen, komplexen Vektorraum beschrieben werden. Neben den reinen x- und z-polarisierten Wellen, sind Wellen mit beliebiger Linearkombination E1~e1 + E3~e3 m¨oglich (z.B. “45 grad” Polarisation, rechts- und links-zirkulare Polarisation). Wir haben dabei zur Charakterisierung der Polarisation die {~e1 , ~e3 } Basis in der Ebene senkrecht zur Ausbreitungrichtung verwendet, k¨onnten die Polarisation aber auch in jeder beliebigen anderen (orthonormalen) Basis der x-z-Ebene ausdr¨ ucken (siehe unten). Tritt eine durch E1~e1 +E3~e3 beschriebene Welle durch einen x-Polarisator, so ist das Feld nach dem Polarisator durch E1~e1 gegeben. Schicken wir es anschließend durch einen z-Polarisator, so tritt kein Licht aus diesem aus. Betrachten wir nun zus¨atzlich einen Polarisator, der in die x0 -Richtung polari0 siert, wobei ~e1 und ~e1 innerhalb der x-z-Ebene um den Winkel ϕ gegeneinander verdreht sind. Es gilt dann f¨ ur die entsprechenden Basisvektoren (Basiswechsel) 0
~e1 = cos ϕ ~e1 + sin ϕ ~e3 0 ~e3 = − sin ϕ ~e1 + cos ϕ ~e3
(1.5)
bzw. 0
0
~e1 = cos ϕ ~e1 − sin ϕ ~e3 0 0 ~e3 = sin ϕ ~e1 + cos ϕ ~e3 .
(1.6)
Wir f¨ uhren nun das folgende Experiment aus. Wir schicken die durch E1~e1 + E3~e3 charakterisierte Welle zun¨achst auf einen x-Polarisator. Die durchtretende Welle 0 0 ist durch E1~e1 = E1 cos ϕ ~e1 − E1 sin ϕ ~e3 beschrieben und besitzt keine Komponenten in z-Richtung. Wir schicken sie dann auf einen x0 -Polarisator. Nach diesem ~ 2ψ = Die Komponenten des Feldvektors erf¨ ullen die freie Wellengleichung ∇ ω = ck. 10 Da Ej = Ej eiαj haben die Ej eine Phase und einen Betrag. 9
2 1 ∂ ψ c2 ∂t2 ,
mit
18
KAPITEL 1. ZWEI (GEDANKEN-) EXPERIMENTE 0
erhalten wir eine durch E1 cos ϕ ~e1 = E1 cos2 ϕ ~e1 + E1 sin ϕ cos ϕ ~e3 beschriebene Welle, die f¨ ur ϕ 6= nπ/2 mit n ∈ Z, wieder eine z-Komponente besitzt. Diese Beobachtung ist v¨ollig analog zu der aus der SG-Apparatur Abbildung 1.14,11 wobei sie Ihnen im Fall der hintereinandergeschalteten Polarisatoren vielleicht weniger eigenartig erscheint. Um die Analogie klar herauszustellen identifizieren wir ~e3 , ± Atom ↔ x, z polarisiertes Licht ~e1 , ± Atom ↔ x0 , z 0 polarisiertes Licht (mit ϕ = π/4) . Entsprechend der gerade gef¨ uhrten Diskussion vermittelt ein Polarisator eine lineare Abbildung in einem zweidimensionalen komplexen Vektorraum. Die Analogie verdeutlicht, dass es sinnvoll erscheint auch dem Atom im SternGerlach Experiment eine durch einen zweidimensionalen komplexen Vektor beschriebene Eigenschaft (analog der Polarisation des Photons) zu zusprechen, deren physikalischer Ursprung uns aber zun¨achst weiter unklar bleibt. Bez¨ uglich der uns unbekannten Eigenschaft des Atoms ist dieses dann durch einen Vektor |ψi = a |~e3 , +i+b |~e3 , −i = a ˜ |~n, +i+ ˜b |~n, −i charakterisiert.12 Die SG-Apparatur mit einem geblockten Strahl vermittelt analog zum Polarisator eine lineare Abbildung in diesem Vektorraum. Komplexe Vektorr¨aume endlicher (und sp¨ater auch unendlicher) Dimension spielen in der Quantenmechanik eine wichtige Rolle. Bevor wir daher nocheinmal auf das Stern-Gerlach bzw. Polarisations-Experiment zur¨ uckkommen werden, wollen wir im folgenden Kapitel “zur Erinnerung” und um die gerade verwendete Ihnen wahrscheinlich unbekannte Notation (|. . .i) einzuf¨ uhren einige wichtige Eigenschaften komplexer endlichdimensionaler Vektorr¨aume rekapitulieren.
11
Die dort betrachtete Konstellation entspricht ϕ = π/4. Dieser Vektor beschreibt nur die uns bisher unbekannte physikalische Eigenschaft des Atoms, jedoch nicht den “Ort” und den “Impuls” des Atoms. 12
Kapitel 2 Der N -dimensionale unit¨ are Raum Aus Ihren Mathematik Vorlesungen sollten Ihnen die Begriffe reeller und komplexer, N -dimensionaler Vektorraum und Skalarprodukt bekannt sein. Daher werden wir uns hier nicht noch einmal mit der vollst¨andigen Axiomatik der Begriffe besch¨aftigen. Wir wollen nur einige wichtige Eigenschaften rekapitulieren und werden dabei die Ihnen wahrscheinlich unbekannte, in der Quantenmechanik h¨aufig genutzte Dirac-Schreibweise verwenden. Da in der Quantenmechanik komplexe Vektorr¨aume wichtig sind, werden wir uns mit diesen auseinandersetzen.
2.1
Grundlagen und die Dirac-Notation
Wir gehen davon aus, dass Ihnen die einen komplexer Vektorraum H definierenden Eigenschaften bekannt sind. Die Elemente des Vektorraums bezeichnen wir mit |ai, |bi, . . .. Verglichen mit der Ihnen aus der Mechanik bekannten Notation identifizieren wir also: |ai ↔ ~a, |bi ↔ ~b, . . . und “nennen” |ai einen “ket”-Vektor. Einen komplexen Vektorraum mit einem Skalarprodukt nennt man unit¨ar. Das Skalarprodukt muss die folgenden Eigenschaften erf¨ ullen: (1) ha |ai ≥ 0; Gleichheit, wenn |ai der Nullvektor ist (2) ha |bi = hb |ai∗ (3) sei |bi = λ |b1 i + µ |b2 i; λ, µ ∈ C; so folgt ha |bi = λ ha |b1 i + µ ha |b2 i (Linearit¨at im zweiten Argument) Die mehr traditionelle Schreibweise f¨ ur das Skalarprodukt ist ~a, ~b . Statt der runden Klammern verwenden wir spitze und statt des Kommas einen senkrechten Strich. Aus (2) und (3) folgt, dass das Skalarprodukt “antilinear” im ersten 19
¨ KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM
20 Argument ist:
hb |ai = ha |bi∗ = (λ ha |b1 i + µ ha |b2 i)∗ = λ∗ hb1 |ai + µ∗ hb2 |ai . Zwei Vektoren heißenporthogonal falls ha |bi = 0. Wegen (1) gilt ha |ai ∈ R und man kann || |ai || := ha |ai als die Norm (L¨ange) des Vektors definieren. Die Dimension des Vektorraums ist durch die maximale Zahl linearunabh¨angiger Vektoren gegeben. Einen Satz von N Basisvektoren {|e1 i , |e2 i , . . . , |eN i} bezeichnet man als Orthonormalbasis falls hei |ej i = δi,j . Bez¨ uglich einer gegebenen Basis, kann man jedes Element aus H als Linearkombination |ai =
N X
aj |ej i ,
aj ∈ C
j=1
schreiben. Aus dieser Zerlegung folgt ha |bi =
N X
a∗i bj
hei |ej i =
i,j=1
N X
a∗j bj .
j=1
Bisher haben wir dem zu |ai “umgekehrten” Objekt ha| noch keine eigene Bedeutung zugeschrieben, was wir in einem n¨achsten Schritt nachholen wollen. Dazu betrachten wir lineare Funktionen1 der Vektoren aus H. Wird durch ϕ jedem |ai ∈ H eindeutig eine Zahl ϕ (|ai) ∈ C zugeordnet, so heißt die Funktion ϕ linear, falls f¨ ur beliebige |ai , |bi ∈ H und λ, µ ∈ C gilt ϕ (λ |ai + µ |bi) = λϕ (|ai) + µϕ (|bi) . Die Funktion ϕ ist aufgrund der Linearit¨at durch Angabe ihrer Wirkung auf alle Basisvektoren {|e1 i , |e2 i , . . . , |eN i} eindeutig festgelegt. Sei ϕ (|ej i) = fj , PN PN fj ∈ C, so ergibt sich f¨ ur |ai = j=1 aj |ej i, ϕ (|ai) = j=1 aj fj . Wir betrachten als n¨achstes ein Beispiel f¨ ur lineare Funktionen. Sei eine orthonormaP le Basis {|e1 i , |e2 i , . . . , |eN i} gegeben und |ai = N a |e ur jedes j=1 j j i dann ist f¨ j = 1, 2, . . . , N durch {|ei i}
ϕj 1
(|ai) := aj
F¨ ur unendlich dimensionale Vektorr¨aume, die wir sp¨ater ben¨otigen werden, bezeichnet man die analogen “Funktionen” als Funktionale und verwendet daher allgemein beide Begriffe synonym.
2.1. GRUNDLAGEN UND DIE DIRAC-NOTATION
21
{|e i}
eine lineare Funktion auf H definiert. Es gilt ϕj i (|ek i) = δj,k . Seien ϕ und ψ zwei lineare Funktionen, so ist auch λϕ + µψ (λ, µ ∈ C) eine lineare Funktion. Damit wird die Gesamtheit aller linearen Funktionen auf H selbst zu einem Vek{|e i} torraum, den man den dualen Raum nennt und mit H∗ bezeichnet. Die ϕj i aus dem Beispiel bilden einen Basis in H∗ : Sei eine beliebige lineare Funktion ϕ, mit ϕ (|ej i) = fj gegeben. Es ist dann klar, dass die lineare Funktion PN {|ei i} dieselbe Wirkung auf alle Basisvektoren |ek i hat wie ϕ. Damit gilt j=1 fj ϕj PN {|ei i} ϕ = j=1 fj ϕj . Wir k¨onnen somit jede lineare Funktion aus H∗ eindeutig als {|e i}
{|e i}
Linearkombination der ϕj i , j = 1, 2, . . . , N , schreiben und die ϕj i bilden eine Basis in H∗ . Da die Basis N Elemente hat, hat der duale Raum H∗ dieselbe Dimension wie H. In einem n¨achsten Schritt wollen wir zeigen, wie man mit Hilfe des Skalarprodukts jedem ϕ ∈ H∗ eineindeutig ein Element aus H zuordnen kann. Wir betrachten dazu ! N X hej |ai = hej | ai |ei i i=1
=
N X
ai hej |ei i
i=1
= aj .
(2.1)
Das Skalarprodukt von |ej i mit |ai hat somit dieselbe Wirkung wie das Anwenden {|e i} von ϕj i auf |ai. Mit den obigen Resultaten l¨asst sich die Wirkung jedes ϕ = P PN {|ei i} ∗ auf ein beliebiges |ai mit Hilfe des Vektors |ϕi := N j=1 fj |ej i als j=1 fj ϕj Skalarprodukt schreiben ϕ (|ai) = hϕ |ai . Dabei treten in der Definition von |ϕi komplexkonjugierte Koeffizienten fj∗ auf, da das Skalarprodukt antilinear im ersten Argument ist. Wir schreiben nun die Vektoren aus H∗ , als hϕ| und bezeichnen sie als “bra”-Vektoren. Jede lineare Funktion l¨asst sich als Skalarprodukt mit einem geeigneten “bra”-Vektor schreiben. Zusammen mit dem “ket”-Vektor |ai (unter Weglassen eines der senkrechten Striche, was man immer dann macht, wenn zwei solcher Striche aufeinander treffen) ergibt sich so eine “bracket” hϕ |ai, was das englische Wort f¨ ur Klammer ist. Das erkl¨art die Bezeichnung der beiden Vektor-Typen. Die linearen Funk{|e i} tion ϕj i aus unserem Beispiel ist durch den “bra”-Vektor hej | gegeben. Die {he1 | , he2 | , . . . , heN |} bilden eine Basis in H∗ . Wir ordnen jetzt also jedem Vektor |ai aus H u ¨ber das Skalarprodukt ein Element ha| aus H∗ zu. Da das Skalarprodukt antilinear im ersten Argument ist, ist diese Zuordnung ebenfalls antilinear. Es gilt also X X |ai = λi |ai i ↔ ha| = λ∗i hai | . (2.2) i
i
¨ KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM
22
Wir betrachten in einem n¨achsten Schritt lineare Abbildungen A von H nach H. Eine lineare Selbstabbildung ist durch die Eigenschaft (|ai, |bi ∈ H; λ, µ ∈ C) A (λ |ai + µ |bi) = λA |ai + µA |bi definiert. Sei eine (nicht unbedingt orthonormale) Basis {|g1 i , |g2 i , . . . , |gN i} vorgegeben, dann ist der Operator A vollst¨andig durch die Angabe aller Koeffizienten von A |gj i, j = 1, 2, . . . , N festgelegt. Als Koeffizienten bezeichnen wir dabei die komplexen Zahlen, die sich aus dem Anwenden der zu |gi i, i = 1, 2, . . . , N geh¨orenden linearen Funktion ergeben: hgi | A |gj i. Man bezeichnet diese Gr¨oßen auch als Matrixelemente bez¨ uglich der Basis {|g1 i , |g2 i , . . . , |gN i}. Mit Hilfe der Rechenregeln f¨ ur das Skalarprodukt und der Linearit¨at von A zeigt man leicht, dass ha| A |bi linear im ket |bi ist. Damit kann man hc| := ha| A als Vektor in H∗ auffassen. Um festzustellen, welcher ket |ci ∈ H dem bra hc| ∈ H∗ zugeordnet ist, definieren wir den zu A adjungierten Operator A† durch hb| A† |ai := ha| A |bi∗
(2.3)
f¨ ur alle |ai, |bi ∈ H. Es gilt hb| A†
†
|ai = ha| A† |bi∗ = hb| A |ai
† und damit A† = A, da f¨ ur jede komplexe Zahl z = (z ∗ )∗ . Mit hc| := ha| A und der Eigenschaft (2) des Skalarprodukts ergibt sich hb| A† |ai = ha| A |bi∗ = hc| bi∗ = hb| ci und damit hc| = ha| A ↔ |ci = A† |ai ,
(2.4)
oder auch hc| = ha| A† ↔ |ci = A |ai . In Worten heißt das: Ein adjungierter Operator wirkt nach links (auf den braVektor) so wie der Operator selbst nach rechts. Betrachten wir ein einfaches Beispiel zur Definition des adjungierten Operators. A sei der Operator, der jedes |bi ∈ H auf A |bi = α |bi abbildet (α ∈ C). Gem¨aß Gl. (2.3) gilt dann hb| A† |ai = ha| A |bi∗ = (α ha| bi)∗ = α∗ hb| ai = hb| (α∗ |ai) und damit A† |ai = α∗ |ai, da |bi ein beliebiger Vektor aus H ist. Wir werden sp¨ater auf den Begriff des adjungierten Operators zur¨ uckkommen und ihn mit mehr Leben f¨ ullen.
2.1. GRUNDLAGEN UND DIE DIRAC-NOTATION
23
In konkreten Rechnungen, wird ein Vektor |ai meist bez¨ uglich einer orthonormalen Basis {|e1 i , |e2 i , . . . , |eN i} als (aj ∈ C) |ai =
N X
aj |ej i
j=1
ausgedr¨ uckt. Um Schreibarbeit zu sparen, bezeichnen wir die |ej i im Folgenden einfach als |ji. Nach Gl. (2.1) gilt aj = hj |ai und damit |ai =
N X
hj |ai |ji =
j=1
N X
|ji hj |ai .
j=1
P atsoperator 1 Aus dieser Beziehung lesen wir ab, dass N j=1 |ji hj| wie der Identit¨ (der |ai auf |ai abbildet) wirkt. Wir finden also2 1=
N X
|ji hj| .
(2.5)
j=1
Man bezeichnet diese Relation als Vollst¨andigkeitsrelation3 bzw. Zerlegung der Eins. Sie wird sich als extrem n¨ utzlich herausstellen. Ein einzelner Term Pj := |ji hj| aus der Summe Gl. (2.5) ist ein Beispiel f¨ ur einen Projektionsoperator. Angewandt auf ein |ai ∈ H liefert er die Projektion von |ai auf |ji4 Pj |ai = |ji hj |ai = aj |ji . Ausgedr¨ uckt durch die Pj lautet die Vollst¨andigkeitsrelation 1=
N X
Pj .
j=1
F¨ ur das Produkt zweier solcher Operatoren folgt Pi Pj = |ii hi| ji hj| = δi,j Pi . F¨ ur das Adjungierte von Pj ergibt sich gem¨aß Gl. (2.3) hb| P†j |ai = ha| Pj |bi∗ = (ha| ji hj |bi)∗ = ha| ji∗ hj |bi∗ = hj| ai hb |ji = hb |ji hj| ai = hb| Pj |ai , 2
Beim Auseinanderziehen, ersetzen wir | → ||. Die Bedeutung dieses Begriffs wird erst im Fall unendlichdimensionaler Vektorr¨aume vollst¨ andig klar werden. 4 Wir ersetzen dabei wieder zwei aufeinandertreffende | durch einen. 3
24
¨ KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM
also P†j = Pj . Die Eigenschaft A† = A definiert eine Klasse von Operatoren, die man selbstadjungierte Operatoren nennt. Die obigen Projektionsoperatoren sind also selbstadjungiert. Selbstadjungierte Operatoren sind in der Quantenmechanik von zentraler Bedeutung und wir werden noch in diesem Kapitel genauer auf ihre Eigenschaften eingehen. Die Vollst¨andigkeitsrelation Gl. (2.5) ist hilfreich um zu sehen, wie der abstrakte Operator A bez¨ uglich einer festen Orthonormalbasis durch seine Matrixelemente festgelegt ist (bzw. dargestellt wird)
A = 1A1 =
N X
|ii hi| A |ji hj| .
i,j=1
Je nach Wahl der Basis, wird der Operator A durch eine andere N × N -Matrix A mit Matrixelementen Ai,j := hi| A |ji dargestellt. Bez¨ uglich einer festen Basis schreiben wir . A=
h1| A |1i h1| A |2i h2| A |1i h2| A |2i ... ... · · · · · · ... ... hN | A |1i hN | A |2i
. . . h1| A |N i . . . h2| A |N i ... ... · · · · · · ... ... . . . hN | A |N i
,
. wobei das Symbol = als “wird dargestellt durch” zu lesen ist. Um deutlich zu machen, dass die Matrixdarstellung von der gew¨ahlten Basis abh¨angt, betrachten wir als Beispiel den Projektionsoperator P1 = |1i h1|. Bez¨ uglich der Orthonormalbasis {|ji} gilt . P1 =
1 0 ... 0 0 0 ... 0 ... ... ... ... · · · · . · · · · · · · · ... ... ... ... 0 0 ... 0
2.1. GRUNDLAGEN UND DIE DIRAC-NOTATION In einer anderen Orthonormalbasis ˜j gilt dagegen ˜i h˜1|1ih1|˜1i h˜1|1ih1|˜2i . . . h˜1|1ih1|N h˜2|1ih1|˜1i h˜2|1ih1|˜2i . . . h˜2|1ih1|N ˜i ... ... ... ... · · · · . P1 = · · · · · · · · ... ... ... ... ˜ |1ih1|˜1i hN ˜ |1ih1|˜2i . . . hN ˜ |1ih1|N ˜i hN
25
.
Beide Matrizen unterscheiden sich offensichtlicherweise. Die Komponente des Vektors A |ai in die “Richtung” von |ii l¨asst sich mit Hilfe von Gl. (2.5) durch hi| A |ai = hi| A1 |ai =
N X
hi| A |ji hj| ai
j=1
ausdr¨ ucken. Stellen wir nun die Komponenten hj| ai bez¨ uglich der Basis {|ji} als Spaltenvektor dar h1 |ai h2 |ai ... · . , |ai = · · ... hN |ai so ergibt sich die u ¨bliche Rechenregel zur Multiplikation eines Vektors mit einer Matrix. F¨ ur die Matrixelemente des Produktes zweier Operatoren A und B folgt analog die u ¨bliche Rechenregel der Matrizenrechnung hi| AB |ji = hi| A1B |ji =
N X
hi| A |ki hk| B |ji .
k=1
Nach Einschieben einer 1 folgt f¨ ur das Skalarprodukt hb| ai =
N X
hb| ji hj| ai ,
j=1
woraus man sofort erkennt, dass ein bra-Vektor hb| im “Matrixformalismus” durch einen Zeilenvektor . hb| = (hb| 1i , hb| 1i , . . . , hb| N i)
¨ KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM
26
dargestellt wird. So ergeben sich die ihnen bekannten Rechenregeln des Skalarprodukts. Wir betrachten als n¨achstes die Matrixelemente eines selbstadjungierten Operators A† = A .
(2.6)
Nach Gl. (2.3) gilt f¨ ur solche (|ai, |bi ∈ H) hb| A |ai = hb| A† |ai = ha| A |bi∗ und damit bez¨ uglich einer Orthonormalbasis {|ji} Ai,j = hi| A |ji = hj| A |ii∗ = A∗j,i , d.h. selbstadjungierte Operatoren werden durch hermitesche Matrizen dargestellt. In der Quantenmechanik sind selbstadjungierte Operatoren von zentraler Bedeutung, da physikalische Observable (Energie, Ort, Impuls, Drehimpuls,. . . ) durch solche Operatoren beschrieben werden. M¨ogliche experimentelle Messgr¨oßen sind die Eigenwerte dieser Operatoren. Wir betrachten daher das Eigenwertproblem eines zun¨achst nicht notwendigerweise selbstadjungierten Operators A. Der Vektor |aν i ∈ H, wobei |aν i ungleich dem Nullvektor ist, heißt Eigenvektor (auch Eigenzustand) zu A mit Eigenwert λν ∈ C falls5 A |aν i = λν |aν i .
(2.7)
Zur Berechnung der |aν i und λν w¨ahlt man eine spezielle Orthonormalbasis {|ji}. F¨ ur alle hi| muss dann gelten hi| (A − λν 1) |aν i = 0 und damit nach Einschieben einer 1 N X
(hi| A |ji − δi,j λν ) hj| aν i = 0 .
j=1
Die Eigenwerte λν folgen daher, wie Ihnen bekannt sein sollte, aus der Gleichung det (A − λν 1) = 0 , wobei die Matrix A die Darstellung des Operators A bez¨ uglich der vorgegebenen Basis ist und 1 die Einheitsmatrix (die zum Operator 1 geh¨ort). Da PN (λ) = det (A − λ 1) ein Polynom N -ten Grades ist, hat es N Nullstellen, d.h. es gibt N Eigenwerte (M -fache Nullstellen, werden M -fach gez¨ahlt). Man nennt PN (λ) das charakteristische Polynom. 5
Ist |aν i Eigenvektor zum Eigenwert λν , so ist auch |˜ aν i := µ |aν i, mit µ ∈ C Eigenvektor zum Eigenwert λν : A |˜ aν i = Aµ |aν i = µA |aν i = λν µ |aν i = λν |˜ aν i.
2.1. GRUNDLAGEN UND DIE DIRAC-NOTATION
27
Sei nun A wieder ein selbstadjungierter Operator. Aus A |aν i = λν |aν i folgt dann mit Gln. (2.2) und (2.4), dass haν | A = λ∗ν haν | = haν | λ∗ν . Multiplizieren wir diese Gleichung von rechts mit dem Eigenvektor |aµ i zum Eigenwert λµ und beachten, dass haν | A |aµ i = λµ haν | aµ i, so folgt (λµ − λ∗ν ) haν | aµ i = 0 . F¨ ur µ = ν ergibt sich wegen haν | aν i > 0 λν = λ∗ν , d.h. die Eigenwerte eines selbstadjungierten Operators sind reell. F¨ ur λµ 6= λν folgt haν | aµ i = 0 . Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten sind orthogonal. Betrachten wir jetzt zun¨achst den Fall, dass alle N Eigenwerte verschieden sind, d.h. keiner der Eigenwerte entartet ist. Wir k¨onnen die zugeh¨origen paarweise orthogonalen Eigenvektoren dann normieren, so dass die normierten |aν i eine orthonormale Basis bilden. Damit gilt dann die Zerlegung der Eins 1=
N X
|aν i haν | .
ν=1
Durch Anwenden von A auf beiden Seiten der Gleichung folgt A=
N X ν=1
A |aν i haν | =
N X
λν |aν i haν | .
(2.8)
ν=1
Ein selbstadjungierter Operator mit N verschiedenen Eigenwerten l¨asst sich als Summe von mit dem Eigenwert multiplizierten Projektoren auf die Eigenvektoren schreiben. Man nennt diese Schreibweise die Spektraldarstellung des Operators. Wie wir folgend sehen werden, gilt sie auch im Fall entarteter Eigenwerte. Bez¨ uglich der {|aν i} Basis, wird A durch die Matrix λ1 0 . . . 0 0 λ2 . . . 0 ... ... ... ... · · · · . A= · · · · · · · · ... ... ... ... 0 0 . . . λN
¨ KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM
28
dargestellt. Analysieren wir jetzt die Situation, in der entartete Eigenwerte vorliegen. Sei also z.B. |a1 i Eigenvektor zum M > 1-fach entarteten Eigenwert λ1 , d.h. das charakteristische Polynom PN (λ) hat eine M -fache Nullstelle λ1 . Das orthogonal Komplement H1 zu |a1 i, d.h. die Menge der Vektoren |bi mit ha1 |bi = 0 bildet einen N − 1-dimensionalen Unterraum zu H. F¨ ur Vektoren aus H1 gilt ha1 | A |bi = λ∗1 ha1 | bi = 0. Damit ist A |bi ∈ H1 und A bildet einen selbstadjungierten Operator auf H1 . A eingeschr¨ankt auf H1 bezeichnen wir mit A1 . Nach Voraussetzung hat nun auch A1 mindestens einen Eigenwert λ1 . Daher gibt es einen zu |a1 i orthogonalen Eigenvektor |a2 i zum Eigenwert λ1 . Diese Konstruktion kann man nun beliebig fortsetzen. Es zeigt sich also, dass sowohl die Spektraldarstellung Gl. (2.8) als auch die Zerlegung der Eins f¨ ur alle selbstadjungierten Operatoren m¨oglich sind. Als letzten speziellen Typ von Operatoren betrachten wir hier noch unit¨are Operatoren U. F¨ ur diese gilt, dass sie das Skalarprodukt erhalten (|ai, |bi ∈ H) ha| U† U |bi = ha| bi , d.h., dass das adjungierte des Operators mit dem Inversen U−1 u ¨bereinstimmt U† U = 1 = U−1 U .
2.2
(2.9)
Fortgeschrittene Konzepte
Nach dieser mathematischen Auffrischung und der Einf¨ uhrung der Dirac-Notation, wollen wir, bevor wir zur Physik zur¨ uckkehren, noch vier f¨ ur Sie wahrscheinlich neue mathematische Konzepte diskutieren. Den Begriff des Kommutators zweier Operatoren (zweier Matrizen) haben ¨ Sie bereits in den Ubungen kennengelernt. Allgemein ist der Kommutator zweier Operatoren A und B durch [A, B] := AB − BA
(2.10)
gegeben und bildet daher selbst einen Operator. Kommutatoren spielen in der Quantenmechanik eine zentrale Rolle, z.B. in der Heisenbergschen Unsch¨arferelation, die wir im n¨achsten Kapitel ableiten werden, und von der Sie sicherlich schon einmal geh¨ort haben. ¨ Mit Funktionen von Operatoren sind Sie in den Ubungsaufgaben in Kontakt gekommen. Wir wollen dieses Konzept etwas allgemeiner untersuchen. Betrachten wir dazu eine Funktion f einer komplexen Variablen z. Wir werden uns dabei auf Funktionen beschr¨anken, die in einer Potenzreihe entwickelbar sind6 f (z) =
∞ X
an z n .
n=0 6¨
Uber Konvergenzradien machen wir uns zun¨achst keine Gedanken.
2.2. FORTGESCHRITTENE KONZEPTE
29
Sein A nun ein Operator auf einem N -dimensionalen unit¨aren Raum. Die operatorwertige Funktion f (A) definieren wir dann als f (A) :=
∞ X
an A n ,
n=0
wobei An das n-fache Hintereinanderausf¨ uhren des Operators A bezeichnet und 0 A = 1 gilt. Wie im Fall der Funktionen von komplexen Zahlen, verwenden wir ur die “bekannten” Potenzreihen, wie z.B. die Exponentialreihe f (z) = P∞ f¨ n z n=0 z /n! = exp (z) = e , die “bekannten” Bezeichnungen. Wie schreiben also z.B. f (A) =
∞ X An n=0
n!
= exp (A) = eA .
¨ Wie Sie in einer Ubungsaufgabe bereits exemplarisch gesehen haben, gilt es beim Umgang mit solchen operatorwertigen Potenzreihen zu beachten, dass zwei Operatoren, im Gegensatz zu komplexen Zahlen, im Allgemeinen nicht kommutieren. Nehmen wir an, dass der Operator A von einem Parameter p abh¨angt. Wir definieren dann die Differentation des Operators nach diesem Parameter durch dA(p) A(p + ∆p) − A(p) := lim . ∆p→0 dp ∆p Wir betrachten das wichtige Beispiel, dass A(p) := epB , mit einem Operator B ¨ gegeben ist. Uber die Potenzreihendarstellung von A(p) ist es leicht zu sehen, dass dA(p) = BepB = epB B = BA(p) = A(p)B dp gilt. Wir wollen nun die Frage stellen, ob man f¨ ur zwei kommutierende, selbstadjungierte Operatoren A und B mit [A, B] = 0 immer ein System von gemeinsamen Eigenvektoren finden kann.7 Betrachten wir dazu zun¨achst das Problem, dass zumindest einer der Operatoren keine entarteten Eigenwerte besitzt. Nehmen wir an, es sei der Operator A. Wir k¨onnen dann die Eigenvektoren zu A eindeutig durch |aj i mit dem Eigenwert aj bezeichnen.8 Wir betrachten dann BA |aj i = Baj |aj i = aj B |aj i . 7
Beachten Sie die etwas unsaubere Schreibweise, in der 0 den Nulloperator, der alle Elemente des Vektorraums auf den Nullvektor abbildet, bezeichnet 8 Beachten Sie, dass das im Fall von Entartung nicht geht. Sei der Eigenwert aj M > 1-fach entartet, dann bilden die m¨ oglichen Eigenvektoren zu aj einen M -dimensionalen Unterraum.
¨ KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM
30
Da [A, B] = 0 ergibt sich aus dieser Gleichung AB |aj i = aj B |aj i . Damit ist B |aj i ein Eigenvektor von A zum Eigenwert aj . Da der Eigenvektor zu aj aber nach Voraussetzung bis auf einen immer freien Vorfaktor eindeutig ist, folgt B |aj i = bj |aj i , so dass |aj i auch Eigenvektor zu B ist. Den Eigenwert bezeichnen wir mit bj .9 ¨ Da diese Uberlegung f¨ ur jedes j = 1, 2, . . . , N gilt, bilden die |aj i ein System von gemeinsamen Eigenvektoren. Wir k¨onnen also
A =
N X
aj |aj i haj | ,
j=1
B =
N X
bj |aj i haj | ,
j=1
1 =
N X
|aj i haj |
j=1
schreiben. Analysieren wir als n¨achstes den Fall, dass beide Operatoren entartete Eigenwerte haben. Wir betrachten zun¨achst wieder das Eigenwertproblem des Operators A. Sei Mj ∈ N der Entartungsgrad des Eigenwertes aj . Zu jedem der n < N verschiedenen Eigenwerte aj , j = 1, 2, . . . , n, gibt es einen Mj dimensionalen Unterraum Hj , der aus Eigenvektoren zum Eigenwert aj besteht. Wie wir in der Diskussion im Anschluss an Gl. (2.8) gelernt haben, k¨onnen wir eine orthonormale Basis von Eigenvektoren konstruieren. Diese bezeichnen wir mit |aj , mj i, wobei mj = 1, 2, . . . , Mj gilt. Es gilt dann die Spektraldarstellung
A=
Mj n X X
aj |aj , mj i haj , mj | .
j=1 mj =1
9
Nur wenn auch die Eigenwerte von B nicht entartet sind, sind alle bj verschieden.
2.2. FORTGESCHRITTENE KONZEPTE In der {|aj , mj i} Basis ergibt sich die a1 0 0 . . . 0 a1 . . . . . . 0 ... ... ... ... ... ... ... . . . . . . . . . a1 . A= ... ... ... ... · · · · · · · · · · · · 0 0 0 ...
31
Matrixdarstellung ... ... ... ... ... a2 · · · ...
... ... ... ... ... ... · · · ...
... ... ... ... ... ... · · · ...
... ... ... ... ... ... · · · ...
0 0 0 ... ... ... · · · an
.
Wir wollen nun die Wirkung von B auf die |aj , mj i untersuchen. Dazu betrachten wir AB |aj , mj i = BA |aj , mj i = aj B |aj , mj i . Damit liegt B |aj , mj i im Unterraum Hj zum Eigenwert aj . Da Vektoren aus Unterr¨aumen zu unterschiedlichen Eigenwerten orthogonal sind, folgt f¨ ur j 6= k hak , mk | B |aj , mj i = 0 . In der {|aj , mj i} Basis hat B somit eine blockdiagonale Struktur B1 0 . . . 0 . 0 B2 . . . 0 , B= · · · · 0 0 . . . Bn mit Mj × Mj -Matrizen Bj . Da B selbstadjungiert ist, stellt Bj in jedem der n Unterr¨aume Hj einen selbstadjungierten Operator Bj dar. Damit gibt es eine neue Basis in Hj die aus Eigenvektoren zu Bj gebildet wird. Gehen wir f¨ ur jedes j = 1, 2, . . . , n von der Basis {|aj , 1i , |aj , 2i , . . . , |aj , Mj i} von Hj zu dieser neuen Basis u ¨ber, so sind die Darstellungen von A und B in dieser Basis Diagonalmatrizen. Es ist wichtig zu beachten, dass die Darstellungen von A in der neuen Basis eine Diagonalmatrix bleibt, da die diagonale Struktur unabh¨angig von der Wahl der Basis im Unterraum Hj ist. Hat Bj im Unterraum Hj keine entarteten Eigenwerte, so ist die neue Basis eindeutig gegeben. Man kann die neue Basis dann eindeutig durch die Angabe der Eigenwerte aj zu A und bk zu B als |aj , bk i bezeichnen. In diesem Fall ergeben sich die Spektraldarstellungen XX A = aj |aj , bk i haj , bk | , j
B =
k
XX j
k
bk |aj , bk i haj , bk |
32
¨ KAPITEL 2. DER N -DIMENSIONALE UNITARE RAUM
und die Zerlegung der Eins 1 =
XX j
|aj , bk i haj , bk | .
k
Hat Bj im Unterraum Hj dagegen entartete Eigenwerte, so ergibt sich ein zumindest zweidimensionaler Unterraum Hj,k von Vektoren, die gleichzeitig Eigenvektoren zu A mit Eigenwert aj und B mit Eigenwert bk sind. In diesem Fall ziehen wir einen dritten selbstadjungierten Operator C hinzu, der [A, C] = [B, C] = 0 erf¨ ullt. Wir konstruieren dann wie oben eine Basis in Hj,k aus Eigenvektoren zu C mit Eigenwerten cl . Sind diese in Hj,k nicht entartet, so beschreibt {|aj , bk , cl i} eindeutig eine Basis aus Eigenvektoren zu allen drei Operatoren und es gilt XXX A = aj |aj , bk , cl i haj , bk , cl | , j
B =
j
C =
l
k
k
k
cl |aj , bk , cl i haj , bk , cl | ,
l
XXX j
bk |aj , bk , cl i haj , bk , cl | ,
l
XXX j
1 =
k
XXX
|aj , bk , cl i haj , bk , cl | .
l
Reicht auch der dritte selbstadjungierte Operator zur eindeutigen Charakterisierung der Basis aus Eigenvektoren nicht aus, so ziehen wir entsprechend weitere selbstadjungierte Operatoren hinzu. Ein Satz von selbstadjungierten, paarweise kommutierenden Operatoren {A, B, C, . . .}, der eine gemeinsame Basis aus Eigenvektoren {|aj , bk , cl , . . .i} eindeutig festlegt, heißt “vollst¨andiger Satz vertauschbarer (kommutierender) Operatoren”. Solche Systeme von Operatoren spielen in der Quantenmechanik eine wichtige Rolle. Mit ihrer Hilfe gelingt es ¨ physikalische Systeme eindeutig zu charakterisieren. In einer der in den Ubungen diskutierten Situationen sind die Eigenwerte der Matrix A f¨ ur t 6= 0 nicht entartet. Da A und B hermitesche Matrizen sind und [A, B] = 0, sind die Eigenvektoren von A (f¨ ur t 6= 0) auch Eigenvektoren von B.
Kapitel 3 Nochmal die (Gedanken-)Experimente Wir wollen nun den gerade rekapitulierten Formalismus dazu nutzen, die Durchgangswahrscheinlichkeiten von Photonen durch Polarisatoren bzw. von (Silber-) Atomen durch SG-Apparaturen auf elegante Weise zu berechnen.
3.1
Wahrscheinlichkeiten, Messwerte und Operatoren
Betrachten wir dazu zun¨achst nocheinmal die Polarisatoren aus Kapitel 1.2. Bisher haben wir bei der Beschreibung prim¨ar die “Wellensprache” benutzt. Gehen wir nun zu der “Photonensprache” u ¨ber, so beschreiben wir den Polarisationszustand eines Photons durch einen ket |ψi in einem zweidimensionalen unit¨aren Raum. Die einfallende ebene Welle entspricht einem Strahl identisch pr¨aparierter Photonen (alle sind im Zustand |ψi). Die Basisvektoren des “Wellenbildes” ~e1 und ~e3 ersetzen wir durch ket’s |1i bzw. |3i mit h1 |1i = h3 |3i = 1 h1 |3i = 0 . Ein x- bzw. z-polarisiertes Photon ist dann durch den auf 1 normierten1 Vektor |ψi = |1i bzw. |ψi = |3i beschrieben. Ein beliebig polarisiertes Photon beschreiben wir durch den ebenfalls normierten Zustand |ψi = ψ1 |1i + ψ3 |3i, mit ψ1 , ψ3 ∈ C und |hψ |ψi|2 = 1, d.h. |ψ1 |2 +|ψ3 |2 = 1. Da, wie im Kapitel 1.2 diskutiert, die Welle durch E1~e1 + E3~e3 beschrieben wird, muss ψi = cEi , i = 1, 3; c ∈ C −1/2 gelten. Die Normiertheit bedingt dann |c| = (|E1 |2 + |E3 |2 ) . Bis auf einem Faktor eiφ mit der Phase φ ∈ R ist c damit eindeutig festgelegt. Der Wert der 1
Im Folgenden werden wir mit “normiert” immer auf 1 normiert meinen.
33
34
KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE
Phase spielt hier keine Rolle und wir w¨ahlen daher φ = 0.2 Damit gilt E1 E3 |ψi = ψ1 |1i + ψ3 |3i = p |1i + p |3i 2 2 |E1 | + |E3 | |E1 |2 + |E3 |2 ¨ Aus Uberlegungen zur Energiedichte ergibt sich f¨ ur eine durch E1~e1 + E3~e3 beschriebene Lichtwelle nach einem x- bzw. z-Polarisator, dass der Bruchteil |E1/3 |2 /(|E1 |2 + |E3 |2 ) der Energie wieder austritt. Im Photonenbild l¨asst sich diese Beobachtung wie folgt interpretieren: Die Wahrscheinlichkeit wx (|ψi) bzw. wz (|ψi), dass ein durch den Vektor (Zustand) |ψi beschriebenes Photon durch den x- bzw. z-Polarisator durchtritt, ist durch |ψ1/3 |2 = |E1/3 |2 /(|E1 |2 + |E3 |2 ) gegeben. Die Wahrscheinlichkeit ist hier u ¨ber die relative H¨aufigkeit bei wiederholter Ausf¨ uhrung desselben Durchgangsexperiment im Limes “unendlicher Wiederholung” definiert. F¨ ur einen Strahl von sehr vielen identisch pr¨aparierten Photonen (jedes f¨ ur sich durch den Vektor |ψi beschrieben) heißt das, dass ein Bruchteil |ψ1/3 |2 einen x- bzw. z-Polarisator durchtritt. Formal l¨asst sich die Durchgangswahrscheinlichkeit durch wx (|ψi) = |h1 |ψi|2
,
wz (|ψi) = |h3 |ψi|2
bestimmen. Das Skalarprodukt hi |ψi, i = 1, 3 bezeichnet man als Wahrscheinlichkeitsamplitude. Betrachten wir zu diesem Formalismus ein Beispiel. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein in x0 -Richtung (die durch Gl. (1.5) festgelegt wird) linear polarisiertes Photon durch einen x-Polarisator tritt? Der Zustand des x0 polarisierten Photons ist nach Gl. (1.5) durch3 |ψi = |10 i = cos ϕ |1i + sin ϕ |3i gegeben. F¨ ur die Durchgangswahrscheinlichkeit ergibt sich somit 2
wx (|10 i) = |h1 |10 i| = cos2 ϕ . ¨ In den Ubungen werden Sie weitere Beispiele dieser Art rechnen. Wir k¨onnen mit Hilfe dieses Formalismus die Wahrscheinlichkeit |hP |ψi|2 angeben, dass ein sich im normierten Polarisationszustand |ψi befindliches Photon4 einen durch die Angabe des normierten Zustandes |P i festgelegten Polarisator durchtritt.5 Hinter dem Polarisator befindet sich das Photon dann (wenn 2
Eine analoge Freiheit der Phase wird uns noch h¨aufiger begegnen. Neben |1i und |3i bilden z.B. auch die Vektoren |10 i und |30 i, die linear in x0 bzw. z 0 polarisierten Photonen entsprechen eine Orthonormalbasis. 4 Zur Erinnerung: Wir konzentrieren uns bei der Beschreibung des Photons immer noch ausschließlich auf die Polarisation. Andere Eigenschaften des Teilchens (Ort, Impuls, . . . ) werden nicht mit angegeben. 5 Die Charakterisierung des Polarisators durch |P i bedeutet, dass im Zustand |ψi = |P i pr¨ aparierte Photonen den Polarisator mit Wahrscheinlichkeit 1 durchlaufen. 3
3.1. WAHRSCHEINLICHKEITEN, MESSWERTE UND OPERATOREN
35
es durchgegangen ist) im (normierten) Zustand |ψ 0 i = |P i, denn wir wissen ja, dass es einen nachfolgenden durch das gleiche |P i beschriebenen Polarisator mit ¨ Wahrscheinlichkeit 1 durchlaufen w¨ urde.6 Der Ausdruck f¨ ur die “Ubergangswahr2 scheinlichkeit” |h. . . |. . .i| wird sich als eines der zentralen Postulate der Quantenmechanik herausstellen. Wie im Fall der Beugung am Doppelspalt k¨onnen wir erneut nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage u ¨ber den Ausgang eines Experimentes treffen und das, obwohl uns der Anfangspolarisationszustand |ψi des Photons bekannt war. Wir k¨onnen hier bereits verstehen, welche Eigenschaft im Fall der Polarisation von Photonen (der Polarisation einer Lichtwelle) zu diesem statistischen Verhalten f¨ uhrt. Die Lichtwelle wird durch einen zweidimensionalen Polarisationsvektor beschrieben. Das heißt, dass die Welle sich allgemein in einem Polarisationszustand befindet, der durch eine Linearkombination der zwei Basisvektoren beschrieben wird. In der “Teilchensprache” wird eine Lichtwelle durch einen Strahl identisch pr¨aparierter Photonen gebildet. Um die Polarisationsexperimente in der “Teilchensprache” erkl¨aren zu k¨onnen, muss sich somit jedes individuelle Photon in einem Zustand befinden, der eine Linearkombination ist.7 In der {|1i , |3i} Basis heißt das, dass ein durch den eindeutig festgelegten Zustand8 |ψi = ψ1 |1i + ψ3 |3i beschriebenes Photon weder x noch z polarisiert ist. Diese Eigenschaft l¨auft unserer Erfahrung mit klassischen Teilchen v¨ollig zuwider. Wir kommen nun auf das Stern-Gerlach Experiment zur¨ uck. Unserer Einsicht aus Kapitel 1.2 folgend, ordnen wir dem (Silber-)Atom eine innere Eigenschaft zu (analog der Polarisation), die durch einen zweidimensionalen Vektor beschrieben wird und ein magnetisches Moment µ ~ bedingt. Wir ersetzen also |1i → |~e3 , +i und |3i → |~e3 , −i, bzw. allgemein |10 i → |~n, +i und |30 i → |~n, −i, mit einem Einheitsvektor ~n, der die Richtung der Strahlaufspaltung im Stern-Gerlach Experiment festlegt. Bez¨ uglich der uns unbekannten Eigenschaft wird das Atom dann durch einen normierten Zustand |ψi = ψ+ |~n, +i + ψ− |~n, −i mit ψ± ∈ C ~ und |ψ+ |2 + |ψ− |2 = 1 beschrieben. Das Experiment zeigt, dass die Energie −~µ · B ~ = B~n nur zwei diskrete Werte ∓µ0 B annehmen kann. Wir werim Magnetfeld B den jetzt versuchen, die Energieaufspaltung mit Hilfe eines linearen Operators auf dem zweidimensionalen unit¨aren Raum zu beschreiben, der auf |ψi wirkt. Da ~ weiterhin klassisch beschrieben werden soll, muss das, dabei das Magnetfeld B das Atom charakterisierende magnetische Moment µ ~ zu einem Operator werden. ¨ Beachten Sie, dass es sich bei den Apparaturen in einigen der Ubungsaufgaben nicht um Polarisatoren in diesem Sinne handelt. Durch Polarisatoren im obigen Sinne wird eine spezifische ¨ Polarisation gemessen, was in den Apparaturen aus gewissen Ubungsaufgaben nicht geschieht. 7 Wir haben hier nat¨ urlich nicht “bewiesen”, dass es zur Erkl¨arung der Polarisationsexperimente in der “Teilchensprache” “nur” diese M¨oglichkeit der Beschreibung gibt. 8 Wir wollen nocheinmal betonen, dass die Tatsache, dass wir nur Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen k¨ onnen, nichts damit zu tun hat, dass wir, wie in der statistischen Mechanik, die relevante Eigenschaft des Teilchens aufgrund ungen¨ ugender Informationen nicht genau kennen. Durch die Angabe von |ψi sind die im betrachteten Experiment relevanten Eigenschaften des Photons eindeutig festgelegt. 6
36
KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE
Genauer heißt das, dass die Komponenten µi des dreidimensionalen Vektors µ ~ zu 9 Operatoren werden m¨ ussen. Bevor wir diese Operatoren explizit konstruieren, spalten wir den Faktor µ0 ab: µ ~ = µ0~σ . Die Energie im Stern-Gerlach Experiment wird damit durch den Operator H := −µ0 B(σ1 n1 + σ2 n2 + σ3 n3 ) =: −µ0 Bσ~n
(3.1)
beschrieben. In Anlehnung an die, die Energie eines klassischen Teilchens beschreibende Hamiltonfunktion nennt man diesen Operator den Hamiltonoperator H. Die Operatoren σi auf dem zweidimensionalen Zustandsraum m¨ ussen wir noch genauer spezifizieren. Als einen Schritt hin zu einer Charakterisierung fordern wir, dass die Basiszust¨ande |~n, ±i Eigenzust¨ande zu σ~n = σ1 n1 +σ2 n2 +σ3 n3 mit Eigenwert ±1 sind σ~n |~n, ±i = ± |~n, ±i . Speziell gilt σi |~ei , ±i = ± |~ei , ±i. Damit folgt H |~n, ±i = ∓µ0 B |~n, ±i und es ergibt sich die “Quantisierung” der Energie, wie sie sich in der Aufspaltung des Atomstrahls manifestiert. Die m¨oglichen Messwerte der Energie ∓µ0 B im Stern-Gerlach Experiment sind durch die Eigenwerte des Hamiltonoperators gegeben. Messen wir f¨ ur ein Atom (in einem stark verd¨ unnten Strahl) die Energie −µ0 B, d.h. befindet sich das Atom hinter der SG-Apparatur im oberen Strahl, so ist es nach der Energiemessung (dem Durchgang durch die Apparatur) durch den Zustand |ψi = |~n, +i beschrieben. Letzteres wird dadurch offensichtlich, dass wir bei einer sofort nach der ersten Energiemessung erfolgenden zweiten Messung mit Sicherheit −µ0 B messen. Gleiches gilt bei der Messung von µ0 B f¨ ur den Zustand |~n, −i. Die Spektraldarstellung des Operators σ~n ergibt sich zu σ~n = |~n, +i h~n, +| − |~n, −i h~n, −| ,
(3.2)
woraus f¨ ur den Hamiltonoperator H = −µ0 B (|~n, +i h~n, +| − |~n, −i h~n, −|)
(3.3)
folgt. Mit Hilfe von Gl. (3.2) sieht man leicht, dass σ~n† = σ~n , σ~n also selbstadjungiert ist. Aus Gl. (3.1) folgt das auch der Hamiltonoperator H selbstadjungiert ist. 9
In der folgenden Konstruktion, d¨ urfen die Vektoren im dreidimensionalen euklidischen ~ ~n und µ Raum B, ~ , nicht mit den zweidimensionalen Vektoren in dem die Eigenschaft des Atoms beschreibenden Zustandsraum verwechselt werden. Die Gefahr der Verwechslung wird dadurch gesteigert, dass die Komponenten µi des dreidimensionalen Vektors µ ~ zu Operatoren werden, die auf dem zweidimensionalen Zustandsraum operieren. µ ~ ist ein operatorwertiger Vektor (oder Vektoroperator).
3.1. WAHRSCHEINLICHKEITEN, MESSWERTE UND OPERATOREN
37
Die gerade gemachten Beobachtungen sind allgemeing¨ ultige Prinzipien der Quantenmechanik. Die m¨oglichen Messwerte der Energie eines Quantensystems sind die Eigenwerte eines selbstadjungierten Hamiltonoperators, den man nach einer noch zu diskutierenden Vorschrift aus der Hamiltonfunktion des ¨aquivalenten klassischen Problems gewinnt. Einen ersten Eindruck von dieser Konstruktionsvorschrift liefert das Beispiel des Stern-Gerlach Experiments. Nach einer Energiemessung, die den Energieeigenwert En geliefert hat, befindet sich das Quantensystem im normierten Eigenzustand |En i zu diesem Eigenwert.10
m
m x1
x2
Abbildung 3.1: Ein Beispiel aus der klassischen Mechanik: Das Problem gekoppelter Massen. Der Hamiltonoperator H legt u ¨ber seine Eigenwerte nicht nur die m¨oglichen Messwerte der Energie fest, sondern bestimmt - ¨ahnlich wie die Hamiltonfunktion in der klassischen Mechanik (Hamiltonsche Gleichungen) - auch die Dynamik des mit dem magnetischen Moment verbundenen (uns bisher unbekannten) Freiheitsgrad des (Silber-)Atoms.11 Von dieser Dynamik, d.h. der von einem Anfangszustand ausgehenden zeitlichen Entwicklung, haben wir bisher noch nicht gesprochen, da sie zum Verst¨andnis des Ausgangs des Stern-Gerlach Experiments nicht relevant ist. In ihm messen wir nur die m¨oglichen Energieeigenwerte. Wir wollen die Form der Bewegungsgleichung der Quantenmechanik durch ein Beispiel aus der klassischen Mechanik motivieren. Betrachten wir das in Abbildung 3.1 dargestellte mechanische System. Zwei K¨orper gleicher Masse m sind u ¨ber Federn gleicher Federkonstante k gekoppelt und mit den W¨anden verbunden. Die Auslenkung aus der Ruhelage ist durch x1 und x2 bezeichnet. Die Bewegungsgleichungen f¨ ur die xj ergeben sich zu 2k k d2 x1 (t) = − x1 (t) + x2 (t) 2 dt m m 2 d k 2k x2 (t) = x1 (t) − x2 (t) 2 dt m m 10
Ist der Eigenwert entartet, so liegt der Zustand nach der Messung im Unterraum zum Eigenwert En . 11 Wie gerade beim Photon, konzentrieren wir uns bisher bei der Beschreibung der Eigenschaften des (Silber-)Atoms auf den in einem zweidimensionalen Vektorraum beschreibbaren ¨ Freiheitsgrad. Uber andere das Atom beschreibende Eigenschaften, wie den Ort oder den Impuls machen wir hier (noch) keine Aussagen.
38
KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE
bzw. in Matrixschreibweise 2k k d2 x1 (t) −m x1 (t) m = . k x2 (t) − 2k dt2 x2 (t) m m Die Matrix auf der rechten Seite ist hermitesch, stellt also einen selbstadjungierten Operator auf einem zweidimensionalen Vektorraum dar und der L¨osungsvektor ist ein Element dieses Raums.12 In der Mechanik Vorlesung haben Sie gelernt, wie Sie Probleme dieser Art l¨osen. Ein sehr wichtiger Schritt dabei, ist Berechnung der Eigenwerte und Eigenvektoren der Matrix auf der rechten Seite, die zu einer Bestimmung der Eigenmoden f¨ uhrt. Mit Hilfe der Eigenmoden l¨asst sich das Differentialgleichungssytem unter Ber¨ ucksichtigung der Anfangsbedingungen einfach l¨osen. In Analogie zu dieser Bewegungsgleichung, ist die Dynamik eines zur Zeit t durch den Zustand |ψ(t)i beschriebenen Quantensystems durch die Differentialgleichung i~
d |ψ(t)i = H |ψ(t)i dt
(3.4)
bestimmt. Das Problem besteht also darin mit Hilfe von Gl. (3.4) |ψ(t)i aus einem vorgegebenen |ψ(0)i zu bestimmen. Legt man eine Basis fest, in unserem Beispiel z.B. die {|~e3 , ±i} Basis, gilt es die zeitabh¨angigen Koeffizienten ψ± (t) der Entwicklung |ψ(t)i = ψ+ (t) |~e3 , +i + ψ− (t) |~e3 , −i aus den ψ± (0) zu berechnen. Wie im obigen Beispiel der klassischen Mechanik, ist die Zeit t bez¨ uglich der Vektoreigenschaften von |ψ(t)i ein Parameter, im Allgemeinen gilt also f¨ ur t1 6= t2 , dass |ψ(t1 )i 6= |ψ(t2 )i. Ein entscheidender Unterschied zwischen der obigen Newtongleichung und der Schr¨odingergleichung (3.4) besteht darin, dass man in letzterer den Vektor auf der linken Seite nur einmal nach der Zeit differenziert. Daher besteht die Anfangsbedingung auch nur aus den vorgegeben ψ± (0). Im obigen klassischen Problem m¨ ussen neben den Anfangsauslenkungen auch die Geschwindigkeiten vorgegeben werden, da es sich um ein Differentialgleichungssystem zweiter Ordnung handelt. Bei der L¨osung der Differentialgleichung (3.4) spielt die Bestimmung der Eigenwerte und Eigenvektoren eine ¨ahnlich wichtige Rolle, wie im obigen klassischen Beispiel. Die G¨ ultigkeit der die Dynamik beschreibenden Schr¨odingergleichung (3.4) ist nicht auf unser Beispiel des magnetischen Moments in einem inhomogenen Magnetfeld beschr¨ankt. Die Dynamik jedes Quantensystems wird durch die Schr¨odingergleichung gegeben, wobei der Hamiltonoperator, wie oben angedeutet, durch eine Konstruktionsvorschrift aus der Hamiltonfunktion des ¨aquivalenten klassischen Problems bestimmt wird. Es ist verst¨andlich, wenn Ihnen die Schr¨odingergleichung etwas “vom Himmel zu fallen” scheint. Dieser Eindruck l¨asst sich jedoch in keinem mir bekannten Beispiel zur Motivation der Gleichung vermeiden. Nach diesem Ausflug in die Dynamik von Quantensystemen, kehren wir zu 12
Der Vektorraum ist hier ein reeller.
3.1. WAHRSCHEINLICHKEITEN, MESSWERTE UND OPERATOREN
39
unserem eigentlich Problem zur¨ uck, den Ausgang des Stern-Gerlach Experiments zu beschreiben bzw. “zu verstehen”. Wir verwenden als n¨achstes die Spektraldarstellung Gl. (3.2) um σ~n2 zu berechnen σ~n2 = (|~n, +i h~n, +| − |~n, −i h~n, −|) (|~n, +i h~n, +| − |~n, −i h~n, −|) = |~n, +i h~n, +| + |~n, −i h~n, −| = 1. Bestimmt man dagegen σ~n2 mit Hilfe von σ~n = σ1 n1 + σ2 n2 + σ3 n3 so ergibt sich13 σ~n2 = σ12 n21 + σ22 n22 + σ32 n23 + (σ1 σ2 + σ2 σ1 ) n1 n2 + (σ1 σ3 + σ3 σ1 ) n1 n3 + (σ2 σ3 + σ3 σ2 ) n2 n3 . Damit die rechte Seite dieser Gleichung f¨ ur jeden beliebigen Einheitsvektor ~n gleich 1 ist, muss σi σj + σj σi = 2δi,j 1
(3.5)
gelten. Da die Eigenwerte der σi f¨ ur i = 1, 2, 3 gleich ±1 sind, folgt Sp σi = 0 .
(3.6)
Mit Hilfe der gerade gewonnenen Eigenschaften werden wir nun eine Matrixdarstellung der σi konstruieren. Wir w¨ahlen dabei die Darstellung bez¨ uglich der {|~e3 , +i , |~e3 , −i} Basis. Damit ergibt sich sofort 1 0 . σ3 = . 0 −1 Aus σj† = σj und Sp σj = 0 ergibt sich f¨ ur j = 1, 2 die Darstellung aj b j . σj = , b∗j −aj mit aj , bj ∈ C. Benutzen wir zus¨atzlich, dass σj σ3 + σ3 σj = 0, d.h. aj bj aj b j 1 0 1 0 2aj 0 + = b∗j −aj b∗j −aj 0 −1 0 −1 0 2aj 0 0 = 0 0 so folgt aj = 0. Analog folgt aus σj2 = 1 0 bj 0 bj |bj |2 0 1 0 = = b∗j 0 b∗j 0 0 |bj |2 0 1 13
Da die σi Operatoren sind, m¨ ussen wir davon ausgehen, dass σi σj 6= σj σi gilt.
40
KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE
und damit |bj |2 = 1, also bj = eiαj mit αj ∈ R. Verwenden wir abschließend noch σ1 σ2 + σ2 σ1 = 0, d.h. 0 eiα2 0 eiα1 0 eiα2 0 eiα1 + e−iα2 0 e−iα2 0 e−iα1 0 e−iα1 0 2 cos (α1 − α2 ) 0 0 0 = = , 0 2 cos (α1 − α2 ) 0 0 so ergibt sich α1 − α2 = π/2 + nπ, n ∈ Z. Damit ist auch die Phasendifferenz α1 − α2 festgelegt. Wir w¨ahlen dann α1 = 0, so dass eiα2 = ∓i folgt. In einem ur die {|~e3 , +i , |~e3 , −i} Darstellung der letzten Schritt legen wir eiα2 = −i fest. F¨ σj ergibt sich so 0 1 0 −i 1 0 . . . σ1 = , σ2 = , σ3 = . (3.7) 1 0 i 0 0 −1 Man nennt diese Matrizen die Pauli-Spinmatrizen.14 F¨ ur ein allgemeines ~n = sin θ cos ϕ ~e1 + sin θ sin ϕ ~e2 + cos θ ~e3 ergibt sich cos θ e−iϕ sin θ . σ~n = ~σ · ~n = . (3.8) eiϕ sin θ − cos θ ¨ In den Ubungen haben Sie die Darstellung der Eigenvektoren |~n, ±i zu σ~n in der {|~e3 , +i , |~e3 , −i} Basis cos (θ/2) − sin (θ/2) . . |~n, +i = , |~n, −i = (3.9) eiϕ cos (θ/2) eiϕ sin (θ/2) bestimmt. Basisunabh¨angig gilt |~n, +i = cos (θ/2) |~e3 , +i + eiϕ sin (θ/2) |~e3 , −i |~n, −i = − sin (θ/2) |~e3 , +i + eiϕ cos (θ/2) |~e3 , −i ,
(3.10)
σ1 = |~e3 , +i h~e3 , −| + |~e3 , −i h~e3 , +| σ2 = −i |~e3 , +i h~e3 , −| + i |~e3 , −i h~e3 , +| σ3 = |~e3 , +i h~e3 , +| − |~e3 , −i h~e3 , −| .
(3.11)
sowie
Analog zum Experiment mit polarisiertem Licht k¨onnen wir nun die Durchgangswahrscheinlichkeit w~n,± (|ψi) = |h~n, ± |ψi|2 (3.12) 14
Die Bedeutung des Wortes “Spin” wird sp¨ater klar werden.
3.1. WAHRSCHEINLICHKEITEN, MESSWERTE UND OPERATOREN
41
eines durch einen normierten Vektor |ψi = ψ+ |~e3 , +i + ψ− |~e3 , −i, mit ψ+ , ψ− ∈ C beschriebenen (Silber-)Atoms durch eine durch |~n, ±i charakterisierte SGApparatur berechnen.15 Betrachten wir dazu ein Beispiel. Wir schicken die Atome erst durch einen durch |~e3 , +i charakterisierten SG-Apparat. Hinter diesem sind alle Atome des Strahls im Zustand |~e3 , +i. Wir schicken sie dann auf einen Apparat der in ~n-Richtung aufspaltet und fragen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, ein Atom im ~n, + bzw. ~n, − Strahl zu finden. Nach unserer Rechenvorschrift ergibt sich w~n,+ (|~e3 , +i) = |h~n, + |~e3 , +i|2 2 = cos (θ/2) h~e3 , +| + e−iϕ sin (θ/2) h~e3 , −| |~e3 , +i = cos2 (θ/2) , bzw. w~n,− (|~e3 , +i) = |h~n, − |~e3 , +i|2 2 = − sin (θ/2) h~e3 , +| + e−iϕ cos (θ/2) h~e3 , −| |~e3 , +i = sin2 (θ/2) . Wie zu fordern ist, ergibt sich w~n,+ (|~e3 , +i) + w~n,− (|~e3 , +i) = 1, da das Atom in einem der beiden Strahlen sein muss. Nach dem Durchgang befindet sich das Atom dann im Zustand |~n, +i, wenn es in +~n-Richtung abgelenkt wurde und im ¨ Zustand |n, −i im Fall der Ablenkung in −~n-Richtung. In den Ubungen werden Sie als weiteres Beispiel die Durchgangswahrscheinlichkeiten der Abfolge von SGApparaturen aus Abbildung 1.14 berechnen. F¨ ur uns bleibt immer noch unklar, welche physikalischen Eigenschaft des Silberatoms wir mit Hilfe der Vektoren in einem zweidimensionalen unit¨aren Raum beschreiben. Um dieses zu ergr¨ unden betrachten wir den Kommutator der Operatoren σj . In der Matrixdarstellung bez¨ uglich der {|~e3 , +i , |~e3 , −i} Basis haben Sie ¨ die Kommutatoren der σj bereits in den Ubungen bestimmt. Wir werden daher hier darstellungsunabh¨angig rechnen. Als Beispiel betrachten wir [σ1 , σ2 ] = (|~e3 , +i h~e3 , −| + |~e3 , −i h~e3 , +|) (−i |~e3 , +i h~e3 , −| + i |~e3 , −i h~e3 , +|) − (−i |~e3 , +i h~e3 , −| + i |~e3 , −i h~e3 , +|) (|~e3 , +i h~e3 , −| + |~e3 , −i h~e3 , +|) = 2i (|~e3 , +i h~e3 , +| − |~e3 , −i h~e3 , −|) = 2iσ3 . V¨ollig analog finden wir [σ1 , σ3 ] = −2iσ2 , [σ2 , σ3 ] = 2iσ1 . 15
|~n, +i bedeutet, dass der Strahl in die ~n-Richtung aufgespalten wird und der ~n, − Strahl nach der SG-Apparatur blockiert wird. Analog f¨ ur |~n, −i.
42
KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE
Diese Kommutatorrelationen lassen sich mit Hilfe des totalantisymmetrischen εSymbols εi,j,k , mit ε1,2,3 = ε2,3,1 = ε3,1,2 = 1, ε3,2,1 = ε2,1,3 = ε1,3,2 = −1 und f¨ ur alle anderen Kombinationen von i, j, k ∈ {1, 2, 3}, εi,j,k = 0, kompakt schreiben [σi , σj ] = 2 i εi,j,k σk ,
(3.13)
wobei zus¨atzlich die Einsteinsche Summationskonvention benutzt wird. Diese Relation sollte Sie an die Poissonklammern von Komponenten des Drehimpulsvektors in der klassischen Mechanik erinnern. Definieren wir den operatorwertigen Vektor (Vektoroperator) ~ ~s := ~σ , 2
(3.14)
[si , sj ] = i ~ εi,j,k sk .
(3.15)
so ergibt sich aus Gl. (3.13)
Bis auf den Faktor i~ entspricht diese Relation exakt den Poissonklammern von Komponenten des klassischen Drehimpulsvektors. Diese Beobachtung suggeriert, dass es sich bei der uns noch unbekannten Eigenschaft des Silberatoms um eine “drehimpuls¨ahnliche” Gr¨oße handelt, die das entsprechende magnetische Moment nach sich zieht. Sie h¨angt mit der Summe der Spins (oder Eigendrehimpulse) der Elektronen des Atoms zusammen.16 Der Name Eigendrehimpuls stammt vom klassischen Bild, dass ein magnetisches Moment durch eine rotierende Ladungsverteilung zustande kommt. Diese Bild ist jedoch inkorrekt, da auch ungeladene Teilchen einen Spin besitzen k¨onnen. Strikt gesprochen besitzt der quantenmechanische Spinfreiheitsgrad kein klassisches Analogon. Wir werden lernen, dass der Spin des Silberatoms tats¨achlich vom Spin eines der 47 Elektronen stammt. Daher bezeichnet man den soeben konstruierten Operator ~s auch als Spinoperator des Elektrons. Wie die σi sind die si selbstadjungiert. Die m¨oglichen Messwerte der Komponenten des Elektronenspinoperators sind wie beim Hamiltonoperator die zugeh¨origen Eigenwerte, die sich hier zu ±~/2 ergeben. Es ist kein Zufall, dass sowohl Poissonklammern der klassischen Mechanik als auch Kommutatoren der Quantenmechanik oft mit [. . . , . . .] bezeichnet werden. Auf die gerade benutzte Korrespondenz von Poissonklammern der klassischen Mechanik und Kommutatorrelationen der Quantenmechanik werden wir noch h¨aufiger zur¨ uck kommen.
3.2
Weitere Konzepte der Statistik
Anhand des Stern-Gerlach Versuchs wollen wir noch weitere grundlegende Konzepte der Quantenmechanik erl¨autern. Wir haben bereits gesehen, dass die m¨oglichen Messwerte der Energie durch die Eigenwerte ∓µ0 B des Hamiltonoperators 16
Der Spin des Atomkerns kann hier vernachl¨assigt werden, da grob gesprochen ∼ mKern /mElek. .
µElek. /µKern 0 0
3.2. WEITERE KONZEPTE DER STATISTIK
43
gegeben sind. Schicken wir also einzelne Atome (verd¨ unnter Strahl) die durch den normierten Zustand |ψi 6= |~n, ±i charakterisiert sind durch einen durch ~n beschriebenen SG-Apparat, so messen wir beide m¨oglichen Eigenwerte - anders ausgedr¨ uckt, es wird sowohl Atome geben, die in ~n-Richtung abgelenkt werden als auch welche, die nach −~n gehen. Wir k¨onnen dann den Erwartungswert oder Mittelwert einer Messreihe definieren. Der Erwartungswert der Energie in einem Experiment mit einem ~n SG-Apparat und identisch pr¨aparierten Atomen, die durch den normierten Zustand |ψi beschrieben werden, ist hHi|ψi := −µ0 B w~n,+ (|ψi) + µ0 B w~n,− (|ψi) = −µ0 B (hψ| ~n, +i h~n, +| ψi − hψ| ~n, −i h~n, −| ψi) = hψ| H |ψi ,
(3.16)
¨ wobei wir im Ubergang von der ersten auf die zweite Zeile Gl. (3.12) und im ¨ Ubergang von der zweite auf die dritte Gl. (3.3) verwendet haben. Die Varianz (im Zustand |ψi) ist definiert als der Erwartungswert der quadratischen Abweichung vom Mittelwert 2 2 Var |ψi (H) := −µ0 B − hHi|ψi w~n,+ (|ψi) + µ0 B − hHi|ψi w~n,− (|ψi)
= H 2 |ψi − hHi2|ψi = hψ| H 2 |ψi − hψ| H |ψi2 = hψ| (H − hψ| H |ψi)2 |ψi .
(3.17)
Die Wurzel der Varianz bezeichnet man als Standardabweichung oder Unsch¨arfe q (3.18) ∆|ψi (H) := Var |ψi (H) . Beispiele zum Erwartungswert, der Varianz und der Unsch¨arfe werden sie in den ¨ Ubungen rechnen. In der Quantenmechanik wird jede physikalische Observable (Messgr¨oße) durch einen selbstadjungierten Operator A beschrieben. Der Erwartungswert, die Varianz und die Unsch¨arfe in einem das betrachtete System beschreibenden Zustand (Vektor) |ψi sind dann analog definiert wenn H durch den allgemeinen selbstadjungierten Operator A ersetzt wird.17 Um m¨oglichen Missverst¨andnissen vorzubeugen, wollen wir nocheinmal betonen, dass in einem Experiment an einem einzelnen quantenmechanischen Teilchen (System) das durch den Zustand |ψi beschrieben wird, bei einer Messung immer ein eindeutiger Wert gemessen wird. Der statistisch Aspekt wird erst bei wiederholter Ausf¨ uhrung des selben Experimentes mit identisch pr¨aparierten Teilchen (Systemen) offensichtlich. Selbstverst¨andlich werden wir im Laufe der Vorlesung auf diesen Aspekt noch sehr viel genauer eingehen. 17
Im Allgemeinen hat der dieser Beschreibung zugrunde liegende Vektorraum eine Dimension gr¨ oßer als zwei.
44
KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE
Die Heisenbergsche Unsch¨arferelation ist eine Konsequenz des Formalismus der Quantenmechanik von der Sie sicherlich schon einmal geh¨ort haben. Im Fall eines endlichdimensionalen unit¨aren Raums k¨onnen wir sie bereits jetzt herleiten und verstehen. Wir werden im ersten Schritt (zur Auffrischung) die Schwarzsche Ungleichung beweisen. Betrachten wir dazu zwei Zust¨ande |ψi und |ϕi die nicht gleich dem Nullvektor sind. Den Zustand |χi definieren wir als |χi := |ψi − hϕ |ψi |ϕi / hϕ |ϕi. Damit gilt hϕ |χi = 0, so dass |hψ |ϕi|2 |hψ |ϕi|2 hϕ |ϕi + hχ |χi ≥ . hψ |ψi = hϕ |ϕi |hϕ |ϕi|2 Die Schwarze Ungleichung hψ |ψi hϕ |ϕi ≥ |hψ |ϕi|2
(3.19)
folgt durch einfaches Umformen. Gleichheit gilt offensichtlich f¨ ur hχ |χi = 0, d.h. wenn |χi der Nullvektor ist. Damit sind dann aber |ψi und |ϕi linear abh¨angig. Um mit Hilfe der Schwarzen Ungleichung die Heisenbergsche Unsch¨arferelation (in ihrer endlichdimensionalen Variante) zu beweisen, betrachten wir zwei selbstadjungierte Operatoren A und B auf einem N -dimensionalen unit¨aren Raum. Wir nehmen an, dass A und B nicht kommutieren (vertauschen), d.h. [A, B] 6= 0. Wir definieren18 |ϕA i := (A − hϕ| A |ϕi) |ϕi =: δA |ϕi |ϕB i := (B − hϕ| B |ϕi) |ϕi =: δB |ϕi . Nach Gl. (3.17) gilt hϕA |ϕA i = Var |ϕi (A) und analog f¨ ur B. Es gilt |hϕA |ϕB i|2 = (Re hϕA |ϕB i)2 + (Im hϕA |ϕB i)2 , sowie Im hϕA |ϕB i = = = = = = 18
1 (hϕ| δAδB |ϕi − hϕ| δAδB |ϕi∗ ) 2i 1 † hϕ| δAδB |ϕi − hϕ| (δAδB) |ϕi 2i 1 hϕ| δAδB |ϕi − hϕ| δB† δA† |ϕi 2i 1 (hϕ| δAδB |ϕi − hϕ| (δBδA) |ϕi) 2i 1 hϕ| [δA, δB] |ϕi 2i 1 hϕ| [A, B] |ϕi 2i
In der Definition m¨ ussten wir eigentlich A − hϕ| A |ϕi 1 schreiben, damit auch der zweite Summand als Operator zu erkennen ist. Wir werden jedoch im Folgenden den 1-Operator weglassen, wenn aus dem Kontext klar wird, dass es sich bei dem betrachteten Ausdruck um eine komplexe Zahl mal dem 1-Operator handelt.
3.2. WEITERE KONZEPTE DER STATISTIK
45
und 1 (hϕ| δAδB |ϕi + hϕ| δAδB |ϕi∗ ) 2 1h = hϕ| A − hAi|ϕi B − hBi|ϕi 2 i + B − hBi|ϕi A − hAi|ϕi |ϕi
Re hϕA |ϕB i =
=
1 hϕ| {A, B} |ϕi − hAi|ϕi hBi|ϕi . 2
Dabei haben wir den Antikommutator {A, B} := AB + BA
(3.20)
eingef¨ uhrt. Mit Hilfe von Gl. (3.19) ergibt sich dann 1 Var |ϕi (A) Var |ϕi (B) ≥ |hϕ| [A, B] |ϕi|2 + 4
1 hϕ| {A, B} |ϕi − hAi|ϕi hBi|ϕi 2
2
und nach weglassen des zweiten Terms und Wurzelziehen folgt die Heisenbergsche Unsch¨arferelation ∆|ϕi (A) ∆|ϕi (B) ≥
1 |hϕ| [A, B] |ϕi| . 2
(3.21)
Um Gl. (3.21) einen physikalischen Sinn zu geben, nehmen wir an, dass A und B zwei Observable beschreibende Operatoren sind, die nicht kommutieren, also z.B. die x- und die y-Komponenten des Elektronenspins (siehe Gl. (3.15)). Messen wir nun an vielen identischen, durch |ϕi beschriebenen Systemen, jeweils die zu A und B geh¨orenden Observablen, so ist das Produkt der Unsch¨arfen in diesen Messungen gr¨oßer gleich der H¨alfte des Erwartungswertes des Kommutators im Zustand |ϕi.19 Da der Kommutator nicht verschwindet, heißt das, dass die zu A und B geh¨orenden Observablen im Zustand |ϕi nicht gleichzeitig (d.h. im gleichen Zustand) scharf20 gemessen werden k¨onnen. F¨ ur unser Beispiel bedeutet das im Fall |ϕi = |~n, +i ∆|~n,+i (s1 )∆|~n,+i (s2 ) ≥
~2 ~2 ~ |h~n, +| s3 |~n, +i| = |h~n, +| σ3 |~n, +i| = |cos θ| , 2 4 4
wobei wir im letzten Schritt Gln. (3.10) und (3.11) verwendet haben. Um in diesem Beispiel f¨ ur den speziellen Fall θ = π/2 eine nicht-triviale Aussage zu bekommen, darf man den zweiten Term (siehe die Gleichung vor Gl. (3.21)) bei der 19
Damit Gl. (3.21) angewandt werden kann, muss die Messung der zu A und B geh¨orenden Observablen im gleichen Zustand |ϕi vorgenommen werden. 20 “Scharf” heißt hier, dass ∆|ϕi (A) = 0 und analog f¨ ur B.
46
KAPITEL 3. NOCHMAL DIE (GEDANKEN-)EXPERIMENTE
Herleitung nicht vernachl¨assigen. Werden die zu A und B geh¨orenden Observablen kurz hintereinander am selben System gemessen, so ergibt sich eine andere Situation, da sich das System vor der ersten Messung im Zustand |ϕi befindet nach dieser jedoch in einem der normierten Eigenzust¨ande |aν i von A.21 Das Produkt der Unsch¨arfen ist bei hintereinander folgender Messungen nicht bez¨ uglich des gleichen Zustandes zu bilden. Fassen wir kurz zusammen, was wir bereits u ¨ber die Quantenmechanik gelernt haben: • Ein Teilchen, oder allgemeiner ein System, wird durch einen normierten Vektor bzw. Zustand |ψi in einem komplexen Vektorraum H (bisher, einem endlichdimensionalen Vektorraum) beschrieben. • Observable werden durch lineare, selbstadjungierte Operatoren A auf H beschrieben. Die m¨oglichen Messwerte sind die (reellen) Eigenwerte λν . Nach der Messung befindet sich das Teilchen, bzw. das System, im normierten Zustand |ψi = |aν i, wobei |aν i der Eigenzustand zum Messwert λν ist. • Die Wahrscheinlichkeit wλν (|ψi) im Zustand |ψi bei einer Messung der zu A geh¨orenden Observablen den Eigenwert λν zu messen ist durch |haν |ψi|2 gegeben. • Der Erwartungswert bei wiederholter Ausf¨ uhrung der Messung an identisch pr¨aparierten Teilchen, bzw. Systemen, (d.h. alle befinden sich im Zustand |ψi) ist durch hAi|ψi = hψ| A |ψi bestimmt. Die Unsch¨arfe durch ∆|ψi (A) = q hψ| A2 |ψi − hψ| A |ψi2 . • Bei wiederholter Messung der zu A und B geh¨orenden Observablen im Zustand |ψi gilt die Heisenbergsche Unsch¨arferelation ∆|ψi (A) ∆|ψi (B) ≥ 1 |hψ| [A, B] |ψi|. 2 • Der zur Energie geh¨orende Operator ist der Hamiltonoperator H, der sich aus der Hamiltonfunktion des a¨quivalenten klassischen Problems ergibt. • Die Dynamik eines Quantensystems ergibt sich aus der Schr¨odingergleichung i~ dtd |ψ(t)i = H |ψ(t)i unter Ber¨ ucksichtigung der vorgegebenen Anfangsbedingung |ψ(0)i
21
In dem Eigenzustand zu dem gemessenen Eigenwert λν .
Kapitel 4 Wellenpakete und Schr¨ odingergleichung Um die im Kapitel 1.1 diskutierten experimentell beobachteten Interferenzeffekte bei Experimenten mit Objekten, die man gemeinhin als Teilchen auffasst, also Elektronen, Neutronen, Atomen und Molek¨ ulen besser zu verstehen, wollen wir uns zun¨achst nocheinmal mit der Beschreibung von Licht bzw. Photonen besch¨aftigen. Wie bereits angesprochen hat ein Photon die Energie E = ~ω (Photoeffekt), wenn die Kreisfrequenz (die man oft auch einfach als Frequenz bezeichnet) ω des (monochromatischen) Lichts vorgegeben ist. Der Betrag des Impulses des Photons ist durch p = ~k = h/λ mit der Wellenl¨ange λ > 0 bzw. der Wellenzahl k > 0 verkn¨ upft. Der Impuls eines Photons zeigt sich z.B. im Comptoneffekt (siehe z.B. Haken und Wolf, Atom- und Quantenphysik, Springer-Verlag). Um die Impulsbilanz bei der Streuung von Licht (Photonen) an Elektronen zu verstehen, muss man dem Photon einen entsprechenden Impuls zu schreiben. Da die Bewegungsrichtung des Photons der Ausbreitungsrichtung der Lichtwelle entspricht, k¨onnen wir zus¨atzlich die Vektorrelation p~ = ~~k, mit dem Wellenvektor ~k (es gilt k = |~k|) angeben. F¨ ur eine (monochromatische) Lichtwelle im Vakuum1 gilt die Ihnen bekannte Beziehung λν = c, mit der Lichtgeschwindigkeit c und der Frequenz ν. Aus ihr ergibt sich ω = ck. Damit k¨onnen wir die Energie ~ω = Ep~ als Funktion des Impulses auffassen: Ep~ = ~ck = cp. Wir k¨onnen so eine sich in ~k/k-Richtung ausbreitende monochromatische, ebene Welle2 ~ r, t) = Ee ~ i(~k·~r−ωt) E(~ auch als ~ r, t) = Ee ~ i(~p·~r−Ep~ t)/~ E(~ 1 2
(4.1)
Wir gehen also davon aus, dass sich das Licht in einem materiefreien Volumen ausbreitet. Wir schreiben sie wie in der Gl. (1.4) gleich komplex.
47
¨ KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG
48
schreiben.3 In der Elektrodynamik stellen ebene Wellen eine Idealisierung dar. Eine ebene Welle f¨allt weder in die drei Raumrichtungen (bei fester Zeit t) noch in der Zeit (bei festem Ort ~r) ab. Sie f¨ uhrt zu einer unendlichen Feldenergie,4 was unphysikalisch ist. Das eine “mathematische” ebene Welle keine vollst¨andige Beschreibung von sich ausbreitendem Licht darstellt, jedoch im Hinblick auf die Erkl¨arung von experimentellen Beobachtungen eine sehr gute Idealisierung darstellen kann, sehen Sie z.B. im Doppelspaltexperiment mit Laserlicht. Es ist offensichtlich, dass der Laserstrahl bei Ausbreitung in die y-Richtung, in die xund z-Richtung r¨aumlich lokalisiert ist. Da der Laser zu einer Zeit t0 angeschaltet und bei t1 > t0 ausgeschaltet wird, ist der Strahl zu einer festen Zeit t auch in die y-Richtung r¨aumlich lokalisiert. Betrachten wir aber eine Zeit t die t0 t t1 erf¨ ullt und nehmen an, dass die Abmessungen der L¨ocher und des Lochabstandes im Doppelspaltschirm so klein sind, dass man die sich aus der Beschr¨ankung in der x-z-Ebene ergebende r¨aumliche Variation des elektrischen Feldes u ¨ber diesen Bereich vernachl¨assigen kann, so gelingt es, das Interferenzmuster mit Hilfe der Idealisierung einer ebenen Welle zu beschreiben.
4
f(k)
3
2
1
0 -1
0
1
2 k
3
4
5
Abbildung 4.1: Die Funktion f (k) aus Gl. (4.3). Zur Vereinfachung vernachl¨assigen wir physikalische Einheiten. Die Parameter der durchgezogenen Kurve sind k0 = 3, σ = 1, die der gestrichelten k0 = 1, σ = 0.1.
3
Im Gegensatz zum Polarisationsexperiment, geht es uns jetzt nicht um den die Polarisation ~ sondern um die Orts- und Zeitabh¨angigfestlegenden komplexen zweidimensionalen Vektor E, keit der Welle. 4 ~ 2 gegeben. Die Feldenergie ist als das r¨ aumliche Integral (¨ uber den ganzen R3 ) von E~2 + B
4.1. WELLENPAKETE IN DER ELEKTRODYNAMIK
4.1
49
Wellenpakete in der Elektrodynamik
Experimentell pr¨aparieren lassen sich nur so genannte Wellenpakete. Betrachten wir hier exemplarisch nur die r¨aumliche Lokalisierung in die Ausbreitungsrichtung (hier die +y-Richtung). Wie man die Welle in die beiden orthogonalen Richtungen r¨aumlich beschr¨ankt, sollte nach dieser Diskussion klar sein. Um ein zu fester Zeit in der y-Richtung beschr¨anktes Wellenpaket zu erhalten, bilden wir eine konti¨ nuierliche Uberlagerung ebener Wellen gleicher Richtung, aber unterschiedlichen 5 Impulses Z ∞ ~ − ct) , ~ ~ f (k)eik(y−ct) dk = E(y (4.2) E(y, t) = E −∞
wobei die (i.A. komplexwertige) Funktion f (k) sinnvollerweise in der N¨ahe einer “mittleren Wellenzahl” k0 > 0 groß ist und von dieser aus “relativ schnell” abf¨allt.6 Es ist offensichtlich, dass das elektrische Feld nur eine Funktion von ~ − ct) zur Zeit t = 0, so folgt das Feld zu anderen y − ct ist. Kennen wir also E(y Zeiten durch Verschiebung. Das Wellenpaket ist somit forminvariant und bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit c nach rechts. Ein h¨aufig diskutiertes Beispiel ist das Gaußsche Wellenpaket mit 1 2 2 e−(k−k0 ) /(2σ ) , f (k) = √ 2πσ
(4.3)
wobei σ > 0 die Breite der Gaußkurve um die Wellenzahl k0 beschreibt.7 In Abbildung 4.1 ist f (k) f¨ ur zwei verschiedene Parameters¨atze dargestellt. Mit dieser Form von f (k) l¨asst sich das Integral in Gl. (4.2) leicht ausf¨ uhren. Es ist allgemein proportional zur Fourierr¨ ucktransformierten der Funktion f (k) an der Stelle y − ct. Die Fouriertranformierte g˜(k) einer Funktion g(x) definieren wir als8 Z ∞ 1 g(x)e−ikx dx (4.4) g˜(k) := √ 2π −∞ und die R¨ ucktransformierte entsprechend als Z ∞ 1 g(x) = √ g˜(k)eikx dk . 2π −∞ 5
(4.5)
Wir vernachl¨ assigen hier, dass ω = Ep~ /~ = ck immer positiv ist. Solange f (k) nur signifikante Beitr¨ age f¨ ur k >R 0 aufweißt, ist diese Vernachl¨ assigung zul¨assig. Allgemeiner m¨ ussten R ~ ~ ∞ f (k)eik(y−ct) dk + E ~ 0 f (k)eik(y+ct) dk schreiben. In diesem Fall wir jedoch E(y, t) = E 0 −∞ handelt es sich bei dem auszuf¨ uhrenden Integral nicht mehr um eine Fourierr¨ ucktransformation (siehe unten). In den hier betrachteten Beispielen ist die obige Bedingung an f (k) erf¨ ullt. 6 Da k die Einheit “1/L¨ ange” hat, hat f (k) die Einheit “L¨ange”. 7 Damit das Argument der Exponentialfunktion dimensionslos ist, hat σ die Einheit “1/L¨ ange”. Daraus ergibt sich ebenfalls, dass f (k) die geforderte Einheit “L¨ange” hat. 8 Wir gehen dabei davon aus, dass g(x) hinreichend “harmlos” ist, so dass das Integral existiert.
¨ KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG
50
¨ Wichtige Eigenschaften der Fouriertransformation werden Sie in den Ubungen kennenlernen. Die konkrete Berechnung des Integrals Gl. (4.2) mit f (k) aus Gl. ¨ (4.3) verschieben wir ebenfalls auf die Ubungen. Das Ergebnis lautet ~ t) = Ee ~ −σ2 (y−ct)2 /2 eik0 (y−ct) = E(y ~ − ct) . E(y,
(4.6)
Beschr¨anken wir uns auf den Fall einer linear in x-Richtung polarisierten Welle, so ergibt sich f¨ ur das physikalische elektrische Feld durch bilden des Realteils ~ t) = E1 e−σ2 (y−ct)2 /2 cos (k0 y − ω0 t + α1 )~e1 , E(y, (4.7) mit ω0 = ck0 . Die Form des elektrischen Feldes ist f¨ ur die beiden Parameters¨atze der Abbildung 4.1 in den Abbildungen 4.2 und 4.3 f¨ ur verschiedene Zeiten dargestellt. Wir beobachten, dass ein kleines σ zu einem ausgedehnten Wellenpaket f¨ uhrt und umgekehrt ein großes σ zu einem lokalisierten Wellenpaket.9 Diese Beobachtung gibt eine allgemeine Beziehung zwischen Paaren von Fouriertransformierten wieder. Grob gesprochen gilt: Je ausgedehnter g(x), desto lokalisierter ist g˜(k) und umgekehrt. Gl. (4.7) entnehmen wir zus¨atzlich, dass eine gr¨oßere “mittlere Wellenzahl” k0 (kleinere “mittlere Wellenl¨ange” λ0 = 2π/k0 ), zu einer schnelleren r¨aumliche Oszillation des Feldes f¨ uhrt. R ∞ Wir haben das f (k) in Gl. (4.3) so gew¨ahlt, dass −∞ f (k)dk = 1 gilt. Damit k¨onnen wir f (k) in diesem Beispiel als eine Wahrscheinlichkeitsdichte der zum Wellenpaket beitragenden Impulse (bis auf den Faktor ~) interpretieren. Um diese Interpretation auch f¨ ur andere Wellepakete zur Verf¨ ugung zu haben, werden R∞ wir −∞ f (k)dk = 1 zur Forderung an die zul¨assigen Gewichtsfunktionen f (k) erheben. So gesehen ergibt sich f¨ ur den Erwartungswert im Beispiel des Gaußschen Wellenpakets Z ∞ kf (k)dk = k0 hki := −∞
und f¨ ur die Unsch¨arfe Z
∞ 2
(k − hki) f (k)dk
∆k :=
1/2 =σ.
−∞
Analog sind der Erwartungswert und die Unsch¨arfe f¨ ur andere f (k) definiert. Um ein in alle Raumrichtungen lokalisiertes Wellenpaket zu erhalten, welches eine endliche Feldenergie hat, m¨ ussen wir auch die anderen beiden Komponenten von ~k “verschmieren” Z ~˜ ~k)ei(~k·~r−ckt) d3 k , ~ E(~r, t) = E( R3
~˜ ~k) = 0 gilt und uber den ganzen R3 integriert wird. wobei ~k · E( ¨ Nach dieser Einf¨ uhrung des Begriffs des Wellenpakets anhand der Ihnen bekannten Lichtwelle, wollen wir ihn jetzt auf “Materiewellen” anwenden. 9
Im Limes σ → 0 ergibt sich aus Gln. (4.2) und (4.3) eine ebene Welle mit Wellenzahl k0 , ¨ da f (k) zur Diracschen δ-Funktion (Distribution) δ(k − k0 ) wird (siehe Ubungen).
x-Komponente des elektr. Feldes
4.1. WELLENPAKETE IN DER ELEKTRODYNAMIK
51
1 0.5 0 -0.5
1
0.5 0 -0.5 -5
0 y
5
-5
0 y
5
x-Komponente des elektr. Feldes
Abbildung 4.2: Das sich f¨ ur k0 = 3, σ = 1, α1 = 0 ergebende elektrische Feld als Funktion des Ortes y f¨ ur verschiedene t. Links unten ist ct = 0 und im Gegenuhrzeigersinn folgen ct = 2, ct = 4 und ct = 6.
1 0.5 0 -0.5 1 0.5 0 -0.5 -50
0 y
50
-50
0 y
50
Abbildung 4.3: Das sich f¨ ur k0 = 1, σ = 0.1, α1 = 0 ergebende elektrische Feld als Funktion des Ortes y f¨ ur verschiedene ct. Links unten ist ct = 0 und im Gegenuhrzeigersinn folgen ct = 10, ct = 20 und ct = 30.
¨ KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG
52
4.2
Wellenpakete in der Quantenmechanik
De Broglies Vorschlag folgend ordnen wir einem “Punktteilchen” mit Impulsbetrag p = |~p| eine Wellenzahl k = p/~ zu. Da auch hier die Ausbreitungsrichtung der Welle und des Teilchens gleich sein sollen, k¨onnen wir dem Teilchen auch einen Wellenvektor ~k = p~/~ zuordnen. Wir benutzen nun den Ausdruck Gl. (4.1) f¨ ur eine ebene, monochromatische Lichtwelle und verallgemeinern ihn auf ein kr¨aftefreies Teilchen (ohne innere Freiheitsgrade) endlicher Ruhemasse mit nichtrelativistischer Energie Ep~ = p~ 2 /(2m). Dabei gilt es zu beachten, dass es sich bei einer ebenen “Materiewelle” nicht um ein Vektorfeld sondern ein skalares Feld handelt ψp~ (~r, t) := c ei(~p·~r−Ep~ t)/~ p~ 2 t /~ . = c exp i p~ · ~r − 2m
(4.8)
Die Zahl c bezeichnet eine Konstante, die wir (zun¨achst willk¨ urlich erscheinend √ - was es aber, wie sich sp¨ater herausstellen wird, nicht ist) gleich (1/ 2π~)3 w¨ahlen.10 Max Born (1926) folgend interpretiert man allgemein w(~r, t) := |ψ(~r, t)|2 [=: ρ(~r, t)] als die Wahrscheinlichkeitsdichte des Teilchens und bezeichnet ψ(~r, t) als die Wellenfunktion oder Wahrscheinlichkeitsamplitude. F¨ ur ein vorgegebe2 3 nes ψ(~r, t) beschreibt somit |ψ(~r, t)| d r die Wahrscheinlichkeit das Teilchen zur Zeit t im Volumenelement d3 r um den Punkt ~r herum anzutreffen. Damit muss aber Z |ψ(~r, t)|2 d3 r = 1 (4.9) R3
gelten, denn die Wahrscheinlichkeit das Teilchen “irgendwo” anzutreffen muss gleich 1 sein. Dieser Interpretation folgend ist Z h~r it := ~r |ψ(~r, t)|2 d3 r (4.10) R3
der Mittelwert (Erwartungswert) des Ortes des beschriebenen Teilchens und Z (∆~r )t :=
R3
2
2 3
(~r − h~r it ) |ψ(~r, t)| d r
1/2 (4.11)
die Unsch¨arfe des Ortes. Da die Bedingung Gl. (4.9) mit der ebenen Materiewelle Gl. (4.8) nicht erf¨ ullbar ist, bekommen wir mit dieser ein zu der ebenen Lichtwelle analoges Problem. 10
√ In d Dimensionen w¨ ahlen wir c = (1/ 2π~)d .
4.2. WELLENPAKETE IN DER QUANTENMECHANIK
53
Wir m¨ ussen also wie bei letzterer zu Wellenpaketen u ¨bergehen. Wir betrachten vereinfachend zun¨achst den Fall der eindimensionalen Bewegung (in x-Richtung) und bilden11 Z ∞ ˜ ψ(p)ψ ψ(x, t) = p (x, t)dp −∞ Z ∞ 1 p2 ˜ = √ ψ(p) exp i px − t /~ dp , (4.12) 2m 2π~ −∞ 12 ˜ mit der komplexwertigen Funktion ψ(p). Zur Zeit t = 0 haben wir Z ∞ 1 ipx/~ ˜ ψ(x, 0) = √ ψ(p)e dp 2π~ −∞
und bis auf Faktoren ~ ist ψ(x, 0) die Fouriertransformierte der Gewichtsfunktion 13 ˜ ˜ ψ(p). Wir wollen als n¨achstes untersuchen, welche Eigenschaften ψ(p) haben muss, damit Gl. (4.9) erf¨ ullt ist Z ∞ Z ∞ Z ∞ 1 p2 2 ∗ ˜ |ψ(x, t)| dx = ψ (p) exp −i px − t /~ dp 2π~ −∞ 2m −∞ −∞ Z ∞ p02 0 0 ˜ × ψ(p ) exp i p x − t /~ dp0 dx 2m −∞ 2 Z ∞Z ∞ 02 1 p p ∗ 0 ˜ ) exp i = ψ˜ (p)ψ(p t− t /~ 2π~ −∞ −∞ 2m 2m Z ∞ 0 × e−ix(p−p )/~ dx dp dp0 } | −∞ {z Z =
2πδ([p−p0 ]/~)=2π~δ(p−p0 ) ∞ 2 ˜
|ψ(p)| dp
−∞
= 1.
(4.13)
Wir haben somit gezeigt, dass das Integral u ¨ber alle Orte x der Wahrscheinlich2 ˜ keitsdichte des Ortes |ψ(x, t)|2 gleich dem Integral u ¨ber alle Impulse p von |ψ(p)| ist (und beide gleich 1 sind).14 Dabei haben wir benutzt, dass man die Diracsche 11
Die Energie Ep ist aufgrund der quadratischen Impulsabh¨angigkeit immer positiv, so dass wir hier keine Probleme mit negativen p haben (siehe die Diskussion f¨ ur die Lichtwellenpakete). 12 Es ist plausibel anzunehmen, dass sich der Beitrag den verschiedene Impulse zum Wel˜ ˜ lenpaket liefern zeitlich nicht ¨ andert, also ψ(p) nicht von der Zeit abh¨angt. W¨ urde ψ(p) von der Zeit abh¨ angen, w¨ urde sich im Allgemeinen die Energie im Wellenpaket im Laufe der Zeit andern, was unphysikalisch w¨ are. ¨ 13 Wir werden nicht immer mathematisch genau bestimmen, welche Eigenschaften eine Ge˜ wichtsfunktion ψ(p) haben muss. Wir gehen stillschweigend davon aus, dass die Funktion so “vern¨ unftig” ist, dass alle “Operationen” die wir mit ihr ausf¨ uhren wollen auch zul¨assig sind. 14 ˜ F¨ u r t = 0 bilden ψ(x, 0) und ψ(p) ein Paar von Fouriertransformierten. Die obige Beziehung R R |g(x)|2 dx = |˜ g (k)|2 dk gilt allgemein f¨ ur Paare von Fouriertransformierten. Man nennt sie das Parseval Theorem.
54
¨ KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG
δ-Funktion (Distribution) als Fourierintegral schreiben kann. Diese Relation und ¨ wichtige Eigenschaften der δ-Funktion werden Sie in den Ubungen kennenlernen. Hier wollen wir daher nur die grundlegende Eigenschaft der δ-Funktion Z ∞ f (x)δ(x − x0 )dx = f (x0 ) , −∞
mit einer hinreichend “harmlosen”, komplexwertigen Funktion f (x), erw¨ahnen. Da Z ∞ 2 ˜ |ψ(p)| dp = 1 −∞ 2 ˜ k¨onnen wir |ψ(p)| als Wahrscheinlichkeitsverteilung der im Wellenpaket auftretenden Impulse interpretieren. Betrachten wir nun wieder das Beispiel des Gaußschen Wellenpakets mit
˜ ψ(p) =
1 √ 2π˜ σ
1/2
2 /(4˜ σ2 )
e−(p−p0 )
e−i(p−p0 )x0 /~ .
2 ˜ ist so gew¨ahlt, dass |ψ(p)| ˜ Die Form von ψ(p) eine Gaußverteilung mit Mittelwert p0 und Unsch¨arfe σ ˜ darstellt. Die Rolle des bei der Betragsbildung wegfallenden Faktors e−i(p−p0 )x0 /~ wird erst weiter unten klar werden. Mit Hilfe von Gl. (4.12) ergibt sich dann mit15 v0 := p0 /m
1/2 1 p20 1 √ exp i p0 x − t /~ ψ(x, t) = √ 2m 2π˜ σ 2π~ Z ∞ 1 it 2 + exp [i˜ p (x − v0 t − x0 ) /~] d˜ p exp −˜ p × 4˜ σ 2 2m~ −∞ 1/2 √ π 1 1 p20 √ √ = q exp i p0 x − t /~ 2m it 1 2π˜ σ 2π~ + 4˜ σ2 2m~ 2 σ ˜ 2it˜ σ2 2 × exp − 2 (x − v0 t − x0 ) / 1 + . ~ m~ ¨ Das explizite Ausf¨ uhren der Integrale verschieben wir erneut auf die Ubungen. 2 Betrachten wir jetzt |ψ(x, t)| , so vereinfacht sich das Resultat |ψ(x, t)|2 = √ 15
1 2 2 e−(x−v0 t−x0 ) /[2σ (t)] 2πσ(t)
Diese Gr¨ oße w¨ urde man intuitiv als mittlere Geschwindigkeit bezeichnen. Weiter unten wird sich herausstellen, dass diese Sichtweise richtig ist.
4.2. WELLENPAKETE IN DER QUANTENMECHANIK
55
mit s
2 2t˜ σ2 1+ ~m s 2 ~t = σ(0) 1 + . 2mσ 2 (0)
~ σ(t) := 2˜ σ
2 ˜ Aus der gaußf¨ormigen Wahrscheinlichkeitsdichte des Impulses |ψ(p)| ergibt sich somit auch eine gaußf¨ormige Wahrscheinlichkeitsdichte des Ortes |ψ(x, t)|2 . Der Mittelwert zur Zeit t liegt bei v0 t + x0 . Diese Beobachtung rechtfertigt die Sichtweise v0 als die mittlere Geschwindigkeit zu bezeichnen. Sie kl¨art zus¨atzlich die ˜ Funktion des Faktors e−i(p−p0 )x0 /~ in ψ(p). Der Erwartungswert des Ortes w¨achst (f¨ ur positives p0 ), wie man es f¨ ur ein kr¨aftefreies Teilchen (klassisch) erwartet, linear mit der Zeit an. Der Erwartungswert des Ortes f¨ ur das Gaußsche Wellenpaket erf¨ ullt die Differentialgleichung
d hxit p0 = . dt m Da zus¨atzlich16 p0 = hpi gilt, ergibt sich die Relation d hxit hpi = . dt m ¨ Wie Sie in einer Ubungsaufgabe zeigen werden, gilt diese Beziehung f¨ ur allgemeine 17 Wellenpakete. Ort und Impuls erf¨ ullen also die klassische Differentialgleichungsrelation, wenn man sie durch ihre jeweiligen quantenmechanischen Erwartungswerte ersetzt. 2 ˜ Die Unsch¨arfe des Ortes σ(t) h¨angt im Gegensatz zu der Unsch¨arfe von |ψ(p)| von der Zeit ab. Zur Zeit t = 0 wird die minimale Unsch¨arfe σ(0) = ~/(2˜ σ ) angenommen. Diese ist, wie im Fall des Gaußpakets aus ebenen Lichtwellen, umgekehrt proportional zur Breite der Impulsverteilung σ ˜ . F¨ ur betragsm¨aßig ansteigende Zeiten nimmt die Unsch¨arfe im Ort zu. Der Wahrscheinlichkeitsinterpretation folgend ist das Teilchen f¨ ur betragsm¨aßig wachsende Zeiten also auf einen immer gr¨oßeren Raumbereich um v0 t + x0 herum “verschmiert”. Diese Beobachtung widerspricht jeder klassischen Intuition zum Verhalten von Teilchen. Sie ist jedoch verst¨andlich, wenn man bedenkt, dass das Wellenpaket aus verschiedenen Impulskomponenten p, mit verschiedenen klassischen Geschwindigkeiten p/m zusammengesetzt ist. Im Fall der Lichtwelle f¨ uhren alle Impulskomponenten ˜ 2 Zur Erinnerung: ψ(p) kann als die Wahrscheinlichkeitsdichte des Impulses interpretiert werden. 17 ˜ Wir gehen dabei davon aus, dass ψ(p) so “harmlos” ist, dass hpi existiert. 16
56
¨ KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG
4
σ(t)/σ(0)
3
2
1
0 -3
-2
-1
0 t/t0
1
2
3
Abbildung 4.4: Unsch¨arfe des Ortes (∆x)t = σ(t) des Gaußschen Wellenpakets als Funktion der Zeit t.
zu einer Geschwindigkeit c, so dass das Wellenpaket nicht auseinander l¨auft (genauer forminvariant bleibt). Die funktionale Abh¨angigkeit von (∆x)t = σ(t) ist in Abbildung 4.4 dargestellt. t0 := 2mσ 2 (0)/~ = m~/(2˜ σ 2 ) bezeichnet eine charakteristische Zeit ab der das Wellenpaket zu “zerfließen” beginnt. F¨ ur |t| t0 w¨achst σ(t) linear mit dem Betrag der Zeit an. Je kleiner also die Masse des durch das Wellenpaket beschriebenen Teilchens und je kleiner die Unsch¨arfe zur Zeit t = 0 (je gr¨oßer die Unsch¨arfe σ ˜ im Impuls), desto schneller “zerfließt” das Teilchen. Das lineare Verhalten der Unsch¨arfe (∆x)t ∼ t˜ σ /m f¨ ur t t0 kann man anschaulich wie folgt verstehen: Teilchen der Masse m mit Impulsen p0 ± σ ˜ /2, sind nach einer Zeit t um t˜ σ /m verschieden weit gelaufen. Wir betrachten nun, analog zur Heisenbergschen Unsch¨arferelation Gl. (3.21), das Produkt der Orts- und Impulsunsch¨arfen f¨ ur das Gaußsche Wellenpaket. Zur Zeit t = 0 gilt (∆x)t=0 (∆p) =
~ ~ σ ˜= . 2˜ σ 2
F¨ ur beliebige Zeiten gilt entsprechend (∆x)t (∆p) ≥
~ . 2
(4.14)
Wie wir sehr bald sehen werden, ergibt sich diese Ungleichung aus der Heisenbergschen Unsch¨arferelation Gl. (3.21), auch wenn der Zusammenhang noch sehr unklar erscheint. Fragen wie - Was sind in diesem Beispiel die Operatoren A und B? Auf was f¨ ur einem Vektorraum operieren diese Operatoren? - sind noch v¨ollig
4.2. WELLENPAKETE IN DER QUANTENMECHANIK
57
offen. Da die Ungleichung auf der allgemeinen Heisenbergschen Unsch¨arferelation beruht, gilt sie f¨ ur alle Wellenpakete und nicht nur f¨ ur Gaußsche (siehe sp¨ater). Anschaulich bedeutet sie, dass man zu einer genauen r¨aumlichen Lokalisierung eines Teilchens zu einer Zeit t0 eine breite Impulsverteilung ben¨otigt. Diese bedingt dann aber, wie oben exemplarisch gesehen, dass das Teilchen ausgehend von t0 zeitlich sehr schnell zerfließt. F¨ ur ein gegebenes Wellenpaket k¨onnen der Ort und der Impuls nicht beliebig genau “lokalisiert” werden. Die in der Vorlesung gezeigten Simulationen zeigen das Absolutbetragsquadrat und die Phase von ψ(x, t) f¨ ur eindimensionale Gaußsche Wellenpakete mit verschiedenen Parameters¨atzen. |ψ(x, t)|2 ist dabei als der Funktionswert gegeben und die Phase in der F¨arbung unter den Kurven kodiert. Abbildung 4.5 zeigt die Funktion exp (ix), x ∈ R, gem¨aß dieser Kodierung. Aus ihr wird klar, welche Farbe zu welcher Phase x geh¨ort. Abbildung 4.6 zeigt ein Gaußsches Wellenpaket zu vier verschiedenen Zeiten. Zwei weitere Simulationen zeigen ψ(~r, t) in der gleichen Kodierung aber f¨ ur zweidimensionale Gaußsche Wellenpakete. Wie man ein zweidimensionales Gaußsches Wellenpaket erh¨alt sollte aus der Diskussion des eindimensionalen Falls klar sein.
Abbildung 4.5: Die Funktion exp (ix), x ∈ R, in der in den Simulationen und der Abbildung 4.6 verwendeten Kodierung von Absolutbetragsquadrat (als Funktionswert, hier immer gleich 1) und Phase (als F¨arbung unter der Kurve).
Wir kehren nun nocheinmal zum allgemeinen Wellenpaket Gl. (4.12) Z ∞ 1 p2 ˜ ψ(x, t) = √ ψ(p) exp i px − t /~ dp 2m 2π~ −∞ zur¨ uck. Differenzieren wir diese Gleichung nach der Zeit (und multiplizieren mit i~), so ergibt sich Z ∞ 1 p2 p2 ∂ ˜ i~ ψ(x, t) = √ ψ(p) exp i px − t /~ dp . ∂t 2m 2m 2π~ −∞ Zweifache Differentation nach dem Ort und Multiplikation mit −~2 /(2m) liefert die selbe rechte Seite Z ∞ 2 2 ~2 ∂ 2 1 p p ˜ − ψ(x, t) = √ ψ(p) exp i px − t /~ dp . 2m ∂x2 2m 2m 2π~ −∞
58
¨ KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG
Abbildung 4.6: Ein eindimensionales Gaußsches Wellenpaket zu vier verschiedenen Zeiten. Physikalische Einheiten sind vernachl¨assigt. Die Mittlere Geschwindigkeit betr¨agt 2. Die Kodierung von Absolutbetragsquadrat und Phase erfolgen wie im Text und in Abbildung 4.5 beschrieben.
Ein allgemeines Wellenpaket zur Beschreibung der Dynamik eines freien Teilchens ψ(x, t) ist daher L¨osung der partielle Differentialgleichung i~
~2 ∂ 2 ∂ ψ(x, t) = − ψ(x, t) . ∂t 2m ∂x2
(4.15)
Die linke Seite dieser Gleichung erinnert uns an die Schr¨odingergleichung (3.4). Vergleichen wir Gln. (3.4) und (4.15) so m¨ ussen wir den abstrakten Vektor (Zu~2 ∂ 2 stand) |ψ(t)i mit ψ(x, t) identifizieren und den Hamiltonoperator mit − 2m . ∂x2 Das diese Identifikation tats¨achlich richtig ist, untersuchen wir im n¨achsten Kapitel. Zuvor wollen wir noch heuristisch eine zu Gl. (4.15) analoge partielle Differentialgleichung f¨ ur die eindimensionale Bewegung eines quantenmechanischen Teilchens in einem (zeitabh¨angigen) Potenzial V (x, t) “herleiten”. Wie die obige ∂ Ableitung von Gl. (4.15) zeigt, liefert das Anwenden von i~ ∂t auf die Wellenfunktion einen Ausdruck, “der etwas mit der kinetischen Energie des Teilchens ~2 ∂ 2 p2 /(2m) zu tun hat.” Diesen kann man andererseits durch Anwenden von − 2m ∂x2 auf ψ(x, t) erhalten. M¨ ussen wir nun neben der kinetischen Energie auch die potenzielle Energie ber¨ ucksichtigen, so lautet die entsprechende partielle Differentialgleichung ∂ ~2 ∂ 2 i~ ψ(x, t) = − ψ(x, t) + V (x, t)ψ(x, t) . ∂t 2m ∂x2
(4.16)
4.2. WELLENPAKETE IN DER QUANTENMECHANIK
59
Wie bereits angedeutet, handelt es sich bei dieser Gleichung um eine konkrete Form der allgemeinen Schr¨odingergleichung (3.4). Auch hier ist das Gef¨ uhl, dass die Gleichung “vom Himmel f¨allt” nicht vollst¨andig zu vermeiden. Wir werden die Schr¨odingergleichung zur Beschreibung der Dynamik von Quantensystemen daher sp¨ater als eines der Postulate der Quantenmechanik formulieren. Der u ¨berw¨altigende Erfolg der Schr¨odingergleichung bei der Erkl¨arung von Experimenten rechtfertigt dieses Vorgehen. Die dreidimensionale Verallgemeinerung der partielle Differentialgleichung lautet ~2 ~2 ∂ ∆ψ(~r, t) + V (~r, t)ψ(~r, t) = − ∆ + V (~r, t) ψ(~r, t) ,(4.17) i~ ψ(~r, t) = − ∂t 2m 2m ~ ·∇ ~ = mit ∆ = ∇
∂2 ∂x2
+
∂2 ∂y 2
+
∂2 . ∂z 2
60
¨ KAPITEL 4. WELLENPAKETE UND SCHRODINGERGLEICHUNG
Kapitel 5 Der Hilbertraum ¨ Die “Ahnlichkeit” der Gl. (4.14) mit der allgemeinen Heisenbergschen Unsch¨arferelation Gl. (3.21) und der Schr¨odingergleichung (3.4) mit Gl. (4.17) f¨ uhrt uns dazu nach einer gemeinsamen Sprache f¨ ur die Resultate der Kapitel 3 und 4 zu suchen. Wie bereits angedeutet, m¨ ussen wir dazu einen Weg finden, die komplexwertige Wellenfunktion ψ(~x, t), als Element eines Vektorraums auffassen zu k¨onnen.1 Die sichR aus der Wahrscheinlichkeitsinterpretation ergebende Normierungsbedingung R3 |ψ(~x, t)|2 d3 x = 1, f¨ uhrt uns darauf, dass die Norm in dem Vektorraum etwas mit dem Integral u ¨ber den ganzen Raum (bzw. einen Raumbereich U ⊂ R3 ) zu tun haben sollte. Betrachten wir Reine komplexwertige, auf U ⊂ Rd definierte2 Funktion ϕ. Existiert das Integral U |ϕ(~x, t)|2 dd x u ¨ber U, so bezeichnet man ϕ als quadratin3 tegrabel (¨ uber U). Wir haben leider keine Zeit auf mathematische Feinheiten einzugehen, wollen aber kurz erw¨ahnen, dass es sich bei dem Integral um das so genannte Lebesgueintegral handelt (siehe z.B. S. Großmann, Funktionalanalysis, Aula-Verlag), dass sich in einigen Details, was z.B. die Existenzvorraussetzungen angeht, vom “gew¨ohnlichen” Riemanintegral unterscheidet. In der konkreten Berechnung von Integralen, ergeben sich jedoch keine (relevanten) Unterschiede. Man kann sich nun leicht davon u ¨berzeugen, dass die Summe aψ + bϕ, a, b ∈ C, zweier quadratintegrabler Funktionen ψ und ϕ wieder quadratintegrabel ist. Auch die Definitionen eines neutralen Elements und eines Inversen machen keine Probleme. Damit bilden die Funktionen einen Vektorrraum.4 Wir bezeichnen daher 1
Wie in vielen Quantenmechanikb¨ uchern u ¨blich, bezeichnen wir den Ortsvektor ab jetzt mir ~x statt ~r und die Komponenten mit xj , j = 1, 2, . . . , d. 2 In Kapitel 4 haben wir nur Teilchen betrachtet, die sich im ganzen Rd aufhalten konnten. Sp¨ ater werden wir jedoch auch Beispiele betrachten, in denen das Teilchen aufgrund eines außeren Potenzials auf einen endlichen Raumbereich eingeschr¨ankt ist. ¨ 3 Wir gehen im Folgenden davon aus, dass sich der Begriff quadratintegrabel immer auf einen vorgegebenen Raumbereich U ⊂ Rd bezieht. 4 Genauer gesagt besteht der Vektorraum aus Klassen ¨aquivalenter Funktionen. Zwei quadratintegrable Funktionen ψ und ϕ heißen ¨aquivalent falls sich die Funktionswerte ψ(~x) und ϕ(~x) nur auf einer Menge von Punkten ~x vom Maß Null unterscheiden (siehe z.B. S. Großmann,
61
62
KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM
die quadratintegrablen Funktionen ψ wieder mit ket-Vektoren |ψi. Als Skalarprodukt definieren wir das Integral Z ϕ∗ (~x)ψ(~x)dd x . (5.1) hϕ |ψi := U
Man u ur quadartintegrable Funk¨berzeugt sich leicht davon, dass das Integral f¨ tionen existiert und das so definierte Skalarprodukt alle Eigenschaften eines Skalarprodukts (siehe Kapitel 2) erf¨ ullt.5 Mit dieser Definition wird Z 1/2 p 2 d || |ψi || := hψ |ψi = |ψ(~x)| d x (5.2) U
zur Norm auf dem Vektorraum. Daher ist eine quantenmechanische Wellenfunktion ψ(~x, t) ein auf Eins normiertes Elemente des Vektorraums. Die Zeit bildet dabei einen Parameter, d.h. f¨ ur jede Zeit t wird ein Element des Vektorraums |ψ(t)i festgelegt. Es ist nicht m¨oglich eine endliche Zahl von quadratintegrablen Funktionen |ϕ1 i , |ϕ2 i , . . . , |ϕN i vorzugeben und jede quadratintegrable Funktion |ψi als Linearkombination dieser Funktionen zu schreiben. Eine analoge Situation sollten Sie von der Fourierreihe einer auf dem Intervall [a, b] definierten und periodisch fortgesetzten Funktion kennen. Beschr¨anken wir uns hier auf den Fall a = 0 und b = 2π. Funktionen dieses Typs kann man als Linearkombination der Funktionen cos (nx) und sin (nx), mit n ∈ N0 , schreiben. Man ben¨otigt also abz¨ahlbar unendlich viele “Basiselemente”. Eine analoge Aussage gilt auch f¨ ur die quadratintegrablen Funktionen. Wir m¨ ussen daher den Begriff des unit¨aren Raums auf unendlichdimensionale Vektorr¨aume erweitern. In einem unendlichdimensionalen Vektorraum gibt es mehr M¨oglichkeiten was das Konvergenzverhalten von Folgen von Vektoren {|ϕn i} angeht als in endlichdimensionalen Vektorr¨aumen. In letzteren ergibt sich das Konvergenzverhalten unmittelbar aus dem der komplexen Zahlen (¨ uber die Koeffizienten der Vektoren). Wir definieren daher den Begriff der Vollst¨andigkeit: Ein unit¨arer Raum H heißt vollst¨andig, wenn jede Cauchyfolge {|ϕn i} aus H gegen ein Element |ϕi ∈ H konvergiert. Zur Erinnerung: Unter einer Cauchyfolge versteht man eine Folge von Vektoren |ϕn i ∈ H, f¨ ur die es f¨ ur jedes ε > 0 ein N (ε) ∈ N gibt, so dass p || |ϕn i − |ϕm i || = (hϕn | − hϕm |) (|ϕn i − |ϕm i) < ε , f¨ ur alle m, n ≥ N (ε).6 Einen vollst¨andigen, unit¨aren Raum H bezeichnet man als Hilbertraum.7 Wir spezifizieren weiter und bezeichnen einen Hilbertraum H in Funktionalanalysis, Aula-Verlag). 5 ¨ Hierbei muss man beachten, dass die Funktionen Repr¨asentanten einer Aquivalenzklasse von Funktionen sind (siehe oben)! 6 Jeder endlichdimensionale unit¨are Raum ist vollst¨andig. Der Beweis l¨asst sich sofort auf die Vollst¨ andigkeit der komplexen Zahlen zur¨ uckf¨ uhren. 7 Jeder endlichdimensionale unit¨ are Raum ist ein Hilbertraum.
63 dem es eine abz¨ahlbare Folge von Vektoren {|ϕn i} gibt, so dass sich jedes |ψi ∈ H als Linearkombination |ψi =
∞ X
cn |ϕn i
n=1
schreiben l¨asst, als separablen Hilbertraum. Wir k¨onnen die Folge {|ϕn i} so modifizieren, dass sich eine Orthonormalbasis hϕn |ϕm i = δn,m ergibt. Die Entwicklungskoeffizienten ergeben sich dann aus cn = hϕn |ψi. Wie man in der Literatur u ¨ber Funktionalanalysis nachlesen kann, ist der Raum der u ¨ber U quadratintegra¨ blen Funktionen (genauer der Aquivalenzklassen quadratintegrabler Funktionen), der h¨aufig mit L2 (U) bezeichnet wird, ein separabler Hilbertraum. Nicht jedes Element aus L2 (U) entspricht einer physikalischen Wellenfunktion. Quantensysteme beschreibende Wellenfunktionen sind auf Eins normiert, zumindest stetig und im Allgemeinen auch differenzierbar. F¨ ur große |~x| fallen sie weiterhin “schnell genug” ab.8 V¨ollig analog zum endlichdimensionalen Fall sind lineare Operatoren auf einem Hilbertraum definiert. Dabei muss man allerdings mit dem Definitionsbereich DA ⊂ H des Operators A aufpassen. Im L2 (R) kann z.B. die lineare Operation ϕ(x) → xϕ(x) auf Funktionen f¨ uhren, die nicht mehr im L2 (R) liegen. Der kanonische Definitionsbereich des zugeh¨origen Operators ist somit D = {ϕ(x) ∈ L2 (R)|xϕ(x) ∈ L2 (R)}.9 Wir definieren den adjungierten Operator A† zu einem Operator A wie gehabt durch hψ| A† |ϕi = hϕ| A |ψi∗ . Ein Operator, der A = A† erf¨ ullt heißt hermitesch. Gilt auch noch DA = DA† , so bezeichnet man A als selbstadjungiert. Im folgenden werden wir meist nicht auf Definitionsbereiche eingehen. Wir gehen dann stillschweigend davon aus, dass der Definitionsbereich eines hermiteschen Operators soweit erweitert wurde, dass er auch selbstadjungiert ist. In allen hier relevanten praktischen Anwendungen des Formalismus gelingt das. Daher werden wir im Folgenden immer von selbstadjungierten Operatoren sprechen. Wir haben hier leider keine Zeit auf die mathematischen Feinheiten im Zusammenhang mit linearen Operatoren auf Hilbertr¨aumen einzugehen - was insofern kein sehr großes Problem darstellt, als dass sie f¨ ur die meisten Anwendungen des 8
F¨ ur physikalische Betrachtungen kann man sich meist auf den Schwarzschen Raum (der temperierten Funktionen) beschr¨ anken. Eine Funktion f aus diesem Raum ist unendlich oft stetig differenzierbar und f¨ allt so stark ab, dass das Produkt jedes Polynoms mit f immer noch abf¨allt. Leider sind jedoch weder der Schwarzsche Funktionenraum noch der Raum der stetigen, quadratintegrablen Funktionen vollst¨andig (im Sinne der durch das Skalarprodukt Gl. (5.1) gegebenen Norm Gl. (5.2)). 9 Gut als Definitionsbereich eignet sich auch der Schwarzsche Funktionenraum.
64
KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM
Formalismus keine Rolle spielen - und verweisen daher auf die Literatur u ¨ber 10 Funktionalanalysis (z.B. S. Großmann, Funktionalanalysis, Aula-Verlag)). In einem n¨achsten Schritt betrachten wir die stetigen linearen Funktionen (Funktionale) auf einem Hilbertraum H. Sie sind v¨ollig analog zum endlichdimensionalen Fall definiert und bilden einen Vektorraum, den Dualraum H∗ . Nach dem Rieszschen Darstellungssatz kann man, wie im endlichdimensionalen Fall, die Wirkung jedes stetigen, linearen Funktionals ϕ, mit Hilfe des Skalarprodukts und eines |ϕi ∈ H schreiben: ϕ(|ψi) = hϕ |ψi. Wie im endlichdimensionalen Fall f¨ uhren wir bra-Vektoren hϕ| ein. Sei nun {|ϕn i} eine orthonormale Basis in H. Wir erhalten dann wieder die Vollst¨andigkeitsrelation (Zerlegung der Eins) 1=
∞ X
|ϕn i hϕn | .
n=1
Bevor wir weitere Betrachtungen zu linearen Funktionalen anstellen werden, wollen wir jetzt, da wir bra- und ket-Vektoren zur Verf¨ ugung haben, nocheinmal kurz zu den allgemeinen linearen Operatoren zur¨ uckkehren. Betrachten wir den Fall eines linearen Operators A auf einem separablen Hilbertraums mit einer orthonormalen Basis {|ϕn i}. Durch Einschieben zweier 1 Operatoren, erhalten wir A=
∞ X
|ϕn i hϕn | A |ϕm i hϕm | ,
n,m=1
mit den Matrixelementen An,m := hϕn | A |ϕm i. Dabei muss allerdings sichergestellt werden, dass alle Matrixelemente existieren, was wieder eine Frage im Zusammenhang mit dem Definitionsbereich des Operators ist. Bez¨ uglich der Basis wird der Operator durch eine “unendlichdimensionale” Matrix dargestellt. Die Definition des adjungierten Operators hat f¨ ur die Matrixelemente eines selbstadjungierten Operators die gleichen Auswirkungen wie im endlichdimensionalen Fall: An,m = A∗m,n . Im Zusammenhang mit den Matrixelementen bez¨ uglich einer Basis wird auch klar, dass man die Spur nicht f¨ ur jeden linearen Operator auf dem separablen Hilbertraum definieren kann. Selbst wenn alle Matrixelemente hϕn | A |ϕm i eines Operators existieren heißt das noch nicht, dass auch Sp A =
∞ X
hϕn | A |ϕn i
n=1
konvergiert. Die im Kapitel 2 diskutierten Beweise dazu, dass (1) Eigenwerte reell sind, dass (2) Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten orthogonal sind und (3) dass es in einem Unterraum zu einem entarteten Eigenwert m¨oglich ist eine 10
Eine sch¨ one Einf¨ uhrung in diese Feinheiten liefert auch der Artikel von F. Gieres, den Sie unter der zus¨ atzlichen Literatur finden.
65 orthonormale Basis von Eigenvektoren zu konstruieren, lassen sich auf selbstadjungierte Operatoren auf separablen Hilbertr¨aumen verallgemeinern. Wie dort, erhalten wir eine Zerlegung der Eins aus Eigenvektoren |aν i zu A 1=
∞ X
|aν i haν | .
ν=1
Aus der Zerlegung der Eins folgt sofort die Spektraldarstellung A=
∞ X ν=1
A |aν i haν | =
∞ X
λν |aν i haν | ,
ν=1
mit den Eigenwerten λν . Sp¨ater werden wir sehen, dass f¨ ur gewisse selbstadjungierte Operatoren, die (uneigentlichen) Eigenvektoren von einem kontinuierlichen Index abh¨angen und wir die Summe in der Zerlegung der Eins und der Spektraldarstellung durch ein Integral ersetzen m¨ ussen. Wir werden im konkreten Kontext auf Spektraldarstellung wichtiger Operatoren des Quantenmechanik zur¨ uckkommen. Auch die Konstruktion eines vollst¨andigen Systems vertauschbarer (selbstadjungierter) Operatoren, das Konzept der Differentation eines Operators nach einem Parameter und der Begriff von Funktionen von Operatoren (definiert u ¨ber eine Potenzreihe) lassen sich auf den Hilbertraum verallgemeinern. Kehren wir nun zu den linearen Funktionalen zur¨ uck und betrachten explizit H = L2 (U). Beschr¨anken wir uns hier auf den Unterraum der stetige quadratintegrablen Funktionen11 L˜2 (U) ⊂ L2 (U) so k¨onnen wir auch stetige, lineare Funtionale angeben, die nicht durch Elemente von L2 (U) ausgedr¨ uckt werden 12 k¨onnen. Als erstes wichtiges Beispiel sei das als δ~x0 bezeichnete (~x0 ∈ U) und durch δ~x0 (|ψi) := ψ(~x0 ) , f¨ ur alle |ψi ∈ L˜2 (U), definierte Funktional erw¨ahnt. Das Funktional ordnet also jeder (stetigen) Wellenfunktion seinen Funktionswert am festen Ort ~x0 zu. Wie ¨ Sie in den Ubungen gelernt haben,13 kann man dieses Funktional als Z Z d δ~x0 (|ψi) = δ(~x − ~x0 )ψ(~x)d x = δ ∗ (~x − ~x0 )ψ(~x)dd x = ψ(~x0 ) , U 11
U
Dieser Unterraum ist nicht vollst¨ andig und damit kein Hilbertraum. Es gilt L˜2 (U) ⊂ L2 (U) ⊂ L˜∗2 (U), wobei L˜∗2 (U) den Dualraum zu L˜2 (U) bezeichnet. Dabei gilt es Fragen der Norm zu beachten (siehe Literatur). Man bezeichnet diese drei R¨aume auch als Gelfandsches Raumtripel. 13 Die Verallgemeinerung des dort gelernten auf den d-dimensionalen Fall sollte kein gr¨oßeres Problem darstellen. 12
66
KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM
mit der Diracschen δ-Funktion schreiben. Wir bezeichnen dieses Funktional im folgenden als δ~x0 (|ψi) =: h~x0 |ψi , mit einem bra-Vektor h~x0 |. Streng genommen entspricht diesem, nur auf einem Unterraum des Hilbertraums definierten, bra-Vektor kein ket-Vektor |~x0 i, da die Diracsche δ-Funktion (die, wie gerade gesehen, das Funktional erzeugt) nicht quadratintegrabel ist (das Quadrat der “Funktion” ist nichteinmal definiert). Es ist aber praktisch sehr n¨ utzlich den Hilbertraum um solche “uneigentlichen” ketVektoren zu erweitern. F¨ ur den Umgang mit diesen Vektoren soll die allgemeine Regel (|ψi ∈ L˜2 (U)) h~x0 |ψi∗ = ψ ∗ (~x0 ) =: hψ |~x0 i weiterhin gelten. Damit kann man f¨ ur beliebige |ψi , |ϕi ∈ L˜2 (U) Z Z ∗ d hϕ |~x i h~x |ψi dd x ϕ (~x)ψ(~x)d x = hϕ |ψi = U
U
schreiben und erh¨alt eine Zerlegung der Eins Z |~x i h~x | dd x = 1 .
(5.3)
U
Da die uneigentlichen Vektoren |~xi durch einen kontinuierlichen “Index” charakterisiert sind, tritt dabei statt der Summe ein Integral auf (vergleiche mit Gl. (2.5)). Man nennt die uneigentlichen ket-Vektoren |~xi auch Ortszust¨ande. Durch Einschieben einer Eins in Form von Gl. (5.3) Z Z 0 0 d 0 ψ(~x) = h~x |ψi = h~x |~x i h~x |ψi d x = h~x |~x 0 i ψ(~x0 )dd x0 U
U
erh¨alt man die “Orthogonalit¨atsrelation” h~x |~x 0 i = δ(~x − ~x 0 ) .
(5.4)
Im Gegensatz zu der gew¨ohnlichen Orthogonalit¨atsrelation von Elementen des Hilbertraums steht auf der rechten Seite der Gleichung die δ-Funktion und nicht das Kronecker δ. Man kann die Menge {|~xi} der uneigentlichen ket-Vektoren damit auch als “orthonormale” Basis auffassen.14 Bez¨ uglicher dieser Basis wird der abstrakte Vektor |ψi durch die Wellenfunktion ψ(~x) = h~x |ψi dargestellt.15 Man spricht daher in diesem Zusammenhang auch von der Ortsdarstellung. 14
Da der zugrundeliegende Hilbertraum ein separabler ist, muss diese Basis u ¨bervollst¨andig sein. 15 So, wie ein endlichdimensionaler Vektor |ϕi bez¨ uglich einer Basis {|ej i} durch die Eintr¨age hej |ϕi eines Spaltenvektors dargestellt wird (siehe Kapitel 2), wird das obige |ψi durch die Funktion ψ(~x) = h~x |ψi dargestellt. Die ψ(~x) bilden also die “Eintr¨age” eines “kontinuierlichen Spaltenvektors”.
67 Mit Hilfe der uneigentlichen ket-Vektoren |~x i und der bra-Vektoren h~x | wollen wir nun einen Ortsoperator definieren. Dazu betrachten wir die auf Eins normierte Wellenfunktion ψ(~x) (|ψ(~x)|2 ist die Wahrscheinlichkeitsdichte eines Teilchens zu einer festen Zeit t, die wir nicht mitschreiben). Der Erwartungswert des Ortes ist durch16 Z h~x i = ~x |ψ(~x)|2 dd x ZU = hψ |~x i ~x h~x |ψi dd x U D E = hψ| ~xˆ |ψi = ~xˆ |ψi
gegeben. Dabei haben wir den Ortsoperator17 Z ˆ ~x := |~x i ~x h~x | dd x
(5.5)
U
u ¨ber seine Spektraldarstellung in den (uneigentlichen) Ortszust¨anden definiert. Analog zur Zerlegung der Eins tritt wieder ein Integral statt der Summe (vergleiche mit Gl. (2.8)) auf. Aus der Spektraldarstellung folgt sofort, dass ~xˆ† = ~xˆ , der Ortsoperator also selbstadjungiert ist. Die Ortszust¨ande |~x i sind die (uneigentlichen) Eigenzust¨ande zu ~xˆ, da Z Z 0 d 0 ˆ |~x i ~xδ(~x − ~x 0 )dd x = ~x 0 |~x 0 i . |~x i ~x h~x | ~x i d x = ~x |~x i = U
U
Da h~x| ~xˆ = ~x h~x| wirkt der Ortsoperator in der Ortsdarstellung wie die Multiplikation mit dem Ortsvektor ~x h~x| ~xˆ |ψi = ~x h~x |ψi = ~xψ(~x) . Die Komponenten des Ortsoperators xˆj , j = 1, 2, . . . , d, vertauschen da Z Z d [ˆ xi , xˆj ] = xi |~x i h~x | d x x0j |~x 0 i h~x 0 | dd x0 UZ U Z 0 0 0 d 0 xi |~x i h~x | dd x − xj |~x i h~x | d x U Z U = (xi xj − xi xj ) |~x i h~x | dd x = 0 ,
(5.6)
U 16
In der letzten Zeile gehen wir dabei von der “Wellenpaketnotation” ur den Erwartungswert D Ef¨ ˆ des Ortes h~x i von Kapitel 4 zu der abstrakten “Operatornotation” ~x von Kapitel 3 u ¨ber. |ψi
17
Der Hut auf dem Vektor ~x ist notwendig, um den Ortsoperator vom Ortsvektor zu unterscheiden.
68
KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM
wobei wir Gl. (5.4) verwendet haben. Ein weiteres wichtiges Beispiel von stetigen linearen Funktionalen die nicht durch Zust¨ande des L2 (Rd ) ausgedr¨ uckt werden k¨onnen bilden die so genannten “Impulszust¨ande”.18 Wir definieren d Z 1 ˜ h~p | ψi := ψ(~p ) = √ e−i~p·~x/~ ψ(~x)dd x , (5.7) d 2π~ R so dass |h~p | ψi|2 die Wahrscheinlichkeitsdichte des Impulses ist. Analog zum Begriff der Ortsdarstellung spricht man hier von der Impulsdarstellung. Die Funkti√ d on e−i~p·~x/~ / 2π~ die das Funktional erzeugt ist nicht quadratintegrable, geh¨ort also nicht zum Hilbertraum. Wie f¨ ur die Ortszust¨ande definieren wir dennoch einen uneigentlichen ket-Vektor |~p i gem¨aß h~p |ψi∗ = ψ˜∗ (~p) =: hψ |~pi . Analog zur Rechnung Gl. (4.13) kann man zeigen, dass Z Z ∗ d ˜ p)dd p hϕ |ψi = ϕ (~x)ψ(~x)d x = ϕ˜∗ (~p)ψ(~ d d R ZR hϕ |~p i h~p |ψi dd p = Rd
gilt. Wir erhalten damit wieder eine Zerlegung der Eins Z |~p i h~p | dd p = 1 .
(5.8)
Rd
Aus ihr ergibt sich wie oben h~p |~p 0 i = δ(~p − p~ 0 ) .
(5.9)
In Analogie zum Ortsoperator definieren wir den Impulsoperator Z ˆ p~ := |~p i p~ h~p | dd p
(5.10)
Rd
und erhalten den Erwartungswert Z
˜ p )|2 dd p p~ |ψ(~ Rd D E ˆ = hψ| p~ |ψi = p~ˆ
h~p i =
|ψi
18
,
Wir betrachten hier gleich U = Rd , da die Fouriertransformation f¨ ur Funktionen definiert ist, die auf dem ganzen Rd gegeben sind. Eine Funktion auf U kann man durch geeignetes Fortsetzen auf den ganzen Rd erweitern.
69 die Selbstadjungiertheit p~ˆ † = p~ˆ , die Eigenvektorrelation p~ˆ |~p 0 i = p~ 0 |~p 0 i , sowie die Kommutatorrelation [ˆ pi , pˆj ] = 0 .
(5.11)
Ein Vergleich von Z
Z
d
h~p |~xi h~x |ψi d x =
h~p |ψi =
h~p |~xi ψ(~x)dd x
Rd
Rd
mit der Definitionsgleichung (5.7) zeigt, dass h~p |~xi =
1 √ 2π~
d
e−i~p·~x/~ ,
bzw. h~x |~pi =
1 √ 2π~
d
ei~p·~x/~ ,
(5.12)
gilt. Aus der letzten Gleichung folgt19 ~ ∂ h~x |~pi = p~ h~x |~pi . i ∂~x Mit Hilfe dieser Relation kann man die Wirkung von p~ˆ in der Ortsdarstellung bestimmen Z ˆ h~x| p~ |ψi = h~x |~p i p~ h~p |ψi dd p d R Z ~ ∂ = h~x |~p i h~p |ψi dd p i ∂~x Rd ~ ∂ = h~x |ψi . i ∂~x In der Ortsdarstellung wird der Impulsoperator p~ˆ also durch den Differentations∂ operator ~i ∂~ dargestellt. x 19 ∂ ∂~ x
~ ~x . ist eine h¨ aufig benutzte, alternative Schreibweise f¨ ur den Gradienten ∇
70
KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM
Mit dieser Einsicht l¨asst sich der wichtige Kommutator [ˆ xi , pˆj ] berechnen. Wir betrachten dazu h~x| [ˆ xi , pˆj ] |ψi = h~x| (ˆ xi pˆj − pˆj xˆi ) |ψi ~ ∂ ∂ = xi h~x |ψi − xi h~x |ψi i ∂xj ∂xj = i~ δi,j h~x |ψi . Da |ψi ein beliebiges Element ist20 folgt nach Multiplikation mit |~xi von links, R d Integration u ber alle ~ x und weglassen einer 1 = |~ x i h~ x | d x, die Heisenbergsche ¨ Vertauschungsrelation [ˆ xi , pˆj ] = i~ δi,j 1 .
(5.13)
Zusammen mit den Kommutatoren Gln. (5.6) und (5.11), bildet Gl. (5.13) die so genannten kanonischen Kommutatorrelationen. Wir wollen an dieser Stelle nocheinmal auf die bereits im Zusammenhang mit Gl. (3.15) angesprochene Beziehung klassischer Poissonklammern und der Kommutatorrelationen hinweisen.21 Bis auf den Faktor i~ entspricht Gl. (5.13) den Poissonklammern von Koordinaten und Impulsen in der klassischen Mechanik.22 Wir k¨onnen jetzt einen Zusammenhang zwischen der allgemeinen Heisenbergschen Unsch¨arferelation Gl. (3.21) und der Gl. (4.14) herstellen. W¨ahlen wir in Gl. (3.21) A = xˆi und B = pˆi so folgt ∆|ψi (ˆ xi ) ∆|ψi (ˆ pi ) ≥
~ 1 |hψ| [ˆ xi , pˆi ] |ψi| = , 2 2
d.h. Gl. (4.14).23 Zus¨atzlich k¨onnen wir jetzt bereits die Beziehung von Gl. (4.15) zur Beschreibung der Dynamik eines kr¨aftefreien Teilchens (bzw. die offensichtliche dreidimensionale Verallgemeinerung dieser Gleichung; siehe Gl. (4.17)) mit der allgemeinen Schr¨odingergleichung (3.4) verstehen. Dazu betrachten wir Z 2 h~x| p~ˆ |ψi = h~x |~p i p~ 2 h~p |ψi dd p Rd 2 Z ~ ∂ = h~x |~p i h~p |ψi dd p i ∂~x d R = −~2 ∆ h~x |ψi . ˆ Genauer ist |ψi ein beliebiges Element aus der Schnittmenge der Definitionsbereiche von ~x ˆ und p~. Auf dieser Schnittmenge gilt dann die Kommutatorrelation. 21 Den “tiefen” Grund f¨ ur die Gleichheit (bis auf den Faktor i~) von Poissonklammern in der klassischen Mechanik und den Kommutatoren in der Quantenmechanik werden Sie erst in der Quantenmechanik II kennenlernen. Er h¨angt mit Symmetrietransformationen wie z.B. der Translation und der Rotation zusammen. 22 Gleiches gilt f¨ ur die Gln. (5.6) und (5.11). 23 Wie f¨ ur die Erwartungswerte von Ort und Impuls, haben wir im Kapitel 4 auch f¨ ur die Unsch¨arfen bewusst eine andere Notation gew¨ahlt, als im Kapitel 3. 20
71 Wir haben dabei benutzt, dass f¨ ur einen selbstadjungierten Operator A mit Spektraldarstellung X A= λν |aν i haν | , ν
f (A), mit einer hinreichend “harmlosen” Funktion f : R → C, die Spektraldarstellung24 X f (A) := f (λν ) |aν i haν | (5.14) ν
hat.25 Gleiches gilt, wenn die diskrete Summe durch ein Integral ersetzt wird (wie p ~ˆ 2 in bei den Orts- und Impulszust¨anden). Wir erkennen somit, dass der Operator 2m ~2 der Ortsdarstellung durch − 2m ∆ gegeben ist. W¨ahlen wir also in der allgemeinen Schr¨odingergleichung (3.4) H = i~
p ~ˆ 2 2m
so folgt
∂ ∂ ∂ ψ(~x, t) = i~ h~x |ψ(t)i = h~x| i~ |ψ(t)i = h~x| H |ψ(t)i ∂t ∂t ∂t 2 2 p~ˆ ~ ~2 = h~x| |ψ(t)i = − ∆ h~x |ψ(t)i = − ∆ψ(~x, t) , 2m 2m 2m
d.h. Gl. (4.15). Um also von der klassischen Hamiltonfunktion eines kr¨aftefreien p ~2 zum Hamiltonoperator zu gelangen, ersetzen wir den Impuls durch Teilchens 2m den Impulsoperator. Gl. (4.15) ist die Schr¨odingergleichung f¨ ur solch ein Teilchen in der Ortsdarstellung. Der Idee der Ersetzung einer Variablen durch den zugeh¨origen Operator folgend, ersetzen wir jetzt ein (hinreichend vern¨ unftiges) Potenzial26 V (~x) durch Z ˆ V (~x) |~xi h~x| d3 x , V (~x) = R3
mit h~x| V (~xˆ) |ψi = V (~x) h~x| ψi = V (~x)ψ(~x) . Damit ergibt sich Gl. (4.17) als Ortsdarstellung der Schr¨odingergleichung i~ 24
∂ |ψ(t)i = H |ψ(t)i , ∂t
Im Gegensatz zur allgemeinen Definition der Funktion eines Operators u ¨ber die Potenzreihe, muss f nicht unbedingt in eine Potenzreihe entwickelbar sein. 25 2 Das diese R Definitiond sinnvoll ist, sieht man exemplarisch, wenn man f (y) = y , y ∈ R, und A=x ˆj = |~xi xj h~x| d x betrachtet. Explizites berechnen von AA liefert dann dasselbe, wie A2 nach der Definition. 26 Eine m¨ ogliche Zeitabh¨ angigkeit des Potenzials schreiben wir hier nicht mit.
72
KAPITEL 5. DER HILBERTRAUM
mit dem spezifischen Hamiltonoperator H=
p~ˆ 2 + V (~xˆ) . 2m
(5.15)
Er beschreibt die Dynamik eines Teilchens der Masse m im externen Potenzial V (~x) und man gewinnt ihn aus der Hamiltonfunktion des ¨aquivalenten klassischen Problems durch ersetzen der Koordinaten und Impulse durch die entsprechenden Operatoren. Man nennt diese Ersetzungsvorschrift das Korrespondenzprinzip. Da p~ˆ und ~xˆ selbstadjungiert sind, ist auch H selbstadjungiert.27 Wir wollen die obige Aussage nocheinmal durch eine explizite Rechnung best¨atigen. Starten wir dazu mit Gl. (4.17): ~2 ∂ ∆ψ(~x, t) + V (~x)ψ(~x, t) i~ ψ(~x, t) = − ∂t 2m ~2 ∂ ∆ h~x |ψ(t)i + V (~x) h~x |ψ(t)i ⇔ i~ h~x |ψ(t)i = − ∂t 2m ∂ p~ˆ 2 ⇔ h~x| i~ |ψ(t)i = h~x| |ψ(t)i + h~x| V (~xˆ) |ψ(t)i . ∂t 2m Multiplikation von links mit dem uneigentlichen ket-Vektor |~xi, Integration u ¨ber R ~x und das “Weglassen” einer 1 = |~xi h~x| d3 x liefert dann die Behauptung. Wir haben damit, wie angestrebt, eine gemeinsame Sprache f¨ ur die in den Kapiteln 3 und 4 beschriebene Physik gefunden.
27
Da im obigen Hamiltonoperator keine Produkte von pˆi und x ˆj vorkommen, ist der Beweis dieser Aussage trivial. Da pˆi und x ˆi nicht vertauschen (siehe Gl. (5.13)) muss man beim Beweis der Selbstadjungiertheit etwas vorsichtiger sein, wenn solche Produkte auftreten. In diesem Fall stellt aber das Korrespondenzprinzip sicher, dass man bei der “Quantisierung” einer Hamiltonfunktion die Reihenfolge der Faktoren von pˆi und x ˆi so w¨ahlt, dass der resultierende Hamiltonoperator selbstadjungiert ist. Wir werden entsprechende Beispiele kennen lernen.
Kapitel 6 Die Postulate der Quantenmechanik Wir werden jetzt die fundamentalen physikalischen Einsichten, die wir in den vorangegangenen Kapitel gewonnen haben zu Postulaten erheben. Da wir sie hinreichend motiviert haben sollten, werden wir hier nicht nocheinmal im Detail auf ihre Interpretation eingehen. Konsequenzen der Postulate werden Sie im Rest dieser Vorlesung kennen lernen. Postulat 1: Jedem abgeschlossenen Quantensystem ist ein Hilbertraum H zugeordnet. Der Zustand des Systems zu einer festen Zeit t0 wird durch ein Element |ψ(t0 )i ∈ H beschrieben. |ψ(t0 )i ist auf Eins normiert, d.h. hψ(t0 ) |ψ(t0 )i = 1. Postulat 2: Jede messbare physikalische Gr¨oße A wird durch einen linearen, selbstadjungierten Operator A auf H beschrieben. A hat ein vollst¨andiges System von Eigenvektoren (es gibt eine Zerlegung der Eins und eine Spektraldarstellung des Operators aus Eigenvektoren). Man nennt A eine Observable. Postulat 3: Die m¨oglichen Messwerte von A sind die Eigenwerte von A. Postulat 4: Misst man die Observable A an einem System im Zustand |ψi, so ist die Wahrscheinlichkeit den Eigenwert i) an zu messen, wenn an nicht-entarteter und diskreter Eigenwert zum Eigenvektor |an i ist, durch wan (|ψi) = | han |ψi |2 gegeben.1 1
Dieses Postulat impliziert, dass wenn ein gegebener Zustand |ψi orthogonal zu einem oder mehreren der Eigenvektoren zu A ist, die Wahrscheinlichkeit die zugeh¨origen Eigenwerte zu
73
74
KAPITEL 6. DIE POSTULATE DER QUANTENMECHANIK ii) an zu messen, wenn an entarteter und diskreter Eigenwert zum Eigenvektor |an , νi ist, durch Z X wan (|ψi) = | han , ν |ψi |2 ν
gegeben. Dabei bezeichnet ν einen zus¨atzlichen diskreten (Summenzeichen) bzw. kontinuierlichen (Integralzeichen) Parameter.2 Ist der Eigenwert a Teil eines Kontinuums von Eigenwerten, so liefert3 X Z 2 wa,a+da (|ψi) = | ha, ν |ψi | da ν
die Wahrscheinlichkeit einen Wert aus dem Intervall [a, a + da] zu messen.4 Dabei f¨allt die Summe bzw. das Integral (¨ uber ν) weg, wenn der Eigenzustand durch die Angabe von a bereits eindeutig charakterisiert ist. Aus Postulat 4 folgt der wichtige Zusammenhang zwischen dem Erwartungswert bzw. Mittelwert (bei wiederholter Messung an identisch pr¨aparierten Quantensystemen) in einem Zustand |ψi und dem Matrixelement hψ| A |ψi. Wir wollen ihn f¨ ur den Fall von diskreten aber m¨oglicherweise entarteten Eigenwerten beweisen: Z X X X | han , ν |ψi |2 hAi|ψi := an wan (|ψi) = an =
n Z XX n
n
ν
hψ |an , νi an han , ν |ψi = hψ| A |ψi ,
ν
wobei wir die Spektraldarstellung Z XX an |an , νi han , ν| A= n
ν
messen Null ist. Gleiches gilt, wenn der Eigenwert an entartet ist und |ψi orthogonal zu allen |an , νi ist, wobei ν die erlaubten Werte durchl¨auft. Aus ihm folgt weiterhin, dass die Zust¨ande |ψi und eiα |ψi, mit α ∈ R dieselben m¨oglichen Messwerte mit denselben Wahrscheinlichkeiten liefern (f¨ ur alle Observable). Physikalisch spielt eine globale Phase damit keine Rolle. Relative Phasen in Linearkombinationen von Zust¨anden sind dagegen sehr wichtig. 2 Das es eine kontinuierliche Parametrisierung geben kann, haben wir in den Beispielen der Orts- und Impulszust¨ ande kennengelernt. Wir werden im Folgenden h¨aufiger das aus dem Integral- und dem Summenzeichen zusammengesetze Symbol verwenden, wenn wir F¨alle von diskreter und kontinuierlicher Parameterabh¨angigkeit gleichzeitig diskutieren wollen. 3 Achtung! Hier gehen die Summe bzw. das Integral u ¨ber ν. Das da h¨angt also nicht mit der Summe bzw. dem Integral zusammen. 4 Als Beispiel betrachten wir hier A = x ˆ (in einer Raumdimension). Dann gilt f¨ ur die Wahrscheinlichkeit bei einer Ortsmessung das durch |ψi beschriebene Teilchen im Intervall [x, x+dx] zu finden wx,x+dx (|ψi) = | hx |ψi |2 dx = |ψ(x)|2 dx. Dies entspricht der in Kapitel 4 diskutierten Bornschen Interpretation.
75 verwendet haben. Ein analoges Resultat f¨ ur den Fall, dass es auch Eigenwerte a gibt, die in einem Kontinuum liegen, kann man leicht herleiten. Postulat 5: Ergibt die Messung einer Observablen A den Eigenwert5 an , so befindet sich das System nach der Messung in einem Zustand, der durch die normierte Projektion auf den entsprechenden Unterraum (zu an ) gegeben ist6 |ψi →
Pn |ψi hψ| Pn |ψi1/2
.
Dabei gilt Pn :=
Z X
|an , νi han , ν| .
ν
Postulat 6: Die zeitliche Entwicklung eines abgeschlossenen Quantensystems ist durch die Schr¨odingergleichung i~
d |ψ(t)i = H |ψ(t)i dt
gegeben, wobei H die Observable ist, die mit der Gesamtenergie des Systems verkn¨ upft ist. Um Observable aus ihrem klassischen Analogon zu konstruieren ben¨otigen wir das schon erw¨ahnte Korrespondenzprinzip. Diesem folgend ersetzt man in einer klassischen physikalischen Messgr¨oße A(~x, p~) die Koordinaten und Impulse durch die entsprechenden Operatoren ~xˆ und p~ˆ. Dabei w¨ahlt man die Reihenfolge der xˆi und pˆj so, dass der resultierende Operator A(~xˆ, p~ˆ) selbstadjungiert ist. Formal ist diese Konstruktionsvorschrift nicht eindeutig. Trotzdem lassen sich die praktisch wichtigen F¨alle eindeutig u ur Beispiele, siehe sp¨ater). Anhand ¨bersetzen (f¨ des Spinfreiheitsgrads des Elektrons haben wir bereits gesehen, dass es in der Quantenmechanik auch Freiheitsgrade gibt, die kein klassisches Analogon haben. In diesem Fall gibt es weder zur Konstruktion des Hilbertraums noch des Hamiltonoperators (bzw. weiterer mit diesem Freiheitsgrad zusammenh¨angender Operatoren) eine allgemeing¨ ultige Vorgehensweise. Der Theoretiker muss sich daher vom experimentellen Beobachtungen und allgemeinen Konzepten (wie Symmetrien und Einfachheitsargumenten) leiten lassen. Ein Beispiel dazu haben wir bei der Analyse des Stern-Gerlach Experiments kennen gelernt. 5
Der Einfachheit halber beschreiben wir nur den Fall eines diskreten Eigenwertes. Die Verallgemeinerung folgt jedoch unmittelbar. 6 Ist an nicht entartet, so vereinfacht sich der Ausdruck zu |ψi → |an i. Der Zustand auf der rechten Seite des Pfeils ist nur bis auf eine Phase eindeutig bestimmt.
76
KAPITEL 6. DIE POSTULATE DER QUANTENMECHANIK
Kapitel 7 Die Schr¨ odingergleichung in einer Dimension Um simultan ein besseres Verst¨andnis von “Quanteneffekten” bei der “Bewegung”1 eines Teilchens und des Formalismus der Quantenmechanik zu gewinnen, betrachten wir hier vereinfachend die Situation, in der das Teilchen sich nur entlang einer Raumrichtung “bewegen” kann und einem zeitunabh¨angigen Potenzial V (x) ausgesetzt ist. Ausgehend von einem z.B. durch die experimentelle Pr¨aparation festgelegten2 Anfangszustand zur Zeit t = 0,3 |ψ(0)i, ist die zeitliche Entwicklung des Zustandes |ψ(t)i durch die Schr¨odingergleichung i~
d |ψ(t)i = H |ψ(t)i dt
gegeben. In der Ortsdarstellung ergibt sich, wie wir bereits gesehen haben, eine partielle Differentialgleichung i~
∂ ~2 ∂ 2 ψ(x, t) = − ψ(x, t) + V (x)ψ(x, t) . ∂t 2m ∂x2
(7.1)
F¨ ur allgemeine Potenziale V (x) kann diese Differentialgleichung ausgehend von ψ(x, 0) (selbst in einer Dimension!) meist nur numerisch gel¨ost werden. F¨ ur den Fall der eindimensionalen Bewegung ist es relativ einfach einen numerisch einigermaßen genauen und stabilen Algorithmus anzugeben mit deren Hilfe die 1
Wir wollen hier die Orts- und Impulsfreiheitsgrade eines Teilchens untersuchen. Diese fassen wir mit dem Begriff “Bewegung” zusammen. Wie Sie sehen werden, diskutieren wir auch L¨ osungen der Schr¨ odingergleichung, bei denen die Zeitabh¨angigkeit nur durch eine Phase gegeben ist, so dass die Wahscheinlichkeitsdichte des Ortes zeitlich konstant ist, also keine wirkliche Bewegung stattfindet. 2 Als Theoretiker kann man den Anfangszustand, unter Ber¨ ucksichtigung m¨oglicher, sich aus der konkreten Modellsituation ergebender, Einschr¨ankungen, oft geeignet w¨ahlen. 3 Allgemeiner k¨ onnte man zur Zeit t0 starten. Der Anfangszustand w¨are dann durch ein vorgegebenes |ψ(t0 )i beschrieben. Wie w¨ahlen meist zur Vereinfachung und o.B.d.A. t0 = 0.
77
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
78
Differentialgleichung numerisch direkt gel¨ost werden kann. Unter der zus¨atzlichen Literatur finden Sie einige Seiten aus dem Buch Visual Quantum Mechanics von B. Thaller anhand derer es Ihnen leicht fallen sollte, ein entsprechendes Programm zu schreiben. Ein Teil der in der Vorlesung gezeigten “Filme” beruht auf der numerischen L¨osung der Schr¨odingergleichung in der Ortsdarstellung. Da dies aber keine Vorlesung u ¨ber “Computational Physics”, sondern u ¨ber theoretische Physik ist, m¨ochten wir auch ein analytisches Verst¨andnis von physikalisch relevanten Situationen gewinnen. Dazu stellen wir zwei zum Verst¨andnis der Physik und des Formalismus wichtige Fragen: (1) K¨onnen wir den Ablauf von Streuexperimenten analytisch verstehen, in denen ein, durch ein (geeignet gew¨ahltes) Wellenpaket4 beschriebenes Teilchen auf ein r¨aumlich lokalisiertes, externes Potenzials V (x) trifft? Ein Beispiel dazu ist in der gezeigten Simulation dargestellt. Ein Wellenpaket trifft auf einen lokalisierten “Potenzialberg”. Klassisch erwarten wir, dass das Teilchen den Potenzialberg durchtritt (Transmission), wenn die kinetische Energie E = p2 /(2m) > 0 des Teilchens außerhalb des Einflussbereichs des Potenzials gr¨oßer ist, als die maximale Potenzialh¨ohe Vmax = maxx∈R V (x). Gilt dagegen E < Vmax , so erwarten wir, dass das Teilchen reflektiert wir. Wie Sie in der numerischen L¨osung der Schr¨odingergleichung sehen, ergibt sich in der Quantenmechanik eine andere Situation. Ein Teil des mit mittlerem Impuls p0 einfallenden Wellenpakets wird reflektiert, ein anderer durchtritt jedoch den Potenzialberg. In der Wahrscheinlichkeitsdichte des Impulses gibt es entsprechend nach der Streuung, d.h. wenn die beiden Teilwellenpakete außerhalb des Einflussbereichs des Potenzials sind, zwei scharfe Strukturen: Eine um p0 herum, die andere um −p0 . Dieses Verhalten werden wir analytisch verstehen k¨onnen. Es f¨ uhrt uns unter anderem auf den so genannten Tunneleffekt, von dem Sie sicherlich schoneinmal geh¨ort haben. Ein analoges Verhalten in dem ein Wellenpaket auf eine Potenzialstufe trifft ist in Abbildung 7.1 dargestellt. Ein Verst¨andnis von Streuexperimenten der geschilderten Art ist im Zusammenhang mit Experimenten sehr wichtig. Allgemeine quantenmechanische Streutheorie (in drei Raumdimensionen) ist Gegenstand der Quantenmechanik II Vorlesung. (2) Gibt es quadratintegrable L¨osungen5 der Schr¨odingergleichung |ψ(t)i in einem gegebenen Potenzial in denen sich die Wahrscheinlichkeitsdichte des Ortes |hx |ψ(t)i|2 = |ψ(x, t)|2 zeitlich nicht ¨andert? Mit dieser Forderung lassen 4
Mit dem Begriff Wellenpaket bezeichnen wir hier ganz allgemein eine quadratintegrable, “vern¨ unftige” Wellenfunktion, die hinreichend gut lokalisiert ist, aber in Abwesenheit eines Potenzials nicht allzuschnell zerfließt. Wenn das Teilchen auf das lokalisierte Potenzial trifft, sollte das Wellenpaket noch einigermaßen lokalisiert sein. 5 Das wir die Quadratintegrabilit¨at fordern hat einen Grund! Wie Sie sp¨ater sehen werden, gibt es oft L¨ osungen der Schr¨ odingergleichung, deren Zeitabh¨angigkeit eine reine Phase ist, die aber nicht quadratintegrabel sind (siehe z.B. die ebenen Wellen aus Gl. (4.12)). Die quadratintegrablen Funktionen haben jedoch eine besondere Bedeutung als so genannte gebundene Zust¨ ande.
7.1. ALLGEMEINE KONZEPTE
79
Abbildung 7.1: Die Streuung eines Wellenpakets an einer Potenzialstufe. Die obere ˜ t)|2 , jeweils zu drei verschiedenen Zeiten. Reihe zeigt |ψ(x, t)|2 und die untere |ψ(p,
wir nur eine zeitabh¨angige Phase zu. Starten wir bei t = 0 in solch einem Zustand, so w¨aren sowohl der Erwartungswert des Ortes als auch die Unsch¨arfe zeitunabh¨angig. Auch bei jeder anderen Messung von Observablen, w¨aren die Erwartungswerte (und Unsch¨arfen) zeitunabh¨angig.6 Die Beantwortung beider Fragen ist sehr wichtig zum Verst¨andnis einer Vielzahl von Experimenten. Wir werden uns ihr in mehreren Schritten n¨ahern. Es sollte dabei klar werden, dass einige der wichtigen Schritte auch bei der L¨osung allgemeinerer Probleme von großer Bedeutung sind.
7.1
Allgemeine Konzepte
Die Wahrscheinlichkeitsstromdichte: Die Interpretation von ρ(x, t) = |ψ(x, t)|2 als Wahrscheinlichkeitsdichte des Ortes,7 wird durch den Begriff der Wahrscheinlichkeitsstromdichte komplettiert. Um dieses Konzept einzuf¨ uhren betrachten wir ¨ die zeitliche Anderung von ρ(x, t). Unter der Annahme, dass V (x) reell ist, bilden wir das komplexkonjugierte der Schr¨odingergleichung (7.1) in der Ortsdarstellung −i~
∂ ∗ ~2 ∂ 2 ∗ ψ (x, t) = − ψ (x, t) + V (x)ψ ∗ (x, t) . ∂t 2m ∂x2
(7.2)
Multiplizieren wir jetzt Gl. (7.1) mit ψ ∗ (x, t) und Gl. (7.2) mit ψ(x, t) und sub6 7
Siehe eine der Fußnoten im Postulat 4. ψ(x, t) ist eine auf Eins normierte Wellenfunktion.
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
80
trahieren die beiden resultierenden Gleichungen voneinander, so folgt ∂ ∂ ∗ ∂ ∗ i~ ψ (x, t) ψ(x, t) + ψ(x, t) ψ (x, t) = i~ ρ(x, t) ∂t ∂t ∂t 2 2 2 ~ ∂ ∂ ∗ ∗ =− ψ (x, t) 2 ψ(x, t) − ψ(x, t) 2 ψ (x, t) + V (x)ρ(x, t) − V (x)ρ(x, t) 2m ∂x ∂x 2 2 ∂ ~ ∂2 ∗ ∗ ψ (x, t) 2 ψ(x, t) − ψ(x, t) 2 ψ (x, t) . =− 2m ∂x ∂x Mit der Definition ∂ ∂ ∗ ~ ∗ ψ (x, t) ψ(x, t) − ψ(x, t) ψ (x, t) j(x, t) := 2mi ∂x ∂x
(7.3)
f¨ ur die Wahrscheinlichkeitsstromdichte8 j(x, t) ergibt sich aus dieser Gleichung die Kontinuit¨atsgleichung9 ∂ ∂ ρ(x, t) + j(x, t) = 0 . ∂t ∂x
(7.4)
Das der Name “Wahrscheinlichkeitsstromdichte” gerechtfertigt ist, sehen wir an ¨ folgender Uberlegung. Die Wahrscheinlichkeit das Teilchen zur Zeit t im Intervall Rb [a, b] anzutreffen ist durch W[a,b] (t) = a ρ(x, t)dx gegeben. Eingesetzt in Gl. (7.4) erhalten wir ∂ W[a,b] (t) = j(a, t) − j(b, t) . ∂t Die Wahrscheinlichkeit W[a,b] (t) ¨andert sich also dadurch, dass bei a “Wahrscheinlichkeit” in das Intervall hineinfließt10 und bei b hinaus. Mit der Zerlegung p ψ(x, t) = ρ(x, t)eiP (x,t)/~ erh¨alt man aus Gl. (7.3) j(x, t) = ρ(x, t)
1 ∂ P (x, t) . m ∂x
(7.5)
Dieser Ausdruck11 zeigt, dass die Wahrscheinlichkeitsstromdichte f¨ ur reelle Wellenfunktionen ψ(x, t) mit P (x, t) = 0, f¨ ur alle x und t, gleich Null ist. Aus der 8
Die Definitionsgleichung der Wahrscheinlichkeitsstromdichte zeigt, dass j(x, t) reell ist. Eine Gleichung dieses Typs sollten Sie aus der Elektrodynamik kennen. Dort steht ρ(x, t) f¨ ur die Ladungsdichte und j(x, t) f¨ ur die Stromdichte. 10 Das “Hineinfließen” kann auch negativ sein. Dann nimmt W[a,b] (t) entsprechend ab. Analoges gilt f¨ ur ein “negatives” Hinausfließen bei b. In diesem Fall nimmt W[a,b] (t) zu. 1 ∂ 11 Man kann m ∂x P (x, t) als die Geschwindigkeit des Wahrscheinlichkeitsstroms interpretieren. Der Wahrscheinlichkeitsstrom ergibt sich dann als “Dichte×Geschwindigkeit”. 9
7.1. ALLGEMEINE KONZEPTE
81
Kontinuit¨atsgleichung (7.4) folgt f¨ ur diesen Fall eine zeitunabh¨angige Wahrschein¨ lichkeitsdichte (siehe unsere obige Frage (2)). Anhand dieser Uberlegung erkennen 12 wir die Wichtigkeit der komplexen Zahlen in der Quantenmechanik. Gl. (7.5) zeigt zus¨atzlich, dass die Wahrscheinlichkeit f¨ ur eine allgemeine Wellenfunktion von Gebieten kleinerer Phase zu Gebieten gr¨oßerer Phase “fließt”. In der Kodierung von Abbildung 4.5 heißt das z.B., dass die Wahrscheinlichkeitsdichte in gelben Gebieten zunimmt und in roten Gebieten abnimmt. Eine solche Situation ist in der gezeigten Simulation und f¨ ur zwei feste Zeiten in Abbildung 7.2 dargestellt. Die Wahrscheinlichkeitsstromdichte und die Kontinuit¨atsgleichung sind formal wichtige Konzepte. Zus¨atzlich k¨onnen sie oft dazu verwendet werden ein besseres anschauliches Verst¨andnis der in Rechnungen gewonnenen Ergebnisse zu gewinnen und qualitative Vorhersagen der Zeitentwicklung einer Wellenfunktion zu machen ohne die Schr¨odingergleichung vollst¨andig zu l¨osen.
Abbildung 7.2: Zeitliche Entwicklung einer Wellenfunktion. Der Fluss der Wahrscheinlichkeit ist in Richtung der ansteigenden Phase. Die verwendete Kodierung der Wahrscheinlichkeitsdichte (als Funktionswert) und Phase (als F¨arbung unter der Kurve) ist in Abbildung 4.5 erkl¨art.
Eine formale L¨ osung der Schr¨ odingergleichung: Ist das betrachtete Potenzial V (x) zeitunabh¨angig, so ist der Hamiltonoperator zeitunabh¨angig. In diesem Fall l¨asst sich die Schr¨odingergleichung sofort formal l¨osen d |ψ(t)i = H |ψ(t)i dt ⇒ |ψ(t)i = e−iHt/~ |ψ(0)i . i~
Differenzieren entsprechend der Regeln f¨ ur die Differentation eines parameterabh¨angigen Operators (hier exp (−iHt/~)) nach dem Parameter (hier t) zeigt, dass die rechte Seite der zweiten Zeile tats¨achlich eine L¨osung der Schr¨odingergleichung mit der durch |ψ(0)i gegebenen Anfangsbedingung ist. Allgemein gilt, dass f¨ ur jedes zeitunabh¨angige H der obige Ausdruck eine formale L¨osung liefert. 12
Ohne diese h¨ atte man nur eine “Quantenstatik”.
82
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
Wir bezeichnen die L¨osung als formal, da wir im Allgemeinen nicht in der Lage sein werden den Ausdruck |ψ(t)i = e−iHt/~ |ψ(0)i =: U (t) |ψ(0)i .
(7.6)
explizit auszuwerten. Dazu m¨ ussten wir alle Zust¨ande |ϕn i := H n |ψ(0)i, n ∈ N0 , bestimmen k¨onnen, die sich durch n-faches Anwenden des Hamiltonoperators auf den Anfangszustand ergeben.13 Wir werden gleich sehen, wie uns in diesem Zusammenhang die Spektraldarstellung des Hamiltonoperators weiterhelfen kann. In Gl. (7.6) haben wir den Zeitentwicklungsoperator U (t) definiert. Da H selbstadjungiert ist, ist U (t), wie man leicht nachrechnet, unit¨ar:14 U † (t) = U −1 (t). Aus der Unitarit¨at des Zeitentwicklungsoperators folgt sofort, dass ein zur Zeit t = 0 auf Eins normierter Zustand hψ(0) |ψ(0)i = 1 (Wahrscheinlichkeitsinterpretation!) auch zu Zeiten t 6= 0 auf Eins normiert ist15 hψ(t) |ψ(t)i = hψ(0)| eiHt/~ e−iHt/~ |ψ(0)i = hψ(0) |ψ(0)i = 1 . Im Kapitel 4 u ¨ber Wellenpakete hatten wir diese Eigenschaft die Normiertheit der Wellenfunktion f¨ ur alle Zeiten explizit gefordert und daraus etwas u ¨ber die Fouriertransformierte der Wellenfunktion gelernt. Eine alternative Formulierung der Gl. (7.6) erhalten wir, wenn wir die Spektraldarstellung des Hamiltonoperators verwenden. Die Spektraldarstellung des Zeitentwicklungsoperators: Die Eigenzust¨ande zum Hamiltonoperator H seien mit |E, νi bezeichnet. Wie lassen dabei sowohl kontinuierliche als auch diskrete Eigenwerte E,16 und Entartung zu. Wir nehmen an, dass der zus¨atzliche Index ν zusammen mit E die Eigenvektoren eindeutig charakterisiert, d.h. die |E, νi eine Basis eindeutig festlegen. Reicht dazu ein zus¨atzlicher diskreter oder kontinuierlicher Index ν nicht aus, so steht ν f¨ ur einen Multiindex. Die Spektraldarstellung des selbstadjungierten Hamiltonoperators lautet dann Z Z X X E |E, νi hE, ν| . H= E
ν
Mit Gl. (5.14) ergibt sich daraus die Spektraldarstellung des Zeitentwicklungsoperators17 zu Z X Z X U (t) = e−iEt/~ |E, νi hE, ν| . E 13
ν
P∞
Zur Erinnerung: exp (−iHt/~) = n=0 H n (−it/~)n /n!. Bei der Definition der Unitarit¨at eines Operators auf einem unendlichdimensionalen Vektorraum muss man wie im Fall selbstadjungierter Operatoren auf den Definitionsbereich achten. F¨ ur Details verweisen wir auf die Literatur u ¨ber Funktionalanalysis. 15 Ohne diese Eigenschaft, w¨ urde unsere Wahrscheinlichkeitsinterpretation wenig sinnvoll sein! 16 Wom¨ oglich sind sie sogar zum Teil diskret und zum Teil kontinuierlich. 17 Man kann sich sehr leicht davon u ur einen selbstadjungierten Operator ¨berzeugen, dass f¨ A und eine Funktion f : R → C, die in einer Taylorreihe entwickelbar ist, die Definitionen der Funktion des Operators f (A) u ¨ber die Spektraldarstellung Gl. (5.14) und die Taylorreihe aquivalent sind. ¨ 14
7.1. ALLGEMEINE KONZEPTE
83
Kennen wir alle Eigenvektoren |E, νi und Eigenwerte E von H, so ergibt sich |ψ(t)i als eine Linearkombination der Basisvektoren |E, νi mit Koeffizienten, die sich aus den Entwicklungskoeffizienten von |ψ(0)i nach der {|E, νi} Basis und Phasenfaktoren18 e−iEt/~ zusammensetzen Z X Z X |ψ(t)i = U (t) |ψ(0)i = e−iEt/~ hE, ν |ψ(0)i |E, νi . (7.7) E
ν
Es stellt sich also heraus, dass die Kenntnis aller Eigenwerte und Eigenvektoren des Hamiltonoperators bei der Bestimmung der Zeitentwicklung eines Quantensystems, d.h. der L¨osung der zugeh¨origen Schr¨odingergleichung, extrem hilfreich sein kann. Kennen wir alle Eigenwerte und Eigenvektoren des Hamiltonoperators, so ben¨otigen wir zur Bestimmung von |ψ(t)i nur noch alle Eintr¨age hE, ν |ψ(0)i des Spaltenvektors, der |ψ(0)i in der {|E, νi} Basis darstellt. Die zeitunabh¨ angige Schro ¨dingergleichung: Starten wir bei t = 0 in einem der Eigenzust¨ande des Hamiltonoperators |ψ(0)i = |E, νi, so ergibt sich aus Gl. (7.7) Z X Z X 0 e−iE t/~ hE 0 , ν 0 |E, νi |E 0 , ν 0 i = e−iEt/~ |E, νi , |ψ(t)i = E0
ν0
da die Eigenzust¨ande |E, νi paarweise orthogonal sind.19 Die Zeitabh¨angigkeit von Eigenzust¨anden reduziert sich somit auf eine reine Phase. Die Eigenwertgleichung des Hamiltonoperators lautet H |E, νi = E |E, νi .
(7.8)
Sie ergibt sich aus der allgemeinen Schr¨odingergleichung i~
d |ψ(t)i = H |ψ(t)i dt
durch Einsetzen der obigen L¨osung |ψ(t)i = e−iEt/~ |E, νi, bei der das System so pr¨apariert wird, dass es sich zur Zeit t = 0 in einem Eigenzustand zu H befindet. Man spricht im Zusammenhang mit der Eigenwertgleichung (7.8) f¨ ur den Hamiltonoperator daher auch von der zeitunabh¨angigen (oder station¨aren) Schr¨odingergleichung. Gl. (7.7) verschiebt das Problem der L¨osung einer partiellen Differentialgleichung auf die Bestimmung aller Eigenwerte und Eigenvektoren von H. F¨ ur ein gegebenes Potenzial V (x) lassen sich auch diese im Allgemeinen nicht vollst¨andig analytisch (sondern “nur” numerisch) angeben. Ein Beispiel: Das kr¨ aftefreie Teilchen. Der Hamiltonoperator f¨ ur das pˆ2 kr¨aftefreie Teilchen ist durch 2m gegeben. Aus der Spektraldarstellung des Impulsoperators Gl. (5.10) kennen wir alle Eigenzust¨ande dieses Operators. Es sind 18
Hier bekommt jeder Summand eine unterschiedliche Phase. Im Gegensatz zu einer globalen Phase, die keinen Einfluss auf Messwerte hat, sind solche relativen Phasen extrem wichtig! 19 Im diskreten Fall mit einem Kronecker-δ, im kontinuierlichen Fall mit einer δ-Funktion.
84
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
die uneigentlichen Impulszust¨ande |pi, p ∈ R H |pi =
pˆ2 p2 |pi = |pi . 2m 2m
Die Eigenwerte p2 /(2m) sind alle positiv, kontinuierlich (da p ∈ R) und zweifach entartet (±p liefern identische Eigenwerte zu H). Keiner der Eigenvektoren ist quadratintegrabel.20 Wir haben hier somit die Situation eines rein kontinuierlichen Spektrums.21 Als zus¨atzlichen Index ν k¨onnen wir die Richtung E des √ Impulses ν = ± w¨ahlen. Wir definieren dann |E, +i := pE = + 2mE und E √ |E, −i := pE = − 2mE . Die Spektraldarstellung des Hamiltonoperators lautet Z H= 0
∞
X
Z
∞
E |E, νi hE, ν| dE = −∞
ν=±
p2 |pi hp| dp 2m
und die des Zeitentwicklungsoperators Z U (t) = 0
∞
X
−iEt/~
e
ν=±
∞
p2 exp −i |E, νi hE, ν| dE = t/~ |pi hp| dp . 2m −∞ Z
Starten wir jetzt bei t = 0 mit einem quadratintegrablen, auf Eins normierten Anfangszustand |ψ(0)i, so ergibt sich in der Ortsdarstellung ψ(x, t) = hx |ψ(t)i = hx| U (t) |ψ(0)i Z ∞X e−iEt/~ hE, ν |ψ(0)i hx |E, νi dE = 0
ν=± ∞
p2 = exp −i t/~ hp| ψ(0)i hx |pi dp 2m −∞ Z ∞ 1 p2 ˜ exp (ipx/~) dp , = √ exp −i t/~ ψ(p) 2m 2π~ −∞ Z
˜ wobei wir Gln. (5.7) und (5.12) verwendet haben und ψ(p) die Fouriertransformierte der Wellenfunktion zur Zeit t = 0 bezeichnet. Wir reproduzieren somit vollst¨andig unseren “Wellenpaketansatz” aus Gl. (4.12). 20
Es handelt sich also nicht um die speziellen L¨osungen der Schr¨odingergleichung, nach denen wir im Punkt (2) oben gefragt haben. 21 Wir bezeichnen die Menge der Eigenwerte als das Spektrum, auch wenn zu ihnen uneigentliche (nicht-quadratintegrable) Eigenvektoren geh¨oren. Das ist mathematisch nicht sehr pr¨azise, wie Sie der Literatur u ¨ber Funktionalanalysis entnehmen k¨onnen.
¨ ¨ 7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL
7.2
85
Station¨ are Schro ¨dingergleichung mit Potenzial
Die zeitunabh¨ angige Schro anktem V (x): Die ¨dingergleichung mit beschr¨ zeitunabh¨angige Schr¨odingergleichung (d.h. das Eigenwertproblem) in Ortsdard2 00 stellung (ψE,ν (x) = dx 2 ψE,ν (x)) −
~2 00 ψ (x) + V (x)ψE,ν (x) = EψE,ν (x) , 2m E,ν
mit ψE,ν (x) := hx |E, νi ist eine gew¨ohnliche lineare Differentialgleichung 2. Ordnung. Betrachten wir hier nur beschr¨ankte Potenziale V (x), bei denen |V (x)| ≤ C, f¨ ur alle x ∈ R, die bis auf endlich viele Stellen (an denen ein Sprung endlicher H¨ohe vorliegen kann, wie z.B. bei einem Kastenpotenzial) stetig sind und einen kompakten Tr¨ager haben. Aus der Theorie der gew¨ohnlichen Differentialgleichungen folgt, dass es f¨ ur jedes E zwei linearunabh¨angige L¨osungen ψE,ν (x), ν = 1, 2, gibt. Sie sind stetig und besitzen eine stetige Ableitung. Letzteres gilt auch an Punkten, an denen V (x) einen endlichen Sprung macht. Um dieses zu zeigen, integrieren wir die Differentialgleichung formal um eine Sprungstelle x0 von V (x) Z x0 +ε 00 0 0 ψE,ν (x)dx = ψE,ν (x0 + ε) − ψE,ν (x0 − ε) x0 −ε Z 2m x0 +ε [V (x) − E] ψE,ν (x)dx . = ~2 x0 −ε Da V (x) als beschr¨ankt angenommen wurde, verschwindet die zweite Zeile der 0 0 (x0 − 0), also die (x0 + 0) = ψE,ν Gleichung im Limes ε → 0 und wir finden ψE,ν Stetigkeit der Ableitung selbst an Sprungstellen des Potenzials. Um zu zeigen, dass nicht jede mathematische L¨osung der Differentialgleichung eine physikalisch sinnvolle Wellenfunktion liefert (nach Multiplikation mit exp (−iEt/~)) betrachten wir nocheinmal das Beispiel eines kr¨aftefreien Teilchens mit V (x) = 0, f¨ ur alle x ∈ R. Wie man sehr leicht durch p Einsetzen zeigt, bilden die Funktionen ψE,± (x) = c± exp (±αE x), mit αE := 2m(−E)/~, f¨ ur E < 0 die linearunabh¨angigen L¨osungen. c± ∈ C bezeichnet eine freie Konstante. Beide L¨osungen sind aufgrund ihres exponentiellen Anwachsens in x → ±∞ Richtung nicht quadratintegrabel.22 Da sie f¨ ur betragsm¨aßig große Argumente noch nichteinmal beschr¨ankt sind, bilden sie auch keine uneigentlichen Zust¨ande (wie die Ortsund Impulszust¨ande), um die wir den Hilbertraum L2 (R) ja bereits erweitert haben. Die beiden L¨osungen stellen also keine physikalisch sinnvollen L¨osungen dar. Solche gibt es, wie wir bereits aus der obigen Diskussion des Beispiels wissen, nur f¨ u√ r positive Energien. F¨ ur E > 0 bilden ψE,± (x) = c± exp (±ikE x), mit kE := 2mE/~ > 0, zwei linearunabh¨angige L¨osungen. Dieses sind die uns 22
Die noch zu ber¨ ucksichtigende reine Phase exp (−iEt/~) ¨andert daran nat¨ urlich nichts!
86
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
bereits bekannten uneigentlichen Impulszust¨ande in der Ortsdarstellung (wenn √ wir c± = 1/ 2π~ w¨ahlen). Alternativ h¨atten wir auch die beiden reellen, linearunabh¨angigen L¨osungen ψE,1 (x) = c1 cos (kE x) und ψE,2 (x) = c2 sin (kE x) w¨ahlen k¨onnen. F¨ ur reelle Potenziale V (x) gilt, dass mit ψE (x) auch ψE∗ (x) eine L¨osung zur selben Energie ist. Damit sind, wie oben beispielhaft gesehen, wegen der Linearit¨at der zeitunabh¨angigen Schr¨odingergleichung auch Re[ψE (x)] und Im[ψE (x)] L¨osungen zur Energie E. Wir k¨onnen uns daher immer auf reelle L¨osungen beschr¨anken, es ist aber oft praktisch mit den komplexen ebenen Wellen exp (±ikE x) zu rechnen.
V(x) Vmax 1
2
3
a
b
x
Vmin <0
Abbildung 7.3: Ein beschr¨anktes Potenzial V (x) mit kompaktem Tr¨ager, das bis auf endlich viele Sprungstellen stetig ist. Es bietet sich dabei an, die drei Bereiche 1,2, und 3 zu unterscheiden.
Betrachten wir jetzt das Eigenwertproblem in einem Potenzial V (x) wie in Abbildung 7.3 skizziert. In den mit 1 und 3 bezeichneten Bereichen, soll das Potenzial verschwinden. (1) E < 0: Analysieren wir zun¨achst den Fall E < 0. Wir werden dabei wie folgt vorgehen: F¨ ur ein vorgegebenes E < 0 werden wir physikalische L¨osungen der zeitunabh¨angigen Schr¨odingergleichung in den drei Teilbereichen bestimmen.23 Aus der Theorie der gew¨ohnlichen Differentialgleichungen wissen wir, dass die aus den L¨osungen in den drei Teilgebieten zusammengesetzte Gesamtl¨osung stetig ist und eine stetige Ableitung besitzt. Dies gilt auch an den Anschlusspunkten bei x = a und x = b. Mit Hilfe der an diesen Punkten resultierenden Anschlussbedingungen, werden wir dann zeigen k¨onnen, dass es nicht f¨ ur jedes E < 0 eine physikalische L¨osung der zeitunabh¨angigen Schr¨odingergleichung im ganzen 23
Aus der Theorie der gew¨ ohnlichen Differentialgleichungen folgt, dass es auch in den Teilbereichen jeweils zwei linearunabh¨ angige stetige L¨osungen, mit stetiger Ableitung gibt. Erneut kommen nicht unbedingt beide L¨ osungen als physikalische L¨osungen in Frage.
¨ ¨ 7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL
87
R gibt. Im Bereich 1 kommt aus physikalischen Gr¨ unden (siehe p oben) nur die (1) (1) (1) L¨osung ψE (x) = c˜ exp (αE x) = c exp (αE [x − a]), mit αE := 2m(−E)/~, in Frage. O.b.d.A. w¨ahlen wir c(1) > 0 und verwenden c(1) sp¨ater zur Normierung der Gesamtwellenfunktion.24 Im Gebiet 2 existieren zwei linearunabh¨angige (2) (2) (2) L¨osungen ψE,± (x). Die beiden freien Konstanten c+ und c− in (2)
(2)
(2)
(2)
(2)
ψE (x) = c+ ψE,+ (x) + c− ψE,− (x) w¨ahlen wir so, dass die Gesamtwellenfunktion ψE (x) und ihre Ableitung ψE0 (x) bei x = a stetig sind (1)
(2)
: c(1) = c+ ψE,+ (a) + c− ψE,− (a)
(1)0
(2)0
: c(1) αE = c+ ψE,+ (a) + c− ψE,− (a) .
ψE (a) = ψE (a) ψE (a) = ψE (a)
(2)
(2)
(2)
(2)
(2)0
(2)
(2)
(2)0
(2)
(2)
Aus diesen Forderungen ergeben sich zwei lineare Gleichungen f¨ ur c+ und c− . In Matrixschreibweise gilt ! ! (1) (2) (2) (2) ψE,+ (a) ψE,− (a) c c+ = . (2) (2)0 (2)0 αE c(1) c− ψE,+ (a) ψE,− (a) Dieses Gleichungssystem ist genau dann eindeutig l¨osbar, wenn die Determinante der Matrix auf der rechten Seite nicht verschwindet. Dieses wird durch einen Satz der allgemeinen Theorie linearer Differentialgleichungen sichergestellt. Nach ihm ist die Wronskideterminante ψ+ (x) ψ− (x) , W (x) := det 0 0 (x) (x) ψ− ψ+ die aus zwei linearunabh¨angigen L¨osungen ψ± (x) einer allgemeinen linearen, homogenen Differentialgleichung zweiter Ordnung gebildet wird, von x unabh¨angig (2) (2) und von Null verschieden.25 Somit liegen die beiden Konstanten c+ und c− ein0 (2) (2) deutig fest. Als Konsequenz liegen auch die Werte von ψE (x) und ψE (x) bei x = b eindeutig fest. Im Gebiet 3 gibt es wieder nur eine physikalisch sinnvolle (3) L¨osung ψE (x) = c˜(3) exp (−αE x) = c(3) exp (−αE [x − b]). Um einen stetigen An(3) (3)0 schluss von ψE (x) und ψE (x) zu erm¨oglichen haben wir somit nur noch eine freie Konstante c(3) zur Verf¨ ugung. Daher wird der stetige Anschluss (2)
(3)
: c+ ψE,+ (b) + c− ψE,− (b) = c(3)
(2)0
(3)0
: c+ ψE,+ (b) + c− ψE,− (b) = −αE c(3)
ψE (b) = ψE (b) ψE (b) = ψE (b) 24
(2)
(2)
(2)
(2)
(2)
(2)0
(2)
(2)0
Damit ist c(1) nicht mehr frei w¨ ahlbar! Das zeigt man in unserem Fall sehr leicht, in dem man die Determinante explizit durch die ψE,± (x) ausdr¨ uckt, nach x differenziert und die zeitunabh¨angige Schr¨odingergleichung verwendet. 25
88
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
f¨ ur beliebige Energien E < 0 nicht m¨oglich sein. Die Energien E0 < E1 < . . . < EM < 0 f¨ ur die der stetige Anschluss gelingt, sind dann die diskreten Eigenwerte des Hamiltonoperators. Die dazugeh¨origen Wellenfunktionen sind die Eigenvektoren in der Ortsdarstellung. Diese Funktionen bezeichnet man auch als Eigenfunktionen. Da die Wellenfunktionen in den Gebieten 1 und 3 exponentiell abfallen, sind sie im Wesentlichen auf das Potenzialgebiet 2 beschr¨ankt und quadratintegrabel. Man spricht daher auch von gebundenen Zust¨anden. Im Beispiel eines beschr¨ankten Potenzials mit kompaktem Tr¨ager ist die Zahl der gebundenen Zust¨ande (diskreten Eigenwerte) endlich. F¨ ur allgemeine Potenziale ist die Menge der gebundenen Zust¨ande zumindest abz¨ahlbar (siehe das Beispiel des harmoni¨ schen Oszillators weiter unten bzw. in den Ubungen). Aus der Konstruktion des Eigenvektors folgt, dass alle Ej nicht entartet sind. Den Eigenzustand zur kleinsten Energie E0 bezeichnet man als Grundzustand, die zugeh¨orige Energie als Grundzustandsenergie. Der Eigenzustand zur Energie E1 heißt erster angeregter Zustand. Entsprechend setzt sich die Namensgebung f¨ ur die h¨oheren Ej fort. Ein klassisches Teilchen, welches sich in dem hier diskutierten Potenzial befindet, hat die minimale Gesamtenergie Vmin . Die quantenmechanische Grundzustandsenergie ist gr¨oßer als die minimale klassische Energie. Anschaulich l¨asst sich das durch die nicht verschwindenden Wahrscheinlichkeiten erkl¨aren, das Teilchen in den klassisch energetisch verbotenen Bereichen zu finden. Die Energiedifferenz E0 − Vmin > 0 bezeichnet man als Nullpunktsenergie. Um zu zeigen, dass E0 > Vmin gilt betrachten wir nocheinmal die Eigenwertgleichung ψE00 (x) =
2m [V (x) − E] ψE (x) . ~2
Da ψE (a) = c(1) > 0 gilt, ist f¨ ur E ≤ Vmin die zweite Ableitung von ψE (x) im Gebiet 2 u ¨berall positiv oder Null. Ausgehend von x = a wird die Funktion nach rechts also immer steiler bzw. bleibt gleich steil. Die resultierende Gesamtfunktion kann dann keine u ¨berall stetige Ableitung haben, da sie im Gebiet 3 exponentiell 26 abf¨allt. Damit kann es keine physikalisch sinnvolle L¨osung f¨ ur E ≤ Vmin geben. Allgemein gilt der so genannte Knotensatz: Die n-te Eigenfunktion ψEn (x) hat n Nullstellen, wobei die beiden “Nullstellen” bei x → ±∞ nicht mitgez¨ahlt werden. Wir werden diesen Satz hier nicht beweisen. Es gilt weiterhin die Aussage, dass es im hier betrachteten eindimensionalen Fall bereits f¨ ur ein beliebig schwaches (anziehendes) Potenzial mit Vmin < 0 mindestens einen gebundenen Zustand gibt. ¨ Den Beweis dieser Aussage verschieben wir auf die Ubungen. 26
Anders ausgedr¨ uckt: Da ψE (a) = c(1) > 0 gilt, ist f¨ ur E ≤ Vmin die zweite Ableitung von ψE (x) im Gebiet 2 u ¨berall positiv oder Null. Um bei x = b einen stetigen Anschluss der Ableitung von ψE (x) hinzubekommen, m¨ usste die Kr¨ ummung von ψE (x) aber irgendwo in [a, b] zur x-Achse hin erfolgen.
¨ ¨ 7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL
89
V(x)
1
2
3 b
x
−V0 <0
Abbildung 7.4: Der Potenzialtopf endlicher Tiefe.
Die Beobachtung, dass es in Potenzialen quadratintegrable Eigenzust¨ande zu H mit diskreten Eigenwerten (man nennt sie auch Eigenenergien) gibt, ist extrem wichtig zum Verst¨andnis einer Vielzahl experimenteller Beobachtungen.27 Zum Beispiel kann man die Spektren von Atomen und Molek¨ ulen durch “von ¨ Außen” induzierte Uberg¨ ange28 zwischen diskreten Energieeigenwerten erkl¨aren. Am Beispiel des Wasserstoffatoms werden wir dieses sp¨ater im Detail erl¨autern. Als Anwendung des gerade entwickelten Formalismus zur Bestimmung der gebundenen Zust¨ande in einem beschr¨ankten, bis auf endlich viele Sprungstellen stetigen Potenzial V (x) mit kompaktem Tr¨ager, betrachten wir hier das Standartbeispiel des in Abbildung 7.4 dargestellten “Potenzialtopfs” endlicher Tiefe −V0 < 0 f¨ ur 0 < x < b V (x) = 0 sonst . In den Gebieten 1 und 3 k¨onnen wir die oben gegebenen exponentiell abfallenden (1) (3) L¨osungen ψE (x) = c(1) exp (αE x) und ψE (x) = c(3) exp (−αE [x − b]) verwenden. Im Gebiet 2 lautet die zeitunabh¨angige Schr¨odingergleichung ~2 (2)00 (2) ψE,ν (x) = (E + V0 )ψE,ν (x) , 2m (2) (2) mit den L¨osungen ψE,+ (x) = cos (k˜E x) und ψE,− (x) = sin (k˜E x), mit k˜E := p 2m(E + V0 )/~, f¨ ur E > −V0 . Die Gleichung f¨ ur die Anschlussbedingungen bei x = 0 lautet damit ! (2) 1 0 c+ 1 (1) =c . (2) αE 0 k˜E c− −
27
Auch in drei Raumdimensionen gibt es solche gebundenen Zust¨ande mit diskreten Eigenwerten. 28 Wie werden sp¨ ater genauer spezifizieren, was wir mit “von Außen” meinen.
90
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
Als L¨osung ergibt sich (2)
c+ (2) c−
! =c
(1)
1 αE /k˜E
.
Die Anschlussbedingungen bei x = b ergeben sich zu cos (k˜E b) sin (k˜E b) −k˜E sin (k˜E b) k˜E cos (k˜E b)
(2)
!
1 =c −αE 1 1 cos (k˜E b) sin (k˜E b) (3) (1) =c c ⇒ −αE αE /k˜E −k˜E sin (k˜E b) k˜E cos (k˜E b) ! cos (k˜E b) + αk˜ E sin (k˜E b) −1 0 c(1) E ⇔ = . (3) ˜ ˜ ˜ 0 c −kE sin (kE b) + αE cos (kE b) αE
c+ (2) c−
(3)
Eine L¨osung mit nicht verschwindenden c(1) und c(3) gibt es nur, wenn die Determinante der Matrix auf der linken Seite der letzten Zeile verschwindet, also
h i αE ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ cos (kE b) + sin (kE b) αE + −kE sin (kE b) + αE cos (kE b) = 0 k˜E 2 ⇔ k˜E2 − αE sin (k˜E b) − 2αE k˜E cos (k˜E b) = 0 gilt. Es sollte klar sein, dass diese Gleichung nicht f¨ ur jedes E < 0 erf¨ ullt ist. Sie bildet vielmehr eine (nichtlineare) Bestimmungsgleichung f¨ ur die diskreten ¨ Eigenwerte En < 0, n = 0, 1, . . . , M . In den Ubungen werden Sie diese Gleichung weiter analysieren und die En < 0 n¨aherungsweise bestimmen. (2) E > 0: Wir betrachten nocheinmal die Situation mit einem allgemeinen beschr¨ankten, bis auf endlich viele Sprungstellen stetigen Potenzial V (x) mit kompaktem Tr¨ager (siehe z.B. Abbildung 7.3) konzentrieren uns jetzt jedoch auf E > 0. Wie gehabt konstruieren wir die L¨osung in dem wir die zeitunabh¨angige Schr¨odingergleichung in den drei Teilgebieten betrachten. In jedem der drei Gebiete kann die allgemeine L¨osung als Linearkombination zweier linearunabh¨angiger reeller Funktionen geschrieben werden. In den Gebieten 1 und 3 gilt (1/3)
ψE mit kE = wie oben
(1/3)
(x) = c+
(1/3)
cos (kE x) + c−
sin (kE x) ,
(7.9)
√ (1/3) 2mE/~. Dabei k¨onnen die cν komplex sein. Im Gebiet 2 setzen wir (2)
(2)
(2)
(2)
(2)
ψE (x) = c+ ψE,+ (x) + c− ψE,− (x) ,
¨ ¨ 7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL (2)
(2)
91
(2)
mit c+ , c− ∈ C und den reellen linear unabh¨angigen L¨osungen ψE,± (x) an. Die Anschlussbedingung bei x = a ergibt sich zu ! ! ! (2) (2) (1) (2) ψE,+ (a) ψE,− (a) cos (kE a) sin (kE a) c+ c+ = (1) (2) (2)0 (2)0 −kE sin (kE a) kE cos (kE a) c− c− ψE,+ (a) ψE,− (a) ⇔ F (a)~c (1) = G(a)~c (2) ⇔ ~c (2) = G−1 (a)F (a)~c (1) ,
(7.10)
wobei wir von der ersten zur zweiten Zeile die reellen Matrizen F und G und die Vektoren ~c (1) und ~c (2) eingef¨ uhrt haben. Es ist offensichtlich, wie sie definiert sind. Wir haben dabei angenommen, dass die Matrix G(x) bei x = a invertierbar ist. Die Existenz der Inversen von G(a) wird dadurch sichergestellt, dass die Wronskideterminante (siehe oben) von Null verschieden ist. Aufgrund der Unabh¨angigkeit der Wronskideterminanten von x sind die Matrizen F (x) und G(x) f¨ ur alle x ∈ R invertierbar. Bei x = b lautet die Anschlussbedingung ! ! ! (2) (2) (3) (2) ψE,+ (b) ψE,− (b) cos (kE b) sin (kE b) c+ c+ = (3) (2) (2)0 (2)0 −kE sin (kE b) kE cos (kE b) c− c− ψE,+ (b) ψE,− (b) ⇔ F (b)~c (3) = G(b)~c (2) . Setzen wir jetzt in die Gleichung der letzten Zeile ~c (2) aus Gl. (7.10) ein und l¨osen (1) (3) nach ~c (3) auf, so folgt eine Beziehung zwischen den cν und den cν ~c (3) = F −1 (b)G(b)G−1 (a)F (a)~c (1) =: M~c (1) .
(7.11)
Aus den Regeln im Umgang mit der Determinanten von Produkten von Matrizen und der Unabh¨angigkeit der Wronskideterminanten von x folgt det M =
det G(b) det F (a) =1. det G(a) det F (b)
Damit gibt es f¨ ur jedes E > 0 und vorgegebene ~c (1) einen eindeutigen Vektor (3) ~c . Das Spektrum f¨ ur positive E ist also kontinuierlich. Bereits das Verhalten der allgemeinen L¨osung ψE (x) in den Gebieten 1 und 3 Gl. (7.9) zeigt, dass die zugeh¨origen Eigenfunktionen des Hamiltonoperators nicht normierbar sind (¨ahnlich wie die Impulszust¨ande - die ebenen Wellen). Wie bei der Konstruktion normierbarer L¨osungen der kr¨aftefreien Schr¨odingergleichung, kann man sie jedoch dazu verwenden normierbare Wellenpakete zu bilden, die die Schr¨odingergleichung l¨osen.29 29
Zur Erinnerung: Da die Schr¨ odingergleichung linear ist, bildet jede Linearkombination von L¨ osungen ebenfalls eine L¨ osung.
92
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
Um die Streuung eines einfallenden Wellenpakets am Potenzialbereich zu beschreiben ist es g¨ unstiger die L¨osungen in den Gebieten 1 und 3 etwas anders als in Gl. (7.9) anzusetzen30 (A, B ∈ C) (1)
ψE (x) = eikE x + Ae−ikE x = (1 + A) cos (kE x) + i(1 − A) sin (kE x) (3)
ψE (x) = BeikE x = B cos (kE x) + iB sin (kE x) . Dieser Ansatz ist an der Idee orientiert, dass eine Welle (ein Wellenpaket) von links einf¨allt (exp [ikE x], kE > 0) und dann zum Teil reflektiert (A exp [−ikE x]) und zum Teil transmittiert (B exp [ikE x]) wird. O.B.d.A. haben wir den Vorfaktor der einfallenden Welle auf Eins gesetzt. Damit sind A und B automatisch im Verh¨altnis zum Vorfaktor der einfallenden Welle gemessen.31 Gl. (7.11) lautet damit B M1,1 M1,2 1+A = iB M2,1 M2,2 i(1 − A) M2,2 −M1,2 1 (1 + A)/B ⇔ = . −M2,1 M1,1 i i(1 − A)/B Bei der Invertierung von M haben wir dabei det M = 1 verwendet. Ausgeschrieben liefert diese Matrixrelation zwei Gleichungen. Addiert und subtrahiert man diese, so folgen die Relationen 1 1 = [M1,1 + M2,2 + i(M2,1 − M1,2 )] B 2 A 1 = [M2,2 − M1,1 − i(M1,2 + M2,1 )] . B 2 Damit sind A und B durch die (unbekannten, vom Potenzial im Gebiet 2 abh¨angenden) reellen Matrixelemente Mi,j bestimmt.32 Aus det M = 1 folgt 2 2 1 − A = 1 . B B Bezeichnet man R := |A|2 und T := |B|2 , so folgt R+T =1. 30
(7.12)
Ein Vergleich mit Gl. (7.9) zeigt, dass es sich bei diesem Ansatz nicht um den allgemeinst m¨ oglichen handelt. Dieser w¨ urde erst dadurch zustandekommen, dass man gleichzeitig eine von rechts einfallenden Welle und ihre Streuwellen betrachtet. 31 D.h. |A| und |B| sind im Verh¨altnis zur Amplitude der einfallenden Welle gemessen und die Phasen von A und B als Differenz zur Phase der einfallenden Welle. 32 Beispiele dazu, wie A und B u ¨ber die Matrixelemente Mi,j von den Potenzialparametern ¨ abh¨ angen, werden Sie in den Ubungen kennen lernen.
¨ ¨ 7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL
93
Die Amplituden A und B h¨angen von der jeweils gew¨ahlten Energie E bzw. kE ab.33 Daher schreiben wir besser R = R(kE ) und T = T (kE ). R(kE ) bezeichnet man als den Reflexionskoeffizienten und T (kE ) als den Transmissionskoeffizienten (zu gegebener Wellenzahl kE ). Wir k¨onnen bereits erahnen, dass diese Nomenklatur sinnvoll ist, werden es aber noch genauer verstehen k¨onnen, wenn wir Wellenpakete aus den “Streufunktionen” ikE x + A(kE )e−ikE x x
b bilden.34 Den oberen Index l haben wir dabei eingef¨ uhrt, um uns daran zu erinnern, dass wir eine von links einfallende Welle betrachten. V¨ollig analog kann man Wellenpakete aus von rechts einfallenden Wellen bilden. Wir bilden ein Wellenpaket Z ∞ ~k 2 (l) (l) t dk , f (k)ψE(k) (x) exp −i ψ (x, t) := 2m 0 2 2
k . Die Funktion f (k) bezeichnet die Gewichtsfunktion. Sie muss mit E(k) = ~2m eine Normierungsbedingung erf¨ ullen (siehe auch Kapitel 4), die wir weiter unten bestimmen werden. Das Wellenpaket ist L¨osung der zeitabh¨angigen Schr¨odinger2 (l) t) L¨osungen sind. Wir nehmen wieder an, gleichung, da die ψE(k) (x) exp (−i ~k 2m dass die Gewichtsfunktion f (k) um einen Wert k0 > 0 herum konzentriert ist. Der mittlere Impuls des einfallenden Wellenpakets ergibt sich dann erneut zu p0 = ~k0 (siehe Kapitel 4 und unten). F¨ ur k < 0 soll f (k) so klein sein, dass der Fehler den wir machen wenn wir das k-Integral bis −∞ ausdehnen vernachl¨assigbar ist. Betrachten wir die resultierende Wellenfunktion zun¨achst links vom Potenzial, d.h. f¨ ur x < a Z ∞ ikx ~k 2 (l) −ikx ψ (x, t) = Θ(a − x) f (k) e + A(k)e exp −i t dk 2m −∞ = Θ(a − x) [ψ1 (x, t) + ψ2 (x, t)] . (7.13)
Θ(x) bezeichnet die Stufenfunktion 0 f¨ ur x < 0 Θ(x) := 1 f¨ ur x ≥ 0 33
Da jedes E > 0 eine L¨ osung liefert, liefert auch jedes kE > 0 eine L¨osung. Dabei betrachten wir hier nur kE > 0, da die Welle von links einfallen soll. Wir k¨onnen daher statt kE auch einfach k schreiben. 34 Genau genommen k¨ onnen wir noch nicht von Transmission und Reflexion sprechen, da die bisher bestimmten nicht normierbaren L¨osungen der Schr¨odingergleichung nur eine bei der Erwartungswertbildung irrelevante Zeitabh¨angigkeit exp (−iEt/~) haben. Sie sind v¨ollig aquivalent zu den ebenen Wellen des kr¨aftefreien Teilchens. ¨
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
94 und35
∞
~k 2 f (k)e exp −i ψ1 (x, t) := t dk 2m −∞ ! Z ∞ ˜2 ~k02 ~ k ˜ = exp i k0 x − t f (k˜ + k0 )eik(x−v0 t) exp −i t dk˜ , 2m 2m −∞ | {z } Z
ikx
=:φt (x−v0 t)
Z
∞
ψ2 (x, t) :=
−ikx
f (k)A(k)e −∞
~k 2 exp −i t dk 2m
! Z ∞ ˜2 k ~ ~k02 ˜ t f (k˜ + k0 )A(k˜ + k0 )eik(−x−v0 t) exp −i t dk˜ = exp i −k0 x − 2m 2m −∞ ! Z ∞ ˜2 ~k02 ~ k ˜ ≈ exp i −k0 x − t A(k0 ) f (k˜ + k0 )eik(−x−v0 t) exp −i t dk˜ . 2m 2m −∞ Dabei gilt wieder v0 = ~k0 /m, mit der mittleren Geschwindigkeit v0 (siehe Kapitel 4 und unten) und wir haben die Funktion φt (y) definiert. Von der vorletzten zur letzten Zeile haben wir angenommen, dass A(k) sich u ¨ber das k-Intervall, in dem f (k) nicht verschwindet nur sehr schwach ver¨andert. Allgemeiner kann man A(k) in einer Taylorreihe um k0 herum entwickeln und weitere Terme der Entwicklung mitnehmen.36 Mit dieser N¨aherung erhalten wir ~k02 t φt (x − v0 t) ψ1 (x, t) = exp i k0 x − 2m ~k02 ψ2 (x, t) ≈ A(k0 ) exp i −k0 x − t φt (−x − v0 t) . 2m W¨ahlt man die Funktion f (k) reell, so ist φt (y) um y = 0 herum lokalisiert.37 F¨ ur hinreichend negative Zeiten t 0, sind somit ψ1 um x ≈ v0 t 0 und ψ2 um x ≈ −v0 t 0 herum lokalisiert. F¨ ur die Wahrscheinlichkeitsdichte ergibt sich f¨ ur 38 x b anstellen Z ∞ ~k 2 ikx (l) t dk f (k)B(k)e exp −i ψ (x, t) = Θ(x − b) 2m −∞ ≈ Θ(x − b)B(k0 )ψ1 (x, t) . F¨ ur t 0 ist |ψ (l) (x, t)|2 f¨ ur x > b praktisch Null. F¨ ur t 0 ist die Wahrscheinlichkeitsdichte rechts vom Potenzialbereich durch das ungestreute Wellenpaket |ψ1 (x, t)|2 mit einer um |B(k0 )|2 = T (k0 ) reduzierten Amplitude gegeben. Da es rechts vom Potenzialbereich auch direkt bei der Streuung keine Interferenzterme gibt, treten f¨ ur x > b keine Oszillationen in der Wahrscheinlichkeitsdichte auf. F¨ ur t 0 ist die gesamte Wahrscheinlichkeitsdichte |ψ (l) (x, t)|2 durch das von links einfallende um x ≈ v0 t zentrierte Wellenpaket mit Wahrscheinlichkeitsdichte |ψ1 (x, t)|2 gegeben. Da ψ (l) (x, t) zu allen Zeiten auf Eins normiert ist (Wahrscheinlichkeitsinterpretation), folgt f¨ ur t 0 Z
∞
Z
2
∞
|φt (x − v0 t)|2 dx
|ψ1 (x, t)| dx = −∞
Z−∞ ∞ =
|φt (y)|2 dy = 1 ,
−∞
was eine Forderung an f (k) darstellt (siehe Kapitel 4) da ! 2 ˜ ~ k ˜ t dk˜ . φt (y) = f (k˜ + k0 )eiky exp −i 2m −∞ Z
∞
In v¨olliger Analogie zu Gl. (4.13) muss gelten Z
∞
|f (k)|2 dk =
−∞
1 . 2π
Ist diese Bedingung erf¨ ullt, so gilt Z ∞ |φt (y)|2 dy = 1 −∞
96
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
f¨ ur alle t ∈ R und nicht nur im Limes t → −∞. Diese Eigenschaft werden wir im Folgenden benutzen. Die Wahrscheinlichkeit f¨ ur Reflexion ist durch Ra R∞ limt→∞ −∞ |ψ (l) (x, t)|2 dx limt→∞ −∞ |ψ2 (x, t)|2 dx Ra R∞ wR := = limt→−∞ −∞ |ψ (l) (x, t)|2 dx limt→−∞ −∞ |ψ1 (x, t)|2 dx R∞ limt→∞ −∞ |φt (−x − v0 t)|2 dx 2 R∞ ≈ |A(k0 )| limt→−∞ −∞ |φt (x − v0 t)|2 dx R∞ lim |φt (y)|2 dy t→∞ −∞ 2 R∞ = |A(k0 )| limt→−∞ −∞ |φt (y)|2 dy = |A(k0 )|2 = R(k0 ) ¨ gegeben. Diese Uberlegung rechtfertigt nun vollst¨andig den Begriff Reflexionskoeffizient f¨ ur R(k). Die Transmissionswahrscheinlichkeit ist entsprechend R∞ R∞ limt→∞ −∞ |ψ1 (x, t)|2 dx limt→∞ b |ψ (l) (x, t)|2 dx 2 Ra R∞ ≈ |B(k0 )| wT := limt→−∞ −∞ |ψ (l) (x, t)|2 dx limt→−∞ −∞ |ψ1 (x, t)|2 dx R∞ lim |φt (x − v0 t)|2 dx t→∞ −∞ 2 R∞ = |B(k0 )| limt→−∞ −∞ |φt (x − v0 t)|2 dx R∞ lim |φt (y)|2 dy t→∞ R−∞ = |B(k0 )|2 ∞ limt→−∞ −∞ |φt (y)|2 dy = |B(k0 )|2 = T (k0 ) , d.h. durch den Transmissionskoeffizienten gegeben. Gl. (7.12) ist dann ein Ausdruck f¨ ur die Erhaltung der Gesamtwahrscheinlichkeit. Da T (kE ) f¨ ur ein allgemeines V (x) auch f¨ ur Energien E < Vmax nicht exakt Null ist, gibt es eine nichtverschwindende Wahrscheinlichkeit, dass ein quantenmechanisches Teilchen mit mittlerer kinetischer Energie E < Vmax einen klassisch verbotenen Potenzialbereich durchtritt. Man spricht in diesem Fall vom Tunneleffekt. Das Teilchen “durchtunnelt” den Potenzialberg. Analog gibt es auch f¨ ur E > Vmax eine nichtverschwindende Wahrscheinlichkeit, dass das Teilchen reflektiert wird. Interessant sind so genannte Resonanzen: F¨ ur von den Potenzialparametern (z.B. der Breite und der H¨ohe eines Kastenpotenzials) abh¨angige ¨ Energien ist die Transmissionswahrscheinlichkeit gleich Eins. In den Ubungen werden Sie T (kE ) und R(kE ) f¨ ur einen Potenzialtopf (mit V0 > 0 und V0 < 0) wie in Abbildung 7.4 dargestellt (dort nur f¨ ur V0 > 0) bestimmen und damit die Streuung an diesem Potenzial genauer untersuchen. Dabei werden Sie die beschriebenen Effekte explizit best¨atigen. Zusammenfassend halten wir fest, dass das Spektrum des Hamiltonoperators f¨ ur ein eindimensionales, beschr¨anktes, bis auf endlich viele Sprungstellen stetiges Potenzial V (x) mit kompaktem Tr¨ager (siehe z.B. Abbildung 7.3) im Allgemeinen aus einem diskreten (E < 0) und einem kontinuierlichen (E > 0) Teil besteht.
¨ ¨ 7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL
97
Die Eigenvektoren zu ersterem sind die normierbaren gebundenen Zust¨ande, die Eigenvektoren zu letzterem die uneigentlichen Streuzust¨ande, aus denen sich normierbare Wellenpakete konstruieren lassen. Die zeitunabh¨ angige Schr¨ odingergleichung mit V (x) = V0 δ(x − x0 ): Als n¨achstes wollen wir L¨osungen der zeitunabh¨angige Schr¨odingergleichung in einem Potenzial betrachten, welches nicht beschr¨ankt ist. Ein Beispiel das sich vollst¨andig analytisch untersuchen l¨asst ist das δ-Potenzial V (x) = V0 δ(x − x0 ). Man kann sich vorstellen, dass es aus einem beschr¨ankten um x0 zentrierten Kastenpotenzial (siehe Abbildung 7.4) endlicher Tiefe und endlicher Breite im Limes Tiefe → ∞ und Breite → 0 mit Tiefe×Breite = const. entstanden ist.39 Bei diesem Grenzprozess geht die Stetigkeit der Ableitung ψE0 (x) bei x = x0 verloren (f¨ ur x 6= x0 bleibt die Stetigkeit der Ableitung jedoch erhalten; siehe unten). Wir k¨onnen das einfach verstehen, indem wir die zeitunabh¨angige Schr¨odingergleichung von x0 − ε bis x0 + ε, mit ε > 0, integrieren Z x0 +ε ~2 00 ψ (x) + V0 δ(x − x0 )ψE (x) dx = E ψE (x) dx − 2m E x0 −ε x0 −ε Z x0 +ε ~2 0 0 [ψ (x0 + ε) − ψE (x0 − ε)] + V0 ψE (x0 ) = E ⇒ − ψE (x) dx . 2m E x0 −ε Z
x0 +ε
Aus diesem Ausdruck ergibt sich f¨ ur ε → 0 und unter der Annahme, dass ψE (x) bei x0 beschr¨ankt bleibt (diese Annahme wird sich als konsistent herausstellen, was sie nachtr¨aglich rechtfertigen wird; siehe unten) lim [ψE0 (x0 + ε) − ψE0 (x0 − ε)] =
ε→0
2mV0 ψE (x0 ) . ~2
(7.14)
Die erste Ableitung der L¨osungsfunktion springt somit bei x0 . Bei der L¨osung der zeitunabh¨angige Schr¨odingergleichung fordern wir also, dass ψE (x) f¨ ur alle 0 x ∈ R stetig ist, die Ableitung ψE (x) f¨ ur alle x 6= x0 stetig ist und bei x0 gem¨aß Gl. (7.14) springt. Damit bietet es sich an, die L¨osung f¨ ur die zwei Teilgebiete (Gebiete 1 und 2) x < x0 und x > x0 zu betrachten und bei x = x0 die Stetigkeit von ψE (x) und die Sprungbedingung Gl. (7.14) von ψE0 (x) zu fordern. Betrachten wir zun¨achst wieder den Fall E < 0. In den Gebieten 1 und 2 m¨ ussen wir die freie station¨are Schr¨odingergleichung l¨osen. Die physikalischen L¨osungen lauten p (1/2) dann wie gehabt ψE (x) = c(1/2) exp (±αE [x − x0 ]), mit αE = 2m(−E)/~, wobei das obere Vorzeichen im Gebiet 1 und das untere in 2 zu w¨ahlen ist. Aus der Stetigkeit der Gesamtl¨osung ψE (x) bei x0 folgt sofort c(1) = c(2) = c. Die (1/2)0 Ableitungen ergeben sich zu ψE (x) = ±αE c exp (±αE [x − x0 ]). Bei x = x0 39
Allgemeiner ist die δ-Funktion das Limeselement einer δ-Folge, wie Sie sie beispielhaft in ¨ den Ubungen kennen gelernt haben.
98
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
folgt somit (2)0
(1)0
limε→0 [ψE0 (x0 + ε) − ψE0 (x0 − ε)] ψE (x0 ) − ψE (x0 ) = ψE (x0 ) ψE (x0 ) p = −2αE = −2 2m(−E)/~ . Aus der Sprungbedingung Gl. (7.14) ergibt sich dann die Forderung p mV0 = − 2m(−E)/~ . ~2
(7.15)
Sie legt die Energie E < 0 f¨ ur die es bei einer gegebenen Potenzialst¨arke V0 < 0 (anziehendes Potenzial) eine L¨osung gibt eindeutig zu E0 = −
mV02 2~2
fest. Wir finden somit f¨ ur V0 < 0 genau einen gebundenen Zustand mit Energie E0 < 0. Es gibt keine weiteren gebundenen Zust¨ande. Mit dem so bestimmten E0 und dem obigen allgemeinen Ansatz f¨ ur die L¨osung der station¨are Schr¨odingergleichung in den Bereichen 1 und 2 folgt m|V0 | ψE0 (x) = c exp − 2 |x − x0 | . ~ Wir m¨ ussen dann noch die Normierungskonstante c bestimmen. Dazu betrachten wir Z ∞ Z ∞ m|V0 | 2 2 |ψE0 (x)| dx = |c| exp −2 2 |x − x0 | dx ~ −∞ −∞ Z ∞ m|V0 | 0 2 = |c| exp −2 2 |x | dx0 ~ Z−∞∞ m|V0 | 2 exp −2 2 x dx = 2|c| ~ 0 −1 m|V0 | = −2|c|2 −2 2 ~ 2 ~ = |c|2 m|V0 | = 1. p Damit ergibt sich, bis auf die wie u ¨blich freie Phase, c = m|V0 |/~ und p m|V0 | m|V0 | exp − 2 |x − x0 | . ψE0 (x) = ~ ~
¨ ¨ 7.2. STATIONARE SCHRODINGERGLEICHUNG MIT POTENZIAL
99
F¨ ur V0 > 0 ist Gl. (7.15) nicht erf¨ ullbar und es gibt keinen gebundenen Zustand mit E < 0. Mit Hilfe der Sprungbedingung Gl. (7.14) lassen sich auch die Streuzust¨ande ψE (x) der Streuung an V (x) = V0 δ(x − x0 ) mit E > 0 bestimmen. Wie bei der Streuung an einem beschr¨ankten Potenzial gibt es zu jedem E > 0 eine L¨osung der station¨aren Schr¨odingergleichung (dies gilt f¨ ur V0 < 0 und V0 > 0). Damit besteht das vollst¨andige Spektrum des Hamiltonoperators f¨ ur V0 < 0 aus einem diskreten Eigenwert E0 < 0 und einem Kontinuum von (uneigentlichen) Eigenwerten f¨ ur E > 0 und f¨ ur V0 > 0 aus einem Kontinuum von (uneigentlichen) ¨ Eigenwerten f¨ ur E > 0. In einer Ubungsaufgabe werden Sie die TransmissionsT (kE ) und Reflexionskoeffizienten R(kE ) f¨ ur dieses Problem bestimmen und damit das Streuproblem l¨osen. F¨ ur das Beispiel des δ-Potenzials l¨asst sich recht einfach explizit die Vollst¨andigkeit der Eigenvektoren zum Hamiltonoperator zeigen.40 Dies ist in einem p¨adagogischen Artikel diskutiert, den Sie unter der zus¨atzlichen Literatur finden. ¨ In zwei Ubungsaufgaben haben Sie zus¨atzlich die station¨are Schr¨odingergleichung in den unbeschr¨ankten Potenzialen des harmonischen Oszillators und des Kasten mit unendlich hohen W¨anden gel¨ost. Das Spektrum des Hamiltonoperators ist in beiden F¨allen rein diskret und abz¨ahlbar41 und die zugeh¨origen Eigenfunktionen sind quadratintegrabel (normierbar). Auf das Problem des harmonischen Oszillators werden wir nocheinmal ausf¨ uhrlich im folgenden Kapitel zur¨ uckkommen.
40
Dabei m¨ ussen sowohl der m¨ ogliche (V0 < 0) gebundene Zustand mit E0 < 0, als auch die Streuzust¨ ande mit E > 0 ber¨ ucksichtigt werden. 41 ¨ W¨ ahlen wir, wie in den Ubungsaufgaben, als minimalen Wert der Potenziale jeweils Null, so gilt f¨ ur die Eigenwerte Ej > 0.
100
¨ KAPITEL 7. SCHRODINGERGLEICHUNG IN EINER DIMENSION
Kapitel 8 Der harmonische Oszillator ¨ In einer Ubungsaufgabe haben Sie die Energieeigenwerte und die zugeh¨origen Eigenfunktionen (die Eigenvektoren in Ortsdarstellung) des eindimensionalen harmonischen Oszillators mit dem Potenzial V (x) = 12 mω 2 x2 bestimmt, indem Sie die station¨are Schr¨odingergleichung mit Hilfe eines Potenzreihenansatzes gel¨ost haben. Wir werden hier auf das Problem der Bestimmung der Eigenwerte und Eigenvektoren von H zur¨ uckkommen, jedoch eine elegantere Methode verwenden, die auf das allgemeine Konzept von so genannten Leiteroperatoren f¨ uhrt. Bevor wir dazu kommen, wollen wir jedoch begr¨ unden, warum das harmonische Oszillator-Problem nicht nur von p¨adagogischem Interesse ist,1 sondern sehr oft zum (zumindest) qualitativen Verst¨andnis von dynamischen Problemen herangezogen werden kann. Wir werden hier zun¨achst im Rahmen der klassischen Mechanik argumentieren. Betrachten wir ein Teilchen, welches einem allgemeinen Potenzial V (x) ausgesetzt ist. Das Potenzial habe lokale Minima, von denen eines bei x0 liege. Wir nehmen nun an, dass wir die Bewegung eines Teilchens beschreiben m¨ochten, welches ein wenig aus der Gleichgewichtsposition x0 ausgelenkt wurde. Dazu entwickeln wir das allgemeine Potenzial V (x) um x0 in eine Taylorreihe und erhalten 1 V (x) = V (x0 ) + (x − x0 )V 0 (x0 ) + (x − x0 )2 V 00 (x0 ) + O [x − x0 ]3 . 2 Da es sich bei x0 um ein lokales Minimum handelt gilt V 0 (x0 ) = 0 und V 00 (x0 ) > 0. Verschieben wir nun zus¨atzlich unseren Nullpunkt der Energie um V (x0 ), so ergibt sich 1 V (x) = (x − x0 )2 V 00 (x0 ) + O [x − x0 ]3 . 2 1
Im Laufe Ihres Physikstudiums sollten Sie bereits gemerkt haben, dass das harmonische Oszillator-Problem ein oft herangezogenes p¨adagogisches Beispiel zur Verdeutlichung allgemeiner Zusammenh¨ ange ist. In der klassischen Mechanik ist es z.B. wichtig bei der Beschreibung der Dynamik eines Pendels mit kleiner Auslenkung und der Hookschen Feder mit Masse.
101
102
KAPITEL 8. DER HARMONISCHE OSZILLATOR
Ist die Auslenkung aus der Ruhelage x − x0 klein, so k¨onnen wir die Terme der Ordnung [x − x0 ]3 und h¨oher vernachl¨assigen und das zu untersuchende Problem reduziert p sich auf ein (um x0 verschobenes) harmonischer Oszillator-Problem mit ω = V 00 (x0 )/m. Auf diese Weise gelingt es viele Aspekte der Bewegung um eine Ruhelage mit kleiner Auslenkung mit Hilfe des zugeh¨origen harmonischer ¨ Oszillator-Problems zu untersuchen. Ahnlich l¨asst sich auch die dreidimensionale Bewegung um ein lokales Potenzialminimum mit kleiner Auslenkung auf das Problem des dreidimensionalen harmonischen Oszillators abbilden. Analoge ¨ Uberlegungen kann man f¨ ur ein durch ein Wellenpaket beschriebenes quantenmechanisches Teilchen anstellen. Dabei gilt es zus¨atzlich zu beachten, dass aufgrund des Tunneleffekts ein Teil der Wahrscheinlichkeitsdichte aus dem Gebiet um x0 “entweicht”. Der Hamiltonoperator des eindimensionalen harmonischen Oszillators lautet H=
1 pˆ2 + mω 2 xˆ2 . 2m 2
Wir definieren einen Operator r mω i pˆ . a := xˆ + √ 2~ 2m~ω Der dazu adjungierte Operator a† ergibt sich zu r mω i a† = pˆ . xˆ − √ 2~ 2m~ω
(8.1)
(8.2)
Weiterhin definieren wir den selbstadjungierten Operator ˆ := a† a N r r mω i mω i = xˆ − √ xˆ + √ pˆ pˆ 2~ 2~ 2m~ω 2m~ω mω 2 1 i = xˆ + pˆ2 + [ˆ x, pˆ] 2~ 2m~ω 2~ 1 1 = H− 1. ~ω 2 Damit k¨onnen wir den Hamiltonoperator wie folgt schreiben2 1 1 † ˆ H = ~ω N + = ~ω a a + . 2 2
(8.3)
Mit Hilfe der Heisenbergschen Vertauschungsrelation Gl. (5.13) k¨onnen wir den Kommutator † 1 a, a = (−i [ˆ x, pˆ] + i [ˆ p, xˆ]) = 1 (8.4) 2~ 2
Im zweiten Summanden lassen wir entsprechend unserer Gewohnheit wieder den Einsoperator weg.
103 ¨ bestimmen. In einer Ubungsaufgabe haben Sie gezeigt, dass f¨ ur allgemeine Operatoren A, B und C die Relation [A, BC] = ABC − BAC + BAC − BCA = [A, B] C + B [A, C] gilt. Verwenden wir diese, so ergeben sich h i ˆ = a, a† a = a, a† a + a† [a, a] = a a, N und h i ˆ = a† , a† a = a† , a† a + a† a† , a = −a† . a† , N Um das Eigenwertproblem des Hamiltonoperators zu l¨osen, untersuchen wir das ˆ =N ˆ † . Dazu nehmen wir an, dass N ˆ einen normierten Eigenwertproblem von N 3 Eigenvektor |ϕν i zum Eigenwert ν ∈ R hat ˆ |ϕν i = ν |ϕν i . N Betrachten wir nun zus¨atzlich die (nicht normierten) Zust¨ande + ϕν := a† |ϕν i und − ϕν := a |ϕν i . Wir beweisen zun¨achst, dass ν ≥ 0 gilt: −
ˆ |ϕν i = hϕν | a† a |ϕν i = ϕ− ν = ν hϕν |ϕν i = hϕν | N ν ϕν ≥ 0 .
(8.5)
Dabei gilt die Gleichheit, wenn |ϕ− achstes zeigen wir, ν i der Nullvektor ist. Als n¨ + dass |ϕν i nicht der Nullvektor sein kann:
+ + ˆ + a, a† |ϕν i = hϕν | N ˆ + 1 |ϕν i = ν + 1 . ϕν ϕν = hϕν | aa† |ϕν i = hϕν | N ˆ Der Vektor |ϕ+ ν i ist ebenfalls Eigenvektor zu N mit Eigenwert ν + 1: h i ˆ ϕ+ = N ˆ a† |ϕν i = a† N ˆ − a† , N ˆ |ϕν i = a† N ˆ + 1 |ϕν i = (ν + 1) ϕ+ . N ν ν Aufgrund dieser Eigenschaft nennt man a† einen Aufsteigeoperator. Den Vektor |ϕ+ onnen wir nun normieren und nennen den normierten Eigenvektor zum ν i k¨ Eigenwert ν + 1, |ϕν+1 i. Mit diesem verfahren wir analog wie f¨ ur |ϕν i und erhalten so die unendliche Folge von Eigenwerten ν, ν + 1, ν + 2, . . .. Mit ν > 0 ist 3
ˆ ein selbstadjungierter Operator ist, gibt es so einen Vektor. Da N
104
KAPITEL 8. DER HARMONISCHE OSZILLATOR
− − ¨ hϕ− ν |ϕν i > 0, was nach unser obigen Uberlegung Gl. (8.5) bedeutet, dass |ϕν i nicht der Nullvektor ist. In diesem Fall gilt h i − ˆ ϕ − ˆ ˆ ˆ ˆ ϕν . N = N a |ϕ i = a N − a, N |ϕ i = a N − 1 |ϕ i = (ν − 1) ν ν ν ν
ˆ gr¨oßer oder gleich Null, so dass |ϕ− ur Nach Gl. (8.5) sind die Eigenwerte von N ν i f¨ ˆ ν ≥ 1 ein Eigenvektor zu N mit Eigenwert ν − 1 ist. Den normierten Eigenvektor bezeichnen wir mit |ϕν−1 i. Durch Anwenden von a wird der Eigenwert somit um Eins reduziert, weshalb a als Absteigeoperator bezeichnet wird. a† und a zuˆ gr¨oßer sammen bezeichnet man als Leiteroperatoren. Da die Eigenwerte von N oder gleich Null sind, l¨asst sich die Absteigeprozedur im Gegensatz zur Aufsteigeprozedur nicht unendlich oft wiederholen. Unser urspr¨ ungliches ν kann immer als ν = M + λ, mit M ∈ N0 und 0 ≤ λ < 1 geschrieben werden. Wenden wir a M -mal an, so erhalten wir die Eigenwerte ν − 1, ν − 2, . . . , ν − M = λ. Der Eigenwert λ zum (nicht normierten) Eigenvektor ϕM := aM |ϕν i liegt in [0, 1). ν M Die erneute a muss M daher den Nullvektor liefern a ϕν = 0,
von
† Anwendung M M M ϕ = 0. Da ϕ nicht der Nullvektor ist, folgt a a ϕ = λ ϕ d.h. ϕM ν ν ν ν
M νM ˆ ϕν ϕν > 0 und wir k¨onnen λ = 0 folgern. Damit sind die Eigenwerte zu N 4 alle Zahlen n aus N0 . Die normierten Eigenvektoren bezeichnen wir von nun an mit |n, ii, wobei wir einen zus¨atzlichen Index i hinzunehmen m¨ ussen, da wir noch nicht sicher sein k¨onnen, dass die Eigenvektoren nicht entartet sind. Es gilt somit ˆ |n, ii = n |n, ii und damit auch N 1 1 ˆ+ H |n, ii = ~ω N |n, ii = ~ω n + |n, ii . 2 2 ˆ mit EnergieeigenwerDie Eigenzust¨ ande zu H sind identisch zu denen zu N ten ~ω n + 21 . Das Spektrum ist damit rein diskret und ¨aquidistant. Die Nullpunktsenergie betr¨agt ~ω/2. Wir wollen nun explizit den Grundzustand (bzw. die Grundzust¨ande im Fall von Entartung), d.h. den Eigenvektor zum niedrigsten Eigenwert von H bestimmen. Nach der obigen Konstruktion muss f¨ ur ihn gelten r mω i a |n = 0, ii = xˆ + √ pˆ |n = 0, ii = 0 . 2~ 2m~ω In Ortsdarstellung ergibt sich somit die lineare Differentialgleichung erster Ordnung r mω i ~ d 0 = hx| a |n = 0, ii = x+ √ hx |n = 0, ii . {z } 2~ 2m~ω i dx | =:ϕi0 (x)
4¨
Uber die Vollst¨ andigkeit des Systems von zu diesen Eigenwerten geh¨orenden Eigenvektoren k¨ onnen wir sp¨ ater sehen, dass es keine weiteren Eigenwerte gibt.
105 Nach der allgemeinen Theorie linearer Differentialgleichungen besitzt sie genau eine (linearunabh¨angige) normierte L¨osung ϕ0 (x). Wie man leicht nachrechnet ergibt sie sich zu mω 1/4 mω x2 . hx |n = 0i = ϕ0 (x) = exp − π~ 2~ Der Grundzustand ist somit nicht entartet. Darauf aufbauend werden wir jetzt induktiv zeigen, dass alle Eigenzust¨ande nicht entartet sind. Wir nehmen also an, ˆ |ni = n |ni, bzw. H |ni = ~ω (n + 1/2) |ni dass es genau einen Zustand |ni mit N gibt. Betrachten wir dann den Eigenvektor |n + 1, ii zum Eigenwert n + 1 (bzw. ~ω(n+3/2)). Wie wir wissen, bildet a |n + 1, ii einen Eigenvektor mit Eigenwert n (bzw. ~ω(n+1/2)). Da dieser Eigenvektor aber nach Voraussetzung nicht entartet ist, muss a |n + 1, ii = ci |ni mit Konstanten ci ∈ C gelten. Wenden wir nun a† an, so folgt ˆ |n + 1, ii = (n + 1) |n + 1, ii a† a |n + 1, ii = ci a† |ni = N ci † a |ni . ⇒ |n + 1, ii = n+1 Damit sind jedoch alle Eigenvektoren zum Eigenwert n + 1 (bzw. ~ω(n + 3/2)) proportional zum Vektor a† |ni und damit nicht linearunabh¨angig. Es folgt, dass alle Eigenvektoren nicht entartet sind. Die normierten Eigenzust¨ande |ni konstruiert man ausgehend vom Grundzustand |0i durch wiederholtes Anwenden von a† n−1 n cn † 1 cn−1 a† a |n − 1i . |0i = |ni = cn a† |0i = cn a† cn−1 cn−1 Damit ergibt sich 1 = hn |ni =
|cn |2 |cn |2 † ˆ + 1 |n − 1i hn − 1| aa |n − 1i = hn − 1| N |cn−1 |2 |cn−1 |2 |cn |2 = n, |cn−1 |2
d.h. die Rekursionsgleichung |cn |2 = |cn−1 |2 /n. Mit |c0 |2 = 1 folgt sofort |cn |2 = W¨ahlen wir cn als positiv und reell, so ergibt sich n 1 |ni = √ a† |0i . n! F¨ ur den n-ten Eigenvektor gilt damit in der Ortsdarstellung
1 . n!
ϕn (x) := hx |ni !n mω mω 1/4 1 1 n r mω 1 d √ √ = x− p exp − x2 π~ ~ 2~ 2 n! mω/~ dx n mω 1/4 1 d 1 √ = q− exp − q 2 , n π~ dq 2 n! 2
106
KAPITEL 8. DER HARMONISCHE OSZILLATOR
wobei wir die Variable r q :=
mω x ~
eingef¨ uhrt haben. In der Mathematik werden die so genannten Hermitepolynome Hn , mit n ∈ N0 , gem¨aß n d 2 q 2 /2 q− e−q /2 Hn (q) := e dq definiert.5 Mit dieser Definition ergibt sich ϕn (x) =
mω 1/4 π~
√
1 2 e−q /2 Hn (q) . n! 2n
F¨ ur die vier niedrigsten Hermitepolynome ergibt sich H0 (q) = 1 , H1 (q) = 2q , H2 (q) = 4q 2 − 2 , H3 (q) = 8q 3 − 12q . Die Ortsdarstellung einiger niedrigliegender Eigenzust¨ande zu H und die zugeh¨origen Wahrscheinlichkeitsdichten sind in Abbildung 8.1 dargestellt. Da die Menge der |ni, mit n ∈ N0 , die Eigenvektoren eines selbstadjungierten Operators sind, bilden sie ein vollst¨andiges System. Wir haben also die Zerlegung der Eins auf dem L2 (R) 1=
∞ X
|ni hn| .
n=0
Unter Verwendung der Eigenschaften der Hermitepolynome l¨asst sich die Vollst¨andigkeit in diesem Beispiel auch explizit zeigen. Die Spektraldarstellung des Hamiltonoperators lautet ∞ X 1 |ni hn| . H = ~ω n+ 2 n=0 Im Allgemeinen ben¨otigt man zur Berechnung von Erwartungswerten in den Eigenzust¨anden des harmonischen Oszillators nicht die explizite Form der Hermitepolynome. Exemplarisch wollen wir das f¨ ur die Erwartungswerte hm| xˆ |ni und hm| pˆ |ni, mit m, n ∈ N0 , zeigen. Wir dr¨ ucken dazu xˆ und pˆ mit Hilfe der Gln. (8.1) und (8.2) durch a und a† aus r r ~ m~ω xˆ = a + a† , pˆ = i −a + a† . 2mω 2 5
Man u ¨berzeugt sich leicht davon, dass Hn ein Polynom n-ten Grades ist.
107
Abbildung 8.1: Ortsdarstellung niedrigliegender Eigenzust¨ande des eindimensionalen harmonischen Oszillators (a) und die zugeh¨origen Wahrscheinlichkeitsdichten (b). Die in der Abbildung angegebenen n ergeben sich aus den n des Textes durch addieren von 1, d.h. n = 1 in der Abbildung indiziert den Grundzustand, n = 2 den ersten angeregten Zustand usw..
Aufgrund von a† |ni =
√
n + 1 |n + 1i und a |ni = √ hm| a |ni = n δm,n−1
√
n |n − 1i gilt
und hm| a† |ni =
√
n + 1 δm,n+1 .
Damit ergibt sich r hm| xˆ |ni =
√ ~ √ n δm,n−1 + n + 1 δm,n+1 2mω
und r hm| pˆ |ni = i
√ m~ω √ − n δm,n−1 + n + 1 δm,n+1 . 2
108
KAPITEL 8. DER HARMONISCHE OSZILLATOR
Die zu xˆ und pˆ geh¨orenden unendlichdimensionalen Matrizen haben Tridiagonalgestalt, mit verschwindender Hauptdiagonale. D.h. die Matrixelemente hn| xˆ |ni und hn| pˆ |ni sind Null. ¨ In Ubungsaufgaben haben Sie bereits einige dynamische Probleme im Potenzial des harmonischen Oszillators gel¨ost. In den in der Vorlesung gezeigten Simulationen werden weitere Beispiele veranschaulicht. Speziell wird auch die zeitliche Entwicklung so genannter koh¨arenter Zust¨ande dargestellt, die Sie in ¨ einer weiteren Ubungsaufgabe analytisch genauer untersuchen werden.
Kapitel 9 Die Dynamik von Quantensystemen 9.1
Das Schr¨ odingerbild
Bereits in Kapitel 7 haben wir einige allgemeine Konsequenzen des Postulat 6 (die Dynamik eines Quantensystems ist durch die Schr¨odingergleichung gegeben) diskutiert. Wir haben den Zeitentwicklungsoperator U (t) eingef¨ uhrt, gezeigt, dass er f¨ ur einen zeitunabh¨angigen Hamiltonoperator H durch U (t) = exp (−iHt/~) gegeben ist und diskutiert, wie wir in diesem Fall die Spektraldarstellung von H dazu verwenden k¨onnen, den Zustand |ψ(t)i zu bestimmen, der sich aus dem vorgegebenen Anfangszustand |ψ(0)i gem¨aß |ψ(t)i = U (t) |ψ(0)i ergibt. Es gilt |ψ(t)i = U (t) |ψ(0)i =
Z Z X X E
e−iEt/~ hE, ν |ψ(0)i |E, νi ,
ν
mit den Eigenzust¨anden |E, νi und den Eigenwerten E zu H. Wir wollen hier diese allgemeine Vorgehensweise nocheinmal anhand eines Beispiels zur Dynamik des Spinfreiheitsgrades eines Elektrons in einem zeitlich ~ verdeutlichen.1 Den Hamiltonoperator zu konstanten, homogenen Magnetfeld B diesem Problem haben wir bereits in Kapitel 3 Gl. (3.1) konstruiert. Er lautet H = −µ0 B(σ1 n1 + σ2 n2 + σ3 n3 ) = −µ0 Bσ~n , ~ zeigt. Der zugrundeliegende mit dem Einheitsvektor ~n der in die Richtung von B 2 Hilbertraum ist der C . Die Eigenzust¨ande zu diesem Hamiltonoperator bei fest vorgegebenem ~n sind die |~n, ±i aus Kapitel 3 H |~n, ±i = ± (−µ0 B) |~n, ±i . 1
Wir vernachl¨ assigen dabei die Bahnfreiheitsgrade des Elektrons.
109
110
KAPITEL 9. DIE DYNAMIK VON QUANTENSYSTEMEN
Starten wir zur Zeit t = 0 in einem allgemeinen normierten Zustand |ψ(0)i, den wir immer als |ψ(0)i = ψ+ |~n, +i + ψ− |~n, −i, mit ψ± ∈ C schreiben k¨onnen, so folgt |ψ(t)i = e−iω0 t h~n, + |ψ(0)i |~n, +i + eiω0 t h~n, − |ψ(0)i |~n, −i = e−iω0 t ψ+ |~n, +i + eiω0 t ψ− |~n, −i ,
(9.1)
mit ω0 := −µ0 B/~. In diesem Beispiel gelingt es auch, U (t) direkt, d.h. ohne Zuhilfenahme der Spektraldarstellung des Hamiltonoperators, zu berechnen. Dazu erinnern wir uns, an die Matrixdarstellung (die Matrix sei mit A bezeichnet; ¨ siehe Ubungen) des Operators σ~n in der {|~e3 , ±i} Basis, die wir in Gl. (3.8) an¨ gegeben haben. In einer Ubungsaufgabe haben Sie exp (iαA) bestimmt. Das dort gewonnene Ergebnis exp (iαA) = cos (α) 1 + i sin (α) A k¨onnen wir verwenden und erhalten darstellungsunabh¨angig U (t) = e−iHt/~ = e−iω0 σ~n t = cos (ω0 t) 1 − i sin (ω0 t) σ~n .
(9.2)
Auch mit Hilfe dieses Ausdrucks k¨onnen wir Gl. (9.1) gewinnen. Um Gl. (9.2) physikalisch interpretieren zu k¨onnen, betrachten wir die Wirkung eines Operators exp (−iασ~n /2) auf einen gegebenen Zustand |ψi ∈ C2 . Betrachten wir dazu zun¨achst ~n = ~e2 . Wir ben¨otigen dann σ~n = σ2 = −i |~e3 , +i h~e3 , −|+i |~e3 , −i h~e3 , +| (siehe Gl. (3.11)). Damit folgt e−iθσ2 /2 = cos (θ/2) 1 − i sin (θ/2) (−i |~e3 , +i h~e3 , −| + i |~e3 , −i h~e3 , +|) . Angewandt auf den Zustand |~e3 , +i ergibt sich e−iθσ2 /2 |~e3 , +i = cos (θ/2) |~e3 , +i + sin (θ/2) |~e3 , −i = |~n(θ, 0), +i gem¨aß Gl. (3.10). Dabei haben wir die beiden Winkel θ und ϕ des Normalenvektors ~n = ~n(θ, ϕ) mit angegeben. Den Vektor ~n(θ, 0) erh¨alt man aus ~e3 durch eine Drehung um den Winkel θ um die ~e2 Achse. Der Operator e−iθσ2 /2 vermittelt also eine spezielle Drehung: Aus einem Spinzustand, der mit Wahrscheinlichkeit Eins beim Durchlaufen einer in ~e3 -Richtung ausgerichtete Stern-Gerlach Apparatur im oberen Strahl liegt, wird einer f¨ ur den selbiges beim Durchlaufen einer in die ~n(θ, 0)-Richtung rotierten Stern-Gerlach Apparatur gilt. Das legt die Vermutung nahe, dass man eine allgemeine Drehung durch den “Drehoperator” exp (−i Drehwinkel ~σ · ~eDrehachse /2)
(9.3)
generiert. Nach diesem Rezept sollten wir den allgemeinen Zustand |~n(θ, ϕ), +i durch Anwenden von e−iϕσ3 /2 auf |~n(θ, 0), +i erhalten. Um dieses zu zeigen betrachten wir e−iϕσ3 /2 = cos (ϕ/2) 1 − i sin (ϕ/2) (|~e3 , +i h~e3 , +| − |~e3 , −i h~e3 , −|) = e−iϕ/2 |~e3 , +i h~e3 , +| + eiϕ/2 |~e3 , −i h~e3 , −| .
¨ 9.1. DAS SCHRODINGERBILD
111
Damit folgt e−iϕσ3 /2 |~n(θ, 0), +i =
e−iϕ/2 |~e3 , +i h~e3 , +| + eiϕ/2 |~e3 , −i h~e3 , −| (cos (θ/2) |~e3 , +i + sin (θ/2) |~e3 , −i) = e−iϕ/2 cos (θ/2) |~e3 , +i + eiϕ/2 sin (θ/2) |~e3 , −i = e−iϕ/2 |~n(θ, ϕ), +i ,
wobei wir von der vorletzten zur letzten Zeile wieder Gl. (3.10) verwendet haben. Bis auf die Phase e−iϕ/2 hat sich somit unsere Erwartung best¨atigt. Aufgrund der Isotropie des Raumes k¨onnen wir das f¨ ur die speziellen Drehachse gewonnene Ergebnis auf beliebige Achsen erweitern und Gl. (9.3) gilt allgemein. Ausgedr¨ uckt durch den Vektoroperator ~s Gl. (3.14) gilt exp (−i Drehwinkel ~s · ~eDrehachse /~) .
(9.4)
Im Kapitel u ¨ber Drehimpulsoperatoren werden wir nocheinmal auf den Zusammenhang zwischen Rotationen und Drehimpulsoperatoren zur¨ uckkommen. In diesem Kapitel werden wir zus¨atzlich kurz diskutieren, wie sich r¨aumliche Translationen mit Hilfe des Impulsoperators generieren lassen. Gem¨aß dem gerade gelernten beschreibt der obige Zeitentwicklungsoperator Gl. (9.2) eine Rotation mit Winkel 2ω0 t um die ~n-Achse. |ψ(t)i vollf¨ uhrt somit eine Pr¨azessionsbewegung mit der Frequenz 2ω0 um das Magnetfeld (genauer die Richtung des Magnetfeldes) in weitgehender Analogie zum Verhalten eines klassischen magnetischen Moments in einem zeitunabh¨angigen, homogenen Magnetfeld. F¨ ur allgemeine zeitabh¨angige Hamiltonoperatoren Ht ist die L¨osung der Schr¨odingergleichung i~
d |ψ(t)i = Ht |ψ(t)i dt
i.A. viel komplizierter.2 F¨ ur einen Spezialfall kann U (t) angegeben werden. Gilt 0 [Ht , Ht0 ] = 0 f¨ ur alle t, t , so folgt Z t 0 |ψ(t)i = exp −i Ht0 dt /~ |ψ(0)i , 0 {z } | =U (t)
wie man durch Differenzieren explizit nachrechnet. Ein Beispiel daf¨ ur, welches ¨ Sie ausf¨ uhrlicher in einer Ubungsaufgabe untersuchen werden, ist der Spinfrei~ heitsgrad eines Elektrons in einem homogenen Magnetfeld B(t) = B(t)~n, dessen St¨arke von der Zeit abh¨angt, dessen Richtung jedoch zeitlich konstant ist. Der 2
H wird zeitabh¨ angig, wenn z.B. bei der Diskussion der Bahnfreiheitsgrade das Potenzial V (~x, t) zeitabh¨ angig ist, oder bei der Untersuchung der Dynamik der Spinfreiheitsgrades das ~ Magnetfeld B(t) von t abh¨ angt.
112
KAPITEL 9. DIE DYNAMIK VON QUANTENSYSTEMEN
Hamiltonoperator lautet in diesem Fall Ht = −µ0 B(t)σ~n , so dass aus [σ~n , σ~n ] = 0, offensichtlich [Ht , Ht0 ] = 0 f¨ ur alle t, t0 folgt. Auch wenn [Ht , Ht0 ] 6= 0 gibt es einen unit¨aren Zeitentwicklungsoperator U (t) mit3 |ψ(t)i = U (t) |ψ(0)i .
(9.5)
Die Unitarit¨at folgt aus der weiterhin g¨ ultigen Erhaltung der Wahrscheinlichkeit d d d hψ(t) |ψ(t)i = hψ(t)| |ψ(t)i + hψ(t)| |ψ(t)i dt dt dt 1 = hψ(t)| Ht |ψ(t)i − hψ(t)| Ht† |ψ(t)i i~ = 0, die sich aus der Selbstadjungiertheit des Hamiltonoperators ergibt. Das Skalarprodukt hψ(t) |ψ(t)i ist zeitlich konstant und gleich 1, da f¨ ur t = 0, hψ(0) |ψ(0)i = 1 gilt. F¨ ur alle t ∈ R folgt so hψ(t) |ψ(t)i = 1 = hψ(0)| U † (t)U (t) |ψ(0)i und damit U † (t) = U −1 (t), da der Anfangszustand |ψ(0)i beliebig gew¨ahlt werden kann. Wir verwenden nun Gl. (9.5) als Ansatz zur L¨osung der Schr¨odingergleichung und erhalten i~
d U (t) |ψ(0)i = Ht U (t) |ψ(0)i . dt
Da der Anfangszustand |ψ(0)i ein beliebiger Zustand aus dem Hilbertraum H ist, gilt die Operatorgleichung i~
d U (t) = Ht U (t) , dt
(9.6)
die zusammen mit U (0) = 1 den Zeitentwicklungsoperator eindeutig festlegt. Nur f¨ ur sehr wenige Probleme mit zeitabh¨angigem Ht l¨asst sich die Schr¨odingergleichung analytisch l¨osen. Ein Beispiel in dem dieses gelingt, ist das einfache ¨ Modell zur Spinresonanz, welches Sie in den Ubungen behandeln werden.
9.2
Das Heisenbergbild
Im Folgenden werden wir in der Frage der Zeitentwicklung eine neue Sichtweise einf¨ uhren. Statt wie bisher den Vektoren aus H eine zeitliche Entwicklung 3
Durch die Angabe einer Differentialgleichung, die U (t) eindeutig festlegt, werden wir gleich zeigen, dass es zu jedem Ht ein U (t) gibt.
9.2. DAS HEISENBERGBILD
113
zu zusprechen, werden sich die Operatoren zeitlich entwickeln.4 Die physikalisch wichtigen Gr¨oßen sind die Erwartungswerte von Observablen (hier der Observablen A) im Zustand |ψ(t)i hAi|ψ(t)i = hψ(t)| A |ψ(t)i = hψ(0)| U † (t)AU (t) |ψ(0)i . Definiert man f¨ ur einen allgemeinen Operator A auf H (nicht nur f¨ ur Observable) AH (t) := U † (t)AU (t) so entspricht die obige Relation hAi|ψ(0)i := hAi|ψ(t)i t = hψ(0)| AH (t) |ψ(0)i . Wir haben die Zeitabh¨angigkeit so vom Zustand auf den Operator geschoben. Man nennt diese Beschreibungsweise das Heisenbergbild, was den Index H an AH (t) erkl¨art. Die bisherige Beschreibung der Dynamik nennt man im Gegensatz dazu das Schr¨odingerbild.5 Mit Hilfe des Zeitentwicklungsoperators werden wir jetzt eine Bewegungsgleichung f¨ ur AH (t) herleiten. Wir beschr¨anken uns dabei zun¨achst auf den Fall, das sowohl A als auch H zeitunabh¨angig sind.6 Dann gilt U (t) = exp (−iHt/~) und wir erhalten AH (t) = eiHt/~ Ae−iHt/~ . Differenzieren wir diesen Ausdruck nach der Zeit und multiplizieren mit i~, so folgt d iHt/~ d −iHt/~ d −iHt/~ iHt/~ e e Ae + i~e A i~ AH (t) = i~ dt dt dt = AH (t)H − HAH (t) = [AH (t), H] . Die Anfangsbedingung bei t = 0 lautet AH (0) = A. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Heisenbergschen Bewegungsgleichung. Wegen [AH (t), H] = = = = 4
eiHt/~ Ae−iHt/~ H − HeiHt/~ Ae−iHt/~ eiHt/~ AHe−iHt/~ − eiHt/~ HAe−iHt/~ eiHt/~ [A, H] e−iHt/~ ([A, H])H (t) ,
Man muss dabei zwischen einer m¨ oglichen expliziten Zeitabh¨angigkeit von Operatoren und der durch den Hamiltonoperator generierten Dynamik unterscheiden. 5 Auch im Schr¨ odingerbild besitzen Operatoren ihre m¨ogliche explizite Zeitabh¨angigkeit, nicht jedoch die durch den Hamiltonoperator generierte. 6 Neben der durch das Heisenbergbild induzierten Zeitabh¨angigkeit, kann A i.A. auch explizit zeitabh¨ angig sein.
114
KAPITEL 9. DIE DYNAMIK VON QUANTENSYSTEMEN
gilt auch d AH (t) = ([A, H])H (t) dt was wichtig f¨ ur die praktische Berechnung des Kommutators ist. Gem¨aß dieser Gleichung sind (explizit zeitunabh¨angige) Observable A, die mit H vertauschen ¨ zeitunabh¨angig, d.h. sie sind Erhaltungsgr¨oßen. Nach den obigen Uberlegungen ist dann auch der Erwartungswert hAi|ψ(t)i , unabh¨angig vom Anfangszustand, zeitunabh¨angig. Zum Beispiel ist der (zeitunabh¨angige) Hamiltonoperator selbst eine Erhaltungsgr¨oße, was bedeutet, dass der Erwartungswert der Energie zeitlich konstant ist. Wir werden sp¨ater weitere Erhaltungsgr¨oßen kennenlernen. Betrachten wir als Beispiel die Bewegung eines Teilchens der Masse m im ˆ2 ~p + V (~xˆ). zeitunabh¨angigen Potenzial V (~x), mit dem Hamiltonoperator H = 2m Wir wollen dabei Bewegungsgleichungen f¨ ur ~xˆH (t) und ~ˆpH (t) herleiten. Es gilt h i dˆ iHt/~ ˆ i~ ~xH (t) = e ~x, H e−iHt/~ dt # " ˆp2 ~ + V (~xˆ) e−iHt/~ = eiHt/~ ~xˆ, 2m # " ˆp2 ~ e−iHt/~ = eiHt/~ ~xˆ, 2m 3 X pˆj h ˆ i h ˆ i pˆj iHt/~ = e ~x, pˆj + ~x, pˆj e−iHt/~ 2m 2m j=1 i~
= i~
1 ˆ p~H (t) . m
und damit 1 dˆ ~xH (t) = p~ˆH (t) . dt m
(9.7)
der Bewegungsgleichung f¨ ur pˆH (t) tritt der Kommutator hBei der Bestimmung i ¨ pˆi , V (~xˆ) auf. In den Ubungen haben Sie gezeigt, dass f¨ ur diesen h i ~ ∂V pˆi , V (~xˆ) = (~xˆ) i ∂xi gilt. Mit Hilfe dieser Relation erhalten wir i~
h i dˆ p~H (t) = eiHt/~ p~ˆ, H e−iHt/~ dt h i iHt/~ ˆ ˆ = e p~, V (~x) e−iHt/~ = −i~
∂V ˆ (~xH (t)) ∂~x
9.2. DAS HEISENBERGBILD
115
und damit dˆ ∂V ˆ (~xH (t)) . p~H (t) = − dt ∂~x
(9.8)
Wir finden somit, dass die Bewegungsgleichungen f¨ ur ~xˆH (t) und ~ˆpH (t) die gleiche Form haben, wie die f¨ ur ~x(t) und p~(t) in der klassischen Mechanik.7 Wie man leicht nachrechnet, erf¨ ullen ~xˆH (t) und ~ˆpH (t) f¨ ur alle t ∈ R die Heisenbergsche Vertauschungsrelation, was wir hier gleich f¨ ur ein allgemeines U (t) zeigen wollen [ˆ xi,H (t), pˆj,H (t)] = U † (t)ˆ xi U (t)U † (t) pˆj U (t) − U † (t)ˆ pj U (t)U † (t) xˆi U (t) | {z } | {z } =1
=1
†
= U (t) [ˆ x , pˆ ] U (t) | i{z j} =i~δi,j 1
= i~δi,j 1 . Bildet man den Erwartungswert der Gln. (9.7) und (9.8) in einem beliebigen Anfangszustand |ψ(0)i, so folgt d D ˆE ~x = dt |ψ(t)i d D ˆE p~ = dt |ψ(t)i
d D ˆE|ψ(0)i 1 D ˆE|ψ(0)i 1 D ˆE ~x = p~ = p~ dt m m t t |ψ(t)i d D ˆE|ψ(0)i ∂V ˆ p~ = − hψ(t)| (~x) |ψ(t)i . dt ∂~x t
(9.9) (9.10)
Man nennt diese Bewegungsgleichungen f¨ ur die Erwartungswerte von Ort und Impuls die Ehrenfestgleichungen. F¨ ur den Fall, dass V (~x) nur lineare und quadratische Terme in ~x hat,8 l¨asst sich Gl. (9.10) weiter umformen9 ∂V d D ˆE|ψ(0)i ∂V ˆ d D ˆE (~x) |ψ(t)i = − hψ(t)| ~xˆ |ψ(t)i . p~ = p~ = − hψ(t)| dt dt ∂~x ∂~x |ψ(t)i t In diesem Spezialfall reduzieren sich die beiden Ehrenfestgleichungen zu einer d2 D ˆ E ∂V D ˆE m 2 ~x =− ~x . dt ∂~x |ψ(t)i |ψ(t)i Sie ist v¨ollig analog zu der Bewegungsgleichung f¨ ur ~x(t) in der klassischen Mechanik. Wir schließen somit, dass f¨ ur diese speziellen Potenziale der Mittelwert des Ortes der klassischen Trajektorie folgt. F¨ ur allgemeine Potenziale gilt diese 7
Man bezeichnet diese Beobachtung als das Ehrenfestsche Theorem. Dieses gilt f¨ ur den harmonischen Oszillator und die Bewegung in einem r¨aumlich homogenen Kraftfeld. 9 ˆ) |ψ(t)i = ur ein allgemeines V (~x), hψ(t)| ∂V x 6 ∂~ x (~ Es ist wichtig zu beachten, dass f¨ ∂V 4 ˆ hψ(t)| ~x |ψ(t)i gilt. Dies sieht man z.B. leicht f¨ ur V (x) = x , da f¨ ur ein allgemeines 8
∂~ x
3
|ψ(t)i ∈ H, hψ(t)| x ˆ3 |ψ(t)i = 6 hψ(t)| x ˆ |ψ(t)i gilt.
116
KAPITEL 9. DIE DYNAMIK VON QUANTENSYSTEMEN
Aussage jedoch nicht, wie wir explizit im Beispiel des Tunnelprozesses gesehen haben. Sind im allgemeinen Fall der Hamiltonoperator Ht und der betrachtete Operator At (spezieller die betrachtete Observable At ) explizit zeitabh¨angig, so ergibt sich die Bewegungsgleichung d † d ∂At d † U (t) At U (t) + i~U (t)At U (t) + i~U † (t) U (t) i~ AH (t) = i~ dt dt dt ∂t ∂At = −U † (t)Ht At U (t) + U † (t)At Ht U (t) + i~U † (t) U (t) ∂t ∂At = U † (t) [At , Ht ] + i~ U (t) ∂t ∂At (t) , = [At , Ht ] + i~ ∂t H ¨ mit der Anfangsbedingung AH (0) = At=0 . In den Ubungen werden Sie das Beispiel des eindimensionalen harmonischen Oszillators in einem zus¨atzlichen r¨aumlich homogenen, zeitabh¨angigen Kraftfeld untersuchen, in dem der Hamiltonoperator zeitabh¨angig ist. Auch wenn es Ihnen auf den ersten Blick fremdartig erscheinen mag, dass im Heisenbergbild der Operator zeitabh¨angig ist und der Zustand dagegen zeitunabh¨angig, so ist dieses Vorgehen verglichen mit dem der klassischen Mechanik “nat¨ urlicher”. Wie dort, ist im Heisenbergbild die Observable, die ein klassisches Analogon besitzt (z.B. der Ort und der Impuls), zeitabh¨angig und gehorcht einer Bewegungsgleichung. Nach der obigen Diskussion sollte klar sein, dass beide Bilder a¨quivalent sind. Neben dem Schr¨odinger- und dem Heisenbergbild, ist f¨ ur praktische Rechnungen oft das Diracbild (auch Wechselwirkungsbild genannt) sehr n¨ utzlich.10 Es wird speziell dann eingesetzt, wenn man den zu einem Hamiltonoperartor geh¨orenden Zeitentwicklungsoperator nicht analytisch angeben kann und bei der analytischen Diskussion auf N¨aherungsmethoden angewiesen ist (St¨orungstheorie). Wir werden darauf zur¨ uck kommen.
10
In gewissem Sinne kann man das Diracbild als Mischung aus dem Schr¨odinger- und dem Heisenbergbild ansehen.
Kapitel 10 Elektromagnetische Felder Bisher haben wir noch nicht davon gesprochen, dass viele der Teilchen (Elektronen, Protonen, Ionen, . . . ), deren Dynamik durch die Quantenmechanik be¨ schrieben wird, geladen sind. Unsere bisherigen Uberlegungen zur Bewegung eines Teilchens in einem externen (m¨oglicherweise zeitabh¨angigen) Potenzial V (~x, t) k¨onnen wir sofort auf geladene Teilchen anwenden, solange das Vektorpotenzial A(~x, t) verschwindet. In diesem Fall gilt V (~x, t) = qφ(~x, t), wobei q die Ladung des betrachteten Teilchens bezeichnet und φ(~x, t) das skalare Potenzial.
10.1
Grundlagen
In diesem Kapitel wollen wir die Dynamik in allgemeinen externen elektromagnetischen Feldern untersuchen. Wir rekapitulieren dazu zun¨achst die wichtigsten Gleichungen der Elektrodynamik. Die Kraft die auf ein klassisches Teilchen der Ladung q wirkt ist die Lorentzkraft 1˙ ~ ~ ~ F (~x, t) = q E(~x, t) + ~x(t) × B(~x, t) , c ~ dem Magnetfeld B ~ und der Lichtgeschwindigkeit c. mit dem elektrischen Feld E, ~ x, t) Diese Felder erh¨alt man in der Elektrodynamik aus dem Vektorpotenzial A(~ und dem skalaren Potenzial φ(~x, t) gem¨aß ~ ~ x, t) = − 1 ∂ A (~x, t) − ∂φ (~x, t) E(~ c ∂t ∂~x ∂ ~ x, t) = ~ x, t) . B(~ × A(~ ∂~x Wie Sie wissen, ist die klassische, die Energie beschreibende, Hamiltonfunktion Hklass f¨ ur die Bewegung eines Teilchens der Masse m und Ladung q in einem elektromagnetischen Feld durch 2 1 q~ Hklass (~x, p~; t) = p~ − A(~x, t) + qφ(~x, t) 2m c 117
118
KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER
gegeben. Aus ihr konstruieren wir den quantenmechanischen Hamiltonoperator durch Anwenden des Korrespondenzprinzips (siehe die Diskussion in Anschluss an ~ und φ nicht vom Impuls p~, sondern nur vom Ort ~x abh¨angen, Postulat 6).1 Da A m¨ ussen wir bei der Anwendung des Korrespondenzprinzips nicht auf die Reihenfolge von Operatoren achten. Wir ersetzen also einfach ~x → ~xˆ und p~ → p~ˆ und erhalten den (m¨oglicherweise explizit zeitabh¨angigen) Hamiltonoperator 1 ˆ q ~ ˆ 2 p~ − A(~x, t) + qφ(~xˆ, t) 2m c 1 ˆ2 ~π + qφ(~xˆ, t) . = 2m t
Ht =
¨ Beim Ubergang von der ersten zur zweiten Zeile haben wir den kinematischen Impulsoperator ˆt := p~ˆ − q A( ~ ~xˆ, t) ~π c eingef¨ uhrt. Wie wir weiter unten sehen werden ist es - wie der Name nahelegt der f¨ ur die Kinematik relevante Impulsoperator. In diesem Zusammenhang bezeichnet man p~ˆ auch als den kanonischen Impulsoperator, da seine Komponenten untereinander die kanonischen Vertauschungsrelationen erf¨ ullen. Bei der Konstruktion des obigen Hamiltonoperators sind wir davon ausgegangen, dass das zu beschreibende Teilchen keinen Spinfreiheitsgrad besitzt. Andernfalls m¨ ussten wir die bereits mehrfach diskutierte Kopplung des Spinfreiheitsgrades an das externe Magnetfeld ber¨ ucksichtigen. Wir werden weiter unten auf dieses Problem zur¨ uckkommen, wenn wir untersuchen, wie man die Bahnfreiheitsgrade und den Spin eines Teilchens gleichzeitig beschreibt. Zun¨achst werden wir aber weiter nur spinlose Teilchen untersuchen. Im Gegensatz zu den Komponenten des kanonischen Impulsoperators, vertauschen die des kinematischen Impulsoperators i.A. nicht. Es gilt z.B. [ˆ πt,1 , π ˆt,2 ] = = = = 1
i q q ˆ ˆ pˆ1 − A1 (~x, t), pˆ2 − A2 (~x, t) c i hc i q h ˆ − pˆ1 , A2 (~x, t) − pˆ2 , A1 (~xˆ, t) c i~q ∂A2 ˆ ∂A1 ˆ (~x, t) − (~x, t) c ∂x1 ∂x2 i~q B3 (~xˆ, t) , c
h
Es ist zu beachten, dass das elektromagnetisch Feld weiterhin klassisch behandelt wird. F¨ ur alle hier behandelten Probleme ist die Annahme eines klassischen Feldes zul¨assig. Im Rahmen der Quantenoptik und der Quantenfeldtheorie, muss man auch das elektromagnetische Feld quantisieren.
10.1. GRUNDLAGEN
119
¨ wobei wir ein Ergebnis aus den Ubungen verwendet haben. Allgemein gilt 3 i~q X [ˆ πt,i , π ˆt,j ] = εi,j,k Bk (~xˆ, t) . c k=1
Weitere wichtige Kommutatoren sind [ˆ xi , π ˆt,j ] = [ˆ xi , pˆj ] = i~δi,j 1 und h
i h i ~ ∂f π ˆt,i , f (~xˆ) = pˆi , f (~xˆ) = (~xˆ) . i ∂xi
ˆH (t) herleiten. Es gilt Wir wollen nun Bewegungsgleichungen f¨ ur ~xˆH (t) und ~π h i d i~ ~xˆH (t) = U † (t) ~xˆ, Ht U (t) dt 3 1 † X hˆ 2 i U (t) ~x, π ˆt,j U (t) = 2m j=1 3 h i h i 1 † X ˆ ˆ = π ˆt,j ~x, π U (t) ˆt,j + ~x, π ˆt,j π ˆt,j U (t) 2m j=1
=
i~ † ˆ U (t)~πt U (t) m
und damit 1ˆ dˆ ~xH (t) = ~π H (t) . dt m Diese Gleichung zeigt, dass der “Geschwindigkeitsoperator” f¨ ur das Teilchen in ˆH (t)/m gegeben einem elektromagnetischen Feld nicht durch p~ˆH (t)/m, sondern ~π ˆH (t) ben¨otigen wir ist. Zur Bestimmung der Bewegungsgleichung f¨ ur ~π 3 h i 1 X 2 π ˆt,i , π ˆt,j +q π ˆt,i , φ(~xˆ, t) [ˆ πt,i , Ht ] = 2m j=1 3
1 X ~ ∂φ ˆ = (ˆ πt,j [ˆ πt,i , π ˆt,j ] + [ˆ πt,i , π ˆt,j ] π ˆt,j ) + q (~x, t) 2m j=1 i ∂xi 3
3
3
3
i~q X X ~ ∂φ ˆ = π ˆt,j εi,j,k Bk (~xˆ, t) + εi,j,k Bk (~xˆ, t)ˆ πt,j + q (~x, t) 2mc j=1 k=1 i ∂xi =
i~q X X ~ ∂φ ˆ εi,j,k π ˆt,j Bk (~xˆ, t) − εi,k,j Bk (~xˆ, t)ˆ πt,j + q (~x, t) . 2mc j=1 k=1 i ∂xi
120
KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER
Damit ergibt sich ! h i ˆ dˆ † ˆt , Ht + i~ ∂~πt U (t) i~ ~π ~π H (t) = U (t) dt ∂t i~q ˆ † ˆ ˆ ˆ ~ ~ = U (t) ~πt × B(~x, t) − B(~x, t) × ~πt 2mc !) ~ ∂φ 1 ∂A (~xˆ, t) − (~xˆ, t) U (t) +i~q − c ∂t ∂~x bzw. dˆ 1 ˆH (t) × B( ˆH (t) ~ ~xˆH (t), t) − B( ~ ~xˆH (t), t) × ~π ~ ~xˆH (t), t) + ~πH (t) = q E( ~π . dt 2mc ˆH (t) lassen sich zu einer DifferentialDie Bewegungsgleichungen f¨ ur ~xˆH (t) und ~π gleichung zweiter Ordnung f¨ ur ~xˆH (t) zusammenfassen 1 dˆ d2 ˆ q ~ ˆ ~ ~xˆH (t), t) E(~xH (t), t) + ~xH (t) × B( ~xH (t) = dt2 m 2c dt dˆ ˆ ~ −B(~xH (t), t) × ~xH (t) . dt Diese Gleichung besitzt nahezu2 die klassische Form 1˙ ¨ ~ ~ ~ m~x = F (~x, t) = q E(~x, t) + ~x(t) × B(~x, t) c und stellt eine Verallgemeinerung des Ehrenfestschen Theorems dar. F¨ ur r¨aumlich homogene Felder vereinfacht sich die Operatorgleichung zu 1 dˆ d2 ˆ ~ ~ m 2 ~xH (t) = q E(t)1 + ~xH (t) × B(t) . dt c dt In diesem Fall folgt der Erwartungswert des Ortes wieder der klassischen Trajektorie. Wie im klassischen Fall treten in den Bewegungsgleichungen nur die Felder ~ ~ nicht jedoch die Potenziale φ und A ~ auf. Die Dynamik ist damit unE und B, ~ verwendeten Eichung. Wie Sie wissen sollten, kann abh¨angig von der f¨ ur φ und A ~ x, t) imman in der (klassischen) Elektrodynamik von Potenzialen φ(~x, t) und A(~ mer zu anderen Potenzialen (man nennt den Vorgang eine Eichtransformation) 1 ∂χ (~x, t) c ∂t ~ x, t) → A ~ 0 (~x, t) = A(~ ~ x, t) + ∂χ (~x, t) , A(~ ∂~x φ(~x, t) → φ0 (~x, t) = φ(~x, t) −
2
(10.1) (10.2)
ˆH (t) und B( ˆH (t), t) i.A. nicht vertauschen. ~ ~x Sie besitzt nur nahezu die klassische Form, da ~π
10.1. GRUNDLAGEN
121
mit einer (hinreichend vern¨ unftigen) Funktion χ(~x, t) u ¨bergehen, wobei die Dynamik des Problems invariant bleibt. Letzteres liegt daran, dass die in der klas~ und B ~ invariant unter der sischen Bewegungsgleichung auftretenden Felder E 3 Eichtransformation sind. Im Gegensatz dazu h¨angt der Hamiltonoperator, ana~ und damit von der log zur Hamiltonfunktion im klassischen Fall, von φ und A gew¨ahlten Eichung ab. Damit h¨angen auch die L¨osungen der zeitabh¨angigen ¨ Schr¨odingergleichung von der Eichung ab. Wie Sie in einer Ubungsaufgabe zeigen werden, l¨ost q h~x |ψ 0 (t)i = ψ 0 (~x, t) = exp i χ(~x, t) ψ(~x, t) ~c die Schr¨odingergleichung zum Hamiltonoperator Ht0
1 ˆ q ~ 0 ˆ 2 p~ − A (~x, t) + qφ0 (~xˆ, t) = 2m c
wenn h~x |ψ(t)i = ψ(~x, t) eine L¨osung zu Ht =
1 ˆ q ~ ˆ 2 p~ − A(~x, t) + qφ(~xˆ, t) 2m c
ist. Die physikalisch relevante Wahrscheinlichkeitsdichte 2 q 2 0 |ψ (~x, t)| = exp i χ(~x, t) ψ(~x, t) = |ψ(~x, t)|2 ~c ¨ ist daher invariant unter der Eichtransformation. Der beim Ubergang von ψ nach 0 ψ auftretende Phasenfaktor h¨angt i.A. explizit vom Ort und von der Zeit ab und ist kein globaler Phasenfaktor (deren Bedeutung - oder genauer Unwichtigkeit - wir bereits kennen gelernt haben). Man spricht daher auch von einer lokalen Symmetrie. In der Vorlesung Quantenmechanik II werden Sie mehr u ¨ber 4 den Zusammenhang zwischen Symmetrien und Invarianzen lernen. Die ~x- und t-Abh¨angigkeit des Phasenfaktors macht es auch etwas komplizierter einzusehen, dass alle physikalischen Vorhersagen (kurz: die Physik) von der Eichung unabh¨angig sind (im Fall einer globalen Phase ist das evident). Wir wollen das hier nicht im Detail weiterverfolgen und verweisen an dieser Stelle auf die Literatur. An Beispielen werden wir die Eichinvarianz im folgenden explizit sehen. Die Wahrscheinlichkeitsstromdichte, die die dreidimensionale Verallgemeinerung ∂ ∂ ~ ρ(~x, t) + · j(~x, t) = 0 ∂t ∂~x 3
Sie sollten die Invarianz der Felder nocheinmal explizit nachrechnen! Man kann aus der Forderung der lokalen Symmetrie der Quantenmechanik die Existenz der elektromagnetischen Felder “vorhersagen”. 4
122
KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER
der Kontiunit¨atsgleichung (7.4) erf¨ ullt, ist in Gegenwart eines elektromagnetischen Feldes durch ~ x, t) ψ(~x, t) + c.c. ~j(x, t) := 1 ψ ∗ (~x, t) ~ ∂ − q A(~ 2m i ∂~x c gegeben. Dieses Ergebnis ergibt sich aus einer Verallgemeinerung der Schritte, die uns auf Gl. (7.3) gef¨ uhrt haben. Sie ist, wie physikalisch zu erwarten, durch den kinematischen und nicht den kanonischen Impulsoperator bestimmt. Schreiben wir die Wellenfunktion wieder in der Form p ψ(~x, t) = ρ(~x, t)eiP (~x,t)/~ p (mit reellen Funktionen ρ(~x, t) und P (~x, t)), so folgt ~ x, t) . ~j(~x, t) = ρ(~x, t) ∂P (~x, t) − q A(~ m ∂~x c ~ → A+∂χ/∂~ ~ Umeichung A x liefert f¨ ur die Phase P → P +qχ/c. Damit hat ~j(x, t) eine eichinvariante Form. ¨ In einer Ubungsaufgabe werden Sie die Eigenzust¨ande des physikalisch wichtigen Problems eines Teilchens der Ladung q und Masse m in einem r¨aumlich homogenen, zeitlich konstanten Magnetfeld in ~e3 -Richtung bestimmen. Man nennt sie die Landauniveaus. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Erkl¨arung des ganzzahligen und fraktionalen Quanten-Hall-Effekts.
10.2
Der Aharonov-Bohm-Effekt
~ kann man die Eichtransformation (10.1) F¨ ur zeitunabh¨angige Potenziale φ und A und (10.2) auch f¨ ur die zeitunabh¨angige Schr¨odingergleichung betrachten. Ist ~ (mit Eigenwert dann ψE,ν (~x) Eigenfunktion (in Ortsdarstellung) zu H = H(φ, A) E und zus¨atzlichen Quantenzahlen ν), so ist i h q 0 ψE,ν (~x) = exp i χ(~x) ψE,ν (~x) ~c ~ + ∂χ/∂~x) mit Eigenwert E. Die Eigenwerte E Eigenfunktion zu H 0 = H(φ, A h¨angen nicht von der gew¨ahlten Eichung ab was erneut illustriert, dass alle physikalisch relevanten Gr¨oßen (d.h. die Physik) unabh¨angig von der gew¨ahlten Eichung sind. Es ist wichtig anzumerken, dass der Hamiltonoperator f¨ ur verschiedene Wahlen der Eichung verschiedene Symmetrien aufweisen wird. Entsprechend sind die “nat¨ urlichen” zus¨ atzlichen Quantenzahlen von der Eichung 0abh¨angig q und die Eigenfunktion exp i ~c χ(~x) ψE,ν (~x) (in Ortsdarstellung) von H (die sich ¨ direkt aus der Eigenfunktion von H ergibt) wird i.A. eine komplizierte Uberlage0 rung der Eigenzust¨ande von H zu den “nat¨ urlichen” zus¨atzlichen Quantenzahlen sein.
10.2. DER AHARONOV-BOHM-EFFEKT
123
Wie die klassische Mechnanik ist die Quantenmechanik wie oben angedeutet unempfindlich gegen¨ uber Eichtransformationen, jedoch spielen die elektromagnetischen Potenziale in letzterer eine andere Rolle als in der klassischen Mechanik. Dieses l¨asst sich sehr sch¨on anhand des Aharonov-Bohm Effekts illustrieren, der ein reiner Quanteneffekt ist. Er dient gleichzeitig dazu das Konzept der Eichinvarianz (im zeitunabh¨angigen Fall) in einer Anwedung besser zu verstehen. Wir betrachten ein Teilchen mit Ladung q welches sich nur in einem Raum~ x) = 0 gelten soll. Außerhalb von G soll es bereich G aufhalten kann in dem B(~ Bereiche mit nichtverschwindendem station¨aren Magnetfeld geben. Dabei kann die Grenze zu G durch “unendlich hohe” Potenzialbarrieren realisiert werden. Unter diesen Voraussetzungen gilt in G zwar ~ x) = 0 , ~ x) = ∂ × A(~ B(~ ∂~x ~ x) = 0 und ein A ~ 6= 0 tritt in der zu l¨osenden Schr¨odingergleiaber i.A. nicht A(~ ~ in G verschwindet ist es nat¨ ~ unabh¨angigen chung auf. Da B urlich nach einer von A L¨osung der Schr¨odingergleichung zu suchen. Wir stellen also die Frage, ob man ~ 0 (~x) = 0 in G gilt. Man kann sie eine Eichtransformation finden kann, so dass A mathematisch als Differentialgleichung formulieren. Gesucht ist χ(~x), so dass ~ 0 (~x) = A(~ ~ x) + ∂χ (~x) = 0 A ∂~x
(10.3)
in G gilt. Die Antwort auf diese Frage von der Topologie von G ab.
(a)
(b)
G x
B
C
G x0
Abbildung 10.1: Skizze f¨ ur den Fall, dass das Gebiet G in dem wir das Vektor~ potential A “weg-eichen” wollen einfach zusammenh¨angend ist.
In einfach zusammenh¨angenden Gebieten, wie z.B. in Abbildung 10.1(a), kann die Differentialgleichung (10.3) nach dem Stokesschen Satz (Vektoranalysis) durch eine vom Weg C unabh¨angige Stammfunktion (siehe Abbildung 10.1(b)) gel¨ost
124
KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER
~ in G verschwindet. F¨ werden, da die Rotation von A ur die Funktion χ(~x) folgt somit Z ~x ~ y ) · d~y . χ(~x) = − A(~ ~ x0 ~ (A)
Damit folgt f¨ ur die Eigenfunktion ψE,ν (~x) (in Ortsdarstellung) mit einer Eichung, ~ bei der A in G nicht verschwindet Z ~x ~ q (A) 0 ~ ψE,ν (~x) = exp i A(~y ) · d~y ψE,ν (~x) , ~c ~x0 0 mit der Eigenfunktion ψE,ν (~x) (in Ortsdarstellung) zur neuen Eichung, bei der 0 ~ = 0 in G. Dieses Ergebnis zeigt zus¨atzlich, dass die Energieeigenwerte E nicht A ~ außerhalb von G abh¨angen, da ja die station¨are Schr¨odinvon der Feldst¨arke B 0 ~ 0 = 0 f¨ gergleichung mit A ur ψE,ν in G keine Information u ¨ber das Magnetfeld enth¨alt und die Energieeigenwerte unabh¨angig von der Eichung sind.
(a)
G
(b)
G
B
x 0−
x +0
Abbildung 10.2: Skizze f¨ ur den Fall, dass das Gebiet G in dem wir das Vektor~ potential A “weg-eichen” wollen nicht mehr einfach zusammenh¨angend ist. Betrachten wir nun ein Gebiet G welches nicht mehr einfach zusammenh¨angend ist, wie z.B. in Abbildung 10.2 skizziert (da ein Weg, welcher das Magnetfeld umschließt, nicht mehr kontinuierlich auf einen Punkt zusammengezogen werden kann). F¨ ur einen geschlossenen Integrationsweg wie in Abbildung 10.2(b) (dort blau) gilt nach dem Satz von Stokes I ZZ ZZ ∂ ~ ~ ~ ~ · df~ =: φ(B) ~ , A(~y ) · d~y = × A(~y ) · df = B ∂~y
10.2. DER AHARONOV-BOHM-EFFEKT
125
~ durch die Querschnittsfl¨ache. F¨ mit dem magnetischen Fluss φ(B) uhrt man nun eine Trennwand in den G beschreibenden Zylinder ein (rot in Abbildung 10.2(b)), ˜ W¨ahlen wir so erh¨alt man wieder ein einfach zusammenh¨angendes Gebiet G. + als Startpunkt unseres Wegintegrals einen Ort ~x0 infinitesimal rechts von der Trennwand und als Endpunkt einen Ort ~x− 0 infinitesimal links von der Wand, so gelten die folgenden zwei Relationen ~ (A)
0 x+ ψE,ν (~x+ 0) , 0 ) = ψE,ν (~ ( ) Z ~x−0 ~ q (A) ~ y ) · d~y ψ 0 (~x− ) , ψE,ν (~x− A(~ 0 ) = exp i E,ν 0 ~c ~x+0 0 ˜ bei verschwindendem mit der Eigenfunktion ψE,ν (~x) (in Ortsdarstellung), ~x ∈ G, Vektorpotential (aber mit Trennwand). Im Gebiet G ohne Trennwand ist die ~ ~ 6= 0) ψ (A) Wellenfunktion (bestimmt in Gegenwart von A x) eindeutig, so dass E,ν (~ + − im Limes ~x0 → ~x0 ~ (A)
~ (A)
ψE,ν (~x+ x− 0 ) − ψE,ν (~ 0) = 0 ~ gilt. F¨ ur das A-Feld freie System mit Trennwand folgt dann nach den obigen Gleichungen die Randbedingung ) ( Z ~x−0 q 0 0 ~ y ) · d~y ψE,ν A(~ (~x− 0 = ψE,ν (~x+ 0) 0 ) − exp i ~c ~x+0 o n q 0 0 ~ φ( B) ψE,ν (~x− (10.4) = ψE,ν (~x+ ) − exp i 0) 0 ~c auf der Trennwand. Betrachten wir nun den Fall eines Elektrons mit q = −e. Dann gilt ~
0 −i2πφ(B)/φ0 0 ψE,ν (~x+ ψE,ν (~x− 0) = e 0) ,
mit dem magnetischen Flussquantum φ0 :=
hc ≈ 1.24 × 10−6 Tesla m2 e
~ modulo dem Flussquantum φ0 – Somit folgt, dass der magnetische Fluss φ(B) ~ – in die Randbedingung der Eigenfunktionen (in und damit das Magnetfeld B Ortsdarstellung) eingeht. ¨ Bevor wir die Konsequenzen unser obigen Uberlegungen diskutieren, wollen wir unser bisheriges Vorgehen f¨ ur nicht einfach zusammenh¨angende Gebiete ~ 6= 0 ohne Trennnocheinmal zusammenfassen: Wir haben das System mit A 0 ~ = 0 und der Randbedingung Gl. (10.4) wand auf ein System mit Trennwand, A abgebildet.
126
KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER
~ Es ergeben sich die folgenden Konsequenzen: Da in die Randbedingung B ~ und nicht A eingeht, sind die Eigenwerte eichinvariant. Weiterhin folgt das Theorem von Byers und Young, das besagt, dass die Eigenwerte in der betrachteten ~ Geometrie periodische Funktionen von φ(B)/φ 0 sind. Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass die Energieeigenwerte u ¨ber~ abh¨angen (da ja B ~ = 0 in G). Diese Tatsache wird haupt von φ und damit B jedoch plausibel, wenn man sich u ¨berlegt, was passiert, wenn man die Magnetfeldst¨arke ¨andert. In diesem Fall wird aufgrund des Faradayschen Gesetzes in G eine elektrische Ringspannung induziert, die die Energie der Elektronen ver¨andert. ¨ Eine beeindruckende Manifestation dieser Uberlegungen ist der AharonovBohm Effekt (1959) – der eigentlich Ehrenberg-Siday Effekt heißen m¨ ußte, da er erstmals von Ehrenberg und Siday 1949 vorhergesagt wurde. Eine Realisation dieses Effekts, die von Aharonov und Bohm diskutiert wurde, ergibt sich im uns bereits bekannten Doppelspaltexperiment mit Elektronen. Eine Skizze des Aufbaus ist in Abbildung 10.3 gezeigt. Im Unterschied zum bisher beschriebene Doppelspaltexperiment umschließt die Vereinigung der beiden “Elektonenpfade” eine Spule mit deren Hilfe ein (ver¨anderliches) Magnetfeld erzeugt wird. Die Spule ist durch eine “unendlich” hohe Potenzialwand abgeschirmt, so dass die Elektronen sich nur im magnetfeldfreien Raum aufhalten k¨onnen. Nach Aharonov und Bohm erwartet man nun, dass sich das Interferenzbild auf dem Schirm periodisch ~ mit φ(B)/φ andert. Diese Erwartung wurde, wie in Abbildung 10.4 gezeigt, 0 ver¨ experimentell best¨atigt.
Abbildung 10.3: Skizze zum Aharonov-Bohm Effekt im Doppelspalt Experiment Aufgrund der komplexen Geometrie ist eine genaue Beschreibung des Experimentes recht aufwendig. Wir wollen uns daher hier auf eine n¨aherunsweise Beschreibung beschr¨anken, die die Beobachtung plausibel macht. Sei zun¨achst der zweite Spalt geschlossen, so ist das feldfreie Gebiet einfach zusammenh¨angend. Dann gilt Z ~ e (A) ~ ψ1 (~x) = exp −i A(~y ) · d~y ψ10 (~x) , ~c Pfad1
10.2. DER AHARONOV-BOHM-EFFEKT
127
Abbildung 10.4: Interferenzmuster im Dopplespalt mit eingeschlossenem magnetischem Fluss.
~ 0 = 0 bestimmt ist. Analog folgt im Fall eines geschlossenen ersten wobei ψ10 f¨ ur A Spalts Z ~ e (A) ~ A(~y ) · d~y ψ20 (~x) . ψ2 (~x) = exp −i ~c Pfad2 Sind beide Spalte ge¨offnet so setzten wie n¨aherungsweise f¨ ur die Gesamtwellenfunktion ~ (A)
~ (A)
~ (A)
ψtot (~x) ≈ ψ1 (~x) + ψ2 (~x) Z 0 e −i2πφ/φ0 0 ~ = ψ1 (~x) + e ψ2 (~x) exp −i A(~y ) · d~y . ~c Pfad1 F¨ ur die Wahrscheinlichkeitsdichte gilt dann ~ 2 (A) 2 0 ψtot (~x) ≈ ψ1 (~x) + e−i2πφ/φ0 ψ20 (~x) . ~ 0 = 0 bestimmten Wellenfunktionen ψ 0 Die Phasenrelation zwischen den f¨ ur A 1/2 wird somit periodisch mit φ/φ0 ge¨andert, was zu einer periodischen Verschiebung des Interferenzmusters f¨ uhrt. Heutzutage ist der Aharonov-Bohm Effekt von großem Interesse in der mesoskopischen Physik. Mesoskopische Systeme sind dadurch charakterisiert, dass ihre r¨aumliche Ausdehnung kleiner ist als die typische L¨angenskala, auf der durch die Wechselwirkung mit der “Umgebung”, die Phase einer Wellenfunktion zerst¨ort
128
KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER
wird. Das verdeutlicht, dass den Phasen im Elektronentransport durch mesoskopische Systeme eine wichtige Rolle zukommt. Ein typischer Aufbau zur Untersuchung des Aharonov-Bohm Effekts in mesoskopischen Systemen ist in Abbildung 10.5 gezeigt. Zu sehen ist ein kontaktierter Goldring mit einem Durchmesser von ca. 800 nm.
Abbildung 10.5: Goldring zur Realisierung des Aharonov-Bohm Effekts in einem mesoskopischen System.
10.3
Weiteres Postulat: Komposition von Quantensystemen
Wir wollen nun untersuchen, wie sich die Spin- und Bahnfreiheitsgrade eines quantenmechanischen Teilchens gleichzeitig beschreiben lassen. Dabei beschr¨anken wir uns auf den Fall des Elektrons, dessen Spinfreiheitsgrad wir in Kapitel 3 untersucht haben.5 Von einer allgemeineren Warte aus betrachtet sind wir daran interessiert zwei kinematisch getrennte Quantensysteme mit Hilbertr¨aumen H1 und H2 zu einem zusammenzufassen. Eine Vorschrift daf¨ ur legen wir in einem weiteren Postulat fest: Postulat 7: Der Hilbertraum des Gesamtsystems ist durch das Tensorprodukt6 der Hilbertr¨aume Hi gegeben H = H1 ⊗ H2 . 5
Zur Erinnerung: Unser Startpunkt in Kapitel 3 waren experimentelle Untersuchungen an Silberatomen. Wie am Ende des Kapitels erw¨ahnt, stammt der Spinfreiheitsgrad des Silberatoms jedoch von dem Spinfreiheitsgrad eines der 47 Elektronen des Silberatoms. 6 Wenn Sie das Tensorprodukt nicht kennen, so sollten Sie etwas weiter unten in der Lage sein, zu verstehen, wie der Tensorproduktraum durch die Basen von H1 und H2 aufgespannt wird.
10.4. DIE PAULIGLEICHUNG: SPIN- UND BAHNFREIHEITSGRADE 129 Die Konsequenzen dieses Postulats und die Wirkung von Operatoren auf dem Tensorproduktraum, wollen wir uns gleich f¨ ur das uns aktuell interessierende Problem der Komposition der Spin- und Bahnfreiheitsgrade u ¨berlegen.
10.4
Die Pauligleichung: Spin- und Bahnfreiheitsgrade
Im konkreten Beispiel gilt f¨ ur den Hilbertraum des Gesamtsystems H = HBahn ⊗ HSpin , also f¨ ur die Bewegung eines Elektrons im dreidimensionalen Raum H = L2 (R3 ) ⊗ C2 . Bezeichnen wir die Eigenzust¨ande zu einem Hamiltonoperator, der nur die Bahnfreiheitsgrade ber¨ ucksichtigt, wie gehabt mit |E, νi, so bilden die Zust¨ande {|E, νi} eine Basis in HBahn .7 Als eine der m¨oglichen Basen in HSpin = C2 w¨ahlen wir die Zust¨ande {|~e3 , ±i}.8 Die Tensorproduktzust¨ande |E, ν; ±i := |E, νi ⊗ |~e3 , ±i bilden eine Basis in H = HBahn ⊗ HSpin . Ein beliebiger Zustand |ψi ∈ H kann damit immer als Z X Z X Z X Z X X X cE,ν,µ |E, νi ⊗ |~e3 , µi , cE,ν,µ |E, ν; µi = |ψi = E
ν
E
µ=±
ν
µ=±
¨ mit cE,ν,µ ∈ C, geschrieben werden. Uber die Skalarprodukte in HBahn und HSpin ist eindeutig ein Skalarprodukt auf H = HBahn ⊗ HSpin festgelegt. Betrachten wir neben |ψi den Zustand |ϕi mit (aE,ν,µ ∈ C) Z X Z X Z X Z X X X aE,ν,µ |E, νi ⊗ |~e3 , µi , aE,ν,µ |E, ν; µi = |ϕi = E
ν
E
µ=±
ν
µ=±
so gilt hϕ |ψi =
Z X
Z X ν,ν 0
E,E 0
=
Z X
Z X
E,E 0
=
ν,ν 0
Z X Z X X E
ν
X
a∗E,ν,µ cE 0 ,ν 0 ,µ0 (hE, ν| ⊗ h~e3 , µ|) (|E 0 , ν 0 i ⊗ |~e3 , µ0 i)
µ,µ0 =±
X
a∗E,ν,µ cE 0 ,ν 0 ,µ0 hE, ν |E 0 , ν 0 i h~e3 , µ |~e3 , µ0 i
µ,µ0 =±
a∗E,ν,µ cE,ν,µ ,
µ=±
wobei wir ausgenutzt haben, dass f¨ ur Tensorproduktvektoren E E (i) (i) |χi i = χBahn ⊗ χSpin , 7 8
F¨ ur das Folgende k¨ onnten wir auch jede beliebige andere Basis in HBahn w¨ahlen. F¨ ur das Folgende k¨ onnten wir auch jede beliebige andere Basis {|~n, ±i} in HSpin w¨ahlen.
130
KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER
mit E E (i) (i) χBahn ∈ HBahn , χSpin ∈ HSpin , D E E (2) (2) (1) (1) χBahn ⊗ χSpin χBahn ⊗ χSpin D ED E (2) (1) (1) (2) = χBahn χBahn χSpin χSpin
hχ1 | χ2 i =
D
gilt. Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jedes Element aus H als solch ein Tensorproduktvektor schreibbar ist. Wir betrachten nun lineare Operatoren A auf HBahn und B auf HSpin . Wir wollen beide Operatoren auf H = HBahn ⊗ HSpin erweitern. Dazu definieren wir ˜ := A ⊗ 1Spin und B ˜ := 1Bahn ⊗ B. Um die Wirkung von A ˜ und B ˜ festzulegen, A reicht es anzugeben, wie die beiden Operatoren auf einen beliebigen Tensorproduktzustand |χi = |χBahn i ⊗ |χSpin i ∈ H wirken ˜ |χi = A |χBahn i ⊗ |χSpin i A ˜ |χi = |χBahn i ⊗ B |χSpin i . B Die Wirkung auf einen beliebigen Zustand aus H ergibt sich durch Anwenden dieser Regel auf die Zerlegung des Zustandes in der obigen Basis die aus Tensorproduktzust¨anden besteht. Oft schreibt man f¨ ur die Operatoren A ⊗ 1Spin bzw. 1Bahn ⊗B auf H kurz A bzw. B. Man unterdr¨ uckt also den jeweiligen 1 Operator. Neben den Operatoren auf H die durch die Erweiterung von Operatoren auf HBahn bzw. HSpin entstehen, kann es solche geben, die eine Wechselwirkung zwischen den Bahn- und Spinfreiheitsgraden beschreiben und die Form A = ABahn ⊗ ASpin haben. Ihre Wirkung auf einen Tensorproduktzustand ist durch A |χi = ABahn |χBahn i ⊗ ASpin |χSpin i gegeben. Eine v¨ollig analoge Tensorproduktkonstruktion ben¨otigt man, wenn man mehrere quantenmechanische Teilchen gleichzeitig betrachtet. F¨ ur zwei Teilchen k¨onnten dies z.B. das Elektron und das Proton eines Wasserstoffatoms sein. In diesem ¨ Fall ersetzen wir in unseren obigen Uberlegungen die Indizes “Bahn” und “Spin” durch “Elektron” und “Proton”. Eine Basis in H = HElektron ⊗ HProton ergibt sich wie oben durch das Bilden aller Tensorproduktvektoren aus Basisvektoren aus HElektron und HProton . Wir werden weiter unten auf das Wasserstoffatom zur¨ uckkommen. ~ verschwindet. Betrachten wir zun¨achst den Fall, dass das ¨außere Magnetfeld B 9 Damit ist die Energie unabh¨angig von der Richtung des Spins. Der Hamiltonoperator f¨ ur ein Elektron mit Ladung q = −e, wobei e die Elementarladung 9
Wir vernachl¨ assigen hier die Spin-Bahn-Kopplung zwischen dem Spinoperator und dem Operator des Bahndrehimpulses (siehe unten).
10.4. DIE PAULIGLEICHUNG: SPIN- UND BAHNFREIHEITSGRADE 131 bezeichnet, ergibt sich zu 1 ˆ2 p~ ⊗ 1Spin − eφ(~xˆ, t) ⊗ 1Spin . 2m Die zeitabh¨angige Schr¨odingergleichung lautet 1 ˆ2 d ˆ p~ ⊗ 1Spin − eφ(~x, t) ⊗ 1Spin |ψ(t)i . i~ |ψ(t)i = dt 2m Ht =
In der Orts-Spin-Darstellung mit Basisvektoren |~x, ±i := |~xi ⊗ |~e3 , ±i l¨asst sich die Schr¨odingergleichung in die Matrixform ~2 ∂ ψ+ (~x, t) − 2m ∆ − eφ(~x, t) ψ+ (~x, t) 0 = , i~ ~2 ψ− (~x, t) ∂t ψ− (~x, t) ∆ − eφ(~x, t) 0 − 2m mit ψ± (~x, t) := h~x, ± |ψ(t)i , ~ = 0 erhalten wir zwei unabh¨angige, identische Schr¨odingergleibringen. F¨ ur B chungen, jeweils eine f¨ ur die beiden m¨oglichen Spinstellungen des Elektrons. In diesem Fall k¨onnen wir somit bei der Diskussion des Bahnfreiheitsgrads zun¨achst den Spinfreiheitsgrad vernachl¨assigen und ihn am Ende leicht hinzuf¨ ugen. Das bisher zur quantenmechanischen Beschreibung von Bahnfreiheitsgraden gelernte l¨asst sich somit leicht auf den Fall des Elektrons mit Spinfreiheitsgrad verallge~ = 0 zu einer zus¨atzlichen zweifachen meinern.10 Der Spinfreiheitsgrad f¨ uhrt bei B Entartung der Eigenwerte E (diskret oder kontinuierlich) des Hamiltonoperators mit den Eigenvektoren |E, ν, +i und |E, ν, −i.11 Zur Beschreibung eines Elektrons in einem externen Magnetfeld muss man neben der Kopplung des Bahnfreiheitsgrades an das Magnetfeld auch die bereits ~ x, t) · ~σ zwischen dem Spin und dem in Kapitel 3 untersuchte Kopplung −µ0 B(~ Magnetfeld ber¨ ucksichtigen. Der Hamiltonoperator auf H = HBahn ⊗ HSpin lautet daher 2 e~ ˆ 1 ˆ p~ ⊗ 1Spin + A( ~x, t) ⊗ 1Spin − eφ(~xˆ, t) ⊗ 1Spin Ht = 2m c 3 X −µ0 Bj (~xˆ, t) ⊗ σj . j=1 10
F¨ ur andere Teilchen mit einem Spinfreiheitsgrad kann man analog verfahren. Das Elektron ist ein so genanntes Spin-1/2 Teilchen. Sein Spinfreiheitsgrad l¨asst sich durch Vektoren aus C2 beschreiben. Auch andere quantenmechanische Teilchen haben Spinfreiheitsgrade von diesem Typ. Es gibt jedoch auch Teilchen mit Spinfreiheitsgraden, die eine Beschreibung in einem h¨ oherdimensionalen Raum erfordert. Sie werden in der Vorlesung Quantenmechanik II auf dieses Thema zur¨ uckkommen. 11
132
KAPITEL 10. ELEKTROMAGNETISCHE FELDER
In der Vorlesung Quantenmechanik II werden Sie lernen, wie man µ0 durch die Ladung −e, die Masse m, die Lichtgeschwindigkeit c und den so genannten gFaktor ausdr¨ uckt. In dieser Vorlesung werden Sie auch die Spin-Bahn-Kopplung zwischen dem Spin und dem Bahndrehimpuls diskutieren, die einen Zusatzterm zu diesem Hamiltonoperator darstellt. Die zeitabh¨angige Schr¨odingergleichung in der Orts-Spin-Darstellung ergibt sich zu ! 2 1 ~ ∂ e~ ∂ ψ+ (~x, t) 1 0 ψ+ (~x, t) = + A(~x, t) − eφ(~x, t) i~ 0 1 ψ− (~x, t) ∂t ψ− (~x, t) 2m i ∂~x c B3 (~x, t) B1 (~x, t) − iB2 (~x, t) ψ+ (~x, t) −µ0 . B1 (~x, t) + iB2 (~x, t) −B3 (~x, t) ψ− (~x, t) Man nennt sie die Pauligleichung. Dabei haben wir die Darstellung der σj , j = 1, 2, 3, in der |~e3 , ±i Basis, d.h. die Pauli-Spinmatrizen, Gl. (3.7) verwendet. Die ~ Gleichungen f¨ ur ψ± (~x, t) sind durch das B-Feld gekoppelt.
Kapitel 11 Der Drehimpuls in der Quantenmechanik 11.1
Drehimpulsoperatoren
Der Bahndrehimpuls eines Punktteilchens ist in der klassischen Mechanik durch ~l = ~x × p~ gegeben. Dem Korrespondenzprinzip folgend definieren wir den quantenmechanischen Bahndrehimpulsoperator ~ˆl = ~xˆ × p~ˆ . F¨ ur die z-Komponente ergibt sich beispielsweise ˆl3 = xˆ1 pˆ2 − xˆ2 pˆ1 . Da die verschiedenen in ˆlj auftretenden Komponenten von ~xˆ und p~ˆ vertauschen, sieht man ˆ sofort, dass ~l selbstadjungiert ist. Wir wollen das Eigenwertspektrum der ˆlj bestimmen. Da der Raum isotrop ist, reicht es das Spektrum von ˆl3 zu berechnen. Der Drehimpuls hat die Dimension einer Wirkung und wir geben die Eigenwerte als Vielfache von ~ an ˆl3 |m, νi = ~m |m, νi , mit m ∈ R und den zus¨atzlichen “Quantenzahlen” ν, die die Entartung der Eigenzust¨ande charakterisieren.1 Das Entartung vorliegt, sieht man explizit in der Ortsdarstellung2 ∂ ∂ ~ ˆ h~x| l3 |ψi = x1 − x2 h~x |ψi . i ∂x2 ∂x1 Die Zahl m bezeichnet hier nicht die Masse des Teilchens. Da die Eigenwerte zu ˆl3 aber meist mit m~ bezeichnet werden, wollen wir dieser Konvention hier folgen. Aus dem Kontext sollte stets klar werden, ob mit m die Masse oder der (durch ~ dividierte) Eigenwert zu ˆl3 gemeint ist. 2 Wir vernachl¨ assigen jetzt wieder den m¨oglichen Spinfreiheitsgrad. 1
133
134
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
Die Funktion h~x |ψG i := c exp (−α [x21 + x22 + x23 ]), mit α > 0, liefert ~ ∂ ∂ 2 2 2 h~x| ˆl3 |ψG i = x1 − x2 ce−α[x1 +x2 +x3 ] i ∂x2 ∂x1 ~ (−2α) (x1 x2 − x2 x1 ) h~x |ψi = i = 0. Damit gilt ˆl3 |ψG i = 0 und |ψG i ist Eigenvektor zum Eigenwert m = 0.3 Der Eigenwert m = 0 ist unendlichfach entartet, da jede Funktion vom Typ h~x |ψi = f (x21 + x22 , x3 ) einen Eigenvektor |ψi zu ˆl3 mit Eigenwert 0 liefert. ¨ Ahnlich wie beim Hamiltonoperator des harmonischen Oszillator gibt es ein rein algebraisches Verfahren die Eigenwerte zu bestimmen auf das wir sp¨ater zur¨ uckkommen werden. Zun¨achsteinmal werden wir expliziten gebrauch von der Differentialgleichung in der Ortsdarstellung machen. Dazu gehen wir auf Kugelkoordinaten x1 = r sin θ cos ϕ x2 = r sin θ sin ϕ x3 = r cos θ bzw. Zylinderkoordinaten x1 = ρ cos ϕ x2 = ρ sin ϕ x3 = z u ¨ber. Es gilt ˜ θ, ϕ) = ψ(ρ, ¯ ϕ, z) . h~x |ψi = ψ(x1 , x2 , x3 ) = ψ(r, Differentiation nach ϕ liefert ∂ ∂ h~x |ψi ∂x1 ∂ h~x |ψi ∂x2 h~x |ψi = + ∂ϕ ∂x1 ∂ϕ ∂x ∂ϕ 2 ∂ ∂ = x1 − x2 h~x |ψi ∂x2 ∂x1 und damit h~x| ˆl3 |ψi =
~ ∂ h~x |ψi . i ∂ϕ
(11.1)
Wir werden auch m als den Eigenwert von ˆl3 bezeichnen, obwohl es nat¨ urlich korrekt ~m heißen m¨ usste. 3
11.1. DREHIMPULSOPERATOREN
135
In Kugelkoordinaten lautet das Eigenwertproblem dann ∂ ˜ ˜ θ, ϕ) . ψ(r, θ, ϕ) = im ψ(r, ∂ϕ Die Eigenfunktionen h~x |m, νi = ψ˜m,ν (r, θ, ϕ) haben damit die Form ψ˜m,ν (r, θ, ϕ) = eimϕ fm,ν (r, θ) . Da die Eigenfunktion wohldefiniert und stetig sein muss folgt ˜ θ, ϕ + 2π) = ψ(r, ˜ θ, ϕ) ψ(r,
(11.2)
und damit m ∈ Z. Das Spektrum ist weder nach oben noch nach unten beschr¨ankt. Um die Eigenvektoren |m, νi weiter zu charakterisieren, wollen wir selbstadjungierte Operatoren finden, die mit ˆl3 vertauschen und damit einen gemeinsamen Satz von Eigenvektoren mit ˆl3 haben (siehe das Ende von Kapitel 2). Wie man unter der Verwendung von [A, BC] = [A, B] C + B [A, C] leicht nachrechnet, gilt (Einsteinsche Summationskonvention) i h ˆli , ˆlj = i~ εi,j,k ˆlk . V¨ollig analoge Vertauschungsregeln haben wir f¨ ur die Komponenten des Spinoperators in Gl. (3.15) hergeleitet. Bereits in diesem Zusammenhang hatten wir ¨ auf die strukturelle Ahnlichkeit zu den Poissonklammern von Drehimpulskomponenten in der klassischen Mechanik hingewiesen. Allgemein nennt man einen ˆ Vektoroperator ~j mit Vertauschungsrelationen h i ˆji , ˆjj = i~ εi,j,k ˆjk (11.3) einen Drehimpulsoperator. Wir werden die Diskussion mit solch einem allgemeinen Drehimpulsoperator, der nur u ¨ber die Vertauschungsrelationen seiner Komponenten festgelegt ist, fortsetzen. Dabei gilt es zu beachten, dass wir f¨ ur ein ˆ allgemeines ~j noch keine Information u ur ¨ber die Eigenwerte zu ˆj3 haben, was ja f¨ ˆl3 bereits der Fall ist. Da die verschiedenen Komponenten von ~ˆj nicht miteinander vertauschen, k¨onnen ˆj1 und ˆj2 nicht zur eindeutigen Charakterisierung der Eigenvektoren von ˆj3 verwendet werden (man kann die ˆji nicht simultan “diagoˆ nalisieren”). F¨ ur den Operator ~j 2 = ˆj12 + ˆj22 + ˆj32 erhalten wir h i h i h i ˆj3 , ~ˆj 2 = ˆj3 , ˆj12 + ˆj3 , ˆj22 h i h i h i h i = ˆj1 ˆj3 , ˆj1 + ˆj3 , ˆj1 ˆj1 + ˆj2 ˆj3 , ˆj2 + ˆj3 , ˆj2 ˆj2 = i~ ˆj1ˆj2 + ˆj2ˆj1 − ˆj2ˆj1 − ˆj1ˆj2 = 0
136
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
und analog f¨ ur i = 1, 2, h i ˆji , ~ˆj 2 = 0 . Man kann somit gemeinsame Eigenzust¨ande zu einer Komponente ˆji (also z.B. ˆj3 ) und ~ˆj 2 finden. ~ˆj 2 ist ein (so genannter) positiver Operator, d.h. es gilt ˆ ˆ hψ| ~j 2 |ψi ≥ 0 f¨ ur alle |ψi ∈ H. Damit sind die Eigenwerte von ~j 2 gr¨oßer oder gleich Null. Sie haben die Dimension Wirkung2 . Aufgrund dieser beiden Beobˆ achtungen k¨onnen wir f¨ ur die Eigenwerte von ~j 2 , ~2 j(j + 1), mit j ∈ R und ˆ j ≥ 0, schreiben. Die gemeinsamen Eigenvektoren zu ~j 2 und ˆj3 bezeichnen wir mit |j, m, νi. Es gilt (m ∈ R) ~ˆj 2 |j, m, νi = ~2 j(j + 1) |j, m, νi ˆj3 |j, m, νi = ~m |j, m, νi . ˆ ur die zugeh¨origen Da auch ~j 2 − ˆj32 = ˆj12 + ˆj22 ein positiver Operator ist, gilt f¨ 2 2 Eigenwerte ~ [j(j + 1) − m ] ≥ 0 und damit m2 ≤ j(j + 1) . Wir definieren Auf- und Absteigeoperatoren4 ˆj+ := ˆj1 + iˆj2 ˆj− := ˆj1 − iˆj2 , mit j+† = ˆj− . Sie erf¨ ullen die Vertauschungsrelationen i i h h ˆj3 , ˆj± = ˆj3 , ˆj1 ± iˆj2 = i~ˆj2 ± i(−i~)ˆj1 = ±~ˆj± und h i h i h i h i ~ˆj 2 , ˆj± = ˆj12 , ˆj1 ± iˆj2 + ˆj22 , ˆj1 ± iˆj2 + ˆj32 , ˆj1 ± iˆj2 h i h i h i h i = ±iˆj1 ˆj1 , ˆj2 ± i ˆj1 , ˆj2 ˆj1 + ˆj2 ˆj2 , ˆj1 + ˆj2 , ˆj1 ˆj2 h i h i h i h i ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ ˆ +j3 j3 , j1 ± ij3 j3 , j2 + j3 , j1 j3 ± i j3 , j2 ˆj3 = ∓~ˆj1ˆj3 ∓ ~ˆj3ˆj1 − i~ˆj2ˆj3 − i~ˆj3ˆj2 + i~ˆj3ˆj2 + i~ˆj2ˆj3 ± ~ˆj3ˆj1 ± ~ˆj1ˆj3 = 0, 4
Wir werden sehr bald sehen, dass diese Namensgebung gerechtfertigt ist.
11.1. DREHIMPULSOPERATOREN
137
sowie die Gleichung h i ˆj±ˆj∓ = ˆj12 + ˆj22 ∓ i ˆj1 , ˆj2 = ~ˆj 2 − ˆj32 ± ~ˆj3 . Falls es sich bei ˆj± |j, m, νi nicht um den Nullvektor handelt, dann sind diese ˆ Zust¨ande ebenfalls Eigenvektoren zu ~j 2 und ˆj3 ~ˆj 2ˆj± |j, m, νi = ˆj±~ˆj 2 |j, m, νi = ~2 j(j + 1)ˆj± |j, m, νi ˆj3ˆj± |j, m, νi = ˆj± ˆj3 ± ~1 |j, m, νi = ~(m ± 1)ˆj± |j, m, νi , ˆ wobei sich der Eigenwert von ~j 2 nicht ¨andert und der von ˆj3 um ~ erh¨oht bzw. erniedrigt wird. Da m2 ≤ j(j + 1) gilt, gibt es zu einem vorgegebenem j ein minimales mmin und ein maximales mmax . F¨ ur m = mmax muss ˆj+ |j, mmax , νi = 0 gelten. Aus dieser Forderung folgt ˆj−ˆj+ |j, mmax , νi = ~ˆj 2 − ˆj32 − ~ˆj3 |j, mmax , νi = ~2 [j(j + 1) − mmax (mmax + 1)] |j, mmax , νi = 0 und damit mmax = j. Analog gilt ˆj+ˆj− |j, mmin , νi = ~ˆj 2 − ˆj32 + ~ˆj3 |j, mmin , νi = ~2 [j(j + 1) − (−mmin )(−mmin + 1)] |j, mmin , νi = 0 also mmin = −j. F¨ ur ein fest vorgegebenes j ergibt sich damit die Folge m = −j, −j + 1, −j + 2, . . . , j − 1, j von m¨oglichen Eigenwerten von ˆj3 . In ganzzahligen Schritten gelangt man von −j nach j nur dann, wenn j ganz- oder halbzahlig ist, also j = 0, 1/2, 1, 3/2, 2, . . .. F¨ ur die m¨oglichen Werte von m und j ergibt sich das in Abbildung 11.1 dargestellte Diagramm. Um zu sehen, welche Werte von j f¨ ur einen Drehimpulsoperator angenommen werden, ben¨otigt man u ¨ber die allgemeinen Vertauschungsregeln Gl. (11.3) hinausgehende Informationen. Aus ˆ unserer Diskussion des Bahndrehimpulses ~l = ~xˆ × p~ˆ wissen wir, dass in diesem Fall die Werte von m ganzzahlig sind und j ∈ N0 gilt. Da wir weiterhin m ∈ Z gefunden haben, m jedoch nur in [−j, −j + 1, . . . , j − 1, j] liegen kann, muss j beliebig groß werden k¨onnen. F¨ ur den Spin des Elektrons gilt m = ±1/2 und damit j = s = 1/2. Letzteres kann man auch direkt folgern, da nach Gl. (3.5), 2 2 21 1 ~σ = 3 1, und damit nach der Definition von ~s Gl. (3.14) ~s = ~ 2 2 + 1 1 gilt.
138
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
j 3 2 1 −3
−2
−1
0
1
2
3
m
Abbildung 11.1: Die sich aus der Kommutatorrelation f¨ ur einen allgemeinen Drehimpulsoperator ergebenden m¨oglichen Werte von j und m.
In der Natur sind auch andere j Werte f¨ ur den Spin von “Elementarteilchen” verwirklicht. Aufgrund der Orthogonalit¨at der |j, m, νi gilt 1 ˆ ˆ ˆ hj, m, ν| j1 |j, m, νi = hj, m, ν| j+ + j− |j, m, νi = 0 2 i ˆ ˆ ˆ hj, m, ν| j2 |j, m, νi = − hj, m, ν| j+ − j− |j, m, νi = 0 . 2 ˆ Die Eigenzust¨ande |j, m, νi zu ˆj3 und ~j 2 sind keine Eigenzust¨ande zu ˆj12 und ˆj22 , d.h. die Quadrate der x- und y-Komponenten des Drehimpulses k¨onnen in diesen Zust¨anden nicht scharf gemessen werden. Im Gegensatz dazu sind die |j, m, νi Eiˆ genzust¨ande des Operators ˆj12 + ˆj22 = ~j 2 − ˆj32 mit Eigenwert ~2 [j(j + 1) − m2 ] und die Summe der Quadrate der x- und y-Komponenten des Drehimpulses nimmt in diesen Zust¨anden einen scharfen Wert an. Diese Beobachtungen f¨ uhren auf das anschauliche Bild Abbildung 11.2, welches in vielen B¨ uchern der Experimentalphysik zu finden ist, aber mit großer Vorsicht zu gebrauchen ist. Es suggeriert einerseits, dass die x- und y-Komponenten des Drehimpulses gleichzeitig scharfe Werte annehmen k¨onnen, was nicht der Fall ist, da ˆj1 und ˆj2 nicht vertauschen. Außerdem ignoriert diese Darstellung, dass auch die Eigenwerte von ˆj1 und ˆj2 quantisiert sind und eine Messung von ˆj1 bzw. ˆj2 in dem Zustand |j, m, νi einen Wert ~m mit m ∈ [−j, −j + 1, . . . , j − 1, j] ergibt. Eine detailliertere Diskussion dazu finden Sie in einem p¨adagogischen Artikel von Herrn Sch¨onhammer, den Sie unter der erg¨anzenden Literatur finden. Solange m < mmax (bzw. m > mmin ) liefert die Anwendung von ˆj+ (bzw. ˆj− ) auf |j, m, νi wieder einen Eigenzustand ˆj± |j, m, νi = c±j,m |j, m ± 1, νi .
11.1. DREHIMPULSOPERATOREN
139
1/2
h[j(j+1)−m2 ]
1/2
hm
h[j(j+1)]
j e3
Abbildung 11.2: Anschauliche Darstellung des Drehimpulses wie man sie in vielen B¨ uchern der Experimentalphysik findet. Sie ist jedoch in zweierlei Hinsicht irref¨ uhrend (siehe Text).
Es gilt j,m 2 c+ = hj, m, ν| ˆj+† ˆj+ |j, m, νi = hj, m, ν| ˆj−ˆj+ |j, m, νi ˆ = hj, m, ν| ~j 2 − ˆj32 − ~ˆj3 |j, m, νi = ~2 [j(j + 1) − m(m + 1)] und damit p c+j,m = ~ j(j + 1) − m(m + 1) . Analog folgt c−j,m = ~
p j(j + 1) − m(m − 1) .
Die Proportionalit¨atskonstanten c±j,m liefern dann (wie beim harmonischen Oszillator) ˆj+ |j, mmax , νi = 0 ˆj− |j, mmin , νi = 0 .
140
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
ˆ Wir kehren nun zum Bahndrehimpulsoperator ~l = ~xˆ × p~ˆ zur¨ uck. Die Eigenvektoren bezeichnen wir in diesem Fall mit |l, m, νi. Zur Bestimmung der Eigenfunkˆ tionen von ~l2 und ˆl3 verwendet man vorteilhafterweise Kugelkoordinaten. F¨ ur sie gilt 1 ∂ ∂ = ~x · ∂r r ∂~x ∂ ∂ ∂ ∂ = x3 cos ϕ + x3 sin ϕ − r sin θ ∂θ ∂x1 ∂x2 ∂x3 ∂ ∂ ∂ = x1 − x2 . ∂ϕ ∂x2 ∂x1 Die dritte dieser Relationen haben wir bereits verwendet um in Gl. (11.1) ˆl3 in der Ortsdarstellung durch die partielle Ableitung nach ϕ auszudr¨ ucken. Um auch ˆl1 und ˆl2 durch partielle Ableitungen nach r, θ und ϕ auszudr¨ ucken, m¨ ussen wir die obigen Relationen nach den ∂/∂xi aufl¨osen. Damit erhalten wir ∂ ~ ∂ ∂ ∂ ˆ x2 h~x |ψi − x3 ± i x3 − x1 h~x| l± |ψi = i ∂x3 ∂x2 ∂x1 ∂x3 ∂ ∂ ±iϕ = ~e ± + i cot θ h~x |ψi . ∂θ ∂ϕ ˆ Mit ~l 2 = ˆl32 + ˆl+ ˆl− + ˆl− ˆl+ /2 folgt daraus ˆ h~x| ~l 2 |ψi = −~2
1 ∂ ∂ 1 ∂2 sin θ + sin θ ∂θ ∂θ sin2 θ ∂ϕ2
h~x |ψi .
(11.4)
ˆ In h~x| ~l 2 |ψi treten nur Ableitungen nach den Winkeln θ und ϕ auf. Die Eigenwertgleichung ~ˆl 2 |l, m, νi = ~2 l(l + 1) |l, m, νi kann somit in der Ortsdarstellung mit Hilfe eines Separationsansatzes h~x |l, m, νi = Yl,m (θ, ϕ) Rl,m,ν (r)
(11.5)
gel¨ost werden. Die Yl,m (θ, ϕ) sind L¨osungen der Differentialgleichung ∂ 1 ∂2 1 ∂ Yl,m (θ, ϕ) = l(l + 1)Yl,m (θ, ϕ) . − sin θ + sin θ ∂θ ∂θ sin2 θ ∂ϕ2 Man nennt sie die Kugelfl¨achenfunktionen. Nach Konstruktion sind sie eben¨ falls Eigenfunktionen zu ˆl3 , so dass nach unseren obigen Uberlegungen ihre ϕAbh¨angigkeit durch exp (imϕ), mit m ∈ Z, gegeben ist. In Analogie zum Vorgehen beim harmonischen Oszillator bestimmt man die Yl,l (θ, ϕ) am einfachsten
11.1. DREHIMPULSOPERATOREN
141
aus den Abbruchbedingungen ˆl+ |l, l, νi = 0, d.h. aus ∂ ∂ ∂ ∂ + i cot θ Yl,l (θ, ϕ) = + i cot θ eilϕ Y˜l,l (θ) = 0 . ∂θ ∂ϕ ∂θ ∂ϕ Aus dieser Beziehung erh¨alt man die Differentialgleichung ∂ − l cot θ Y˜l,l (θ) = 0 . ∂θ f¨ ur Y˜l,l (θ) mit der L¨osung Y˜l,l (θ) = cl sinl θ . Damit gilt Yl,l (θ, ϕ) = cl eilϕ sinl θ . Die Normierungskonstante wir im Allgemeinen so gew¨ahlt, dass der hier betrachtete Winkelanteil f¨ ur sich normiert ist, also gem¨aß der Forderung Z 2π Z π Yl,l∗ (θ, ϕ)Yl,l (θ, ϕ) sin θ dθ dϕ 1 = 0 0 Z 2π Z π 2 sin2l θ sin θ dθ dϕ . = |cl | 0
0
Integration liefert cl bis auf einen Phasenfaktor, den wir hier so w¨ahlen, dass r (−1)l (2l + 1)! . cl = l 2 l! 4π Die weiteren Yl,m erh¨alt man durch sukzessives Anwenden des Absteigeoperators ˆl− , d.h. unter Verwendung von p ˆl− |l, m, νi = ~ l(l + 1) − m(m − 1) |l, m − 1, νi . Diese Relation liefert die Rekursionsgleichung Yl,m−1 (θ, ϕ) = p = p
1 (l − m + 1)(l + m) 1
e
−iϕ
∂ − − m cot θ Yl,m (θ, ϕ) ∂θ
e−iϕ ∂ [sinm θ Yl,m (θ, ϕ)] . m−1 ∂ (cos θ) θ (l − m + 1)(l + m) sin
¨ Aus diesen Uberlegungen ergibt sich s r l−m (−1)l 2l + 1 (l + m)! eimϕ d Yl,m (θ, ϕ) = l sin2l θ . 2 l! 4π (l − m)! sinm θ d cos θ
142
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
Man bezeichnet die Kugelfl¨achenfunktionen mit l = 0, 1, 2, 3, 4, . . . der Reihe nach als s-, p-, d-, f -, g-,. . . Funktionen. Bei festem l kann m jeweils 2l + 1 Werte annehmen, so dass es eine s-Funktion, drei p-Funktionen, f¨ unf d-Funktionen, sieben f -Funktionen,. . . gibt. F¨ ur bis zu l = 2 lauten sie explizit r 1 , Y0,0 (θ, ϕ) = 4π r
3 cos θ 4π r 3 ±iϕ Y1,±1 (θ, ϕ) = ∓ e sin θ , 8π Y1,0 (θ, ϕ) =
r
5 3 cos2 θ − 1 16π r 15 ±iϕ e sin θ cos θ Y2,±1 (θ, ϕ) = ∓ 8π r 15 ±2iϕ 2 Y2,±2 (θ, ϕ) = e sin θ . 32π Y2,0 (θ, ϕ) =
Da die ϕ-Abh¨angigkeit nur durch die exp (imϕ) gegeben ist h¨angt |Yl,m (θ, ϕ)|2 nicht von ϕ ab. Weiterhin gilt |Yl,m (θ, ϕ)|2 = |Yl,−m (θ, ϕ)|2 . Das Betragsquadrat von Kugelfl¨achenfunktionen niedriger Ordnung ist in Abbildung 11.3 dargestellt. Ohne Beweise5 wollen wir zwei wichtige Eigenschaften der Kugelfl¨achenfunktionen angeben. Sie erf¨ ullen die Orthogonalit¨atsrelation Z 2π Z π ∗ Yl,m (θ, ϕ)Yl0 ,m0 (θ, ϕ) sin θ dθ dϕ = δl,l0 δm,m0 . (11.6) 0
0
Diese ist Ausdruck von hl, m, ν |l0 , m0 , ν 0 i = δl,l0 δm,m0 δ(ν, ν 0 ), wobei δ(ν, ν 0 ) die δ-Funktion δ(ν − ν 0 ) bezeichnet, wenn ν kontinuierlich ist und das Kronecker-δ δν,ν 0 , falls ν diskret ist.6
5
Sie finden diese in vielen B¨ uchern zur Quantenmechanik. Wir werden sehen, dass in den hier untersuchten Problemen ν immer nur f¨ ur eine weitere Quantenzahl steht. 6
11.1. DREHIMPULSOPERATOREN
Abbildung 11.3: Darstellung von |Yl,m (θ, ϕ)|2 .
143
144
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
Zus¨atzlich gilt die Vollst¨andigkeitsrelation ∞ X l X
∗ Yl,m (θ, ϕ)Yl,m (θ0 , ϕ0 ) = δ(ϕ − ϕ0 )δ(θ − θ0 )
l=0 m=−l
1 . sin θ
Sie ergibt sich aus Z X ∞ X l X ν
|l, m, νi hl, m, ν| = 1 ,
l=0 m=−l
dem Separationsansatz f¨ ur h~x |l, m, νi und δ(~x − ~x 0 ) =
r2
1 δ(r − r0 ) δ(ϕ − ϕ0 ) δ(θ − θ0 ) . sin θ
Gem¨aß der Vollst¨andigkeitsrelation l¨asst sich jede hinreichend vern¨ unftige Funktion f (θ, ϕ) nach den Kugelfl¨achenfunktionen entwickeln
f (θ, ϕ) =
l ∞ X X
fl,m Y (θ, ϕ) ,
l=0 m=−l
mit Koeffizienten Z
2π
π
Z
∗ Yl,m (θ, ϕ)f (θ, ϕ) sin θ dθ dϕ .
fl,m = 0
11.2
0
Rotationen und Translationen
Bevor wir im u ¨bern¨achsten Kapitel das u ¨ber den Bahndrehimpuls gelernte dazu einsetzen werden das Problem eines quantenmechanischen Teilchens in einem Zentralpotenzial zu behandeln (und darauf aufbauend das Spektrum des Wasserstoffatoms bestimmen werden), wollen wir, wie angek¨ undigt, nocheinmal auf den Zusammenhang zwischen Rotationen und dem Drehimpulsoperator, bzw. Translationen und dem Impulsoperator eingehen. Beginnen wir mit dem Letzteren. Wir definieren einen Operator T~a u ¨ber seine Wirkung auf den uneigentlichen Ortzustand T~a |~xi := |~x + ~ai .
11.2. ROTATIONEN UND TRANSLATIONEN
145
Aus dieser Definitionsgleichung erhalten wir durch Multiplikation mit 1 von links T~a |~xi = 1 |~x + ~ai Z = |~p i h~p |~x + ~ai dd p d R d Z 1 √ = |~p i e−i~p·(~x+~a)/~ dd p 2π~ Rd Z = |~p i e−i~p·~a/~ h~p |~xi dd p Rd Z −ip ~ˆ·~a/~ |~p i h~p |~xi dd p = e Rd
= e
−ip ~ˆ·~a/~
|~xi .
Da die |~xi (¨ uber-)vollst¨andig sind und eine Basis bilden, k¨onnen wir allgemein folgern, dass ˆ
T~a = e−ip~·~a/~ gilt. Um zu bestimmen, wie T~a auf einen allgemeinen Zustand |ψi ∈ H, mit Ortsdarstellung h~x |ψi = ψ(~x), wirkt, betrachten wir |ψ~a i := T~a |ψi und erhalten in der Ortsdarstellung h~x |ψ~a i = h~x| T~a |ψi ˆ = h~x| exp −ip~ · ~a/~ |ψi = h~x − ~a |ψi = ψ(~x − ~a) . T~a |ψi ist der um ~a verschobene Zustand. Wir haben damit gefunden, dass der Operator exp −ip~ˆ · Translationsvektor/~ . ¨ eine allgemeine Translation generiert. Es besteht eine strukturelle Ahnlichkeit zur Rotation im Spinraum Gl. (9.4). V¨ollig analog k¨onnen wir nun einen Operator T~e3 ,α definieren, der eine Rotation (mathematisch positiv) um die ~e3 -Achse mit Winkel α vermittelt |ψ~e3 ,α i := T~e3 ,α |ψi ,
146
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
mit ˜ θ, ϕ − α) . ψ˜~e3 ,α (r, θ, ϕ) = h~x| T~e3 ,α |ψi := ψ(r, Um T~e3 ,α explizit zu bestimmen, k¨onnte man, wie im Fall der Translation, eine 1 einschieben, die hier aus den Zust¨anden |l, m, νi besteht. Wir werden aber anders verfahren. Differentiation der obigen Gleichung nach α liefert h~x|
d ∂ ˜ T~e3 ,α |ψi = − ψ(r, θ, ϕ − α) dα ∂ϕ ∂ = − h~x| T~e3 ,α |ψi ∂ϕ i = − h~x| ˆl3 T~e3 ,α |ψi . ~
Da die Zust¨ande |ψi und |~xi beliebig sind, folgt die Operatorgleichung d i T~e3 ,α = − ˆl3 T~e3 ,α . dα ~ Die Anfangsbedingung lautet T~e3 ,α=0 = 1. Die L¨osung der Differentialgleichung ist T~e3 ,α = exp −i α ˆl3 /~ . Aufgrund der Isotropie des Raumes erhalten wir f¨ ur eine allgemeine Rotation um die Achse ~n mit Winkel α ˆ ~ T~n,α = exp −i α l · ~n/~ , bzw. erneut die Struktur (siehe Gl. (9.4)) ˆ exp −i Drehwinkel ~l · ~eDrehachse /~ . Wir wollen nun kurz den Zusammenhang zwischen Operatoren dieser Art (Rotationen sowohl des Bahnfreiheitsgrads als auch des Spins und Translationen), also Symmetrietransformationen und Erhaltungsgr¨oßen beleuchten. Mehr dazu lernt man in der Quantenmechanik II Vorlesung. Wie man leicht zeigt, sind die obigen Operatoren unit¨ar und haben die Form ˆ
T (ν) = e−iGν/~ ˆ (hier Impuls- bzw. Drehimpulsoperator) mit einem selbstadjungierten Operator G den man in diesem Kontext auch als den Generator bezeichnet. Es ist physikalisch plausibel die Invarianz eines durch den Hamiltonoperator H beschriebenen Systems unter einer Translation oder Rotation u ¨ber die Gleichung hψ| H |ψi = hψν | H |ψν i
(11.7)
11.3. DIE ADDITION VON DREHIMPULSEN
147
mit |ψν i = T (ν) |ψi ¨ f¨ ur alle |ψi aus dem zugrundeliegenden Hilbertraum zu definieren. Aquivalent gilt H = T † (ν)HT (ν) . Betrachten wir nun infinitesimale Translationen oder Rotationen so k¨onnen wir den Operator T (ν) in f¨ uhrender Ordnung in ν entwickeln i ˆ + O(ν 2 ) . T (ν) = 1 − ν G ~ Eingesetzt in Gl. (11.7) liefert das hψ| H |ψi = hψν | H |ψν i = hψ| T † (ν)HT (ν) |ψi ˆ ˆ = hψ| (1 + iν G/~)H(1 − iν G/~) |ψi + O(ν 2 ) iν ˆ H] |ψi + O(ν 2 ) . = hψ| H |ψi + hψ| [G, ~ Da der Zustand |ψi beliebig ist, bedeutet das ˆ H] = 0 . [G, Wir k¨onnen somit schließen, dass ein System invariant unter einer Symmetrietransformation (hier Translation und Rotation) ist, wenn der zugeh¨orige Generator (hier Impuls- und Drehimpulsoperator) eine Erhaltungsgr¨oße ist. Ein analoger Zusammenhang zwischen Erhaltungsgr¨oßen und Symmetrietransformationen sollte ihnen aus der klassischen Mechanik bekannt sein. Genauer bedeutet das, dass ein System translationsinvariant in eine spezifische (alle) Richtung(en) des euklidischen Raums ist, wenn der Impulsoperator in diese (alle) Richtung(en) eine Erhaltungsgr¨oße ist (Beispiel: freies Teilchen). Rotationsinvarianz bez¨ uglich einer gew¨ahlten Achse (z.B. der z-Richtung) ergibt sich, wenn die Komponente des Drehimpulsoperators in diese Richtung (z.B. ˆl3 ) mit dem Hamiltonoperator vertauscht.
11.3
Die Addition von Drehimpulsen
Zum Einstieg in dieses Kapitel betrachten wir das einfache Beispiel zweier Spin1/2 Teilchen, deren orbitale Freiheitsgrade wir vernachl¨assigen. Dem Postulat 7
148
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
folgend ist der Hilbertraum des zusammengesetzten Systems durch das Tensorprodukt der Einteilchen-Hilbertr¨aume gegeben, also H = H1 ⊗ H2 . Er wird durch die Zust¨ande |s1 , m1 ; s2 , m2 i := |s1 , m1 i ⊗ |s1 , m2 i aufgespannt, wobei die |si , mi i, mit i = 1, 2, die Drehimpulseigenzust¨ande f¨ ur jeweils einen der Spins sind und si = 1/2, mi = ±1/2 gilt. F¨ ur die Tensorproduktzust¨ande folgt somit ~sˆi 2 |s1 , m1 ; s2 , m2 i = ~2 si (si + 1) |s1 , m1 ; s2 , m2 i , sˆi,3 |s1 , m1 ; s2 , m2 i = ~mi |s1 , m1 ; s2 , m2 i , (1)
(1)
wobei wir sˆ1,k = sˆ1,k ⊗ 1(2) , mit k = 1, 2, 3 und dem Operator sˆ1,k der auf den Einteilchen-Raum des ersten Teilchens wirkt, definiert haben (und analog f¨ ur i = 2; siehe Kapitel 10.4). Da si = 1/2 gilt, k¨onnen wir die Tensorproduktzust¨ande etwas einfacher schreiben: |+, +i, |+, −i, |−, +i und |−, −i. Die neue Notation ergibt sich aus |s1 = 1/2, m1 = 1/2; s2 = 1/2, m2 = −1/2i = |+, −i usw.. Diese Produktzust¨ande formen eine Basis von Vektoren mit definierten L¨angen und definierten z-Komponenten der individuellen Spins (Eigenzust¨ande zu den entsprechenden Spinoperatoren). Wir stellen nun die Frage, ob wir nicht auch Zust¨ande in H finden k¨onnen, die Eigenzust¨ande zum Quadrat des totalen Spin-(Drehimpuls-)operators sind. Wenn ja, welches sind die sich ergebenden Werte f¨ ur die L¨ange des totalen Spins und seiner z-Komponente? Dazu betrachten wir den Operator (2) (2) ~ˆ := ~sˆ1 + ~sˆ2 := ~sˆ(1) S + 1(1) ⊗ ~sˆ2 , 1 ⊗1
den wir den totalen Spin-(Drehimpuls-)operator nennen. Wir k¨onnen mehrere Gr¨ unde angeben, warum der so definierte Operator tats¨achlich den totalen Spin des zusammengesetzten Systems beschreibt. Zun¨achsteinmal wird die Konstruktion durch unsere Intuition suggeriert. Zweitens kann man sich u ¨berlegen, dass man mit Hilfe dieses Operators die Rotationen der Produktzust¨ande (und damit des ganzen Systems) generieren kann (siehe das letzte Kapitel). Drittens erf¨ ullen die Komponenten die Kommutatorrelation Gl. (11.3). Unser Ziel ist es nun die ~ˆ 2 und Sˆ3 zu bestimmen. Eigenwerte und die (gemeinsamen) Eigenvektoren zu S Wir beginnen mit der z-Komponente Sˆ3 = sˆ1,3 + sˆ2,3 . Man sieht sofort, dass Sˆ3 |+, +i Sˆ3 |+, −i Sˆ3 |−, +i Sˆ3 |−, −i
= = = =
(~/2 + ~/2) |+, +i = ~ |+, +i , 0 |+, −i 0 |−, +i −~ |−, −i
11.3. DIE ADDITION VON DREHIMPULSEN
149
gilt. Die erlaubten Werte der z-Komponente des totalen Drehimpulses sind somit ~, 0 und −~. Durch Ausnutzen der Orthonormalt¨at der Tensorproduktzust¨ande ergibt sich dann leicht die Matrixdarstellung des Operators Sˆ3 in der Produktbasis 1 0 0 0 . 0 0 0 0 Sˆ3 = ~ 0 0 0 0 . 0 0 0 −1 Der Eigenraum zum Eigenwert 0 ist zweifach entartet und wird durch die Vektoren |+, −i und |−, +i aufgespannt. Innerhalb dieses Unterraums k¨onnen wir nun Linearkombinationen bilden, die weiterhin Eigenzust¨ande zu Sˆ3 aber nicht mehr zu den z-Komponenten der individuellen Spins sind. Wir betrachten im n¨achsten Schritt die L¨ange des totalen Spins, d.h. den ~ˆ 2 . Diesen schreiben wir wie folgt um Operator S 2 ~ˆ 2 = ~sˆ1 + ~sˆ2 = ~sˆ1 2 + ~sˆ2 2 + 2~sˆ1 · ~sˆ2 . S Dabei haben wir ausgenutzt, dass die Operatoren ~sˆ1 und ~sˆ2 vertauschen (da ~sˆi Tensorprduktoperatoren sind, dessen nicht trivialer Teil nur auf das Teilchen i ~ˆ2 vertauscht mit den ~sˆi 2 , wegen des ~sˆ1 · ~sˆ2 Terms (der wirkt). Der Operator S die sˆi,1/2 enth¨alt) jedoch nicht mit den sˆi,3 . Wie man leicht nachrechnet ist die ~ˆ2 in der Produktbasis durch Matrixdarstellung von S
2 . 2 0 ~ˆ 2 = S ~ 0 0
0 1 1 0
0 1 1 0
0 0 0 2
gegeben. Wir sehen somit, dass die Zust¨ande |++i und |−−i Eigenzust¨ande von ~ˆ 2 , mit Eigenwert ~2 s(s + 1) = ~2 1(1 + 1) = 2~2 , sind, nicht jedoch die beiden S Produktzust¨ande |±, ∓i mit Eigenwert Null zu Sˆ3 . In diesem Unterraum lassen ~ˆ2 angeben. Sie haben die Form sich sehr einfach Eigenvektoren zu S 1 √ (|+−i + |−+i) , 2 1 √ (|+−i − |−+i) 2 und die Eigenwerte ~2 s(s+1) = ~2 1(1+1) = 2~2 bzw. ~2 s(s+1) = ~2 0(0+1) = 0. Damit haben wir unsere anfangs gestellte Frage beantwortet. Die Erlaubten Werte ~ˆ 2 sind s = 0 und 1, w¨ahrend die Eigenwerte von Sˆ3 durch f¨ ur den totalen Spin S
150
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
~, 0 und −~ f¨ ur s = 1 bzw. 0 f¨ ur s = 0 gegeben sind. In der Produktbasis geschrieben ergibt sich f¨ ur die Eigenvektoren |s = 1, m = 1, s1 = 1/2, s2 = 1/2i = |++i , 1 |s = 1, m = 0, s1 = 1/2, s2 = 1/2i = √ (|+−i + |−+i) , 2 |s = 1, m = −1, s1 = 1/2, s2 = 1/2i = |−−i , 1 |s = 0, m = 0, s1 = 1/2, s2 = 1/2i = √ (|+−i − |−+i) . 2
(11.8)
Die drei Zust¨ande mit Spin s = 1 bezeichnet man als Triplettzust¨ande w¨ahrend man den s = 0 Zustand ein Singulett nennt. Das Addieren von Drehimpulsen ist somit das Problem eines Basiswechsels von einer, in der die Operatoren (~sˆ1 2 , ~sˆ2 2 , sˆ1,3 , sˆ1,3 ) diagonal sind, zu einer in ~ˆ 2 , Sˆ3 , ~sˆ1 2 , ~sˆ2 2 ) diagonal sind. Symbolisch geschrieben haben wir somit das der (S Resultat 1/2 ⊗ 1/2 = 1 ⊕ 0 erhalten, was bedeutet, dass man das Tensorprodukt zweier Spin-1/2 Hilbertr¨aume als direkte Summe eines Spin-1 und eines Spin-0 Raumes schreiben kann. Die Eigenzust¨ande zum totalen Spin haben eine Eigenschaft, die f¨ ur unsere ¨ sp¨ateren Uberlegungen zu Systemen mehrere ununterscheidbarer Teilchen essentiell sein werden. Vertauscht man in den Triplettzust¨anden die beiden Teilchen, so ist der Zustand symmetrisch, d.h. der Zustand reproduziert sich. Der Singulettzustand ist dagegen antisymmetrisch unter der Vertauschung der beiden Teilchen, d.h. der Zustand reproduziert sich bis auf ein Minuszeichen. Da wir nun zwei m¨ogliche Basen f¨ ur das Problem zweier Spin-1/2 Teilchen konstruiert haben, stellt sich die Frage welche der beiden wir verwenden sollten. Die Antwort h¨angt vom zu untersuchenden Problem ab. Befinden sich die beiden Spins ausschließlich in einem ¨außeren Magnetfeld (z.B. in z-Richtung), d.h. ist der Hamiltonoperator durch ~ = −B (γ1 sˆ1,3 + γ2 sˆ2,3 ) H = − γ1~sˆ1 + γ2~sˆ2 · B gegeben, so ist die offensichtliche Wahl, die H diagonalisiert, die Produktbasis. Gilt jedoch γ1 = γ2 , so folgt H ∝ Sˆ3 und wir h¨atten ebenfalls die SingulettTriplett-Basis w¨ahlen k¨onnen. Wenn die beiden Spins dagegen u ¨ber ihre magnetischen Momente wechselwirken (und kein ¨außeres Magnetfeld vorliegt), ist der Hamiltonoperator durch ~ˆ 2 − ~sˆ1 2 − ~sˆ2 2 /2 H = γ~sˆ1 · ~sˆ2 = γ S gegeben, der durch die Singulett-Triplett-Basis diagonalisiert wird.
11.3. DIE ADDITION VON DREHIMPULSEN
151
Nach diesem einf¨ uhrenden Beispiel wollen wir das allgemeine Problem der ˆ ˆ Addition zweier Drehimpulse ~j1 und ~j2 betrachten. Die Frage ist, welches die ˆ Eigenwerte und Eigenvektoren zu J~ 2 und Jˆ3 mit ˆ ˆ ˆ ˆ(1) ˆ(2) J~ := ~j1 + ~j2 := ~j1 ⊗ 1(2) + 1(1) ⊗ ~j2 sind (diese Operatoren erf¨ ullen die u ¨blichen Drehimpulsvertauschungsrelationen), wobei wir letztere in der Produktbasis mit Zust¨anden |j1 , m1 ; j2 , m2 i ausdr¨ ucken wollen. Um sie zu beantworten k¨onnten wir dem einf¨ uhrenden Beispiel folgend ˆ die (2j1 + 1)(2j2 + 1)-dimensionalen Matrizendarstellungen der Operatoren J~ 2 und Jˆ3 bez¨ uglich der Produktbasis konstruieren und diese diagonalisieren. Der ˆ Operator J3 ist in dieser Basis bereits diagonal da Jˆ3 |j1 , m1 ; j2 , m2 i = ~(m1 + m2 ) |j1 , m1 ; j2 , m2 i . Der Unterraum zum Eigenwert ~m := ~(m1 +m2 ) wird dabei im Allgemeinen eine Dimension gr¨oßer als 1 aufweisen, da es mehrere M¨oglichkeiten gibt, m in zwei Zahlen mi zu zerlegen. Ausnahmen bilden dabei die F¨alle m = ±(j1 + j2 ) wenn beide Impulse eine maximale Projektion in die z-Richtung haben. Da die explizite ˆ Diagonalisierung von J~ 2 in den Unterr¨aumen mit Eigenvektoren zu Jˆ3 m¨ uhsam sein kann, werden wir diesen Gedanken hier nicht weiterverfolgen. Stattdessen beschr¨anken wir uns zun¨achst darauf nur zu untersuchen, was die erlaubten Werte j sind. Unsere Erfahrung aus dem Beispiel zweier Spin-1/2 Teilchen und zus¨atzlich unsere Intuition sagt uns, dass j die Werte j1 +j2 , j1 +j2 −1, . . . , |j1 −j2 | annehmen kann. Wir k¨onnen zun¨achst u ufen, dass die Zahl der neuen Basiszust¨ande ¨berpr¨ gleich der in der Produktbasis (2j1 + 1)(2j2 + 1) ist. Es gilt (o.B.d.A nehmen wir an, dass j1 ≥ j2 ) j1 +j2
j1 +j2
X
X
j=j1 −j2
(2j + 1) =
j1 −j2 −1
(2j + 1) −
j=0
X
(2j + 1) = (2j1 + 1)(2j2 + 1) ,
j=0
wobei wir N X n=0
n=
N (N + 1) 2
benutzt haben. Aus Zeitgr¨ unden sind wir an dieser Stelle lax und nehmen dieses bereits als den Beweis unserer Vermutung zu den m¨oglichen Werten von j. Es gilt also j1 ⊗ j2 = (j1 + j2 ) ⊕ (j1 + j2 − 1) ⊕ . . . ⊕ |j1 − j2 | .
152
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
ˆ Damit sind die Eigenzust¨ande zu J~ 2 und Jˆ3 durch |j, m, j1 , j2 i mit j1 + j2 ≥ j ≥ |j1 − j2 | und j ≥ m ≥ −j gegeben. Um sie zu bestimmen ordnen wir diese in einer Matrixstruktur so an, dass die Spalten durch von j1 + j2 nach |j1 − j2 | absteigende j-Werte und die Zeilen durch von j nach −j absteigende m-Werte indiziert sind. Der Zustand in der linken oberen Ecke |j = j1 + j2 , m = j1 + j2 , j1 , j2 i ist aufgrund des maximalen Wertes der z-Komponente des Drehimpulses proportional zum Produktzustand |j1 , j1 ; j2 , j2 i (siehe das Beispiel zweier Spin-1/2 Teilchen). Den wegen der Normierung nur noch freien Phasenfaktor w¨ahlen wir zu 1. Damit gilt |j1 + j2 , j1 + j2 , j1 , j2 i = |j1 , j1 ; j2 , j2 i . Zum Zustand in der zweiten Zeile der ersten Spalte mit m = j1 + j2 − 1 gelangen wir durch Anwenden des Absteigeoperators Jˆ− := ˆj1,− + ˆj2,− : Jˆ− |j1 + j2 , j1 + j2 , j1 , j2 i = = = =
~ [2(j1 + j2 )]1/2 |j1 + j2 , j1 + j2 − 1, j1 , j2 i (ˆj1,− + ˆj2,− ) |j1 + j2 , j1 + j2 , j1 , j2 i (ˆj1,− + ˆj2,− ) |j1 , j1 ; j2 , j2 i ~[2j1 ]1/2 |j1 , j1 − 1; j2 , j2 i +~[2j2 ]1/2 |j1 , j1 ; j2 , j2 − 1i
oder nach |j1 + j2 , j1 + j2 − 1, j1 , j2 i aufgel¨ost 1/2 j1 |j1 , j1 − 1; j2 , j2 i |j1 + j2 , j1 + j2 − 1, j1 , j2 i = j1 + j2 1/2 j2 + |j1 , j1 ; j2 , j2 − 1i . (11.9) j1 + j2
Diesem Schema folgend k¨onnen wir uns bis zum Element in der letzte Zeile der ersten Spalte vorarbeiten. Im n¨achsten Schritt betrachten wir das Element in der ersten Zeile der zweiten Spalte mit j = j1 + j2 − 1 und m = j1 + j2 − 1. Dieser Zustand kann durch eine Linearkombination der beiden Produktzust¨ande |j1 , j1 ; j2 , j2 − 1i und |j1 , j1 − 1; j2 , j2 i gebildet werden (siehe das Beispiel der zwei Spin-1/2 Teilchen). Er muss auf 1 normiert sein und senkrecht auf der anderen durch diese beiden Produktzust¨ande gebildeten Linearkombination Gl. (11.9) |j1 + j2 , j1 + j2 − 1, j1 , j2 i stehen. Man zeigt leicht, dass der Zustand 1/2 j2 |j1 , j1 − 1; j2 , j2 i |j1 + j2 − 1, j1 + j2 − 1, j1 , j2 i = j1 + j2 1/2 j1 |j1 , j1 ; j2 , j2 − 1i − j1 + j2
11.3. DIE ADDITION VON DREHIMPULSEN
153
diese Eigenschaften hat. Die anderen Elemente der zweiten Spalte mit m = j1 + j2 − 2, . . . , −(j1 + j2 − 1) folgen dann erneut durch wiederholtes Anwenden des Absteigeoperators Jˆ− . Das erste Element der dritten Spalte mit j = j1 +j2 −2 und m = j1 + j2 − 2 ist eine Linearkombination von drei Produktzust¨anden. Die drei Entwicklungskoeffizienten folgen aus den drei Bedingungen der Orthogonalit¨at zu ˆ den zwei (bereits konstruierten) Eigenzust¨anden zu J~ 2 mit gleichem m und der ¨ Normiertheit. Aus diesen Uberlegungen sollte klar sein, dass es immer gen¨ ugend Bedingungen gibt den jeweils ersten Zustand einer Spalte zu bestimmen und zu den anderen Elementen dieser Spalte durch Anwenden des Absteigeoperators zu gelangen. Aufgrund der Vollst¨andigkeit der beiden Basen kann man die Eigenzust¨ande ˆ ˆ ˆ ˆ zu J~ 2 und Jˆ3 bei festem j1 und j2 (genauer zu J~ 2 , Jˆ3 und ~j12 , ~j12 ) als Linearkombination |j, m, j1 , j2 i =
j1 X
j2 X
hj1 , m1 ; j2 , m2 | j, m, j1 , j2 i |j1 , m1 ; j2 , m2 i
m1 =−j1 m2 =−j2
schreiben. Die Entwicklungskoeffizienten hj1 , m1 ; j2 , m2 | j, m, j1 , j2 i bezeichnet man als Clebsch-Gordon-Koeffizienten. Sie haben Eigenschaften, die sich direkt aus den Eigenschaften von Drehimpulseigenzust¨anden ergeben (siehe z.B. R. Shankar, Principles of Quantum Mechanics). ¨ Als ein weiteres wichtiges Beispiel werden sie in den Ubungen das Beispiel der Addition des Spins eines Spin-1/2 Teilchens (z.B. eines Elektrons) mit dem zugeh¨origen Bahndrehimpuls untersuchen. In Analogie zum Beispiel der Addition von zwei Spin-1/2 Freiheitsgraden mit einer ~sˆ1 · ~sˆ2 -Kopplung, ist die sich ergebene Basis von besonderem Nutzen wenn man die so genannte Spin-Bahn-Kopplung, die durch den Hamiltonoperator ˆ ˆ ˆ H = γ ~l · ~sˆ = γ J~ 2 − ~l 2 − ~sˆ 2 /2 (11.10) gegeben ist, betrachtet. Sie ist eine relativistische Korrektur zur Quantenmechanik, die von Bedeutung f¨ ur den Aufbau von Atomen ist (siehe Vorlesungen zur Quantenfeldtheorie und zur Atomphysik).
154
KAPITEL 11. DER DREHIMPULS IN DER QUANTENMECHANIK
Kapitel 12 Ein Teilchen im Zentralpotenzial Wir wollen nun das wichtige Problem des Teilchens in einem Zentralpotenzial V (~x) = V (|~x|) mit dem Hamiltonoperator p~ˆ 2 H= + V (|~xˆ|) 2m untersuchen. Da das Potenzial nur vom Abstand zum Ursprung abh¨angt, ist das Problem invariant unter einer beliebigen Rotation, deren Achse durch den Ursprung geht.1 Aus diesem allgemeine Argument ergibt sich, dass die Komponenten des Bahndrehimpulsoperators ˆli mit H vertauschen, was wir aber nocheinmal exemplarisch f¨ ur ˆl3 nachrechnen wollen. Es gilt # " h i ˆ2 p ~ ˆl3 , H = xˆ1 pˆ2 − xˆ2 pˆ2 , + V (|~xˆ|) 2m " # " # h i h i ˆ2 ˆ2 p ~ p ~ = xˆ1 pˆ2 , V (|~xˆ|) + xˆ1 , pˆ2 − xˆ2 pˆ1 , V (|~xˆ|) − xˆ2 , pˆ1 2m 2m ~ ∂V ˆ ~ ∂V ˆ 1 1 = xˆ1 (|~x|) − xˆ2 (|~x|) + xˆ1 , pˆ21 pˆ2 − xˆ2 , pˆ22 pˆ1 i ∂x2 i ∂x1 2m 2m ~ ∂V ˆ i~ i~ ~ ∂V ˆ (|~x|) − xˆ2 (|~x|) + pˆ1 pˆ2 − pˆ2 pˆ1 = xˆ1 i ∂x2 i ∂x1 m 2m ~ ∂V ˆ ~ ∂V ˆ = xˆ1 (|~x|) − xˆ2 (|~x|) i ∂x2 i ∂x1 = 0, da V nur eine Funktion von |~x| ist. Analog lassen sich leicht auch die Kommutatoren von H mit den anderen Komponenten des Bahndrehimpulsoperators berechnen. Man findet h i ˆli , H = 0 1
Letzteres stellt keine Einschr¨ ankung dar, da auch der Drehimpuls Bezug auf den Koordinatenursprung nimmt.
155
156
KAPITEL 12. EIN TEILCHEN IM ZENTRALPOTENZIAL
und damit auch h i ~ˆl 2 , H = 0 . Aufgrund dieser Kommutatorrelationen kann man gemeinsame Eigenvektoren zu ˆ ~l 2 , ˆl3 und H konstruieren, die wir mit |l, m, Ei bezeichnen.2 Die Bezeichnung suggeriert bereits, das keine weiteren Quantenzahlen zur eindeutigen Charakterisierung der Eigenzust¨ande n¨otig sind, was wir sp¨ater explizit sehen werden. Die ˆ Operatoren ~l 2 , ˆl3 und H bilden daher ein vollst¨andiges System kommutierender Operatoren (siehe das Ende von Kapitel 2). Die drei Eigenwertgleichungen ergeben sich zu ~ˆl 2 |l, m, Ei = ~2 l(l + 1) |l, m, Ei ˆl3 |l, m, Ei = ~m |l, m, Ei H |l, m, Ei = E |l, m, Ei . i h Da H, ˆl± = 0 folgt H ˆl± |l, m, Ei = ˆl± H |l, m, Ei = E ˆl± |l, m, Ei . Somit ist neben |l, m, Ei auch |l, m ± 1, Ei Eigenvektor von H zum gleichen Eigenwert E. F¨ ur festes l haben die 2l + 1 Eigenzust¨ande zu verschiedenen m alle den gleichen Energieeigenwert, d.h. der Energieeigenwert E ist mindestens 2l + 1-fach entartet. In Ortsdarstellung lautet die zeitunabh¨angige Schr¨odingergleichung ~2 ∆ + V (|~x|) h~x |l, m, Ei = E h~x |l, m, Ei . − 2m Aufgrund der Symmetrie des Problems bietet es sich an Kugelkoordinaten zu verwenden. Der Laplaceoperator ∆ ergibt sich in diesen zu3 1 1 ∂ ∂ 1 ∂2 1 ∂2 r+ 2 . ∆= sin θ + r ∂r2 r sin θ ∂θ ∂θ sin2 θ ∂ϕ2 ˆ Der Winkelanteil [. . .] hat bis auf den Vorfaktor dieselbe Form wie h~x| ~l 2 |ψi in ˆ Gl. (11.4). Verwenden wir ~l 2 |l, m, Ei = ~2 l(l + 1) |l, m, Ei, so ergibt sich ~2 1 ∂ 2 ~2 l(l + 1) − r+ + V (r) h~x |l, m, Ei = E h~x |l, m, Ei . 2m r ∂r2 2mr2 ˆ 2 Wir spezifizieren also die im letzten Kapitel eingef¨ uhrten Eigenzust¨ande |l, m, νi zu ~l 2 und ˆl3 durch hinzuf¨ ugen der Quantenzahl E. 3 Aus Zeitgr¨ unden verzichten wir auf eine Herleitung. Sie finden diese in B¨ uchern der Mechanik, Elektrodynamik oder Quantenmechanik.
157 Setzen wir f¨ ur h~x |l, m, Ei den Separationsansatz Gl. (11.5) ein, so erhalten wir eine Gleichung f¨ ur den Radialanteil der Wellenfunktion Rl,m,E (r) ~2 l(l + 1) ~2 1 d2 − r+ + V (r) Rl,m,E (r) = E Rl,m,E (r) . 2m r dr2 2mr2 Gem¨aß dieser Gleichung ist Rl,m,E (r) unabh¨angig von m (m kommt in ihr nicht vor) und wir schreiben von nun an Rl,E (r). Mit ul,E (r) := rRl,E (r) folgt ~2 d2 l − + Veff (r) ul,E (r) = E ul,E (r) , 2m dr2
(12.1)
mit l Veff (r) := V (r) +
~2 l(l + 1) 2mr2
d.h. ul,E (r) erf¨ ullt eine eindimensionale Schr¨odingergleichung auf dem halbunendlichen Intervall r ≥ 0. Wie im klassischen Fall besteht das effektive Potenzial ~2 l(l+1) l Veff (r) aus der Summe von V (r) und der Drehimpulsbarriere 2mr2 . F¨ ur l = 0, 1, 2 ist das effektive Potenzial f¨ ur das Coulombpotenzial V (r) = −e2 /r in Abbildung 12.1 dargestellt. Wir werden uns nun daran machen, die Differentialgleichung f¨ ur ul,E (r) zu l¨osen. Dies wird uns die f¨ ur E erlaubten Werte liefern. Die Ortsdarstellung der ˆ2 ˆ ~ Eigenfunktionen zu l , l3 und H ergibt sich dann gem¨aß h~x |l, m, Ei = Yl,m (θ, ϕ)
ul,E (r) . r
Wir beschr¨anken uns hier auf Potenziale V (r) die f¨ ur r → 0 schw¨acher als die ~2 l(l+1) Drehimpulsbarriere 2mr2 divergieren. Das physikalisch wichtige Coulombpotenzial V (r) ∼ 1/r ist damit nicht ausgeschlossen. In diesem Fall kann man f¨ ur l ≥ 1 2 und r → 0 den Term [V (r) − E]r in der Differentialgleichung vernachl¨assigen.4 Sie vereinfacht sich somit zu 2 2 d l ≥ 1, r → 0 : −r + l(l + 1) ul,E (r) = 0 . dr2 Machen wir f¨ ur r → 0 den Ansatz ul,E (r) ∼ rβ , so folgt β(β − 1) = l(l + 1) und damit β1 = l + 1 und β2 = −l. Die L¨osung mit β2 ist aus physikalischen 4
Die folgende Diskussion ist mathematisch nicht ganz sauber, da man den Limes r → 0 nicht in der Differentialgleichung, sondern der L¨osung ul,E (r) diskutieren sollte.
158
KAPITEL 12. EIN TEILCHEN IM ZENTRALPOTENZIAL
Abbildung 12.1: Das effektive Potenzial f¨ ur V (r) = −e2 /r und l = 0, 1, 2. Es gilt ~2 a0 := me2 (siehe unten).
Gr¨ unden auszuschließen da |Rl,E (r)|2 = |ul,E (r)|2 /r2 ∼ r−2(l+1) f¨ ur r → 0 nicht 5 integrierbar ist (man beachte, dass l ≥ 1). Damit folgt l ≥ 1, r → 0 :
Rl,E (r) ∼ rl .
(12.2)
ˆ Je gr¨oßer der Eigenwert des Drehimpulsoperators ~l 2 ist (d.h. je gr¨oßer l ist), desto 2 schneller verschwindet |Rl,E (r)| f¨ ur r → 0 und damit die Wahrscheinlichkeit das Teilchen in der N¨ahe des Ursprungs zu finden. Dies entspricht der klassischen Erwartung. F¨ ur den bisher ausgeschlossenen Fall l = 0 m¨ ussen wir l=0:
lim ul=0,E (r) = 0
r→0
(12.3)
fordern, da sonst Rl=0,E (r) ∼ 1/r was keine L¨osung der Schr¨odingergleichung ist.6 ¨ Das gilt auch nach Multiplikation mit dem Faktor r2 , der beim Ubergang in Kugelkoordinaten auftritt. 6 Da ∆ 1r = −4πδ(r), kann Rl=0,E (r) ∼ 1/r nur dann eine L¨osung sein, wenn die Schr¨odingergleichung ein δ-Potenzial enth¨ alt, was nicht der Fall ist. 5
159 Es gilt somit ul,E (0) = 0 f¨ ur alle l ∈ N0 und man kann die Gleichung f¨ ur ul,E (r) l als eine eindimensionale Schr¨odingergleichung in dem Potenzial Veff (r) + V∞ (r) mit V∞ (r) = ∞, f¨ ur r < 0 und V∞ (r) = 0, sonst, auffassen. Die Funktion ul,E (r) gehorcht einer Differentialgleichung zweiter Ordnung. Durch die Forderung ul,E (0) = 0 reduziert man die Zahl der linearunabh¨angigen L¨osungen von zweien auf eine. Damit ben¨otigt man, wie oben bereits angek¨ undigt, zur eindeutigen Charakterisierung der Eigenvektoren |l, m, Ei keine zus¨atzlichen ˆ ¨ Quantenzahlen. Diese Uberlegung zeigt, dass die Operatoren ~l 2 , ˆl3 und H ein vollst¨andiges System vom kommutierenden Operatoren bilden. Aus der Diskussion in Kapitel 7 wissen wir bereits, dass die eindimensionale Schr¨odingergleichung (12.1), f¨ ur Potenziale die einen anziehenden Bereich mit l Veff (r) < 0 haben7 und f¨ ur r → ∞ verschwinden, kontinuierliche Eigenwerte f¨ ur E > 0 hat und diskrete Eigenwerten En f¨ ur E < 0 (gebundene Zust¨ande) aufweist. Im Gegensatz zum echt eindimensionalen Fall ist hier jedoch die Bedinl gung Veff (r) < 0 in einem endlichen r-Intervall nicht hinreichend, um die Existenz zumindest eines gebundenen Zustandes zu garantieren. In der echt eindimensionalen Situation ist unter obiger Bedingung nur die Existenz eines gebundenen ¨ Zustandes gesichert der keine Knoten hat (siehe Ubungen). Aufgrund der Bedingung ul,E (0) = 0 f¨ ur die L¨osung der hier vorliegenden effektiven eindimensionalen Schr¨odingergleichung (12.1) hat ul,E (r) f¨ ur E < 0 jedoch mindestens einen Knoten. Die Funktion entspricht einer L¨osung auf dem Intervall (−∞, ∞) mit ungerader Parit¨at. Die Existenz gebundener Zust¨ande dieser Art ist jedoch durch ¨ das in einer Ubungsaufgabe bewiesene Theorem nicht gesichert, sie existieren nur ¨ unter Zusatzbedingungen (siehe Ubungen). Im Folgenden werden wir die Situation E > 0, d.h. die Streuzust¨ande, nicht weiter betrachten. Sie werden sie in dem Kapitel u ¨ber Streutheorie der Quantenmechanik II Vorlesung im Detail diskutieren. Dabei wird sich herausstellen, dass die Beschreibung der Streuung am physikalisch besonders relevanten Coulombpotenzial V (r) ∼ 1/r spezielle Komplikationen mit sich bringt. l Unter der Annahme, dass Veff (r) f¨ ur r → ∞ verschwindet, was f¨ ur das hier interessierende Coulombpotenzial V (r) ∼ 1/r der Fall ist, lautet Gl. (12.1) f¨ ur r→∞ r→∞:
d2 ul,En (r) − αn2 ul,En (r) = 0 , dr2
p mit αn = 2m(−En )/~. Die L¨osungen ∼ exp (±αn r) dieser Differentialgleichung sind uns bereits mehrfach begegnet. Nur die exponentiell abfallende L¨osung f¨ uhrt 7
l Es ist zu beachten, dass Veff (r) aus der Summe der Potenziale V (r) und der repulsiven (positiven) Drehimpulsbarriere besteht. F¨ ur l ≥ 1 folgt somit aus V (r) < 0 nicht unbedingt l Veff (r) < 0.
160
KAPITEL 12. EIN TEILCHEN IM ZENTRALPOTENZIAL
auf normierbare Eigenfunktionen, so dass8 r→∞: ⇒
ul,n (r) → cl,n e−αn r Rl,n (r) → cl,n e−αn r /r .
(12.4)
Mit den Gln. (12.2), (12.3) und (12.4) haben wir das Verhalten der Funktionen Rl,n (r) in den Limites r → 0 und r → ∞ f¨ ur eine große Klasse von Potenzialen bestimmt. Wir wollen nun die gebundenen Zust¨ande f¨ ur das physikalisch wichtige Coulombpotenzial V (r) = −e2 /r bestimmen,9 d.h. die Energieeigenwerte En < 0 und den zugeh¨origen Radialanteil Rl,n (r) der Eigenfunktionen angeben (der Winkelanteil Yl,m (θ, ϕ) ist uns bereits bekannt). Dazu ist es n¨ utzlich r und E durch dimensionslose Gr¨oßen ρ := r/a0 und ε := E/ER , mit dem Bohrradius a0 :=
~2 me2
ER :=
e2 , 2a0
und der Rydbergenergie
zu ersetzen. Die Gleichung f¨ ur ul,E (r) = u˜l,ε (ρ) lautet dann d2 u˜l,ε (ρ) 2 l(l + 1) + ε+ − u˜l,ε (ρ) = 0 . dρ2 ρ ρ2
(12.5)
Zur L¨osung dieser Differentialgleichung machen wir einen Potenzreihenansatz, wobei wir das in den Gln. (12.2), (12.3) und (12.4) bestimmte Verhalten f¨ ur r → 0 und r → ∞ abspalten ! ∞ X ν e−λρ , u˜l,ε (ρ) = ρl+1 c(l,ε) ν ρ ν=0
√ mit λ := −ε. Mit diesem Ansatz geht man in Gl. (12.5) und gewinnt durch Koeffizientenvergleich wie bei der analytischen L¨osung des eindimensionalen har¨ monischer Oszillatorproblems (siehe Ubungen) nach einiger Rechnung eine Re(l,ε) kursionsgleichung f¨ ur die cν (l,ε)
cν+1 = 2 8
λ(ν + l + 1) − 1 c(l,ε) . (ν + l + 2)(ν + l + 1) − l(l + 1) ν
(12.6)
Wir bezeichnen die Funktion ul,En (r) von jetzt an auch mit ul,n (r). Es ergibt sich z.B. in der Situation, in der sich ein negativ geladenes Elektron (mit Ladung −e) im Feld einer positiven, elementaren Punktladung (sp¨ater ein Proton mit Ladung e) die im Ursprung festsitzt befindet. 9
161 (l,ε)
(l,ε)
Damit k¨onnen alle cν aus c0 bestimmt werden, welches wiederum durch die Normierungsbedingung der Eigenfunktion festgelegt ist. Wie beim harmonischen Oszillator gibt es die beiden M¨oglichkeiten, dass die Potenzreihe entweder abbricht oder nicht abbricht. Betrachten wir zun¨achst den letzteren Fall. F¨ ur festes l und λ gilt im Limes großer ν ν→∞:
(l,ε)
cν+1 ≈
2λ (l,ε) c ν+1 ν
und damit ρ→∞:
∞ X
ν 2λρ c(l,ε) , ν ρ ∼ e
ν=0
so dass u˜l,ε (ρ) f¨ ur ρ → ∞ wie exp (λρ) geht und nicht normierbar (quadratintegrabel) ist. Damit liefert nur der Fall in dem die Potenzreihe abbricht eine physikalische L¨osung der Differentialgleichung. Gilt λ=
1 , k+l+1
(l,ε)
mit k ∈ N0 , so folgt cν = 0 f¨ ur ν ≥ k + 1 und die Potenzreihe bricht ab.10 F¨ ur festes l gibt es somit die Energieeigenwerte εl,k
1 mit k = 0, 1, 2, . . . (l + k + 1)2 1 =: − 2 mit n = l + 1, l + 2, l + 3. . . . . n = −
In der letzten Zeile haben wir die so genannte Hauptquantenzahl n definiert. Da in εl,k nur die Summe l + k eingeht, treten f¨ ur verschiedene l dieselben Energieeigenwerte auf. Die El,n h¨angen daher nur von n ab und es gilt En = −
ER e2 1 = − mit n ∈ N und n ≥ l + 1 . n2 2a0 n2
Die Energieeigenwerte En < 0 sind f¨ ur bis zu n = 4 und l = 3 in Abbildung 12.2 dargestellt. Die Unabh¨angigkeit der En von l ist eine Spezialit¨at des Coulombpotenzial und gilt nicht f¨ ur allgemeine Zentralpotenziale. Sie ergibt sich aus einer speziellen Symmetrie (die es auch in der klassischen Mechanik gibt) des Problems. Aus Zeitgr¨ unden k¨onnen wir nicht weiter auf diese Problematik eingehen. Die l Entartung wird aufgehoben, wenn im Hamiltonoperator zus¨atzliche “St¨orterme” ber¨ ucksichtigt werden. Um einen quantitativen Vergleich mit Experimenten (z.B. 10
Das sieht man leicht durch Einsetzen von λ = 1/(k + l + 1) in Gl. (12.6). Die rechte Seite dieser Gleichung verschwindet dann f¨ ur (ν + l + 1)/(k + l + 1) = 1, was die Bedingung ν ≥ k + 1 liefert.
162
KAPITEL 12. EIN TEILCHEN IM ZENTRALPOTENZIAL
am Wasserstoffatom) anstellen zu k¨onnen, m¨ ussen zus¨atzliche Wechselwirkungsterme, z.B. die bereits erw¨ahnte Spin-Bahn-Kopplung, ber¨ ucksichtigt werden. Ohne solche Zusatzterme betr¨agt die Entartung gn des Eigenwertes En gn =
n−1 X
(2l + 1) = n2 ,
l=0
wobei wir die 2l + 1-fache m Entartung ber¨ ucksichtigt haben. Man bezeichnet die Energieniveaus mit 1s, 2s, 3s, 4s . . . ; 2p, 3p, 4p. . . ; 3d, 4d, . . . ; usw..
Abbildung 12.2: Energieeigenwerte En , n = 1, 2, 3, 4 f¨ ur das Teilchen im Coulombpotenzial. Nachdem wir die Energieeigenwerte bestimmt haben, wollen wir nun die siˆ multanen Eigenfunktionen zu den Operatoren ~l 2 , ˆl3 und H herleiten. In der Bezeichnung ersetzen wir dabei die Energie E durch die Hauptquantenzahl n: |l, m, ni. Die im Radialanteil der Eigenfunktionen auftretenden Polynome sind die so genannten zugeordneten Laguerrepolynome Lqp (ρ) Lqp (ρ) :=
dq Lp (ρ) dρq
163 mit den Laguerrepolynomen Lp (ρ) Lp (ρ) := eρ
dp ρp e−ρ . p dρ
Die gem¨aß ∞
Z
|Rl,n (r)|2 r2 dr = 1
(12.7)
0
normierten Radialfunktionen ergeben sich zu s 3 l 2 (n − l − 1)! −r/(na0 ) 2r 2r 2l+1 Rl,n (r) = − , e Ln+l na0 na0 na0 2n [(n + l)!]3 mit L2l+1 n+l (ρ)
=−
n−l−1 X k=0
(−1)k [(n + l)!]2 ρk . (n − l − 1 − k)!(2l + 1 + k)!
F¨ ur n = 1 und l = 0 gilt R0,1 (r) =
2 3/2 a0
e−r/a0
und f¨ ur n = 2 und l = 0, 1 1 r R0,2 (r) = 2− e−r/(2a0 ) (2a0 )3/2 a0 1 r √ e−r/(2a0 ) . R1,2 (r) = 3/2 (2a0 ) a0 3 Nachdem wir nun die Rl,n (r) bestimmt haben, sind uns auch die Eigenfunktionen ˆ ψl,m,n (~x) := h~x |l, m, ni = Yl,m (θ, ϕ)Rl,n (r) zu ~l 2 , ˆl3 und H bekannt. Da sowohl die Yl,m (θ, ϕ) gem¨aß Gl. (11.6) als auch die Rl,n (r) gem¨aß Gl. (12.7) normiert sind, folgt Z Z 2π Z π Z ∞ 2 3 2 |ψl,m,n (~x)| d x = |Yl,m (θ, ϕ)| sin θ dθ dϕ |Rl,n (r)|2 r2 dr R3
0
0
0
= 1 Die Wahrscheinlichkeitsdichte f¨ ur den Ort des Teilchens ist in den gebundenen 2 ¨ Zust¨anden wie u folgt, ¨blich durch |ψl,m,n (~x)| gegeben. Aus diesen Uberlegungen 2 2 dass |Rl,n (r)| r dr die Wahrscheinlichkeit daf¨ ur ist, das Teilchen in einer Kugelschale mit Abstand r vom Ursprung und Dicke dr zu finden. Die zugeh¨orige Wahrscheinlichkeitsdichte wl,n (r) := |Rl,n (r)|2 r2 ist f¨ ur n = 1, 2, 3 in Abbildung
164
KAPITEL 12. EIN TEILCHEN IM ZENTRALPOTENZIAL
12.3 dargestellt. Die absoluten Maxima dieser Funktionen r¨ ucken f¨ ur zunehmendes n immer weiter nach außen. Besonders einfach ist die Situation f¨ ur l = n − 1. In diesem Fall gilt n−1 r e−r/(na0 ) Rn−1,n (r) ∼ a0 2n r wn−1,n (r) = ∼ e−2r/(na0 ) . a0 Die Funktion wn−1,n (r) hat nur ein Maximum und dieses bei rmax = n2 a0 . F¨ ur große n ist die relative Breite des Maximums (Breite/Position) klein. Wie man der Abbildung 11.3 f¨ ur Yl,m (θ, ϕ) entnimmt, liegt Yl,l (θ, ϕ) f¨ ur große l nahezu in der x-y-Ebene. Daher sind die Zust¨ande |l = n − 1, m = n − 1, ni f¨ ur n 1 (Rydbergzust¨ande) den Bohrschen Kreisbahnen, die Sie wahrscheinlich aus der Experimentalphysik kennen, sehr a¨hnlich.11
0.6 1s
wl,n
0.4
0.2
2p
2s 3d
0 0
5
10 r/a0
3p
3s
15
20
Abbildung 12.3: Radiale Wahrscheinlichkeitsdichte der gebundenen Zust¨ande im Coulombpotenzial.
11
Dabei gilt es zu beachten, dass ein klassisches Teilchen mit Drehimpuls l3 6= 0 und l1 = l2 = 0 eine Bewegung in der x-y-Ebene ausf¨ uhrt.
Kapitel 13 Das Wasserstoffatom Wir betrachten nun das Problem zweier unterscheidbaren1 Teilchen, also z.B. des Elektrons und des Protons im Wasserstoffatom, mit den Massen m1 und m2 , die u ¨ber ein Zweiteilchenpotenzial V (|~x1 − ~x2 |) wechselwirken. Der Hamiltonoperator lautet im Tensorproduktraum H = H1 ⊗ H2 p~ˆ1 2 p~ˆ2 2 ˆ ˆ H= ⊗ 12 + 11 ⊗ + V ~x1 ⊗ 12 − 11 ⊗ ~x2 . 2m1 2m2 Die zeitunabh¨angige Schr¨odingergleichung in der Ortsdarstellung ψE (~x1 , ~x2 ) = h~x1 , ~x2 |ψE i, mit |~x1 , ~x2 i = |~x1 i ⊗ |~x2 i, lautet ~2 ~2 ∆1 − ∆2 + V (|~x1 − ~x2 |) ψE (~x1 , ~x2 ) = E ψE (~x1 , ~x2 ) . − 2m1 2m2 Wie in der klassischen Mechanik f¨ uhren wir Schwerpunkts- und Relativkoordinaten ~ := m1~x1 + m2~x2 R M ~x := ~x1 − ~x2 , und die Massen M := m1 + m2 und 1/µ := 1/m1 + 1/m2 (reduzierte Masse) ein. Unter Verwendung der Kettenregel folgt ∂ ∂ m1 ∂ = + ~ ∂~x1 ∂~x M ∂R ∂ ∂ m2 ∂ = − + . ~ ∂~x2 ∂~x M ∂R 1
Es wird Ihnen wahrscheinlich komisch vorkommen, dass wir hier betonen, dass die Teilchen unterscheidbar sein m¨ ussen. Sehr bald werden Sie lernen, dass man bei der Behandlung ununterscheidbarer Teilchen, also z.B. zweier Elektronen, anders vorgehen muss.
165
166
KAPITEL 13. DAS WASSERSTOFFATOM
~ = ψE (~x1 , ~x2 ) ergibt sich f¨ Mit ψ˜E (~x, R) ur die Schr¨odingergleichung 2 ~ ∂ ∂ ~2 ∂ ∂ ~ = E ψ˜E (~x, R) ~ . − · − · + V (|~x|) ψ˜E (~x, R) ~ ∂R ~ 2µ ∂~x ∂~x 2M ∂ R Sie l¨asst sich mit dem Separationsansatz ~ =: ψ˜E (~x, R)
1 ~ ~ eiP ·R/~ ψE˜ (~x) 3/2 (2π~)
l¨osen. Eingesetzt liefert das eine Gleichung f¨ ur ψE˜ (~x) 2 ~ − ∆ + V (|~x|) ψE˜ (~x) = E˜ ψE˜ (~x) , 2µ ~2 P mit der Energie E˜ = E − 2M . Damit haben wir das Problem auf die Bewegung eines fiktiven Teilchens der Masse µ in einem Zentralpotenzial V (|~x|) = V (r) zur¨ uckgef¨ uhrt, welches wir mit den Methoden des vorhergehenden Kapitels l¨osen k¨onnen. Die Gesamtenergie E setzt sich aus der “relativen” Energie E˜ und der ~2 P kinetischen Energie der Schwerpunktbewegung 2M zusammen. F¨ ur das Problem des Wasserstoffatoms folgt im Speziellen V (r) = −e2 /r, so dass wir f¨ ur die Energien E˜n der gebundenen Zust¨ande das Ergebnis des letzten Kapitels verwenden k¨onnen. Dabei m¨ ussen wir in a0 f¨ ur m die reduzierte Masse µ = mElek. mProt. /(mElek. + mProt. ) einsetzen und erhalten a0 = ~2 /(µe2 ) ≈ ~2 /(mElek. e2 ). Letzteres gilt, da die Protonenmasse mProt. ungef¨ahr einen Faktor 1000 gr¨oßer ist, als die Elektronenmasse mElek. . Die Zahlenwerte f¨ ur a0 und die −11 ˚ Rydbergenergie ER betragen dann a0 ≈ 0.53 A= 5.3 · 10 m und ER ≈ 13.6eV. Bis auf Feinstrukturen, die man nur durch Hinzuf¨ ugen weiterer Terme (z.B. die schon ¨ofter erw¨ahnte Spin-Bahn-Kopplung) zum Hamiltonoperator erkl¨aren kann, ergeben sich die experimentellen Spektrallinien des Wasserstoffatoms aus den Energieunterschieden E˜n − E˜n0 .2 Im letzten Kapitel dieser Vorlesung werden wir uns mit komplizierteren Atomen und damit dem Problem ununterscheidbarer Teilchen besch¨aftigen. In diesem werden wir weitere Grundprinzipien des Aufbaus der Atome und des Periodensystems der Elemente kennen lernen. Zuvor wollen wir jedoch wichtige N¨aherungsverfahren einf¨ uhren.
F¨ ur n0 = 1 erh¨ alt man die so genannte Lymanreihe, f¨ ur n0 = 2 die Balmerreihe und f¨ ur n = 3 die Paschenreihe. 2
0
Kapitel 14 N¨ aherungsmethoden Die wenigsten physikalischen Probleme von praktischem Interesse lassen sich exakt l¨osen. Dieses gilt speziell in der Quantenmechanik, so dass man nahezu immer auf die Verwendung von N¨aherungsmethoden angewiesen ist. Bei der Behandlung realistischer Probleme (insbesondere, wenn es um Vielteilchenprobleme geht) erfordern selbst solche meist einen grossen Computeraufwand, jedenfalls dann, wenn man an quantitativen Ergebnissen interessiert ist. Die wesentlichen Ideen der N¨aherungsverfahren kann man jedoch bereits in ihrer Anwendung auf einfache quantenmechanische Probleme klar machen. In einer großen Klasse von Problemen gibt es einen kleinen Parameter λ, wobei das Problem f¨ ur λ = 0 exakt l¨osbar sein soll. Solche Systeme k¨onnen dann st¨orungstheoretisch behandelt werden, in dem man Observable und Zust¨ande nach λ entwickelt und die Potenzreihe bei einer kleinen Ordnung abbricht. Es soll bereits jetzt erw¨ahnt werden, dass die Konvergenz der Potenzreihe in λ keinesfalls sichergestellt ist. Konvergenz ist jedoch von einem praktischen Standpunkt aus auch betrachtet nicht das entscheidende Kriterium f¨ ur eine erfolgreiche st¨orungstheoretische Behandlung eines Problems, da man meist sowieso nur die Terme niedrigster Ordnung bestimmen kann. Wir werden auf diesen Aspekt zur¨ uckkommen. Ein weitere, h¨aufig mit großem Erfolg eingesetzte Methode, ist ein Variationsansatz bei dem Eigenenergien durch die Minimierung nach Parametern eines Ansatzes f¨ ur die Eigenfunktionen bestimmt werden. Unsere Diskussion von N¨aherungsverfahren werden wir mit dieser Methode beginnen.
14.1
Das Variationsprinzip
Die Grundlage f¨ ur die Berechnung der Grundzustandsenergie in diesem N¨aherungszugang ist das Rayleigh-Ritzsche-Variationsprinzip. Es besagt, dass der Erwartungswert des Hamiltonoperators H in jedem Zustand |ψi 6= 0 gr¨oßer oder 167
¨ KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN
168
gleich der Grundzustandsenergie E0 ist, also hψ| H |ψi ≥ E0 . hψ| ψi
(14.1)
Gleichheit gilt nur, wenn |ψi der Grundzustand (oder ein Element des Unterraums der Grundzust¨ande im Fall von Entartung) zu H ist. Durch Bestimmen von hψ| H |ψi / hψ| ψi kann man somit eine obere Schranke f¨ ur die Grundzustandsenergie angeben. Wie gut diese ist, h¨angt vom gew¨ahlten Zustand |ψi ab. Es ist i.A. sehr viel schwieriger eine gute untere Schranke anzugeben. Der Beweis des Variationsprinzips ist sehr einfach. Dazu schreiben wir H in seiner Spektraldarstellung Z X hψ| H |ψi (E0 + E − E0 ) hψ| E, νi hE, ν| ψi / hψ| ψi = hψ| ψi E,ν Z X (E − E0 ) |hψ| E, νi|2 / hψ| ψi = E0 + E,ν
≥ E0 , da alle Terme in der Summe (bzw. dem Integral) auf der rechten Seite der zweiten Zeile gr¨oßer oder gleich Null sind (bis auf den Nenner, der f¨ ur |ψi 6= 0 echt gr¨oßer Null ist). Gleichheit, gilt falls hψ| E, νi = 0 f¨ ur alle Zust¨ande |E, νi die nicht zur Grundzustandsmanigfaltigkeit geh¨oren. Aufgrund der Vollst¨andigkeit der Eigenzust¨ande und der Orthogonalit¨at, liegt |ψi dann im Unterraum von Grundzust¨anden. Liegen Symmetrien vor, z.B. im Fall eines Teilchens im Zentralpotential, so l¨asst sich das Verfahren auf energetisch h¨oherliegende Zust¨ande erweitern. So kann man z.B. im Zentralpotential f¨ ur jeweils den niedrigsten Energieeigenwert bei gegebenem Wert von l eine analoge Ungleichung angeben. Der praktische Erfolg des auf dem Variantionsprinzip beruhenden Verfahren h¨angt bei gegebenem Hamiltonoperator sehr stark von der physikalischen Intuition ab. Praktisch geht man wie folgt vor. Man w¨ahlt einen Zustand |ψα i, der von einem oder mehreren Parametern αi abh¨angt, und von dem man vermutet, dass er wesentliche Z¨ uge des exakten Grundzustandes tr¨agt. Man berechnet dann E({αi }) :=
hψα | H |ψα i hψα | ψα i
und w¨ahlt die αi so, dass E({αi }) minimal wird. Der resultierende minimale Wert E({αi0 }) stellt dann eine mehr oder weniger gute N¨aherung f¨ ur E0 dar. Hat der exakte Grundzustand zuf¨alligerweise die in |ψα i zugelassene Form, so erh¨alt man auf diese Weise die exakte Grundzustandsenergie. Im Allgemeinen ist es so, dass selbst f¨ ur eine guten N¨aherung von E0 der Zustand |ψα0 i eine nicht besonders gute N¨aherung f¨ ur den exakten Grundzustand darstellt (wobei letzterer nicht entartet
14.1. DAS VARIATIONSPRINZIP
169
sei). Dies impliziert oft, dass die Berechnung von hψα0 | O |ψα0 i eine schlechte N¨aherung f¨ ur den Grundzustandserwartungswert anderer Observablen O liefert. Wir wollen zum Variationsprinzip zwei Beispiele betrachten. Der eindimensionale harmonische Oszillator: In diesem Beispiel sind uns die Grundzustandswellenfunktion und die zugeh¨orige Energie nat¨ urlich bereits bekannt. Wir werden sehen, wie in diesem Fall f¨ ur einen Ansatz, der die richtige Form hat aus dem Variationsverfahren die exakte L¨osung folgt. Wir setzen also an α 1/4 2 e−α x /2 , α > 0 . hx| ψα i = ψα (x) = π F¨ ur diesen Ansatz gilt hψα | ψα i = 1. Damit folgt Z ∞ ~2 d2 1 ∗ 2 2 ψα (x) − E(α) = + mω x ψα (x) dx . 2m dx2 2 −∞ Einfache Differentiation und Integration liefert ~2 α 1 1 E(α) = + mω 2 . 2m 2 2 2α Um das Minimum dieser Funktion bez¨ uglich α zu bestimmen differenzieren wir nach α und setzen das Ergebnis gleich Null d E(α) = 0 , dα α0 was α0 = mω/~ und E(α0 ) = ~ω/2 liefert – also, dass exakte Ergebnis f¨ ur die Grundzustandsenergie und -wellenfunktion. Als eine zweite Variationswellenfunktion f¨ ur den eindimensionalen harmonischen Oszillator verwenden wir statt einer Gaußkurve eine Lorentzkurve hx| ψα i = ψα (x) =
x2
1 . + α2
Diesmal ist ψα (x) nicht normiert. Es gilt Z ∞ 1 π hψα | ψα i = . 2 dx = 2 2 2α3/2 −∞ (x + α ) Das f¨ uhrt dann auf E(α) =
~2 1 1 + mω 2 α . 4m α 2
√ Das Minimum dieser Funktion liegt bei α0 = ~/(mω 2) mit √ 1 1 1 1 E(α0 ) = √ ~ω = 2 ~ω = 1.4142 . . . ~ω > ~ω . 2 2 2 2
¨ KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN
170
Wir machen somit einen recht großen Fehler von ca. 40 %. Das Coulombpotential mit gaußschem Variationsansatz: F¨ ur den Grund2 zustand im Coulombpotential V (r) = −e /r verwenden wir zur Illustration einen Ansatz mit falscher Form α 3/4 2 2 2 h~x| ψα i = ψα (~x) = e−α (x1 +x2 +x3 )/2 , α > 0 , π der erneut bereits normiert ist: hψα | ψα i = 1. Die kinetische Energie in diesem Zustand ist das Dreifache der kinetischen Energie aus dem ersten Beispiel hHkin iα = 3
~2 α . 2m 2
F¨ ur die potentielle Energie ergibt sich Z 3/2 Z ∞ 1 2 2 2 3 2 α hHpot iα = −e ψα (~x)d x = −4πe re−αr dr π R3 r 0 2 2e 1/2 = −√ α π und zusammengenommen E(α) = 3
~2 α 2e2 1/2 −√ α . 2m 2 π
Differentiation und Nullsetzen liefert α0 =
16m2 e4 9π~4
und E(α0 ) = −
4e4 m 8 = (−ER ) = 0.8488 . . . (−ER ) > (−ER ) , 2 3π~ 3π
mit der exakten Grundzustandsenergie −ER . F¨ ur die Grundzustandsenergie machen wir mit diesem Ansatz also einen Fehler von ca. 15%. Da man die Erwartungswerte von kinetischer und potentieller Energie in gaußschen Variationswellenfunktionen recht leicht bestimmen kann, werden in der Quantenchemie h¨aufig Linearkombinationen von Gaußorbitalen als Variationsansatz verwendet.
14.2
Zeitunabh¨ angige Sto ¨rungstheorie
Als n¨achstes wollen wir das Konzept der St¨orungstheorie im Fall eines zeitunabh¨angigen Hamiltonoperators H einf¨ uhren (station¨are St¨orungstheorie). Wir gehen dabei davon aus, dass H in der Form H(λ) = H0 + λW ,
¨ ¨ 14.2. ZEITUNABHANGIGE STORUNGSTHEORIE
171
mit λ ≥ 0, geschrieben werden kann. Wir nehmen an, dass wir das Eigenwertproblem zum “ungest¨orten” Hamiltonoperator H0 exakt gel¨ost haben und die Eigenν werte diskret sind. Die Eigenvektoren bezeichnen wir mit ϕp und die Energien mit Ep0 . Dabei ist ν der m¨ogliche Entartungsindex. Wir haben also H0 ϕνp = Ep0 ϕνp , mit D
0 ϕνp0 ϕνp = δp,p0 δν,ν 0 , XX ϕνp ϕνp = 1 . p
ν
Wir sind daran interessiert, wie die “St¨orung” λW die Eigenwerte und Eigenfunktionen ver¨andert wenn λ klein ist. Das soll heißen, dass die Matrixelemente von λW sehr viel kleiner als die von H0 sind.1 Das typische Verhalten der Eigenwerte E(λ) von H(λ) ist in Abbildung 14.1 dargestellt. Die Eigenzust¨ande zu H(λ) bezeichnen wir mit |ψ(λ)i.
0
E4
0
E3 0 E2 0
E1
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
λ Abbildung 14.1: Typische λ-Abh¨angigkeit der Eigenwerte von H(λ). Wir werden nun wie folgt vorgehen. In der Gleichung H(λ) |ψ(λ)i = E(λ) |ψ(λ)i 1
Genauer wird sich nachher herausstellen, dass die Matrixelemente von λW sehr viel kleiner als die Differenz der Energieeigenwerte von H0 sein m¨ ussen.
¨ KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN
172
entwickeln wir sowohl E(λ) als auch |ψ(λ)i in einer Potenzreihe nach λ E(λ) = ε0 + λε1 + λ2 ε2 + . . . , |ψ(λ)i = |0i + λ |1i + λ2 |2i + . . . . Von einem mathematischen Standpunkt aus betrachtet ist es alles andere als offensichtlich, dass diese Potenzreihen konvergieren – generisch ist der Konvergenzradius der Reihen tats¨achlich Null. Dies interessiert uns hier aber nicht, da i.A. sowieso nur die ersten paar Koeffizienten bzw. Zust¨ande berechnet werden k¨onnen. Zum Verst¨andnis der Reihenentwicklung ist das mathematische Konzept der asymptotischen Reihe wichtig (siehe die mathematische Literatur). Die entwickelte Eigenwertgleichung ergibt sich zu "∞ # "∞ #"∞ # X X 0 X (H0 + λW ) λq |qi = λq εq0 λq |qi . q=0
q 0 =0
q=0
Wir vergleichen nun Potenzen von λ auf der linken und der rechten Seite dieser Gleichung, was (H0 − ε0 ) |0i = 0 (H0 − ε0 ) |1i + (W − ε1 ) |0i = 0 (H0 − ε0 ) |2i + (W − ε1 ) |1i − ε2 |0i = 0
(14.2) (14.3) (14.4)
usw. liefert. O.B.d.A. k¨onnen wir annehmen, dass |ψ(λ)i normiert ist und h0 |ψ(λ)i reell ist (letzteres durch Wahl der Phase von |ψ(λ)i. F¨ ur λ = 0 (mit |ψ(λ = 0)i = |0i) folgt so h0 |0i = 1 , wobei jedoch die Phase von |0i unbestimmt bleibt. In erster Ordnung in λ ergibt sich das Quadrat der Norm von |ψ(λ)i zu hψ(λ) |ψ(λ)i = [h0| + λ h1|] [|0i + λ |1i] + O λ2 = h0 |0i + λ [h1 |0i + h0 |1i] + O λ2 . Dieser Ausdruck ist 1 falls der Term proportional zu λ verschwindet. Da nun h0 |ψ(λ)i reell ist, muss auch h0 |1i reell sein und wir k¨onnen h0 |1i = h1 |0i = 0 folgern. Wenn man analog bis zur Ordnung λ2 entwickelt ergibt sich h0 |2i = h2 |0i = −
1 h1 |1i , 2
(14.5)
¨ ¨ 14.2. ZEITUNABHANGIGE STORUNGSTHEORIE
173
was jedoch f¨ ur h¨ohere Ordnungen in St¨orungstheorie wichtig wird, die wir hier nicht betrachten werden. Nach Gl. (14.2) ist ε0 einer der Eigenwerte von H0 und |0i ein zugeh¨origer Eigenzustand. Wir legen nun ε0 als einen spezifischen Eigenwert Ep0 fest und nehmen zun¨achst an, dass Ep0 nicht entartet ist. Damit entf¨allt im zugeh¨origen Eigenzustand |ϕp i zu H0 der Entartungsindex ν.
Station¨ are Sto ande ¨rungstheorie fu ¨ r nicht-entartete Zust¨ Wir haben damit ε0 = Ep0 und w¨ahlen die Phase von |0i so, dass |0i = |ϕp i . Da wir das Spektrum von H0 als diskret angenommen haben, folgt, das f¨ ur hin0 reichend kleines λ auch der zu Ep geh¨orende “gest¨orte” Zustand |ψ(λ)i nicht entartet ist. Die Korrektur erster Ordnung in λ zur Energie ergibt sich durch Multiplikation von links von |ϕp i auf beiden Seiten von Gl. (14.3) hϕp | (H0 − ε0 ) |1i + hϕp | (W − ε1 ) |0i = 0 zu ε1 = hϕp | W |ϕp i , wobei wir im ersten Summanden H0 nach links angewandt haben und im zweiten Term |0i = |ϕp i eingesetzt haben. Damit gilt in erster Ordnung in λ f¨ ur den Eigenwert Ep (λ) zu H(λ) Ep (λ) = Ep0 + λ hϕp | W |ϕp i + O λ2 oder in Worten: Die Korrektur zur Energie Ep0 zu erster Ordnung in λ ist durch den Erwartungswert der St¨orung im ungest¨orten Zustand |ϕp i gegeben. Gl. (14.3) k¨onnen wir weitere Informationen entlocken, in dem wir jetzt mit den Zust¨ande |ϕνn i mit n 6= p von links multiplizieren hϕνn | (H0 − ε0 ) |1i + hϕνn | (W − ε1 ) |0i = 0 . Mit der Orthogonalit¨at der Eigenvektoren von H0 liefert das En0 − Ep0 hϕνn |1i + hϕνn | W |ϕp i = 0 ,
¨ KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN
174
was uns alle bis auf einen Entwicklungkoeffizienten von |1i in der Basis der Eigenzust¨ande zu H0 liefert hϕνn | W |ϕp i , n 6= p. Ep0 − En0
Der noch fehlende Entwicklungskoeffizient ϕνp |1i = h0 |1i ist aufgrund von Gl. (14.5) Null. Damit ergibt sich hϕνn |1i =
|1i =
X X hϕν | W |ϕp i n |ϕνn i 0 − E0 E p n n6=p ν
und X X hϕν | W |ϕp i n ν 2 |ψp (λ)i = |ϕp i + λ |ϕ i + O λ . n Ep0 − En0 n6=p ν Um ε2 zu bestimmen multiplizieren wir |ϕp i von links an Gl. (14.4) hϕp | (H0 − ε0 ) |2i + hϕp | (W − ε1 ) |1i − ε2 hϕp |0i = 0 ⇒ hϕp | (H0 − Ep0 ) |2i − ε1 h0 |1i + hϕp | W |1i − ε2 hϕp |ϕp i = 0 ⇒ ε2 = hϕp | W |1i ⇒ ε2 =
X X |hϕν | W |ϕp i|2 n . 0 − E0 E p n ν n6=p
Wir k¨onnen damit Ep (λ) bis zur zweiten Ordnung in λ angeben Ep (λ) = Ep0 + λ hϕp | W |ϕp i + λ2
X X |hϕν | W |ϕp i|2 n + O λ3 . 0 0 Ep − En n6=p ν
F¨ ur den Zustand verzichten wir hier darauf den Ausdruck in zweiter Ordnung herzuleiten. Ziehen wir nun den Parameter λ in λW mit in den Operator, d.h. definieren wir V := λW so folgt Ep (λ) =
Ep0
X X |hϕν | V |ϕp i|2 n 3 + hϕp | V |ϕp i + + O λ Ep0 − En0 n6=p ν
(14.6)
und |ψp (λ)i = |ϕp i +
X X hϕν | V |ϕp i n ν 2 i + O λ . |ϕ n 0 − E0 E p n n6=p ν
(14.7)
¨ ¨ 14.2. ZEITUNABHANGIGE STORUNGSTHEORIE
175
Diese beiden Ausdr¨ ucke sind “nat¨ urlicher” da H normalerweise in der Form H0 + V und nicht H0 + λW gegeben ist. An beiden Ausdr¨ ucken erkennt man, dass die Korrekturen klein sind, wenn die Matrixelemente der St¨orung in den ungest¨orten Eigenzust¨anden klein gegen¨ uber den ungest¨orten Energieunterschieden sind (wie oben angedeutet). Bevor wir zwei Beispiele zur station¨aren nichtentarteten St¨orungstheorie betrachten, wollen wir eine weitere Sprechweise einf¨ uhren. Aufgrund der Gl. (14.7) spricht man davon, dass die St¨orung dem ungest¨orten Eigenzustand |ϕp i andere Eigenzust¨ande von H0 beimischt. Als erstes Beispiel betrachten wir eine kubische Anharmonizit¨at V = λ~ω
mω 3/2
xˆ3
~ zum eindimensionalen harmonischen Oszillator H0 =
pˆ2 1 + mω 2 xˆ2 . 2m 2
Alle Eigenzust¨ande |ni zu H0 sind nicht-entartet, so dass wir die gerade hergeleiteten Ausdr¨ ucke verwenden k¨onnen. Um die relevanten Matrixelemente der St¨orung V einfach bestimmen zu k¨onnen, dr¨ ucken wir diese durch die Leiteropeˆ = a† a aus. Eine einfache Rechnung gibt ratoren und den Operator N V =
λ~ω †3 3 ˆ a† + 3[N ˆ + 1]a . a + a + 3 N 23/2
Die einzigen nicht-verschwindenden Matrixelemente sind damit 1/2 (n + 3)(n + 2)(n + 1) λ ~ω , 8 1/2 n(n − 1)(n − 2) λ ~ω , 8 3/2 n+1 3λ ~ω , 2 h n i3/2 3λ ~ω , 2
hn + 3| V |ni = hn − 3| V |ni = hn + 1| V |ni = hn − 1| V |ni =
wobei wir intensiv die Resultate aus Kapitel 8 verwendet haben. Setzen wir diese Ergebnisse in Gln. (14.6) und (14.7) ein, so f¨allt zun¨achst auf, dass es keine Korrektur erster Ordnung zur Energie En0 = ~ω(n + 1/2) gibt. Bis zur zweiten Ordnung ergibt sich 2 1 15 2 1 7 En = ~ω n + − λ ~ω n + − λ2 ~ω + O λ3 . 2 4 2 16
¨ KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN
176
Die kubische Anharmonizit¨at f¨ uhrt damit zu einer Absenkung aller Eigenenergien. F¨ ur die Differenz zweier aufeinander folgenden Energien ergibt sich 15 2 En − En−1 = ~ω 1 − λ n + O λ3 , 2 so dass das Spektrum nicht mehr l¨anger ¨aquidistant ist. F¨ ur den gest¨orten Eigenzustand ergibt sich in erster Ordnung in λ 3/2 h n i3/2 n+1 |n + 1i + 3λ |n − 1i |ψn i = |ni − 3λ 2 2 1/2 λ (n + 3)(n + 2)(n + 1) − |n + 3i 3 8 1/2 λ n(n − 1)(n − 2) + |n − 3i + O λ2 , 3 8 d.h. die St¨orung mischt die Zust¨ande |n ± 1i und |n ± 3i bei. In vielen physikalischen Probleme gibt es Abweichungen von der rein quadratischen Abh¨angigkeit des Potentials vom Ort. Daher spielt die gerade betrachtete quartische St¨orung eine wichtige Rolle in einer Vielzahl von physikalischen Anwendungen. Als zweites Beispiel betrachten wir den Starkeffekt eines Wasserstoffatoms im 1s Zustand (n = 1, l = 0 und m = 0) in einem homogenen elektrischen Feld ~ = E~e3 ) (E H=
e2 p~ˆ2 − + eE xˆ3 = H0 + VE . 2m |~xˆ|
Der 1s Zustand ist nicht entartet, so dass wir die obigen Ausdr¨ ucke verwenden k¨onnen. Nachdem wir weiter unten entartete St¨orungstheorie betrachtet haben werden wir auch den Fall n = 2 mit vierfacher Entartung diskutieren. Da h~x |l = 0, m = 0, n = 1i eine gerade Funktion bez¨ uglich aller xi ist, folgt, dass hl = 0, m = 0, n = 1| xˆ3 |l = 0, m = 0, n = 1i = 0 und die Korrektur erster Ordnung zur Energie E0 verschwindet. Da wir die Streuzust¨ande (mit kontinuierlichem Spektrum) zum Wasserstoffproblem nicht untersucht haben, k¨onnen wir die Korrektur zweiter Ordnung nicht angeben. Es ist jedoch klar, dass sie einen negativen Vorfaktor hat, da f¨ ur alle n der Energienenner in Gl. (14.6) negativ ist. Wir haben somit E0 − E00 ∼ −E 2 . Wir wollen nun den Fall betrachten, dass der Eigenwert Ep0 zu H0 dessen Korrekturen wir bestimmen wollen gp -fach entartet ist.
¨ ¨ 14.2. ZEITUNABHANGIGE STORUNGSTHEORIE
177
Station¨ are St¨ orungstheorie fu ande ¨ r entartete Zust¨ In diesem Fall legt die Wahl ε0 = Ep0 den Vektor |0i in Gl. (14.2) nicht eindeutig fest, da jede Linearkombination der gp Vektoren aus dem Unterraum Hp0 (des zugrundeliegenden Hilbertraums H) von Eigenzust¨anden von H0 mit ullt. Wir wissen damit nur, dass |0i ∈ Hp0 . Wir Eigenwert Ep0 diese Relation erf¨ beschr¨anken uns hier auf die erste Ordnung f¨ ur die Energie und nullte Ordnung f¨ ur den Zustand. Wie wir sehen werden, f¨ uhrt die St¨orung generischerweise dazu, dass die gp -fache Entartung in fp Subniveaus aufgehoben wird. Sollte fp < gp gelten, so ist eines oder sind mehrere der Subniveaus weiterhin entartet. projizieren wir Gl. (14.3) auf die gp Vektoren ν Um ε1 und |0i zu bestimmen ϕp des Eigenraums Hp0
ν
ϕp (H0 − ε0 ) |1i + ϕνp (W − ε1 ) |0i = 0 ⇒
ϕνp W |0i = ε1 ϕνp 0i .
Auf der linken Seite dieser Gleichung schieben wir nun den Identit¨atsoperator in der {|ϕνn i} Basis ein X X 0 E D 0 ϕνn 0i = ε1 hϕνn | 0i . ϕνp W ϕνn ν0
n
0 ur Da der Vektor |0i zum Eigenraum des Eigenwerts Ep0 geh¨ort, ist ϕνn 0i = 0 f¨ alle n 6= p. Damit folgt X 0 E D 0
ϕνp W ϕνp ϕνp 0i = ε1 ϕνp 0i . ν0
Diese Gleichung stellt ein Matrixeigenwertproblem im gp -dimensionalen Unterraum Hp0 dar, welches wir l¨osen m¨ ussen um die verschiedenen ε1 und zugeh¨origen Vektoren |0i zu bestimmen. Letztere bekommen wir in ihrer Darstellung bez¨ uglich der Basis von Hp0 . Es gibt keine Komponenten von |0i die außerhalb dieses Unterraums liegen. Im Fall von gp -facher Entartung gehen wir also wie folgt vor. Wir bestimmen alle Matrixelemente der St¨ Unterraum der orung W (bzw. V ) im gp -dimensionalen ν 0 durch die Eigenzust¨ande ϕp zu H0 mit Eigenwert Ep aufgespannt wird. Im Anschluss l¨osen wir das gp -dimensionale Martrixeigenwertproblem. Wir bestimmen so die verschiedenen Eigenwerte εj1 mit j = 1, 2, . . . , fp ≤ gp und Eigenvektoren. Die Energien bis lineare Ordnung in λ sind dann durch Ep,j (λ) = Ep0 + λεj1 + O λ2
¨ KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN
178
gegeben. Die Eigenvektoren bis in nullter Ordnung in λ sind X |ψp,j (λ)i = aνp,j ϕνp ν
mit den Koeffizienten aνp,j = ϕνp 0i zum Matrixeigenwert εj1 . Wir wollen das gerade gelernte f¨ ur den Fall des Starkeffekts in den n = 2 Zust¨anden des Wasserstoffproblems bestimmen. F¨ ur n = 2 sind l = 0 bzw. 1 zugelassen und damit m = 0 bzw. m = −1, 0, 1. Der Eigenwert ist somit vierfach entartet. Um die 4 × 4-Matrix der St¨orung im Unterraum zu E2 zu bestimmen ordnen wir die Zust¨ande wie folgt an: |l = 0, m = 0, n = 2i, |l = 1, m = 0, n = 2i, |l = 1, m = 1, n = 2i, |l = 1, m = −1, n = 2i. Wir m¨ ussen nun die Matrixelemente dieser Zust¨ande mit dem Operator xˆ3 berechnen. Da alle |h~x |l, m, ni|2 gerade Funktionen sind folgt hl, m, n| xˆ3 |l, m, ni = 0 f¨ ur die diagonalen Matrixelemente. Wir k¨onnen weiterhin verwenden, dass der i h ˆ Kommutator l3 , xˆ3 = 0 und somit hl, m, n| xˆ3 |l0 , m0 , n0 i = δm,m0 hl, m, n| xˆ3 |l0 , m, n0 i . Dies folgt aus hl, m, n| ˆl3 xˆ3 |l0 , m0 , n0 i = ~m hl, m, n| xˆ3 |l0 , m0 , n0 i = hl, m, n| xˆ3 ˆl3 |l0 , m0 , n0 i = ~m0 hl, m, n| xˆ3 |l0 , m0 , n0 i und damit hl, m, n| xˆ3 |l0 , m0 , n0 i = 0 f¨ ur m 6= m0 . Damit hat die zu bestimmende Matrix V die folgende Form 0 h0, 0, 2| xˆ3 |1, 0, 2i 0 0 h1, 0, 2| xˆ3 |0, 0, 2i 0 0 0 . V = eE 0 0 0 0 0 0 0 0 Die beiden nichtverschwindenden Matrixelemente ergeben sich wie man leicht nachrechnet zu h0, 0, 2| xˆ3 |1, 0, 2i = h1, 0, 2| xˆ3 |0, 0, 2i = −3a0 . Die 4 × 4-Matrix hat die vier Eigenwerte V1,2 = ±3eEa0 ,
V3,4 = 0 .
¨ ¨ 14.3. ZEITABHANGIGE STORUNGSTHEORIE
179
Somit ergibt sich das folgende Bild. Aus dem vierfach entarteten Zustand ergeben sich zwei nicht-entartete Zust¨ande mit Energiekorrekturen ±3eEa0 und ein zweifach entarteter Eigenwert der keine Korrektur zur Ordnung E aufweist. Die Zugeh¨origen Zust¨ande im Unterraum zu E2 sind 1 √ (|0, 0, 2i ± |1, 0, 2i) , |1, 1, 2i , |1, −1, 2i . 2 Der Starkeffekt f¨ ur die Eigenwerte E1 und E2 ist in Abbildung 14.2 zusammengefasst. Wir m¨ ussen allerdings auf ein grunds¨atzliches Problem hinweisen. Aufgrund des linear anwachsenden elektrischen Feldes gibt es strikt genommen keine gebundenen Zust¨ande mehr, da das Elektron das Atom durch Tunneln verlassen kann. Wenn das Feld hinreichend klein ist, ist jedoch die Wahrscheinlichkeit ¨ des Tunnelns sehr klein, so dass unsere Uberlegungen durchaus sinnvoll waren.
-ER/4
-ER elektrisches Feld
Abbildung 14.2: Der Starkeffekt f¨ ur die ersten beiden Eigenenergien im Wasserstoffproblem.
14.3
Zeitabh¨ angige St¨ orungstheorie
Zum Abschluss wollen wir den Fall untersuchen, dass eine zeitabh¨angige St¨orung vorliegt. Daf¨ ur f¨ uhren wir zun¨achst ein weiteres “Bild” f¨ ur die Zeitentwicklung (neben dem Schr¨odinger- und dem Heisenbergbild aus Kapitel 9) ein. Man bezeichnet es als das Wechselwirkungs- oder Diracbild. Dazu betrachten wir den
¨ KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN
180 Hamiltonoperator
Ht = H0 + Vt mit einem zeitunabh¨angigen Term H0 und einer m¨oglicherweise zeitabh¨angigen St¨orung Vt . Die Schr¨odingergleichung lautet dann i~
d |ψ(t)i = (H0 + Vt ) |ψ(t)i . dt
Von der Zeitabh¨angigkeit des Zustandes |ψ(t)i spalten wir den Teil ab der von H0 stammt |ψ(t)i =: e−iH0 t/~ |ψt i , |ψt i = eiH0 t/~ |ψ(t)i . was den Zustand |ψt i definiert. Zur (willk¨ urlichen) Zeit t = 0 gilt |ψt=0 i = |ψ(t = 0)i. Der Zustand |ψt i im Wechselwirkungsbild gehorcht einer modifizierten Schr¨odingergleichung i~
d |ψt i = −H0 |ψt i + eiH0 t/~ (H0 + Vt ) |ψ(t)i dt = eiH0 t/~ Vt e−iH0 t/~ |ψt i .
Definiert man nun allgemein zu jedem Operator Ot im Schr¨odingerbild einen Operator OD (t) := eiH0 t/~ Ot e−iH0 t/~ , so folgt i~
d |ψt i = VD (t) |ψt i . dt
Definiert man u ¨ber |ψt i =: UD (t, t0 ) |ψt0 i den unit¨aren Zeitentwicklungsoperator im Wechselwirkungsbild, so ergibt sich aus diesem mit Hilfe der Schr¨odingergleichung i~
d UD (t, t0 ) = VD (t)UD (t, t0 ) , dt
mit der Anfangsbedingung UD (t0 , t0 ) = 1. Durch Integration u uhren wir diese ¨berf¨ Differentialgleichung in eine Integralgleichung Z i t 0 UD (t, t ) = 1 − VD (t1 )UD (t1 , t0 ) dt1 . ~ t0
¨ ¨ 14.3. ZEITABHANGIGE STORUNGSTHEORIE
181
Iteration dieser Gleichung liefert die sehr wichtige Dyson-Reihe 2 Z t Z t1 Z i i t 0 VD (t1 )VD (t2 ) dt2 dt1 + . . . . VD (t1 ) dt1 + UD (t, t ) = 1 − ~ t0 ~ t0 t0 Wir betrachten nun das folgende Anfangswertproblem. Zur Zeit t0 befinde sich das System (Teilchen) im Eigenzustand |mi zu H0 , d.h. H0 |mi = Em |mi und damit |ψ(t0 )i = |mi bzw. |ψt0 i = exp (iEm t0 /~) |mi. Wir sind daran interessiert die Wahrscheinlichkeit Pm→n (t, t0 ) zu bestimmen, dass sich das System (Teilchen) zur Zeit t im Eigenzustand |ni von H0 befindet Pm→n (t, t0 ) = |hn| ψ(t)i|2 2 = hn| e−iH0 t/~ |ψt i 2 = e−iEn t/~ hn| UD (t, t0 ) |mi eiEm t0 /~ = |hn| UD (t, t0 ) |mi|2 , wobei wir ausgenutzt haben, dass auch |ni Eigenvektor zu H0 ist. Um diesen Ausdruck weiter auszuwerten verwenden wir die Dyson-Reihe f¨ ur UD (t, t0 ). F¨ ur n 6= m erhalten wir Z i t hn| VD (t0 ) |mi dt0 + . . . hn| UD (t, t0 ) |mi = − ~ t0 Z i t 0 0 = − hn| eiH0 t ~ Vt0 e−iH0 t /~ |mi dt0 + . . . ~ t0 Z i t i(En −Em )t0 /~ e hn| Vt0 |mi dt0 + . . . . = − ~ t0 In f¨ uhrender Ordnung (d.h. zur Ordnung V 2 ) gilt damit Z 2 1 t i(En −Em )t0 /~ 0 dt . Pm→n (t, t0 ) = 2 hn| Vt0 |mi e ~ t0
(14.8)
Um auch Pm→m (t, t0 ) bis zur Ordnung V 2 zu bestimmen, muss man den quadratischen Term in der Dyson-Reihe auswerten. Das Ergebnis erh¨alt man viel einfacher aus der Erhaltung der Wahrscheinlichkeit X Pm→n (t, t0 ) = 1 n
und damit Pm→m (t, t0 ) = 1 −
X
Pm→n (t, t0 )
(14.9)
n6=m
2 X 1 Z t 0 /~ i(E −E )t 0 n m hn| Vt0 |mi e . = 1− dt 2 ~ t 0 n6=m
(14.10)
182
¨ KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN
Die Gln. (14.8) und (14.9) sind gute N¨aherungen, solange 1 − Pm→m (t, t0 ) 1 gilt, da wir nur die Terme niedrigster Ordnung ber¨ ucksichtigt haben. Als sehr wichtiges Beispiel betrachten wir die Situation, dass Vt periodisch von der Zeit abh¨angt 1 Vt = V cos (ωt) = V eiωt + e−iωt . 2 In diesem Fall l¨asst sich die Zeitintegration in Gl. (14.8) leicht ausf¨ uhren. Wir ¨ definieren die Ubergangsfrequenz ωn,m := (En − Em )/~. Damit ergibt sich i(ωn,m −ω)t 1 − ei(ωn,m −ω)t0 2 e Pm→n (t, t0 ) = 2 |hn| V |mi| 4~ ωn,m − ω 2 i(ωn,m +ω)t e − ei(ωn,m +ω)t0 + . ωn,m + ω F¨ ur den Fall einer statischen St¨orung, d.h. f¨ ur ω → 0, folgt mit t˜ = t − t0 2 ˜ 1 sin (ω n,m t/2) 2 Pm→n (t˜) = 2 |hn| V |mi| . ~ ωn,m /2 Diese Funktion ist in Abbildung 14.3 dargestellt. F¨ ur t˜ → ∞ ergibt sich 2π ˜ lim Pm→n (t˜) = t |hn| V |mi|2 δ(En − Em ) . ~ t˜→∞ Man nennt diesen Ausdruck “Fermis Goldene Regel”. Wir sehen dabei, dass die ¨ N¨aherung f¨ ur große Zeiten t˜ zusammenbricht, da die Ubergangswahrscheinlichkeit linear mit t˜ anw¨achst. F¨ ur große t˜ ergibt sich im allgemeinen Fall mit endlicher Frequenz 2π ˜ t |hn| V |mi|2 [δ(En − Em − ~ω) + δ(En − Em + ~ω)] . lim Pm→n (t˜) = 4~
t˜→∞
Eine weiter Vereinfachung ergibt sich im Fall der Resonanz ω ≈ ωn,m 1 Pm→n (t˜) = 2 |hn| V |mi|2 4~
sin [(ωn,m − ω)t˜/2] (ωn,m − ω)/2
2
da man nur den ersten Term im obigen allgemeinen Ausdruck mitzunehmen braucht. Tr¨agt man ωn,m − ω statt ωn,m auf so ergibt sich eine zu Abbildung 14.3 analoge Skizze wobei jedoch die H¨ohe um einen Faktor 1/4 reduziert ist. Als Beispiel zur Anwendung der zeitabh¨angigen St¨orungstheorie betrachten wir das Wasserstoffatom in einem Strahlungsfeld. Ziel ist es die Absorbtion und
¨ ¨ 14.3. ZEITABHANGIGE STORUNGSTHEORIE
183
2 ~2 - 2 |Vn,m| t /h
ωn,m
4π/t~
¨ Abbildung 14.3: Ubergangswahrscheinlichkeit im statischen Limes.
die induzierte Emission zu verstehen. Die Kopplung des Elektronenspins vernachl¨assigen wir da sie f¨ ur die interessierenden Wellenl¨angen nur eine kleine Korrektur darstellt. Das ¨außere Strahlungsfeld habe die Form einer ebenen Welle in x2 -Richtung. Wir verwenden die Coulombeichung mit ∂ ~ · A(~x, t) = 0 , ∂~x
φ(~x, t) = 0 .
Dann gilt ~ x, t) = A0 ei(kx2 −ωk t) + A∗ e−i(kx2 −ωk t) ~e3 , A(~ 0 ~ und B-Felder ~ mit ωk = ck. Die Eergeben sich zu ~ ~ x, t) = − 1 ∂ A = k iA0 ei(kx2 −ωk t) − iA∗0 e−i(kx2 −ωk t) ~e3 , E(~ c ∂t ∂ ~ x, t) = ~ = k iA0 ei(kx2 −ωk t) − iA∗ e−i(kx2 −ωk t) ~e1 . B(~ ×A 0 ∂~x Der Hamiltonoperator des “spinlosen” Elektrons im Zentralpotential und im Strahlungsfeld lautet dann 1 h ˆ e ~ ˆ i2 H = p~ + A(~x, t) + V (|~xˆ|) 2m c 2 ˆ p~ e ˆ ~ ˆ ≈ + V (|~xˆ|) + p~ · A(~x, t) 2m mc = H0 + Vt ,
¨ KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN
184
~ vernachl¨assigt haben, da das Vektorpotenwobei wir den Term quadratisch in A ~ = A ~ · p~ˆ verwendet haben (wegen tial als “klein” angenommen wird, und p~ˆ · A ∂ ~ = 0). Der zeitabh¨angige St¨orhamiltonoperator lautet damit ·A ∂~ x Vt =
e pˆ3 A0 ei(kˆx2 −ωk t) + A∗0 e−i(kˆx2 −ωk t) . mc
F¨ ur sichtbares Licht gilt ka0 1, mit dem Bohrradius a0 , und man kann die Exponentialfunktion entwickeln (Multipolentwicklung) 1 x2 − k 2 xˆ22 + . . . . e±ikˆx2 = 1 ± ikˆ 2 Nimmt man nur den ersten Term mit, so spricht man von der Dipoln¨aherung. F¨ ur reelle A0 folgt f¨ ur den St¨orhamiltonoperator in der Dipoln¨aherung Vt =
eE0 pˆ3 cos (ωk t) , mω
wobei E0 := 2kA0 . ¨ Zur Berechnung der Ubergangswahrscheinlichkeiten zwischen den Eigenzust¨anden des Wasserstoffatoms ben¨otigen wir also Matrixelemente der Form hl0 , m0 , n0 | pˆ3 |l, m, ni . Aus [ˆ x3 , H0 ] = i~ˆ p3 /m und hl0 , m0 , n0 | [ˆ x3 , H0 ] |l, m, ni = −(En0 − En ) hl0 , m0 , n0 | xˆ3 |l, m, ni folgt, dass man die gesuchten Matrixelemente durch solche des Ortsoperators (genauer der x3 -Komponente) ausdr¨ ucken kann. Es gilt (Achtung! Man beachte das m sowohl die Masse wie auch die Drehimpulsquantenzahl bezeichnet!!) hl0 , m0 , n0 | pˆ3 |l, m, ni = imωn0 ,n hl0 , m0 , n0 | xˆ3 |l, m, ni . Matrixelemente dieser Form haben wir bereits weiter oben diskutiert. Dort haben wir gezeigt, dass m = m0 gelten muss. Eine weiter “Auswahlregel” ergibt sich zu l0 − l = ±1. Dieses sieht man wie folgt. Es gilt x3 = r cos θ ∼ Y1,0 (θ, ϕ) und Y1,0 (θ, ϕ) Yl,m (θ, ϕ) = aYl+1,m (θ, ϕ) + bYl−1,m (θ, ϕ) . Aus der Orthogonalit¨atsrelation der Kugelfl¨achenfunktionen folgt dann sofort ~ ∆l := l0 − l = ±1. Damit sind im betrachteten Fall eines E-Feldes in die ~e3 Richtung und in der Dipoln¨aherung nur Matrixelemente von Zust¨ande die m = m0 und l0 − l = ±1 erf¨ ullen nicht Null. D.h. ein solches Strahlungfeld kann nur ¨ Uberg¨ange (in Diplon¨aherung) zwischen Eigenzust¨anden des ungest¨orten Wasser~ stoffatoms induzieren, die diese Bedingungen erf¨ ullen. F¨ ur ein E-Feld in ~e1 - oder ~e2 -Richtung muss ∆m = ±1 gelten.
¨ ¨ 14.3. ZEITABHANGIGE STORUNGSTHEORIE
185
Mit den gerade angestellten Betrachtungen beschreiben wir die Absorption (En − Em > 0) und die induzierte Emission (En − Em < 0) eines Wasserstoffatoms in einem elektro-magnetischen Wechselfeld. Wir stellen fest, dass wegen |hn| V |mi| = |hm| V |ni| die Wahrscheinlichkeiten f¨ ur beide Prozesse gleich groß ist. Die ebenfalls wichtige (und Ihnen sicherlich bekannte) spontane Emission ¨ eines angeregten Atoms, kann man mit unseren bisherigen Uberlegungen nicht verstehen, da die Zust¨ande f¨ ur V = 0 stabil sind. Um diese zu beschreiben muss man das Strahlungsfeld quantisieren, was in der Vorlesung Quantenmechanik II diskutiert wird.
186
¨ KAPITEL 14. NAHERUNGSMETHODEN
Kapitel 15 Ununterscheidbare Teilchen 15.1
Allgemeine Prinzipien
Im Alltag k¨onnen wir zwei Objekte entweder dadurch unterscheiden, dass sie sich in einer “unver¨anderbaren” (im entsprechenden Kontext unver¨anderbar reicht dabei) Eigenschaft unterscheiden, oder in dem wir identische Objekte—d.h. Objekte die in allen ihren Eigenschaften u ¨bereinstimmen—bei ihrer Bewegung “mit den Augen verfolgen”. Die klassische Hamiltonfunktion zweier identischer (Masse m), geladener (Ladung q) Teilchen (spinlos) in einem ¨außeren Potenzial φ ist durch q2 p~1 2 p~2 2 + + + qφ(~x1 ) + qφ(~x2 ) 2m 2m |~x1 − ~x2 | = H(~x2 , p~2 ; ~x1 , p~1 )
H(~x1 , p~1 ; ~x2 , p~2 ) =
(15.1)
gegeben. Wie oben angedeutet, k¨onnen wir die klassischen Punktteilchen trotz identischer Eigenschaften zu allen Zeiten t unterscheiden, in dem wir zur beliebigen Zeit t0 ihre Koordinaten notieren. Wenn wir nun die Bahnen der zwei Teilchen im Raum verfolgen, oder zus¨atzlich die Anfangsgeschwindigkeiten (-impulse) messen und die Bahnen berechnen, so k¨onnen wir sicher sein, das Teilchen n = 1, 2 (und nicht n ¯ = 2, 1) zur Zeit t an einem bestimmten Ort anzutreffen. In der Quantenmechanik ist der Bahnbegriff durch die Unsch¨arferelation eingeschr¨ankt, wodurch sich bei der Beschreibung von Teilchen mit identischen Eigenschaften (Masse, Ladung, Spin) v¨ollig neue Effekte ergeben. Dabei muss festgehalten werden, dass es in der Mikrowelt im Gegensatz zur Makrowelt prinzipiell nicht m¨oglich ist “Markierungen” an die Teilchen anzubringen ohne den Charakter der Teilchen zu ¨andern. So haben z.B. verschiedene Isotope eines Atoms unterschiedliche Eigenschaften, wie Masse und Spin. Wir diskutieren zun¨achst den Fall von N = 2 identischen quantenmechanischen Teilchen. Wie im Fall zweier verschiedener Teilchen (z.B. Elektron und Proton eines Wasserstoffatoms) f¨ uhren wir den Produktraum H12 := H1 ⊗ H2 187
188
KAPITEL 15. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN
ein. Sei {|ii} eine Orthonormalbasis f¨ ur ein Teilchen der betrachteten Sorte, so kann man jeden Zustand |ψi ∈ H12 in der Form X |ψi = cij |ii(1) ⊗ |ji(2) i,j
schreiben. Das Korrespondenzprinzip liefert uns aus Gl. (15.1) den Hamiltonoperator H =
p~ˆ2 2 q2 p~ˆ1 2 ⊗ 12 + 11 ⊗ + 2m 2m |~xˆ1 ⊗ 12 − 11 ⊗ ~xˆ2 | +qφ(~xˆ1 ) ⊗ 12 + 11 ⊗ qφ(~xˆ2 ) ,
(15.2)
bzw. nach Weglassen der 1-Operatoren (meist verwendete k¨ urzere Schreibweise) H
q2 p~ˆ1 2 p~ˆ2 2 + qφ(~xˆ1 ) + + qφ(~xˆ2 ) + 2m 2m |~xˆ1 − ~xˆ2 | =: h1 + h2 + v12 . =
(15.3)
Durch seine Wirkung auf beliebige Zust¨ande |ψi ∈ H12 definieren wir den Permutationsoperator P12 , der die Zust¨ande von Teilchen 1 und 2 vertauscht X P12 |ψi = P12 cij |ii(1) ⊗ |ji(2) i,j
=
X
cij |ji(1) ⊗ |ii(2) .
i,j 2 Es ist offensichtlich, dass P12 = 1 gilt. Da weiterhin die Norm unter der Wirkung † von P12 erhalten bleibt, gilt P12 P12 = 1 (Unitarit¨at). Die Multiplikation von rechts † mit P12 liefert dann die Selbstadjungiertheit P12 = P12 . Als selbstadjungierter, unit¨arer Operator hat P12 die Eigenwerte ±1. F¨ ur die Wellenfunktion (Zustand im Produkt-Ortsraum) erh¨alt man durch Anwenden von P12 nach links
h~x1 , σ1 ; ~x2 , σ2 | P12 |ψi = h~x2 , σ2 ; ~x1 , σ1 | ψi = ψ(~x2 , σ2 ; ~x1 , σ1 ) falls h~x1 , σ1 ; ~x2 , σ2 | ψi = ψ(~x1 , σ1 ; ~x2 , σ2 ) . Wir untersuchen nun, wie der Permutationoperator Observable transformiert. Eine beliebige Observable auf H12 l¨asst sich als Summe (oder Integral) von Produkten der Form A ⊗ B schreiben f¨ ur die (A ⊗ B)(|ii(1) ⊗ |ji(2) ) = A |ii(1) ⊗ B |ji(2) =: |iA i(1) ⊗ |jB i(2)
15.1. ALLGEMEINE PRINZIPIEN
189
† gilt. Wir berechnen darauf aufbauend P12 (A ⊗ B)P12 † P12 (A ⊗ B)P12 (|ii(1) ⊗ |ji(2) ) = P12 (A ⊗ B)(|ji(1) ⊗ |ii(2) )
= P12 (|jA i(1) ⊗ |iB i(2) ) = |iB i(1) ⊗ |jA i(2) = (B ⊗ A)(|ii(1) ⊗ |ji(2) ) . Da die Zust¨ande |ii und |ji beliebig sind, folgt die Operatoridentit¨at † P12 (A ⊗ B)P12 =B⊗A.
Der Permutationsoperator vertauscht somit die Teilchen 1 und 2 und allgemein gilt † ˆ 2)P12 ˆ 1) . P12 O(1, = O(2,
(15.4)
F¨ ur den Hamiltonoperator Gl. (15.2) gilt H(1, 2) = H(2, 1) und mit Gl. (15.4) folgt [P12 , H] = 0 . Somit ist P12 eine Erhaltungsgr¨oße (Konstante der Bewegung) und gleichzeitig mit H diagonalisierbar. Aus einem beliebigen Zustand |ψi ∈ H12 erh¨alt man Eigenzust¨ande zu P12 durch Anwenden der Projektionsoperatoren 1 (1 + P12 ) . 2 1 := (1 − P12 ) . 2
S2 := A2
Die Bezeichnungen S2 und A2 stehen dabei f¨ ur symmetrisch und antisymmetrisch (und die Tatsache, dass wir zurzeit mit nur zwei Teilchen arbeiten). Die resultierenden Zust¨ande haben die Eigenschaft |ψs i := S2 |ψi
→
P12 |ψs i = |ψs i
und |ψa i := A2 |ψi
→
P12 |ψa i = − |ψa i .
Dabei gilt es zu beachten, dass die Zust¨ande selbst wenn |ψi normiert war, nicht notwendigerweise normiert sind. F¨ ur die Wellenfunktionen gilt 1 [ψ(~x1 , σ1 ; ~x2 , σ2 ) + ψ(~x2 , σ2 ; ~x1 , σ1 )] , 2 1 h~x1 , σ1 ; ~x2 , σ2 | ψa i = [ψ(~x1 , σ1 ; ~x2 , σ2 ) − ψ(~x2 , σ2 ; ~x1 , σ1 )] . 2
h~x1 , σ1 ; ~x2 , σ2 | ψs i =
190
KAPITEL 15. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN
Misst man experimentelle Konsequenzen der Symmetrie der Wellenfunktion so stellt man fest, dass ununterscheidbare Teilchen immer nur in Zust¨anden vorkommen, die Eigenzust¨ande zu P12 sind, wobei der Eigenwert (±1) nur von der Teilchensorte abh¨angt (experimentelle Tatsache). Die Wellenfunktion zweier Elektronen ist z.B. immer antisymmetrisch. Teilchen mit symmetrischen Wellenfunktionen nennt man Bosonen, Teilchen mit antisymmetrischen Wellenfunktionen Fermionen. Die Erfahrung zeigt, dass Bosonen Teilchen mit ganzzahligem Spin sind, w¨ahrend Fermionen einen halbzahligen Spin haben. Diesen Zusammenhang zwischen “Spin und Statistik” konnte Wolfgang Pauli 1940 im Rahmen der relativistischen Quantenfeldtheorie theoretisch begr¨ unden. Da die Symmetrie der Wellenfunktion durch keinen Apparat ge¨andert werden kann, sind nur Observable zugelassen, die (wie der Hamiltonoperator) beide Teilchen symmetrisch beschreiben, d.h. f¨ ur die ˆ 2) = O(2, ˆ 1) O(1, und damit ˆ ψs/a = ±O ˆ ψs/a P12 O gilt. Beispiele sind der Gesamtimpuls p~ˆ := p~ˆ1 ⊗ 12 + 11 ⊗ p~ˆ2 und der Operator der Teilchendichte ρˆ(~x) := δ(~x − ~xˆ1 ) ⊗ 12 + 11 ⊗ δ(~x − ~xˆ2 ) . In einer verk¨ urzenden Schreibweise (siehe oben) l¨asst man die Identit¨atsoperatoren 1 in Ausdr¨ ucken dieser Art h¨aufig einfach weg. F¨ ur Fermionen gilt wegen der Antisymmetrie das Pauliprinzip: Zwei ununterscheidbare Fermionen k¨onnen sich nicht im selben Einteilchenzustand befinden. Mit |b, bi := |bi ⊗ |bi gilt f¨ ur jeden antisymmetrischen Zustand |ψa i 1 hb, b| (1 − P12 ) |ψi 2 1 = (hb, b |ψi − hb, b |ψi) 2 = 0
hb, b |ψa i =
und damit ist die Wahrscheinlichkiet in dem antisymmetrischen Zustand |ψa i einen Anteil in Richtung |b, bi f¨ ur beliebige b zu finden gleich Null. Eine Besonderheit des bisher diskutierten Falls zweier ununterscheidbarer Teilchen N = 2 ist, dass der gesamte Hilbertraum H12 in den symmetrischen Teil Hs und den antisymmetrischen Teil Ha zerf¨allt, da S2 + A2 = 1
¨ 15.2. ZWEI ELEKTRONEN IM AUSSEREN POTENZIAL
191
gilt. Im Fall N ≥ 3 ergibt die Summe einer analogen Zerlegung des Produkthilbertraums H12...N = H1 ⊗H2 ⊗. . .⊗HN in die Teilr¨aume der totalsymmetrischen und der totalantisymmetrischen Zust¨ande (Definition siehe gleich) nicht den ganzen Raum. Definiert man analog zum Fall N = 2 allgemeine Permutationsoperatoren Pmn mit der Eigenschaft den Zustand des m-ten und des n-ten Teilchens zu vertauschen Pmn |i1 i(1) ⊗ . . . ⊗ |im i(m) ⊗ . . . ⊗ |in i(n) ⊗ . . . ⊗ |iN i(N ) = |i1 i(1) ⊗ . . . ⊗ |in i(m) ⊗ . . . ⊗ |im i(n) ⊗ . . . ⊗ |iN i(N ) , so nennt man einen Zustand |ψs i totalsymmetrisch falls f¨ ur alle Paare (m, n) Pmn |ψs i = |ψs i gilt. Analog nennt man einen Zustand totalantisymmetrisch falls f¨ ur alle Paare (m, n) Pmn |ψa i = − |ψa i gilt. F¨ ur die Wellenfunktionen (im Ortsraum) gilt entsprechend (der Spin ist mit in ~x enthalten) ψs (~x1 , . . . , ~xm , . . . , ~xn , . . . , ~xN ) = ψs (~x1 , . . . , ~xn , . . . , ~xm , . . . , ~xN ) , ψa (~x1 , . . . , ~xm , . . . , ~xn , . . . , ~xN ) = −ψa (~x1 , . . . , ~xn , . . . , ~xm , . . . , ~xN ) . Die Verallgemeinerung der oben zitierten experimentellen Tatsache zur Symmetrie von Wellenfunktionen unter Zustandsvertauschung fassen wir in einem weiteren Postulat zusammen: Postulat 8: Mikroobjekte mit identischen Eigenschaften (wie Masse, Ladung, Spin,. . . ) werden entweder durch totalsymmetrische (Bosonen) oder total antisymmetrische (Fermionen) Zustandsvektoren beschrieben. Fermionen haben halbzahligen und Bosonen ganzzahligen Spin. Eine allgemeine Diskussion des Falls von mehr als zwei ununterscheidbaren Teilchen wird in der Vorlesung Quantenmechanik II gegeben. Wir wollen uns hier in einem n¨achsten Schritt die Situation zweier Elektronen in einem vorgegebenen ¨außeren Potential genauer anschauen. Er ist von Relevanz bei der Beschreibung des Helium Atoms und des Wasserstoff Molek¨ uls H2 .
15.2
Zwei Elektronen im ¨ außeren Potenzial
Aufgrund der repulsiven Coulombwechselwirkung e2 /|~xˆ1 − ~xˆ2 | ist bereits dieses recht einfache “Viel”teilchenproblem nicht mehr exakt l¨osbar. In nullter N¨aherung
192
KAPITEL 15. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN
vernachl¨assigen wir zun¨achst die Elektron-Elektron-Wechselwirkung und bestimmen die (gebundenen) Eigenzust¨ande |ϕ0 i, |ϕ1 i, . . . eines Elektrons im gegebenen ¨außeren Potenzial mit Energie ε0 , ε1 , . . .. Nach dem Pauliprinzip kann man die beiden Elektronen nur dann im Zustand |ϕ0 i vorfinden, wenn sie unterschiedlichen Spin haben. Der Produktzustand |ϕ0 i(1) ⊗ |σi(1) ⊗ |ϕ0 i(2) ⊗ |−σi(2) ist bei Vernachl¨assigung der Elektron-Elektron-Wechselwirkung somit Eigenzustand zum Hamiltonoperator mit Energie 2ε0 . Er hat aber noch nicht die geforderte Antisymmetrie. Anwenden des Antisymmetrisierungsoperators A2 = (1 − P12 )/2 auf den Produktzustand liefert (0) (1) (1) (2) (2) |ψ0 i := A2 |ϕ0 i ⊗ |σi ⊗ |ϕ0 i ⊗ |−σi 1 (2) 1 (1) (1) (2) (1) (2) √ √ |ϕ0 i |ϕ0 i |σi |−σi − |−σi |σi . = 2 2 Der Ortsanteil des resultierenden Zustandes ist symmetrisch, w¨ahrend der Spinanteil antisymmetrisch ist. Ein Vergleich mit Gl. (11.8) zeigt, dass der Spinanteil das Singulett mit s = 0 und m = 0 darstellt, also Eigenvektor zum Gesamtspin und zur z-Komponente des Gesamtspins ist. Um den Bahnanteil des Grundzustandes eines Heliumatoms |ϕ0 i(n) , n = 1, 2 n¨aherungsweise zu bestimmen verwenden wir den Variationszustand 3/2
h~x |ϕ0 i =
Zeff
3/2 πa0
e−Zeff r/a0 ,
mit der zu bestimmenden “effektiven” auf ein Elektron wirkenden Kernladung Zeff (die echte Kernladung wird durch das andere Elektron abgeschirmt). Eine l¨angliche Variationsrechnung (unter Ber¨ ucksichtigung der Elektron-Elektron0 Wechselwirkung) zeigt, dass Zeff = 2 − 5/16 ≈ 1.69 woraus die Grundzustands0 energie E0 (Zeff ) ≈ −77.5eV folgt. Der experimentelle Wert ist E0exp ≈ −78.8eV. F¨ ur die Wahl Zeff = 2, was der exakten L¨osung f¨ ur das He+ -Atom entspricht, ergibt sich E0 (Zeff = 2) ≈ −74.8eV. Wir sehen also, dass die Variationsrechnung, welche die Abschirmung ber¨ ucksichtigt, zu einem deutlich besseren Wert f¨ ur die Grundzustandsenergie f¨ uhrt. Zur Bestimmung des Bahnanteils des Grundzustandes des H2 -Molek¨ uls kann man den Variationsansatz ~ 1 |/a0 ~ 2 |/a0 −Zeff |~ x−R −Zeff |~ x−R h~x |ϕ0 i = c e +e ~ 1/2 die Koordinaten der festgehaltenen (Born-Oppenheimermachen, wobei R N¨aherung) Protonen sind. Dies ist das einfachste Beispiel der in der Quantenchemie h¨aufig benutzten LCAO-Methode (linear combination of atomic orbitals) die von Hund und Mullikan entwickelt wurde. Wir wollen hiermit die Versuche der n¨aherungsweisen Bestimmung des Grundzustandes eines zwei-Elektronensystems im ¨außeren Potenzial abschließen und
¨ 15.2. ZWEI ELEKTRONEN IM AUSSEREN POTENZIAL
193
¨ uns den angeregten Zust¨anden zuwenden. Wir starten wieder mit Uberlegungen zum Helium Atom. Befinden sich die Elektronen in verschiedenen Ortszust¨anden |ϕ0 i und |ϕ1 i (z.B. in den 1s und 2s Zust¨anden), so darf der Spinzustand beider Elektronen gleich sein. Der entsprechende antisymmetrische Zustand lautet 1 (1) (2) (1) (2) √ |ϕ0 i |ϕ1 i − |ϕ1 i |ϕ0 i |σi(1) |σi(2) . |ψ10,σσ i = 2 Er ist ein Spin-Triplett Zustand (Eigenzustand zum Gesamtspin) mit s = 1 und m = ±1. Der Erwartungswert des spinunabh¨angigen Hamiltonoperators Gl. (15.3) in diesem Zustand lautet 1 [hϕ0 , ϕ1 | H |ϕ0 , ϕ1 i + hϕ1 , ϕ0 | H |ϕ1 , ϕ0 i 2 − hϕ0 , ϕ1 | H |ϕ1 , ϕ0 i − hϕ1 , ϕ0 | H |ϕ0 , ϕ1 i] = hϕ0 | h |ϕ0 i + hϕ1 | h |ϕ1 i + hϕ0 , ϕ1 | v12 |ϕ0 , ϕ1 i − hϕ0 , ϕ1 | v12 |ϕ1 , ϕ0 i . | {z } | {z }
hψ10,σσ | H |ψ10,σσ i =
=:I
=:J
Dabei haben wir die Orthogonalit¨at der Einteilcheneigenzust¨ande, h1 = h2 =: h und v12 = v21 ausgenutzt. Sind die |ϕj i die Eigenzust¨ande zu h, so ergeben die ersten beiden Terme die Summe der zugeh¨origen Einteilcheneigenwerte ε0 + ε0 . Die beiden auftretenden Matrixelemente der Elektron-Elektron(-Coulomb)Wechselwirkung bezeichnet man als Coulombintegral I und Austauschintegral J. Deren physikalische Bedeutung erfasst man am leichtesten in der Ortsdarstellung Z Z 1 2 |ϕ1 (~x2 )|2 d3 x1 d3 x2 I = e |ϕ0 (~x1 )|2 |~x1 − ~x2 | Z Z 1 J = e2 ϕ1 (~x1 )ϕ0 (~x2 ) d3 x1 d3 x2 . ϕ∗0 (~x1 )ϕ∗1 (~x2 ) |~x1 − ~x2 | Das Integral I ist die elektrostatische Energie der beiden Ladungsdichten e |ϕj (~x)|2 . Das Austauschintegral J hat kein direktes klassisches Analogon. Das Minuszeichen vor dem J ergibt sich aufgrund der Antisymmetrie des Bahnanteils des Zustandes. Ein entsprechender Zustand zweier Bosonen h¨atte an dieser Stelle ein Pluszeichen. Der antisymmetrische Zustand zum Gesamtspin s = 0 in dem die Einteilchenzust¨ande |ϕ0 i und |ϕ1 i besetzt sind hat einen symmetrischen Bahnanteil und einen antisymmetrischen Spinanteil und lautet 1 1 |ψ10,s=0 i = √ |ϕ0 i(1) |ϕ1 i(2) + |ϕ1 i(1) |ϕ0 i(2) √ (|↑, ↓i − |↓, ↑i) . 2 2 Der Erwartungswert von H in diesem Zustand ergibt sich damit zu hψ10,s=0 | H |ψ10,s=0 i = hϕ0 | h |ϕ0 i + hϕ1 | h |ϕ1 i + I + J .
194
KAPITEL 15. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN
Man kann zeigen, dass I und J positiv sind und daher hat der Zustand zum Gesamtspin s = 1 eine niedrigere Gesamtenergie. Anschaulich l¨asst sich diese Beobachtung wie folgt verstehen. Der Zustand mit s = 1 hat eine antisymmetrische Ortswellenfunktion, die f¨ ur ~x1 = ~x2 verschwindet. Im s = 0 Zustand dagegen k¨onnen sich die beiden Elektronen beliebig nahe kommen, was zu einer erh¨ohten Elektron-Elektron-Wechselwirkung f¨ uhrt. Obwohl der Hamiltonoperator spinunabh¨angig ist, f¨ uhrt die Elektron-Elektron-Wechselwirkung zusammen mit der Antisymmetrie zu einer Spinabh¨angigkeit der Energie.
15.3
Das Periodensystem der Elemente
Das Pauliprinzip bildet die Grundlage zum Verst¨andnis des Periodensystems der Elemente. Zwar sind die im letzten Kapitel verwendeten antisymmetrisierten Produktzust¨ande nicht gut genug zur quantitativen Berechnung der Energieeigenwerte des Hamiltonoperators ! Z 2 2 ˆ X eZ 1X e2 p~i − + , H= 2m 2 i6=j |~xˆi − ~xˆj | |~xˆi | i=1 man kann aber den Vielteilchengrundzustand und die angeregten Zust¨ande durch Angabe der besetzten Einteilchenzust¨ande klassifizieren. Der Grundzustand des Kohlenstoffs wird dann z.B. durch die Angabe (1s)2 ,(2s)2 ,(2p)2 charakterisiert. Ein Anregungszustand ist z.B. durch (1s)2 ,(2s)2 ,(2p),(3s) gegeben. Aufgrund der Elektron-Elektron-Wechselwirkung und anderer bisher nicht ber¨ ucksichtigter Terme (z.B. der Spin-Bahn-Kopplung Gl. (11.10)) spalten die Zust¨ande 1s, 2s, 2p, . . . energetisch auf. Sie bilden Multipletts. Die Energieabst¨ande zwischen den verschiedenen Multipletts sind groß verglichen mit den Energieabst¨anden innerhalb der Multipletts. Die Aufspaltungsenergien h¨angen von den Werten des Gesamtdrehimpulses L und des Gesamtspins S ab. Den Grundzustand findet man u ¨ber die empirischen Hundschen Regeln: 1) Das LS-Multiplett mit maximalem S hat die niedrigste Energie. 2) Sind bei maximalem S mehrere L-Werte m¨oglich, so f¨ uhrt der gr¨oßte LWert zur niedrigsten Energie. ˆ ~ˆ ~ˆ Bildet man den Gesamtdrehimpuls J~ = L + S, so h¨angt die Grundzustandenergie auch noch von J ab, falls die Spin-Bahn-Kopplung ber¨ ucksichtigt wird. Es ergibt sich die dritte Regel: 3) Eine nicht mehr als halbgef¨ ullte Schale hat den kleinsten m¨oglichen Wert J = |L − S|. Eine mehr als halb gef¨ ullte Schale hat den gr¨oßten m¨oglichen Wert J = L + S.
15.3. DAS PERIODENSYSTEM DER ELEMENTE
195
F¨ ur das Beispiel des Kohlenstoffatom ergibt sich nach diesen Regeln, dass im Grundzustand die 1s und 2s Niveaus mit jeweils einem “spinrauf” und einem “spinrunter” Elektron vollst¨andig besetzt sind und vom 2p Niveau die Zust¨ande mit m = 1 und m = 0 mit jeweils einem “spinrauf” Elektron besetzt sind. Das liefert S = 1, L = 1 und J = 0 (weniger als halbgef¨ ullte Schale). Aus Zeitgr¨ unden werden wir es bei diesen recht groben Betrachtungen zum Periodensystem der Elemente belassen und verweisen auf die Atomphysik Vorlesung in der experimentellen Physik.
196
KAPITEL 15. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN
Kapitel 16 Verschr¨ ankung und lokaler Realismus 16.1
Zwei-Photonen-Zust¨ ande
In den letzten Kapiteln haben wir wiederholt diskutiert, wie man Mehrteilchensysteme beschreibt. Hier wollen wir den Themenkreis dieser Vorlesung schließen und zu der quantenmechanischen Beschreibung der Polarisation von Photonen aus Kapitel 1.2 zur¨ uckkehren; diesmal jedoch mit dem Ziel die Quantenmechanik von Zwei-Photonen-Zust¨anden zu verstehen. Wir werden sehen, dass solche Zust¨ande das Potenzial einer quantenmechanischen Eigenschaft in sich tragen, die wir bisher nicht ausf¨ uhrlich untersucht haben: Verschr¨ankung (oder englisch “entanglement”). Schon jetzt soll betont werden, dass diese kein klassisches Analogon besitzt und u ¨berraschende Konsequenzen nach sich zieht. Wie zu Beginn ¨ der Vorlesung beziehen wir unsere Uberlegungen auf Gedanken-Experimente. In weniger idealer Form sind diese aber auch ausf¨ uhrbar. In einem Experiment f¨allt ein einzelnes Photon eines Pumplasers auf einen speziellen Kristall. In diesem werden durch den Prozess der spontanen, parameterischen “downconversion” zwei Photonen erzeugt, die zur gleichen Zeit den Kristall verlassen. Die Frequenzen und Impulse des “signal” and “idler” Photons sind korreliert. In dem Typ des “downconversion” Prozesses auf den wir uns beschr¨anken, sind die Polarisationen des Photonenpaars gleich und senkrecht zu der des Pump-Photons. Wenn das Pump-Photon also bez¨ uglich seiner Polarisation im Zustand |1i (zur Notation siehe Kapitel 3.1) ist, ist das Photonenpaar im Zustand |3, 3i = |3is ⊗ |3ii . Wir werden im Folgenden 1 → V (vertikale Polarisation) und ¨ 3 → H (horizontale Polarisation) ersetzen. Wie Sie in den Ubungen kennengelernt haben, gibt es optische Elemente, die die Polarisationsebene drehen k¨onnen. Wir betrachten hier eine Rotation um π/4 (mathematisch positiv). Bringen wir ein solches Element in den optischen Pfad des Signal-Photons – das Photonenpaar ist nach der “downconversion” r¨aumlich getrennt – so ist das System im Zustand 197
198
¨ KAPITEL 16. VERSCHRANKUNG UND LOKALER REALISMUS
(in selbsterkl¨arender Notation) |+π/4, Hi = |+π/4is ⊗ |Hii 1 = √ (|His + |V is ) ⊗ |Hii 2 1 = √ (|His ⊗ |Hii + |V is ⊗ |Hii ) 2 1 = √ (|H, Hi + |V, Hi) . 2 Wenn wir zus¨atzlich ein optisches Element in der Pfad des “idler”-Photons bringen, welches |Hii → |Rii u uhrt (rechts-zirkular), so ergibt sich ¨berf¨ |+π/4, Ri = |+π/4is ⊗ |Rii 1 1 = √ (|His + |V is ) ⊗ √ (|Hii − i |V ii ) 2 2 1 = (|H, Hi − i |H, V i + |V, Hi − i |V, V i) . 2 Dieser Zustand ist eine Linearkombination aller vier Produktbasiszust¨ande. Wir wollen nun berechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist zu messen, dass im Zustand |+π/4, Ri, dass Signal-Photon vertikal und dass “idler”-Photon horizontal polarisiert sind1 |hV, H |+π/4, Ri|2 h+π/4, R |V, Hi hV, H |+π/4, Ri h+π/4, R| (|V, Hi hV, H|) |+π/4, Ri h+π/4, R| (|V is s hV | ⊗ |Hii i hH|) |+π/4, Ri |s hV |+π/4is i hH |Rii |2 1 . = 4
w(Vs , Hi ) = = = = =
Man kann f¨ ur den Zwei-Photonen-Zustand nat¨ urlich auch die altenative Frage stellen, wie große die Wahrscheinlichkeit ist, bei einer Messung das “idler”Photon horizontal polarisiert vorzufinden, ohne u ¨berhaupt nach dem Polarisationszustand des Signal-Photons zu fragen (ohne diesen zu messen) w(Hi ) = h+π/4, R| (1s ⊗ |Hii i hH|) |+π/4, Ri = |i hR |Hii |2 s h+π/4 |+π/4is 1 = . 2 1
Im Gegensatz zu der Notation die wir zuvor h¨aufig verwendet haben, kommt der Zustand im Symbol f¨ ur die Wahrscheinlichkeit nicht vor. Die Wahrscheinlichkeit h¨angt aber selbstverst¨andlich vom Zustand ab!
¨ ¨ 16.2. VERSCHRANKTE-ZUST ANDE
199
Eine weitere Frage die man stellen kann ist, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Signal-Photon vertikal polarisiert gemessen wird unter der Bedingung, dass das “idler”-Photon horizontal Polarisiert gemessen wird. Es handelt sich hierbei um eine bedingte Wahrscheinlichkeit. Die “Wahrscheinlichkeitslogik” sagt einem, dass die bedingte Wahrscheinlichkeit w(Vs | Hi ) durch w(Vs , Hi ) = w(Vs | Hi )w(Hi ) ⇒ w(Vs | Hi ) =
w(Vs , Hi ) w(Hi )
von den bereits berechneten Wahrscheinlichkeiten festgelegt wird. Es gilt also im Beispiel w(Vs | Hi ) =
16.2
1/4 1 w(Vs , Hi ) = = . w(Hi ) 1/2 2
Verschr¨ ankte-Zust¨ ande
Wir betrachten nun einen “downconversion”-Prozess, bei dem ein Photonen auf einen Doppelkristall trifft, wobei die beiden Kristallachsen um π/2 gegeneinander rotiert sind. Damit konvertiert das eine Kristall ein vertikal polarisiertes PumpPhoton in ein Paar von Signal- und “idler”-Photonen die jeweils horizontal polarisiert sind und das andere Kristall ein horizontal polarisiertes Pump-Photon in ein vertikal polarisiertes Paar. Wenn die Kristalle idealisiert unendlich d¨ unn sind und das Pump-Photon eine +π/4-Polarisation hat, kann man keine Information dar¨ uber gewinnen, in welchem der beiden Kristalle das Photonen-Paar erzeugt wurde. Der Zustand ist daher durch + φ = √1 (|H, Hi + |V, V i) , 2 also eine Linearkombination, beschrieben.2 In Worten bedeutet das, dass das Photonen-Paar in beiden (Basis-)Zust¨anden “zur gleichen Zeit” ist, nicht, dass es entweder in dem einen oder dem anderen (Basis-)Zustand ist. Mathematisch gesprochen, ist dieses der Unterschied zwischen einer Linearkombination und einem sogenannten gemischten Zustand. In letzterem ist das Photonen-Paar mit einer klassischen Wahrscheinlichkeit zu 50% im Zustand |H, Hi und zu 50% in |V, V i. Sie werden das Konzept der gemischten Zust¨ande und der zugeh¨origen Dichtematrix (dem statistischen Operator) im Kapitel u ¨ber Quantenstatistik in der Vorlesung Theoretische Physik IV genauer kennenlernen. Wir betonen 2
Ob dieses Gedanken-Experiment jenseits des Limits verschwindender Dicke besonders geeignet ist zu illustrieren, wie ein Zwei-Photonen-System in einer entsprechende Linearkombination pr¨ apariert werden kann, m¨ ochte ich dahingestellt lassen. Wichtig f¨ ur unseren Zweck ist nur, dass man durch geeignete Manipulationen solche Linearkombinationen experimentell “herstellen” kann.
200
¨ KAPITEL 16. VERSCHRANKUNG UND LOKALER REALISMUS
nocheinmal (zum Schluss der Vorlesung), dass die mathematische Formulierung deutlich pr¨aziser ist, als die (Alltags-)Sprache. Die (alltags-)sprachliche Formulierung quantenmechanischer Ph¨anomene erscheint ja z.B. im Fall des DoppelspaltExperiments mit “Teilchen”, wo jedes, um die Interferenz zu erkl¨aren, sowohl durch den oberen, wie durch den unteren Spalt “gehen” muss, nahezu “absurd”. Der obige Zustand |φ+ i kann nicht als Produktzustand geschrieben werden. Damit macht es keinen Sinn mehr davon zu sprechen, dass das Signal- oder das “idler”-Photon f¨ ur sich genommen in einem bestimmten Zustand sind. Man nennt solche Zust¨ande verschr¨ankt. Sie sind inh¨arent Zust¨ande des Gesamtsystems. Wir haben ohne explizit darauf hinzuweisen bereits zuvor mit solchen Zust¨anden zu tun gehabt. Am Besten versteht man die Eigenschaften von |φ+ i in dem man sich Gedanken u ¨ber die Messwahrscheinlichkeiten macht. Zun¨achst wollen wir die Wahrscheinlichkeit bestimmen, das Signal-Photon horizontal polarisiert vorzufinden
w(Hs ) = φ+ (|His s hH| ⊗ 1i ) φ+ 1 1 = √ (hH, H| + hV, V |) (|His s hH| ⊗ 1i ) √ (|H, Hi + |V, V i) 2 2 1 (hH, H| + hV, V |) |H, Hi = 2 1 = . (16.1) 2 Im n¨achsten Schritt berechnen wir die (bedingte) Wahrscheinlickeit, dass SignalPhoton horizontal polarisiert vorzufinden, unter der Bedingung, dass das “idler”Photon ebenfalls diese Polarisation hat w(Hs | Hi ) =
w(Hs , Hi ) . w(Hi )
V¨ollig analog zur Rechnung Gl. (16.1) gilt w(Hi ) = 1/2. Mit
w(Hs , Hi ) = φ+ (|H, Hi hH, H|) φ+ 1 = 2 ergibt sich w(Hs | Hi ) =
w(Hs , Hi ) 1/2 = =1. w(Hi ) 1/2
Die Ergebniss w(Hs ) = 1/2 und damit w(Vs ) = 1/2 sagt uns, dass die Messung der Polarisation des Signal-Photon vollst¨andig “zuf¨allige” Ergebnisse liefert: Bei einer H¨alfte der Messungen wird man es horizontal Polarisiert vorfinden, bei der anderen vertikal. Wenn jedoch das “idler”-Photon horizontal gemessen wird,
¨ ¨ 16.2. VERSCHRANKTE-ZUST ANDE
201
dann wird in 100% der F¨alle wegen w(Hs | Hi ) = 1 das Signal-Photon ebenfalls horizontal gemessen. Wir haben diese Art von “Zuf¨alligkeit” und Korrelation in |φ+ i bisher nur bei der Messung von V - und H-Polarisation gezeigt. Sie ist aber auch bei anderen Polarisationsmessungen gegeben. Um sich davon zu u ¨berzeugen sollten Sie z.B. w(+π/4s ) = w(+π/4i ) = 1/2 und w(+π/4s | + π/4i ) = 1 in |φ+ i zeigen. Schon jetzt wollen wir festhalten, dass die klassische Physik die beobachtete starke Korrelation nicht erkl¨aren kann. Ein “scharfer Blick” auf den Zustand kann einen zu den obigen Wahrscheinlichkeiten f¨ uhren, es ist aber ratsam, dieses explizit durch die hier angestellten Rechnungen zu best¨atigen. Wir lernen aus diesen Rechnungen, dass die individuellen Polarisierungen vollst¨andig zuf¨allig sind, die Ergebnisse der Messungen aber vollst¨andig korreliert sind. Keines der Photonen hat eine wohldefinierte Polarisation, wenn jedoch die Polarisation des einen Partners bekannt ist (gemessen wurde), ist die des anderen Photons eindeutig festgelegt. Wie wollen nun nocheinmal den Unterschied zwischen einer Linearkombination und einem gemischten Zustand, der Elemente klassischer, aus mangelnder Information resultierender, Wahrscheinlichkeit enth¨alt beleuchten. Betrachten wir dazu die Situation, dass das Pump-Photon vor der “downconversion” an einem einfachen (!!) Kristall einen Polarisator durchl¨auft, der (klassisch) zuf¨allig auf V oder H-Durchlass gestellt wird (z.B. durch Ausw¨ urfeln). Entsprechend ist das Paar (klassisch) zuf¨allig in |H, Hi oder |V, V i. Die (klassische) Wahrscheinlichkeit, dass |H, Hi vorliegt, bezeichnen wir mit w (|H, Hi) und analog f¨ ur |V, V i. Die (quantenmechanische) Wahrscheinlichkeit die Polarisation as und bi bei vorliegendem |H, Hi zu messen, bezeichnen wir mit w(as , bi | |H, Hi) (bedingt!!) und analog f¨ ur |V, V i. Wir wollen nun zeigen, dass im gemischten Zustand mit w (|H, Hi) = 1/2 = w (|V, V i) die Korrelation anders als im verschr¨ankten Zustand sind. Dazu berechnen wir zun¨achst
w(+π/4s , +π/4i ) = w(+π/4s , +π/4i | |H, Hi)w (|H, Hi) +w(+π/4s , +π/4i | |V, V i)w (|V, V i) 1 hH, H| +π/4, +π/4i h+π/4, +π/4| H, Hi = 2 1 + hV, V | +π/4, +π/4i h+π/4, +π/4| V, V i 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 √ √ √ √ +√ √ √ √ = 2 2 2 2 2 2 2 2 2 1 = . 4
¨ KAPITEL 16. VERSCHRANKUNG UND LOKALER REALISMUS
202
Wir betrachten dann w(+π/4i ) = w(+π/4i | |H, Hi)w (|H, Hi) + w(+π/4i | |V, V i)w (|V, V i) 1 1 = ihH| +π/4ii i h+π/4| Hii + ihV | +π/4ii i h+π/4| V ii 2 2 1 1 1 1 1 √ √ +√ √ = 2 2 2 2 2 1 = . 2 Damit folgt w(+π/4s |+π/4i ) =
1/4 1 = 1/2 2
was offensichtlich verschieden ist vom Ergebnis f¨ ur den verschr¨ankten Zustand (wo die bedingte Wahrscheinlichkeit 1, d.h. die Korrelation “perfekt” ist!). Es ist wichtig festzuhalten, dass die bedingte Wahrscheinlichkeit w(Hs |Hi ) im gemischten Zustand 1 ist (rechnen Sie das nach!) und sich damit der verschr¨ankte und der gemischte Zustand nicht bei jedem Typ von Messung unterscheiden lassen. Es gibt aber immer Messungen, bei denen der Unterschied offensichtlich wird.
16.3
Ein Test fu ¨ r den lokalen Realismus
Wir betrachten einen experimentellen Aufbau a¨hnlich zu dem, den wir beschrieben habe um verschr¨ankte Photonenpaare “zu erzeugen”. Die notwendigen Unterschiede zu diesem, werden wir weiter unten erw¨ahnen. Die Signal-Photonen werden zu Alice gesandt, die “idler”-Photonen zu Bob. Alice und Bob sind r¨aumlich weit voneinader getrennt und f¨ uhren unabh¨angig voneinander (ohne miteinander zu kommunizieren) Messungen an ihren Photonen durch. Die Quelle der Photonen-Paare ist in der Mitte zwischen beiden, so dass die Photonen gleichzeitig bei Alice und Bob eintreffen. Alice Photonen gehen durch einen Polarisationsanalysator in Richtung ΘA . Sie findet ihr Photon mit Wahrscheinlichkeit w(ΘA ) paralllel zu ΘA polarisiert und mit Wahrscheinlichkeit w(Θ⊥ A ) senkrecht zu ΘA . Bob geht analog vor mit dem Winkel ΘB . Alice und Bob k¨onnen ihre Polarisationsanalysatoren jeweils rotieren. Alice misst also entweder bez¨ uglich ΘA1 oder ΘA2 wobei ΘA1 oder ΘA2 jeweils zuf¨allig gew¨ahlt wird. Bob geht analog vor, wobei die Wahl der Winkel zwischen Alice und Bob nicht abgesprochen wird. F¨ ur jedes Photon notieren Alice und Bob die Ankunftzeit, den gew¨ahlten Winkel und die gemessene Polarisation. Nach dem Abschluss aller Messungen treffen sich Alice und Bob und vergleichen f¨ ur jedes Photonen-Paar (eindeutig durch die Ankuftzeit zu identifizieren) die Ergebnisse. Dabei bestimmen sie Wahrscheinlichkeiten wie z.B. w(ΘA1 , ΘB2 ). Sie stellen folgendes fest:
¨ DEN LOKALEN REALISMUS 16.3. EIN TEST FUR
203
1. Wenn Alice ΘA1 w¨ahlt und Bob ΘB1 , messen sie die Polarization in dieses Richtungen in 9% aller F¨alle: w(ΘA1 , ΘB1 ) = 0.09. 2. In den Versuchen, in denen Alice ΘA1 w¨ahlt und Bob ΘB2 , misst Bob unter der Bedingung, dass Alice die Polarisation in Richtung ΘA1 misst, immer die Polarisation in Richtung ΘB2 : w(ΘB2 |ΘA1 ) = 1. 3. In den Versuchen, in denen Alice ΘA2 w¨ahlt und Bob ΘB1 , misst Alice unter der Bedingung, dass Bob die Polarisation in Richtung ΘB1 misst, immer die Polarisation in Richtung ΘA2 : w(ΘA2 |ΘB1 ) = 1. Neben den jetzt diskutierten drei Wahlen der Winkel, gibt es eine vierte. Wir wollen nun versuchen, aus den obigen drei Beobachtungen R¨ uckschl¨ usse auf Ergebnisse bei der vierten Winkelwahl zu ziehen. Wir betrachten die Versuche aus Beobachtung 1. Was passiert, wenn Bob seine Meinung ¨andert und die Polarisation in Richtung ΘB2 misst? Da Alice ja die Polarization ΘA1 misst, sagt uns die Beobachtung 2., dass Bob immer die Polarisation ΘB2 vorfindet. Augfrund der ¨ Beobachtung 3. gilt eine analoge Uberlegung, wenn Bob weiterhin in Richtung ΘB1 misst, aber Alice ihre Meinung ¨andert und den Polarisationsmesser auf ΘA2 stellt. Sie wird mit Wahrscheinlichkeit 1 die Polarisation in Richtung ΘA2 messen (und mit Wahrscheinlichkeit 0 in Richtung Θ⊥ A2 ). Was passiert nun, wenn beide ihre Meinung ¨andern und die Polarisatoren auf ΘA2 und ΘB2 drehen? In diesem Fall wird Alice ihr Photon in Richtung ΘA2 polarisiert messen und Bob seins in Richtung ΘB2 . Damit gilt w(ΘA2 , ΘB2 ) ≥ w(ΘA1 , ΘB1 ) = 0.09 .
(16.2)
Die Messung ergibt aber w(ΘA2 , ΘB2 ) = 0! Bevor wir uns u ¨ber diesen Widerspruch wundern, m¨ ussen wir nat¨ urlich sicherstellen, dass es einen Zustand gibt, der die obigen Wahrscheinlichkeiten inklusive w(ΘA2 , ΘB2 ) = 0 liefert. Sie k¨onnen √ √ nachrechnen, dass |ψi = 0.2 |H, Hi + 0.8 |V, V i diese liefert, falls ΘA1 = 19o , ΘA2 = −35o , ΘB1 = −19o und ΘB2 = 35o . Mit entsprechenden Modifikationen an der Photon-Paar-Quelle, l¨aßt sich dieser Zustand tats¨achlich realisieren. Was ¨ kann sonst nicht stimmen? Es sind zwei Annahmen in die obigen Uberlegungen eingeflossen, die wom¨oglich falsch sind. ¨ 1. Lokalit¨at: Wir sind in unseren Uberlegungen davon ausgegangen, dass eine Messung an einem Ort (bei Alice) diejenige am anderen (bei Bob) nicht beeinflussen kann. 2. Realit¨at: Wir sind ebenfalls davon ausgegangen, dass die physikalisch messbaren Gr¨oßen definierte Werte haben bevor sie u ¨berhaupt gemessen werden. In der Tat verletzt die Quantenmechanik diese beiden Annahmen.3 Aus Zeitgr¨ unden k¨onnen wir nicht weiter auf diese Fragen eingehen. Ungleichungen von 3
Die gef¨ uhrte Diskussion zeigt nat¨ urlich nur, dass zumindest eine der Annahmen falsch sein muss. Es gibt andere Experimente, die dieses getrennt belegen.
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¨ KAPITEL 16. VERSCHRANKUNG UND LOKALER REALISMUS
dem Typ Gl. (16.2) bezeichnet man als Bellsche Ungleichungen. Es wurden mehrere experimentelle Nachweise der Ung¨ ultigkeit von Ungleichungen dieses Typs erbracht.