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„Tiefe“ Inkarnation An Weihnachten feiert die Christenheit die Inkarnation, die Fleischwerdung Gottes in einer Welt aus Materie. Dass die Inkarnation des Gotteswortes in Jesus von Nazareth eine kosmische Bedeutung hat, sagt die Bibel zu Beginn des Johannesevangeliums. Die göttliche Macht hinter der Schöpfung, das Wort durch das alles geschaffen ist, wird identifiziert mit dem Wort, das Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat. Diese theologischen Zusammenhänge werden in einer ökologischen Theologie in den Dialog mit den Naturwissenschaften gebracht. Das Konzept einer „tiefen“ Inkarnation ermöglicht einen bereichernden Blick auf den im Fleisch, das heisst in Materie, existierenden Gottmenschen. Das Wort des Dekans zu Weihnachten wird zunächst die ökologische Theologie am Beispiel eines ihrer Anliegen vorstellen und dann auf das Konzept der „tiefen“ Inkarnation eingehen, wie es der diesjährige Ehrendoktor der Theologischen Fakultät, ein ökologischer Theologe, definiert. Anschliessend wird gezeigt, dass seine Aussagen zur Evolution als Schöpfung sich mit den Ansichten eines Spezialisten der Mikrobiologie und Nobelpreisträgers für Medizin und Physiologie treffen. Es ist also möglich, beim Nachdenken über die Inkarnation im Rahmen der Evolution Naturwissenschaft und Theologie zusammenklingen zu lassen. Ein Anliegen der ökologischen Theologie ist es, das traditionelle Verständnis philosophischer und theologischer Konzepte daraufhin abzuklopfen, ob es anthropozentrisch verengt ist. Denn seit der beginnenden Neuzeit stellt die verbreitete Sichtweise westeuropäischen Denkens den Menschen, griechisch „anthropos“, in den Mittelpunkt. Das zeigt sich beispielsweise im Deutschen darin, dass man Inkarnation mit Menschwerdung übersetzt, obwohl das lateinische Wort eigentlich „Fleisch-Werdung“ bedeutet (vgl. lat. caro, carnis „Fleisch“). Das Französische hat sogar eine androzentrische – auf den Mann (griechisch „andros“) zielende – Engführung in der Rede vom „Dieu qui s’est fait homme“, weil in „homme“ immer „Mann“ mitklingt. Mensch-Werdung erweckt den Eindruck, als hätte Gott in seinem Erlösungswerk nur den Menschen im Blick, obwohl die Bibel mehrmals betont, dass Jesus die gesamte Schöpfung erlöst (Röm 8,19-22; 11,36; Kol 1,15-17). Fleisch dagegen ist in der Bibel ein Ausdruck, der die materielle und vergängliche Daseinsweise der Geschöpfe hervorheben will. Wer von der „Fleisch-Werdung“ Gottes spricht, schliesst ein, dass Gott in Jesus Materie, Kohlenstoffe, Aminosäuren, usw. angenommen hat. „Tiefe“ Inkarnation bedenkt, dass der Leib Jesu aus Atomen besteht, die in den nuklearen Schmelzöfen der Sterne produziert wurden. Er ist abhängig vom Zusammenwirken der Milliarden von Mikroben, die ihn bewohnen. Er existiert nur in gegenseitiger Abhängigkeit mit allen anderen Organismen und allen Systeme, die das Leben auf der Erde erhalten. Das theologische Konzept der „tiefen“ Inkarnation wurde von Denis Edwards in seiner festlichen Vorlesung am 16. November anlässlich der Verleihung der Würde des Ehrendoktors vorgestellt. „Tiefe” Inkarnation meint eine Inkarnation in das innerste Gewebe der biologischen Existenz und des Systems der Natur. Gott tritt bei der Inkarnation in Christus in das biologische Leben ein und wird ein Teil der sich entwickelnden Schöpfung. Denis Edwards beruft sich auf den Kirchenlehrer Athanasius, für den das absolut grundlose und unvergleichliche Ereignis der Menschwerdung des Wortes in Jesus von Nazareth ein Ereignis ist, das in einzigartiger Weise das Wort Gottes mit Jesu eigener biologischen und materiellen Wirklichkeit in all ihrer unvollendeten, evolutionären Natur verbunden hat. „Tiefe“ Inkarnation ist mit der Evolution des Lebens auf dem Planeten Erde, ja mit der Evolution des ganzen Universums seit dem Urknall verbunden. Die gesamte Menschheit und auch die Menschheit Jesu sind ein Teil der Evolution des Lebens, beginnend bei seinem mikrobiellen Ursprung vor 3,7 Milliarden Jahren. Im
materiellen Leib Jesu wird Gott vereinigt mit allem, was bei der Evolution durch natürliche Selektion herausgekommen ist. Der Zusammenhang von Inkarnation und Schöpfung, die beide kosmologisch und biologisch mit der Evolution des Universums und des Lebens zu tun haben, verbindet die Theologie mit den Naturwissenschaften. Der schweizerische Mikrobiologe und Nobelpreisträger Werner Arber hat anlässlich der Einweihung der Science & Religion Bibliothek an der Universität Bern am 9. Dezember einen Vortrag mit dem Titel „Evolution als Schöpfung“ gehalten. Darin erklärte er, dass die Bildung natürlicher Varianten durch Veränderungen im Erbgut, welche die Evolution vorantreibt, eine Strategie darstellt, durch die immer neue Lebensformen entstehen, die sich möglicherweise besser in veränderten Lebensbedingungen zurechtfinden. Charles Darwin hat die Evolutionsgeschichte des Lebens auf dem Planeten Erde als Baum dargestellt, der sich von einem Ursprung und wenigen Ahnen immer mehr verzweigt. Es entsteht immer komplexeres und auf einen spezifischeren Lebensraum angepasstes Leben. Doch ist naturwissenschaftlich bis heute nicht geklärt, wie es zum Ursprung des Lebens auf der Erde kam und ob das Leben einmal entstand oder ob es mehrere Prozesse der Entstehung des Lebens nebeneinander gab. Werner Arber bezeugte, dass er hinter der Evolution des Lebens eine Macht am Werk sieht, die man göttlich nennen kann. Im nachfolgenden Gespräch konkretisierte er, dass er als Christ diese Macht Gottes Geist nennen würde. Die Verbindung von Evolution und Gottes Schöpfergeist findet sich auch in den Worten des australischen Theologen Denis Edwards. Er sagte in seinem Festvortrag: Wie sollen wir Gottes schöpferisches und erlösendes Handeln im Prozess der evolutionären Entstehung des Universums während 13,7 Milliarden Jahren und des Lebens auf der Erde während 3,7 Milliarden Jahren denken? Im Bemühen, eine christliche Theologie der natürlichen Welt im Licht der Evolution zu entwickeln, finde ich es hilfreich, den Geist als die Energie der Liebe zu denken, die im Prozess des Hervorgehens des Universums und der Evolution des Lebens auf der Erde am Werk ist. Der Schöpfergeist kann als immanent in allem angesehen werden, das in unserem Universum existiert. Er befähigt die Geschöpfe zum Dasein und dazu miteinander zu interagieren sowie sich gemäss den Naturgesetzen und den in den Naturwissenschaften diskutierten Prozessen zu etwas Neuem zu entwickeln. Wenn Christen Weihnachten im Geiste der „tiefen“ Inkarnation feiern, dann sagt das etwas über sie selbst aus. Die tiefe Inkarnation Gottes in die biologische Materie stellt heraus, dass alle Menschen Teil eines evolutionären Prozesses sind. Biologisch wird dieser Prozess getrieben von einer Macht der Selbstorganisation zu immer komplexeren Systemen. Theologisch wird er getrieben von der Macht der Liebe und des Heiligen Geistes. Weihnachten bedeutet, wir sind gemeint und beschenkt durch einen göttlichen Plan, der die ganze materielle Schöpfung und darin auch jeden Menschen zu Schwester und Bruder des Gotteswortes macht, das Fleisch geworden ist (Joh 1,14).