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AUS DER FORSCHUNG
Trauer nach Suizid Heidi Müller und Hildegard Willmann John R. Jordan: Bereavement after Suicide. In: Psychiatric Annals, Oktober 2008, Vol. 38, Nr. 10, S. 1–6. Der Tod einer geliebten Person ist für viele Menschen eine belastende Lebenserfahrung. Bei der Verarbeitung des Verlustes spielen die Todesumstände eine wichtige Rolle, insbesondere wenn es sich um einen plötzlichen und gewaltsamen Tod handelt, wie dies bei einem Suizid der Fall ist. In diesem Artikel beschreibt John R. Jordan die Folgen, die ein Suizid für die Hinterbliebenen haben kann. Zunächst benennt er die Aspekte, die Angehörige aufgrund der Todesart als problematisch erleben. Dann führt er übliche Interventionsangebote auf und erläutert einige grundlegende Aspekte für die Arbeit mit den Hinterbliebenen. Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis Die wissenschaftliche Erkenntnislage lässt keine eindeutige Antwort auf die Frage zu, ob sich die Trauer nach einem Suizid grundlegend von der Trauer nach einem Tod durch andere Ursachen unterscheidet. Die Hinterbliebenen erleben den Verlust als ebenso schmerzlich und heftig wie Personen, deren Angehöriger durch eine »natürliche« Todesursache verstorben ist. Dennoch gibt es Aspekte, die Trauernde nach Suizid als intensiver oder länger andauernd erleben können als andere Betroffene. Dazu gehören: Schuld Ein Suizid ruft bei vielen Angehörigen Selbstvorwürfe und Schuldgefühle hervor. Oft wissen die Hinterbliebenen nicht, dass verschiedene Fakto-
ren zu einem Suizid beitragen. So kann in 90 Prozent der Fälle davon ausgegangen werden, dass dem Suizid eine psychische Erkrankung zugrunde lag. Hinterbliebene überschätzen häufig ihre Möglichkeiten, jemanden von der Tat abzuhalten. Scham, Stigmatisierung, soziale Isolation, gestörte innerfamiliäre Beziehungen Viele Menschen schämen sich, wenn ein Angehöriger Suizid begangen hat. Sie versuchen, einer Stigmatisierung oder Ächtung durch Geheimhaltung und Rückzug entgegenzuwirken. Dies kann zu großen Problemen innerhalb des Familien- oder Freundeskreises führen. Das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein/ Zurückweisung Die Suche nach den Gründen für den Suizid kann bei den Angehörigen neue Gefühle, zum Beispiel Wut auf den Verstorbenen, hervorrufen. Nicht immer werden diese Gefühle als angemessen erlebt. Horror/Traumasymptome Oftmals entwickeln Hinterbliebene Horrorvorstellungen, wenn sie an den Zeitpunkt des Suizids denken, und zeigen dabei deutliche Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Hier ist dann die Hilfe von Psychotherapeuten nötig, die fundierte Kenntnisse in der Behandlung von Traumata haben. Komplizierte Trauer und erhöhtes Suizidrisiko Als empirisch relativ gesichert gilt die Erkenntnis, dass Menschen, die einen Angehörigen durch Suizid verloren haben, ein erhöhtes Risiko aufweisen, sich selbst zu suizidieren. Dieses Risiko
Leidfaden, Heft 4 / 2014, S. 94–95, © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2014, ISSN 2192–1202
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steigt dann, wenn sie, bedingt durch den Verlust, eine komplizierte Trauer entwickeln. Interventionen Es gibt nur wenige Interventionsangebote, die speziell auf die Bedürfnisse von Trauernden nach Suizid abgestimmt sind und langfristig positive Effekte nachweisen. Zu den üblichen Angeboten für diese Gruppe von Betroffenen zählen: • Einzelgespräche mit einem Trauerbegleiter/ Trauerberater, • Gespräche in einer Trauergruppe, • Einzelgespräche mit einem Psychotherapeuten bei Vorliegen einer PTBS, komplizierten Trauer oder einer anderen psychischen Störung. In einigen Fällen kann die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie beziehungsweise Familientherapie bei der Verlustverarbeitung sinnvoll sein; vorausgesetzt, sie werden von fachkundigen Therapeuten oder Begleitern/Beratern durchgeführt. Richtlinien für die Arbeit mit Trauernden nach Suizid Jordan benennt vier Aspekte, die für die Arbeit mit Trauernden nach Suizid entscheidend sind: Die Fachkraft sollte ihre eigenen Einstellungen und die der Gesellschaft zum Thema Suizid hinreichend reflektiert haben und eine nicht bewertende Haltung einnehmen können. Darüber hinaus sollte sie über aktuelle Kenntnisse zum Thema Trauer verfügen und mit den Besonderheiten der Trauer nach Suizid vertraut sein. Ein großer Anteil der Arbeit mit Trauernden liegt in der Psychoedukation. Tiefgehendes Wissen über psychische Störungen ist unerlässlich, damit die Betroffenen den Suizid und ihre Trauer in eine realistische Perspektive rücken können.
Die Psychoedukation betrifft auch das Thema Familiensystem. Die Fachkraft sollte mit den Auswirkungen vertraut sein, die ein Suizid auf die Familie haben kann, und für alle Familienmitglieder ansprechbar sein und wenn nötig, an Kollegen weiter verweisen können. Da Betroffene Symptome einer PTBS oder komplizierten Trauer entwickeln können, ist es sinnvoll, wenn Fachkräfte mit erfahrenen Psychotherapeuten zusammenarbeiten, um Betroffene weiter verweisen zu können. Fazit Jeder Verlust und jeder trauernde Mensch ist einzigartig. Trauer nach Suizid kann auch von Person zu Person unterschiedlich sein. Die Art des Todes ist nur eine von vielen Faktoren, die die Trauer beeinflussen. Es ist noch viel Arbeit nötig, um die Trauer nach einem Suizid zu verstehen und gezielte Interventionen anbieten zu können. Doch eines ist sicher: Auch Trauer nach Suizid führt nicht zwangsläufig zu pathologischen Entwicklungen beziehungsweise problematischen Reaktionen. Möchten Sie mehr zu diesem oder anderen Themen aus der Trauerforschung erfahren? Melden Sie sich gern beim kostenlosen Newsletter »Trauerforschung im Fokus« unter www.trauerforschung.de an oder schreiben Sie uns einfach eine Mail. Heidi Müller, Diplom-Politologin, Herausgeberin des Newsletters »Trauerforschung im Fokus«. E-Mail:
[email protected] Hildegard Willmann, Diplom-Psychologin, Herausgeberin des Newsletters »Trauerforschung im Fokus«. E-Mail:
[email protected]
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