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Universalmuseum Joanneum Presse Das Paradies Der Untergang

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Universalmuseum Joanneum Presse Universalmuseum Joanneum Mariahilferstraße 4, 8020 Graz, Austria www.museum-joanneum.at [email protected] Telefon +43-316/8017-9211 Das Paradies der Untergang Hartmut Skerbisch - Medienarbeiten Begleitheft Der Grazer Künstler Hartmut Skerbisch (1945–2009) ist einer der wichtigen bildenden Gegenwartskünstler Österreichs. Diese Retrospektive im Kunsthaus Graz widmet sich seinen frühen Medienarbeiten, die ausgehend von der Architektur eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Raum und seiner Wahrnehmung zeigen. Dabei spielte schon sehr früh ein virtueller Kommunikationsraum eine Rolle. In den späten Skulpturen, die ihn weithin bekannt werden ließen, bleiben seine zentralen Überlegungen zur Konstruktion von Raum nach wie vor relevant, lassen die konzeptuellen Ansätze allerdings in konkrete Formen übergehen. Räumliche Anordnung: Putting Allspace in a Notshall Als Architekturstudenten haben Hartmut Skerbisch und Manfred Wolff-Plottegg die Räumliche Anordnung gemeinsam konzipiert, um sie für die den Wettbewerb zur Ausstellung trigon ’69 einzureichen. Das ausgeschriebene Motto „Architektur und Freiheit“ verstanden sie als Herausforderung, um über Verhältnisse zu Objekten ganz generell nachzudenken. Es interessierte sie dabei nicht, wie einige andere zu dieser Zeit, ein psychedelischer Erfahrungsraum, sondern vielmehr ging es ihnen um die Raumverhältnisse elektronischer Medien. Manfred Wolff-Plottegg berichtet auch vom damaligen Bestreben der jungen Architekturstudenten, Ansätze zu finden, die sich nicht aus Vorbildern der Architekturgeschichte entwickeln sollten – Letztere sollten verworfen werden, um Neues zu schaffen und zu erfinden. Der literarische Raum, der musikalische Raum, der mediale Raum und der neue elektronische Raum gewinnen deshalb zunehmend an Bedeutung, werden zum Quell der Auseinandersetzung mit neuen Formen. Der Titel Putting Allspace in a Notshall geht auf ein Zitat aus dem Roman Finnegans Wake von James Joyce zurück. Die Wortkreationen dieses Schriftstellers haben Hartmut Skerbisch inspiriert, dienten ihm nicht nur bei dieser Arbeit als Ausgangspunkt für neue Überlegungen. Für Marshall McLuhan, den maßgeblichen Medientheoretiker der 1960er-Jahre, entdeckte James Joyce die Möglichkeit, in allen Kulturformen gleichzeitig zu leben – und das bei vollem Bewusstsein. In diesem Sinne fügt auch Hartmut Skerbisch in dieser Räumlichen Anordnung den Einbruch einer elektrischen Kommunikationswelt auf einen Punkt zusammen. Alles ist zur selben Zeit an jedem Ort möglich, wobei sich gleichzeitig auch alles in Raum und Zeit aufzulösen vermag. Für Hartmut Skerbisch entsteht dabei eine unsichtbare, elektronisch errichtete Architektur. Zepter und gleißender Stein Am 9. Dezember 1977 wurde in mehreren Räumen der Neuen Galerie Graz in der Sackstraße eine Stunde lang die Ausstellung Zepter und gleißender Stein von Hartmut Skerbisch präsentiert: Um 19 Uhr wurden Vitrinenbeleuchtungen, 14 Bildmonitore, 2 Rekorder und 1 Farbgenerator eingeschaltet und um 20 Uhr wieder vom Strom getrennt. Die Monitore flackerten rötlichhautfarben und formten eine (damals durchaus beeindruckende) elektronische Wand. Eine Vidiconröhre (Bildaufnahmeröhre früher tragbarer Videokameras) lag auf einem roten Seite 2 Samtpodest und wurde als wertvollstes Prunkstück inszeniert. Nach einer Stunde war die Ausstellung beendet, wie eine Fernsehsendung hatte sie eine geplante Abspieldauer. Diese Ausstellung von 1977 ist im Kunsthaus Graz nun rekonstruiert. Wilfried Skreiner, der damalige Leiter der Neuen Galerie, führt in einem kurzen historischen Film in die Arbeit ein. Der damals junge Grazer Kunsthistoriker Werner Fenz ist mit dem Künstler in einem Gespräch zu sehen. Hartmut Skerbisch untersuchte in dieser Ausstellung das Fernsehen, indem er dessen Kern bloßlegte. Der gleißende Schimmer der Bildröhre überstrahlt auch heute noch alles und wird zur Lebensbedingung, zu einem Ort des Geschehens. Das Fernsehen ist in den 1970er-Jahren zum Massenphänomen geworden, seine manipulativen Fähigkeiten wurden von Beginn an erkannt und die Gefahr der medialen Einwirkung auf das reale Leben in der Kunst und Medientheorie wurde thematisiert. Fluidum „Wenn wir fernsehen, sehen wir gesteuerten Lichtschein. Auf diese Weise sehen wir die ganze Welt“, sagt Hartmut Skerbisch. Wenn sich zwei Scheinwerfer anstrahlen, spiegeln sie sich nicht bis in die Unendlichkeit, erzeugen aber eine Aura, die diesem Empfinden sehr nahe kommt. „Fluidum“ bezeichnet generell die besondere Ausstrahlung einer Sache, die hier im Scheinwerfer selbstredend wird, andererseits aber auch das Fließen des Lichts an sich. n x 4 Reproduktionen auf Cibachrome Immer zwei gleiche Fotos und die Bezeichnungen „Das Paradies“ und „Der Untergang“ unterteilen in vier kleinen Quadraten jeweils ein großes. Die Farbfotos, die Skerbisch in dieser Größe – damals noch sehr aufwendig – im Atelier seines Künstlerkollegens Michael Schuster als Cibachrome herstellte, zeigen schnappschussartige Momentaufnahmen, Ausschnitte eines größeren Zusammenhangs. „Um zu erkennen, ob ein Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen“, zitiert Skerbisch den Philosophen Ludwig Wittgenstein. Doch welches der beiden Fotos zeigt welche Wirklichkeit, und welche wollen wir darin erkennen? Das Medium Foto ist immer eine im Moment eingefrorene Konstruktion von Wirklichkeit. Auf Monitoren wird diese Wirklichkeit hingegen zur vorläufigen Erscheinung im elektronischen Raum. Der Realitätsgrad bleibt dabei unerheblich. Land Art, poolerie 1975 1974 gründeten der Konzept- und Medienkünstler Richard Kriesche und der Werbefachmann und Ausstellungsmacher Horst Gerhard Haberl die Produzentengalerie poolerie. Wie in dem davor initiierten Verein pool und der damit verbundenen Zeitschrift Pfirsich wollte die poolerie jene Avantgarde vertreten, die außerhalb geltender ökonomischer Wertvorstellungen von Kunst agierte und dabei vor allem eine internationale Tendenz der jeweiligen Avantgarde darstellen. Die konzeptuelle Verwendung von Medien und das soziale Engagement waren wesentliche Aspekte, die in diesen Räumen diskutiert wurden und die Medienkunst zu dieser Zeit in Graz auch generell ausmachte. 1975 hat Hartmut Skerbisch in der poolerie eine Ausstellung realisiert, die anhand von Dokumentationsmaterial nur bedingt rekonstruierbar ist. Sie geht von einem sehr ursprünglichen Zusammenhang von Mensch und Umwelt aus. Zeit und Raum haben sich in einer allgemeingültigen Nullzeit aufgelöst bzw. verdichtet. Man sieht Skerbisch in performativrituellen Handlungen die Natur bearbeiten, wie er magische Orte schafft, die keine Beständigkeit haben, aber dennoch immerwährende Gültigkeit zu besitzen scheinen. Ein höherer, spiritueller Sinn scheint in seinen Handlungen zu liegen. Wie in der zeitnah entstandenen Land Art, wird auch bei Skerbisch die Natur zum Material seiner Kunst, die Landschaft zum Bildgrund einer medialen Inszenierung, bei der das Werk in der Landschaft sekundär zurückzubleiben scheint. Seite 3 Skulptur Hartmut Skerbisch ist vor allem für seine großen skulpturalen Arbeiten bekannt, die im öffentlichen Raum, besonders in Graz oder Gleisdorf, die Kraft von Wahrzeichen haben können. So wurde in Graz die Statue (Lichtschwert) nahe der Grazer Oper im Rahmen der Oper Amerika von Roman Haubenstock-Ramati im steirischen herbst 1992 realisiert. Die sichtbare Konstruktion der Statue spielt dabei eine zentrale Rolle, wie sie Eiffel auch im Inneren des New Yorker Vorbilds – der Freiheitsstatue – aus Eisen entwickelt hatte. Skerbisch bezieht sich auf den Roman Amerika (Der Verschollene) von Franz Kafka, wo die Freiheitsstatue anstelle der Fackel ein Schwert in die Höhe schwingt. Spannend im Vergleich ist dazu ein sehr früher, noch während des Studiums entstandener Entwurf für ein Haus auf einer Stütze: Raum aus Elementen 1m x 1m. Viele der von Skerbisch konsequent weiterentwickelten Überlegungen finden hier einen ersten Ausdruck. Im Zentrum ist eine zentrale Stütze aus einer Stahlkonstruktion, auf der das Haus wie ein Nest aufliegt. Der Innenraum des Hauses ist für das Konzept des Wohnens gleichbedeutend wie der umgebende Außenraum. Auch bei der Sphäre oder dem Fraktal entwickelt sich die geometrisch konstruierte Form aus einem zentralen Punkt, um den sich die Form mit der Unendlichkeit verbindet. Piet Mondrian Toward the True Vision of Reality ist der Titel der Lebenserinnerungen von Piet Mondrian. Man sieht den niederländischen Künstler 1943 in seinem New Yorker Atelier, vor seinen Bildern agierend. Für Mondrian war der Raum wesentlicher Bestandteil seiner Malerei, seine Bilder waren stets nur Ausschnitte eines größeren Ganzen. Hartmut Skerbisch filmt die Passanten vor der Reproduktion des Fotos, lässt sie Mondrian in Lebensgröße begegnen. Die Echtzeit wird dabei dokumentiert und verschmilzt wie der Raum mit dem historischen Vorbild. Reden blattartig Der Künstler steht vor einem am Boden liegenden Monitor und betrachtet die Atembewegungen seines eigenen Brustkorbes. reden blattartig nennt er diese Arbeit in Anlehnung an James Joyces Wortschöpfung „leafy speafing“ aus Finnegans Wake. Die Atmung ist im Gange, der Bildschirm wird zur lebenden Lunge, zur Außenstelle des Körpers. Die Buchstaben werden beim Sprechen zum Raum, Begriffe wörtlich übersetzt. Die Sprache ist dabei raumgebend und das Publikum aufgefordert, den Bewegungen zu folgen, wie der auf Lebensgröße reproduzierte Künstler es suggeriert. Gegenwart als Gegenwart, Endsignatur „Von hier führte im Medium kein Weg mehr weiter“, sagte Hartmut Skerbisch in Bezug auf seine Arbeit Null-Party in der Jetzt-Dub-Disco, die mit der Endsignatur ihren Abschluss findet. Von da an verlässt Skerbisch den Bereich der medienbasierten und konzeptuellen Kunst und wendet sich einem narrativen und materialgeprägtem Begriff von Skulptur zu. In Endsignatur (1981) ist der Bildschirm das Schlüsselelement seiner Annäherung an die elektronischen Raumverhältnisse. Das Standbild visualisiert das Ende der Auseinandersetzung mit dem Monitorbild in der „Gegenwart als Gegenwart“ und wird zum Abschluss seiner Reflexionen über den Bildschirm. In der Ausstellung in der galerie h waren 1981 konsequenterweise keine Bildgeräte mehr zu sehen. Die reale Situation von Menschen im Sound des Kamikazi Dub von Prince Jammy ersetzt übertragene Bilder. „Alles, was wir tun, ist Musik“, könnte man mit John Cage zusammenfassen.