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Von Friedrich Von Borries Und Mara Recklies (aus Kursbuch 184)

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Friedrich von Borries, Mara Recklies Design als Intervention Über experimentelle Forschung Design ist bis heute kein präzise umrissenes Feld. In Zuschreibungen wie »Grafik«, »Industrie«, »Produkt«, »Ausstellungs«-Design zeigt sich die immense Breite der mit Design benannten Praxen der Gestaltung. Im englischen Sprachgebrauch, und auch hierzulande, unterscheidet man Fashion-, Urban-, Interior-, Environmental-, Game-, Stage- oder Service-Design, und dies sind nur einige Beispiele, tatsächlich ist die Spanne noch wesentlich größer. Gleichzeitig sind innerhalb der eng umschriebenen Teilgebiete die disziplinären Selbstverständnisse höchst different; verstehen sich die einen als Künstler oder zumindest als »Au­toren«, sehen sich andere als rein kommerzielle Dienstleister. Dabei bleibt der politische Charakter von Design oft unbeachtet. Das politische Moment des Designs manifestiert sich in seiner Alltäg­ lich­keit; Design betrifft alles und alle. Es prägt unsere Wahrnehmung und unseren Geschmack, beeinflusst unsere Alltagshandlungen, drückt bestehende Ordnungen aus und beeinflusst sie zugleich. Design konstituiert Identität. Dabei ist es kein Unterschied, ob Na­ tionalflaggen, das Logo von Vereinen oder Fußballmannschaften kol­ lektive Identitäten prägen oder Modefirmen, Einrichtungshäuser oder Getränkehersteller uns Schablonen anbieten, mit denen wir unsere in­ dividuelle Identität auszubilden versuchen. Design ist auch ein ent­ schei­dender Faktor für die individuelle Ästhetisierung des Selbst – in Form des Umgangs mit dem eigenen Körper, der bewussten Kleider­ wahl, der Einrichtung der Wohnung und des Sich-Umgebens mit schönen Dingen. Darüber hinaus steht Design in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Produktionsmöglichkeiten und -bedingungen. Design als Intervention  145 Durch Design wird aber nicht nur das Reale, das Alltägliche und Gewöhnliche gestaltet, sondern auch das Besondere. Design kann auch Möglichkeitsräume aufzeigen und so Utopien entwerfen. Ein Beispiel dafür liefert der vielleicht erste »Gesellschaftsdesigner«, der englische Philosoph, Staatsmann und Schriftsteller Thomas Morus. Sein be­rühm­­ tes Werk Utopia aus dem Jahre 1516 bietet einen solchen umfassenden Entwurf eines »idealen« Staates und einer idealen Gesellschaft. Um anschaulich zu machen, wie das ideale, »utopische« Leben gelebt wird, beschreibt Morus die Stadtplanung, die Häuser und die Essrituale der Bewohner von Utopia. Er zeigt, wie Utopia »designt« ist. Design ist also politisch, weil Designer die Struktur, die Normen, die Bedürf­ nisse, die Begierden, die Identitäten und das Zusammenleben gestal­ ten. Die politische Dimension des Designs geht aber auch von konkre­ ten Dingen aus, die uns umgeben – als Verbrauchsgüter, aber auch als Gebrauchsgüter. Denn Design betrifft alles: Hochspannungsleitungen und Straßenbeleuchtung, Unterseekabel, Telefon- und Internetverbin­ dungen, Wohnzimmereinrichtungen und TV-Werbung. Design beein­ flusst nicht nur die Produktion der Welt, in der wir leben, sondern auch deren Zugänglichkeit und Verteilung. Trotz der eigentlich offenkundigen politischen Dimension von De­ sign ist in Designtheorie und -forschung das politische Moment von Design noch unbestimmt. Eine relativ junge Form von D ­ esignforschung, die sich bewusst als politisch versteht, ist die interventionistische De­ signforschung. Es ist eine Form von Forschung, die in Anlehnung an die Praxen künstlerischer Interventionen in gesellschaftliche Prozesse eingreift oder zumindest einzugreifen versucht. Damit ist sie gleichzei­ tig Praxis von Design und Gegenstand von Designforschung. Dass es für diese Form von Design als Forschung und Forschung als Design bislang keine eigenständige Theorie gibt, ist ein Versäumnis, das es aufzuholen gilt. Dafür soll hier ein erster Versuch skizziert wer­ den. Dieser Text ist dabei Bestandteil eines praxeologischen Experi­ ments im Grenzbereich von Design, Kunst und Wissenschaft. Er ist, 146  Friedrich von Borries, Mara Recklies was er zu untersuchen behauptet. Er ist Gegenstand und Beispiel, er ist Zwischenstand eines Design- und Forschungsprojektes, das sich selbst untersucht.1 Damit werden neue Wege der Designforschung beschrit­ ten, die auf die Wirkmechanismen von Design aufmerksam machen. Denn mit Design sind Wahrnehmungs- und Aneignungspraktiken ver­ bunden, die untersucht werden müssen, um auf die Macht und d ­ amit einhergehende Verantwortung von Design aufmerksam zu machen. Interventionistisches Design als Form und Gegenstand künstlerischer Forschung Für eine Theorie des interventionistischen Designs müssen Methoden gefunden oder entwickelt werden, mit denen das mehrschichtige Ver­ hältnis zwischen Akteur, Produzent und Beobachter in und von Inter­ ventionen gefasst werden kann. »Intervenieren« heißt, in Prozesse einzugreifen. Der Gegenstand, der untersucht und reflektiert wird, ist nicht entfernt, distanziert, »ob­ jektiv«, sondern er wird durch das eigene Eingreifen »einverleibt«, sub­jektiv. Für die interventionistische Designforschung heißt das: Um verborgene Prozesse im Design transparent zu machen, wird Design generiert, das dann zum Gegenstand der – eigenen – Forschung wird. Der Forscher wird zum Designer, der Designer wird zum Forscher. Um mit dieser Doppelrolle umzugehen, bedarf es einer Methode der selbstreflexiven Hinterfragung. Wissenschaftstheoretischer Ausgangs­ punkt dieser selbstreflexiven Methode ist eine Neuinterpretation der »autoethnografischen Forschung« auf Basis der goffmanschen Rah­ menanalyse. Die beiden Methoden operieren auf unterschiedlichen Ebenen: Die autoethnografische Forschung interveniert in den Unter­ suchungsgegenstand und hat dabei sowohl eine deskriptive als auch eine offenlegende, dekuvrierende Funktion. Die Rahmenanalyse ist ein Instrument, dieses Vorgehen zu beschreiben, und dient der Auswer­ tung von Vorgängen und Sachverhalten. Design als Intervention  147 Um ein Verständnis für den systematischen Aufbau von interven­ tionistischer Designforschung zu entwickeln, ist eine Grundannahme der Rahmenanalyse Erving Goffmans wichtig. Nämlich seine Aussage, dass sich Menschen immer in irgendeiner Situation befinden. Die Klä­ rung dieser Situation erfolgt über die Frage »What’s going on?«. Sie wird im Alltag permanent von allen Menschen gestellt und beantwor­ tet. Dabei gibt es meistens Menschen, welche die jeweilige Situation schaffen, und Menschen, die sich in dieser geschaffenen Situation be­ finden und sich ihr entsprechend verhalten. Wenn aber Situationen ge­ schaffen werden, so müssen sie nicht nur unwillkürlich, sondern auch willkürlich, mit bestimmten Zielen, geschaffen werden können. Das heißt, jemand plant und entwirft diese Situationen im Voraus – sie ver­ fügen über ein »Design«. Mit diesem Punkt setzte sich auch, von Goffman zitiert, der ameri­ kanische Soziologe Harold Garfinkel auseinander. Er suchte nach Re­ geln, die es erlauben, jede gewünschte Wirklichkeit zu erzeugen. Sein Gedanke war, dass man eine Art Maschine erschaffen müsse, die spe­ ziell dazu »designt« sei, jede beliebige Wirklichkeit herzustellen. Diese Herstellung von »Wirklichkeiten«, synonym verstanden mit authen­ tisch wirkenden, jedoch strategisch initiierten Situationen, kann, zu­ sammengefasst, ein Thema interventionistischer Designforschung sein. Als Beispiel: Die transmediale Intervention RLF Strategisch initiierte Situationen werden durch Interventionen produ­ ziert. Die transmediale, halb fiktive, halb reale Intervention »RLF« ist ein Beispiel für interventionistische Designforschung. RLF war der Versuch, neue Methoden der Gesellschaftskritik durch Kunst und De­ sign zu erproben. Dabei basiert RLF (der Name leitet sich von Theodor W. Adornos Diktum Es gibt kein richtiges Leben im falschen ab, kann je­ doch auch für real life fiction stehen) auf einem Narrativ, das in einem Dokumentarfilm und einem Roman wurzelt.2 Ausgangspunkt von »RLF« 148  Friedrich von Borries, Mara Recklies ist ein Unternehmen mit revolutionärem Ansatz. Es möchte durch den Verkauf von luxuriösen Designobjekten die erstrebte antikapitalis­ tische Revolution finanzieren. Innerhalb der Intervention sollen so der Pro­test gegen das System und der Konsum von Luxusprodukten zu­ sammengeführt und zu einem revolutionären Akt werden. So werden die Käufer zu Shareholdern der Revolution, angefeuert durch den pro­ grammatischen Appell von RLF: »SHOW YOU ARE NOT AFRAID«. RLF nutzte eine Fülle von Instrumenten zur Vermarktung der luxu­ riösen Designprodukte und den in ihnen enthaltenen politischen Auf­ ruf. Abgesehen von den narrativen Mitteln wie dem Roman, gab es darüber hinaus repräsentative und performative Mittel wie eine Aus­ stellung und eine Demonstration, jedoch auch interaktive Elemente wie eine Webseite und ein Serious Game. Zusätzlich wurden soziale Netz­werke wie Facebook und Twitter zum Storytelling genutzt. Als Projekt der interventionistischen Designforschung gehört es zum Selbstverständnis von RLF, die eingesetzten Methoden und ihre Wirk­ samkeit zu reflektieren. Das betrifft aber nicht nur die inhaltliche Aus­ richtung der bereits abgeschlossenen Elemente von RLF, sondern auch das gegenwärtige Forschungsvorhaben, dessen politische, ­gesellschaftsund designkritische Intentionen auf der persönlichen Auseinanderset­ zung von Wissenschaftlern mit dem eigenen Forschungsanspruch und den Anforderungen an die Folgen der eigenen Forschung beruhen. Autoethnografie als methodisches Werkzeug Für diese Anliegen arbeitet die interventionistische Designforschung mit einer Neuinterpretation von Autoethnografie. Es ist ursprünglich eine Methode, die sich aus der qualitativen Forschung der Ethnografie beziehungsweise Sozialforschung entwickelte. Ihr Ziel ist, die Teil­ nahme des Forschenden an dem Erforschten, also die eigene wie auch die gemeinsame Wahrnehmung der Lebenswelt für die Forschung frucht­bar zu machen. Autoethnografie ist ein subjektives, deskriptiDesign als Intervention  149 ves Forschungsinstrument, mit dem sich die Planung, Organisation, Durch­führung und Vorgehensweise von politisch motivierter Design­ forschung, wie etwa Interventionen3, beschreiben lassen. Sie eignet sich besonders, da sie subjektiven Perspektiven und persönlicher In­ volviertheit in den Forschungsgegenstand einen epistemischen Wert zuspricht. Dabei sind insbesondere drei Aspekte der Autoethnografie entscheidend, die hier kurz ausgeführt werden sollen und die gleich­ zeitig die für die Designforschung entscheidende Auffassung von auto­ ethnografischer Forschung veranschaulichen. 1. Keine starren Begrenzungen Die von uns fokussierte Autoethnografie entzieht sich einer strikten inhaltlichen, methodischen oder formalen Eingrenzung, weshalb wir sie als »blurred genre« 4, auffassen und keine Notwendigkeit sehen, sie disziplinär oder inhaltlich zu begrenzen. Diese relative Unbestimmtheit der Methode entspricht der relativen Un­bestimmtheit nicht nur von Design, sondern auch von Designfor­ schung. Darüber hinaus erleichtert diese disziplinäre Offenheit gerade in den frühen Phasen der Erprobung von Autoethnografie als Me­ thode der Designforschung die Arbeit, da die wenigen Vorgaben den Forschungsprozess kreativ und offen halten. Da es keine Grenzen gibt, ist der Spielraum des Forschenden weit. 2. Abschied von der Neutralität der Wissenschaft Wir verstehen die von uns fokussierte Autoethnografie als eine Art An­merkung zu dem Axiom der angeblichen Neutralität der Wissen­ schaft. Wir möchten damit die Vorstellung hinterfragen, Wissenschaft­ ler könnten dem Ideal der Neutralität und Distanziertheit gegenüber dem Forschungsgegenstand grundsätzlich entsprechen. Da wir – mehr oder weniger – persönlich in den Forschungsgegenstand involviert sind, ist ein gewisser Grad an Subjektivität unvermeidbar. Diese Subjektivi­ 150  Friedrich von Borries, Mara Recklies tät wird in der Autoethnografie jedoch nicht als Makel gesehen, son­ dern ihr wird ein epistemischer Wert zugestanden. Das bedeutet, es geht uns auch um die wissenschaftliche Anerken­ nung von Subjektivität. In dieser Form der Forschung geht es um einen Zugang zu dem Untersuchungsgegenstand, der nicht versucht, die Ir­ ritationen zu minimieren, die durch subjektive Faktoren entstehen, sondern sie als Material nutzbar zu machen. Damit gibt es letztlich, dieser Auffassung ist auch der Medien- und Kulturforscher Rainer Winter, keinen »privilegierten Standpunkt, von dem aus eine endgül­ tige Version der Welt erfasst werden kann«. Wissen und Standpunkte existieren häufig nur »partiell, partikular und sozial situiert«.5 3. Politische Motivation Wir beobachten – und das ist in diesem Zusammenhang entscheidend – Autoethnografie als einen politisch motivierten Forschungsan­ satz und zugleich als eine Art forschende Intervention. Darin folgt die interventionistische Designforschung dem Medien­ wissenschaftler Rainer Winter, der betonte, dass es an der Zeit sei, sich von der Idee einer wertfreien Wissenschaft zu verabschieden. Tatsäch­ lich sei nämlich auch die Wissenschaft eine politische Praxis, und demzufolge gelte es, als Forschender politisch Stellung zu beziehen. Der Gedanke, man könne heutzutage angesichts der Verantwortung der Forschenden nicht mehr einfach entscheiden, ob man »neutral« oder »engagiert« Forschung betreibe, verdient Beachtung. Bei Winter wird dies sogar noch weiter zugespitzt, er bezeichnet Neutralität bezie­ hungsweise den klassischen objektiven Standpunkt des Beobachters sogar als blinden Fleck der Wissenschaftler, die vor der Erkenntnis flüchten, dass jegliche Wissenschaft Folgen habe, und sie damit eine Verantwortung tragen. Die Forschung hat demnach eine konkrete, nahezu politische Auf­ gabe. Es liegt an ihr, Möglichkeiten für ein besseres Zusammenleben, Design als Intervention  151 eine bessere Welt im weitesten Sinne aufzuzeigen. Ein Ziel, das man als Wissenschaftler zum Beispiel durch interventionistische Untersu­ chungen aufgrund ihrer transformativen Kräfte erreichen kann. Sie ähnelt der Aktionsforschung, die während des Forschungsprozesses, etwa bei der Untersuchung von sozialen Gefügen, in ihren Untersu­ chungsgegenstand eingreift, um diesen positiv zu verändern. Dementsprechend positioniert sich auch diese Form der interven­ tionistischen Designforschung dort, wo Autoethnografie als Kritik, als subversives Element, als radikales Mittel zur Erneuerung von Beste­ hendem und als Umkehrung klassischer Methoden der Ethnografie be­trachtet wird. Diese Standpunkte, von denen aus Autoethnografie als W ­ iderspruch und Auflehnung betrachtet wird, eignen sich auch für interven­tio­ nistische Designforschung. Denn auch uns geht es nicht darum, eine normative Wissenschaft und Methodik sprichwörtlich in Stein zu ­meißeln. Es ist für die interventionistische Designforschung dagegen von Interesse, von diversen Standpunkten aus die Wirklichkeit zu be­ trachten und zu analysieren. Damit können Ansichten produziert wer­ den, die den bisher akzeptierten oder dominanten wissenschaftlichen Ergebnissen zum Teil bewusst widersprechen. Experimentelles Arbeiten und Forschen – als bewusster Gegen­ entwurf – bedeutet vor allem, die etablierten Regeln zu überdenken und infrage zu stellen. In dieser Rolle der autoethnografischen For­ schung als Gegenentwurf ist auch ihre subversive und interventionis­ tische Kraft angelegt. Das autoethnografische Arbeiten ermöglicht, »ein breiteres und heterogeneres Publikum zu erreichen, das traditionelle Forschung üblicherweise außer Acht lässt, um zu persönlicher Verän­ derung und sozialem Wandel für möglichst viele Menschen beizutra­ gen«.6 Im konkreten Fall der autoethnografischen Untersuchung von RLF bedeutet das, die persönlichen Erfahrungen verschiedener Akteure sichtbar zu machen und den Intentionen des Projektes gegenüberzu­ stellen. Hierfür werden Interviews mit Initiatoren, Teilnehmern oder 152  Friedrich von Borries, Mara Recklies Beobachtern geführt. Gerade dort, wo die Intervention eigene Dyna­ miken entwickelte, wo sie Emotionen hervorrief, wo sie Begeisterung oder Ablehnung erzeugte, entstehen kraftvolle Erzählungen für den autoethnografischen Forschungsprozess. Es geht darum, Akteure sub­ jektiv sprechen zu lassen und sie gleichzeitig mit der mehrschichtigen Reflexivität des Projektes zu konfrontieren. Anstatt vermeintliche neutrale Daten auszuwerten (wie etwa die Besucherzahlen der Web­ site, Ver­kaufszahlen der RLF-Produkte oder die Teilnehmerzahl an dem RLF-Game), werden zum Beispiel die Juroren des BusinessplanWettbewerbs ­Berlin-Brandenburg damit konfrontiert, als Bewertende des RLF-Bu­si­ness­plans selbst Teil einer Intervention und Gegenstand der Design­forschung geworden zu sein. Das Potenzial der Autoethnografie ist es, in Dinge einzugreifen, sie zu kritisieren oder zu verändern. Wir möchten eine Designforschung, die in der Lage ist, zu gesellschaftlichen Transformationsprozessen ­einen kritischen Beitrag zu leisten, indem sie sich als Reflexionsinstanz betrachtet, die die Änderung des Untersuchungsgegenstandes zum Ziel hat. Mit dieser Auffassung von Designforschung vollziehen wir den Schritt von einer rein deskriptiven Forschung hin zu einer offenen, interven­ tionistischen Forschungspraxis. Die Schweizer Soziologinnen Andrea Ploder und Johanna Stadlbauer regten vor wenigen Jahren an, Auto­ ethnografie auch als Chance zu sehen, sich mit dem Anspruch an die eigene Forschung auseinanderzusetzen. Dabei werden verschiedene Fragen aufgeworfen, wie die, ob das eigene Fach Kritik üben wolle oder Engagement anregen. Design als Intervention  153 Der performative Charakter interventionistischer Designforschung Autoethnografisches Arbeiten besteht zu einem Großteil darin, sich auf die Suche nach den aussagekräftigen Fragmenten, nach ­epistemisch reichen Narrativen zu machen. So kann der Eindruck entstehen, auto­ ethnografisch erzeugte Forschungsergebnisse seien bloße Erzählungen oder messy stories, da alle möglichen Datenkombinationen wie Inter­ views, Artikel, Briefe, Medienberichte usw. zu ihrer Erstellung genutzt werden können. Und tatsächlich gleicht der Datenkorpus der Auto­ ethnografie einem Flickenteppich. Seine Besonderheit ist, verglichen mit dem herkömmlicher sozialwissenschaftlicher Forschung, dass er nicht nur um nicht objektiv verifizierte Daten, wie etwa Erinnerungen, ergänzt ist – sondern sogar aus ihnen bestehen kann. Die Effektivität solch einer intuitiv anmutenden Forschungspraxis stellt Erving Goffman unter Beweis. Er merkte in der Einleitung seiner Rahmen-Analyse an, dass ihm bei der Erstellung seines Datenkorpus die Grundsätze, nach denen er ihn erstellte, rätselhaft waren und stetig wechselten. Es war ihm unmöglich, seine Kriterien rational zu begrün­ den oder zu erklären. Er bezeichnete sein Vorgehen hinsichtlich der Sammlung von Daten sogar als eine Karikatur von systematischer Ar­ beit. Ebenso, wie auch in dem laufenden Projekt zur Entwicklung von Methoden politischer Designtheorie, macht Goffman keinen Un­ terschied zwischen Hochkultur und niederer Kultur, Wissenschaft, Popkul­tur usw. – alles gesammelte Material ist Resultat von seinem speziellen Interesse, das keinerlei Wertunterschiede macht. Alles kann nützlich werden für die Erforschung der entscheidenden Passagen des Alltags, des persönlichen Erlebens und der sozialen Gefüge. Aus der Fruchtbarmachung der autoethnografischen Methoden für die Designforschung ergibt sich, dass das Ziel der Forschung nicht zwingend das Ergebnis des Forschungsprozesses ist, sondern der For­ schungsprozess selbst. Nicht das Verstandene steht im Vordergrund, son­ dern das Verstehen. Wir folgen damit einer performativen Forschungs154  Friedrich von Borries, Mara Recklies l­ogik, die uns eine epistemologische Alternative zu den üblicherweise genutzten verstehenden Zugängen bietet. Mit dieser unkonventionel­ len, experimentellen Forschungslogik wird der Forschungsprozess ab­ sichtlich kaum eingeschränkt und schwer voraussehbar oder planbar. Er ist vielschichtig und ähnelt, wie die amerikanische Autoethnografin Carolyn Ellis formulierte, einer Wanderung in ein Dickicht ohne Kompass. Die Designforschung, die damit entwickelt und erprobt wird, steht ebenso wie die Autoethnografie an der Grenze dessen, was im akade­ mischen Sinn als wissenschaftlich gilt. Auch den Forschungsprozess auf diese Art offenzulegen und zu analysieren, wie es die interventionis­ tische Designforschung fordert, ist unüblich. Für gewöhnlich präsen­tiert die Wissenschaft finale Tatsachen, nicht primär den Verstehensprozess. Interventionistische Designforschung agiert anders: Das, was sonst im verborgenen Diskurs wissenschaftlicher Forschung abläuft, soll zugäng­ lich gemacht werden. Insofern versteht sich eine solche Forschung nicht nur als Intervention in kulturelle, wirtschaftliche oder politische Dis­ kurse, sondern auch in den wissenschaftlichen Betrieb. Sie entzieht sich der gängigen Forschungspraxis, in der fertige Ergebnisse als Tat­ sachen präsentiert werden, und bekennt sich zu einer performativen Forschungslogik, die permanent epistemisch offen bleibt. Eine solche interventionistische Designforschung untersucht nicht nur die politische Dimension von Design, sondern ist selbst als gelebte Praxis ein Beispiel dafür, dass Design politisch ist. Design als Intervention  155 Anmerkungen 1 Friedrich von Borries führt gemeinsam mit Mara Recklies ein Forschungsprojekt über die Intervention »RLF« durch. Das Forschungsprojekt ist Teil der Forschergruppe »Übersetzen und Rahmen« der Universität Hamburg und der Hochschule für bildende Künste. Gleichzei­ tig ist Friedrich von Borries Protagonist von RLF. 2 Borries, Friedrich von: RLF. Das richtige Leben im falschen. Berlin 2013. 3 Vgl. Borries, Friedrich von; Hiller, Christian; Kerber, Daniel; Wegner, Friederike; Wenzel, Anna-Lena: Glossar der Interventionen. Annäherung an einen überverwendeten, aber unter­ bestimmten Begriff. Berlin 2012. Und auch das von der DFG geförderte Forschungsprojekt »Urbane Interventionen« an der HFBK Hamburg unter der Leitung von Prof. Dr. Friedrich von Borries. 4 Ploder, Andrea; Stadlbauer, Johanna: »Autoethnographie und Volkskunde?« In: Österrei­ chische Zeitschrift für Volkskunde 116 (2013), 3–4, S. 374–404, hier S. 379. 5 Winter, Rainer: »Ein Plädoyer für kritische Perspektiven in der qualitativen Forschung« In: Forum Qualitative Sozialforschung, Vol. 12, Nr. 1 (2011), S. 6. 6 Ellis, Carolyn; Adams, Tony E.; Bochner, Arthur P.: »Autoethnographie«. In: Mruck, Katja; Mey, Günther (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden 2010, S. 345–357, hier S. 348. 156  Friedrich von Borries, Mara Recklies