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Lokale Kultur DIENSTAG 27. OKTOBER 2015 BI9 Fc\_R]]V_UV <]R_XXVhR]eV_ BcXjj`b1 Alice Sara Otts und Francesco Tristanos fulminante Eröffnung der Schoneberg-Reihe VON CHRISTOPH GUDDORF ¥ Bielefeld. Es ist ein mehr offenporig-provokantes als gediegen-gesetztes Projekt, das zum Saisonauftakt der Schoneberg-Konzertreihe auf ein Publikum trifft, das sonst eher ehrfürchtig mit klassisch-romantischer „Hochkultur“ gestreichelt wird. Alice Sara Otts und Francesco Tristanos Programm „Scandale“ für zwei Klaviere will zwar keine Ohrfeigen verteilen, geht aber über Grenzen hinaus, spielt mit Hörgewohnheiten, berauscht sich an urknallend-verstörenden Klanggewalten. Bereits an Ravels sich progressiv-steigerndem „Instrumentalstück ohne Musik“ „Bolero“ (arrangiert von Tristano) vollzieht sich eine offensichtliche tänzerische Körperlichkeit und perkussive Motorik. Danach werden Ravels Fin-de-siècle-Untergangs-Abbild „La Valse“ und Strawinskys rhythmusbetontes „Sacre du printemps“ gewissermaßen die Tür öffnen zur elektronischen Musik, die sich in Tristanos Eigenkomposition „A Soft Shell Groove Suite“ widerspiegelt. Da wirken Debussys „Nuages“ und „Fêtes“ (aus „Tois nocturnes“, bearbeitet von Ravel) fast wie akustische Relikte aus impressionistischen Zeiten. Tristanos recht geschickte Bearbeitung von Ravels verrückter Adaption des spanischen Tanzes scheint in der Ausführung beider Pianisten fast jeglicher erotischer Verführungsmacht einer Flamenco-Tänzerin beraubt, quasi auf das rhythmische Element reduziert. Die kleine Trommel der Orchesterfassung findet sich hier zunächst effektvoll in der von Tristano gezupften, später dann „geschlagenen“ Saite wieder, Otts MelodieThema wiederum gerät geradezu spröde-trocken statt sinnlich-umgarnend. Auch bei Ravels eigenem Arrangement seines „Valse“ sind die rhythmischen Fäden mit archaischer Kraft in die klanglüsternen Wogen eingesponnen. Dass eine Klavierfassung nicht die vielfältig nuancierte Klangfarbenkunst und -masse einer orchestrierten Version erreichen kann, versteht sich von selbst. Ott und Tristano geht es auch bei Strawinskys „Sacre du printemps“ vielmehr darum – wenn auch Note für Note gespielt wird –, etwas aus dem Moment, aus einer Urgewalt heraus entstehen zu lassen, sich der Musik und ihrem Instrument tänzerisch-organisch zu widmen. Bis an die Grenzen des auch körperlich zu Leistenden opfern sie sich dem Todestanz eines jungen Mädchens, scheuen auch vor einer gewaltsamen Malträtierung der Instrumente nicht zurück. Tristanos groovende Suite, lädt zum Mitklatschen ein, verlangt gleichwohl ob ihrer harmonisch reduzierten, weil nach Techno-Trance trachtenden, sich immer wieder neu mischenden Endlosschleife nach melodischer Erlösung. Diese bringt das pianistische Rebellen-Duo schließlich (oder wie Ott erschöpft betont: um die Flügel zu schonen) mit einer versöhnenden Mozart-Zugabe, dem Andante aus der Sonate für Klavier zu vier Händen KV 381. 8VUV_\V_ R_ <`^a`_Zde 8V`cX fdZ\+ Georg FOTO: RALF BITTNER Krieger 5ZV 9Ê_UV Y`TY+ Comedian Kaya Yanar bei seinem Auftritt vor 2.000 Zuschauern in der Stadthalle. FOTO: BARBARA FRANKE 6Z_^R] f^ UZV XR_kV HV]e :fd\[p1 Kaya Yanar bringt seinem Publikum mit jeder Menge Spaß die Besonderheiten anderer Länder und Kulturen nahe VON MELANIE GIESELMANN ¥ Bielefeld. Es ist dunkel. Hunderte Meter lange Schlangen stehen vor der beleuchteten Stadthalle, ehe sich die Türen öffnen und die ersten nach oben rennen, um sich die besten Plätze zu sichern. Ein ebenso absurdes wie komisches Bild vor der Show eines Comedians, der schon zum zweiten Mal mit seinem Programm „Around the World“ in der Stadt gastiert. Kaya Yanar ist längst in den deutschen Comedy-Olymp aufgestiegen und so gleicht sein Auftritt dem eines Popstars: Stroboskopgewitter, Musik, Kreischen und Jubel, bevor er auf der Bühne steht. Bei seinem Auftritt am Sonntagabend ist die Stadt- halle so gut wie ausverkauft. Von Köln über Frankfurt nach Zürich, New York und Chengdu reist Kaya Yanar um den Globus, um seinem Publikum die ethnologischen Besonderheiten der verschiedenen Länder und Kulturen näher und jede Menge Spaß mitzubringen. ¾<`e K•ib\ `d JZ_e\\6 ;Xj gXjjk e`Z_k½ Nach sieben Jahren überzeugtem Singledasein, ist Kaya Yanar mittlerweile in festen Händen. Und so erzählt er viel vom Zusammenleben mit seiner Freundin, einer Schwei- zerin aus Zürich, die schon auf Skibrettern zur Welt gekommen sei. „Ein Türke im Schnee?“, das passt einfach nicht, meint Yanar. Und so bleibt der erste gemeinsame Skiausflug vermutlich auch der letzte, denn neben einer rasanten Fahrt über die Piste, durch den Tiefschnee und über die Begrenzungen hinaus, landet Yanar unsanft auf dem Allerwertesten. „Das tut richtig weh“, weiß er jetzt und das hat ihm jeden Spaß am Wintersport genommen. Im Mittelpunkt seiner spaßigen Ausführungen steht meist er selbst, der sich mal freiwillig, mal unabsichtlich immer wieder in unangenehme, aber schreiend komische Situationen bringt. Witzig ist das immer. Und so fällt es den meisten der über 2.000 Zuschauer auch gar nicht schwer, der Vorankündigung Folge zu leisten, und sich während der Show, statt der Smartphones, lieber die Bäuche zu halten. DXe dljj \`e]XZ_ d`kcXZ_\e Wie schon in „Was guckst du?“, der Fernsehshow, die ihn einem breiten Publikum bekannt gemacht hat, begeistert Kaya Yanar auch an diesem Abend wieder mit Gesichtsakrobatik, Stimmenimitation, Stereotypen und Klischees, die er in seiner einzigartigen Weise zu einem zweistündigen Programm zusammenschnürt, das seinen Fans Lachtränen in die Augen treibt. Sein größter Trumpf aber ist er selbst, sein Ass im Ärmel des Comedy-Pokers, denn Kaya Yanar ist ein Symphatiebolzen, der so herzlich über seine eigenen Witze und die Situationen, die diesen zu Grunde liegen, lacht, dass alle um ihn herum einfach mit einstimmen. Sie können gar nicht anders. Und so ist es am Ende gar nicht wichtig, was er eigentlich erzählt. Die Zuschauer lachen mit und über ihn, über seine Witze, und sie haben jede Menge Spaß dabei. Und den hat Yanar selbst ganz offensichtlich auch. HV__ 6]V\ec`5;d SVZ^ KRY_Rcke hf^^Vc_ BXYXi\kk1 Tilman Birr zeigte mit seinem Programm „Holz und Vorurteil“ im Bunker Ulmenwall, wie geistvolles Aufregen gelingt VON ANDREAS KLATT ¥ Bielefeld. Mit melancholisch-verhangenem Blick erzählt Tilman Birr von den Zumutungen des Hauptstadtlebens. Von dem dumpfen Bumm-Bumm der vielen Elektro-DJs – seiner Einschätzung nach jeder zweite Berlineinwohner –, von den Vorglühgesprächen angetrunkener Touristen, die nachts brüllend seinen Kiez belagern. Von Amerikanern in Badelatschen, die auf seinen Stadtführungen das Brandenburger Tor für ein Grabmal Hitlers halten. Sein Auftritt im Bunker Ulmenwall hat manchmal etwas von einem Grantler, der in jeder Suppe ein Haar findet. Aber je älter der Abend wird, desto deutlicher wird Birrs große Stärke, wortgewandt und mit feiner Beobachtungsgabe das Publikum für sich zu gewinnen. Der Kulturverein Bielefeld hatte Birr mit seinem Programm „Holz und Vorurteil“ nach Bielefeld geholt. Vor allem „junge“ Themen wie das Hipstertum befrotzelt der gebürtige Hesse. Ein Wagnis also angesichts des eher gehobenen Altersschnitts im Abonnentenkreis, das dennoch aufgegangen ist: Der zweistündige Spaziergang durch die bisher drei humoristischen Bücher des WahlBerliners, aufgelockert durch Gesangseinlagen, ist wohlkomponiert. Zum Einstieg ethnologische Betrachtungen zur Volksmusik, die Birr zufolge in den jeweiligen Ländern vorherrschende Naturgeräusche wie das Windpfeifen in Irland und das Grillenzirpen auf Sardinien aufgreift. Vom Band spielt er Beweismaterial ein. Dann bayerische Posaunen – und zum Abgleich das in der Tat posaunig klingende Stimmengewirr in einem Bierzelt. Birr zufolge immer noch besser als das monotone Wummern besagter Elektro-DJs, die bald vermutlich auch noch im Finanzamt und beim Zahnarzt eine Runde auflegen. Sprachliche Finessen haben es dem Kabarettisten angetan. Das wird deutlich, wenn er in einer fiktiven Chatunterhaltung seziert, wie der Austausch über einen belanglosen „Alle meine Entchen“-Clip bei Youtube langsam aber sicher aus dem Ruder läuft, weil politisch überkorrekte User an- fangen, sich über den dreist geäußerten Besitzanspruch in dem Lied zu ereifern, woraufhin jemand anders mit dem Verweis auf das viel bessere „Fuchs du hast die Gans gestohlen“ weiteres Öl ins Feuer gießt. Eine Gesellschaft, in der das Aufregen zum oft inhaltsleeren kulturellen Ritual verflacht ist, sie nimmt Birr an diesem Abend ins Visier, um >R__ ^Ze gZV]V_ ER]V_eV_+ Tilman Birr lockerte seinen Auftritt mit GeFOTO: ANDREAS KLATT sangseinlagen auf. ihr seine geistreichen, aber auch bildungsbürgerlichen Beobachtungen gegenüberzustellen. Langsam tastet er sich dann zu versauteren Themen vor, um diesen Eindruck etwas zu zerstäuben. Wenn er berichtet, wie er in seinen WG-Zeiten mit den durch Sex seiner Mitbewohnerinnen verursachten Lärmbelästigungen umgegangen ist, dann ist das brüllend komisch. Eine hat, um nicht gehört zu werden, immer Richter-Sendungen laut aufgedreht, in denen „Mittelschichtler Unterschichtler spielen“, berichtet Birr. Grandios auch die Zugabe, der Dialog eines jungen Mannes, dem der Geldbeutel geklaut wurde, mit einem Polizisten, der die Berliner Schnauze verkörpert – und sich doof stellt: „Sie wollen eine Anzeige aufgeben? Na, dann gehn’se doch zur Zeitung!“ Bleibt zu hoffen, dass der mit vielen Talenten gesegnete Berliner Bielefeld bald mal wieder beehrt.