Preview only show first 10 pages with watermark. For full document please download

„wie Kommt Das Kind Auf Den Geschmack?“ Geschmacksbildung

   EMBED


Share

Transcript

„Wie kommt das Kind auf den Geschmack?“  Geschmacksbildung und Entwicklung der Essgewohnheiten  Prof. i. R. Dr. Barbara Methfessel    Vortrag auf dem „2. Tag Gemeinschaftsverpflegung – gesund, regional und saisonal. Das Kind  kommt auf den Geschmack“ der Landesregierung Vorarlberg, Abteilung Landwirtschaft,  Schul‐ und Bildungszentrum, 27.01.2016, Hohenems/A.       Wir essen nicht, was uns schmeckt. Uns schmeckt, was wir essen.  Dass der Mensch essen muss und dass er die Voraussetzungen dazu hat, gibt die Natur vor –  was der Mensch essen sollte, aber nicht, zumindest nicht entscheidend. Als „Omnivore“ (Al‐ lesesser) hat der Mensch eine breite Vielfalt an Möglichkeiten, über die er entscheiden  muss. Das dabei entwickelte esskulturelle System gibt ihm entsprechende Strukturen für den  Alltag. Dieses System kann kulturell sehr unterschiedlich sein und entwickelt sich permanent  weiter – nicht immer im Dienste der Gesundheit. Der Beitrag von KiTa und Schule für die  Entwicklung des Essverhaltens ist bedeutsam, denn die „Qualität“ des Körperauf‐ und ‐ umbaus wird durch die Qualität des Essens gesteuert.  Leitend für die Essenswahl ist aus subjektiver Sicht, was schmeckt. Geschmack muss jedoch  gelernt werden wie eine Sprache: Die Voraussetzungen sind durch die Natur gegeben, wie er  aber die Vorgaben nutzt und wie diese ausgebildet sind, hängt von den ihm gebotenen  Lernmöglichkeiten ab. Von den grundlegenden Geschmacksarten süß, sauer, salzig, bitter,  umami sowie auch fettig wird zunächst süß bevorzugt, später salzig und sauer. Fett und um‐ ami werden als Geschmack selten getrennt wahrgenommen, sondern wirken geschmacks‐ verstärkend. Diese Grundgeschmacksarten sind nur eine Voraussetzung für die im Rahmen  der Esskultur entwickelte Akzeptanz. Die Vorlieben für Lebensmittel und Speisen hängen  zudem von Gewohnheiten und Erfahrungen ab bzw. werden durch Werte und Bewertungen  wie „gut“ oder „schlecht“, „wertvoll“ oder „unwichtig“ bestimmt. Die Summe der Erfahrun‐ gen bestimmt letztlich den „Geschmack“ und leitet in der entsprechenden Esskultur das Ess‐  und Ernährungsverhalten.  Erste Geschmacksentwicklungen finden bereits im Mutterleib über das Fruchtwasser statt.  Nach der Geburt muss sich ein Kind seinen Geschmack Schritt für Schritt, sozusagen Bissen  für Bissen „anessen“. Je besser das Kind lernt, sich neuen Geschmäckern zu öffnen, und je  breiter seine Geschmackspräferenzen (vor allem für Gemüse) werden, desto besser sind sei‐ ne Voraussetzungen für eine gute Ess‐Entwicklung. Neue Studien belegen diese alten Er‐ kenntnisse: Es schmeckt, was man (viel) isst – und was man in angenehmer Situation isst.  Das Essen in der KiTa und in der Schule legt damit eine Basis für das spätere Essverhalten.  Das Entscheidungsverhalten von Kindern undJugendlichen wird zudem durch die Gestaltung  des Angebotes beeinflusst: Von der Vielfalt der sinnlichen Eindrücke über die räumliche An‐ ordnung und die zeitliche Abfolge bis hin zur „Begleitungskommunikation“ reichen die Ein‐ flüsse auf die Ess‐Entscheidungen. KiTa und Schule haben für diese Entwicklung eine Ver‐ antwortung. Das angebotene Essen leistet einen wichtigen Beitrag für eine gute Versorgung  in Gegenwart und Zukunft der Kinder. Um auftretenden Herausforderungen begegnen zu  können, ist ein Grundwissen über die Entwicklung von Essverhalten und Geschmack er‐ forderlich, um zu folgenden Fragen angemessene Antworten zu finden:   Warum lehnen Kinder einen neuen Geschmack zunächst meist ab?   Wie ist in der Entwicklung mit dem Wechselspiel von Neugierde und Neophobie umzu‐ gehen?   Wie nutzen Kinder und Jugendliche ihre Sinne? Warum und wie wollen sie das Nah‐ rungs‐Angebot mit den Sinnen „abarbeiten“?   Warum sind sensorische Vermischungen lange unerwünscht?   Warum essen Kinder in KiTa und Grundschule so unterschiedlich?   Warum wird die Schulverpflegung umso problematischer, je älter die Kinder bzw. Ju‐ gendlichen werden?  Essen hat eine physische, psychische und soziale Funktion – und das Essverhalten ist ent‐ sprechend zu beeinflussen (im Positiven wir im Negativen). Unterschiedliche Essphasen und  Entwicklungsstufen verlangen verschiedene Essangebote, unterschiedliche Gestaltungen der  Esssituation und eine spezifische pädagogische Professionalität im Umgang mit Kindern bzw.  Jugendlichen und deren Ess‐Entwicklung.  Je älter die Kinder werden, desto wichtiger wird die soziale Situation. Das gemeinsame Essen  am Tisch dient nicht nur physischen, sondern auch sozialen und psychischen Bedürfnissen.   In der KiTa und Schule ist zum Essen und beim Essen viel zu lernen. Über Bildung und Erfah‐ rung sollen Kinder eine “Beziehung“ zu Nahrungsmitteln und Speisen aufbauen. Die Unter‐ scheidung von „Qualitäten“ (z. B. nachhaltiger, d. h. auch regionaler und saisonaler Angebo‐ te) kann schon früh einbezogen werden. In der Schule sind die „pädagogische Begleitung“  der Einführung und Gestaltung der Schulverpflegung sowie die Organisation und ggf. eine  altersgerechte Differenzierung häufig entscheidend für die Akzeptanz der Schulverpflegung.   Um diese Aufgabe angemessen zu bewältigen, ist eine KiTa‐ und Schulkultur und ‐ organisation wichtig, die ihren pädagogischen Auftrag auch über die fachliche Bildung hinaus  annimmt.    Literatur  Bertelsmann Stiftung. (2015b). Is(s)t KiTa gut? 7 Fragen zur (Mittags‐)Verpflegung in deutschen KiTas.  7 Antworten der Bertelsmann Stiftung: Status quo, Handlungsbedarfe und Empfehlungen. Zugriff  am 18.10.2015 unter: www.bertelsmann‐ stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/Is_s__KiTa_gut_7_Fragen_7_Antworten.pdf   Bucher, T., van der Horst, K. & Siegrist, M. (2011). Improvement of meal composition by vegetable  variety. Public Health Nutrition, 14(8), 1357‐1363.  Dr. Rainer Wild‐Stiftung (DRWS). (2008a). Geschmäcker sind verschieden. Fakten, Trends und Mei‐ nungen. Gesunde Ernährung interdisziplinär aufbereitet.   www.gesunde‐ ernaeh‐ rung.org/images/Dr_Rainer_Wild_Stiftung/07_Presse/Themenpapier/pdf/Geschmaecker_sind_ve rschieden.pdf  Dr. Rainer Wild‐Stiftung. (Hrsg.). (2013). Käsebrot und Marmelade – Geschmack ist mehr als  schmecken. Heidelberg: Dr. Rainer Wild‐Stiftung.  Methfessel, B., Höhn, K. & Miltner‐Jürgensen, B. (2016). Essen und Ernährungsbildung in  Kindertageseinrichtungen – von klein auf. Entwicklung – Versorgung – Bildung. Stuttgart:  Kohlhammer. (i. Dr.; Erscheinungstermin Februar 2016).  Pudel, V. & Westenhöfer, J. (2003). Ernährungspsychologie. Eine Einführung. Göttingen: Hogrefe.  Rützler, H. (2007. Kinder lernen Essen. Strategien gegen das Zuviel. Wien: Krenn.  Schönberger, G. & Methfessel, B. (Hrsg.). (2011). Die Mahlzeit. Alte Last oder neue Lust? Wiesbaden:  VS.  Film zur Kantine von Google http://abcnews.go.com/Nightline/video/google‐diet‐search‐giants‐ revamped‐eating‐habits‐18321039    Zur Person:  Prof. i. R. Dr. Barbara Methfessel (Dipl. Troph., Dr. phil.)   bis zur Pensionierung im  Herbst 2013  Professorin an der Pädagogischen Hochschule  Heidelberg für  das  Fachgebiet  Ernährungs‐  und  Haushaltswissenschaft  und  ihre  Didaktik  im  Fach  Alltagskultur  und  Gesundheit.  Arbeitsschwerpunkte:  Ernährungs‐  und  Verbraucherbildung,  Ernährung  und  Esskultur;  Ernährung, Lebensführung und Gesundheit.   Homepage: www.ph‐heidelberg.de/alltagskultur‐und‐gesundheit/alltagskultur‐und‐ gesundheit/gesundheit‐und‐ihre‐didaktik/personen/im‐ruhestand/prof‐dr‐barbara‐methfessel.html  Kontakt: methfessel@ph‐heidelberg.de