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Wir brauchen politische Bildung für Flüchtlinge! Nach aktuellen Schätzungen werden 2015 bis zum Jahresende mindestens eine Million Geflüchteter Deutschland erreicht haben. Das ist die höchste Rate an Schutzsuchenden seit 1992, als nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten knapp 440 000 Menschen nach Deutschland kamen. Und in absehbarer Zeit ist zunächst kein Abflauen dieser Flüchtlingsbewegung zu erwarten. Syrien ist mit großem Abstand das Hauptherkunftsland der Asylsuchenden, die übrigen Menschen flüchten größtenteils aus dem Irak, Afghanistan und den Balkanländern. Die Geflüchteten sind aktuell zu mindestens zwei Dritteln Männer. Zuweilen geht die Sorge um, dass sich unter den Neuankömmlingen auch Kämpfer des so genannten Islamischen Staats befinden könnten. Ein wachsames Auge ist diesbezüglich sicherlich angeraten. Zugleich sollte unser Augenmerk darauf gerichtet sein, dass die uns erreichenden Menschen mehrheitlich im Kontext von Diktatur, Krieg und (aus unserer Perspektive) wenig freiheitlichen Gesellschaftsordnungen sozialisiert wurden. Es ist daher dringlichst geboten, unsere neuen Mitbürger, die in anderen politischen und kulturellen Zusammenhängen aufgewachsen sind, geistig in Empfang zu nehmen. Dies ist und muss unser (als Zivilgesellschaft gesprochen) ureigenstes Interesse sein. Angesichts der Flüchtlingsfrage steht unsere gesamtgesellschaftliche Integration bzw. unser friedliches zivilgesellschaftliches Miteinander auf dem Spiel. Spätestens seit diesem Sommer ist die Stimmungslage zum Thema Geflüchtete zunehmend polarisiert und es kommt im gesamten Bundesgebiet zu Ausschreitungen und Übergriffen. Auch in Baden-Württemberg brennen immer wieder Unterkünfte von Asylsuchenden. Zugleich existiert deutschlandweit und in BadenWürttemberg eine große Bereitschaft seitens der Bevölkerung, den Geflüchteten zu helfen. Ehrenamtliche engagieren sich zu Tausenden, unterstützen die Neuankömmlinge mit Kleiderspenden, Deutschunterricht und Amtsbegleitung. Insbesondere vor Ort in den Kommunen der LEAs wächst jedoch die Unzufriedenheit mit der Situation, immer wieder kommt es zu Zwischenfällen zwischen Geflüchteten und Anwohnern. Seitens der Anwohner werden immer häufiger Vorurteile und Ängste verbalisiert, die ernst zu
nehmen sind. Beklagt werden u.a. (sexuelle) Belästigungen von Frauen, Vermüllung der Unterkünfte und der Umgebung, Lärm und vieles mehr. Das grundlegende Problem ist dabei vielfach, dass für die meisten Geflüchteten Deutschland und Europa mit den hier üblichen Sitten und Gebräuchen, Regeln und Gesetzen völlig fremd ist. Unter anderem die Gleichstellung von Mann und Frau oder die Sichtbarkeit von LSBTTIQ1 können zu Irritationen und Verwirrung führen und Vorschub leisten für übergriffiges Verhalten. Ebenfalls unbekannt sind hiesige Standards etwa im Bereich Umweltschutz (z.B. Mülltrennung), der Nichtraucherschutz, Ruhestörung,… ja sogar die Art der Benutzung einer Toilette kann zu Missverständnissen und Verwerfungen führen. Übergriffiges Verhalten und Konflikte zwischen Geflüchteten und eingesessener Bevölkerung sind ein reales Problem, das es zu thematisieren gilt. Teilweise vernimmt man die Einstellung, dass Übergriffe und seitens von Flüchtlingen begangene Straftaten nicht öffentlich zu machen seien, um Kritikern der Flüchtlingspolitik keine Legitimation zu verleihen. Damit ist sicherlich nur einem gedient: der Agitation und Hetze der (Rechts-) Populisten. Selbstverständlich dürfen wir die Probleme nicht totschweigen, nicht hinnehmen, wenn die Grundwerte unseres Zusammenlebens alltäglich nicht mehr gesichert scheinen. Wir dürfen aber diese Debatte auch nicht den Rechten bzw. Populisten jeglicher Façon überlassen! Vielmehr müssen die Herausforderungen in den Regelstrukturen mit bedacht werden. Zu einer verantwortungsvollen Flüchtlingspolitik gehört daher politische Bildung für Flüchtlinge. Politische Bildung ist dabei mehr als das Grundgesetz in Übersetzung zu verteilen. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Idee einer Bürgergesellschaft, all dies muss erlernt werden. Toleranz und Kritikfähigkeit muss vermittelt und immer wieder aufs Neue gestärkt werden. Bisher erhalten aber nur Geflüchtete mit gesichertem Aufenthaltsstatus einen so genannten ‚Integrationskurs‘ – der im letzten Kursabschnitt auch die Vermittlung zentraler Werte unseres gesellschaftlichen Miteinanders vorsieht. Integration umfasst mehr als die Beherrschung der deutschen Sprache, den Besitz eines Bildungsabschlusses und Erwerbstätigkeit. Letztlich ist Integration gesamtgesellschaftliche Beziehungsarbeit. Willkommenskultur ist in diesem Sinne mehr als eine (passive) Haltung. Wir müssen die Neuankömmlinge aktiv, proaktiv in Empfang nehmen, ihnen erklären, was uns wichtig ist im sozialen Miteinander.
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LSBTTIQ: die Abkürzung steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle und queere Menschen.