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Panorama
Der Landbote Freitag, 26. Februar 2016
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Gravitationswellen oder Erdbeben – peinliche Pannen in der Physik FORSCHUNG Die Messgeräte, mit denen Physiker grosse Entdeckungen machen, sind extrem störanfällig. So kommt es schon mal zu gröberen Fehlern, wie Beispiele aus der Vergangenheit zeigen. Vor zwei Wochen verkündeten Forscher die sensationelle Neuig keit: Sie hatten erstmals Gravita tionswellen gemessen, die Albert Einstein postuliert hatte und deren Existenz lange nicht nach gewiesen werden konnte. Doch können sie sich wirklich sicher sein? Denn das Signal, das die Messgeräte registriert haben, ist unvorstellbar klein. Die Gravita tionswelle hat die vier Kilometer langen Arme der LigoMessappa ratur lediglich um ein Tausends tel vom Durchmesser eines Was serstoffkernes gestaucht und gestreckt. Auf einen grösseren Massstab übertragen ist das so, als müsste man messen, ob sich die gesamte Milchstrasse um eine Armlänge vergrössert oder ver kleinert. Um überhaupt ein so winziges Signal wie das einer Gravitations welle wahrnehmen zu können, müssen die Messgeräte extrem empfindlich sein. «Unsere Inter ferometer springen schon an, wenn jemand im angrenzenden Bürogebäude eine Tür schliesst», sagt Andrew Lundgren vom AlbertEinsteinInstitut in Han nover und Mitglied der Ligo Arbeitsgruppe, welche die Gravi tationswellen gemessen hat. Es stellt sich also die Frage: Wie kön nen die Forscher ausschliessen, dass ihre Apparaturen nicht ein kaum spürbares Erdbeben, einen geheimen Atomwaffentest oder irgendeine andere Erschütterung registriert haben?
Voreilige Forscher Es wäre nicht der erste Fall, bei dem Forscher mit einer ver meintlich bahnbrechenden Ent deckung voreilig an die Öffent lichkeit gingen. Schon im März 2014 wollten Forscher einer Arbeitsgruppe aus Kanada, Grossbritannien und den USA bestimmte Gravitationswellen nachgewiesen haben: das soge nannte Echo des Urknalls. Bei der Entstehung des Universums ent standen nach der gängigen Theo rie Gravitationswellen, welche die kosmische Hintergrundstrah lung beeinflussen. Diesen Effekt glaubten die Forscher gemessen zu haben. Ohne die übliche Begut
achtung durch Fachkollegen abzuwarten, verkündeten sie das Ergebnis an einer grossen Me dienkonferenz. Doch im Nach hinein wurde klar, dass der ge messene Effekt in der Hinter grundstrahlung lediglich von kos mischem Staub stammte – nicht von Gravitationswellen. Kleinlaut zogen die Forscher ihre Ergeb nisse im Januar 2015 zurück. Ein ähnliches Fiasko erlitten Physiker der internationalen OperaArbeitsgruppe. Diese hat ten zwischen 2008 und 2011 Teil chen – sogenannte Neutrinos – gemessen, die vom Cern in Genf unterirdisch rund 730 Kilometer weit zum GranSassoLabor in den italienischen Abruzzen geflo gen waren. Das Erstaunliche dar an war, dass die Neutrinos schein bar schneller unterwegs waren als das Licht. Dieser Befund hätte Einsteins Spezielle Relativitäts theorie, einen der Grundsteine der modernen Physik, erschüt tert. Doch auch hier hatten die Forscher sich geirrt: Nach fünf Monaten Suche fanden sie ein loses Kabel in der Apparatur, welches die Messungen verfälscht hatte.
Störanfällige Instrumente Wie die Empfindlichkeit der Messinstrumente diese oft schon für die kleinsten Störungen an fällig macht, zeigt auch das Bei spiel des LEPBeschleunigers des Cern. Dieser Vorgänger des Large Hadron Collider (LHC) war von 1989 bis 2000 in Betrieb. Über Jahre trat immer um die gleiche Uhrzeit eine seltsame Störung auf: Die im LEPRing umlaufen den Teilchen wurden leicht von ihrer normalen Flugbahn abge lenkt. Lange rätselten die For scher über den Grund. Bis endlich im Jahr 1995 Messungen im Gen fer Hauptbahnhof die Lösung brachten. Immer, wenn dort ein TGVZug abfuhr, gelangte ein Teil des elektrischen Stroms von der Oberleitung über die Schienen in den Boden. Dieser Leckstrom suchte sich den Weg des gerings ten elektrischen Widerstands und
«Um Störsignale zu simulieren, rannten und stampften wir auf dem Parkplatz herum.» Andrew Lundgren, Physiker am Albert-EinsteinInstitut in Hannover
Hochempfindliche Messgeräte wie der CMS-Detektor am Cern sind extrem anfällig für Störsignale.
floss deshalb durch den Beschleu nigertunnel statt durch das um liegende Erdreich. Das erzeugte die Störung in den Messungen. Um solche Reinfälle zu vermei den, haben die Forscher der Ligo Arbeitsgruppe vorgesorgt. Die Instrumente sind so erschütte rungsfrei wie möglich aufgestellt. Mit Seismografen und unzäh ligen weiteren Sensoren wird die Umgebung rund um die Uhr überwacht, um Störsignale zu identifizieren. Bevor die Messun gen starten konnten, mussten der Physiker Andrew Lundgren und seine Kollegen zunächst alle denkbaren Störfaktoren ausfin dig machen und diese sogar
selbst erzeugen. «Wir rannten, stampften und fuhren mit Autos auf dem Parkplatz herum», berichtet Lundgren. Zudem wur den die verschiedensten Stör quellen am Computer simuliert. Auf diese Weise haben die For scher gelernt, die Störungen zu erkennen und später aus den Messdaten herauszufiltern.
Genaue Übereinstimmung Am 14. September 2015 – da liefen die Messgeräte gerade mal seit zwei Tagen und waren eigentlich noch im Testmodus – kam das entscheidende Signal. Mehrere Umstände sprechen dafür, dass den Physikern damit tatsächlich
die bisher schwer fassbaren Gra vitationswellen ins Netz gegan gen sind. Zum einen sieht die gemessene Welle genauso aus wie in den Computersimulatio nen, die die LigoForscher auf Basis der Gleichungen der All gemeinen Relativitätstheorie durchführten. Vorhersage und gemessenes Signal stimmen also sehr gut überein. Zum anderen deutet der Zeitunterschied, mit dem die Welle von den beiden Interferometern registriert wur de, auf eine sich mit Lichtge schwindigkeit ausbreitende Gra vitationswelle hin. «Ein Beben hätte sich viel langsamer ausge breitet», sagt Lundgren.
Cern
Auch Philippe Jetzer, Kosmo loge und Experte für Gravi tationswellen an der Universität Zürich, ist überzeugt, dass Ligo eine echte Entdeckung gelungen ist. «In den kommen den Jahren werden die Ligo Instrumente noch einmal emp findlicher werden», sagt Jetzer. Ausserdem seien weitere Instru mente geplant, die unabhängig von Ligo nach Gravitationswel len horchen sollen. Er erwarte deshalb, dass bis 2020 noch wei tere Gravitationswellen detek tiert werden. «Das wird den jet zigen Nachweis bestätigen», pro gnostiziert der Physiker. Leonid Leiva
Wer zur eigenen Gruppe gehört, ist weniger eklig PSyCHOlOGie Gestank ist immer abstossend – sollte man meinen. Doch das stimmt nicht. Denn unsere Wahrnehmung von Gerüchen variiert je nach sozialem Kontext. Von manchen Dingen ist man einfach angewidert, ohne etwas dagegen tun zu können. So kann zum Beispiel der schweissige Gestank eines ungewaschenen Menschen starke Ekelgefühle aus lösen. Offenbar findet man aber einen solchen Geruch nicht im mer gleichermassen abstossend. Es kommt vielmehr darauf an, ob man sich mit der Person verbun den fühlt – und solch eine Verbun denheit kann man sogar gegen über Unbekannten empfinden. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Studien britischer Wissenschaft
getragen hatte und die stark nach altem Schweiss stanken. Die Stu dierenden mussten anschliessend angeben, wie sehr der Geruch sie ekelte. In einer zweiten Studie mussten die Versuchsteilnehmer die getragenen TShirts sogar in die Hand nehmen. Hier wurde ihr Ekel daran gemessen, wie schnell im Anschluss und wie ausgiebig sie sich die Hände desinfizierten.
Unangenehmen Gerüchen kann man oft nicht ausweichen.
ler von den Universitäten St. An drews und Sussex. Die Psycho logen gingen der Frage nach, wie stark das Zugehörigkeitsgefühl zu
Shotshop
einer Gruppe das Ekelempfinden beeinflusst. Dazu liessen sie Stu dierende an TShirts riechen, wel che eine Testperson beim Sport
Fremde riechen stärker Das variierte, je nachdem in welcher Rolle sich die Probanden sahen. «Fühlten sie sich mit dem vermeintlichen Träger des TShirts verbunden, empfanden sie den Geruch als weniger unan genehm», sagt Studienleiter John Drury. Dies war beispielsweise der Fall, wenn sie vor dem Test darauf eingestimmt worden waren, sich als Vertreter ihrer Uni zu fühlen.
Rochen sie dann an einem TShirt mit dem Logo der eigenen Uni, ekelten sie sich weniger davor. Sie liessen sich dann fast doppelt so lang Zeit, bevor sie sich die Hände desinfizierten, als beim TShirt mit dem Logo einer fremden Uni. Dass man gegenüber naheste henden Menschen weniger Ab scheu empfindet als gegenüber Fremden, ist nicht überraschend. «Erstaunlich ist aber, dass ein Gefühl der sozialen Zugehörigkeit den Ekel auch gegenüber unbe kannten Personen abschwächt», sagt Drury. So wie es im Versuch der Fall war. Das Ekelgefühl erfüllt eine wichtige Funktion: «Es schützt uns davor, dass wir uns mit gefährlichen Krankheiten anste cken», sagt Drury. Denn Erreger lauern vor allem in den Ausschei dungen und Körperflüssigkeiten
anderer Menschen. Ekeln wir uns davor, halten wir automatisch Abstand. «Dieses Verhalten hat aber auch negative Folgen», sagt der Psychologe. Denn wird die Abscheu vor anderen Menschen zu gross, können wir keine Grup pen bilden und nicht miteinander kooperieren. Durch Zusammen gehörigkeitsgefühl – und sei es auch so abstrakt wie die Verbun denheit mit einer Uni – wird der Ekel abgeschwächt. Das erleich tert die Zusammenarbeit mit anderen. Claudia Hoffmann ProDUKtion Scitec-Media GmbH, Agentur für Wissenschaftsjournalismus Leitung: Beat Glogger Verantwortliche Redaktorin: Claudia Hoffmann
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