Transcript
________________________ Hessischer Rundfunk hr-iNFO Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann
Wissenswert Mikroplastik – eine unterschätzte Gefahr für die Umwelt von Johannes Kaiser Sprecher: Johannes Kaiser
Sendung: 06.03.16, hr-iNFO Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.
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Mod.
Winzige Plastikteilchen findet man heute in fast allen Gewässern. Sie stammen z. T. direkt aus der Kunststoffherstellung, sie haben in alltäglichen Reinigungs-und Pflegeprodukten gesteckt und sie sind entstanden, als Plastiktüten in der Natur in immer kleinere Bruchstücke zerrieben wurden. An Ende schwimmt all das in die Weltmeere, wo der Plastikabfall von zahlreichen Tieren aufgenommen wird. Mikroplastik: eine unterschätzte Gefahr für die Umwelt. Mein Name ist khw.
Akzent
Mod.
5 Partikel pro Kubikmeter Wasser: Die haben Forscher vor kurzem bei Analysen entlang des Rheins nachgewiesen. Als Durchschnittswert. Das klingt nicht nach viel Mikroplastik, aber die Masse macht's: Täglich befördert der Rhein mehr als 191 Millionen Plastikteilchen in Richtung Nordsee, und das allein an seiner Oberfläche. (Quelle: https://idw-online.de/de/news642970)
Welche Folgen das auch für uns Menschen haben könnte, das wird zurzeit noch in viel zu wenigen Instituten erforscht. Johannes Kaiser hat einige davon besucht.
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ATMO 1:
Meeresrauschen
TAKE 1:
O-Ton Angela Köhler
“Plastikteilchen kleiner fünf Millimeter, also auch noch mit dem bloßen Auge erkennbar, sind eigentlich überall zu finden, an unseren Stränden, in Wasserproben, in Sedimentproben, d.h. Bodenproben im Meer. Sie sind eigentlich ubiquitär verteilt.“
Spr.:
Angela Köhler, Professorin für Biowissenschaften und Umweltchemie am Alfred Wegener Institut in Bremerhaven befasst sich seit Jahren mit den Auswirkungen von Mikroplastik auf die Meereswelt. Problematisch sind vor allem die nicht mit bloßem Auge sichtbaren Plastikfragmente.
TAKE 2:
O-Ton Angela Köhler
“Entdeckt, dass sie überhaupt vorhanden sind, hat man anhand von Planktonnetzfängen im Meer, das heißt meine Kollegen haben plötzlich im Mikroskop Teilchen gesehen, die weder Algen noch sonstige vertraute Teilchen oder Organismen waren und sind so auf die Spur von Mikroplastik gekommen.“
Spr.:
Es gibt inzwischen keinen Ort mehr auf der Welt, weder zulande noch im Wasser, an dem man nicht auf Mikroplastik stößt und das ist eindeutig ein Ergebnis der weltweit massiv angestiegenen Kunststoffproduktion. Unglaubliche 280 Millionen Tonnen Kunststoff werden jedes Jahr rund um den Globus produziert. 10 Millionen Tonnen davon landen in den Meeren. Wellen und Wind zerschlagen und zerreiben die großen Teile in immer kleinere Fragmente, die in der Wassersäule schweben, auf den Meeresboden sinken oder verdriften und schließlich als Mikroplastik an allen Küsten der Welt angespült werden. Seite 3 von 17
Bei ihrer Suche nach Mikroplastik entdecken die Wissenschaftler in den Strandsedimenten zudem zwei bis vier Millimeter große Kunststoffpellets. Die werden in Container für die Produktion von Kunststoff rund um die Welt verschifft und gehen immer wieder einmal über Bord. Ein einziger Container enthält jedoch rund 50 Milliarden Stück. Bleibt noch jener Plastikmüll zu erwähnen, der illegal von den Schiffen über Bord entsorgt wird. Zudem gelangen gerade in Entwicklungsländern über die Flüsse riesige Mengen an Plastiktüten und Plastikflaschen in die Meere. Auch Urlauber hinterlassen an den Stränden viele Plastikabfälle. Die Forscher nennen diese Kunststofffragmente sekundäres Mikroplastik, weil es aus Zerfall und Abbau entstanden ist. Als primäres Mikroplastik bezeichnen sie all jene Kunststoffteilchen, die direkt so klein produziert werden. Dazu gehören unter anderem winzige Kunststoffkügelchen, die Kosmetika beigegeben werden. Sie dienen der Körper- und Gesichtspflege, werden vor allem in Peeling-Produkten eingesetzt. Der BUND, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland hat eine dreißigseitige Broschüre mit einer Liste aller Produkte aufgeführt, die solche Plastikpartikel enthalten. Dort finden sich alle großen Namen der Kosmetikindustrie. Nadja Ziebarth vom Meeresschutzbüro des BUND:
TAKE 3:
O-Ton Nadja Ziebarth
“Wir haben eigentlich in allen Sorten von Kosmetika Mikroplastik gefunden. Das ist Zahnpasta, Duschgels, Shampoos, aber auch in Make-up, Gesichtsreiniger, also eigentlich alles, was wir so im Badezimmer finden können. Und die, die teilweise drauf stehen haben Naturprodukte, auch dort haben wir Mikroplastik gefunden. Also leider
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ist, wenn da Naturprodukt draufsteht, nicht automatisch garantiert, dass da nicht auch Kunststoff drin ist.“
Spr.:
Direkt gesundheitsschädlich ist wohl keine dieser Verbindungen, denn sie brauchen eine EU-weite Zulassung. Die Auswirkungen auf die Umwelt haben aber bislang nicht geprüft werden müssen. Das gilt auch für jene Mikroplastikteilchen, die in professionellen Reinigungsmitteln eingesetzt werden. Sie verflüssigen zudem Autolack oder finden sich in Schuhcremes. Außerdem bleiben jedes Jahr einige zehntausend Tonnen synthetischen Kautschuks als Reifenabrieb auf den Straßen und werden in die Straßengräben oder die Kanalisation gespült. Bleibt noch eine weitere, sehr wichtige Quelle für Mikroplastik zu erwähnen: die Kleidung, insbesondere die Funktionswäsche oder die beliebten Fleecestoffe. Bei jeder Wäsche lösen sich zahlreiche winzige Fasern aus dem synthetischen Gewebe, gelangen ins Abwasser. Die Kläranlagen sind mit dieser Mikroplastikflut eindeutig überfordert, wie das AWI, das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, bei einer Untersuchung der Abwässer von zwölf ostfriesischen, sehr unterschiedlichen Kläranlagen festgestellt hat. Die Ergebnisse sind alles andere als beruhigend, so der Studienleiter, der Mikrobiologe Gunnar Gerdts.
TAKE 4:
O-Ton Gerdts
“So für den marinen Bereich muss man sagen, wenn wir Wasserproben analysieren, da kommen wir maximal so auf fünf Partikel pro Kubikmeter in der Nordsee. Also es ist relativ niedrig die Konzentration und wir waren doch relativ überrascht, dass wir diese relativ hohen Partikelzahlen, die wir im Abwasser gefunden haben. Das waren schon einige 100 bis einige 10.000.“
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Spr.:
Da die Mikroplastikpartikel und -fasern in den Kläranlagen nicht abgebaut werden können, bleibt all das, was rausgefiltert wird, im Klärschlamm zurück. 40 Prozent des Klärschlamms werden in Deutschland auf den Feldern ausgebracht. Der Wind verteilt aber nicht nur die Mikropartikel aus dem Klärschlamm weitflächig, er entführt auch beim Trocknen von Kleidung aus synthetischen Stoffen draußen an der Luft zahlreiche Fasern. Die finden sich dann überall, so Gerd Liebezeit, ehemals Professor für Chemie und Biologe an der Universität Oldenburg, seit seiner Emeritierung Leiter eines kleinen Forschungsinstituts:
TAKE 6:
O-Ton Gerd Liebezeit
“Wenn der Wind nachlässt, lagern sie sich auf allen möglichen Oberflächen auch ab. So, und also, was jetzt passiert, die lagern sich natürlich auch in Blüten ab. Blüten haben einen Stoff, der nennt sich Pollenkitt, das ist also ein Klebstoff, mit dem die Blüten normalerweise die Pollen an dem bestäubenden Insekten festkleben und da haften jetzt natürlich auch die Mikroplastikpartikel dran und werden also mit den Pollen zusammen in den Bienenstock gebracht und gelangen also auf diese Weise in den Honig.“
Spr.:
Inzwischen lassen sich nicht nur im Honig Plastikpartikel nachweisen, sondern auch im Bier. Niemand weiß bislang, wo sonst noch Kunststofffasern oder andere Mikroplastikpartikel zu finden sind, und ob sie möglicherweise - wie Feinstaub - gesundheitsgefährdend sind. Es fehlt einfach an Forschung. Das ist umso erstaunlicher, als Untersuchungen zeigen, dass sich die Partikel inzwischen auch in Flüssen und Seen nachweisen lassen, wie Christian Laforsch, Professor für Tierökologie an der Universität Bayreuth herausgefunden hat.
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TAKE 7:
O-Ton Christian Laforsch
“Unsere erste Studie war eine Studie am Gardasee. Dort haben wir Sedimente von verschiedenen Strandabschnitten untersucht und waren relativ überrascht, da wir dort Mikroplastikpartikel in einer Menge gefunden hat, wie man sie normalerweise an Stränden von mittelbelasteten Meeresstränden findet, das heißt, dass wir bis zu 1.000, teilweise über 1.000 Mikroplastikpartikel pro Quadratmeter Strand gefunden haben.“
Spr.:
Vor kurzem wurde von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne eine Studie über die Belastung der Schweizer Seen sowie der Rhone veröffentlicht. Danach fanden sich nicht nur in nahezu allen Wasserproben Mikroplastikartikel, sondern auch in den meisten Sandproben der Uferränder der Seen. Im Mittel betrug die Belastung rund 1.000 Mikroplastik-Partikel pro Quadratmeter Strand. Aufgrund ihrer Untersuchungen nehmen die Forscher an, dass jeden Tag rund 10 Kilogramm Mikroplastik über die Rhone ins Mittelmeer gelangen. Auch bei drei von 40 untersuchten Fischen sowie acht von neun Vogelkadavern fand sich im Verdauungstrakt Mikroplastik.
ATMO:
Laboratmo
kurz stehen lassen, dann Spr. drüberlegen
Spr.:
In einem kleinen, fensterlosen Raum des Instituts für Ökologie der TU Berlin stehen auf einem Labortisch zwanzig schlichte Glasbecher mit einem einfachen Glasdeckel. Sie sind mit Wasser gefüllt und in ihnen ranken sich filigrane, grüne Pflanzen bis zur Wasseroberfläche. Es sind einzelne Individuen des Tausendblatts, einer Süßwasserpflanze, die man in Seen und Flüssen findet. Sie streben dem hellen Licht der
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Leuchtstoffröhren über ihnen zu. Das künstliche Sonnenlicht versorgt sie mit Energie für die Photosynthese.
TAKE 8:
O-Ton Pflugmacher
„Wir verwenden jetzt hier eben Makrophyten aus unseren Gewässern wie jetzt hier die Wasserpest oder das Myriophyllum, also das Tausendblatt, um zu sehen, wie reagieren die, wenn diese Plastikpartikel sich auf der Oberfläche anlagern. Ist sie schön grün, ist alles gut, wird sie leicht gelb, wissen wir von der Fensterbank her, dann müssen wir was tun. Das ist hier im Labor nicht anders.“
Spr.:
Stephan Pflugmacher, Professor für Ökologische Wirkungsforschung und Ökotoxikologie an der TU Berlin.
TAKE 9:
O-Ton Pflugmacher
„Wir messen Chlorophyll, Carotinoide etc. Dann haben wir bestimmte andere Parameter, wo wir entscheiden können, geht es der Pflanze gut, geht es der Pflanze nicht gut und das ist beispielsweise oxidativer Stress. Das sind Enzyme, die eben hier Sauerstoffradikale abbauen, die dann entstehen können, wenn beispielsweise sich so Mikroplastik auf die Oberfläche ablagert. Dann wehrt sich die Pflanze dagegen.“
ATMO:
Labor
unter Spr. stehen lassen
Spr.:
Noch zeigen die Versuchspflanzen ein sattes Grün. Doch der Versuch hat auch gerade erst begonnen.
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TAKE 10:
O-Ton Pflugmacher
„Das kann sich mit der Zeit ändern. Vor allen Dingen müssen Sie überlegen, wenn sich Mikroplastik außen an der Pflanze anlagert, dann ist das wie ein Sonnenschirmchen und dieses Sonnenschirmchen nimmt der Pflanze dann Sonnenlicht weg: kein Licht, keine Fotosynthese, keine Fotosynthese keine Energie.“
ATMO:
Labor
unter Spr. stehen lassen
Spr.:
Krankt aber die Pflanze, kann das erhebliche Auswirkungen auf das Ökosystem haben.
TAKE 11:
O-Ton Pflugmacher
„Für das gesamte Ökosystem heißt das erst einmal, dass möglicherweise eben bestimmte Pflanzen reduziert werden, d. h. nicht nur für die Tiere, die Pflanzen fressen, ist dann die Nahrungsgrundlage nicht mehr da, sondern eben auch für die, die die Pflanzen als zum Beispiel Habitat, als Schutz nehmen, kleine Fische, Fischeier, Molcheier, Molchlarven, Kaulquappen, was auch immer, die sich eben im Ökosystem in so einem Pflanzengürtel verstecken. Wenn die Pflanzen nicht mehr da wären, dann sind die natürlich schutzlos. Und dann haben wir größere Effekte auf das Ökosystem, die wir im Moment nicht abschätzen können.“
Spr.:
Besonders dramatisch ist die Situation in den Meeren, denn viele Meereslebewesen halten die winzigen Kunststoffteilchen für essbares organisches Material. An der Universität Gent hat Liesbeth van Cauwenberghe dies bei Kiemenringelwürmer sowie Miesmuscheln und Austern beobachtet.
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TAKE 12:
engl. O-Ton Lisbeth van Cauwenberghe
Spr.in:
“Wir haben festgestellt, dass sowohl die Muscheln als auch die Kiemenringelwürmer Mikroplastik aufnehmen. Sie essen es, aber die Mehrheit dieses aufgenommene Mikroplastik wird wieder ausgeschieden. Einige Mikroplastikpartikel jedoch und zwar die kleinsten, die kleiner als 15 Mykrometer sind, sind so klein, dass sie die Magenwände dieser Organismen durchdringen können. Sie bleiben also nicht im Magen oder in den Eingeweiden, sondern sie wandern in das Zellgewebe der Organismen. Als wir unsere Experimente im Labor mit der Zufütterung von hohen Konzentrationen von Mikroplastik unternommen haben, haben wir einige kleinere Veränderungen im Metabolismus festgestellt, aber die waren nicht schwerwiegend genug, um den Organismus langfristig zu schädigen.“
Spr.:
Die meisten Forschungen zu Mikroplastik, viele sind es bislang nicht, werden nicht im Freiland, sondern in Messbechern oder Aquarien durchgeführt. Das gilt auch für Untersuchungen der Meeresbiologin Angela Köhler vom AWI, dem Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts. Sie hat Muscheln in Aquarien mit winzigen Kunststoffpartikeln aus Polyethylen gefüttert:
TAKE 13:
O-Ton Angela Köhler
“Wir haben dann festgestellt, das bereits innerhalb von 12 Stunden diese Partikelchen sich anreichern im Magen und auch in den Leberepithelien und konnten dann auch sehen, dass diese Partikelchen in einem vakuoligen Apparat in der Zelle, den wir die Mülleimer der Zelle nennen, angereichert werden und von da aus dann aber auch wieder rausgeschmissen werden in das Umgebungsgewebe und das 10
Interessante, was wir da gesehen haben, ist, dass diese entsorgten Plastikpartikelchen im Umgebungsgewebe ganz extreme Entzündungsreaktionen auslösen und es zu einer Bildung bindegewebiger Kapseln kommt, um diese Fremdkörper einzuschließen. Die pathologischen Phänomene, die erinnern uns auch sehr an das, was man im Menschen als die Anfänge der Asbestosis beschrieben findet.“
Spr.:
Da die Forscherinnen vom AWI bislang nur Kurzzeitexperimente durchgeführt haben, weiß niemand, ob sich nicht auch bei den Muscheln langfristig krebsähnliche Zellveränderungen wie bei Asbestfasern in der menschlichen Lunge ergeben werden. Beunruhigend ist zudem, dass Mikroplastik die fatale Eigenschaft hat, im Wasser schwebende Schadstoffe an sich zu binden. Dazu gehören z.B. Pestizide aus der Landwirtschaft, Medikamentenrückstände, Schwermetalle wie Cadmium, Blei, Chrom, Quecksilber, Nickel, Arsen oder Zink, Abrieb von giftigen Schiffsanstrichen. Zudem enthalten viele Kunststoffe selbst noch chemische Zusätze, die Meeresorganismen durchaus schädigen können.
TAKE 15:
O-Ton Gerd Liebezeit
“Also es gibt Stoffe, die antibakteriell wirksam sind im Plastik. Es gibt Stoffe, die als Lichtschutz gegen UV-Belichtung dienen. Deswegen kann man Plastik auch in die Sonne legen, ohne dass es sofort zerbröselt oder gelb wird. Also da gibt es sehr, sehr viele Stoffe, die im Plastik drin sind und von denen wir nur zum Teil wissen, wie sie in der Umwelt wirken. Wir wissen also aus direkten Untersuchungen, dass ein Teil dieser Stoffe sehr negative Folgen hat, wir wissen aber nicht, wie im Zusammenspiel Plastik, Zusatzstoffe, Umwelt wirken, also, ob sie
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ausgelaugt werden oder ob sie fotochemisch zersetzt werden oder ob sie bakteriell zersetzt werden. Das ist also alles noch nicht bekannt.“
Spr.:
Eine kürzlich vom AWI veröffentlichte Studie an verschiedenen Fischen hat gezeigt, dass vor allem die Mägen von Makrelen mit Mikroplastik belastet sind. Dazu heißt es:
2.Spr.:
„Der Grund: Die Fasern treiben oft in relativ hoher Dichte an der Wasseroberfläche. Sie ähneln dann in Form und Farbe frisch geschlüpften Seenadeln, auf die die Makrelen wiederum gern Jagd machen. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Fischarten, die an der Wasseroberfläche oder in den oberen Schichten nach Fressbarem suchen, eher Gefahr laufen, Plastik zu verschlucken.“
Spr.:
Bedenklich ist, dass die Mikroplastikpartikel ja nicht nur im Magen von Muscheln und Fischen, sondern mit ihnen auch im Magen von Menschen landen, so Lisbeth von Cauwenberghe von der Universität Gent.
TAKE 16:
engl. O-Ton Lisbeth van Cauwenberghe
Spr.in:
“Wir haben ausgerechnet, wenn man zwölf Austern isst, dann nimmt man etwa 100 Mikroplastikpartikel auf und dasselbe gilt für 250 Gramm Muschelfleisch. Auch da würde man 100 Mikroplastikpartikel mitessen. Das scheint nicht sehr viel, aber wenn man sich anschaut, was Europäer im Jahr an Schalentieren essen, dann schätzen wir, dass ein Topkonsument, der sehr viele Schalentiere isst, etwa 11.000 Mikroplastikpartikel pro Jahr aufnimmt. Das ist schockierend.“
Spr.:
Welche Auswirkungen die Aufnahme von Mikroplastik auf unsere Gesundheit haben könnte, weiß man nicht:
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TAKE 17:
engl. O-Ton Lisbeth van Cauwenberghe
Spr.in:
“Es hat bislang keinerlei Forschung darüber gegeben, was mit Mikroplastik passiert, das vom Menschen aufgenommen worden ist. Es gibt Hinweise darauf, dass es so wie bei den Miesmuscheln durch die Magenwände wandern, also in unseren Blutkreislauf gelangen kann, aber die Forschung darüber ist noch sehr begrenzt und es ist sehr, sehr schwierig, Aussagen über irgendwelche toxischen Effekte beim Menschen zu treffen. Es ist in Ratten, Hunden und Hasen nachgewiesen worden, dass diese Prozesse bei kleinen Partikeln wie Mikroplastik durchaus funktionieren und zwar bei Partikeln unter fünf Mikrometer. Da ist durchaus ein Transport möglich, aber was die Auswirkungen dieser Art von Transport sind, dazu gibt es keinerlei Forschung, soweit mir bekannt ist.“
Spr.:
Es fehlt bislang auch an Untersuchungen darüber, wie lange Plastik im Meer oder in Sedimenten erhalten bleibt:
TAKE 18:
O-Ton Gerd Liebezeit
“Also die Schätzungen gehen bis zu 1.000 Jahre und das ist einfach der Tatsache geschuldet, dass es auch da wieder zu wenige Untersuchungen gibt, unter welchen Bedingungen wie rasch dieser Zerfall vor sich geht. Es gibt mittlerweile einige neuere Untersuchungen von amerikanischen Kollegen, die zeigen, dass dieses Plastik eine sehr spezielle bakterielle Besiedlung hat, und dass diese Bakterien also in der Lage sind, das Polymer zu zersetzen und gleichzeitig hat man in dieser speziellen Bakterienpopulation nachgewiesen, dass sie Gene haben, die Enzyme für den Kohlenwasserstoffabbau machen, d.h. die sind von ihrer genetischen Ausstattung in der Lage, Polyethylen abzubauen.“ 13
Spr.:
Das belgische Unternehmen OWS, Organic Waste Systems, sucht derzeit im Auftrag der EU und der Kunststoffindustrie nach Mikroorganismen, die in der Lage sind, Kunststoffe sozusagen zu verdauen, d.h. in ungefährliche Bestandteile zu zerlegen. Bruno de Wilde leitet als Chef der Abteilung für Bioabbaubarkeit, Kompostierbarkeit und Ökotoxikologie die Laborforschungen:
TAKE 19:
engl. O-Ton Bruno de Wilde
2.Spr.:
“Wir versuchen, Mikroorganismen zu isolieren, die in der Lage sind, konventionelle Polymere abzubauen. Ein Polymer ist eine ganz lange Kette von schmalen Elementen wie die Kettenglieder einer Fahrradkette, und als erstes wird die Fahrradkette in kleinere Teile zerschnitten. Dann werden aus der langen Fahrradkette kleinere Fragmente, die immer kleiner werden und zu einem bestimmten Zeitpunkt werden diese kleineren Elemente in Alkohol und Säuren verwandelt, die dann von Mikroorganismen zu Kohlendioxid verdaut werden, wie das alle Organismen normalerweise mit Essensresten machen.“
Spr.:
Das gilt allerdings nur für abbaubare Kunststoffe. Beim übrigen Plastik ist das erheblich schwieriger. Hier hat man allerdings auch erste Bakterien, Pilze und Enzyme gefunden, die zumindest im Labor Kunststoff abbauen konnten. So hat man zum Beispiel elf Bakterientypen gefunden, die PVC zerlegen. Auch bei den sehr gebräuchlichen Kunststoffen wie Polypropylen, Polystyrol und Polyäthylen konnte man einen gewissen Abbau feststellen:
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TAKE 20:
engl. O-Ton Bruno de Wilde
2.Spr.:
“Die nächste Herausforderung besteht darin, die Ergebnisse unter realen Lebensbedingungen zu wiederholen, so dass dieser Abbau nicht nur ausschließlich im Labor stattfindet, wo diese Bakterien nur das Plastik als Futter bekommen. Sie müssen also dieses Plastik fressen oder sie verhungern, während es unter natürlichen Bedingungen noch ganz anderes Futter gibt. Werden sie auch dann das schwierigere Plastik fressen, wenn es noch anderes Futter gibt, an das sie leichter kommen? Und schließlich stellt sich noch die Frage, ob wir diesen Prozess beschleunigen können, so dass das Plastik schneller abgebaut werden kann. Sie sehen, es gibt noch eine Menge Arbeit, die erledigt werden muss.“
Spr.:
Die einfachste Lösung wäre natürlich, Plastik gar nicht erst in die Umwelt gelangen zu lassen. Doch das ist illusorisch. Man kann die Menge allerdings drastisch reduzieren, indem man zum Beispiel kein Plastik mehr in Deponien vergräbt, sondern recycelt oder, wenn das nicht mehr möglich ist, verbrennt. Um die illegale Entsorgung von Plastikmüll auf hoher See einzuschränken, fordert zum Beispiel des Umweltbundesamt, überall die Müllentsorgung in die Hafengebühren mit einzupreisen. Fischernetze könnten markiert, die Abgabe alter Netze könnte belohnt werden. All diese Maßnahmen nutzen natürlich nur etwas, wenn alle EU-Staaten dabei mitmachen, denn Plastikmüll kennt keine Ländergrenzen. Was im Meer landet, strandet an allen Küsten. Ein Plastikanteil des Mülls lässt sich allerdings sehr einfach entfernen: die Mikroplastikpartikel aus Kosmetika. Die Bundesregierung strebt eine freiwillige Vereinbarung der Hersteller an, auf Mikroplastik zu verzichten. [[Dem Mikroplastikexperten Roland Essel reicht eine solche Absichtserklärung nicht:
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TAKE 21:
O-Ton Roland Essel
“Diese freiwilligen Selbstverpflichtungen können ja jederzeit zurückgenommen werden und die gelten nur für bestimmte Unternehmen. Da haben sich noch nicht alle Unternehmen daran gebunden. Wir würden auf jeden Fall fordern, dass diese Mikropartikel in kosmetischen Produkten verboten werden und zwar aus dem einfachen Grund, dass es sinnvolle, leicht einzusetzende Naturmaterialien und Alternativen gibt wie Biokunststoffe, die eventuell dann auch im Meer abbaubar sind.“ ]] Spr.:
Mehrere große Kosmetikherstellen haben sich bereit erklärt, künftig auf Mikroplastik zu verzichten. Auch bei der Firma Beiersdorf sucht man nach umweltverträglichen Alternativen, so ihr Sprecher Volker Holle:
TAKE 22:
O-Ton Volker Holle
“Generell besteht die Möglichkeit, natürliche Materialien einzusetzen, zum Beispiel harte Fruchtschalen oder abbaubare synthetische Materialien, zum Beispiel bestimmte Wachse. Also das Material muss natürlich in erster Linie hautverträglich sein und natürlich auch abbaubar sein und es ist ganz wichtig, dass es nicht allergen ist, auch Allergiker dieses Material verwenden können.“
Spr.:
Man sollte sich allerdings keine Illusionen machen. Selbst wenn die Mikroplastikteilchen aus Kosmetika aus dem Abwasser verschwinden, bleibt das grundsätzliche Problem weiterhin bestehen.
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TAKE 23:
O-Ton Stephan Pflugmacher-Lima
“Wenn wir uns den marinen Bereich anschauen, dann geht das dort, denke ich mal, schon in Richtung Desaster. Wenn ich davon ausgehe, dass diese kleinen Partikeln sich im Wasserkörper befinden, dann sind die doch eine relativ große Gefahr für das Ökosystem, wenn wir wiederum an die Nahrungsnetze denken. Es geht ja vom kleinen Organismus, der es einfiltriert, weil er nicht anders kann, dann bis hin zu den Fischen, die wir dann auch irgendwann essen wollen. Und ich weiß nicht, ob wir so erfreut darüber sind. Wenn halt so viel Plastik mit dabei ist, denke ich, müssen wir ein bisschen vorsichtig sein.“ ATMO :
Meeresrauschen
Abmod.
"Mikroplastik: eine unterschätzte Gefahr für die Umwelt." In hr-iNFOWissenswert hörten sie einen Beitrag von Johannes Kaiser. Und wenn wir Sie neugierig gemacht haben auf weitere Beiträge der Reihe Wissenswert, dann schauen Sie einfach mal in unser Podcast-Angebot auf hr-inforadio.de, unter der Rubrik Wissenswert. Mein Name ist khw.
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