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Inter nationa le Pr essekor r espondenz
ZEITENWENDE IM SPANISCHEN STAAT?
Januar/Februar
1/2016
Ausgabe 1/2016
Dossier
Frankreich
Ökologie
Ökonomie
ZEITENWENDE IM SPANISCHEN STAAT?
Resolution der NPA (Frankreich)
COP 21 – viel Lärm um nichts
Automobilindustrie – same procedure …
Südamerika
Dieses Dossier bietet einen Überblick über die Strömungen aus der Bewegung 15-M und die Schwierigkeiten, vor denen Podemos, die übriggebliebene Erbin, heute steht.
Gegen den IS und seine verabscheuungswürdigen Attentate! Solidarität mit den Opfern! Gegen Notstand und Rassismus! Gegen den Burgfrieden mit der Regierung!
„Die Exportquote der Automobilindustrie beträgt 77 %, was bedeutet, dass der gesamte Exportüberschuss Deutschlands zu 60 % automobilbedingt ist.“ (VDA)
Ein Dossier mit 6 Beiträgen
Politisches Komitee der NPA
Der Klimagipfel endete erwartungsgemäß mit einem Abkommen. Gleichzeitig müssen sich die kapitalismuskritischen Kräfte der Ökologiebewegung in ihren Befürchtungen bestätigt sehen.
Die Krise des südamerikanischen „Progressismus“, der die Linke teilweise an den bürgerlichen Staat gefesselt hat, kann neuen revolutionären Aufbrüchen nützen, wenn sie nicht nach rechts gewendet wird.
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Von Daniel Tanuro
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Von Jean-Claude Vessillier
Ende einer Ära in Südamerika?
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Von Frank Gaudichaud
I n h a lt
die internationale
Neue Strategie, neue Partei? Der Autor bilanziert die in die Krise geratenen Strategien der „linken Regierungen“ und der „breiten Parteien“ in Südamerika und Europa. Welche Wirkung haben sie auf das revolutionäre Bewusstsein?
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Von Willi Eberle
Dossier
ZEITENWENDE IM SPANISCHEN STAAT? Dieses Dossier bietet einen Überblick über die Strömungen aus der Bewegung 15-M und die Schwierigkeiten, vor denen Podemos, die übriggebliebene Erbin, heute steht. Ein Dossier mit 6 Beiträgen
Spanien nach der Wahl
Empörung trifft auf Friedhofsruhe
Der Nachhall der Empörung
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Seite 5
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Über die Kunst, den Himmel über Wahlen erstürmen zu wollen Seite 14
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Katalonien – Stunde der Wahrheit Seite 20
Von Laclau zu Iglesias – Theorie und Praxis des (Neo)populismus Seite 22
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Spanien nach der Wahl „Sorge um Stabilität in Spanien“, so titelt die SZ nach den Wahlen vom 20. Dezember, die (zumindest vorläufig) das Zweiparteiensystem – das zugleich Produkt und Garant des postfranquistischen Übergangsregimes (transición) war – aufgebrochen haben. MiWe Die seit erst knapp zwei Jahren als „Partei der Bewegung“ bestehende Podemos („Wir können“) erhielt jede fünfte Wählerstimme und lag nur knapp hinter der sozialdemokratischen PSOE. Diese ist gemeinsam mit der weiterhin stimmenstärksten PP (Volkspartei) tief in Korruptionsskandale verwickelt.1 Damit scheint ihr Abwärtstrend gestoppt, der Podemos vorübergehend zur – demoskopisch – stärksten Partei hatte werden lassen: Bei den katalanischen Regionalwahlen wurde die Partei mit knapp 10 % der Stimmen klar distanziert und lag noch hinter der linksautonomistischen CUP. Eine Abfuhr erhielten die Systemparteien, die dem Neoliberalismus und den Konvergenzkriterien verpflichtet sind und deren Austeritätspolitik zu einer nachhaltigen Verelendung weiter Teile der Bevölkerung geführt hat. Podemos hingegen profitierte – außer vom Verdruss der Bevölkerung an den Systemparteien – vor allem vom Elan der Bewegungen. Deren Potenzial ist weiterhin vorhanden, auch wenn ihr Enthusiasmus und ihre sichtbare Präsenz in den letzten Jahren abgeebbt sind. Schließlich sind die Ursachen, die zur Empörung geführt hatten, weiter vorhanden. Insofern kann die Partei momentan auf eine breite soziale Basis blicken. Daneben darf aber nicht übersehen werden, dass auch ein wahltaktisches Kalkül mit ausschlaggebend war. Eine Analyse des schlechten Abschneidens bei den Regionalwahlen in Katalonien hat den Podemos- Beraterstab, der das Abschneiden bei den Wahlen zum Wesen der Politik schlechthin erklärt, zweifellos veranlasst, die fragwürdige Position in der Nationalitätenfrage zu relativieren und eine Annäherung an die basisorientierten Wahlblöcke in einzelnen Regionen zu suchen, die bereits bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 2015 erfolgreich waren. In Galicien, Katalonien und der valencianischen Gemeinschaft kandierte Podemos auf den Listen von En Comú Podem , En Marea, Compromis-Podem und konnte so mit jeweils 25 % zur stärksten bzw. zweitstärksten Forma-
tion werden, was Iglesias in neuer Tonart vom „plurinationalen spanischen Staat“ sprechen ließ. Offen ist zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Heftes, welche Allianzen sich bilden werden. Die folgenden, noch vor den Wahlen verfassten Artikel geben in weiten Teilen eine Antwort auf die eingangs zitierte Befürchtung des bürgerlichen Lagers und erläutern, wieso ein ernsthafter Bruch mit der neoliberalen Agenda nicht zu erwarten ist. Zu eindeutig sind die von „Realpolitik“ geprägten Stellungnahmen an der Spitze von Podemos, die über kosmetische Korrekturen an der EU-diktierten Sparpolitik nicht hinausweisen. Auch wenn sich die Basis von Podemos zurecht zum erfolgreichen Abschneiden gratulieren darf, sind die Machtbasis des Kapitals und die Ansprüche der Troika ungebrochen. Insofern stehen die entscheidenden Kämpfe noch bevor und müssen von der Basis aus gefochten werden – gemeinsam mit allen Genossinnen und Genossen, auch denen von IU-Unidad Popular, der wohl nach griechischem Vorbild umbenannten Izquierda unida. 1 Infolge des undemokratischen Wahlsystems erhalten kleinere Parteien wie die IU-PP, die unter Hinzuzählung ihrer Beteiligung an Wahlblöcken faktisch bei knapp 5 % liegt, eine unterproportionale Vertretung im Parlament. IU-PP erhielt demnach – wie die linksnationalistische baskische Bildu – nur 2 Sitze. Die vor der Wahl hochgejubelten und stark gepuschten Ciudadanos blieben mit 14 % weit unter den Erwartungen.
Empörung trifft auf Friedhofsruhe Im Mai 2011 veränderte ein unerwarteter Ausbruch von Empörung die bis dahin von Apathie und abflauenden Kämpfen geprägte politische Szenerie. Ein Überblick über die damalige Bewegung und ihren Ursprung. Manuel Garí Aus der unvermutet entstandenen Bewegung der Empörten vom 15. Mai 2011 (15-M) entwickelte sich eine massive LegiInprekorr 1/2016 5
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timationskrise des politischen Regimes, das in der Übergangsphase der postfranquistischen Ära Mitte der 70er Jahre entstanden war. Die revolutionäre Linke stand mit ihrer Kritik des sozio-ökonomischen Systems und des politischen Regimes schon nicht mehr allein. Zehntausende junge und weniger junge Menschen strömten schon bald auf die Plätze und skandierten: „Wir sind keine Ware der Politiker und Banker“, „Wir bezahlen nicht für Eure Krise“, „Wir schulden nichts, wir zahlen nichts“, „Dies ist keine Krise, sondern Betrug“ oder „Sie nennen es Demokratie, aber es ist keine“. Mit dieser Rebellion hat der vorherrschende Konsens über das „Übergangssystem“ [nach dem Franquismus] und seinen demokratischen oder undemokratischen Charakter sowie über die Rolle der vorherrschenden Parteien und des Finanz- und Wirtschaftssystems Risse erhalten. Dafür war dreierlei ausschlaggebend: erstens die Auswirkungen der durch die EU vorgegebenen Austeritätspolitik mit steigender Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen; zweitens die Finanzskandale und unzähligen Korruptionsaffären der großen Parteien und ihre Kumpanei mit den Nutznießern öffentlicher Aufträge in den Konzernetagen; und v. a. drittens die Verknöcherung des politischen Systems. Wie Daniel Bensaïd meinte: “Die Empörung ist ein Anfang. Eine Art, sich zu erheben und aufzubrechen. Man empört sich, erhebt sich und danach sieht man weiter.“. Im Falle Spaniens hat die Bewegung zu neuen Kampfes- und Mobilisierungsformen geführt, neue Bündnisse entstehen lassen und schließlich die Notwendigkeit eines Eingreifens in die Wahlen auf die Tagesordnung gestellt. Politischer Aufbruch
Durch diese Proteste ist ein Fenster geöffnet worden, das zu einem demokratischen Bruch mit dem System und zu einer neuen Verfassungsgebung führen konnte. Der Ausgang war offen und sollte von den kommenden Veränderungen im politischen Bewusstsein der Massen und in den Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen abhängen. Eine neue Seite im politischen Buch war aufgeschlagen worden und vorbei die Jahre des Stillstands und der Resignation. Diese Bewegung war nicht organisiert, aber sie hatte Massenunterstützung und war sehr gut in der Lage, Kämpfe zu organisieren. Keine antikapitalistische Bewegung, aber dafür eine Bewegung, deren radikales Bewusstsein mit jedem Tag wuchs, was die Entstehung alternativer (wahl)politischer Organisationsformen mit anti-neoliberaler Ausrichtung ermöglichte. Dies führte schließlich zur Gründung von Podemos und der verschiedenen „kommunalen Wahlplattformen für eine andere Politik“ oder 6 Inprekorr 1/2016
auch solcher Formationen wie der CUP in Katalonien und anderswo. Die Parlamentswahlen in Spanien am 20. Dezember gelten allgemein als richtungsweisend, zumindest aber als außergewöhnlich, da erstmals seit dem Ende des Franquismus (außer in Euskadi und Katalonien, wo eigene, vielfältigere und pluralistischere Parteien bestehen) die Wahlprognosen nicht zugunsten der beiden großen Parteien, die sich bis dato an der Regierung abgewechselt haben, ausfallen. Bei den Wahlen von 1977 und anschließend, bis zum ersten Wahlsieg der Sozialdemokraten 1982, suchten die aus dem franquistischen Regime hervorgegangenen Parteien mit einer breiten Unterstützung, die von den Unternehmern bis zu den traditionellen Arbeiterparteien und den ihnen nahestehenden Gewerkschaften reichte, nach einer Reformlösung, die keinen wirklichen Bruch mit der Diktatur bedeutete. Der im Übergangssystem kodifizierte Konsens führte dann dazu, dass jede abweichende Meinung und soziale wie politische Fundamentalopposition mundtot gemacht wurden. Auch neue Gesetze und Vorgaben über territoriale, wirtschaftliche und politische Fragen wurden darin haargenau festgelegt. Wenn sich die alten Systemparteien PP und PSOE oder ihre neue „Alternative“ Ciudadanos wieder durchsetzen, wird auch am 20. Dezember kein demokratischer Bruch auf der Tagesordnung stehen. Trotzdem gilt als ausgemacht, dass diese Parteien substantielle institutionelle Veränderungen in Angriff nehmen müssen. Wenn Podemos diese Situation ausnutzt und dafür breit in der Bevölkerung mobilisiert, und wenn die autonomistischen Parteien mitziehen, dann könnte das Übergangssystem, das auf der Verfassung von 1978 gründet, Risse bekommen. Dann könnte auch, wenn neuerliche Massenmobilisierungen entstehen, ein neuer verfassungsgebender Prozess in Spanien und den nach Autonomie strebenden Regionen zustande kommen. Daraus ergibt sich folgende Frage: Woran ist das zwischen 1976 und 1978 errichtete System aus demokratischer Sicht gescheitert? Eine ausbleibende Revolution
Aus dem politischen System in Spanien hat sich niemals ein richtiges Zweiparteiensystem entwickelt, so wie es die Modernisierer der franquistischen Diktatur erträumten, oder auch die Sozialdemokraten, die durch die finanzielle Unterstützung aus Deutschland zu einer Großpartei werden konnten. Ausschlaggebend dafür waren die Wahlerfolge der KP und später der Izquierda Unida (Vereinigte Linke, IU) sowie der historisch gewachsenen Regionalparteien
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linker oder rechter Couleur in Katalonien, Euskadi oder Galicien. In der Praxis jedoch funktionierte der Wechsel an der Regierung zwischen der Rechten (zunächst durch die inzwischen verschwundene UCD, später durch die – das entstandene Vakuum auffüllende – PP vertreten) und der Sozialdemokratie als perfekter Stabilisator des Übergangssystems auf der Verfassungsgrundlage von 1978 und war in der Lage, die ihnen zugedachte Funktion als Sachwalter der Kapitalinteressen gegenüber den Ansprüchen der arbeitenden Klassen wahrzunehmen. Die PP fungierte dabei unmittelbarer im Interesse des Kapitals und war auch stark in deren Geschäfte verstrickt, während die PSOE dem Kapital als nicht ganz so zuverlässig galt und eher in kritischen Momenten und für die Drecksarbeit herangezogen wurde. Sobald die demokratischen Freiheiten und gewerkschaftlichen Rechte wieder hergestellt waren, wurde ihr Ausbau durch das Regime verhindert. Die Wiederherstellung der Monarchie mit Francos Ziehsohn Juan Carlos als König und die „nationale Versöhnung, die beispielhaft in den Worten eines ihrer großen Protagonisten, des Eurokommunisten Santiago Carillo („Amnestie im Austausch gegen Amnesie“) zum Ausdruck kam, bedeutete am Ende eine Amnestie für die Schlächter und den Verzicht auf personelle Säuberung der franquistischen Staatsapparate von Faschisten und brach sowohl Bewusstsein als auch Kampfkraft der Massen. Darin liegt der grundlegende Unterschied zu Portugal, wo nach der Nelkenrevolution vom 25. April 1974 ein neues Regime legitimiert wurde. In Spanien hingegen gab es keinen Neuanfang und keinen Bruch mit der Diktatur. Im Einverständnis mit der PSOE und der KP wurden die Probleme unter den Teppich gekehrt. Der „Übergang“ bedeutete die Niederlage einer kämpferischen und mächtigen Arbeiterbewegung, deren politisches Bewusstsein jedoch schwach war. In den 80er Jahren verfestigten sich unter den sozialdemokratischen Regierungen von Felipe González die restaurativen Tendenzen, die unter den PP-Regierungen von Aznar in den 90er Jahren und in den ersten 2000er Jahren noch stärker zum Vorschein traten, nämlich zunehmende Ungleichheit, Verbleib in der Nato und forcierte Umsetzung der neoliberalen Agenda, als da sind: Wettbewerbsfähigkeit, Flexibilisierung der Arbeit, Aufhebung des Gegensatzpaares Rechts-Links, Deindustrialisierung und Hinwendung zur Dienstleistungswirtschaft im Rahmen der vom Kapitalismus Spanien zugedachten Rolle in der internationalen Arbeitsteilung sowie Abbau und Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen. Die neoliberale Politik des Sozialdemokraten Zapatero ebnete den Weg
für seinen konservativen Nachfolger Rajoy, unter dem mit Beginn der internationalen Krise 2008 eine weitreichende Umverteilung zulasten der Lohnabhängigen und zugunsten der Reichsten vollzogen wurde. Das Bindeglied zwischen gestern und heute
Das Zweiparteiensystem von PSOE und PP, das bis zu 80 % der Wähler hinter sich scharen konnte, nahm eine Schlüsselrolle im politischen Leben Spaniens ein und war zugleich der Garant für die Beibehaltung der Monarchie und der tragenden Institutionen des alten Regimes, die wie eh und je und mit demselben Personal funktionieren (Armee, Justiz, Polizei etc.). Ebenso unangetastet blieb die wirtschaftliche und politische Macht der Finanz- und Immobilienoligarchen, die die Politik der Bourgeoisie als Ganzes maßgeblich bestimmen. Als Teil der neoliberalen Agenda dieser beiden Parteien konnte eine Wirtschaftspolitik durchgesetzt werden, die von den europäischen Institutionen, namentlich der EZB und EU-Kommission als Hauptakteure […], dem IWF, den französischen und deutschen Großbanken und – vermittels der Handelsverträge – den USA diktiert worden ist. Dadurch wurde die Ungleichheit drastisch verschärft. Erstmals in der Geschichte des Landes liegen die Kapitaleinkünfte über den Arbeitseinkommen. Auch innerhalb der Lohnabhängigkeit geht die Schere weiter auseinander, wie die Spanne zwischen den 5 % Bestverdiener und den unteren 50 % zeigt. Der Gini-Index als Maß der ungleichen Einkommensverteilung liegt bei dem sehr hohen Wert von 0,347. Nach einem kürzlich veröffentlichten Bericht der – sicherlich nicht kapitalismuskritischen – Caritas garantiert ein Arbeitsplatz nicht mehr, der Armut entrinnen zu können. Nach Angaben der Statistikbehörde INE lebten 2013 im Spanischen Staat 22,2 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsschwelle, mit der schrecklichen Konsequenz, dass viele Familien nicht mehr heizen können, die Zahl der Obdachlosen explodiert und die Mangelernährung unter den Armen sprunghaft zugenommen hat. Die kommenden Parlamentswahlen werden den politischen Zyklus schließen, der 2011 mit zwei prägenden Phänomenen begonnen hat. Erstens der Bewegung der Empörten, die die Korruption und Illegitimität des politischen Systems angeprangert und somit den Protest der Bevölkerung gegen die Folgen der Austeritätspolitik zum Ausdruck gebracht hat. Über die „mareas“ griff diese Bewegung samt ihrer übergreifenden Mobilisierungsformen auf die arbeitenden Klassen über und mündete in den Kampf gegen die Verfassungsänderung der Regierung Zapatero, wonach inzwischen die Gläubiger vorrangig vor den Sozialbudgets und öffentlichen Inprekorr 1/2016 7
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Ausgaben bedient werden. Zweitens kam es zu einem Aufschwung der Unabhängigkeitsbestrebungen in Euskadi (wo im selben Jahr die ETA das Ende ihrer bewaffneten Aktionen verkündet hat) und in Katalonien. Mit einem Mal tauchte alles, was in der Verfassung von 1978 als ein für alle Mal erledigt erschien, nach 33 Jahren als Gespenst wieder auf. Bloß dass sich die Umstände mittlerweile völlig geändert haben: Über die Jahre hinweg sind die Illusionen in die Demokratie geschwunden, Kämpfe gingen verloren und die Gewerkschaften haben sich angepasst. Und die linken Parteien sind nicht mehr stark wie einst, dafür aber ist eine neue Generation erwachsen – ArbeiterInnen, Studierende, prekär Beschäftigte und Erwerbslose – die nicht mehr in den „institutionellen Konsens“ eingebunden sind, der jahrelang dazu gedient hat, dass sich das Volk bescheidet und ergibt. Um eine Formulierung von Jaime Pastor aufzugreifen, ist der Widerspruch zwischen dem „konstitutionellen Fundamentalismus“ der Systemparteien und der demokratischen Legitimation unübersehbar geworden. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass das voraussichtliche Ende des Zweiparteiensystems die Krise des Übergangsregimes verschlimmert, zumindest nicht automatisch. Einerseits hängt dies vom Ausgang der Parlamentswahlen ab, andererseits auch davon, inwieweit die soziale Bewegung, die 2011 entstanden ist, wieder auf die Straße zurückkommt. Sicher ist bloß, dass das politische Leben – im Parlament und außerparlamentarisch – nicht mehr so sein wird wie zuvor. Das Regime ist angezählt
Die größte Schwachstelle ist die nationale Frage. Es ist nicht mehr möglich, die Erwartungen weiter Teile der baskischen und katalanischen Bevölkerung, über sich selbst bestimmen, sich selbst uneingeschränkt regieren und zu einer souveränen Nation werden zu können, im bestehenden Rahmen des „Staats der Autonomien“ weiter zu kanalisieren. Diese Formulierung wurde in der postfranquistischen Ära erfunden, um zu verhindern, dass die historisch gewachsenen Nationalitäten ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Mehrheit der Menschen in diesen Nationalitäten schlichtweg für Autonomie und des autoritären, zentralistischen Gebarens von Rajoy leid sind, dann werden sich die Unabhängigkeitsbewegungen in Katalonien und Euskadi nicht mehr damit zufriedengeben, dass ihre Regionalregierungen ein paar mehr Kompetenzen übertragen bekommen. Ihre Forderungen zielen vielmehr auf eine politische Unabhängigkeit, die nicht zwangsläufig an eine „nationale Identität“ gekoppelt ist. Hier brechen alte Wunden wieder auf, die 1978 schlecht verheilt waren, und 8 Inprekorr 1/2016
jetzt weiter schwären und diesmal das ganze System befallen können. Nach dem 15-M und den „mareas“ konnte die soziale Bewegung keine großen Erfolge einfahren, sieht man von vorläufig aufgeschobenen Privatisierungsmaßnahmen im Gesundheitswesen einzelner Regionen und der erfolgreichen Verhinderung vieler Zwangsräumungen ab. Aus diesem Grund ist die Einsicht gewachsen, dass die Bewegung auch eine (wahl)politische Alternative braucht, was schließlich zu Podemos geführt hat. […] Die Bewegung der Empörten, die „mareas“ und die „Märsche für die Würde“ haben gezeigt, dass der soziale Protest und das politische Interesse wieder vorhanden sind. Ohne sie ließe sich nicht begreifen, warum inzwischen neue linke Parteien und Bündnisse entstanden sind und wie es um die aktuelle politische Situation in Spanien bestellt ist. Um mit den Worten unserer Genossin Teresa Rodríguez zu schließen: „Es ist Zeit für eine neue Politik, wir brauchen sie.“ Manuel Garí ist Leitungsmitglied der Anticapitalistas (Sektion der IV. Internationale im Spanischen Staat).
Der Nachhall der Empörung Die Krise, die Spanien 2008 erfasst hat, führte über ihre katastrophalen sozialen Folgen zu einem politischen Erdbeben, aus dem die Massenbewegung der Empörten hervorgegangen ist. Antoine Rabadan Die Empörten haben einen neuen Mobilisierungszyklus eingeleitet, ihn aber aufgrund des hartnäckigen Widerstands des Systems nicht fortführen können. Angesichts der Schwierigkeit, sich einen politischen Ausdruck zu schaffen, ist die – inzwischen rückläufige – Bewegung an einen Scheidepunkt angelangt, wo Podemos beansprucht, legitimer Erbe zu sein und eine radikale Alternative anbieten zu können.
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Der 15. Mai 2011 war die Geburtsstunde der 15-M, basierend auf einer Welle von Platzbesetzungen in Madrid. Binnen Stunden und Tagen breitete sich die Bewegung auf zahlreiche andere Städte aus. Die Aufmerksamkeit der spanischen, aber auch weltweiten Medien war umso größer, als darin ganz offensichtlich ein Hinüberschwappen der Schockwelle des Arabischen Frühlings (auch in der Form der Platzbesetzungen) zu sehen war, was schlussendlich im September auch zu Occupy Wall Street in den USA führte. Die Mobilisierung flaute ziemlich rasch wieder ab, als die Zeltstädte, die die Kontinuität der Platzbesetzungen (Puerta del Sol in Madrid, Plaza de Catalunya in Barcelona etc.) gewährleisteten und von denen eine besondere Anziehungskraft auf viele Menschen ausging, verschwanden. Viele damalige AktivistInnen und SympathisantInnen der 15-M empfanden dann die Entstehung von Podemos im Januar 2014 quasi als „göttliche Fügung“, nämlich dass „die Sache“ weitergeht. Auf dem Boden der (wahl)politischen Realitäten
Seit 2004 regierten (unter der Führung von José Luis Zapatero) die Sozialdemokraten (PSOE), die bei den Wahlen 2008 an der Regierung bestätigt wurden. In diesem Jahr brach auch die weltweite Wirtschaftskrise aus, die in Spanien in Form der geplatzten Immobilienblase besonders stark widerhallte. Diese Blase stand – wie wir sehen werden – in enger Verbindung zu den ungünstigen Kräfteverhältnissen, die unter der Diktatur zulasten der Lohnabhängigen geschmiedet worden waren und durch den Übergangsprozess zur Demokratie (transición) aufrecht erhalten wurden. Im Jahr 2011 fanden zwei Wahlen statt. Zunächst – am 22. Mai und damit nur eine Woche nach Beginn der 15-M – die Kommunal- und (Teil)regionalwahlen in 13 der 17 autonomen Gemeinschaften plus Ceuta und Melilla (die spanischen Exklaven in Marokko). Die Bewegung stellte dabei umgehend die Parole auf: „Gib ihnen Deine Stimme nicht!“ Dies war ein Schuss vor den Bug der Sozialdemokraten, die prompt über 7 % verloren, während die siegreiche PP zwei dazu gewann und mit 37,5 % die PSOE um 10 Punkte hinter sich ließ. Bei den Parlamentswahlen im November (Abgeordnetenkammer und Senat) bestätigte sich der Einbruch der PSOE zugunsten der Rechten, die mit nunmehr 15 Prozentpunkten Abstand die absolute Mehrheit erzielte. Der historische Tag am 11. Mai begann unter dem Leitmotiv Democracia Real Ya („Echte Demokratie jetzt!“)
unter Abwandlung des berühmten Slogans: „Sie vertreten uns nicht“ und endete im Anschluss an eine riesige Demonstration mit der Besetzung des großen zentralen Platzes Puerta del Sol – zugleich Auftakt und Höhepunkt einer breiten landesweiten Mobilisierung. Dieser von Beginn an demokratische Charakter der Massenaktion kam dann auch in den Plattformen zum Ausdruck, die im Laufe der Mobilisierung als Ergebnis intensiver Diskussionen in zahlreichen Kommissionen und Vollversammlungen in der Zeltstadt auf dem Puerta del Sol entstanden. Dieses Modell wurde in den zahlreich entstehenden Zeltstädten vieler anderer Städte übernommen. Mit ihrer Kritik an der repräsentativen Demokratie, die gleich von Anfang an und wohlweislich in Hinblick auf die eine Woche später stattfindenden Kommunalwahlen vorgetragen wurde, warfen sie den Konsens, der seit der „transición“ in der politischen Landschaft Spaniens vorherrschte, über den Haufen. Aufkündigung des postfranquistischen Konsenses
Dieser Übergang war der kalte Vollzug des Ausstiegs aus der franquistischen Diktatur zwischen dem Tod des Caudillo 1975 und dem Referendum von 1978, in dem die Verfassung als parlamentarische Monarchie angenommen wurde. Zur Verfestigung der Institutionen trug dann die „demokratische Wiederauf bereitung“ des Modernisiererflügels im Franquismus bei, dessen Protagonisten Juan Carlos und der „Zentrumsvertreter“ Adolfo Suárez waren. Suárez war der letzte Generalsekretär des Movimiento Nacional, der Einheitspartei des Franquismus. Mit der Regierungsübernahme der PSOE unter Felipe González 1982 wurde die europäische Integration Spaniens 1986 in die EG (dem Vorgänger der EU) als symbolträchtiger Akt vollzogen – ein zentrales Anliegen der Großbourgeoisie in Industrie und Banken in ihrem „demokratischen Wandel“. In der Tat hatte sie durchaus hellsichtig die machtvolle soziale und politische Protestbewegung, die auch für sie zunehmend gefährlich zu werden drohte, ernst genommen und zugleich erkannt, dass auch ein Franquismus ohne Franco kaum in der Lage wäre, die für die Interessen der Bourgeoisie dringend gebotene Öffnung nach Europa zu vollziehen. Dies erklärt auch, warum die Reichsten aus der Zeit der Diktatur auch in den Zeiten der Demokratie zumeist noch immer die Reichsten sind. Die Entstehung der 15-M erfolgte genau am Schnittpunkt zwischen diesem lang anhaltenden Übergangsprozess zur Demokratie und der Änderung des Wählerverhaltens 2011. Für diese Bewegung ist dieser ständige Wechsel an der Regierung zwischen „Linken“ und Rechten seit Inprekorr 1/2016 9
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dem Ende des Franquismus schlicht Ausdruck eines tödlichen Zweiparteiensystems. Die dadurch gegebene Kontinuität – sieht man mal von, nicht unwichtigen, „gesellschaftspolitischen“ Fragen ab wie dem Abtreibungsrecht oder den Homosexuellenrechten, letztlich also dem Verhältnis zur Kirche – ergab sich aus dem Grundkonsens dieser Parteien darüber, dass Gesellschaft und Wirtschaft liberal-kapitalistisch und im Rahmen der EU in ihrer jetzigen Verfasstheit zu sein haben. Vorbei das „Wirtschaftswunder“
Mitten in diese Geschichte platzte 2008 die Wirtschaftskrise und traf umso härter, als damit binnen kürzester Zeit der Mythos vom spanischen „Wirtschaftswunder“ zerstob, von dem Politiker und Medien stets in einem Atemzug mit der „vorbildlichen“ Demokratie gesprochen haben – ein Wunder, das bei sehr weiten Teilen der Bevölkerung begeistert aufgenommen wurde, ohne dass sie die sich anbahnende Krise sahen. Noch 2006 konnte man in der Einleitung zu dem Buch Géopolitique de l’Espagne von Barbara Loyer lesen: „Nach den vorläufigen Bilanzen hat Spanien zu den reichen Ländern aufgeschlossen: Das Pro-Kopf-Einkommen nähert sich dem europäischen Durchschnitt an und liegt in einigen Regionen sogar darüber. Wirtschaftlich unterscheidet sich das Land in nichts mehr von den anderen westlichen Nationen der EU.“ Auf der anderen Seite sorgte bereits Anfang 2008 „der schwache Sozialstaat“ in Spanien für Schlagzeilen. Le Monde wies darauf hin, dass das Land „eine niedrige Abgabenquote von nur 37 % des BIP und mit der Ausnahme Irlands die geringsten Sozialausgaben in der Eurozone hat (20,3 % des BIP vs. 26,2 % im EU-Durchschnitt) und dass die Löhne am untersten Ende der Bandbreite liegen. Damit liefert das spanische Modell – völlig unabhängig davon, wer gerade die Regierung stellt – die Grundlage für das starke Wachstum der vergangenen 15 Jahre.“ Diese Feststellung: „völlig unabhängig davon, wer gerade die Regierung stellt“ war dann auch drei Jahre später der Kernpunkt der Kritik der 15-M an den Symbolen des „Systems“. Im Laufe des Jahres 2008 „kam dann der Schock: Der europäische ‚Tiger‘, der unangefochten an der Spitze der dynamischsten Länder der Eurozone lag, mühte sich plötzlich mit einem Immobilienkrach, der alles mitgerissen hat.“ Plötzlich schien man zu entdecken, dass „das Wirtschaftsmodell Spaniens sich allzu lange auf zwei Worte beschränkt hat: „Sonne“ und „Bauen“. Erstmals seit 15 Jahren geriet Spanien 2009 in eine Rezession. Die tiefe 10 Inprekorr 1/2016
Krise betraf nicht nur die Ärmsten, sondern auch viele, die sich zur Mittelklasse zählten, diese für eine unverrückbare Errungenschaft hielten und am stärksten an das sog. Wirtschaftswunder geglaubt hatten. Die Arbeitslosigkeit explodierte und lag mit 21,5 % bei fünf Millionen und damit doppelt so hoch wie beim Regierungsantritt der Sozialdemokraten 2004 – ein Wert, der seit 1994 nicht mehr erreicht worden war und 2014 die Marke von sechs Millionen (26%) erreichte. Im Oktober 2011, also knapp einen Monat vor den Parlamentswahlen, gab es anderthalb Millionen Haushalte, in denen niemand eine Stelle hatte. Nach vier Jahren Krise hatte allein die Bauwirtschaft als Schlüsselsektor fast anderthalb Millionen Arbeitsplätze zerstört (El País vom 29/10/2011). Die Einkommensunterschiede wachsen unaufhaltsam und machen Spanien zu einem Sonderfall innerhalb der Industrieländer: Während der ersten vier Krisenjahre ist das Durchschnittseinkommen der 10 % Ärmsten 7,5 Mal so stark zurückgegangen wie das der 10 % Reichsten, deren Einkommen zwischen 2007 und 2011 ohnehin nachgewiesenermaßen de facto nur geringfügig gesunken war. Unter den 30 Mitgliedsländern der OECD findet sich kein Land, in dem sich die Krise in dem beobachteten Zeitraum so ungleich ausgewirkt hat. Zwischen 2008 und 2014 haben die Löhne, deren Durchschnitt ohnehin in der EU an letzter Stelle lag, jährlich zwischen 1,7 und 2 % an Kaufkraft verloren. […] Die Bewegung der Empörten
Die Entstehung der 15-M lässt sich zum einen unmittelbar auf diese Krise mit ihren verheerenden sozialen Folgen zurückführen und zum anderen auf die exponentielle Zunahme der sozialen Ungleichheit, die zwar ebenfalls mit der weltweiten zusammenhängt, ihre besondere Prägung und Verschärfung aber durch den spanischen Staat erfahren hat, dessen Sozialstaatlichkeit seit der „transición“ auf niedrigstem Niveau dümpelt. Die inflationäre Vergabe von Hypothekendarlehen in den Vorkrisenjahren sollte dazu dienen, durch den Zugang „Aller“ zu Wohneigentum die geringe Binnennachfrage zu stärken und über leicht erhältliche Kredite kurzfristige Profite zu generieren, letztlich also die Quadratur des Kreises zu schaffen. Insofern war die 15-M die erste Massenmobilisierung gegen das System seit der Niederlage der Oppositionsbewegung gegen den Franquismus und der allgemeinen Desillusionierung über den „Demokratisierungsprozess“ seit Mitte der 80er Jahre, als die Zustimmung der beiden traditionellen Arbeiterparteien zur Verfassung und – gemein-
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sam mit den beiden größten Gewerkschaften CCOO und UGT – zu den im Pakt von Moncloa kodifizierten antisozialen Maßnahmen und die nachfolgende Hinwendung zu Europa zu einer Entradikalisierung geführt hatten. Die neue Protestbewegung, die gelegentlich für ihre Naivität („wie kann man sich nur Empörte nennen!“) verspottet worden ist, musste de facto fast bei null beginnen und zwangsläufig im Trüben fischen. Vor einem Hintergrund, wo sich alle Parteien und Gewerkschaften durch ihre Zugeständnisse an das Zweiparteiensystem aus Sozialdemokratie und Rechten diskreditiert haben und die radikale Linke und die kämpferischen Gewerkschaften dem nichts entgegensetzen konnten, mühte sie sich ab, Anzeichen für einen Widerstand gegen die bestehende Ordnung, die zur Unordnung geworden war, ausfindig zu machen. Verständlich, dass ihre politische Orientierung eher unscharf blieb. Ausgangspunkt dieser starken kritischen Stimmung war anfangs zunächst eine Handvoll junger Internetnutzer, woraus zu Beginn des Jahres 2011 rasch ein Netzwerk entstand und ein Demonstrationsaufruf für den 15. Mai. Dieser fand massenhaften Zuspruch, in erster Linie von Jugendlichen, die viel mehr als andere Bevölkerungskreise von der Arbeitslosigkeit betroffen waren: Nach statistischen Angaben lag die Quote 2012 bei 50,5 % – noch vor Griechenland und bei mehr als dem Doppelten des EU-Durchschnitts. […] Für den 7. April hatte die Plattform Juventud Sin Futuro (Jugend ohne Zukunft), die an den Madrider Universitäten entstanden war, einen Marsch gegen die Wirtschaftskrise und die „Parteienherrschaft der PPSOE“ organisiert. Diese jungen Leute aus den Universitäten, denen keine berufliche Zukunft, sondern Arbeitslosigkeit oder allenfalls prekäre Jobs winkten, organisierten sich in den sozialen Netzwerken und von ihnen ging die Platzbesetzung an der Puerta del Sol aus, an der anfänglich bloß 40 Leute teilnahmen, die aber rasch darüber hinausging und Menschen aller Altersgruppen, darunter viele prekär Beschäftigte, einschloss. […] Die daraufhin einsetzende polizeiliche Repression konnte – mit Ausnahme des Polizeiangriffs in Barcelona am 27. Mai – weitgehend mithilfe der Bevölkerung abgewehrt werden. Geringe Resonanz unter der Arbeiterklasse
Die Autoren von Planeta Indignado, J. M. Antentas und E. Vivas1, merkten an, dass sich die Protestbewegung vorwiegend auf die öffentlichen Räume beschränkte, weil in erster Linie von der massenhaften Arbeitslosigkeit betroffene
Arbeitslosenquote und Zahl der Arbeitslosen III Quartal 2011
Methodenwechsel
Jugendliche beteiligt waren. „In den Betrieben herrschen Angst und Resignation wegen der Arbeitslosigkeit, der Prekarisierung und den Veränderungen in der Unternehmensorganisation.“2 Hinzuzufügen wäre die Inaktivität der Gewerkschaften durch die fehlende Bereitschaft ihrer Führungsetagen in CCOO und UGT, den Unternehmerangriffen entgegenzutreten, sodass sich relativ wenige ArbeiterInnen an der Bewegung beteiligten. GewerkschafterInnen waren in der Bewegung kaum vertreten, obwohl dort die Forderung nach Arbeitsplätzen einen zentralen Stellenwert hatte, da die Aktiven selbst von Arbeitslosigkeit oder prekären Jobs betroffen waren. So wurde im Punkt 10 des „Programmpapiers“, das am 20. Mai auf der Vollversammlung auf Platz an der Puerta del Sol erarbeitet wurde, eine „wirksame Regulierung der Arbeitsbedingungen unter staatlicher Aufsicht“ gefordert. Einige der bekanntesten Parolen der Bewegung zielen – oft mit beißender Ironie – auf Arbeitslosigkeit, Prekarität und Sozialabbau: „Enkelkinder in die Arbeitslosigkeit, Großeltern an die Arbeit“, „Keine Wohnung, keinen Job, keine Rente, keine Angst“ oder „Gewalt ist, von 600 Euro leben zu müssen“. (siehe Grafik) Zwangsläufig blieb der programmatische Text der Bewegung beim Thema Arbeitslosigkeit sehr vage: Im „Manifest der Empörten in 25 Punkten” finden sich bspw. kaum Forderungen nach Lohnerhöhung oder Verteilung der Arbeit auf Alle. Die Feststellung, dass man von 600 Euro – dem durchschnittlichen Monatslohn der Jugendlichen – nicht leben könne, führte rasch zu einer Polarisierung in der Debatte über die politischen Verantwortlichkeiten für die Zerrüttung des Arbeitsmarktes; im Besonderen ging es um die von der sozialdemokratischen Inprekorr 1/2016 11
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Regierung unter Zapatero 2010 durchgesetzte Reform zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes sowie das Einfrieren der Renten und Löhne und die Kürzung des Arbeitslosengeldes. Die Kritik richtete sich gegen das Austeritätsregime, von dem zwar Banken und Unternehmer profitieren, für das der Staat jedoch hauptverantwortlich ist. Zum Ausdruck kam dies in den Parolen: „Wir wollen eine echte Demokratie, und zwar sofort!“, „Wir sind keine Waren in den Händen der Politiker und Banker“, „Es ist nicht die Krise, sondern das System“ oder „Es fehlt nicht an Geld, sondern es gibt zu viele Diebe“. Diese neue Generation durchlief einen beschleunigten Politisierungsprozess und übernahm die Stafette der Bewegung gegen die FrancoDiktatur […] und der späteren Antiglobalisierungsbewegung der 90er Jahre, attackierte aber in erster Linie die politischen Verhältnisse, die für die horrende soziale Lage in diesem „System“ verantwortlich seien. Politik durch Empörung?
Daraus ergaben sich die Forderungen gegen das bestehende Wahlrecht als Inbegriff des verhassten „Zweiparteiensystems“, gegen die Privilegien der Politiker, gegen das Steuerwesen, gegen die Korruption, die als wahre gesellschaftliche Plage empfunden wurde, für die Begrenzung der Macht der Banken und Finanzmärkte sowie des IWF und der EZB, aber auch für eine vollständige Trennung zwischen Kirche und Staat, für den „Zugang der Bevölkerung“ zu den Medien, für eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Jurisdiktion, für die Begrenzung der Rüstungsausgaben und eine stärkere Kontrolle der Polizei, für eine totale Transparenz der politischen Parteien usw. Der Soziologe Zigmunt Bauman folgerte schonungslos aus dem, was ihm als Katalog frommer Wünsche vorkam, dass die „Empörten“ „eine emotionale Bewegung ohne Theorie [seien], was sie dazu verdammt, eine vorübergehende Erscheinung ohne Perspektive zu sein“. Dies ist ein hartes Urteil, das die Dynamik der raschen, wenn auch politisch noch unausgereiften Radikalisierung außer Acht lässt, die Tausende von Menschen durchlaufen haben, und zwar nicht nur während der zweimonatigen Platzbesetzungen, sondern nachfolgend in ihrem Engagement in den Vierteln, was wohl weniger spektakulär als die Besetzungen war, aber entscheidend dafür, die Bewegung aus den „Gettos“ der Plätze in die soziale „Realität“ hinauszutragen. Dabei entwickelten sie einen erstaunlichen Erfindungsreichtum und konnten 12 Inprekorr 1/2016
sich so den Kriminalisierungsversuchen (Vorladungen und Verhaftungen) widersetzen und absolvierten zugleich und mit den dortigen BewohnerInnen durch die intensiven Diskussionen in Kommissionen und Vollversammlungen eine tolle praktische Schule in politischer Bildung. Dadurch konnte die Bewegung über die Initiatoren hinaus auf die Bevölkerung übergreifen. Dies war sicherlich sehr heterogen und anfangs stark moralisch geprägt, war aber rasch einer politischeren Sicht gewichen, […] wenn auch auf gewisse soziale Schichten und Altersgruppen beschränkt.3 Die Veröffentlichung des Essais von Stéphane Hessel „Empört euch!“ auf Spanisch im März 2011 wurde in seiner Bedeutung für diese Bewegung oft überschätzt. Andere Formen des Widerstands
Neben den „Empörten“ gebührt zwei anderen Bewegungen Aufmerksamkeit, die mit 15-M zusammenhängen, sich zugleich jedoch durch ihre soziale Verankerung von ihr unterscheiden: die PAH (Plataforma de Afectados por la Hipóteca, Plattform der von Hypotheken Betroffenen) und die „mareas“ (Fluten). Ihr sozialer Wirkungsort waren nicht die öffentlichen Plätze, sondern die Vernetzung an den Wohnorten und in den Betrieben, zumindest was die beiden größten „mareas“ angeht. Die PAH ist 2009 entstanden und war quasi die „Vorwegnahme“ der Bewegung der Empörten, allerdings verankert in der konkreten sozialen Problematik, die zwar nur einen Ausschnitt, aber zugleich das Herz der Krise repräsentiert, nämlich die desaströse Verschuldung mit Hypothekendarlehen. Hier ist nicht der Platz, auf die ganze Vielfalt dieser Organisation einzugehen, die eine erstaunlich positive Resonanz unter der Bevölkerung gefunden hat (bis zu neunzigprozentige Zustimmung), trotz der heftigen Anfechtungen aus der Politik, die diese Bewegung wegen ihrer präzisen Argumente gegen den „Hypothekenschwindel“ und ihre radikalen und effizienten Methoden erfahren hat. Eine der ProtagonistInnen dieser Bewegung und deren langjährige Vorsitzende, Ada Colau, amtiert seit Mai 2015 als Bürgermeisterin von Barcelona auf der Basis eines Bündnisses von unten, an dem ihre eigene Organisation Guanyem Barcelona, sowie der katalanische Podemos-Ableger Podem und weitere Organisationen beteiligt sind. Eines der Ergebnisse dieser herausragenden Mobilisierung der PAH zur Wohnungsproblematik in Spanien war, dass „im Februar 2013 der Europäische Gerichtshof das spanische Hypothekengesetz als unver-
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einbar mit europäischem Recht erklärt hat“4. Die PAH kämpft weiter für die Umsetzung einer Volksinitiative (ILP), wonach die Schulden auf diese Immobilien annulliert werden sollen im Austausch für die Überlassung der strittigen Wohnung, für die die Betroffenen dann eine Sozialmiete zahlen. In Katalonien wurde diese Initiative bereits im Juli vom Parlament verabschiedet. Weitere Beispiele für die Handlungsfähigkeit dieses Verbandes, allen Widrigkeiten zum Trotz, sind die Blockade von Zwangsräumungen oder die zeitweilig praktizierten „Escraches“ (Spontandemos vor den Häusern oder Büros von Abgeordneten, die von den von Zwangsräumungen Betroffenen an ihre politische Verantwortung „erinnert“ werden; eine aus Argentinien stammende Praxis). Diese Aktionsform brachte der PAH den Vorwurf des Terrorismus ein, was vor dem Hintergrund der ETA-Aktionen in Spanien besonders schwer wiegt, oder gar des Nazismus, wird aber von der Bevölkerung durchaus als legitim angesehen angesichts der menschlichen Katastrophen, die durch die Immobilienblase erzeugt worden waren, und der sozialen Dramen durch die massenhaften Beschlagnahmungen und Zwangsräumungen. Durch ihr Engagement in den Reihen der 15-M gelang es der PAH, die Wohnungsfrage zu einem der meistdiskutierten Themen auf den besetzten Plätzen zu machen, zumal die Jugendlichen faktisch keine Möglichkeit haben, eine angemessene Wohnung zu finden. […] Der wichtigste Beitrag der PAH in der Bewegung war der lebendige Beweis, dass entgegen der vorherrschenden Resignation in dieser „kastrierten“ Demokratie alles möglich ist („sí se puede“) – ein Slogan, der später von Podemos neu buchstabiert wurde. Die „mareas“ in ihren verschiedenen Farben (grün für die Beschäftigten im Erziehungswesen, weiß für jene im Gesundheitswesen usw.) kämpften gegen die Haushaltskürzungen mit nachfolgendem Stellenabbau und Verschlechterung der öffentlichen Dienste sowie gegen die Privatisierung der Krankenhäuser. Sie profitierten von dem Schneeballeffekt der 15-MBewegung, die allerdings zu diesem Zeitpunkt mit dem Ende der Platzbesetzungen bereits ihren Höhepunkt überschritten hatte. Die „marea verde“, die besonders stark in Madrid verankert war, konnte im Juli 2011 eine Protestwelle unter breiter Beteiligung der Eltern an Streiks und Demonstrationen initiieren, die sich nachfolgend auch gegen die Bildungsreform der Regierung richtete, ohne allerdings das Gesetzes-
vorhaben von Minister Wert auf halten zu können. Die ebenfalls in Madrid im November 2012 entstandene „marea blanca“ mobilisierte Beschäftigte und Nutzer des Gesundheitswesens in Vollversammlungen unter der Losung: „Das öffentliche Gesundheitswesen steht nicht zum Verkauf, sondern muss erhalten werden!“ An einer „Bürgerbefragung“, die unter Beteiligung von 20 000 Freiwilligen in 200 Kollektiven im Mai 2013 organisiert wurde, nahmen fast eine Million Menschen teil, die zu 94 % auf die Frage: „Sind Sie für ein allgemein zugängliches und qualifiziertes Gesundheitswesen in öffentlicher Hand und gegen dessen Privatisierung und entsprechende Gesetze?“ mit „Ja“ antworteten. Die Aktiven in dieser Bewegung sehen sich in der Tradition der 15-M und deren basisdemokratischem Selbstverständnis und ihren Methoden des zivilen Ungehorsams und der direkten Demokratie. Davon zeugen übrigens auch die Organisationsformen der Vollversammlungen der Beschäftigten in Krankenhäusern und Gesundheitszentren bzw. der betroffenen BürgerInnen, wo über die Vorhaben und die Vorgehensweisen entschieden wird. Beide Bewegungen, die zu den größten unter den im Gefolge der 15-M entstandenen „mareas“ zählen, konnten sich bisher nicht entscheidend oder gar endgültig [...] durchsetzen und sind zwischendurch auch abgeflaut. Der Wahlsieg der Rechten im November 2011 mit absoluter Mehrheit, die nachfolgende Verschärfung der von den Sozialdemokraten eingeläuteten Austeritätsmaßnahmen sowie die Probleme, die Regierungsblockade trotz starker Mobilisierungen zu überwinden, aber auch die oft konfliktgeladenen Beziehungen der „mareas“ zu den Gewerkschaften haben die Grenzen dieser Bewegungen aufgezeigt, die politische und soziale Lage nachhaltig beeinflussen zu können. Dies hat zu Diskussionen unter den aus der 15-M hervorgegangenen Kollektiven geführt, bei denen es um den Nutzen einer politischen Organisation ging, mit deren Schaffung man die politische Hegemonie der Institutionen infrage stellen kann. Kurs auf Wahlpolitik?
„Jetzt geht es darum, einen Block zu schaffen, der mit der Politik von PP und PSOE bricht und der Mehrheit der Menschen dieses Landes wieder Hoffnung gibt. Dieser Block muss zu einem Wandel führen, indem er neue Inprekorr 1/2016 13
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Mobilisierungen organisiert, in denen wir gemeinsam gegen die angekündigten Sparmaßnahmen kämpfen. Dies beinhaltet auch eine Mobilisierung für die Wahlen, um darüber eine kritische Vertretung in den Institutionen zu erreichen“ – so die Stadtteilversammlungen von San Blas-Canillejas, La Elipa und La Concepción im August 2013. Es entstanden Organisationen wie „Bürgernetz Partei X“, „Zusammenfluss“, „Vernetzt“ oder „Alternativen von unten“, die die ersten Versuche aus den Reihen der 15-M darstellten, den Sprung in die (Wahl)politik zu vollziehen, ohne dem Elektoralismus anheimzufallen. Aber erst mit der Entstehung von Podemos im Januar 2014 gab es eine Organisation, die diesen Ansatz am besten verkörperte und die anderen Organisationsansätze als strahlender Sieger – allerdings mit einigen Makeln – beiseite drängte. Im März 2014 fand in Madrid der „Marsch für die Würde“ statt, der an die Bewegung 15-M anknüpfen wollte, die am 15. Oktober 2011 für ihren Marsch unter dem Titel: „Vereint für den weltweiten Wandel“ 500 000 Menschen mobilisiert hatte. Trotz des Medienboykotts, der Hetze der Rechten, des Wegduckens der PSOE und der Gleichgültigkeit der beiden großen Gewerkschaften, die in Verhandlung mit der Regierung steckten, konnten knapp drei Jahre nach diesem Ereignis zwischen 300 000 und 500 000 Menschen mobilisiert werden, die von mehreren Städten des Landes aus in die Hauptstadt marschierten. Ausgegangen war der Aufruf von der kämpferischen andalusischen Gewerkschaft SAT und wurde dann aufgegriffen von anderen radikalen Gewerkschaften, zahlreichen Verbänden, der PAH und den noch bestehenden Kollektiven der 15-M. Zentrales Anliegen war die Kritik an der Austeritätspolitik der PP-Regierung, die sich als Vasall der Troika gebärdete. In lauten Sprechchören wurde nach argentinischem Vorbild das Abtreten der Regierung („que se vayan todos“) gefordert: „Wir fordern, dass sie alle abtreten. Die PP-Regierung und alle anderen Regierungen, die Sozialabbau betreiben und mit der Troika zusammenarbeiten, sollen zurücktreten.“ Aber trotz dieser vehementen Proteste ging die Bewegung nicht weiter und erst Podemos schaffte es wieder, in einer für eine solch junge Organisation gewaltigen Kraftanstrengung 300 000 Menschen am 31. Januar 2015 in Madrid auf die Straße zu bringen und heftiger denn je gegen die Mächtigen, jetzt „Kaste“ genannt, zu protestieren. „Der Wind der Veränderung beginnt über Europa zu wehen“, hatte damals Pablo Iglesias verkündet. Zehn Monate später jedoch, nach dem Einknicken von Syriza 14 Inprekorr 1/2016
im Sommer, ist die Euphorie verflogen und man fragt sich allmählich: Hat sich nicht auch für Podemos der Wind gedreht? 1 Deutsch: Die Welt der Empörten, Neuer ISP Verlag, Köln 2014. 2 a. a. O. S. 79 3 Nach einer Studie vom Juli 2011 zeigte die Bewegung folgendes Profil: Alter zwischen 19 und 30, Hochschuldiplom, arbeitslos und links. 56 % Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen vom 22. Mai mit 79 % der Stimmen für eine der „kleineren“ Parteien, 6 % für die PP oder die PSOE und 15 % ungültigen Stimmen. Eine Umfrage im Juni/Juli 2011 ergab, dass zwischen 6 und 8,5 Millionen an der Bewegung teilgenommen haben, entweder an den Zeltstädten oder den Demonstrationen. Davon beschrieben 0,8 bis 1,5 Millionen ihr Engagement als intensiv. 67 % dieser Gruppe bezeichneten sich als links, 20 % als Mitte, 3 % als rechts, während 10 % sich in diesen Etikettierungen nicht wiederfinden konnten. 4 Ada Colau und Adriá Alemany in ihrem Buch Sí se puede !
Über die Kunst, den Himmel über Wahlen erstürmen zu wollen Bereits im Gründungsjahr 2014 verbarg sich unter dem Enthusiasmus über den Durchbruch bei den Europawahlen der Keim für die gegenwärtige Desorientierung oder gar Enttäuschung weiter Teile der Anhänger und Sympathisanten von Podemos. Antoine Rabadan Das schlechte Abschneiden bei den Regionalwahlen in Katalonien am 27. September und damit knapp 3 Monate vor den zum zentralen Anliegen erklärten Parlamentswahlen gereicht denen, die eine Alternative zur kapitalistischen Austeritätspolitik aufzubauen angetreten sind und soviel
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– vielleicht zuviel – Hoffnung in diese Partei setzen, nicht gerade zur Beruhigung. Bei der Bürgerversammlung im Vistalegre-Palast in Madrid im Oktober 2014, dem Gründungskongress von Podemos, sprach Pablo Iglesias einen vielzitierten Satz, der in Windeseile über die sozialen Netzwerke die Runde machte: „Den Himmel erobert man nicht im Konsens, sondern im Sturm“. In dieser von Marx und dessen Bewunderung für die Taten der Pariser Kommunarden von 1871 inspirierten Ansprache des wichtigsten Führers von Podemos kam der radikale und unumwundene Anspruch einer Partei zum geballten Ausdruck, die seit ihrem Anfangserfolg bei den Europawahlen im Mai entschlossen war, der herrschenden Austeritätspolitik im spanischen Staat den Kampf anzusagen. Die Verhältnisse zum Tanzen bringen
In dieser Ansprache klang wieder, was im Januar 2014, also noch vor ihrer Gründung, mit der Ausrufung der Kandidatur der jungen Partei zu den Europawahlen im Mai angeklungen war. Der Wahlaufruf mit dem Titel: „Lasst uns die Verhältnisse zum Tanzen bringen und lasst aus der Empörung politische Veränderung werden“ ging einher mit einem Forderungskatalog, der zwar nicht strikt antikapitalistisch oder revolutionär war, aber darauf abzielte, den Protest gegen die herrschende neoliberale Politik im spanischen Staat (wieder) vernehmbar zu machen und voranzutreiben. Ein zentrales – wenn auch noch unausgereiftes – Anliegen dieses Manifestes lag in der Propagierung einer „partizipativen Demokratie“, bei der die Macht nicht wie bei einer repräsentativen Demokratie in irgendeiner Form delegiert wird, sondern von den „sozialen, politischen und kulturellen“ Kräften ausgeübt werden soll. Gefordert wurde u. a. das Recht auf eine angemessene Wohnung bei sofortiger Einstellung der Zwangsräumungen bei rückständigen Hypothekenzahlungen; Beendigung der Privatisierungen der öffentlichen Dienste und des öffentlichen Eigentums, namentlich im Erziehungs-, Justiz- und Gesundheitswesen und im Transport- und Kommunikationssektor; ein Schuldenaudit sowie Kapitalverkehrskontrollen und Verstaatlichung der Privatbanken; eine Steuerreform mit progressiver Besteuerung; Recht auf angemessene Löhne und Renten sowie Verteilung der Arbeit auf alle Hände und Verbot von Entlassungen in profitablen Unternehmen; das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung über ihren Körper und daher ggf. auch auf Abtreibung sowie Ablehnung der geplanten (und schließlich fallen gelasse-
nen) Gesetzesverschärfung durch die Regierung; Recht auf nationale Selbstbestimmung (bes. in Katalonien und Euskadi). Durchbruch bei den Europawahlen
So wie die Bewegung der „Empörten“ im Mai 2011 (15M) alle Welt überrascht hatte, kam auch Podemos überraschend und eroberte mit 7,96 % der Stimmen fünf der insgesamt 54 spanischen EU-Mandate, während die letzten Umfragen lediglich ein Mandat vorhergesagt hatten. Und dies bei bloß viermonatigem Wahlkampf! Explizit bezog sie sich mit dem Untertitel ihres Wahlaufrufs – „Die Empörung in politischen Wandel umsetzen“ – auf die „Empörten“. Und eben darum ging es: Zwar war Podemos nicht das direkte Ergebnis dieser Bewegung, die drei Jahre zuvor das Land in Atem gehalten hatte, aber gewissermaßen schon ein Abkömmling, auf den man mit Stolz blicken konnte, weil er eine Perspektive bot, indem er die Lehren daraus zog, warum die Massenproteste nicht dazu in der Lage waren, das Regime zum Nachgeben gebracht oder wenigstens zutiefst erschüttert zu haben. Und diese Perspektive lag in der direkten politischen Intervention, freilich auf der Wahlebene, was natürlich nicht gleichzusetzen ist und der Diskussion bedarf. Daher der Begriff des „Wandels“, der nach Ansicht der Gründer von Podemos im Januar 2014 das aufgreifen sollte, was die damalige Bewegung ausmachte, nämlich einerseits die radikale Ablehnung des Systems und seiner Grundlagen, die auf das strukturell undemokratische Regime von 1978 – einer parlamentarischen Monarchie als Wegbereiter der Hinwendung zum ordoliberalen EU-Kapitalismus – zurückgehen, und andererseits deren Konzept, eine direkte Demokratie über Vollversammlungen zu praktizieren und einzufordern. Hingegen wollte man nicht die beiden Fehler der damaligen Bewegung wiederholen, nämlich zum einen deren Unvermögen, aus der sozialen Bewegung heraus eine politische Alternative zur bestehenden Ordnung unmittelbar erwachsen zu lassen, und zum anderen die aus prinzipieller „Parteifeindlichkeit“ herrührende Weigerung, ein vollwertiges politisches Instrument für eine solche Alternative zu schaffen. Die AktivistInnen des 15-M mussten sich alle damit abfinden, dass sich die PP-Regierung durch die bei den Parlamentswahlen vom November 2011 erzielte absolute Mehrheit – trotz der vorangegangenen Massenproteste – ausreichend Rückhalt schaffen konnte, um ihre Politik des Sozialabbaus weiter fortzuführen, und dass sie mühelos all das überwinden konnte, was sich 15-M als Vorboten Inprekorr 1/2016 15
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gesellschaftlichen Wandels versprochen hatte und was die „mareas“1 vergebens weiterzuführen versucht haben. Diese Erkenntnis der Bewegung, sich zuvor in eine Sackgasse verrannt zu haben, verhalf seinerzeit Podemos und ihrem Wahlaufruf für die Europawahlen zu entsprechender Resonanz, als es dort hieß: „Es ist wichtig, dass bei den kommenden Wahlen zum Europaparlament jemand kandidiert, der sich der Protestwelle der „Empörten“, die alle Welt in Erstaunen versetzte, verpflichtet fühlt.“ Diese Worte waren wohl abgewogen, weil darin im Grunde eine Verbeugung (eine „Selbstverpflichtung“) vor dem Wagemut der damaligen Akteure und vor den Erwartungen derjenigen zum Ausdruck kam, die daran geglaubt hatten und – trotz aller Rückschläge – weiterhin daran glaubten. Von der Schonfrist zum Positionswechsel
Von dieser Position ist Podemos jedoch recht schnell wieder abgerückt. Bis ca. Ende 2014 gab es eine regelrechte Schonfrist: Die Mitgliederzahlen in den über 1000 Kreisen (laut Schätzung vom Januar 2015) nahm beständig zu und erreichte im Juni 2015 die Zahl von 373 000, wodurch Podemos zur zweitstärksten Partei hinter der PP (863 000) und weit vor der PSOE (199 000) oder Izquierda Unida (30 000) wurde. Die laufenden Umfragen ergaben, dass es in der Bevölkerung eine tiefe Sympathiebewegung gab für diese streitbare und schillernde politische Formation, weil sie eine Protestwelle wieder aufgriff und neu entfachen wollte, von der viele Menschen – auch wenn sie sich zwischenzeitlich inhaltlich und organisatorisch totgelaufen hatte – eine positive Erinnerung behalten hatten: Im August lag sie bei 15,3 % und damit doppelt so hoch wie bei den Europawahlen; im November bereits bei 22,2 % und damit zur größten politischen Kraft machten … aber eben nur bei den Meinungsumfragen. Demnach wäre sie bei Parlamentswahlen mit fast 28 % siegreich gewesen, gegenüber 26 % für die PSOE und 21 % für die PP. Wir wollen hier nicht über den Wert von Umfragen diskutieren, sondern nur festhalten, dass sie dazu beitrugen, unter der Bevölkerung das Bild vom unaufhaltsamen Aufstieg von Podemos zu zeichnen, was besonders den Medienauftritten des unverbrauchten Pablo Iglesias zu verdanken war, die zu regelrechten Knüllern gerieten: Ein Interview mit ihm vom September 2014 in einer Sendung, die normalerweise Einschaltquoten von 5-7 % hat, wurde von fast drei Millionen Zuschauern verfolgt und erzielte eine Quote von 14,5%. 16 Inprekorr 1/2016
Geht Medienwirksamkeit über politische Inhalte? Tatsache ist, dass bei einigen in der Parteispitze recht schnell die Auffassung reifte, dass es einer Neuausrichtung bedurfte, namentlich entlang der charismatischen Führungsfigur von Pablo Iglesias. Am Anfang stand ein Vorpreschen eines Flügels, der sich sehr rasch als Kern einer Gruppe entpuppte, der sich – zusammen mit Pablo Iglesias – aus der unruhigen Fakultät für politische Wissenschaften der Universität Complutense rekrutiert hatte. In ihrem Visier standen einerseits unsere GenossInnen von Izquierda Anticapitalista (Antikapitalistische Linke, IA), die immerhin Mitgründer der Partei und redaktionell hauptverantwortlich für „Mover ficha“ sowie für das Europawahlmanifest und die Durchführung des Wahlkampfes waren, andererseits all diejenigen Unabhängigen – Parteilose also –, die zu Podemos gestoßen waren, weil sie darin eben keine Partei gesehen hatten und die zumeist aus der 15-M hervorgegangen waren und bei denen a priori feststand, dass sie nicht das Organisationsschema und die damit verbundene politische Neuausrichtung anstreben würden, die die Riege um Iglesias alsbald offen in Angriff nahm. Noch nicht einmal 14 Tage nach den Europawahlen erreichte die Kreise eine Mitteilung von Pablo Iglesias, wonach im Oktober der Gründungskongress der Partei, eine Bürgerversammlung im Vistalegre-Palast vorgesehen sei. Der eigentliche Schock aber war, dass dabei ein 25-köpfiges Organisationsteam gebildet werden sollte, über das per starre Listenwahl von den Mitgliedern abgestimmt werden sollte. Das siegreiche Team würde also alle Posten erhalten, was unter den gegebenen Umständen das Team um den omnipräsenten Pablo Iglesias eindeutig favorisieren würde. Und um das Maß vollzumachen, sollte die Abstimmung per Internet binnen einer Woche nach Erhalt dieser Nachricht erfolgen. Wen wundert, dass bei diesem perfekt eingespielten Szenario die Mitglieder dann noch erfuhren, dass Iglesias seine Liste bereits aufgestellt hatte! Damit war die erste Weiche hin zu einer vertikal strukturierten, späterhin als „iglesianistisch“ bezeichneten Organisation gestellt, die sich im Widerspruch dazu selbst als offen für das „Fußvolk“ bezeichnet und sich rühmt, autonom handeln und entscheiden zu können. Die ersten Reaktionen kamen aus dem Kreis von Lapaviés, dem traditionell kämpferischen Madrider Viertel. Sie argumentierten, dass darüber keinerlei Diskussion in den Kreisen stattgefunden habe und dass ursprünglich lediglich ein Treffen der Kreise vorgesehen gewesen sei, auf dem ein
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erster Austausch über die künftige Organisationsform stattfinden sollte. Auf der daraufhin folgenden Versammlung der Madrider Kreise kamen die grundlegenden Divergenzen erstmals zum Ausdruck, die fürderhin mehr oder minder verdeckt das noch junge Parteileben begleiten sollten. So wie der Feuerwehrmann als Brandstifter nach der Feuerwehr ruft, so bemühte die „Fraktion“ das Schreckgespenst eines vorgeblichen Putschversuchs oder gar Staatsstreichs von Seiten der Izquierda Anticapitalista und gab sich unbeeindruckt von der heftigen Opposition seitens der Basis in den Kreisen. Am Ende gab es ein Placet für sie, die Kongressvorbereitung unter sich ausmachen zu können. Mit dieser Auseinandersetzung wurde erstmals und sehr frühzeitig der zuvor einhellige Enthusiasmus über die Wahlerfolge getrübt. Aber noch waren nur die radikalsten Teile der Mitgliedschaft in diese Auseinandersetzung involviert, während die Masse der Mitglieder und SympathisantInnen in den Kreisen relativ wenig davon mitbekam. Hinzu kam, dass sich die Opposition entschloss, in Deckung zu gehen, um keine Spaltung innerhalb einer politisch noch unerfahrenen Organisation zu provozieren. Die noch frischen Mitglieder an der Basis waren zu dieser Zeit weitgehend bereit – was sicher auch in das Kalkül von Iglesias und seiner Entourage eingeflossen war – in ihrer Euphorie über den unerwarteten Wahlerfolg dem Mann einen Blankoscheck auszustellen, der ihnen mit seiner Medienpräsenz und makellosen Perfektion als Hoffnungsträger schlechthin galt. Die Aura, die Iglesias umgab, ließ nicht erahnen, was sich hinter den Kulissen wirklich zusammenbraute. Niemand konnte vermuten, dass der von der Bewegung der Empörten übernommenen Slogan „Yes we can“ auch anders interpretiert werden konnte, nämlich: „Wir sind dabei, die Macht bei Podemos zu übernehmen.“ Ein spannungsgeladener Kongress
Auf der Bürgerversammlung im Vistalegre-Palast im Oktober, bei der es um die Organisationsstruktur der Partei ging, lief das ab, was ablaufen sollte. Einmal mehr machte sich die Riege um Iglesias den Enthusiasmus der Mitglieder zunutze, die durch die Beschwörung des bevorstehenden Sieges (in Reichweite … bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr) in den Bann geschlagen waren, und drückte mit der Unterstützung des erst im Frühsommer inthronisierten Organisationskomitees Abstimmungsmodalitäten durch, die unter der Mitgliedschaft niemals zuvor an der Basis diskutiert worden waren. Auch dort
galt die starre Listenwahl anstelle der Verhältnis- oder Persönlichkeitswahl für die Führungsinstanzen, sodass die „Fraktion“ eine absolute Vormachtstellung im Nationalrat als dem Vertretungsorgan der Partei erzielte. Pablo Iglesias wurde mit einer Stimmenzahl zum Generalsekretär gewählt, die an sowjetische Verhältnisse erinnerte. Abgelehnt wurde der Vorschlag, ein dreiköpfiges Sprechergremium zu wählen, der von Teresa Rodríguez von der IA und einer breiten Mitgliederinitiative getragen wurde, wobei letztere sich eher in Stellung bringen wollten, als dass sie ernsthaft daran glaubten, die einmal ins Rollen gekommene undemokratische Maschinerie im Moment aufhalten zu können. Diese hatte in ihrer Machtvollkommenheit einen weiteren Antrag kurzfristig lanciert, wonach entgegen der bisherigen Regularien kein Mitglied einer anderen Partei in den Nationalrat gewählt werden dürfe. Dieser Antrag zielte ganz speziell darauf ab, Mitglieder der IA aus der Führung herauszuhalten und bildete quasi eine vorgeschaltete zusätzliche Barriere zu dem Prinzip der starren Listen.2 In den Medien wurde der Kongress im Vistalegre-Palast fast einhellig als erdrückender Sieg von Pablo Iglesias, dem „Himmelsstürmer“, gewertet. Den Wahlforschern galt Podemos damals als aufgehender Stern am politischen Firmament, bis dann einige Zeit danach die Trendwende einsetzte und die zwischenzeitlichen Wahlergebnisse auf kommunaler und regionaler Ebene die Hoffnung auf einen linearen Zugewinn bis hin zum „Endsieg“ bei den Parlamentswahlen Ende 2015 doch stark dämpften. Von der Realität eingeholt
Seinen Höhepunkt erreichte der „unaufhaltsame Aufstieg“ von Podemos wohl am 31. Januar 2015, als 300 000 Menschen in Madrid für einen politischen Neubeginn demonstrierten und die Ankunft der Demonstranten an der Puerta del Sol quasi die Kontinuität mit der 15-M symbolisierte. Aber da war die Saat bereits verdorben, denn „transformiert“ wurde die Empörung durchaus, aber nicht in der gewünschten Richtung, sondern in die Aufgabe einiger ihrer grundlegenden Prinzipien. So z. B. in ihrer bedingungslosen Forderung nach Demokratie, ihrem fast schon zwanghaften Streben nach horizontalen Strukturen oder ihrer Weigerung, die Protestbewegung einer „Persönlichkeit“ unterzuordnen. Sicherlich gab es viele, die in der Bewegung von 2011 engagiert waren und sehr wohl akzeptierten, dass der Aufbau einer Partei – auch in der bewussten Tradition dieser Bewegung – nicht ohne eine Delegation von KompetenInprekorr 1/2016 17
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zen vonstattengehen und sich damit in Widerspruch zu deren Prinzipien setzen würde. Deswegen gab es etliche Stimmen, die ein Festhalten an den libertären Prinzipien des 15-M anmahnten: der Rotation der Delegierten und ihrer Abruf barkeit, der Ablehnung jedweder Vormachtstellung einer Gruppe über die Gesamtpartei, der Einrichtung von Kreisen als Kern der Organisationsstruktur etc. Das strikte Gegenteil dessen also, was die Führung um Iglesias unbedingt umsetzen will, indem sie alles dem angestrebten Wahlerfolg unterordnet. Das entscheidende Problem in der Konzeption der Partei liegt im Stellenwert, den die Wahlen in der Strategie von Podemos einnehmen. Als zeitlich verschobener Wahlfortsatz einer zutiefst anti-elektoralistischen Bewegung hat sich die neue Partei am Ende als durch und durch elektoralistisch entpuppt. Alles scheint darauf hinzudeuten, dass mit dem im Vistalegre-Palast laut vorgetragenen Spruch „Den Himmel erobert man nicht im Konsens, sondern im Sturm“ der Bezug auf Marx nur dazu gedient hat, die Wahlebene paradoxerweise zum ausschließlichen Austragungsort dieses Ansturms zu machen. Was hochgestochen „Transformation der Empörung“ genannt wurde und letztlich zur Parteigründung führte, hat sich als radikale Wesensänderung entpuppt, mit der eine soziale Bewegung zu Grabe getragen und ein faktischer Bruch mit deren Ideologie vollzogen wurde, die allenfalls noch als ferne Quelle der Inspiration bemüht wird für eine Radikalität, die sich zutiefst den Institutionen verschrieben hat. Und mit der Ablehnung des „Konsens“ in dem genannten Zitat hat Iglesias nicht nur gemeint, dass man mit der Kaste (PSOE und PP) brechen müsse, sondern auch – wie die zwischenzeitliche Entwicklung zeigt – mit den Antikapitalisten, die die Partei mitgegründet haben und wenig geneigt sind, als bloßer Wahlverein zu fungieren und dabei die sozialen Bewegungen zu ignorieren.3 Nur so lässt sich verstehen, welche Absicht hinter der Errichtung einer extrem zentralistischen Organisation steckt: eine Kriegsmaschine (für den Sturm auf die Wahlkabinen!), die definitionsgemäß diszipliniert und hierarchisch zu sein hat und an deren Spitze ein unangefochtener Häuptling residiert. Unter dem Strich ein Modell, das von sich glaubt, gegen die Strategie des Feindes gewappnet zu sein, ihm hingegen umgekehrt auf den Leim geht.4 Die Niederlage in Katalonien im Vorfeld der Parlamentswahlen
Nach durchwachsenen Resultaten bei den (Teil)regionalwahlen 5 gab es bei den folgenden Kommunalwahlen ein 18 Inprekorr 1/2016
paar Durchbrüche wie die Eroberung der Bürgermeistersessel in Barcelona, Madrid oder Cadix durch linke Einheitslisten, die zustande kamen, weil sich die Führung von Podemos von ihrer bündnisbereiten Seite zeigte. Bei den Regionalwahlen in Katalonien im September kam es jedoch zu einem Debakel: Mit weniger als 9 % der Stimmen lag das Bündnis von Podem/Podemos, Izquierda Unida und zwei weiteren Parteien nur wenig über der antikapitalistisch-autonomistischen CUP und wurde sogar noch knapp von der PSC (Katalanische sozialistische Partei) überholt. Regelrecht distanziert hingegen wurde sie von den Ciudadanos, einer neoliberalen Partei, die strikt gegen die Unabhängigkeit Kataloniens auftritt und dennoch – mit der Unterstützung der Herrschenden und der Medien, wo die Partei geschickt als die rechte Variante von Podemos verkauft wird – die zweitmeisten Stimmen erhielt. Damit etabliert sie sich als feste Größe bei der künftigen Bildung einer rechten Regierung auf nationaler Ebene oder auch einer Koalition mit der PSOE, was zeigen würde, wie flexibel die Herrschenden in ihren Optionen sind. Dies beißt sich mit dem ursprünglichen Plan von Podemos, zur Alternative auf institutioneller Ebene zu werden. Denn die Rechte hat möglicherweise auf diesem Terrain ein Gegengift hervorgebracht, das nach ähnlichem Muster wie Podemos gestrickt ist und den dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust der PP auffangen kann. Für Podemos, deren katalanischer Ableger nur den unrühmlichen vierten Platz erzielte, ist die Bilanz wenig beruhigend. Die Omnipräsenz der nationalen Leitung im Wahlkampf, in Gestalt von Pablo Iglesias persönlich, besonders aber die Ignoranz gegenüber dem stark ausgeprägten katalanischen Nationalbewusstsein kamen schlecht an. Seither herrscht offene Krise: Die Generalsekretärin von Podem, eine Gefolgsfrau von Iglesias, ist von ihren Funktionen zurück- und aus der Partei ausgetreten und nach ihr noch etliche weitere Leitungsmitglieder, die allerdings in der Partei geblieben sind. Ein ähnliches Bild gibt es in Valencia. Die Zurückgetretenen kritisieren, dass die Aktivitäten in den Basisstrukturen (Kreisen) von der Madrider Führung ignoriert oder behindert werden und dass die Mitgliederzahlen aufgrund dieser mangelnden Einflussmöglichkeit zurückgehen. Die Leitung ist sich sehr wohl der Wahlschlappe in Katalonien und der momentanen Probleme bewusst, glaubt aber, bei den Parlamentswahlen im Dezember den rettenden Sprung nach vorne machen zu können. Aber der Zweifel hat sich eingeschlichen und wird durch
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die vorbehaltslose Unterstützung, die Iglesias und seine Entourage der hundertprozentigen Kehrtwende von Syriza in Griechenland haben zuteil werden lassen, noch verstärkt.6 Wie sehr die Aktivität der Podemos-Kreise nachgelassen hat und sie sich zunehmend aus den Machtspielchen ausklinken, zeigt die auf ein extrem niedriges Niveau gesunkene Beteiligung an den parteiinternen Wahlen: Im Juli 2015 beteiligten sich nur 16,8 % (53 880 Stimmen) an der Kandidatenwahl für Kongress und Senat sowie für den Regierungsvorsitz. Zum Vergleich: Im Oktober 2014 lag die Beteiligung bei der Bürgerversammlung im Vistalegre-Palast bei der Rekordzahl von 112 070 Stimmen. War anfangs die Formel „weder links noch rechts“ als konsequente Kampfansage an alle etablierten Parteien, die „Kaste“, zu verstehen, ist die Praxis inzwischen eine andere. So werden bspw. in einer Reihe von Kommunen Minderheitsregierungen mit der PSOE gebildet. Ebenso verwirrend sind die Bündnisse mit der IU im Rahmen von Kommunal- oder Regionalwahlen (Katalonien), zumal dies für die Parlamentswahlen kategorisch ausgeschlossen wird. Völlige Konfusion also! Parallel dazu wird das einstige Wahlmanifest um seine radikalen wirtschaftspolitischen Forderungen entschärft und durch ein neokeynesianisches Programm ersetzt. Nicht weniger schlimm ist – namentlich in öffentlichen Einlassungen von Iglesias – die Revision der Positionen in anderen Fragen wie der monarchistischen Struktur des Regimes, des Kampfes für eine republikanische Gesellschaft oder die Aufarbeitung der Geschichte einschließlich der Forderungen der Opfer des franquistischen Terrors im Bürgerkrieg. Die zunehmende Desorientierung von Podemos wird noch unterstrichen durch den vorgetragenen Anspruch, „die Mitte der politischen Bandbreite“ in Spanien einnehmen zu wollen. Dieser Bezug auf das gemäßigte politische Spektrum ist meilenweit von der Radikalität der 15-M und deren Ablehnung der Realpolitik entfernt. Allerdings wäre es völlig verfrüht, den Abgesang auf diese Partei anzustimmen. Auch wenn sie gegenwärtig in der Talsohle steckt, kann sie wieder nach oben kommen – vielleicht bei den kommenden Parlamentswahlen. Dies wäre dann allerdings der gegenwärtigen Parteiführung zum Trotz und nur dank dessen, was noch an Erbe aus der Bewegung der Empörten und deren radikal antikapitalistischem Potential in der Partei steckt. Da für die AntikapitalistInnen die sozialen Bewegungen und die Errungenschaften des 15-M eine zentrale po-
litische Rolle spielen, kommt ihnen beim Kampf um die Rückbesinnung und Umorientierung dieser Partei eine große Verantwortung zu, zumal das subversive Potential der Partei noch nicht völlig aufgebraucht ist. Hierbei sollten sie sich darauf stützen, dass sie in den Instanzen von Podemos trotz aller Ausgrenzungsversuche breit vertreten sind und sich aktiv um die Reaktivierung der PodemosKreise bemühen. 1 Marea (= Flut), Mareas waren Proteste, die sich gegen die Kürzungsmaßnahmen in einzelnen Bereichen (Bildung, Gesundheits- und Sozialwesen) wandten. Durchgeführt wurden sie von verschiedenen Plattformen, sozialen Einrichtungen, Gewerkschaften (…) Die Proteste wurden auf Versammlungen diskutiert und basisdemokratisch beschlossen. Anm. d. Red. 2 Hauptsächlich zielte die Maßnahme auf Teresa Rodríguez, die mit dem zweitbesten Stimmenergebnis bei den Vorwahlen hinter Pablo Iglesias ins EU-Parlament gewählt worden war. Mithilfe der Unterstützung der Basis in ihrer Heimatregion Andalusien (IA hatte sich zwischenzeitlich als Partei aufgelöst und als Assoziation neu konstituiert) wurde sie zur Vorsitzenden von Podemos in Andalusien gewählt, was ihr einen Sitz im Nationalrat verschaffte. 3 Carolina Bescansa von der Parteiführung bringt die Diskrepanzen zwischen der „Fraktion“ und den Antikapitalisten oder Bewegungsaktivisten so auf den Punkt: „Es gibt die einen bei Podemos, die gewinnen wollen, und die anderen, die protestieren wollen.“ In diesem Satz kommen die strategischen Gegensätze klar zum Ausdruck, davon abgesehen, dass mit Protest oder sozialer Bewegung Niederlage konnotiert wird und gewinnen darauf reduziert wird, bei den Wahlen gut abzuschneiden. 4 Juan Carlos Monedero, das im April 2015 zurückgetretene Leitungsmitglied, lag richtig, als er (in einem kurzen klarsichtigen Moment) argumentierte, dass Podemos bestimmten Lastern, die dem Werben um die Wählergunst eigen sind, erlegen ist. „Mitunter ähneln wir denen, die wir weghaben wollen. So ist die Realität. […] Podemos steckt in der Misere, weil man sich nicht mehr die Zeit nimmt, in den Kreisen zusammenzukommen, und es wichtiger ist, eine Minute im Fernsehen zu erscheinen. […] Ab dem Moment, wo die politischen Kräfte das Hauptziel haben, an die Macht zu gelangen, lassen sie sich auf die Regeln des Elektoralismus ein und werden zu Geiseln des Parlamentarismus.“ 5 Zumeist lag Podemos an dritter, mitunter auch an vierter und einmal sogar nur an fünfter Position. Mit einem Schnitt von 13,5 % blieb man weit unter den Erwartungen, auch wenn es in Aragon (20,5 %), Asturien (19 %) und Madrid (18,5 %) ein paar Highlights gab. 6 In einem Video erklärt Iglesias unverfroren, dass Podemos an der Regierung außer einigen Reformen im Erziehungswesen, der Verhinderung von Privatisierungen etc. selbst „nicht viel machen können wird“, da der Gegner übermächtig sei.
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Katalonien – Stunde der Wahrheit Die katalanischen Regionalwahlen trugen aufgrund der sozialen und politischen Dynamik der Unabhängigkeitsbewegung ganz spezifische Züge. Zugleich waren sie der letzte Test vor den nationalen Parlamentswahlen vom 20. Dezember. Esther Vivas In Katalonien hat die Stunde der Wahrheit geschlagen. Mit dem Wahlsieg – zumindest gemessen an der Zahl der Parlamentssitze – bei dem die Unabhängigkeitsbefürworter von Junts pel Sí (Gemeinsam für ein Ja) und der CUP 72 von 135 Sitzen eroberten, ist der erste Teil des Fahrplans für die Unabhängigkeit absolviert. Die Ciutadans (Bürger) erlebten einen kometenhaften Aufstieg auf den zweiten Platz und Miquel Iceta, der Generalsekretär der katalanischen PS (PSC), erzielte den dritten Platz, was noch kurz vorher als unwahrscheinlich gegolten hatte. Zugleich blieb Catalunya Sí que es Pot (Katalonien, ja das ist möglich; eine Allianz aus Podemos und Teilen der KP/IU) weit unter den eigenen Erwartungen und der ehemalige CDCKoalitionär Unió schied ganz aus. Es stellen sich daher viele Fragen: Wie wird die spanische Regierung unter Mariano Rajoy reagieren? Was passiert bei den nächsten Parlamentswahlen? Wie wirkt sich das überraschende Abschneiden der Ciutadans in der Gesellschaft aus? Wird die CUP aktiv oder passiv die Kandidatur von Artur Mas (CDC) für den Gouverneursposten unterstützen? Nachfolgend ein paar Anmerkungen zum Wahlergebnis. Der Sieg der Autonomisten
Die starke Wahlbeteiligung zeigt, dass viele Katalanen diese Wahlen als außergewöhnlich empfanden. Unter den Unabhängigkeitsbefürwortern hat die Parole der Junts pel Sí („Die Wahlen deines Lebens“), mit der die historische Bedeutung dieser Wahlen für die Unabhängigkeit unterstrichen wurde, offensichtlich ihre Wirkung nicht verfehlt. Fast zwei Millionen WählerInnen stimmten für diese Parteien, ähnlich viele wie bei der Volksbefragung 20 Inprekorr 1/2016
zur Unabhängigkeit am 9. November 2014, wobei damals auch die 16- bis 18-jährigen abstimmen durften. Das hauptsächlich aus den beiden Organisationen CDC und ERC (die sich auf eine Aufteilung im Verhältnis von 60 zu 40 geeinigt hatten) bestehende Bündnis Junts pel Sí konnte viele Menschen für sich begeistern und von dem Unmut in der Gesellschaft über die spanische Regierung profitieren, die sich hartnäckig gegenüber dem Unabhängigkeitsstreben weiter Teile des katalanischen Volkes verschließt. Die autonomistische Massenbewegung, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat, fand in dem Bündnis ihre parlamentarische Vertretung, die den weitverbreiteten ernsthaften Wunsch nach einer Einheit der Autonomisten verkörpert. Allerdings darf man nicht verkennen, dass sich hinter dem Scheinwerferlicht dieses Gebildes eine Partei verbirgt, die in vielerlei Korruptionsaffären verstrickt ist, deren Parteilokale deshalb vielerorts durchsucht worden sind und die darüber hinaus für Sozialabbau und Mittelkürzungen in den öffentlichen Diensten in Katalonien verantwortlich ist. Was passiert jetzt mit Junts pel Sí? Artur Mas hat verschiedentlich angedeutet, dass Viele in der CDC auch bei den Parlamentswahlen das Bündnis beibehalten möchten, das ihnen so exzellente Ergebnisse beschert hat, obwohl die eigene Partei zuvor doch erheblich angeschlagen schien. Für die ERC hingegen, der noch vor wenigen Monaten nachgesagt wurde, alle Mitbewerber distanzieren zu können, könnte das Bündnis den politischen Untergang bedeuten. Nützliche Stimmen für die Ciutadans …
So wie Junts pel Sí die Stimmen aus dem autonomistischen Lager auf sich ziehen konnte, so hat sich umgekehrt und zulasten der PP und von Podemos Ciutadans den Ruf erworben, der natürliche Adressat für eine nützliche Stimme der Gegner der Unabhängigkeit zu sein. Mit der Allgegenwart von Albert Rivera und Ciudadanos im Fernsehen, die anfangs vom Establishment in Politik und Medien als Antwort auf den raschen Aufstieg von Podemos gefördert wurde, konnte die Partei nicht nur als rechte Alternative zu Podemos etabliert, sondern auch die Regionalliste in Katalonien gepuscht werden. Mit den erzielten 25 Sitzen polarisiert und kompliziert Ciutadans die politische Szenerie in Katalonien. Dies zeigt leider auch, dass demagogische und spalterische Floskeln unter Teilen der Wählerschaft verfangen, auch wenn die katalanische Gesellschaft nicht so stark polarisiert ist, wie
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manche es gerne hätten: Zählt man die Stimmen zusammen, kommen die Unabhängigkeitsbefürworter auf 48 % und 9 % für die Verfechter des Selbstbestimmungsrechts, während die Gegner der Autonomie 39 % erzielen. … gehen dem alten Zweiparteiensystem verloren
Unter den Parteien des bisher dominierenden Zweiparteiensystems konnte immerhin die Sozialdemokratie den Schein wahren und den seit Monaten vorhergesagten Einbruch verhindern. Ihr Führer Miquel Iceta, der sich als „dancing man“ präsentierte, konnte der bis dahin leblos dahinsiechenden PSC wieder etwas Farbe einhauchen und kam auf den für unvorstellbar gehaltenen dritten Platz. Auch die PP unter Xavier Garcia-Albiol konnte zwar eine schlimmere Niederlage noch vermeiden, blieb den Stimmen nach aber sehr schwach. Immerhin gelang es, den Schatten der Korruption abzustreifen, der auf der alten Führungsriege unter ihrer damaligen Vorsitzenden Alicia Sánchez Camacho lastete und ihr Wählerpotenzial hatte schrumpfen lassen. Der Versuch aber, den Schwung aus seinem relativen Wahlsieg bei den Kommunalwahlen in seiner Heimatstadt Badalona hinüberzuretten, misslang angesichts des kometenhaften Aufstiegs der neuen Konkurrenz auf der Rechten. Die Halbherzigkeit von Podemos …
Für die Kommunalwahlen in Barcelona hatte sich das linke Bündnis Barcelona en Comú gebildet und stellt seitdem die neue Bürgermeisterin. Die Angst, dass sich dieses Muster bei den Regionalwahlen wiederholen würde, hatte zur Bildung von Junts pel Sí geführt. Es kam aber nicht zu einem Catalunya en Comú. Stattdessen wurde auf Führungsebene ein Wahlbündnis zwischen Podemos, der linksökologischen ICV (Iniciativa per Catalunya Verds, Initiative für Katalonien – Grüne) und der IU unter dem Namen Catalunya Sí que es Pot verabredet und die Verfechter eines Bündnisses der sozialen Bewegungen auf die Seite geschoben. Wie sehr dadurch die potentiellen Anhänger frustriert wurden, zeigt allein, dass noch nicht einmal die knapp 10 % der Stimmen erreicht werden konnten, die die ICV 2012 im Bündnis mit der IU erzielen konnte. Die Desorientierung dieser Listenverbindung in der Frage der nationalen Unabhängigkeit und ihre Ignoranz gegenüber der Losung eines für Katalonien verfassungsgebenden Prozesses hat Podemos in eine Position gebracht, die sich wenig von dem „Dritten Weg“ unterscheidet, den die Sozialdemokraten vertreten und der ein Referendum in Abstimmung mit der Zentralregierung vorsieht.
Hinzu kamen arg verunglückte Einlassungen seitens Pablo Iglesias’ zu diesem Thema, die natürlich von den Medien genüsslich ausgeschlachtet wurden und noch mehr Kredit verspielten. Unter dem Strich war das Wahlergebnis für eine Formation, die angetreten ist, Mas und Rajoy in die Wüste zu schicken, mehr als enttäuschend. Dies wird sich auch auf die Parlamentswahlen auswirken, insbesondere auch, da Ciutadans zur zweitstärksten Partei geworden ist. Zugleich sollte es denjenigen eine Warnung sein, die als alleiniges Ziel eben diese Parlamentswahlen im Auge haben. … treibt die CUP nach oben
Die CUP hat unter allen Formationen die Wahlprognosen am weitesten übertroffen. Für sie stimmten all diejenigen unter den Unabhängigkeitsbefürwortern, die auf keinen Fall für Mas waren. Zugute kam ihr auch, dass etliche Sektoren durch das Auftreten von Catalunya Sí que es Pot in der Unabhängigkeitsfrage und ihr Eintreten für eine ominöse „neue Politik“ abgestoßen wurden. Und natürlich profitierte sie auch von ihrer Parlamentsarbeit in der vergangenen Legislaturperiode, wo sie konsequent für einen Prozess für eine verfassungsgebende Versammlung als Schritt zur Autonomie eingetreten ist, was ihnen sicherlich die Stimmen ehemaliger ERC-Sympathisanten eingebracht hat. Die Zukunft wird weisen, wie die CUP ihre Rolle in dem neu entstandenen politischen Szenario ausfüllen wird, wo ihr nunmehr eine Schlüsselrolle im Unabhängigkeitsprozess zufällt. Ein Teil ihrer Wählerschaft plädiert sicherlich für eine Unterstützung der Vorgehensweise der siegreichen Junts pel Sí in dieser Frage und wäre auch bereit, Mas als Präsidenten hinzunehmen. Ihre aktive Basis und der andere Teil ihrer Wählerschaft jedoch sind da sehr viel kritischer. Ihr Verhalten in diesem Spannungsfeld wird sehr weitgehend über ihre politische Zukunft entscheiden. [Bis zum 23.11. kam die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten nicht zustande, weil die CUP gegen Mas votierte. Allerdings stimmten ihre Abgeordneten für einen von Junts pel Sí vorgelegten Beschluss, der die Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Madrid und die Schaffung einer eigenen Republik bis spätestens 2017 zum Ziel hat, wogegen die spanische Zentralregierung sofortige Verfassungsbeschwerde eingelegt hat.] 30. September 2015
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Von Laclau zu Iglesias – Theorie und Praxis des (Neo-) populismus Schon lange predigt Iglesias, dass das hergebrachte Schema „Klasse gegen Klasse“ nicht mehr vermittelbar sei und durch „Volk gegen Kaste“ ersetzt werden müsse, weil dies für jedermann viel anschaulicher sei. Emmanuel Barot Die Position, mit der wir uns hier auseinandersetzen, geht im Wesentlichen auf die Theorie der „populistischen Vernunft“ des 2014 verstorbenen argentinischen Philosophen Ernesto Laclau zurück. Auch wenn sich schwer ermessen lässt, inwieweit sich manche Strömungen von Podemos auf diese Theorie bezogen haben oder noch beziehen, ist deren zentraler Stellenwert für Iglesias Grund genug, uns damit gebührend zu befassen. Gramsci als Kronzeuge der Antimarxisten?
Zusammen mit Chantal Mouffe verfasste Laclau 1985 Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, ein Werk, das vornehmlich für ein strategisches Umschwenken des Postmarxismus plädiert und das damals breit rezipiert und diskutiert wurde. Im seinem 2005 erschienenen Buch Über die populistische Vernunft entwickelte Laclau eine Sichtweise, die man fürderhin als neopopulistisch bezeichnete und in der dieser Konzeptwandel weiter aktualisiert und unterfüttert wurde. Und erst kürzlich veröffentlichte Chantal Mouffe eine Reihe von Gesprächen mit Iñigo Errejón (der als die „Nummer zwei“ von Podemos gilt) unter dem Titel Construir pueblo. Hegemonia y radicalización de la democracia1, das dasselbe Thema abhandelt. Das verbindende Moment all dieser Darlegungen des neuen strategischen Konzeptes ist eine sehr fragwürdige Interpretation der Theorie von Gramsci. In einer Kritik an Togliattis Interpretation von Gramsci hatte Perry Anderson in einem Artikel der New Left Review 22 Inprekorr 1/2016
von 19762 einige „unvereinbare Widersprüche“ im Werk des italienischen Marxisten herausgearbeitet. In der darauf folgenden Debatte zu diesem Thema3 ging es hauptsächlich um folgenden Punkt: Auf der Grundlage einer Konzeption von der Hegemonie des Proletariats, in der die Arbeiterklasse das zentrale Subjekt darstellt, entwickelte Gramsci anhand der in der UdSSR 1926 geführten Auseinandersetzungen und seiner eigenen Überlegungen über die spezifischen und komplexeren Staatsformen in den westlichen Staaten ein Hegemoniekonzept, das er auf die Formen bürgerlicher Herrschaft unter dem Aspekt ihrer kulturellen Dimension anwandte. Da er davon ausging, dass die „Revolution im Westen“ nicht nach den exakt gleichen Modalitäten wie die russische Revolution vorstellbar wäre, erweiterte er den Hegemoniebegriff um den sog. „Volksblock“ [der um die Arbeiterbewegung gebildet werden müsse]. Dabei misst er über die ökonomische Determination hinaus der ethisch-politischen Offensive ein größeres Gewicht bei, die angesichts der bürgerlichen Hegemonie eine Gegenhegemonie schaffen müsse, z. B. über die Entsendung von Kadern in die Institutionen. Dies lässt sich ambivalent interpretieren und kann als Rechtfertigung für Parlamentarismus und Reformismus umgebogen werden, indem man Begriffe wie „historischer Block“ oder „intellektuelle und moralische Reform“ im eigenen Sinn umdeutet. Mouffe und Laclau haben dies auf die Spitze getrieben und aus Gramsci einen Verfechter der „Hegemonie ohne Determinierung durch die Klasse“ gemacht, indem sie ihn mit bemerkenswerter Dreistigkeit verfälscht haben. Denn Gramsci hat immer und selbst in den spät entstandenen Briefen aus dem Gefängnis bei aller Kritik am Ökonomismus daran festgehalten, dass dieser Volksblock von einer Partei geführt werden müsse, die den Standpunkt der Arbeiterklasse und damit die ökonomisch begründete Klassenteilung als Ausgangspunkt haben müsse.4 Da der Marxismus in ihren Augen ein zweifaches Manko aufweist, nämlich einen ökonomischen Determinismus und einen überholten Begriff des revolutionären Subjekts, entwickeln Mouffe und Laclau in Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus eine Konzeption, in der die sozialen Bewegungen – hierunter die Arbeiterbewegung als eine davon – miteinander verbunden werden müssen, wobei sie untereinander aber völlig autonom und absolut gleichwertig sind. Um hegemonial werden zu können, müssen sie sich – unter Wahrung ihrer Autonomie – intensiv untereinander austauschen, um zu verhindern, dass alle (mehr oder minder) antikapitalistischen Kämpfe, für die die jeweiligen Bewegungen stehen, auseinanderfallen. Die gemeinsamen Grundlagen dieses Diskurses werden durch die Konzepte von „Demokra-
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tie“ und „demokratischer Revolution“ einerseits gebildet und durch die Benennung eines gemeinsamen Gegners andererseits. Da der Klassenstandpunkt aufgegeben wird, werden folgerichtig „Eliten“, „Kasten“ oder Vergleichbares zu neuen Bezugsgrößen. Daraus leitet sich die Vorstellung einer „radikalen“ Politik für die Demokratie oder für eine „radikale Demokratie“ ab. Von der Begrifflichkeit her lässt es sich nicht miteinander vereinbaren, den Antagonismus und den sozialen Gegensatz zu diesem gemeinsamen Gegner anzuerkennen und den „Konsens“ als utopisch zu kritisieren einerseits und auf der anderen Seite die Auffassung zu vertreten, dass es ein Hinüberwachsen von der bürgerlichen Demokratie zu einer wie immer gearteten wirklichen Demokratie geben könnte. Aber die Autoren verorten diesen Antagonismus in einer Instanz, in der eben diese Kontinuität durchaus möglich ist. In ihrem Vorwort zu der Ausgabe aus dem Jahr 2000 von Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus schreiben die Autoren: „Es ist sicherlich wichtig zu begreifen, dass nicht die liberale Demokratie der Todfeind ist, wenn man durch die Revolution eine komplett neue Gesellschaft gründen will. Genau darauf haben wir auch hier schon hingewiesen, indem wir darauf bestanden haben, dass linke Politik über den Begriff einer „Radikalisierung“ der Demokratie neu definiert werden muss. Für uns liegt das Problem der bestehenden liberalen Demokratien nicht in ihren Grundwerten, die in den Prinzipien von Freiheit und Gleichheit für Alle zum Ausdruck kommen, sondern in dem Machtsystem, das die Reichweite dieser Werte bestimmt und begrenzt. Daher haben wir unser Ziel einer ‚radikalen und pluralen Demokratie‘ als ein neues Stadium in der Umsetzung der ‚demokratischen Revolution‘ konzipiert, als die Ausweitung der demokratischen Kämpfe für Gleichheit und Freiheit auf eine größere Menge sozialer Verhältnisse.“ Was ist hier wohl mit „Ausweitung“ gemeint? Hegemonie und „Postmoderne“
Diese Ausweitung besteht darin, dass sich das Volk im Rahmen des bürgerlichen Staates zunehmend mehr Rechte erkämpft. Solche Errungenschaften sind natürlich (für Frauen, Homosexuellen, Transgender, rassisch Verfolgte etc.) von großer Bedeutung. Trotzdem hört der Kampf längst nicht dort auf, da hiervon die kapitalistischen Produktions- und Klassenverhältnisse nicht annährend bedroht werden. Denn da für die Autoren das Problem im „Machtsystem“ der „bestehenden liberalen Demokratien“ und in der Entkopplung dieses „Systems“ von seinen materiellen Grundlagen (in erster Linie der Ausbeutung der Arbeitskraft durch das Kapital) liegt, muss sich diese Politik der „Ausweitung“ der Kämpfe zwangsläufig und
letztlich ausschließlich auf die bestehenden lokalen, nationalen oder auch internationalen Machtinstitutionen konzentrieren. Als Daniel Bensaïd insistierte5, dass die Hegemonie nicht „mit der postmodernen Beliebigkeit vermengt“ werden könne und sich gegen diese „aufgefaserte Hegemonie“ wandte, da sie „im Widerspruch zur ursprünglichen strategischen Bedeutung des Begriffs im Sinne von Lenin und Gramsci steht, wonach Herrschaft und Legitimität oder Führungskapazität zusammenfallen“, erkannte er zu Recht, dass die beiden Autoren „eine bloße Ausweitung der Demokratie im Sinn haben, wo die Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse nur ein Aspekt neben anderen im weiten Spektrum der sozialen Verhältnisse sind. Die Aufgabe der Linke ist demnach nicht mehr, die liberal-demokratische Ideologie zu bekämpfen, sondern sich ihrer zu bemächtigen …“ Insofern „landen sie zwangsläufig bei einer Kritik des revolutionären Wegs“ und „beschränkt sich das Ziel der radikalen Demokratie letztlich … auf eine Verherrlichung der gesellschaftlichen Pluralität.“ Insofern wird das einigende Moment für einen organisatorischen Zusammenschluss auf einen vagen „Gemeinsinn“ und einen „alten ethischen Imperativ“ (den schon der Revisionist Bernstein vor 100 Jahren reklamierte) reduziert, was Manipulationen Tür und Tor öffnet. Folglich ändern sich auch die Begrifflichkeiten: Anstelle von „revolutionär“ heißt es jetzt, „radikal“ zu sein. Die Zerschlagung der bürgerlichen Institutionen wird ad acta gelegt und die „Volksherrschaft“, die um den Klassenstandpunkt und jeglichen Bezug auf das Proletariat entkleidet wurde, geht auf in der Bezugnahme auf ein sehr vage umrissenes „Volk“. Hegemonie aus Sicht der Neopopulisten
All dies wird in dem späteren Werk von Laclau Über die populistische Vernunft weiter ausgeführt, ausgehend von einer Hypothese und einer Prämisse. Die Hypothese besteht darin, den „Populismus“, der zuvor immer vage umrissen und willkürlich eingeteilt wurde, neu zu definieren, da der Begriff negativ belegt sei und seine beiden hervorstechendsten Merkmale, nämlich die Anrufung des Volks und die Kritik der Eliten nur als irrelevante Begleiterscheinungen gälten. Statt diese Begriffe in ihrer sozioökonomischen Dimension zu begreifen, so wie sie gemeinhin auch verstanden werden („Populismus“ bezeichnet hauptsächlich die Instrumentalisierung des Volkszorns aus diesen oder jenen Ecken der Gesellschaft etc.), überhöht Laclau das Phänomen des Populismus und macht daraus eine eigene politische Strategie. Als Prämisse dabei gilt ihm die Überbetonung der sozialen Heterogenität in unserer Zeit. Das Anliegen des Populismus sei es, dem Volk zur Identität zu verhelfen. Um dies zu begreifen, muss man auf den dualen Inprekorr 1/2016 23
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Begriff des „Volkes“ in der Antike zurückgreifen: Einerseits „populus“ oder „demos“ als die Gemeinschaft der Bürger, die die Gesellschaft als Ganzes bilden und die Universalität verkörpern, andererseits die „plebs“, das niedere Volk der Ausgebeuteten, Unterdrückten und namenlosen Habenichtse. Der Populismus – so Laclau – verhilft der „plebs“ als Teil des „populus“, dazu, die Gesamtheit der zwar unterschiedlichen, aber doch gleichermaßen legitimen Erwartungen, Forderungen und sozialen Bedürfnisse zu verkörpern, und wird dadurch zum repräsentativen Ausdruck der gesellschaftlichen Totalität. Aber dieser Prozess setzt voraus, dass sich die unterschiedlichen Strömungen in ihrem Kampf gegen einen gemeinsamen Gegner – den Laclau nur vage analysiert – zusammenfinden: die „Eliten“, das „Machtsystem“, den „globalisierten Kapitalismus“ etc. Da die sog. klassischen marxistischen Kategorien wie Klassenkampf oder etwa die in letzter Instanz ökonomische Bedingtheit für Laclau zu „Fetischen“ geworden sind, wird die hegemoniale Politik, als deren Träger oder Kennzeichen die Bezugsgröße „Volk“ wirken kann, dann darin bestehen, letztlich Trennlinien innerhalb des „populus“ festzulegen zwischen denjenigen, die sich um die „Forderungen“ scharen können, und jenen, die sich dem weiterhin entgegenstellen. Da aber die „Klassen“ keine gültigen Kategorien mehr sind, die „Forderungen“ im Fluss sind und die „Äquivalenzkette“ endlos sein kann, verschwimmen die Grenzen umso mehr. Insofern ist nicht nur der „Populismus“ ein „verschwimmender Bedeutungsträger“, sondern auch das „Volk“, das überhöht wird, um damit den Klassenstandpunkt zu ersetzen bzw. um das Volk gegen die eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Die daraus sich ergebenden Schlussfolgerungen liegen auf der Hand: „Eine Forderung des Volkes ist eine Forderung, die die fehlende Ganzheit der Gemeinschaft über eine potentiell endlose Äquivalenzkette repräsentiert. Daher bedeutet Populismus, der – wie gezeigt – der politischen Vernunft schlechthin entspricht, einen Bruch mit den zwei Formen von Rationalität, die das Ende der Politik bedeuten: Bruch sowohl mit einem revolutionären Ereignis, das das politische Moment überflüssig macht, weil es die vollständige Versöhnung der Gesellschaft mit sich selbst ermöglicht; und mit einer einfach gradualistischen Praxis, die Politik zur bloßen Verwaltung degradiert.“ Als ob die Revolution von Marx, Engels, Lenin, Rosa oder Trotzki als ein solches heilbringendes und wundersames „Ereignis“ gedacht worden wäre (wozu es dann später hingegen bei Badiou geworden ist)! Weder Revolution noch Reform, sagt Laclau, sondern „radikaldemokratische“ Politik. All dies trägt angeblich zur „Öffnung der Horizonte“ bei, weil die „Wiederkehr des Volkes als politische Kategorie“ dazu verhilft, „andere Kategorien, 24 Inprekorr 1/2016
wie die der Klasse, als das zu präsentieren, was sie sind: Träger von kontingenten und partikularen Forderungen, aber kein Knotenpunkt, von dem aus das Wesen der Forderungen selbst klar werden könnte.“ Die Klasse ist bloß noch ein kontingentes und obsoletes diskursives Konstrukt und jede Klassenpolitik ist per definitionem mit eben diesem Manko behaftet. Auf diese Weise ist dieser linke Neopopulismus letztlich völlig vereinbar mit der kapitalistischen Gesellschaft. Neopopulismus in Argentinien und Eurokommunismus
Als ferner Abkömmling des Trotzkismus in Argentinien hatte die von Jorge Abelardo Ramos gegründete „nationale Linke“ in den 60er Jahren in bestimmten intellektuellen Kreisen einen notorischen Einfluss erlangt. Ramos war Autor eines monumentalen Geschichtswerks über Lateinamerika und feiner Beobachter des Peronismus, während die klassische Linke aus Sozialisten und Kommunisten in Argentinien strikt dagegen opponierte und dabei selbst vor einer Zusammenarbeit mit der US-Botschaft und der rechten Bourgeoisie nicht zurückschreckte. Für Ramos war der bürgerliche Nationalismus in einem Dritte-Welt-Land ein Hebel, auf den man sich stützen müsse, um die Hauptwidersprüche in einem halbkolonialen Land auszunutzen, während die zweitrangigen Widersprüche in dem Maße in Angriff genommen werden sollten, wie sich die Bedingungen im ersten Konflikt verschärfen und eine volle Unterstützung der Revolutionäre für das „nationale und volksnahe“ Lager notwendig machen. Anhand dieser Theorie, vertreten von der „Sozialistischen Partei der nationalen Revolution“, wurde Laclau geschult. Mit seinen Werken Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus und Über die populistische Vernunft hat er sich zunehmend aus dieser an sich schon heiklen Ecke in Richtung Antimarxismus bewegt. Auf dem Weg von der Auflösung der Klassen über die politischen Identitäten, die in aufgeblähten Erzählungen und Diskursen hergeleitet werden, bis hin zu dieser „radikaldemokratischen“ Sichtweise bleibt am Ende gar kein Subjekt mehr übrig. Heraus kommt ein theoretisches Vakuum, gestreckt durch die verallgemeinernde Kritik der Organisationen und natürlich der „Partei“, an deren Ende die Verdammung des Leninismus steht, der im Rückblick als strukturell autoritär verurteilt wird. Damit war zumindest Tabula rasa gemacht, um das gebührend hervorzuheben, was bis dahin so weit hinten runter gefallen war: die Selbstorganisierung. Bei Laclau aber findet sich nichts darüber. Indem er von den Klassen abstrahiert und Politik in einen autonomen Rang erhebt, dabei programmatisch inhaltslos bleibt und sich über die Organisationsfrage
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ausschweigt, überlässt es dieser Neopopulismus de facto den Repräsentanten, sich für all die Forderungen zu engagieren, sobald unter der Bevölkerung die Mobilisierungen dafür abgeebbt sind: unter dem Strich also einem Führer. Die Entwicklung von Podemos, deren Ursprünge in einer breiten Protestbewegung liegen, hin zu einer zentralistischen Partei mit einer bürokratischen und komplett auf einzelne Personen zugeschnittenen Führung und einer Programmatik, die letztlich mit einem kapitalistischen System vereinbar ist, ist insofern kein Zufall. Vielmehr veranschaulicht sie konkret, wohin die Strategie von Laclau letztlich führt. Zuletzt sei daran erinnert, dass dieser Neopopulismus dem Eurokommunismus der 70er Jahre ähnelt, der – nicht zufällig – sich derselben Instrumentalisierung Gramscis mit rechtsgewirkten, gradualistischen und elektoralistischen Vorzeichen bedient hat. Der Eurokommunismus brach mit dem Stalinismus, trat für Pluralismus und Freiheitsrechte gegenüber der Einheitspartei ein und vertrat die Konzeption eines friedlichen Übergangs zum Sozialismus, um den Preis einer zunehmenden Integration in den bürgerlichen Staatsapparat. Als Synthese aus Sozialismus und liberaler Demokratie verkörperte er den Neoreformismus der westeuropäischen KPs. Ernest Mandel hatte dies damals richtig zusammengefasst: „Auch damals [nach dem WK II] war der Kapitalismus zu schwach, um den Arbeitern Opfer aufzuzwingen. Die Reformisten nahmen ihm diese Sorge ab. […] Diesmal werden die Dinge genauso ablaufen, wenn die Arbeiter Berlinguer nicht daran hindern, die Bourgeoisie aus dem Dreck zu ziehen, in dem sie sich befindet.“6 Verwundert es, dass sich Iglesias nicht nur Gramsci – in der Missdeutung durch Mouffe und Laclau – verbunden sieht, sondern auch der KPI und Berlinguer? Populismus und Klassenkollaboration
Mouffe und Laclau haben sich einen Popanz gewählt: einen ökonomistischen und essentialistischen Marxismus, der – wie in der Sowjetunion der 30er Jahre – die Produktivkräfte mit Hilfe von Fünfjahresplänen fetischisiert und aus der Essentialität des Sozialen eine mechanische Ableitung vornimmt, wonach „die Klasse an sich“ auf einem metaphysisch vorbestimmten Weg – hierin einer falsch verstandenen hegelianischen Logik folgend – fähig ist, sich in eine allumfassende „Klasse für sich“ zu verwandeln. Natürlich müssen wir uns freimachen von diesen stalinistischen oder stalinoiden Abfallprodukten. Genauso aber von diesen neoreformistischen Pseudoerrungenschaften, die sich seit Jahrzehnten schon auf diese Karikatur des Marxismus stürzen, um ihn dann – offen oder uneingestanden – zu erledigen.
Laclau hat uns ein fraglos reiches Werk hinterlassen. Sein Buch von 1985 ist scharfsinnig und gehört zu den Werken, die Geschichte geschrieben haben. Und die Verbindung zwischen Theorie und Praxis ist alles andere als mechanisch und unmittelbar und man kann einer Theorie nicht in die Schuhe schieben, was führende Politiker, die sich auf sie beziehen, an Strategie zu verantworten haben. Aber die „verschwimmenden Bedeutungsträger“ von Laclau haben nicht nur Iglesias wie auch Tsipras inspiriert und die Politik von Chávez oder Morales zumindest teilweise bestimmt, sondern auch Laclau selbst hat durch und durch bürgerliche Regierungen anhand seiner eigenen Theorie nachhaltig unterstützt, wie bspw. die vorgeblich „fortschrittlichen“ Kirchner-Regierungen in Argentinien. Wir wollen keineswegs alles und jeden unterschiedslos in einen Topf werfen oder gar behaupten, dass Podemos zwangsläufig das machen würde, was die Kirchner-Regierungen gemacht haben oder was sich die Regierung Tsipras nach Unterzeichnung des dritten Memorandums und den Wahlen im September als Agenda auferlegt hat, nämlich bürgerliche Austeritätspolitik zu betreiben und weiterhin die ArbeiterInnen für die Krise zahlen zu lassen. Dennoch gibt es sehr viele Signale und Weichenstellungen, die das Schlimmste befürchten lassen. Aber allein der Umstand, dass ein politischer Theoretiker wie Laclau soweit gegangen ist, auch bürgerliche Regierungen zu unterstützen, zwingt uns zu hinterfragen, inwieweit sich eine politische Führungsriege mit „radikalem“ Anspruch weitgehend und explizit auf ihn berufen kann. Genug Gründe also, seine Theorien schonungslos zu kritisieren und die politischen Realitäten bei Podemos genauestens zu analysieren und zu bilanzieren. 1 Construir pueblo. Hegemonia y radicalización de la democracia , Icaria Editorial, Mai 2015. 2 The Antinomies of Antonio Gramsci , New Left Review, n° 100, November-Dezember 1976, Seite 5-78 3 Peter D. Thomas, The Gramscian Moment. Philosophy, Hegemony and Marxism, Haymarket Books, 2011 (coll. Historical Materialism). 4 S. Gramsci Heft 13, §18 5 Daniel Bensaïd: Eloge de la politique profane, Paris, Albin Michel, 2008, 6 Ernest Mandel Kritik des Eurokommunismus Olle & Wolter, Berlin, 1978, S. 180 Quelle des Dossiers: l’Anticapitaliste, la revue mensuelle du NPA n°70, S. 15ff. Übersetzung aller Beiträge des Dossiers und Bearbeitung: � MiWe
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Resolution des Politischen Komitees der NPA (Frankreich) 1
Gegen den IS und seine verabscheuungswürdigen Attentate! Solidarität mit den Opfern!
1.1 Mit den Attentaten vom 13. November in Paris und Saint Denis – zuvor in Bagdad, Ankara, Beirut und Scharm-el-Scheich – und mit der nachfolgenden der Geiselnahme in Mali und dem Ausnahmezustand in Belgien ändert sich die Lage in unserem Land grundlegend. Denn zweifelsohne sind sie der Auftakt zu einer neuen Welle massenterroristischer Anschläge des IS gegen die Bevölkerung, auf die die Regierungen nach außen mit Militäreinsätzen – wie damals George W. Bush nach den Attentaten vom 11. September 2011 – und nach innen mit der Verhängung des Ausnahmezustands und verschärfter Repression reagieren werden. Wir müssen den Ernst dieser neuen Lage erkennen, ebenso wie die berechtigte Betroffenheit, ohne deswegen in politische Kurzschlusshandlungen, ebenso wenig aber in Fatalismus zu verfallen. 1.2 Hinter den Attentaten vom 13. November steckt als Auftraggeber der IS. So wie al-Qaida ist diese Organisation nicht aus dem Nichts entstanden. Seit Jahrzehnten schon haben die USA gemeinsam mit dem saudischen Königreich die fundamental-islamistischen Strömungen hochgepäppelt, um so die Linke in den moslemischen Ländern zu bekämpfen. Lange waren diese Strömungen Verbündete der USA. Die Kollaboration erreichte ihren Höhepunkt während des Krieges in Afghanistan in den 80er Jahren, als Washington, Saudi Arabien und die pakistanische Diktatur die Fundamentalisten gegen den Einmarsch der Sowjetunion unterstützten. Ein Teil von ihnen hat sich später dann gegen die saudische Monarchie und die USA gewandt. Ein Beispiel dafür ist al-Qaida: Ihre Gründer waren erst Verbündete der USA und der Saudis im Kampf gegen die sowjetische Besatzung in Afghanistan, haben sich dann aber gegen ihre Mentoren gewandt. Maßgeblich für die Kehrtwende war der erste Irakkrieg durch die US-Regierung unter George 26 Inprekorr 1/2016
H. W. Bush und später der Einmarsch im Irak unter George W. Bush. Infolge der Besatzung des Landes durch die USA erlebte al-Qaida einen enormen Auftrieb und konnte sich dadurch wieder eine maßgebliche territoriale Basis im Nahen Osten schaffen, die ihr zuvor in Afghanistan beschnitten worden war. Noch heute unterstützt Saudi Arabien in Syrien (al-Nusra) oder im Jemen Organisationen, die mit al-Qaida verbunden sind. Was sich heute „Islamischer Staat“ im Irak und in Syrien nennt und aus dem irakischen Ableger von al-Qaida entstanden ist, existierte vor dem Einmarsch 2003 nicht als eigene Organisation. Vielmehr ist sie sowohl das unmittelbare Ergebnis der US-Okkupation im Irak als auch des zunehmenden Chaos in der Region. Rekrutierungsbasis sind besonders die sunnitischen Sektoren, die zuvor aus allen Schaltstellen der Politik rausgedrängt worden waren, und ehemalige Mitglieder der Armee und Geheimdienste von Saddam Hussein. Nach 2007 war sie im Irak besiegt und marginalisiert, konnte sich aber in Syrien wieder auf bauen, indem sie von den Bürgerkriegsbedingungen in diesem Land und der extremen Brutalität des syrischen Regimes profitierte.
1.3 Der IS muss als solcher bekämpft werden und als das, was er ist, nämlich eine militärische und religiös-fundamentalistische Organisation, die auf Terror basiert und ein Feind der Arbeiterbewegung, der Frauen und aller demokratischen Rechte ist, und die sich auf einem Territorium ausbreitet, wo sie zunehmend die Konturen eines Staats annimmt und von wo aus sie zu expandieren versucht. Diese Organisation konnte sich auf die Verbrechen der Regimes von Saddam Hussein und Baschar al-Assad stützen wie auch auf die finanzielle Förderung durch die ultrareaktionären Scheichs der Golfstaaten und auf die Komplizenschaft der türkischen Regierung unter Erdogan, die jede fortschrittliche Massenbewegung zu vernichten trachtet.
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Gegen Notstand und Rassismus! Gegen den Burgfrieden mit der Regierung! Für unsere demokratischen Freiheiten!
2.1 Angesichts der Verlängerung des Ausnahmezustands auf drei Monate und der Ankündigung von Verfassungsänderungen muss die Verteidigung der demokratischen Rechte und Freiheiten zu einer unserer Hauptinterventionsachsen werden. Unter dem Vorwand, ein Gesetzesinstrumentarium aus der Zeit des Algerienkrieges an die aktuellen Erfordernisse anpassen zu wollen und damit einen Rechtsstaat unter Kriegsbedingungen aufrecht erhalten zu können, will Hollande den Notstand auf Dauer etablieren, um einen permanenten Ausnahmezustand schaffen zu können. Hollande hat die politischen Koordinaten erheblich nach rechts und rechtsaußen verschoben, indem er sich Vorschläge der FN und der Republikaner (Sarkozy) zueigen gemacht hat: Entzug der Staatsbürgerschaft für Terrorverdächtige mit doppelter Staatsbürgerschaft, Verbot von Organisationen und Vereinigungen, die „gegen die öffentliche Ordnung“ verstoßen (ohne genauere Kriterien dafür zu erstellen), Blockade von Internetseiten und Hausarrest für alle Personen, die terroristischer Ziele verdächtigt werden, also nicht für Straftaten verurteilt sind. Nach den Sicherheitsgesetzen, die im Gefolge der Attentate vom 9. Januar verabschiedet worden sind, schickt sich Hollande an, eine weitere Grenze bei der Beschneidung von Bürgerrechten zu überschreiten. [...] Die Verlängerung des Ausnahmezustands auf drei Monate wurde vom Parlament beschlossen, auch mit den Stimmen der geschlossenen Fraktion der Front de Gauche. Neue Gesetzesvorhaben sind in der Mache, angefangen mit der Einschreibung des Ausnahmezustands in die Verfassung als erster Schritt zu einem regelrechten „patriot act“ à la Française. Die Verlängerung des Ausnahmezustandes wurde im Parlament nahezu einstimmig beschlossen. Keiner der zehn Abgeordneten der Front de Gauche (von der KP und BündnispartnerInnen von Ensemble) hat dagegen gestimmt. Die Linkspartei (PG) hat sich gegen die Verlängerung ausgesprochen, mit dem Argument, dass die Republik dies für ihre Verteidigung nicht bräuchte, wohingegen die [sechs] sozialdemokratischen und grünen Abgeordneten, [die mit Nein gestimmt haben], sehr geschraubte Erklärungen abgegeben haben. Sie sind offen als Abweichler aufgetreten und haben sogar die Kundgebung vom 22. November unterstützt. [...] Außerdem haben die CGT
auf Druck ihrer Basis – besonders in Paris – und die Unef [Studierendenverband] sich dagegen ausgesprochen. Damit gibt es wichtige Anknüpfungspunkte, um eine Opposition gegen den Ausnahmezustand zu formieren. Das zeigt, wie weit inzwischen der Burgfrieden greift, nämlich weit in die Reihen der Front de Gauche hinein. Zugleich wird klar, dass es nicht leicht sein wird, in der kommenden Zeit ein gemeinsames Vorgehen hinzu bekommen. Es zeigt aber auch, dass weite Teile der Basis von Organisationen links der PS mit dieser Politik nicht einverstanden sind. Ensemble hat sich dann auch gegen den Ausnahmezustand ausgesprochen, trotz des Votums der ihm nahe stehenden Abgeordneten. An diese Strömungen müssen wir uns unbedingt wenden, um die Widersprüche auszunutzen und gegebenenfalls Absetzbewegungen zu beeinflussen. Vor diesem Hintergrund müssen wir hervorheben, dass die Regierung die Sicherheitsmaßnahmen nicht dafür instrumentalisieren darf, die Opposition aus den Reihen der Verbände, Gewerkschaften und politischen Organisationen zu den sozialen, politischen und ökologischen Themen mundtot zu machen. Wir müssen unser Demonstrationsrecht durchsetzen und den Ausnahmezustand ganz konkret kritisieren, angefangen bei der sprunghaften Zunahme der Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss. Da der Ausnahmezustand um drei Monate verlängert und das Demonstrationsverbot in der Pariser Region bis zum 30. November erklärt wurde, ist es von zentraler Bedeutung, zu versuchen, hiergegen unsere Klasse zu mobilisieren. Die Regierung Valls/Hollande nutzt die Betroffenheit und das Sicherheitsbegehren der Bevölkerung, um unmittelbar die Gegenwehr der Lohnabhängigen zu erschweren, just zu einem Zeitpunkt, wo sich in den zahlreichen Solidaritätsbekundungen anlässlich des „zerrissenen Hemdes“ des Personaldirektors bei Air France gezeigt hat, dass sich in der ArbeiterInnenklasse Wut angestaut hat, die zu einer gewissen Hoffnung auf eine Belebung des Widerstands gegen Unternehmer und Regierung berechtigt. Insofern kann sich der Kampf gegen den Ausnahmezustand nicht nur auf die ideologische Positionierung beschränken. Sich gegen den Ausnahmezustand zu wenden, bedeutet auch und vor allem, aktiv dessen Auswirkungen zu bekämpfen, vor allem was das Demonstrationsverbot angeht.
2.2 Vor diesem Hintergrund gilt es, den Klassenkampf wieder zum vorrangigen Thema zu machen, da UnternehInprekorr 1/2016 27
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mer und Regierung ihre Politik des Sozialabbaus fortsetzen. Diejenigen, die uns den Ausnahmezustand aufzwingen oder beifällig nicken, sind dieselben, die gegen das Arbeitsgesetz, die GewerkschafterInnen und die soziale Bewegung im Ganzen kämpfen. Keine dieser die Freiheit beschneidenden Sicherheitsmaßnahmen wird verhindern, dass der IS weiterhin unter der Jugend rekrutiert, denn diese Maßnahmen torpedieren jedwede Sozialpolitik. Insofern müssen die NPA und die gesamte Arbeiterbewegung für die sozialen, demokratischen und ökologischen Forderungen eintreten. Keinesfalls lassen wir uns das Recht nehmen, gegen die Unternehmergewalt zu kämpfen, gegen Arbeitsplatzabbau, Entlassungen, Aushöhlung des Arbeitsrechts und Austeritätspolitik. Zunächst einmal waren die Mobilisierungen und Streiks suspendiert worden. Inzwischen aber gehen die Streiks in verschiedenen Bereichen wie etwa bei Air France weiter, wo trotz der Absage des Streiktags vom 19. November die Mobilisierungen weitergehen. Zudem ist bereits für den 2. Dezember ein landesweiter Aktionstag angekündigt. Dabei müssen wir das Eintreten verschiedener Gewerkschaften und nachfolgend der CGT gegen den sozialen Burgfrieden und den Krieg nutzen, denn dieser Aktionstag (am 2. Dezember) könnte dazu dienen, den Forderungen der gesamten ArbeiterInnenbewegung Gehör zu verschaffen und gegen den Kriegs- und Repressionskurs der Regierung Front zu machen.
2.3 In den Tagen nach den Terroranschlägen von Paris gab es viele Angriffe auf Moscheen und Moslems sowie antisemitische Gewalttaten. In mehreren französischen Städten haben sich Rechtsextremisten unter die Versammlungen gemischt. [...] Die Hardliner unter den französischen und europäischen Politikern haben Flüchtlinge mit Terroristen gleichgesetzt und die Schließung der Binnengrenzen gefordert. Die Moderateren mit Hollande an der Spitze pochen auf schärfere Kontrollen und Registrierungszentren zwecks Aussortierung an den Grenzen. Dies macht ein offensives und einheitliches Vorgehen gegen Rassismus und für die Solidarität mit den Flüchtlingen erforderlich. Eine der Folgen der Attentate besteht in einer Zunahme des Rassismus und dies just wenige Wochen vor den Regionalwahlen, in denen Marine Le Pen schon jetzt als die große Gewinnerin dieser Wahlen angekündigt wird, was einfach nur widerlich sein wird. Dabei waren die meisten Selbstmordattentäter vom 13. November Franzosen oder Belgier und keine Syrer 28 Inprekorr 1/2016
oder Iraker. Insofern weisen die Attentate nicht darauf hin, dass der IS seine Kämpfer einfach hierher schickt, sondern weitgehend darauf, dass einige wenige Jugendliche in den Dschihadismus abrutschen, weil er ihnen als Ausweg erscheint. Ihr Abgleiten in Kriminalität und Selbstmord gründet in einem reichen Nährboden, der politisch durch zunehmende soziale Ungerechtigkeit, Ausgrenzung, Rassismus, Diskriminierungen und Islamophobie bereitet wurde. Folglich werden die Bombardements der IS-Stellungen dieses Problem auch nicht lösen.
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Gegen den imperialistischen Krieg! Rückzug der französischen Truppen aus Afrika und dem Nahen Osten!
3.1 Seit Anfang dieses Jahrhunderts ist der französische Staat immer tiefer in die imperialistischen Interventionen im Nahen Osten und in Afrika verstrickt und seit dem Regierungsantritt von Hollande sogar mit zunehmender Tendenz. Im gesamten Nahen Osten sind die umfassende Krise des globalen Kapitalismus und der herrschenden Regime sowie das Scheitern der imperialistischen Interventionen für das gegenwärtige Chaos verantwortlich. Auf direktem oder indirektem Wege haben die imperialistischen Mächte und ihre Verbündeten vor Ort einstmals all diese terroristischen Gruppen bewaffnet und trainiert, um sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren. In dieses Schema fügt sich auch die vorbehaltslose Unterstützung Frankreichs für die ultrarechte Politik Israels während des Gaza-Kriegs von 2014 oder die Waffenlieferungen an die Ölmonarchien am Persischen Golf und besonders an Saudi Arabien, die auch sämtlich als Investoren in Frankreich willkommen sind, während zugleich die Saudis und Katar den IS finanziert haben, um das Bündnis zwischen Irak und Iran zu destabilisieren. Das gleiche gilt auch für das Erdogan-Regime in der Türkei, das den IS über den Ankauf von Erdöl finanziert und ungestraft die Kurden bombardiert, die in Syrien mit der Waffe in der Hand gegen den IS kämpfen. Und nicht zuletzt für die unerschütterliche Unterstützung der russischen Regierung für das (mit dem iranischen Regime verbandelte) Assad-Regime und die in Tschetschenien erprobte Expertise von Putin bei der Unterdrückung der Bevölkerung. Das Ziel der Imperialisten dabei ist, ein neues Gleichgewicht auf reaktionärer Grundlage herzustellen, nachdem die Regime im Gefolge des arabischen Frühlings destabilisiert worden sind.
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3.2 Lassen wir uns nicht in falsche Gefechte verstricken! Es gibt keinen „Kampf der Kulturen“, sondern abscheuliche Attentate angesichts genauso abscheulicher Militärinterventionen. Unsere Antwort kann einzig in der Einheit der Unterdrückten und Ausgebeuteten bestehen, über alle Grenzen und Konfessionen hinweg und gegen die gerichtet, die gegen uns einen regelrechten sozialen Krieg führen und dann von „gemeinsamen Interessen“ sprechen. Imperialistische und militärische Interventionen verschlimmern die Lage nur, wie die Ereignisse vom 13. November auf tragische Weise gezeigt haben. Die Krise, die den Nahen Osten durchzieht, kann nur beendet werden, wenn die imperialistischen Truppen abgezogen werden, „unsere befreundeten“ reaktionären Regimes wie die saudische Monarchie oder die ägyptische Diktatur gestürzt werden und die Rechte der PalästinenserInnen durch ein Ende der Besatzung des Westjordanlandes und Gazastreifens durch den zionistischen Staat anerkannt werden. Der IS ist hingegen seinem Wesen nach ein Instrument, das die Hoffnungen der Völker, die diese mit den Aufständen im arabischen Raum verbunden haben, zerschlagen will. Daher stellen wir uns gegen die imperialistische Kriegslogik und fordern die konkrete internationale Solidarität mit der dortigen Bevölkerung, die alltäglich gegen den IS sowie gegen Assad kämpft. Dies beinhaltet auch die Lieferung von – auch militärischen – Mitteln, die deren demokratische und nicht-konfessionsgebundene Organisationen brauchen, statt stellvertretend für sie zu handeln, was immer mit schwerwiegenden Konsequenzen verbunden ist. Wir fordern auch die Streichung der PKK von der Liste der terroristischen Organisationen und das Ende der Unterdrückung der kurdischen Organisationen durch den türkischen Staat, einen Verbündeten Frankreichs. Und wir betonen die elementare Pflicht, der verfolgten Bevölkerung aus Syrien und dem Irak Schutz und Asylrecht in Europa zu gewähren. 3.3 Im Unterschied zum Januar stützt sich der gegenwärtige politische Schwenk der Regierung nicht auf humanistische Regungen wie damals über die Parole: „Je suis Charlie“, sondern auf Angst. Hier hat das Vorgehen der Regierung nichts anderes anzubieten als Krieg und staatliche Repression und gleicht damit der Regierung Bush nach dem 11. September. Hollande beteuert, dass „wir im Krieg sind“, und ist zugleich nicht in der Lage, dessen Strategie und Ziele festzulegen. Insofern auch ist die „nationale Einheit“ zerbrechlicher als im Januar. In diesem
Zusammenhang und nach der Geiselnahme in Bamako steht uns eine weitere Verschärfung der militärischen Interventionspolitik Frankreichs bevor und es ist nicht auszuschließen, dass es dagegen zu wachsendem Widerstand kommt. Allerdings ist ausgemacht, dass eine jegliche Anti-Kriegs-Bewegung grundlegend verschieden von denen sein wird, die wir Anfang des Jahrhunderts hatten, da sie in einem Kontext stattfinden würde, in dem Wirtschaftskrise, staatliche Repression und Aufschwung der extremen Rechten zusammenkommen und folglich die Polarisierung zunimmt. Aus diesem Grund kommt uns dabei als AntikapitalistInnen und RevolutionärInnen eine besondere Verantwortung zu. In dem Maß, wie die Kosten und Kollateralschäden der von Hollande verfolgten Politik zunehmen, können unsere Ideen bei einer Bevölkerung auf Zuspruch stoßen, die um ihre eigene Existenz bangt und um die ihrer Nächsten, und die möglicherweise nach und nach begreift, dass die einzige „realistische“ Chance, die Gewaltspirale zu unterbrechen, darin liegt, die militärischen Interventionen zu beenden. Besonders unter der Jugend kann dies passieren.
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Schlussfolgerung
Es ist dringend geboten, alle Aktiven sowie alle politischen und sozialen Organisationen zusammenzuschließen, die gegen Burgfriedenspolitik, Ausnahmezustand, Krieg und Rassismus sind. Angesichts des Ausnahmezustands müssen wir unsere Kräfte darauf konzentrieren, die demokratischen Rechte zu verteidigen und die sozialen Mobilisierungen aufrecht zu erhalten und voranzutreiben, statt sie durch das Klima der Einschüchterung und des Krieges mundtot machen und ersticken zu lassen. Die Antwort auf den Terror des IS kann nur in der Solidarität und den Kämpfen der unterdrückten Klassen bestehen, die ihre sozialen und demokratischen Rechte verteidigen müssen, und in der internationalen Solidarität mit den Völkern des Nahen Ostens oder Afrikas. All diejenigen müssen jetzt zusammenstehen, die militärisches Abenteurertum, Krieg und imperialistische Interventionen genauso wie den Ausbau des Polizeistaats ablehnen, damit die kapitalistische Barbarei bekämpft werden kann, die die Barbarei des Terrorismus und der religiösen Fundamentalismen gebiert. 21./22. November Übersetzung: MiWe �
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COP 21 – viel Lärm um nichts Der Klimagipfel endete erwartungsgemäß mit einem Abkommen. Gleichzeitig müssen sich die kapitalismuskritischen Kräfte der Ökologiebewegung in ihren Befürchtungen bestätigt sehen.
Das Abkommen wird 2020 in Kraft treten, sofern es von 55 der Unterzeichnerländer des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) ratifiziert wird und diese 55 Länder mindestens für 55 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Angesichts der in Paris vertretenen Positionen dürfte diese zweifache Bedingung keine Probleme aufwerfen, wobei die Nicht-Ratifikation des Kyoto-Protokolls durch die USA allerdings gezeigt hat, dass man gegen Überraschungen nie gefeit ist.
Diese Grundsätze kann man natürlich mühelos teilen, aber der von den 195 Teilnehmerstaaten verabschiedete Text liefert keine Gewähr, dass sie auch tatsächlich befolgt werden. Vor allem aber bleibt er völlig vage, bis zu welchem Zeitpunkt die Klimaziele erreicht werden sollen. Stattdessen begnügt man sich mit der Formulierung, dass „die Parteien so schnell als möglich den Höhepunkt der weltweiten Emissionen erreichen und anschließend zügig und unter Auf bietung der bestmöglichen wissenschaftlichen Kenntnisse den Ausstoß reduzieren wollen, um in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen und deren Absorption durch die Kohlenstoffsenken zu erreichen“. Auf welchem Niveau die Klimaerwärmung gehalten werden kann, hängt freilich davon ab, in welchem Jahr der Höhepunkt erreicht und in welchem jährlichen Rhythmus anschließend die globalen Emissionen reduziert werden, und wann genau zwischen 2050 und 2100 das Gleichgewicht zwischen den Emissionen und deren Absorption erzielt wird.
„Weit unter 2 °C“ – wie soll das gehen?
Die Quadratur des Kreises
Das Abkommen setzt zum Ziel, die durchschnittliche Klimaerwärmung auf „deutlich unter 2 °C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu halten und weitere Anstrengungen zu unternehmen, den Anstieg sogar auf 1,5 °C zu begrenzen, da dies die Risiken des Klimawandels beträchtlich verringern würde“. Daneben bekräftigt der Text, diese Ziele erreichen zu wollen und dabei den Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung zu beachten, ebenso wie die Menschenrechte, das Recht auf Gesundheit und Entwicklung, die Rechte der indigenen Völker, der Behinderten und der Kinder, sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter unter gezielter Förderung der Frauen und der generationenübergreifenden Solidarität. Besonderen Stellenwert dabei hat, dass der „Übergang“ sowohl den betroffenen Beschäftigten als auch den jeweiligen Möglichkeiten der einzelnen Länder „gerecht“ wird …
In seiner Rede vor der Vollversammlung der Konferenzteilnehmenden am 12. Dezember gab sich F. Hollande erfreut darüber, dass es gelungen sei, „das zu vereinen, was unvereinbar schien“, und einen Text zu verabschieden, der „zugleich ambitioniert und realistisch“ ist. „Uns liegt das für unseren Planeten entscheidende Abkommen vor“, schloss er. Zuvor hatte sich sein Außenminister L. Fabius als Versammlungsleiter zu einem Ergebnis beglückwünscht, das „das bestmögliche Gleichgewicht“ darstellt. Das Rahmenübereinkommen der UNO stammt von 1992 und erzielte mit dem Kyoto-Protokoll ein mehr als bescheidenes Ergebnis. Seit vielen Jahren bereits unterminiert die drohende Klimakatastrophe zunehmend die Existenzberechtigung des Kapitalismus und die Glaubwürdigkeit seiner politischen Sachwalter. Heute schon ist absehbar, dass wir auf der Grundlage der Vereinbarung von Paris (COP 21) mit einer umfassenden Gegenoffensive
Daniel Tanuro
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zu rechnen haben, die glauben machen soll, dass das System – entgegen allen bisherigen Aussagen – dazu in der Lage ist, die von ihm geschaffene Katastrophe einzudämmen, und dass die verantwortlichen Regierungen die Situation im Griff haben. All diejenigen, die nicht daran glauben, dass es einen grünen Kapitalismus geben kann und schon gar nicht, dass das Klima gerettet werden kann, ohne den systemimmanenten Zwang zu immer mehr Wachstum infrage zu stellen, müssen sich jetzt fragen, ob das Pariser Abkommen „die Quadratur des Kreises“ vollbracht hat. Damit wollen wir uns hier befassen und auf andere Aspekte wie die Anpassungsmaßnahmen, die Unterstützung für die Länder des Südens etc. an anderer Stelle eingehen. Sind nun die notorisch griesgrämigen Pessimisten und Ökosozialisten durch den Pariser Gipfel widerlegt? Die Antwort lautet zu mindestens 80 %: „Nein“. Und zwar, weil selbst nach den Angaben des Sekretariats der UNFCCC nur knapp ein Fünftel des Wegs zurückgelegt ist, um unter dem Zwei-Grad-Ziel zu bleiben, und selbst das nur auf dem Papier. Wir können also nicht einmal sagen, dass das Glas des COP 21 halb voll oder halb leer ist, sondern es ist mindestens zu vier Fünfteln leer. Grundsätzlich geht die Klimakatastrophe weiter und der Beweis dafür, dass sich Unvereinbares vereinbaren lässt, wurde nicht erbracht. Der Teufel steckt im Detail
Gegenstand der Verhandlungen sind einerseits das in Paris verabschiedete Abkommen und andererseits die nationalen „Klimaschutzpläne“, die sog. „angestrebten nationalen Beiträge“ (INDC), die jedes Teilnehmerland verabschiedet und im Vorfeld des Gipfels dem Sekretariat der UN-Klimarahmenkonvention mitgeteilt hat. Das Pariser Abkommen gibt wohl als Ziel eine Erwärmung unter 2 °C und möglichst nah an 1,5 °C vor, aber die bis 2025 oder 2030 angestrebten INDC sind sehr weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen. Nach einer überschlägigen Einschätzung würden sie zusammen auf eine Erwärmung von katastrophalen 3 °C hinauslaufen. Dieser Widerspruch zwischen den Absichtserklärungen des Abkommens und der Realität der nationalen Klimaschutzpläne ist kein Geheimnis. Die in Paris verabschiedete Resolution (und auch das eigentliche Abkommen) halten „mit großer Besorgnis daran fest, dass die erheblichen Diskrepanzen dringend beseitigt werden müssen, wobei auf der einen Seite der Kluft die Gesamtwirkung der von den Teilnehmern versprochenen jährlichen
Treibhausgasreduktionen von heute bis 2020 steht und auf der anderen Seite die errechnete Kurve der Gesamtemissionen, die mit dem Ziel vereinbar ist, den weltweiten Anstieg der Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C zu halten, sowie weitere Anstrengungen zu unternehmen, den Anstieg sogar auf 1,5 °C zu begrenzen.“ Mit diesen Diskrepanzen hat sich die beim Klimagipfel in Durban ad hoc eingesetzte Arbeitsgruppe (Ad Hoc Working Group on the Durban Platform for Enhanced Action, ADP) befasst, die darüber befinden sollte, auf welche Weise ein ehrgeizigeres Klimaziel zu erreichen sei. Ihr detaillierter Bericht ging am 30. Oktober 2015 im Rahmen der Konferenzvorbereitung an das Sekretariat der UNFCCC. Dieser Bericht vergleicht die zu den Stichdaten 2015 und 2030 aufgrund der gemäß INDC erreichten Gesamtemissionen anhand verschiedener Szenarien: einerseits unter der Prämisse „business as usual“, andererseits entlang unterschiedlich hoher Reduktionen der Gesamtemissionen, die laut Weltklimarat erforderlich sind, um die Klimaerwärmung mit 66%iger Wahrscheinlichkeit und geringstmöglichen Kosten unter 2 °C zu halten, die sog. „least cost 2 °C scenarios“. Die Autoren gehen dabei nach einer simplen Methode vor: Sie nehmen die Emissionen unter „business as usual“ als Referenzszenario, bei dem das Zwei-Grad-Ziel mit 0 % Wahrscheinlichkeit erreicht wird, und das „least cost 2 °C scenario“ als Zielvorgabe, bei dem das Zwei-Grad-Ziel zu 100 % erreicht wird. Unter dieser Maßgabe drücken sie dann die Summe der Emissionsminderungen, die durch die INDC prognostiziert werden, als Prozentsatz des Zwei-Grad-Ziels aus. Ihre Schlussfolgerung: Bei diesem Vergleich vermindern die INDC die Differenz zwischen den Emissionen der beiden Szenarien 2025 um 27 % und 2030 um 22 %. Dies bringt uns zu unserer Aussage, dass „das Glas der COP 21 zu 80 % leer ist“. Dabei ist noch nicht einmal auszuschließen, dass diese 80 % zu niedrig gegriffen sind. Denn die INDC müssten eigentlich genauer unter die Lupe genommen werden, da nicht auszuschließen ist, dass die Länder ihre Zahlen auf blähen, um sich schönzureden. Solche Tricksereien gab es schon mehrfach bei der Klimafrage. Es sei nur daran erinnert, wie die EU-Mitgliedsstaaten die Emissionen ihrer Schadstoffindustrien hochgerechnet haben, um so möglichst viele Schadstoffzertifikate gratis zu bekommen, die dann wieder mit Profit verkauft wurden. Allein der Umstand, dass bei diesen Klimaschutzplänen so stark auf die CO2-Absorption durch die Wälder oder auf die Inprekorr 1/2016 31
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relativen Emissionsminderungen gesetzt wird und recht wenig auf die Nettoreduktionen, lässt aufhorchen. Dies mögen aber Experten prüfen, wir befassen uns eher damit, wie das Pariser Abkommen die Diskrepanzen zwischen den Klimaschutzplänen und dem 1,5- bzw. 2-Grad-Ziel überwinden will. Rosstäuscherei
Ich muss vorausschicken, dass ich einen Punkt in den Berichten des Weltklimarats nicht verstehe: Wenn die Vorhersagen über den Klimawandel immer beunruhigender ausfallen und die Veränderungen viel schneller ablaufen als in den Modellszenarien errechnet, wie kommt es dann, dass der Höhepunkt der globalen Treibhausgasemissionen, der nicht überschritten werden darf, wenn die Erwärmung mit 66%iger Wahrscheinlichkeit unter 2 °C bleiben soll, zwischen dem 4. und 5. Bericht deutlich nach hinten geschoben wurde? Im 4. Bericht hieß es noch, die globalen Emissionen müssten spätestens 2015 ihren Höchstwert erreicht haben, damit die Erwärmung nicht über 2 °C steigt. Im 5. Bericht steht nun aber, das Zwei-Grad-Ziel könne erreicht werden, wenn die globalen Emissionen 2020, 2025 oder sogar erst 2030 zu sinken beginnen – bei den späteren dieser Termine allerdings um den Preis zunehmender Probleme. Ich setze voraus, dass es den Autoren nicht einfach darum geht, die Hoffnung am Leben zu halten, sondern dass sie für diese Änderung eine wissenschaftliche Erklärung haben. Nur kenne ich sie nicht … Wie dem auch sei: Nehmen wir an, der Höchstwert der Emissionen zur Einhaltung von 2 °C oder 1,5 °C müsse tatsächlich erst 2025 oder 2030 erreicht sein, und kommen wir auf unsere Frage zurück: Wie will der Klimavertrag von Paris die Kluft zwischen den angestrebten INDC und dem Ziel einer Erwärmung, die „klar unter 2 °C“ bleibt, schließen? Die Antwort findet sich im verabschiedeten Text: indem die INDC alle fünf Jahre überprüft werden, mit dem Ziel, sie laufend anzupassen. Diese Überprüfung wird aber einzig vom guten Willen der Parteien abhängen: Sie ist rechtlich nicht bindend, sieht keine Strafen vor usw. Es ist schon starker Tobak, während das Haus in Flammen steht, eine dermaßen schwache Regelung als historischen Durchbruch zu präsentieren … Eine der wichtigsten Fragen betrifft das Timing: Das Abkommen von Paris wird 2020 in Kraft treten, und die erste Überprüfung findet … 2023 statt. Zur Erinnerung: Die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls erforderte acht Jahre, wobei dieses Übereinkommen lediglich eine kleine 32 Inprekorr 1/2016
Zahl von Parteien betraf und nur lächerliche Emissionsreduktionen brachte. In zehn Jahren – die geopolitischen Spannungen werden sich dann weiter verschärft haben – soll es 195 Ländern geschwind gelingen, sich über 80 % des Wegs, der bis zur Klimarettung noch vor ihnen liegt, zu einigen? Wer so denkt, spielt russisches Roulette mit dem Schicksal von Hunderten Millionen Menschen und mit den Ökosystemen. Der COP 21 gibt, gelinde gesagt, keinen Anlass zur Revidierung der ökosozialistischen Analyse, er bestätigt sie vielmehr: Stößt das kapitalistische System an ökologische Grenzen, schiebt es das Problem im Wesentlichen einfach vor sich her und macht es dadurch immer komplexer und gefährlicher. … und bewusste Ignoranz
Apropos „Gefahr“: Wer immer noch glaubt, am 12. Dezember sei in Le Bourget ein Wunder geschehen, sollte sich die zwei folgenden Fragen stellen: Wie kommt es, dass die Worte „fossile Brennstoffe“, „Industrie“, „Kohle“, „Erdöl“, „Erdgas“, „Automobilindustrie“ und andere für dieses Thema entscheidende Ausdrücke kein einziges Mal im Text von Paris auftauchen? Warum steht das Wort „Energie“ nur zweimal in einem einzigen Satz, bei dem es um Afrika geht (und einmal im Namen der Internationalen Energieagentur IEA)? Und wie kommt es, dass die Ausdrücke „Energiewende“, „sparsamer Energieverbrauch“, „Recycling“, „Konversion“, „Gemeingüter“, „Dezentralisierung“ nie verwendet werden? Dass „erneuerbare Energie“ nur ein einziges Mal auftaucht, und zwar nur in Bezug auf die „Entwicklungsländer“ („insbesondere Afrika“)? Dass „Biodiversität“ nur einmal erscheint? Dass auch das Konzept der „Klimagerechtigkeit“ nur an einer Stelle als „für manche von Bedeutung“ erwähnt wird – im selben pauschalen Abschnitt, in dem auch die Biodiversität und die Wichtigkeit (ebenfalls „für manche“!) von Mutter Erde erwähnt sind? Diese Auslassungen sind kein Zufall, sondern Zeichen einer klaren Ausrichtung, einer kapitalistischen Strategie zur Beantwortung der Klimafrage. Offenbar sind die Klimaleugner in der herrschenden Klasse nicht durchgedrungen, was auch gut so ist. Doch es wäre ein Irrtum, nun erleichtert zu glauben, das Abkommen von Paris sei ein „starkes Signal“, „setze den fossilen Brennstoffen ein Ende“ oder markiere den Wendepunkt zu einem „gerechten Wandel“, wie manche behauptet haben. Die Verantwortlichen des Desasters – hauptsächlich der fossile
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Energie- und der Kreditsektor – halten das Ruder nach wie vor fest in der Hand. Wende? Rolle seitwärts!
Gibt es eine Wende? Zweifellos! Auf höchster Ebene ist das Bewusstsein gewachsen, dass die globale Klimaerwärmung ohne wirksame Gegenmaßnahmen eine enorme, unübersehbare Gefahr für die Gesellschaft, deren Zusammenhalt und die Wirtschaft darstellt (das Rundschreiben von Papst Franziskus zeugt von diesem Phänomen). Wahrscheinlich werden sich einige der kapitalistischen Entscheidungsträger nun nicht mehr damit zufriedengeben, den Klimagipfel nur als Deckmantel zu nutzen, um von der Katastrophe abzulenken, die sich im Zuge ihrer politischen Sorglosigkeit seit dem Weltklimagipfel von 1992 anbahnt. Angesichts des Widerspruchs zwischen den INDC und den erforderlichen Maßnahmen zur Begrenzung der Erwärmung auf maximal 2 °C werden sie versuchen, sich zu einigen. Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass ihnen dies gelingen wird (um es euphemistisch auszudrücken), … unter anderem, weil diese Wende sehr spät einsetzt, weil das Kapital im fossilen Energiesektor den Fuß auf der Bremse hat und die multipolare Welt von interimperialistischen Kämpfen zerrissen wird, ohne klare Führung … Wichtig ist aber nicht nur das Ziel, sondern auch, wie es erreicht werden soll. Das „least cost 2 °C scenario“, das den Experten vorschwebt, beinhaltet nicht nur „sanfte Energie“, sondern auch Kernenergie, fossile Brennstoffe mit Kohlenstoffrückhaltung, Riesenstauseen [mit entsprechenden Folgen für Ökosysteme und Anwohner], und Brennstoffe aus Biomasse mit Kohlenstoffrückgewinnung (carbon recovery). Der 5. Bericht des Weltklimarats macht deutlich: Ohne diese hier genannten Energieformen und Verfahren ist die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels „nicht rentabel“, die Kosten explodieren, die Profite sind bedroht! Welch Sakrileg! Unter den Technologien der Zauberlehrlinge steht die Verbrennung von Biomasse mit Kohlenstoffrückgewinnung hoch im Kurs. Die Anhänger dieser Energieform argumentieren, bei der Verbrennung der Biomasse werde das beim Brennprozess entstehende CO2 zurückgehalten und die neue Biomasse, die man zur Energiegewinnung anbaue, nehme während ihres Wachstums CO2 aus der Luft auf. So könne man nicht nur die Emissionen senken, sondern auch den in der Atmosphäre angesammelten CO2-Vorrat verringern. Eine unwiderlegbare Argumentation … doch der enorme Verbrauch an Biomasse, der damit verbunden ist, hätte für die betroffenen Ökosysteme
und Bevölkerungen zerstörerische Folgen. Vor diesem Hintergrund ist es zwar gut, dass der Pariser Vertrag Weichen stellt, zum Beispiel mit der Ankündigung eines weitreichenden „Mechanismus für nachhaltige Entwicklung“. Bei der Lektüre muss man aber feststellen, dass es lediglich darum geht, den im Kyoto-Protokoll vorgesehenen „Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung“ so weit wie möglich auszubauen … dank dieses Projekts können namentlich europäische Automobilkonzerne ihre Emissionen „kompensieren“, indem sie im Süden in „Wald“-Projekte investieren, auf Kosten der einheimischen Bevölkerung. Das ist also der „realistische Plan“, den Hollande während des medialen Höhepunkts des Gipfels erwähnt hat. Hier zeigt sich das wahre Gesicht von dem, was immer noch einige als Weg zu einem „grünen Kapitalismus“ begrüßen. Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen: Was unter dem Namen der „nachhaltigen Entwicklung“ geschieht, ist antiökologisch und antisozial, kann das Klima nicht retten und wird mit immer mehr Repression verbunden sein, um Widerstände zu brechen und die Opposition zum Schweigen zu bringen. Der unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung ausgerufene polizeiliche Notstand ist alles in allem sehr aufschlussreich in Bezug auf gewisse versteckte Tendenzen dieser Klimakonferenz … Übersetzung: A. W. und MiWe �
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Automobilindustrie – same procedure … Das Ausmaß des Skandals bei VW, eines der Weltmarktführer, lässt sich an der Bedeutung dieses Industriezweigs messen, sowohl in Hinblick auf das dort investierte Kapital und die Zahl der weltweit Beschäftigten als auch der Folgen dieses Transportmittels für Städtebau und Umwelt. Niemals zuvor sind weltweit so viele Autos produziert und zugelassen worden wie 2015. Jean-Claude Vessillier
Der bei VW aufgedeckte Betrug, der längst nicht nur diesen Konzern betrifft, fällt auf den gesamten Industriezweig zurück, in dem eine Handvoll Konzerne seit den 70er Jahren den gesamten Weltmarkt beherrschen. Nach dem heftigsten Einbruch, den diese Industrie 2008/9 seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 erlebt hat, tobt die Konkurrenz umso schärfer und am meisten in den Ländern, wo die Verkaufszahlen, von konjunkturellen Schwankungen abgesehen, stagnieren, nämlich in Nordamerika, Europa und Japan. Der Betrug von VW ist typisch für die kapitalistische Industrie und deren Haltung gegenüber den Beschäftigten wie auch der Bevölkerung, die gezwungen ist, den Dreck einzuschnaufen. Der aufgedeckte Skandal enthüllt gegenüber breitesten Bevölkerungskreisen die umweltzerstörerischen Praktiken kapitalistischer Unternehmen, das dahinter stehende Profitstreben schlägt sich in erster Linie jedoch in der Ausbeutung der Arbeitskraft nieder. Die Transformationsprozesse in den Fabriken, Werkstätten und Entwicklungsabteilungen unter dem Vorzeichen der „Lean Production“1 zielen auf die Beschäftigten und ihre in den Jahrzehnten davor erkämpften Rechte. Eine Kritik an den desaströsen Folgen der Automobilindustrie sollte diese 34 Inprekorr 1/2016
beiden Aspekte im Visier haben, um das gesamte kritische Potential der sozialen Bewegungen auszuschöpfen. Der Rubel rollt wieder …
Vor sechs Jahren mussten zwei der drei großen Automobilkonzerne der USA (GM und Chrysler) im Rahmen des US-Insolvenzrechts unter die staatlichen Fittiche schlupfen und die beiden französischen Hersteller PSA und Renault vermeldeten Defizite von 1,16 bzw. 1,5 Mrd. Euro. Bis 2015 hatten sich die Profite durchgängig bei allen Herstellern erholt und wurden erst wieder mit dem Wachstumsknick in China und dem VW-Skandal getrübt. Zuvor war Europa zur Achillesferse im weltweiten Absatz der Automobilindustrie nach der Krise von 2008 geworden, aber zuletzt hatten sich die Produktions- und Verkaufsziffern auch dort spürbar erhöht, jedoch im Unterschied zu den übrigen Kontinenten nie wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Wurden 2007 noch 16 Millionen Neufahrzeuge in Europa verkauft, waren es 2014 gerade mal 12,5 Millionen. Mit anderen Worten: Einem Anstieg des weltweiten Absatzes um 20 % zwischen 2007 und 2014 stand ein Rückgang der Verkaufsziffern um 20 % in Europa gegenüber.
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Während Produktion und Absatz der Automobile der Globalisierung unterliegen, dominieren noch immer dieselben US-amerikanischen, europäischen und japanischen Hersteller und streichen die weltweit entstehenden Gewinne ein. Innerhalb dieser weltweiten Umwälzungen vollziehen sich weitere Konzentrationsprozesse auf Kapitalseite. Seit 2008 ist China zum weltgrößten Produzenten aufgestiegen. Die dort gefertigten Autos werden vorwiegend im Inland verkauft, was China zum größten Absatzmarkt macht. Die durchgängige Erholung der Profite ist einerseits Folge der weltweit gestiegenen Absätze, und beruht andererseits auf den Umstrukturierungsmaßnahmen in den klassischen Herstellerländern. Die Vernichtung von Produktionskapazitäten in der Nachkrisenzeit durch Werksschließungen und Arbeitsplatzvernichtung erwies sich vom Standpunkt der Kapitalisten als durchaus rational, da anschließend ihre Profite wieder stiegen. Hier zeigt sich jedoch, dass Helmut Schmidts Theorem, wonach „die Profite von heute die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen“ seien, eine Mär ist, namentlich für die Autoindustrie. Deren gestiegene Profite fließen zunächst in den Dividendentopf der Aktionäre, dann in die neuen Absatzmärkte und zuletzt in die „eigenen“ Länder. Und wenn dort investiert wird, dann in Modernisierungen, in denen die menschliche Arbeitskraft durch immer weiter vernetzte Maschinen ersetzt wird. Da die vorhandene Arbeit nicht auf alle Hände verteilt wird, führen die geringen Investitionen in die europäische Autoindustrie nur zur Vernichtung von Arbeitsplätzen – so die heutige Realität in Westeuropa. … dank immer subtilerer Manöver
Die Phase, in der Werke umstandslos liquidiert wurden und jeder Hersteller in Europa mit Ausnahme von VW mindestens eine Fabrik mit mehreren Tausend Beschäftigten geschlossen hat, neigt sich inzwischen dem Ende zu – nicht aber die Unternehmerangriffe. Die noch vorhandenen Belegschaften in den Autofabriken, die noch immer zu den weltweit am stärksten geballten gehören, unterliegen immer neuen Zergliederungsprozessen. In ein und denselben Werken finden sich immer mehr Beschäftigte mit unterschiedlichem Status und Lohn. Vorreiter waren die USA. Nach Angaben der dortigen Automobilarbeitergewerkschaft UAW haben nur noch 10 % der Beschäftigten in den Big Three – GM, Ford und Chrysler – denselben Status und einen Durchschnittslohn
von 29 Dollar wie vor der Krise 2007. Die seither auf denselben Arbeitsplätzen neu eingestellten verdienen gerade noch zwischen 16 und 20 Dollar pro Stunde und machen inzwischen die Hälfte dieser Belegschaften aus. Die Zahl der nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten (weil in nicht tarifgebundenen Werken tätig) liegt mittlerweile bei 81 % der Gesamtheit aller Automobilarbeiter.2 Die „Normalität“ in den USA wird inzwischen dadurch bestimmt, dass die Zuliefererfirmen mit traditionell sehr geringem Organisationsgrad zahlenmäßig immer stärker ins Gewicht fallen und Standortverlagerungen der Fabriken vorgenommen werden, vornehmlich von Nissan, Mercedes und VW. Diese Konzerne lassen sich in den Bundesstaaten nieder, wo die gesetzlichen Regelungen am stärksten zuungunsten der Lohnabhängigen ausfallen und folglich die Löhne um die 15 Dollar liegen und damit nicht einmal halb so hoch wie in der historischen Automobilstadt Detroit. In 25 US-Bundesstaaten gilt das „Right-to-work law”, das die gewerkschaftliche Organisierung einschränkt, indem die automatische Mitgliedschaft bei Einstellung unterbunden wird und die Errichtung einer Gewerkschaft in einer Fabrik von der mehrheitlichen Zustimmung der Belegschaft abhängig gemacht wird. Eine solche Regelung öffnet natürlich der Unternehmerwillkür Tür und Tor, da sie entsprechenden Druck ausüben können. Und die Automobilkonzerne wie VW oder Nissan betätigen sich als die Vorreiter in dieser Abwärtsspirale, in der die Rechte und der Schutz der Belegschaften immer weiter ausgehöhlt werden. In Europa greifen die Konzerne mittlerweile auf dieselben Methoden zurück und zergliedern die Belegschaften oder umgehen die Gewerkschaften, sofern diese die „Umstrukturierungen“ nicht mittragen. Die Nutzung von Werkverträgen oder der Einsatz von Leiharbeitern (mit weniger Rechten und Lohn) ist zur Regel geworden und in Zeiten normaler Auftragslage stellen diese nicht selten das Gros an den Fließbändern. Der Unternehmerwillkür sind sie besonders ausgesetzt und, brechen die Aufträge ein, werden sie als Erste rausgeworfen. Obwohl sie als Fließbandarbeiter besonders davon betroffen sind, dürfen sie nicht an den „Belegschaftsentscheiden“ teilnehmen, auf die sich die Unternehmer neuerdings so gerne stützen. Durch diese Trickserei der Unternehmer werden die Abstimmungsergebnisse verfälscht, da leitende Angestellte und Techniker überproportional vertreten sind. Die Fiat-Werke in Mirafiori (Turin) waren die ersten, die diese Praxis in großem Maßstab angewandt haben. In dieser historischen Fiat-Hochburg ließ Fiat-Chef Marchionne im Dezember 2011 auf diesem Weg einen neuen Inprekorr 1/2016 35
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Arbeitsvertrag absegnen, der drastische Verschärfungen der Arbeitsbedingungen und den Ausschluss der FIOM aus dem Betriebsrat beinhaltete, weil sich der Metallerverband der Mehrheitsgewerkschaft CGIL dem Diktat widersetzte. Die knappe Zustimmung von 54 % zu den Vorstandsplänen kam nur dank der leitenden Angestellten und des Büropersonals zustande, während die Bandarbeiter mehrheitlich dagegen waren. Derselbe Schwindel wurde kürzlich im lothringischen Smart-Werk in Hambach/Mosel durchgeführt, wo auf Antrag der Unternehmensleitung die Mehrheit der Beschäftigten eine Verlängerung der Arbeitszeit mit unterproportionaler Anhebung der Löhne akzeptierte. Die in der Produktion Beschäftigten, für die dieser neue Vertrag verbindlich gilt, waren zu 61 % dagegen, während die mittleren und leitenden Angestellten, die individuell den ihnen vorgelegten Änderungsvertrag ablehnen können, zu 74 % dafür stimmten. Auch hier blieben die Leiharbeiter – obwohl genauso betroffen – bei der Abstimmung außen vor.3 Bei Renault stellen die Leiharbeiter inzwischen fast 40 % der insgesamt 20.000 in der Produktion Beschäftigten in Frankreich dar, in einzelnen Werken wie Flins und Sandouville sogar bis zu 80 %. Damit bilden sie ein permanentes Druckmittel in der Hand der Unternehmer, die Belegschaften zu spalten, sämtliche Gewerkschaften zu schwächen und sämtliche Tarifrechte und Unternehmensvereinbarungen, die für die unbefristet Beschäftigten gelten, zu umgehen. Damit soll der Personalabbau von einer Zersplitterung der aktiven Belegschaften flankiert werden, weil diese gerade in der Automobilindustrie in der Vergangenheit den Widerstand gegen die Unternehmerwillkür organisiert haben. Le Monde schrieb anlässlich des VW-Skandals auf der Titelseite über das Klima der Angst, das in dem Konzern herrscht – eine späte, aber wahre Erkenntnis. Denn immerhin gehen sämtliche Modernisierungen im Sinne der „Lean Production“ einher mit Unternehmerwillkür und systematischer Kontrolle aller Belegschaftsangehörigen, um so auch die kleinsten Arbeitsabläufe zeitlich zu erfassen und zu beschleunigen. Schon lange versteht sich VW darauf, die Gesetze und Auflagen zu umgehen, die den Unternehmerprofiten hinderlich sind. Dortiger Personalchef war einst Peter Hartz, Stichwortgeber von Kanzler Schröder in Sachen Sozialabbau und Namenspatron der berüchtigten HartzGesetze. Unter ihm entstand die Tochtergesellschaft „Auto 5000“, wo 5000 Arbeiter zu 5000 DM Bruttoentgelt – also 36 Inprekorr 1/2016
20 % unter Tarif – bei zugleich längerer Arbeitszeit eingestellt wurden. Rekrutiert wurden die Beschäftigten über Qualifizierungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit. Parallel dazu wurden Flexibilisierungsmaßnahmen im gesamten Konzern durchgeführt. Zwar galt weiterhin die 35-Stundenwoche im Jahresdurchschnitt, aber die Tagesarbeitszeit wurde den jeweiligen Betriebsabläufen angepasst. Neu Eingestellte können auf eine Wochenarbeitszeit bis zu 42 Stunden verpflichtet werden. Festgelegt wurde ein „Zeitkorridor“ von 26 bis 33 statt wie bisher 28,8 Wochenarbeitsstunden, und zwar ohne finanzielle Entschädigung für diese Flexibilisierung und auch ohne Zuschläge für die Stunden 35 bis 40. Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurden 20 000 Arbeitsplätze abgebaut, darunter 7 800 in Deutschland, und 13 000 Beschäftigte in Vorruhestand geschickt. So sieht die Wirklichkeit des vermeintlichen Sozialmodells VW aus. Daneben gibt es auch die Niederungen des Alltags, in denen sich der tugendhafte Konzern der Korruption bedient. So wurde Peter Hartz im Januar 2006 wegen Bestechung zu zwei Jahren auf Bewährung und 576 000 Euro Geldstrafe verurteilt. Er hatte gestanden, zwischen 1995 und 2005 Mitgliedern des Betriebsrats fast 2 Millionen Euro an Sonderprämien zugewendet zu haben, um „Parties, Prostituierte und Reisen für die Vertreter des Personals zu finanzieren“. Hartz hatte damals erklärt, den Sozialfrieden sichern zu wollen. So sieht die westeuropäische „Softversion“ von Korruption aus. Sehr viel heftiger steht es um die Repression in Brasilien, für die VW als Mittäter verantwortlich ist. Am 22. September 2015 haben mehrere Gewerkschafts- und Menschenrechtsorganisationen sowie Opferverbände Klage gegen den deutschen Automobilhersteller wegen dessen Verwicklung in die Repression während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 eingereicht. Der Vorwurf lautet, dass mehrere Werksangehörige in dieser blutigen Ära unter der Aufsicht und Beteiligung des Sicherheitspersonals im Werk verhaftet und verprügelt worden sind. Außerdem habe VW mutmaßliche Oppositionelle entlassen, schwarze Listen geführt und die Repressionsorgane der Diktatur mit Informationen über die Belegschaft versorgt. Die Klage stützt sich auf Archive und Zeugenaussagen von Opfern bei der Wahrheitskommission, die 2012 zur Untersuchung der während der Diktatur begangenen Verbrechen eingerichtet worden ist. Mag VW momentan im Rampenlicht stehen, so ist es beispielsweise um Renault-Nissan unter dem Vorstandsvorsitzenden Ghosn nicht viel besser bestellt, wie die
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Aussagen von Beschäftigten im Nissan-Zweigwerk von Canton in Mississipi belegen. Die dort Beschäftigten, die zu 87 % Schwarze sind, arbeiten unter denselben Bedingungen, wie sie in Indien oder Bangladesch angeprangert werden. „Wir arbeiten an sechs, manche gar an sieben Tagen die Woche über zehn, zwölf Stunden. Die dort herrschenden prekären Bedingungen haben zu zahlreichen Arbeitsunfällen geführt.“ Die Werksleitung nutzt die ganzen einschlägigen Gesetze des Bundesstaates aus, um die Bildung einer Gewerkschaft zu verhindern und die Beschäftigten einzuschüchtern.4 Oberwasser für die Zulieferindustrie
Die Zeiten sind vorbei, in denen in der Automobilindustrie alle Arbeitsgänge von der Verarbeitung der Bleche über die Motorenfertigung bis hin zur Innenausstattung an Ort und Stelle geleistet wurden. Immer mehr geht die Produktion in die Hände der Zulieferindustrie über, deren Anteil an der Wertschöpfung zwischen 2000 und 2015 von 70 auf 80 % hochgegangen ist. Der größte Batzen dabei kommt der Elektronik zu, deren Anteil von gegenwärtig 30 % bis 2020 auf 50 % steigen dürfte. Damit ist eine gewaltige weltweite Umstrukturierung im Gange. Continental ist der weltweite zweitgrößte Zulieferkonzern, während Bosch, der die Software für die VW-Trickserei geliefert hat, seinen Umsatz zwischen 2007 und 2014 von 28 auf 40 Mrd. Euro gesteigert hat. Die drei größten französischen Zulieferer – Valeo, Faurecia und Plastic Omnium – agieren in derselben Liga und erzielen Renditen, die in Europa höher als bei PSA und Renault liegen. Valeo bspw. konnte seine Gewinnmargen zwischen 2007 und 2013 von 3,6 auf 6,6 % steigern. Dasselbe gilt auch für die anderen weltweit tätigen, großen Zulieferer. In dieser Schlacht um die gewinnträchtigsten Anteile bei der Autoherstellung stehen die traditionellen Autokonzerne inzwischen neuen Konkurrenten gegenüber, was zeigt, dass sich die Kräfteverhältnisse zwischen Fahrzeugkonzernen und Zulieferindustrie verschieben. Dabei schneiden die Automobilkonzerne zunehmend schlechter ab, was angesichts der über hundertjährigen Tradition erstaunen mag. Ein Jahr vor dem VW-Skandal musste GM weltweit 30 Millionen Fahrzeuge zurückrufen. Davor hatte es Toyota, Chrysler und Nissan getroffen. Durch den zunehmenden Einsatz von Auto-Elektronik und immer komplexerer Software steigt das Pannen-Risiko. Dieses Kräftemessen zwischen den Konzernen wirkt sich auch auf die Organisation der Belegschaften aus. Die ohnehin schon starke Konkurrenz zwischen den Beschäftig-
ten nimmt zu, da die Fertigungsprozesse auf immer mehr Unternehmen und Fabriken mit jeweiligen Besonderheiten und unterschiedlicher Größe verteilt werden und so auch die Beschäftigten immer kleinere Einheiten bilden. Besonders ausgeprägt zeigt sich dies in Frankreich und Italien, wo die traditionelle Autoindustrie und gerade Renault und Fiat ihre Fertigung besonders stark zurückgefahren haben. Verschärfte Krise
Die wieder zunehmenden Profite bedeuten nicht, dass die Automobilindustrie wieder in eine stabile Expansionsphase eingetreten ist. Die Autokonzerne stehen weiterhin vor strukturellen Problemen und die jüngsten Skandale zeigen, wie sehr in diesen unsicheren Zeiten um Marktanteile und Rentabilitätssteigerung gerungen wird. Auch von anderer Seite weht ihnen der Wind entgegen: Die vom Individualverkehr verursachten Umweltschäden rufen wachsenden Widerstand in der Gesellschaft hervor, der technologische Wandel lässt andere Branchen ihnen die Butter vom Brot nehmen und zuletzt sind auch noch die Arbeiter – hier und da auf der Welt – aufmüpfig. Die weltweite Automobilerzeugung nimmt weiterhin zu und v.a. setzt sich die weltweite Motorisierung durch mit inzwischen fast einer Milliarde motorisierter Fahrzeuge. Trotzdem können die Absatzsteigerungen in China und den anderen Schwellenländern nicht auf Dauer die Sättigung der Märkte in Nordamerika, Westeuropa und Japan kompensieren. Die kapitalistische Weltwirtschaft hat sich von der systemischen Krise von 2008 (noch) nicht erholt und die Schwellenländer befinden sich (noch) nicht wieder in einer Aufschwungphase, die dauerhafte Absätze für die Autoindustrie gewährleisten könnte. Unter den BRICS-Staaten ist seit 2014 und beschleunigt im ersten Halbjahr 2015 die Autoproduktion in Russland um 27 % und in Brasilien um 18 % zurückgegangen. Auch China hat erstmals im dritten Quartal 2015 rückläufige Produktionsziffern zu verzeichnen, was zwar vermutlich eher eine vorübergehende Erscheinung ist, aber dennoch zeigt, dass die Autoindustrie auch denselben Widersprüchen mit konjunkturellen Schwankungen und einer Tendenz zur Überproduktion unterliegt. Die Auslastung der chinesischen Autofabriken lag in der Tat 2014 nur bei 85,6 % gegenüber 91,5 % in 2013. Und für 2017 sind gar nur 72 % vorhergesagt, was der gegenwärtigen Auslastungsquote in Europa entspricht.5 Der Absatz von Autos in den Schwellenländern stößt auf ein zweifaches Hindernis: der wachsenden Ungleichheit in der Bevölkerung und den zunehmenden Problemen aufgrund der Tendenz zur durchgängigen Motorisierung. Inprekorr 1/2016 37
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China bspw. liegt mit 55 Millionen jährlich verkauften Neufahrzeugen doppelt so hoch wie ganz Europa und ist insofern für die dort stark vertretenen westlichen Produzenten ein ganz wesentlicher Absatzmarkt. Trotzdem kann sich dort nur die Minderheit der Reichen ein Auto leisten, so dass mit 109 Fahrzeugen pro 1000 Einwohner und prognostizierten 160 für das Jahr 2020 die Quote weit unterhalb von Europa (500) oder Nordamerika (600) liegt. Ein mit den Industrieländern vergleichbarer Motorisierungsgrad wäre schlichtweg unerträglich, sowohl was das Weltklima angeht als auch für die Gesundheit der dortigen Bevölkerung, die mehrheitlich sich zwar kein Auto leisten kann, aber dennoch der massiven Luftverschmutzung ausgesetzt ist. Nach Angaben von The Lancet sind 1,2 Millionen Menschen in China 2010 an den Folgen der Luftverschmutzung verstorben, was fast 40 % der weltweit aus diesem Grund vorzeitig Verstorbenen entspricht. Deshalb wird der Autoerwerb in sechs der 15 größten Städte Chinas inzwischen behördlich quotiert (Shanghai, Peking, Kanton, Hangzhou, Tianjin, Shenzhen). Die Zulassungsschilder in diesen Städten werden zu einem Preis versteigert, der schlussendlich der Kaufsumme eines Neuwagens entspricht – ungefähr 12 000 Dollar in Shanghai. Trotzdem nimmt die Luftverschmutzung weiter zu. Ein PSA-Manager fasst dies in folgende Worte: „Wir haben noch drei, vier fette Jahre vor uns.“6 Das wiederum macht verständlich, warum sich alle Autohersteller momentan so um den dortigen Markt reißen. Daneben gilt, dass der Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit in allen Ländern die gleichen Widersprüche hervorbringt, ob in China oder in den USA. Nach den Streiks von 2010 in der chinesischen Automobilindustrie sind soziale Bewegungen entstanden, die zwar weniger spektakulär verlaufen, nichtsdestotrotz den Behörden Lohnzugeständnisse abringen können. Seit 2010 sind die Industrielöhne in China um jährlich etwa 20 % gewachsen. Insofern verringert sich das Lohngefälle zwischen China und den USA und liegt heute bei ca. 30 %.7 Hauptnutznießer der darauf folgenden Jagd nach Ländern mit billigeren Löhnen sind momentan Indonesien und Indien. Auch in den traditionellen Industrieländern stoßen die Unternehmerangriffe auf neuen Widerstand. In den USA, der Heimat des Fordismus, haben die drei großen Autokonzerne im Herbst 2015 Tarifverhandlungen mit der UAW als der einzigen landesweit zugelassenen Gewerkschaft geführt. Die erste Runde fand bei Chrysler statt, der heutigen FCA (Fiat Chrysler Automobile) unter Kontrolle von Fiat und seinem Boss Marchionne. Der erste Entwurf 38 Inprekorr 1/2016
wurde mehrheitlich von den insgesamt 40 000 Gesamtbeschäftigten in der Urabstimmung abgelehnt, indem 65 % der Organisierten gegen die Empfehlung der UAW mit Nein gestimmt haben. Im größten Werk in Toledo/Ohio stimmten sogar 87 % unter den 5 000 abstimmenden ArbeiterInnen dagegen. Der Hauptgrund für die Ablehnung war, dass entgegen den Versprechungen der UAW das Zweistufensystem der Löhne (unterschieden nach Eintrittsdatum) in unveränderter Form beibehalten werden sollte. Die zweite Vertragsversion wurde dann mit 77 % der Stimmen – also noch immer gegen eine beträchtliche Minderheit – angenommen, hauptsächlich weil darin eine Angleichung der Löhne nach achtjähriger Betriebszugehörigkeit in Aussicht gestellt wurde. Auch in Europa stößt die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit auf Widerstand, obwohl die anhaltende Arbeitslosigkeit als Druckmittel gegen die Beschäftigten eingesetzt wird. Insbesondere wird als unerträglich empfunden, dass die Löhne weit hinter den mittlerweile wieder anziehenden Profiten zurückbleiben. Dabei stehen die Belegschaften vor dem Problem, angesichts der zunehmenden Zersplitterung durch den Einsatz von Werkverträgen und Leiharbeit ein gemeinsames Vorgehen der Beschäftigten zu bewerkstelligen. Keinesfalls darf in der Autoindustrie mit einer Friedhofsruhe gerechnet werden. Im Zuge der Globalisierung verstetigt sich die Strategie der Autokonzerne, auf allen Kontinenten ihre Fahrzeuge produzieren zu lassen und zu verkaufen. Durch den stagnierenden Markt in den klassischen Absatzländern wird dort der Kampf um Marktanteile umso erbitterter geführt. Folglich musste der VW-Konzern – dessen relativ schwache Position auf dem US-Markt dem Bestreben, Weltmarktführer zu werden, entgegenstand – zu solchen Methoden greifen, wie sie im September aufgedeckt wurden. Hierin sind die Methoden des Kapitalismus nicht anders als im Leistungssport, wo Doping als Hilfsmittel eingesetzt wird. Auto und Klima
Der Beitrag motorisierter Fahrzeuge zu Umweltverschmutzung und Klimawandel ist bereits heute erheblich und wird – angesichts ständig steigender Absatzzahlen – noch weiter zunehmen. Dabei zeigen die jetzt aufgedeckten Betrugsmanöver, dass die von der Automobilindustrie behaupteten Fortschritte in Benzinverbrauch und Schadstoffausstoß sehr viel geringer sind als angekündigt. Tatsächlich steigt der Anteil des Transportwesens an den CO2-Emissionen ständig weiter, wie die in Europa verfügbaren Zahlen zeigen. Der Anteil des Individualverkehrs hieran beträgt
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ungefähr die Hälfte des Gesamtausstoßes des Transportsektors und beläuft sich auf 12 % der Gesamtemissionen an CO2 in der EU. In Frankreich lag 2011 der Anteil des Transportsektors am gesamten Endenergieverbrauch bei 32 % und an den Treibhausgasemissionen bei 27 % und damit an erster Stelle. Hauptverantwortlich dafür ist der Transport auf der Straße, der in besagtem Zeitraum bei fast 94 % der insgesamt 132,5 Millionen Tonnen emittierten CO2-Äquivalenten lag. Der Anteil der Inlandflüge zum Vergleich lag in diesem Zeitraum bei knapp über 3 %. In Europa sind die Normen zur Festlegung der Grenzwerte für die Schadstoffemissionen motorisierter Fahrzeuge vor über 20 Jahren (1993) festgelegt worden. Seither werden sie zwar periodisch überarbeitet, aber natürlich nicht entlang gesundheitswissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern abhängig von den Möglichkeiten der Autokonzerne, diese Normen in die Fahrzeugproduktion nach und nach zu integrieren. Inzwischen sind wir bei der sechsten Version dieser Abgasnorm angelangt, die den Ausstoß von Stickoxiden, Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffe und Feinstäuben regelt. Der CO2-Ausstoß hingegen, der als Treibhausgas für die Klimaerwärmung quantitativ verantwortlich ist, gilt den Verfassern nicht als gesundheitsschädigend und unterliegt daher einer anderen europäischen Regelung. Die Wirkung der Dieselmotoren ist gesondert zu betrachten, weil diese für den Ausstoß von Feinstäuben verantwortlich sind, von denen einige von der WHO seit Juli 2012 als krebserregend eingestuft werden. Seit dem 1. Januar 2011 sind hier Feinstaubfilter für Neufahrzeuge verbindlich vorgeschrieben, wobei allerdings die kleinsten, die sog. Nanopartikel von den meisten dieser Filter nicht zurückgehalten werden. Fakt ist, dass die Hersteller trotz gegenteiliger Behauptungen diese Problematik nicht im Griff haben. Ende der 90er Jahre führte die Verordnung neuer Normen für Dieselfahrzeuge dazu, dass der Ausstoß an Stickoxiden massiv und unerwartet zugenommen hat. Allein in Frankreich stieg der Ausstoß zwischen 1990 und 2012 von 30 000 Tonnen auf über 80 000 Tonnen, mit den entsprechenden Auswirkungen auf den Treibhauseffekt und die Atemwege. Inzwischen behaupten die Hersteller, Abhilfe in Form des SCR-Katalysators geschaffen zu haben, der dem Abgas eine wässrige Harnstofflösung beimischt und am Ende aus Stickoxiden Wasser (H2O) und Stickstoff (N2) entstehen lässt. Diese bereits bei bestimmten Schwerlastfahrzeugen angewandte Technologie kostet den Verbraucher zwischen 600 und 1000 Euro. Damit schwinden jedoch die Kosten-
vorteile des Diesels gegenüber dem Benzin, was die Zukunft der Dieselfahrzeuge – sehr zum Missfallen besonders der französischen Autokonzerne – infrage stellt. Trotzdem halten PSA und Renault stur an der Dieselfahrzeugproduktion fest, weil sie diese besser als die Benziner finden. In ihrer Dickköpfigkeit sind sie genauso wie der führende AKW-Hersteller Areva, der auch nach Fukushima am Bau von AKW festgehalten hat, was mittlerweile konzernweit zum Abbau von Zehntausenden von Arbeitsplätzen geführt hat. Die jüngsten Normen gelten natürlich nur für Neufahrzeuge. Alle anderen sind nach wie vor im Verkehr und verpesten die Luft wie eh und je. In Frankreich bspw. beläuft sich die Zahl der Dieselfahrzeuge, die vor 2000 zugelassen wurden und nicht mit einem Russfilter ausgestattet sind, auf 1,6 Millionen. Die Emissionen von CO2, Stickoxid und Feinstaub führen alle und in unterschiedlicher Weise zur Belastung der Umwelt und der Gesundheit, unabhängig davon, ob sie von Dieselfahrzeugen oder Benzinern stammen. Im September 2015 wurde bekannt, dass VW seit mehreren Jahren eine manipulierte Software in seinen Autos installiert hat, die die offiziellen Abgastests der US-Behörden austricksen sollte. Alsbald stellte sich heraus, dass dieselbe Manipulation auch in Europa vorgenommen worden ist. Von diesem weltweiten Skandal sind elf Millionen Fahrzeuge betroffen und das erwartete Strafmaß beläuft sich auf 18 Milliarden Dollar. Damit veranschaulicht der Fall aufs Trefflichste die Praktiken der Automobilindustrie bzw. einer ihrer weltweit größten Konzerne, wie Daniel Tanuro aufzeigt.8 Dass die Autos in Europa und den USA nicht die offiziellen Abgasnormen einhalten, war ein offenes Geheimnis. Bereits vor einem Jahr veröffentlichte die Nichtregierungsorganisation (NGO) Transport & Environment (T&E) einen Bericht: „Das Testsystem zur Erfassung des Kraftstoffverbrauchs und der CO2-Emissionen ist nicht mehr geeignet. Der Abstand zwischen den Testergebnissen und der Realität ist bei den PKW zwischen 2001 und 2013 von 8 auf 31 % gestiegen.“9 [Für 2014 wird sogar ein Wert von 40 % angegeben, AdÜ.] Diese am 5. November 2014 veröffentlichte Meldung verhallte ungehört bei den zuständigen Stellen. Es bedurfte einer Überführung des VW-Konzerns in flagranti, um diesen Betrugsskandal auffliegen zu lassen. Eine Softwaremanipulation wiegt also schwerer als die Verpestung der Umwelt! Mit dem Skandal kommen jetzt auch die weiteren Informationen ans Licht, so z. B., dass nur eines von zehn Inprekorr 1/2016 39
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Fahrzeugen die Abgasnormen einhält. „Es ist hochwahrscheinlich, dass auch andere Hersteller Software verwenden, die die Tests auf dem Prüfstand austricksen, insbesondere bei Dieselfahrzeugen“, erklärte eine Expertin von T&E, dem eigentlichen Paten der Enthüllung dieser Tatsachen. Beteiligt ist die gesamte europäische Automobilindustrie. Wenn Mélenchon von der französischen Linkspartei PdG das „Ende der Straflosigkeit für made in Germany“ einfordert, ignoriert er die engen Verbindungen zwischen den Autokonzernen, die sehr wohl untereinander über die Praktiken und die Bestandteile der Autos Bescheid wissen. Das Auto verpestet die Umwelt, ganz gleich, wo es hergestellt wird. Schon vor der Aufdeckung des VW-Skandals waren die europäischen Autokonzerne gegen die als zu streng erachteten Normen Sturm gelaufen. Ihre Lobby, der europäische Automobilherstellerverband ACEA, schellte im Juli 2015 die Alarmglocken: „Noch 2007 war die europäische Automobilindustrie mit 15 Milliarden Euro Gewinn die weltweit profitabelste. Inzwischen aber sind aufgrund der immer schärferen Normen die Gewinne geschmolzen, sodass 2012 sogar ein Verlust in Höhe von einer Mrd. Euro angefallen ist. […] Wir brauchen eine bessere Lastenverteilung zwischen allen Industriebranchen.“10 Prompt wurden auch – entgegen den vor ein paar Jahren getroffenen Beschlüssen – die Schadstoffnormen durch die EU [auf Druck von Kanzlerin Merkel] de facto wieder revidiert. Die Obergrenze liegt bei 80 mg Stickoxid pro Kilometer, aber bis 2020 dürfen diese Werte um das 2,1-fache überschritten werden und anschließend noch um über 50 %, wohlgemerkt auf dem Prüfstand „unter realistischen Bedingungen“. Kurzum dürfen die Konzerne fröhlich weiter die Umwelt verpesten und genießen dabei noch den Segen aller europäischen Regierungen. Lässt man sie frei gewähren, dann werden die Autokonzerne weiterhin die Umwelt verpesten. Allerdings kommen sie nicht umhin, auf eine mögliche Verknappung der Ölreserven und wachsende Proteste gegen die Umweltschäden durch den Autoverkehr zu reagieren und alternative Antriebsmöglichkeiten zu Benzin- und Dieselmotoren zu entwickeln. Der Absatz der Elektroautos entwickelt sich im Schneckentempo, zudem stammt der Strom vorwiegend aus Kohlekraftwerken, sodass das Elektroauto genauso viel Energie verbraucht wie ein Verbrennungsmotor.11 Die Brennstoffzellen-Fahrzeuge, wo die Antriebsenergie über eine chemische Reaktion von Sauerstoff und Wasserstoff erzeugt wird, stehen kurz vor der Serienreife, was aufgrund der geringen Verkaufszahlen der Elektrofahrzeuge und deren geringer Reichweite (ca. 100 km) auch vergleichsweise 40 Inprekorr 1/2016
plausibler erscheint. Toyota und Daimler-Benz entwickeln auch vorrangig in diese Richtung. Wie dem auch sei: Selbst wenn dadurch die Abgasemissionen während des Betriebs großenteils vermieden werden, so verbrauchen diese Fahrzeuge dennoch im Vorfeld Energie und knappe Ressourcen. Und nichts kann darüber hinweg täuschen, dass es Verschwendung ist und bleibt, wenn eine oder zwei Personen ein Schlachtross von mehr als einer Tonne Gewicht für ein paar Kilometer in Bewegung setzen. Vor welcher Zukunft steht die Autoindustrie?
Die kapitalistischen Konzerne müssen ihre produzierten Fahrzeuge absetzen und zwar zu einem Preis, der den erwarteten Profit abwirft. Angesichts stagnierender Massenkaufkraft ist dies eine komplizierte Herausforderung. Man könnte meinen, dass daher die Automobilindustrie, die ja für langlebige Gebrauchsgüter schlechthin steht, sich dieser Situation anzupassen versucht, indem sie billigere Autos herstellt und verkauft. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Autos werden immer teurer und zielen auf den wohlhabenden Teil der Gesellschaft, der durch die zunehmende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen prosperiert. Die Losung also lautet: teurere Autos für die Reichsten! Seit 30 Jahren schwanken in Frankreich die Absatzzahlen zwischen 1,8 und 2,2 Millionen Fahrzeuge pro Jahr, während die Bevölkerung im gleichen Zeitraum um 13 Millionen gewachsen ist. Die Hälfte der verkauften Neuwagen sind Firmenfahrzeuge oder Mietwagen.12 In Frankreich ist die Anschaffung eines Neuwagens inzwischen ein Luxus, der weniger als einem Viertel der Bevölkerung vorbehalten ist und durchschnittlich 22 100 Euro (nach Abzug der Rabatte) verschlingt. Damit sind die Preise seit 2007 um über 20 % gestiegen gegenüber 10 % bei den sonstigen Verbrauchsgütern. Und auch das Alter der Klientel in Frankreich hat zugenommen: zwischen 1991 und 2014 von 43 auf 55 Jahre. Um auf dem kapitalistischen Markt verkauft werden zu können, müssen die Waren für die Käufer einen Gebrauchswert haben. Aber in den meisten europäischen Ländern interessiert sich die Autoindustrie hauptsächlich nur für den Gebrauchswert, den die Reichen ihren Autos zumessen. Dass die Industrie an diesem Weg festhält, liegt daran, dass sie ihren Profit zunehmend im Luxussegment erwirtschaften. Als Beispiel hierfür dient der VW-Konzern, der mit seinen verschiedenen Marken die gesamte Bandbreite des Automarktes abdeckt. Die VAG-Gruppe hat 2014 mit 10,2 Millionen weltweit verkauften Autos einen Umsatz von 200 Milliarden Euro und einen Gewinn von 15 Milli-
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arden Euro erzielt. Davon entfielen auf die Marke VW 4,6 Millionen Fahrzeuge mit einem Umsatz von 100 Mrd. Euro und einem Gewinn von 2,5 Milliarden. Von der Marke Porsche wurden 187 000 Fahrzeuge verkauft und der Umsatz lag bei 17 Mrd. Euro und der Gewinn bei 2,72 Milliarden. Damit hat Porsche mit weniger als 2 % der konzernweit verkauften Fahrzeuge und einem Durchschnittspreis von 92 000 Euro 21 % des Gesamtgewinns beigesteuert. Die auffälligsten und verbrauchsintensivsten Luxusschlitten sind somit zu einer der wichtigsten Profitquellen von VW geworden. Alle anderen Hersteller liebäugeln mit diesem Vorbild, auch wenn sie vom sozialen Nutzen ihrer eigenen Modelle faseln. Denn sie wissen sehr wohl, wie man sich die wachsende Ungleichheit in den kapitalistischen Ländern zunutze macht. Die Autoindustrie hat in einigen europäischen Ländern einen heftigen Umstrukturierungsprozess hinter sich. In zehn Jahren sind die Produktionsziffern in Frankreich um über 45 %, in Belgien um 50 % und in Italien gar um 60 % zurückgegangen. Zahlreiche Werke wurden stillgelegt und landeten auf dem Markt der Immobilienspekulation, statt für andere Fertigungszwecke umgerüstet zu werden. In der gleichen Zeit hat der Autoverkehr immer mehr zugenommen. Damit sind diejenigen, die ihre Stelle dort verloren haben, doppelt gestraft, weil sie mangels geeigneter öffentlicher Verkehrsmittel weiterhin Auto fahren müssen. Die paar wenigen Beispiele für eine Produktkonversion im Transportsektor auf Betreiben der Unternehmer sind gescheitert und dadurch weitere Arbeitsplätze verlorengegangen. Der Autozulieferer Bosch bspw. wollte 2010 eigentlich sein Werk in Vénissieux bei Lyon schließen, da das Geschäft mit den Einspritzpumpen für Dieselfahrzeuge nicht mehr lief. Bosch stellte auf die Produktion von Solarzellen um und behielt 150 von 500 Beschäftigten. Nach bloß vier Jahren verkaufte Bosch das Werk an ein bretonisches Unternehmen, das mittlerweile allerdings vom Konkurs bedroht ist. Ebenso Schiff bruch erlitt der Autohersteller Heuliez in Westfrankreich, den die spätere Umweltministerin Ségolène Royal vor der Insolvenz bewahren wollte, indem sie auf die Produktion von Elektroautos umstellte. Diese Beispiele zeigen, dass Konversion mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen nicht mit einer kapitalistischen Wirtschaft vereinbar sind, bei der es nur um Profite und Aktionärsdividenden geht. Angebot und Nachfrage
Obwohl der Absatz von Neufahrzeugen in Europa tendenziell nicht mehr zunimmt und die Produktion in Frank-
reich, Italien und Belgien rückläufig ist, nimmt der Autoverkehr weiter zu. Zwischen 2005 und 2013 ist die Zahl der zugelassenen PKW in der EU von 230 auf 250 Millionen gestiegen. Diese Diskrepanz liegt an der längeren Lebensdauer der Fahrzeuge, da seit etwa 20 Jahren und besonders seit Beginn der Krise 2008 die Verbraucher ihr Auto immer länger nutzen. Gab es in Frankreich 1985 kaum Autos, die älter als 15 Jahre waren, so ist die Zahl bis 1994 auf 1,6, 2008 auf 4,6 und 2011 auf 7 Millionen gestiegen. Europaweit ist das Durchschnittsalter der Fahrzeuge zwischen 2006 und 2014 von 8,4 auf 9,7 Jahre gestiegen. Die Mehrheit der Bevölkerung benutzt gezwungenermaßen ein Auto, da Arbeitsstätten und Wohnorte immer weiter auseinanderliegen und öffentliche Verkehrsmittel nicht ausreichend vorhanden sind. Dies gilt sowohl für den Verkehr aus abgelegenen Vororten in die Städte als auch für das flache Land, wohin immer mehr Menschen ziehen, die dann täglich Dutzende von Kilometern zu ihren Arbeitsstätten zurücklegen müssen. Die Wege werden immer weiter und zu 75 % per Auto zurückgelegt, während der Anteil der öffentlichen Verkehrsmittel immer weiter sinkt, in Frankreich bspw. zwischen 1998 und 2010 von 15 % auf 11 %.13 Ursächlich sind der Verfall der öffentlichen Verkehrsmittel und die Verknappung bezahlbarer Wohnräume unter dem Primat der Profite. Man kann also festhalten, dass Neufahrzeuge zunehmend nur für die Reichen hergestellt werden, während das Gros der Bevölkerung immer ältere Autos fährt. Zugleich versucht die Autoindustrie, über ihre Werbung und die Einflussnahme auf die Regierungen zu vermitteln, dass es ihr nur darum geht, Autos für den täglichen Gebrauch zu produzieren. Diese Behauptung wird zunehmend unglaubhaft, zugleich aber stimmen die Gewerkschaften den Unternehmenswünschen zu. Auf der anderen Seite gerät der Autoverkehr zunehmend in die Kritik. Immer lauter werden die Forderungen, den innerstädtischen Verkehr zu beschränken, und dies stößt auch auf zunehmende Akzeptanz bei den Autofahrern selbst. In Städten wie Paris oder London gibt es bereits Verkehrsbeschränkungen in bestimmten Stadtteilen und in Oslo soll bis 2019 die gesamte Innenstadt autofreie Zone werden. Um dies umzusetzen, sollen dort die Bus- und Straßenbahnnetze ausgebaut und 60 km neue Radwege geschaffen werden und besondere Lösungen für Behinderte und den Frachtverkehr gefunden werden, kurzum: Die Beschränkung des motorisierten Individualverkehrs soll einhergehen mit dem gezielten Ausbau des ÖPNV. Es gibt also – lokale – Beispiele, wie das Transportwesen Inprekorr 1/2016 41
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ohne die Dominanz des Autos beschaffen sein müsste. Grundsätzlich aber gilt, dass eine Umstellung auf ein menschengerechtes Beförderungssystem und weg von der Autogesellschaft nur möglich ist, wenn das Privateigentum an den Produktionsmitteln infrage gestellt wird. Nur so kann ein Transportwesen entstehen, das einerseits den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht und andererseits den in der Autoindustrie Beschäftigten gerecht wird und ihr Know-how nutzt. Da es immer stärkere finanzielle und technologische Verflechtungen zwischen den weltweit agierenden Autokonzernen gibt, kann die Enteignung einzelner Unternehmen nur die Vorstufe zu einer Umstellung auf eine gesellschaftlich nützliche Produktion sein. Alles Weitere muss erst noch „erfunden“ werden: die Einbeziehung der Beschäftigten, die Aufhebung des weltweiten Konkurrenzdenkens und die Entwicklung und Erzeugung energiesparender Transportmittel. Der Volvo-Beschäftigte Lars Henriksson drückt es so aus: „Die Autoindustrie ist kein Kohlebergwerk, sondern ein flexibler Produktionsmechanismus, der gesellschaftlich genutzt werden könnte, um nahezu jede beliebige technische Ausrüstung in großem Umfang herzustellen. Gebt uns die Pläne für sozial nützliche Dinge und wir werden es machen!“14 Die Kapitalisten zerstören Fabriken, Maschinen und Menschen, sobald sie ihnen keinen Profit mehr bringen. Die Industriebrachen in Detroit, Turin, Billancourt oder Aulnay zeugen davon, wie Maschinenparks und Belegschaften zerschlagen werden. Dabei geht es doch darum, die Erfahrung und das Know-how von Millionen von ArbeiterInnen dieser Branche für das gesellschaftliche Gemeinwohl zu nutzen. Es ist an der Zeit, den Widerstand in der Autoindustrie zu entfachen: gegen Arbeitsplatzabbau, gegen stagnierende Löhne bei gleichzeitig steigenden Profiten und Dividenden und gegen eine Umstrukturierung und Flexibilisierung der Arbeit, die die Beschäftigten mehr denn je den Vorgesetzten und Maschinen unterordnet und jeden Handgriff zeitlich erfassen. Die Drohung mit der Arbeitslosigkeit wird von den Unternehmern als Rechtfertigung der Autogesellschaft genutzt und findet dabei den Zuspruch der Gewerkschaften. Unser Widerstand gegen die Pläne der Kapitalisten kann aber nicht darauf gründen, der Autoindustrie ihren verlorenen Platz wieder zu erobern. Als Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung dürfen wir es auch nicht allein den Naturschützern überlassen, die Umweltschäden durch die Praktiken der Autohersteller anzuprangern. Schadstoffzerti42 Inprekorr 1/2016
fikate, um sich freizukaufen, und Ausbeutung der Beschäftigten zur Bereicherung sind zwei Seiten derselben Medaille, daher darf die Arbeiterbewegung auf beiden Seiten nicht abseitsstehen. Die Autogesellschaft muss zum Wohl der Bevölkerung und der Wahrung des ökologischen Gleichgewichts infrage gestellt werden. Dies lässt sich aber nur bewerkstelligen, wenn die gesamte Gesellschaft geändert und von den Erfordernissen der kapitalistischen Profitgier befreit wird. Jean-Claude Vessillier, ehemaliger Statistiker und Gewerkschafter bei Renault, ist Mitglied des französischen Nouveau parti anticapitaliste (NPA) und der IV. Internationale und arbeitet an der dortigen Website über das Automobilwesen mit: www.npa-auto-critique.org/ Übersetzung: MiWe �
1 „Lean Production“ ist ein von Toyota in den 70er Jahren eingeführtes Produktionssystem, das auf dem „Just-in-timePrinzip“ und der permanenten Jagd nach unnützen Ausgaben und Prozessen beruht. Die technischen Abläufe und die Arbeitsorganisation werden dadurch ständig umgestellt. Das zugrundeliegende Prinzip lautet: immer mehr mit immer weniger Mitteln. 2 Informationen aus Labour Notes. 3 Interview mit Aktiven von Smart-Hambach in L’Anticapitaliste Oktober 2015. 4 Auto actu.com November 2015. 5 Les Échos 11. Mai 2015. 6 Le Monde 19. April 2015. 7 La Tribune, 3. Juli 2015. 8 Europe Solidaires Sans Frontières, 28. September 2015, http:// www.europe-solidaire.org/spip.php?article35957 9 http://www.transportenvironment.org/sites/te/files/annualreport2014/index.html 10 Erklärung des Verbandspräsidenten der ACEA vom Juli 2015. siehe auch: www.acea.be 11 http://www.npa-auto-critique.org/article-le-vehiculeelectrique-entre-paillettes-et-realite-46236737.html 12 Les Échos 12. November 2015 13 Studie des Arbeitsministeriums DARES von November 2015 14 Lars Henriksson, http://www.npa-auto-critique. org/2015/03/reconversion-de-l-industrie-automobile-emplois-climat-et-ecologie.html
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Ende einer Ära in Südamerika? Die Volksbewegungen, die Krise der „progressistischen“ Regierungskonzepte und die ökosozialistische Alternative Frank Gaudichaud
Mehr als 40 Jahre ist der Putsch her, der den chilenischen Weg zum Sozialismus hinwegfegte, und mehr als dreißig Jahre die Gründung der größten sozialen Bewegung des Kontinentes, des MST (movimiento de trabajadores rurales sin tierra – Bewegung der landlosen Landarbeiter); zwanzig Jahre ist es her, dass der Aufschrei der Zapatisten „es ist genug“ gegen den Neoliberalismus und das nordamerikanische Freihandelsabkommen erschallte und mehr als fünfzehn Jahre vergingen seit dem Wahlsieg von Hugo Chávez in Venezuela (und mehr als zwei Jahre seit seinem Tod). Jetzt scheinen die indigenen, schwarzafrikanischen und weißen Völker Lateinamerikas und ihre Versuche, einen Weg der Emanzipation zu finden, an einem neuen Wendepunkt angekommen zu sein. Eine politische, soziale und ökonomische Ära mittlerer Dauer scheint allmählich auszulaufen, wenn auch nicht überall in gleicher Weise und schon gar nicht linear. Mit ihren realen Fortschritten, ihren Schwierigkeiten und ihrer bedeutsamen Begrenztheit und den Erfahrungen der verschiedenen und sehr unterschiedlichen „progressistischen“ Regierungen der Region, seien es in erster Linie Prozesse von Kräften von Mitte-Links, des Sozial-Liberalismus oder – im Gegensatz dazu – einer radikaleren nationalpopulistischen Richtung, die sich als antiimperialistisch bezeichnet oder in den konservativen
Medien als „populistisch“ abqualifiziert wird, seien es nun bolivarianische, ando-amazonische, „Volks“revolutionen oder einfach institutionelle Wendungen zum Progressismus hin, scheinen diese politischen Prozesse auf große interne Probleme zu stoßen, ebenso wie auf starke (nationale wie auch internationale) konservative Gegenkräfte, nicht zu reden von zahlreichen Unklarheiten und ungelösten strategischen Dilemmata. Spannungen und Grenzen des lateinamerikanischen Progressismus
Es gibt keinen Zweifel, dass in den Ländern, in denen verschiedene beeindruckende Wahlsiege der Linken oder der Antineoliberalen sich konsolidiert haben – insbesondere in den Nationen, in denen diese Siege das Produkt von Jahren sozialer Kämpfe (wie in Bolivien) oder einer rapiden Politisierung und Mobilisierung der verarmten Schichten (wie in Venezuela) sind – der Staat und seine Regulierungsmacht, das interne ökonomische Wachstum, der Kampf gegen die extreme Armut mittels spezifischer Programme der Umverteilung, sowie die Einführung neuer öffentlicher Dienstleistungen Raum gegriffen haben. Das macht einen bemerkenswerten und nicht zu unterschätzenden Unterschied gegenüber der infernalischen Welle von Privatisierungen und FragmenInprekorr 1/2016 43
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tierung und der gewalttätigen neoliberalen kapitalistischen Deregulierung der neunziger Jahre. Von Neuem trat der öffentliche Sektor als den Markt regulierende Kraft auf den Plan und verteilte teilweise die Erträge der Bodenschätze zugunsten der Ärmsten um – mit direkten und unmittelbaren Auswirkungen auf Millionen von BürgerInnen. Dieser Prozess erklärt teilweise die bis heute anhaltende Stabilität der Wähler- und sozialen Basis dieser Experimente (in einigen Fällen nach mehr als zehn Jahren Regierungszeit). Zum ersten Mal – nach Jahrzehnten – zeigten verschiedene „postneoliberale“ Regierungen, angefangen mit Bolivien, Ecuador und Venezuela, dass es sehr wohl möglich ist, damit zu beginnen, die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen wiederzugewinnen und gleichzeitig die extreme Armut und soziale Ungleichheit mittels Reformen zurückzudrängen, die auf die Inklusion breiter Sektoren der Bevölkerung zielen, die bis dahin von dem Recht, mitzuentscheiden, ihre Meinung zu äußern und vor allem teilzuhaben abgeschnitten waren. Und es lebte in den geopolitischen kontinentalen Visionen auch der Traum Bolivars wieder auf. Das drückte sich in den Initiativen für eine alternative regionale Integration zwischen den Völkern aus (wie z. B. ALBA-TCP), mit denen man beabsichtigte, Raum für eine nationale Souveränität gegenüber den großen Mächten des Nordens wiederzugewinnen, und gegenüber dem militärischen Imperialismus und den neuen Karavellen, als die die transnationalen Unternehmen oder die einseitigen Regeln der Weltfinanzinstitutionen figurieren. In einer Situation, in der die Alte Welt und die Länder der Europäischen Union der Diktatur der Troika (Weltwährungsfonds, Europäische Kommission und Europäische Zentralbank) unterworfen und inmitten einer tiefen ökonomischen, politischen und auch moralischen Krise sind, ist es wichtig, die Fähigkeiten zu betonen, die die diversen Basisbewegungen und Führer des Neuen Amerika bewiesen haben. Damit sind die Fähigkeiten gemeint, Widerstand zu leisten und damit zu beginnen, Multilateralismus zu praktizieren, die Demokratie zu demokratisieren, einschließlich, mittels Projekten für eine Alternative für das 21. Jahrhundert Politik neu zu erfinden. In einer Zeit, in der ein Land wie Griechenland versucht, in der Brandung der Schulden und unter dem Druck der herrschenden Klasse Europas den Kopf oben zu behalten, und junge Leute und Kollektive in diesem Teil der Welt versuchen, emanzipatorische Wege zu finden, kann man viel von Lateinamerika lernen, von 44 Inprekorr 1/2016
seinen traumatischen Erfahrungen mit dem kapitalistischen neoliberalen Fundamentalismus und von seinen heroischen Versuchen, ihm vom Süden der Welt aus etwas entgegenzusetzen. Nichtsdestotrotz besteht die grundsätzliche Herausforderung, wie es Anfang 2015 der Theologe und Soziologe François Houtard, Generalsekretär des Weltalternativforums, erklärte, besonders für die Länder, die die meisten Erwartungen bezüglich eines Wandels weckten, weiterhin darin, eine Wegbestimmung für einen grundsätzlichen Wandel hin zu einem neuen postkapitalistischen zivilisatorischen Paradigma vorzunehmen. Das bedeutet, dass es sich nicht lediglich darum dreht, dem Ziel einer postneoliberalen Modernisierung verhaftet zu bleiben, und noch weniger, innerhalb eines neuen „fürsorgenden“ Entwicklungsmodells zu verharren, oder sich im Rahmen des Versuchs einer Neufestlegung des Verhältnisses zwischen nationalem Wachstum, regionaler Bourgeoisie und ausländischem Kapital zu bewegen, d. h. auf eine Transformation der sozialen Beziehungen in Bezug auf die Produktion und die Formen des Eigentums abzuzielen. Diese Aufgabe ist zweifellos gigantisch und mühsam. Unter dieser Perspektive und in der derzeitigen historischen Situation treten trotz der mit Blut und Schweiß durchgesetzten demokratischen Fortschritte1 die zahlreichen Spannungen und Grenzen der unterschiedlichen lateinamerikanischen Spielarten des Progressismus zutage, oder, besser noch, der Periode, die Anfang des Jahrhunderts mit dem Kampf gegen die neoliberale Hegemonie begann. Ein – heute staatsfixierter – Intellektueller wie Alvaro Garcia Linera definiert diese Spannungsfelder (besonders die zwischen Bewegungen und Regierungen) als potentiell „kreativ“ und „revolutionär“, als notwendige Erfahrungen, um schrittweise hin zu einem „kommunitären Sozialismus“2 fortzuschreiten. Er stellt dabei das Verhältnis zwischen den real existierenden geopolitischen, politischen und sozialen Kräften in Rechnung (und wertet nebenbei ohne viele Argumente alle kritischen Stimmen, die von links kommen, als „infantil“ ab …). Im Rahmen dieses Konzepts figuriert die Erlangung der Regierungsverantwortung durch national-populare Kräfte als demokratische – und „konkrete“ – Antwort auf den Aufstieg der Volksbewegung in den Jahren 1990–2000, und der Staat wird als zentrales Instrument einer „Kollektivverwaltung“ im Kontrast zur Herrschaft des Wertgesetzes und der regellosen neoliberalen Deregulierung betrachtet. In dieser Verteidigung des von den unterschiedlichen
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progressistischen Regierungskräften Erreichten, sehr oft als homogene Entität betrachtet, finden wir auch die Handschrift von renommierten Intellektuellen wie Emir Sader oder der chilenischen Soziologin und Volkserzieherin Marta Harnecker.3 Nichtsdestotrotz bestehen nicht wenige BasisaktivistInnen, einige Bewegungen und kritische AnalystInnen unterschiedlicher politischer Richtungen (wie unter anderen Alberto Acosta und Natalia Sierra in Ecuador, Hugo Blanco in Peru, Edgardo Lander in Venezuela, Maristella Svampa in Argentinien oder Massimo Modenesi in Mexico) darauf, dass die staatliche Politik des Progressismus oder postneoliberalen Nationalismus (von Uruguay über Argentinien bis Nicaragua4) zunehmend „konservative“ Züge trage und den Charakter einer „passiven Revolution“ (im Sinne Gramscis) annehme. Oder, anders, es handele sich um eine Transformation „von oben“, die in der Tat den politischen Raum, die öffentliche Politik und das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft verändere, aber das Eindringen derer „da unten“ in das Netz der Institutionen integriere – und letztendlich neutralisiere. Dadurch komme es zu einer abrupten Neuanpassung im Schoß der herrschenden Klassen und des Herrschaftssystems, wodurch die Fähigkeit zu Selbstorganisation und Kontrolle durch die mobilisierten Schichten ausgebremst werde.5 So gesehen könnte die Eroberung des Staates durch progressive Kräfte auch die Gefangennahme der Linken bedeuten … durch die Macht des Staates, seine Bürokratie und die kapitalistischen Interessen, die er repräsentiert. Unter diesem Gesichtspunkt könnte die Strategie, die Macht zu ergreifen, um die Welt zu ändern, damit enden, dass die Linke von der Macht vereinnahmt wird und sich zu einer Kraft wendet, die das Wesentliche dieser Welt, wie sie ist, konserviert. Für den urugayischen Autor Raul Zibechi stellt sich das so dar: In dem Maße, in dem die progressistische Ära in Lateinamerika zu Ende geht, scheint der adäquate Zeitpunkt gekommen zu sein, damit anzufangen, längerfristig Bilanz zu ziehen, eine Bilanz, die sich nicht auf konjunkturelle Phänomene oder sekundäre Daten beschränkt, sondern die dahin geht, ein Gesamtpanorama zu entwerfen. Außerdem muss man konstatieren, dass das Ende dieser Ära, desaströs für die ärmeren Schichten und die Linken, uns mit Unsicherheiten und Besorgnis betreffend die unmittelbare, nach rechts gewandte und repressive Zukunft erfüllt, die wir gewärtigen müssen.6 In den letzten Wochen hat es eine Lawine von
Meinungsäußerungen gegeben – verschiedene davon haben wir auf Rebelion.org veröffentlicht -, die sich mit der Existenz oder Nichtexistenz des „Endes einer Ära“, einschließlich der Frage, ob eine solche Ära existiere, befassen. Diese Debatte erreichte einen solchen Grad der Polarisierung, dass die einen Autoren die anderen anklagten, das Spiel des Imperiums zu spielen, indem sie sich als „Diagnostiker der Kapitulation“ und „Caféhauslinke“ (so García Linera) gerierten, während die letzteren die ersteren beschuldigten, als unkritische Auftragsintellektuelle für die Staaten der Region und deren schon jetzt nicht mehr progressive, wenn nicht gar rückwärtsgewandte Regierungen zu fungieren … Dieser Dialog von Gehörlosen trägt wenig dazu bei, die derzeitige politische Situation zu ergründen. Sicherlich sind die Vorstellungen eines möglichen „Rückstroms des Epochenwandels“7 oder, aus entgegengesetzter Perspektive, die Vorstellung eines allmählichen „Endes der progressistischen Hegemonie“8 detaillierter und komplexer, so dass sie der Beginn einer konstruktiven, wenn auch konfliktiven Debatte sein könnten. Dabei muss man berücksichtigen, dass das Phänomen sich unter sehr unterschiedlichen territorialen bzw. nationalen Bedingungen abspielt: Dieses Abrutschen ist in einigen Ländern (z. B. Argentinien, Brasilien und Ecuador) klarer wahrnehmbar als in anderen (Venezuela, Bolivien und Uruguay), weil in den letzteren mehr oder weniger kompakte progressistische Machtblöcke erhalten sind und sich keine relevanten Abspaltungstendenzen nach links entwickelt haben. Insbesondere war Venezuela das einzige Land, in dem mittels der Bildung von Gemeindestrukturen seit 2009 die generelle Partizipation der armen Schichten angestoßen wurde …9 Jenseits der in Gang befindlichen Polemik bezüglich des Ausmaßes der Erschöpfung, der Wende oder des Rückstroms der Ära, und unter Berücksichtigung der Verschiedenheit der analysierten Einzelprozesse, schält sich heraus, dass in vielen Bereichen die progressistischen Regierungen sich definitiv entschieden haben. Unter dem Druck der globalen wie auch internen Akteure optierten sie für einen „modernisierenden Realismus“ und eine Politik der „Maßnahmen des Möglichen“, was oftmals der beste Weg ist, die Absage an strukturelle Veränderungen in eine antikapitalistische Richtung zu rechtfertigen. Das ist eine Dynamik, die symbolisiert wird durch das „brüderliche“ Treffen ( Juli 2015) zwischen der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff – Mitglied der Arbeiterpartei – und dem Verantwortlichen Inprekorr 1/2016 45
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für Verbrechen gegen die Menschlichkeit Henry Kissinger (Ex-Außenminister der USA). Das geschah in einem Moment, in dem Dilma die politische Rückendeckung durch den Imperialismus suchte, angesichts einer durch das Ausmaß der Korruption des Staatsapparates wachsenden Opposition in der Mitte der Gesellschaft und einer wiedererstarkten Rechten. Mit Sicherheit ist das Ziel dieser Art von diplomatischen Gesten seitens der Führung der größten lateinamerikanischen Macht vor allem, „ihren“ herrschenden Sektoren Rückhalt zu geben und mehr „Sicherheit“ für die Geschäfte in Brasilien zu bieten. Von einem anderen Schützengraben und Breitengrad aus erinnert das 2014 unterzeichnete verdeckte Freihandelsabkommen zwischen Ecuador und der Europäischen Union an die Grenzen der Ankündigung eines „Endes der neoliberalen Nacht“ – auch seitens einer aus dieser Perspektive im Diskurs vergleichbaren Regierung. Die Regierung Correa ist heute, konfrontiert mit der Rechten und während sie die Gefahr eines kalten Putsches beschwört, auch mit den sozialen und indigenen Bewegungen konfrontiert (und einer wenn auch schwachen Linken). Das geht so weit, dass man von einer politischen Sackgasse sprechen könnte, in dem Sinne, wie es der Marxist Agustín Cueva entwickelte, dass nämlich die caesarenhafte Figur des Präsidenten eine stabilisierende Funktion für das Kapital erfüllt: Es gab in der Geschichte Ecuadors Momente, in denen die Intensität der horizontalen, innerkapitalistischen Konflikte in Kombination mit den vertikalen Auseinandersetzungen zwischen der herrschenden Klasse und dem Volk zu groß war, als dass sie durch die aktuelle Herrschaftsform verkraftet werden konnte. Während die Politik neue, stabilere Formen der Herrschaftsausübung suchte, regierte die Instabilität, bis es zu dieser Sackgasse kam.10 Auf der allgemeineren Ebene muss man, auch wenn das nicht das einzige Problem ist, erwähnen, dass in allen progressistischen Staaten ein produktivistisches Akkumulationssystem weiterbesteht, in dem in unterschiedlichem Ausmaß und Intensität Staatskapitalismus, Neoliberalismus und Methoden der Ausbeutung der primären und energetischen Ressourcen (Extraktivismus) mit ihren zerstörerischen Auswirkungen auf die indigenen Gemeinschaften, die Arbeiter und die Ökosysteme ineinandergreifen. Diese innere Spannung verbindet sich, in ungleicher und kombinierter Weise, mit einem starken finanzpolitischen globalisierten Kontext und dem zentralen Aspekt der aktuellen Konjunktur: der ökono46 Inprekorr 1/2016
mischen Krise, die die Region hart trifft und zu einem abrupten Preisverfall der Grundstoffe und insbesondere des Ölpreises (der von fast 150 auf 50 Dollar pro Barrel fiel) geführt hat. Das war das Ende des Aufschwungs der vorangegangenen Periode und zeigte aufs Neue die abhängige und neokoloniale Produktionsstruktur Lateinamerikas, das verfluchte Erbe von Jahrhunderten von imperialistischer Unterordnung. In diesem Kontext findet zugleich eine Offensive des transnationalen Kapitals, der Staaten des Nordens und einiger Mächte des Südens (vor allem China) statt. Sie wollen noch mehr Agrarland, Energiequellen, Mineralien, Wasser, biologische Ressourcen und Arbeitskräfte einheimsen – in einer Spirale ohne Ende, bis zum letzten Blutstropfen. In Ländern wie Bolivien oder Ecuador, wo es ein stärkeres diese Gefahren betreffendes Bewusstsein gibt, wird seitens der Regierung und ihrer politischen Unterstützer die ziemlich einleuchtende Taktik verteidigt, dass man zunächst eine extraktivistische und Industrialisierungsphase durchlaufen müsse, um für den Wandel die nötige ökonomische Stärke zu haben. Das sei so etwas wie ein „postneoliberaler Übergangsextraktivismus“, der es kleinen Ländern mit geringen Ressourcen erlaube, sich zu entwickeln, eine ursprüngliche Akkumulation durchzuführen, um auf die immensen sozialen Bedürfnisse zu antworten, die diese verarmten Länder kennzeichnet, und um einen langsamen Prozess der Veränderung des Akkumulationsmodells einzuleiten. Aber gemäß Eduardo Gudynas, dem Exekutivsekretär des Lateinamerikanischen Zentrums für soziale Ökologie (CLAES), verhält es sich so: „Es gibt keinerlei Beleg dafür, dass dies auch passiert, und zwar aus verschiedenen Gründen: Erstens werden die so generierten Erträge zu einem großen Teil für Programme verwendet, die den Extraktivismus noch ausdehnen, zum Beispiel zur weiteren Erschließung von Ölreserven oder zur Exploration von Minenprojekten. Zweitens haben die extraktivistischen Strategien ökonomische Konsequenzen, die die Entwicklung von Autonomie in anderen produktiven Sektoren, sowohl in der Industrie als auch in der Landwirtschaft, behindern. Die Regierung müsste Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um diese Deformierungen zu vermeiden. Aber das geschieht nicht, tatsächlich gibt es in der Landwirtschaft eine Tendenz, den Anbau für den Export zu fördern, während der Nahrungsmittelimport zunimmt. Drittens müssen die Regierungen in dem Maße, in dem diese Projekte den sozialen Widerstand dagegen befeuern (jüngste
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Beispiele sind der der Guaranís von Yategrenda, Santa Cruz oder das Reservat Yasuni in Ecuador), sie so intensiv verteidigen, dass sie das extraktivistische Paradigma in breiten Teilen der Gesellschaft stärken und damit die Suche nach Alternativen behindern.“11 Sektorenübergreifende Proteste des Volkes
Tatsächlich ist es kein Zufall, dass die Welle von Volkskämpfen und Mobilisierungen, die im Herzen Amerikas losbricht und die vielleicht eine neue historische Periode von Klassenkämpfen ankündigt, direkt mit diesen Raubzügen, Repressionen und dem nachfolgenden territorial und sozial festzumachenden Widerstand verknüpft ist: Der Widerstand fokussiert sich auf die Minen und die Monokulturen, besonders das Soja, ebenso wie auf die städtische Bodenspekulation oder die diversen Formen, die der Extraktivismus annimmt. Gemäß dem Observatorium für Konflikte im Bergbau gibt es in der Region aktuell 197 Konflikte in Minen, die 296 Kommunen betreffen. Peru und Chile mit je 34, gefolgt von Brasilien, Mexiko und Argentinien, sind die am meisten betroffenen Länder.12 Diese Tendenz manifestiert sich vor dem bereits beschriebenen Hintergrund der schweren Einbrüche im Vergleich zum ökonomischen Wachstum der vergangenen Jahre, der tiefen und anhaltenden weltweiten kapitalistischen Krise und des Fortbestehens der immensen sozialen Ungleichheit sowie der regionalen Asymmetrien auf dem gesamten Kontinent. Weiterhin ist es notwendig, die bedeutende Offensive der verschiedenen rechtsgerichteten Unternehmer und Medien, wie auch der Oligarchien der Region zu betonen. Sie nützen das Ende der Hegemonie des Progressismus dazu aus, das Terrain wiederzugewinnen, das sie in den letzten 15 Jahren an die verschiedenen charismatischen Führer und progressistischen Lenker verloren haben. Diese Rechtskonservativen und Neoliberalen kontrollieren weiterhin – auf der politischen Ebene – entscheidend wichtige Städte, Regionen und Länder (wie Mexiko oder Kolumbien), und sie bedrohen permanent die in der letzten Dekade durchgesetzten Rechte, sowie den Prozess einer neuen, von Washington unabhängigen regionalen Integration. Wir wissen, dass diese rückwärtsgewandten Kräfte immer bereit waren und sind, verschiedene Spielarten der Destabilisierung, einschließlich Staatsstreiche, zu organisieren (wie im letzten Jahrzehnt in Paraguay, Honduras und Venezuela), und zwar mit der
offenen oder indirekten Unterstützung seitens der imperialen Agenda der Vereinigten Staaten.13 Zweifellos bringen von unten auch die verschiedenen Protestbewegungen, die indigenen Völker, die Studenten und Arbeiter ihre eigene Agenda und ihre Überzeugungen aufs Tapet. Sie erkennen die Grenzen der erreichten Transformation in den Ländern, in denen „postneoliberale“ Kräfte regieren, und sie erkennen deren absolutes Fehlen dort, wo immer noch die neoliberale Rechte dominiert. Sie verurteilen die verschiedenen Formen der Repression, Einschüchterung oder Vereinnahmung in beiden Fällen: kollektive Opposition gegen das Gensoja oder Arbeiterstreiks in Argentinien; große Jugendmobilisierungen auf den Straßen in den großen brasilianischen Städten, die das Recht auf ihre Stadt fordern und die Korruption anklagen; tiefe Krise des boliviarianischen Projekts, Gewalttätigkeit der Opposition und Reorganisierung der Volksbewegung in Venezuela; Kämpfe der Bauern und der indigenen Bewohner in Peru gegen die Bergbaumegaprojekte (wie das in Conga); Mapuches, Erwerbslose und Studenten in Chile, die lautstark das verfluchte Erbe der Pinochet-Diktatur anklagen; Kritik des Gewerkschaftsdachverbandes COB und von Teilen der indigenen Bewegung an der Politik der „Modernisierung“ von Evo Morales in Bolivien; in Ecuador das Abrücken des Präsidenten Correa vom Yasuni-Projekt, nämlich, das Öl im Boden zu lassen, mit der Folge einer Konfrontation zwischen der Exekutive und dem Dachverband der indigenen Völker (CONAIE) sowie bedeutenden Teilen der organisierten Zivilgesellschaft; in Kolumbien die Suche nach einem wirklichen Frieden, das heißt einem Frieden mit einer sozialen ökonomischen Transformation und mit einer Agrarreform etc. Das Szenario ist angespannt und in Bewegung. Aber trotz allem gräbt (im Sinne von Marx) „der alte Maulwurf weiter“ und mit seiner Tätigkeit entwickelt sich eine breite Palette an Erfahrungen sozialer Kämpfe, Klassenkonflikte und politischer Debatten, begleitet von verbreiteter Ausübung von Volksmacht und der Entwicklung radikaler Alternativen und Utopien.14 Auch wenn einige kritische Intellektuelle eine Zeitlang glaubten – und glauben machten –, dass Lateinamerika – oder besser gesagt Abya Yala – das neue El Dorado des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ über einen „Linksruck“ der Regierungen und Erfolge in demokratischen Wahlen erreichen könne, so wissen wir, dass die Wege zur Emanzipation komplexer und erheblich verschlungeInprekorr 1/2016 47
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ner sind und dass die Machtapparate (Militär, Medien, Wirtschaft) der lateinamerikanischen und imperialen Oligarchien stark, resilient, widerstandsfähig und wenn nötig auch grausam sind. Es existiert in den Gesellschaften Unseres Amerikas eine Dialektik zwischen der Transformation der sozialen und Produktionsbedingungen und der Zerstörung der „Rassen“- und Geschlechtsbeziehungen, die zweifellos erneut von unten und von der Linken angegangen werden muss, von Seiten der Autonomie und der Klassenunabhängigkeit – aber immer auf politischem Weg und nicht mit der Illusion, einen Wandel ohne die Ergreifung der Macht erreichen zu können. Nuestroamerikanischer Ökosozialismus des XXI. Jahrhunderts
Damit soll nicht bestritten werden, dass die kollektiven Versuche der Ausübung von Volksmacht fortfahren sollten, auch auf Wahlebene partielle Erfolge zu erzielen oder die Wichtigkeit abzuschätzen, institutionelle Räume in den Staats- und Parteiinstitutionen zu gewinnen. Aber das nur, wenn – und nur wenn – die Entwicklung derartiger neuer Politikkonzepte in den Dienst der „Kommunen“ und der unteren Schichten gestellt werden. Kann man den Staat dazu benutzen, den kapitalistischen Staat zu beseitigen, indem man ihn eine Zeit lang als Bollwerk nutzt, um die kolossalen feindlichen Gegenkräfte in Zaum zu halten? Oder kann, wie Marx feststellte, der Staat an sich, weil er grundsätzlich eine Kreatur der Herrschenden ist, für uns kein Werkzeug sein, weil er die Gefahr in sich trägt, unseren Geist, unsere Seele und unsere Praxis zu vereinnahmen? Es ist offensichtlich, dass die Kontrolle der Exekutive „nur“ der Gewinn eines Teils der Macht ist, umso mehr, wenn man nicht über eine parlamentarische Mehrheit und eine mobilisierungsfähige soziale Basis verfügt.15 Erinnern wir uns an die Lehren aus Chile und wie 1973 Salvador Allende und der institutionelle Weg zum Sozialismus der Unidad Popular zugrunde gerichtet wurden. Deshalb beweist eine Regierung der Linken und des Volkes ihren wahren Charakter darin, dass sie als Hebel und Stimulus für die selbstorganisierten Kämpfe der Arbeiter und der Volks- oder indigenen Bewegungen dient. So fördert sie eine Dynamik der wirklichen Machtgewinnung, der Transformation der sozialen Produktionsverhältnisse, den Auf bau der Selbstverwaltung und emanzipatorische Wege hin zum „guten Leben“. Im gegenteiligen Fall sind die politischen Kräfte 48 Inprekorr 1/2016
der Linken dazu verdammt, die herrschende Ordnung zu verwalten und sogar in Zeiten der Instabilität sich in bonapartistischer Manier über die Klassen zu erheben, um den Leviathan Staat aufrechtzuerhalten und die Herrschaft mehr oder weniger „progressistisch“ fortzuführen – unter mehr oder weniger großen Reibereien mit den lokalen Eliten. Unbestreitbar bieten die aktuelle Wendung und die Zweifel sowohl Gefahren wie Möglichkeiten; das ist auch der Moment, um erneut Neues zu diskutieren, ohne „das Alte“ zu vergessen , um über antikapitalistische Strategien und deren Instrumente zu reden, die geeignet sind, das aufzubauen, was nach unserem Vorschlag „lateinamerikanischer (‚nuestroamericano‘) Ökosozialismus für das 21. Jahrhundert“ heißen könnte. Das ist ein Projekt, das weder ein Abklatsch noch eine Kopie sein soll. Es wird sich nicht mehr durch kurzlebige Wahltaktiken oder Kämpfe von Caudillos und bürokratischen Apparaten ersticken lassen, aber auch nicht der Illusion des Auf baus von autonomen, pluralen Sozialstrukturen ohne ein gemeinsames, bis zu einem gewissen Minimum zentralisiertes politisches Projekt erliegen. Dieser Vorschlag erfordert, Augen, Nase, Sinne und Herzen den in Gang befindlichen Experimenten zu öffnen, die sich oftmals unter oder über dem Radar der Mainstreammedien abspielen. Ohne Zweifel sind sie zerstreut und wenig miteinander verbunden, aber sie formen gemeinsam einen riesigen Strom von Kämpfen, die in permanenter Veränderung begriffen sind – im realen und konkreten Sinne ebenso wie, was die Erfolge und Irrtümer betrifft. Das sind Erfahrungen, die es erlauben, emanzipatorische Dynamik und originäre kollektive Ansätze zu verstehen, aber auch die Gefahren, die sie gewärtigen und denen sie ausweichen müssen. Sicherlich erlauben sie uns nicht, eine Idealform für Versuche erfolgreicher Aufstände zu identifizieren, sondern sie zeigen eher ein Mosaik der Praxis, des Wissens, der Aktion. Einige davon konzentrieren sich auf das Land und den Agrarsektor, andere mehr auf den Produktionssektor und die besetzten Fabriken, andere auf die Ebene von städtischen oder Stadtteilgemeinschaften, wieder andere wurden auch von staatlichen oder sonstigen Institutionen angestoßen, werden aber durch die Nutzer kontrolliert: Da gibt es Kämpfe der Frauen, die gegen patriarchale Gewalt kämpfen, der Obdachlosen, der Indigenen, der Arbeiterklasse verschiedener Länder, da sind die Beispiele der ökologischen Landwirtschaft in Kolumbien, der Rufe nach dem „guten Leben“
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in Ecuador, der Kommunalräte in Venezuela, der Fabriken ohne Boss in Argentinien, der selbstverwalteten Medien in Brasilien und Chile, der Gemeindeversammlungen in Peru und Mexiko etc. Organisierte lokale Initiativen, die die Volksmacht ergreifen und ausüben, virulente Proteste auf den Straßen gegen seitens der nationalen und transnationalen Mächte orchestrierte Entscheidungen; aber auch verfassunggebende Versammlungen zur Rückgewinnung der Utopie, Wiederaufnehmen der Zügel der Politik durch die Staaten: Die Wege zur Emanzipation sind weit entfernt davon, eingleisig zu verlaufen. Insoweit bedeuten Experimente auch Prüfungen, Schwankungen und Rückschläge. Für die, die mit der Aufgabe beschäftigt sind, in die Gesellschaft und die Art, Politik zu betreiben, zu intervenieren, seien es nun die Bürger der Länder der Region oder Frauen und Männer, die den mühsamen Weg des Widerstandes und der Emanzipation aus anderen geographischen Regionen kennengelernt haben, sind die komplexen, manchmal widersprüchlichen und zutiefst ermutigenden Erfahrungen ihre Grundnahrung.16 Diese Vielstimmigkeit und die unterschiedlichen Beispiele ermöglichen es, den Faden einer Diskussion fortzuspinnen, die die die offenen Adern des Kontinents durchzieht; sie erlaubt es, mehr im Voraus zu denken und hinaus über die progressistischen Regierungsprojekte. Gleichzeitig muss man sagen, dass es unabdingbar ist, sozio-politische Fronten aufzubauen, um der massiv drohenden Rückkehr der Rechten und des Imperialismus in Südamerika zu begegnen. Vor allem anderen ist es unsere Pflicht, gegen den Strom zu denken, gegen eine „kontemplative, institutionalisierte, administrative Linke, eine Linke der AspirantInnen für Funktionärsposten, eine Linke ohne Rebellentum, ohne Vision – eine Linke ohne Linke.“17 Und zudem müssen wir, angesichts eines malträtierten Planeten am Rande des ökologischen und globalen Kollapses, gegen unsere eigenen fortschrittsfixierten und teleologischen Mythen andenken. Und sicher ist es essentiell wichtig, anzuerkennen, dass alle diese unterschiedlichen Erfahrungen und Erlebnisse, wie die Welt zu verändern ist, die wir hier kurz aufgeführt haben, widersprüchlich sind und voneinander abweichen: Einige sind isoliert und sehr lokal, andere im Gegenteil institutionsgebunden oder vom Staat abhängig. Von daher rührt das Interesse, die großen Debatten des 20. Jahrhunderts wieder aufzugreifen, aber aus heutiger Sicht und unter Erinnerung an die Bilanz der schmerzhaften vergangenen Niederlagen:
Wie ist ein postkapitalistischer und ökosozialistischer Übergang anzugehen? Was ist die Aufgabe der parteipolitischen Werkzeuge und der Bewegungen in diesem Übergang? Welche Rolle spielen die bewaffneten Kräfte, das parlamentarische System, die Gewerkschaften? Sie zerstören, sie nutzen, sie transformieren, sie vermeiden, sie auf brechen – gut, aber in jedem Fall: wie? Und auf welche Weise kann man Kollektivgefühl, eine kulturelle Hegemonie und eine antikapitalistische Linke aus dem Volk und für das Volk wieder auf bauen? Wie kann man es vermeiden, Illusionen bezüglich kleiner, auf sich selbst bezogener Gruppen zu schüren, und gleichzeitig es schaffen, den staatszentralistischen bürokratischen Horror des 20. Jahrhunderts nicht zu wiederholen? Die große Rosa Luxemburg warnte 1915: „Sozialismus oder Barbarei“. Im Jahr 2015 bekommen ihre Worte einen eher noch katastrophischeren und warnenderen Gehalt: „Ökosozialismus oder globaler Ökozid“. Zweifellos ist es der „Mut zu Neuem“, mit dem wir wieder davon träumen können, die Mauern des Kapitals einzureißen, der bezahlten Arbeit, des Neokolonialismus und des Patriarchats: Die Welt zu ändern – das klingt sehr ambitioniert. Mehr noch, es scheint sehr risikoreich angesichts der Machtgruppen, die es niemals zulassen werden, dass die kapitalistische Zivilisation umgestürzt wird. Aber unter den aktuellen Umständen gibt es keine Alternative. Die Lebensbedingungen breiter Teile der Bevölkerung und der Zustand der Erde selbst verschlechtern sich mit wachsender Geschwindigkeit. Wir nähern uns dem „point of no return“. Und die Option, den Planeten zu wechseln, gibt es nicht … Wir müssen die Herausforderung annehmen. Wir müssen Rebellen angesichts der Macht sein (und vielleicht ihre Zerstörung herbeiwünschen). Wir müssen unsere Grenzen als Menschen innerhalb der Natur erkennen und jede Form der Ausbeutung hassen. Wir müssen die sein, die gegen die Ungerechtigkeiten und die, die sie begehen, aufstehen. Wir dürfen nicht resignieren. Wir müssen fortfahren, das Unmögliche zu fordern und aufzubauen.18 Die Aufgabe hat schon begonnen, sie ist das tägliche Brot heute und geht morgen weiter. Santiago de Chile, Sommer 2015 Franck Gaudichaud promovierte in Politikwissenschaft an der Université Paris VIII bei Michael Löwy, ist Dozent im Fachbereich Lateinamerikanische Zivilisation der Université de Grenoble, Mitglied der Redaktion
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der Website Rebelion.org und aktives Mitglied der IV. Internationale. Dieser Artikel erschien zuerst in Revista Memoria: http://revistamemoria.mx Übersetzung aus dem Spanischen: Thadeus Pato �
1 Solche wie der Auf bau plurinationaler Staaten, die Durchsetzung mehr oder weniger institutionalisierter sozialer Rechte, die Schaffung verfassunggebender Versammlungen und von Raum für Bürgerbeteiligung oder Anstöße für eine regionale Integration. 2 García Linera, Álvaro, Las tensiones creativas de la Revolución. La quinta fase del Proceso de Cambio, La Paz, Vicepresidencia del Estado Plurinacional de Bolivia, 2011. In: www.rebelion.org/docs/134332.pdf. 3 Emir Sader, “¿El final de un ciclo (que no existió)?”, Pagina 12, Buenos Aires, 17 de septiembre de 2015 y Marta Harnecker, “Los movimientos sociales y sus nuevos roles frente a los gobiernos progresistas”, Rebelión, 07-09-2015, http:// rebelion.org/noticia.php?id=202910. 4 Man muss hier anmerken, dass für uns die aktuelle chilenische Regierung Michelle Bachelets eindeutig außerhalb dieser Kategorie „südamerikanischer postneoliberaler Progressismus“ zu verorten ist, da sie grundsätzlich eine „reformistische“ Kontinuität zu den neoliberalen Regierungen der Concertación darstellt, die das Land zwischen 1990 und 2010 regierten. Siehe dazu: F. Gaudichaud, Las fisuras del neoliberalismo. Trabajo, “Democracia protegida” y conflictos de clases, Buenos Aires, CLACSO, abril 2015. En: http:// biblioteca.clacso.edu.ar/clacso/becas/20150306041124/ EnsayoVF.pdf. 5 Modenesi, Massimo, “Revoluciones pasivas en América Latina. Una aproximación gramsciana a la caracterización de los gobiernos progresistas de inicio de siglo”. In: Modenesi, Massimo (coord.), Horizontes gramscianos. Estudios en torno al pensamiento de Antonio Gramsci, México, fcpys-unam, 2013. 6 Zibechi, Raúl, “Hacer balance del progresismo”, Resumen latinoamericano, 4 de agosto del 2015. In: www.resumenlatinoamericano.org/2015/08/04/hacer-balance-del-progresismo. 7 Katu Akornada, “¿Fin del ciclo progresista o reflujo del cambio de época en América Latina? 7 tesis para el debate”, Rebelión, 8 de septiembre del 2015, http://www.rebelion. org/noticia.php?id=203029. 8 Massimo Modenesi, “¿Fin del ciclo o fin de la hegemonía progresista en América Latina?”, La Jornada, 27 de septiembre del 2015. 9 Massimo Modenesi, “¿Fin del ciclo o fin de la hegemonía progresista en América Latina?”, op. cit. 10 Jeffery R. Webber, “Ecuador en el impasse político”, Viento Sur, 20 de septiembre de 2015, 11 Ricardo Aguilar Agramont, “Entrevista a Eduardo Gudynas: La derecha y la izquierda no entienden a la naturaleza”, La Razón, 23 de agosto de 2015. 12 Zibechi, Raúl, “Hacia un nuevo ciclo de luchas en América Latina”, Gara, 3 de noviembre del 2013, http://gara. naiz.info/paperezkoa/20131103/430771/es/Hacia-nuevo50 Inprekorr 1/2016
ciclo-luchas-America-Latina. 13 Franck Gaudichaud, “El peso de la historia. América Latina y la mano negra de Washington”, Le Monde Diplomatique, edición chilena, julio de 2015. 14 Pablo Seguel, “América Latina actual. Geopolítica imperial, progresismos gubernamentales y estrategias de poder popular constituyente. Conversación con Franck Gaudichaud”. In: gesp (coord), Movimientos sociales y poder popular en Chile, Tiempo robado editoras, Santiago, 2015, pp. 237-278. 15 Cf. Marta Harnecker, “Los movimientos sociales y sus nuevos roles…”, op. cit. 16 Tamia Vercoutère, prólogo a la edición ecuatoriana del libro América Latina. Emancipaciones en construcción (Quitogo, IEAN, 2013). 17 Pablo Rojas Robledo, “Hay que sembrarse en las experiencias del pueblo”. Fin de ciclo, progresismo e izquierda. Entrevista con Miguel Mazzeo”, Contrahegemonía, septiembre 2015, http://contrahegemoniaweb.com.ar/hay-que-sembrarse-en-las-experiencias-del-pueblo-fin-de-ciclo-progresismo-e-izquierda-entrevista-con-miguel-mazzeo. 18 Miriam Lang, Belén Cevallos y Claudia López (comp.), La osadía de lo nuevo. Alternativas de política económica, Quito, Fundación Rosa Luxemburg/Abya-Yala, 2015, pp. 191-192.
Die Internationale
52 Neue Strategie, neue Partei? Nach dem Scheitern des politischen Projektes von Syriza ist eine kritische Einschätzung der Strategie der breiten antikapitalistischen Parteien, wofür Syriza über einige Jahre als Paradebeispiel galt, mehr als dringlich.
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Neue Strategie, neue Partei? Folgt aus der Feststellung, dass eine neue Periode im Kapitalismus angebrochen ist, auch, dass die Strategie revolutionärer Parteien geändert werden muss? Braucht es dazu neue Parteien? Wenn ja, in welcher Hinsicht? Ein Blick auch in die Geschichte der Arbeiterbewegung Willi Eberle
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ach dem dramatischen Scheitern des politischen Projektes von Syriza1 ist eine kritische Einschätzung der Strategie der breiten antikapitalistischen Parteien, wofür Syriza über einige Jahre als Paradebeispiel galt, mehr als dringlich.2 Zudem steht die Phase von linken Regierungen in Lateinamerika, Regierungen, die von Massenbewegungen vor allem der Arbeiterklasse und, insbesondere in Bolivien, auch von der armen Bauernschaft an die Macht gebracht wurden, vor ihrem Ende. Diese haben, wie Syriza, als ihr organisatorisches Zentrum eine politische Partei, die sich nicht als politische Organisation der kämpfenden Arbeiterklasse (und Bauernschaft) versteht, sondern auf eine möglichst breite elektorale Abstützung abzielt. Zu ihrem Beginn war dies oft anders, etwa für die brasilianische PT; diese wurde aber im Laufe der 1990er Jahre im Stile der britischen New Labour in eine regierungsfähige Partei umgebaut und stellte sich ebenfalls, einmal an der Regierung, im-
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mer häufiger gegen die kämpfenden Arbeiterinnen und Arbeiter. Syriza ist nun – schwer geschwächt nach dem Abstoßen der linken Elemente vor allem um die Linke Plattform, die dann die „Volkseinheit“ (!) gründeten – in Griechenland die politische Kraft, die die Ausbeutungspolitik der Troika umsetzt. Aber es zeichnet sich ab, dass sie fortan auf die Unterstützung der traditionellen Memorandums-Parteien angewiesen ist und eine große Koalition mit diesen anstrebt.3 Denn sie trifft auf den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse, die sich seit Mitte November innerhalb von drei Wochen bereits mit zwei gut befolgten Generalstreiks gegen die SyrizaRegierung gestellt hat. Eines steht nun fest: Die Syriza Regierung hat den zynischen, triumphalistischen Leitspruch „There is no alternative“ (TINA) von Margaret Thatcher, der britischen Premierministerin Ende der 1980er Jahre, einmal
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mehr praktisch bestätigt. Beispielsweise ist die spanische Podemos – ein anderer Hoffnungsträger für viele Formationen aus der radikalen Linken – kurz nach dem Einknicken von Alexis Tsipras von Mitte Juli noch mehr abgerückt von einem Programm eines Schuldenmoratoriums, geschweige denn, dass noch von irgendwelchen Forderungen nach einem einseitigen Schuldenschnitt, die noch vor eineinhalb Jahren hoch im Kurs standen, die Rede wäre.4 Neue Periode
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre setzte eine Kampfphase der internationalen Arbeiterklasse ein, die die Strukturen der bürgerlichen Herrschaft weltweit ins Wanken brachte. Sie erlebte ihre Höhepunkte unter anderem im französischen Mai, im italienischen heißen Herbst (1969 bis 1976), in der Nelkenrevolution in Portugal (1974), in der Rätebewegung unter der VolksfrontRegierung in Chile (1970), im Prager Frühling (1968), in der Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung in den USA, den großen Streiks in England, den Aufständen in Lateinamerika und in Asien und in den Jugendrevolten in Mexico und in Tokio und anderswo. Überall jedoch konnte sich die Bourgeoisie auf die traditionellen politischen Organisationen der Arbeiterbewegung oder die nationalen Befreiungsbewegungen oder auf beides stützen, um ihr zentrales Herrschaftsinstrument, den bürgerlichen Staat, vor dem Ansturm der Arbeiterklasse und der Bauernbewegungen zu schützen, den neuen Verhältnissen anzupassen und weiterzuentwickeln. Diese Kämpfe waren in Europa gegen die einsetzenden Angriffe auf Errungenschaften aus der vorangehenden wirtschaftlichen Boomphase gerichtet oder aber sie zielten darauf, mehr (höhere Löhne, lockere Arbeitsrythmen, mehr Freiheit, mehr soziale Absicherung usw.) herauszuholen, als die Unternehmer angesichts der heraufziehenden Strukturkrise bereit waren, herzugeben.5 Besonders eindrücklich gestaltete sich, nebst anderen, der Auf bruch der Arbeiterklasse in Chile unter der Regierung der Unidad Popular (Volkseinheit, November 1970 bis 11. September 1973). Diese hatte radikale Reformen zugunsten der Lohnabhängigen, der bäuerlichen Bevölkerung und der Armen eingeleitet und gleichzeitig gegenüber den Christdemokraten in einem Geheimabkommen absolute Verfassungstreue gelobt. Dies brachte sie in eine immer stärkere Zwickmühle, da die Arbeiterklasse und die Bauernbewegung mit der Besetzung von Ländereien und Fabriken und mit dem
Auf bau von Versorgungs- und Selbstverteidigungskomitees begannen, landesweite Rätestrukturen bis hin zu einer Doppelmachtsituation zu entwickeln. Die Armee setzte dieser arbeiter-demokratischen Entwicklung am 11. September 1973 mit tatkräftiger Unterstützung des US-Imperialismus ein äußerst brutales Ende.6 General Pinochet, der Führer des Putsches, erklärte kurz nach dem Putsch auch gleich, um was es dabei ging: „Der Auf bau einer Nation besteht darin, aus Chile ein Land von Eigentümern, nicht Proletariern zu machen … Es sind die Reichen, die Geld schaffen. Sie müssen gut behandelt werden, damit sie mehr Geld hervorbringen.“ Es ist dies das Programm der Austeritätspolitik und des Neoliberalismus, wie es mittlerweile weltweit gegen die Arbeiterklasse und die breite Bevölkerung durchexerziert wird. Man sieht bereits aus dieser brutalen Eröffnungsparade der Bourgeoisie für die neue Periode, dass sie sich keinesfalls auf den Rahmen der bürgerlichen Demokratie beschränken will, wenn es um die Sicherung ihrer Herrschaft und die Durchsetzung ihrer Angriffe auf die Arbeiterklasse geht. In der Tat war der Kapitalismus in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in eine sich auf mehreren Ebenen äußernde strukturelle Krise eingetreten. Die hohen Profite der mehr als 20 vergangenen Jahre begannen abzuflachen, die Wachstumsraten sanken, die Oberhoheit des US-Imperialismus konnte sich zunehmend nur mehr militaristisch halten, was angesichts des hohen Blutzolls und der Gräueltaten im Vietnamkrieg zu einer starken Antikriegsbewegung an der Heimatfront führte. Und die Unternehmer versuchten, die anziehenden wirtschaftlichen Probleme, oft mit Hilfe des Staates, auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, was zu einer schnell anwachsenden proletarischen Militanz führte. Die Jugend aus den aufsteigenden Mittelschichten fand sich zudem nicht mehr ab mit dem autoritären Mief der Nachkriegszeit. Die Arbeiterklasse, zumindest ihre kombativeren (svw. kämpferischeren) Segmente waren, wenn überhaupt, in den traditionellen staatstragenden Parteien der Arbeiterbewegung organisiert, den kommunistischen Parteien und teilweise der Sozialdemokratie. Eine Avantgarde unter ihnen jedoch suchte eher in den politischen Organisationen der radikalen Linken eine revolutionäre Antwort zu finden. In Frankreich etwa schloss die KPF mit der Bourgeoisie Ende Mai 1968 das Abkommen von Grenelle, das den Arbeitern und Arbeiterinnen zwar bedeutende Lohnerhöhungen zugestand (die dann durch Inprekorr 1/2016 53
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die Inflation bald aufgezehrt waren), aber den bislang größten Streik in der Geschichte des Kapitalismus abwürgte. Deren Führung hoffte, damit den Eintrittspreis in eine neue Regierung zu begleichen – dieser Dienst sollte allerdings erst über zehn Jahre später unter der ersten Regierung Mitterand belohnt werden. In Italien versuchte die KPI mit ihren Vorschlägen einer Unterwerfung unter die Democrazia Cristiana im Rahmen des sogenannten historischen Kompromisses wieder Regierungspositionen zu erobern, unter dem Versprechen, die «wilde Arbeiterklasse» wieder in den Normalbetrieb bürgerlicher Herrschaft einzuordnen. All dies waren entscheidende Faktoren, diese stürmische Periode von Vorstößen der Arbeiterklasse in anhaltende politische und soziale Niederlagen zu führen. Fortan gab eine neue Logik unter den Führungen der Gewerkschaften, der Sozialdemokratie, der stalinistischen Parteien und ihrer Zerfallsprodukten den Ton an. Helmut Schmidt, Führer der SPD und Regierungschef einer sozialliberalen Koalition in Deutschland um die Mitte der 1970er Jahre, brachte sie folgendermassen auf den Punkt: „Die Profite von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen“. Diese Logik der Kapitulation verstärkte vorerst bei weiten Segmenten der Arbeiterklasse eine um sich greifende Lähmung. Diese litten ab den 1970er Jahren zum ersten Male seit dem Ende der 1940er Jahre unter Massenarbeitslosigkeit und waren durch die fortwährenden Rückschläge in ihren Kämpfen eh schon zurückgeworfen; diese schweren Rückschläge waren zum großen Teil verursacht durch das hartnäckige Festhalten ihrer traditionellen Führungen an einer Politik der Klassenzusammenarbeit im Gravitationsfeld der Unterwerfung unter die Regeln des bürgerlichen Staates und der Sozialpartnerschaft. Linke Regierungen
Ab den 1970er Jahren setzte eine deutliche Rechtsentwicklung der traditionellen, staatstragenden Parteien der Arbeiterbewegung ein. Olof Palme, der intelligente Führer der schwedischen Sozialdemokratie, der damals zum äußerst linken Flügel der europäischen Sozialdemokratie gezählt wurde, antwortete 1975 auf die Frage, weshalb er als Regierungschef bereits in zwei Amtsperioden eine Austeritätspolitik betrieben habe: „Wir Sozialisten leben gewissermaßen in einer Symbiose mit dem Kapitalismus“.7 Die vielleicht konsequenteste Rechtsentwicklung setzte ab dem Ende der 1970er Jahre bei der 54 Inprekorr 1/2016
britischen Labour-Partei ein, nachdem in Massenstreiks 1974 die konservative Regierung Heath zu Fall gebracht wurde, und das politische System Großbritanniens in eine tiefe Krise geriet. Die stalinistischen Parteien verwandelten sich bis auf wenige Ausnahmen in einer weiteren Rechtsentwicklung in eurokommunistische Parteien, wobei oft die Vorstellung eines linken Pols gegenüber der Sozialdemokratie mitspielte. So würde ihnen ihre Verankerung in linken Segmenten des Volkes (!) die Kolonialisierung des bürgerlichen Staates ermöglichen, und insbesondere würde ihre Beteiligung an sogenannten linken Regierungen erlauben, Druck von links auf die Sozialdemokratie und auf das Monopolkapital auszuüben. Eine Vorstellung, wie sie für den Zentrismus seit jeher charakteristisch ist und wie sie in der Volksfrontstrategie seit Mitte der 1930er Jahre zum zentralen Requisit in der Strategie der stalinistischen und später der eurokommunistischen Parteien wurde. In seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Eurokommunismus stellte Ernest Mandel gegen Ende der 1970er Jahre zu dieser Problematik fest: “Diese [eurokommunistischen] Parteien können sich nicht unter dem Druck der Massen in revolutionäre Parteien verwandeln. … Die Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie oder gar ein historischer Kompromiss sind nicht mehr möglich auf der Basis neuer Reformen, neuer sozialer Erungenschaften, sondern fordern neue Opfer, die der Arbeiterklasse auferlegt werden, um die Profitrate … zu steigern».8 Der Zusammenbruch der Sowjetunion, die damit verbundene schwere Krise der stalinistischen Parteien und der ideologische Niederschlag des vermeintlichen Endes der Geschichte wirkten sich im Zusammenhang mit den schweren wirtschaftlichen Krisen der 1990er Jahre als Faktoren für eine noch weitere Rechtsentwicklung des politischen Spektrums der staatstragenden Linken aus. Gleichzeitig aber wurde Mitte der 1990er Jahre ein proletarischer Kampfzyklus eröffnet, der bis gegen die Mitte der 2000er Jahre andauern sollte. Dieser Zyklus brachte in Lateinamerika links-populistische Regierungen an die Macht (Brasilien, Venezuela, Bolivien, Ecuador etc.), die aus politischen Organisationen hervorgingen, die oft ein Bündnis aus verschiedensten Parteien umfassten. In Europa wurden in diesem Zyklus eher die traditionellen staatstragenden Parteien der Arbeiterbewegung gestärkt. Dieser Kampfzyklus konnte letztend-
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lich – mangels einer angemessenen politischen Führung – der Vorwärtsbewegung des Kapitals kaum Widerstand entgegensetzen. Die Diskussion um eine neue Strategie für die radikale Linke wurde dadurch angefeuert. Es wurde argumentiert, dass es möglich wäre, antikapitalistische Massenparteien über elektorale Prozesse aufzubauen. Dazu aber müsse endlich der alte Ballast, den revolutionäre Parteien mit sich führen, hinter sich gelassen werden. Programm- und Strategiedebatten, vor allem um die Natur des bürgerlichen Staates, das Ziel einer Diktatur des Proletariats, der Begriff des Klassenkampfes und der Arbeiterklasse würden nur den Weg versperren, um den Zugang zu diesen in Bewegung geratenen Massen zu finden. Dann könnten die Voraussetzungen geschaffen werden für linke Regierungen, um sich erfolgreich gegen die Angriffe auf die Errungenschaften der Arbeiterklasse der vergangenen Periode stellen zu können.9 Entsprechend entstanden ab dem Ende der 1990er Jahre solche Formationen, vor allem in Europa, meistens um eurokommunistische Parteien herum gruppiert, wie 2004 beispielsweise Syriza in Griechenland. Die seit den 1980er Jahren zweite, heftigere, aber kürzere Periode von Massenmobilisierungen, die von 2010 bis 1012 dauerte, wo etwa 50 Millionen Menschen in Nordafrika, Syrien, Spanien, Griechenland, Frankreich und anderswo Regimes stürzten oder ins Wanken brachten, verstärkte diese Debatte umso mehr. Nach dem steilen Aufstieg von Syriza bei den beiden Wahlzyklen von 2012 schien vielen Kadern der radikalen Linken klar zu sein, wo ’s lang gehen sollte im Widerstand gegen die Austeritätspolitik und wie die oft in einem Ghetto arbeitende revolutionäre Linke ihre Isolation überwinden könnte. Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts haben unmissverständlich gezeigt, dass eine „linke Regierung die Arbeiterbewegung nur soweit stärkt, als die Arbeiterklasse, oder zumindest deren Avantgarde, sich keine Illusionen über eine solche Regierung macht. Je stärker und unabhängiger die Arbeiterbewegung ist, desto mehr Reformen kann sie einer solchen Regierung abringen. Je mehr sie auf ihre eigenen Organisationen vertraut, desto mehr ist der Weg frei für eine grundsätzliche Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen der Arbeiterklasse und ihren Verbündeten einerseits und der Bourgeoisie andereseits. Je mehr sie sich aber an die staatliche Macht bindet, umso größer ist die Gefahr einer bürgerlichen Reaktion”.10 Eine linke Regierung ist keinesfalls eine revolutionäre Regierung, die sich im Prozess der Zerschlagung des
bürgerlichen Staates herausbildet. Sie verbleibt vielmehr in diesem, lässt diesen intakt und funktioniert so – über den Staat – unvermeidlich als Koalition mit der Bourgeoisie. Strategie
Eine revolutionäre Strategie sollte Antworten geben auf die Frage, wie die Herrschaft der Bourgeoisie zurückgedrängt, eine Doppelmachtsituation geschaffen und dann, in einer revolutionären Machtergreifung, der bürgerliche Staat zerschlagen werden kann. Wir stehen angesichts der immer brutaleren Angriffe der Bourgeoisie, die offensichtlich selbst vor großen Katastrophen nicht Halt machen wird, vor weiteren großen Wellen von Massenaufständen. Und das Problem wird sein, ob diese Erhebungen – anders als in den vergangenen 40 Jahren – diesen Angriffen etwas entgegensetzen können. Und dies wird nur möglich sein im Rahmen einer Strategie, die geduldig und hartnäckig auf diejenigen Segmente der Gesellschaft, insbesondere der Arbeiterklasse setzt, die am kampferprobtesten sind und am entschlossensten die Machtfrage ansteuern. Denn, wie Walter Benjamin in seiner 12. These über die Geschichte bemerkte: „Das Subjekt historischer Erkenntnis ist die kämpfende, unterdrückte Klasse selbst“. Und nicht die Mittelschichten, an denen beispielsweise das Projekt von Syriza und weitere primär elektoral ausgerichtete Projekte, wie beispielsweise Podemos in Spanien, anknüpfen.11 Lenin war in all seinem politischen Denken und Handeln mit der Frage beschäftigt, was tatsächlich notwendig wäre, damit das Proletariat die Macht ergreifen könnte. Nicht rhetorisch oder theoretisch, sondern tatsächlich, und dann genau das zu tun. Die primäre Aufgabe der bolschewistischen Partei lag darin, den entscheidenden Beitrag für den Auf bau eines politischen Instrumentes zu schaffen, das dem klassenbewussten, organisierten Proletariat erlaubt, den Staat und die herrschenden Machtverhältnisse umzustürzen und an dessen Stelle eine sozialistische Demokratie aufzubauen. Dies bedeutete für ihn bei weitem mehr, als über Wahlverfahren im bürgerlichen Staat an die Regierung zu gelangen; ja, der bürgerliche Staat musste durch die Arbeiterklasse in der Schaffung von arbeiter-demokratischen Strukturen der proletarischen Selbstorganisation, in einer proletarischen Klärung der geschaffenen Doppelmachtsituation, zerschlagen werden.12 Diese strategische Orientierung war entscheidend für den Erfolg der Oktoberrevolution. Inprekorr 1/2016 55
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In einem Aufsatz aus dem Jahre 2006 bezieht sich der marxistische Intellektuelle und Führer der damaligen LCR, Daniel Bensaïd, auf die Auswirkungen in den Reihen des Marxismus des nachhaltigen Rückzugs der internationalen Arbeiterbewegungen seit der Mitte der 1970er Jahre als „Nullpunkt der Strategie“, d. h. des Verschwindens von Auseinandersetzungen und politischen Kämpfen zwischen den Strömungen der extremen Linken um entscheidende Probleme wie die proletarische Selbstorganisation, den Fokismus, die Teilnahme oder Nichtteilnahme von Revolutionären an Volksfronten usw.13 Laut Bensaïd stehen sich seit der zweiten Nachkriegszeit zwei große „strategische Hypothesen“ gegenüber. Eine der beiden nennt er „aufständischen Generalstreik“, die trotz aller Ungenauigkeit oder Vereinfachung auf eine Revolutionsstrategie mit Vorbild in der russischen Oktoberrevolution von 1917 hinweist. Dies bedeutet eine Revolution, die von der Arbeiterklasse im Bündnis mit den subalternen Klassen angeführt wird. Diese stützt sich auf die Sowjets oder die Arbeiter- und Bauernräte als Organe der Selbstbestimmung und eignet sich die Macht mit Hilfe eines bewaffneten Aufstandes an, der von einer revolutionären marxistischen Partei angeführt wird. Die andere nennt er die „graduelle Strategie“, das was gemeinhin als Reformismus bezeichnet wird. Dieser stützt sich auf den Syndikalismus und den Parlamentarismus als Methoden, um teilweise Verbesserungen zu erreichen. Hierbei handelt es sich bis heute um das wichtigste politische Phänomen, das nicht nur traditionelle reformistische Parteien umfasst – Sozialdemokraten, Stalinisten, Labouristen – sondern auch die Gewerkschaftsführungen, durch die die bürgerliche Ideologie weiten Teilen der Lohnabhängigen übermittelt wird. Ohne hier weiter auf das Argument von Bensaïd eingehen zu können, wollen wir kritisch seine Schlussfolgerung herausstreichen, dass das „Modell des Oktober“ heute keine angemessene strategische Hypothese mehr darstelle. Dieses Argument hat in der Tat eine erdrückende Breitenwirkung erlangt, und hat sich unter anderem in den Strategien zum Auf bau sogenannter breiter antikapitalistischer Massenparteien niedergeschlagen, die primär elektoral die Regierungsmacht erobern wollen, um die Angriffe, z. B. die Austeritätspolitik, abzuwehren. Dies war ja genau das Projekt von Syriza.14 Diese Diskussion ist nicht von geringer Bedeutung. Nach vier Dekaden eines tiefgreifenden Rückgangs des ideologischen Bewusstseins ist die soziale Revolution als 56 Inprekorr 1/2016
Alternative zum kapitalistischen System und im Besonderen die Hypothese des aufständischen Generalstreiks gründlich hinterfragt und aus den strategischen Debatten gelöscht worden, nicht nur von (post)marxistischen Intellektuellen, sondern auch von Organisationen der marxistischen Linken selbst. Von daher etwa die Bedeutung des chavistischen Regimes in Venezuela und der Debatte um einen «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» oder neuerdings des Syriza-Projektes. Partei
Eine revolutionäre Strategie muss erstens den Willen eines politisch erfahrenen, maßgebenden, kämpfend nach vorne drängenden Teils des Proletariats, einer Avantgarde, ausdrücken, zweitens braucht es ein politisch-organisatorisches Instrument, das diese Strategie praktisch repräsentiert und dessen Verwirklichung, dessen praktische Umsetzung anführt. Und drittens muss diese Strategie organisch verankert sein in dieser Avantgarde. Die kollektiv, demokratisch erarbeitete, ja erstrittene politische Handlungsorientierung, um die sich diese Avantgarde sammelt, das revolutionäre Programm, ist maßgebend für eine revolutionäre marxistische Partei. Ob sie breit ist oder nicht, wird – neben anderen Faktoren – durch die Reife der Arbeiterklasse bestimmt. Sind wir bereit, uns für den Sturz des Kapitalismus zu organisieren? Sind alle unsere täglichen Interventionen in den Kämpfen, Kampagnen und Debatten darauf ausgerichtet, eine Bewegung zu entwickeln, die anstelle der herrschenden Despotie eine befreite, auf demokratischer Planung beruhende Gesellschaft hervorbringen kann? Sind wir für ein Programm, das diese Orientierung als Grundlage hat? Der Ansatz der breiten antikapitalistischen Parteien jedenfalls scheint in eine andere Richtung zu gehen.15 Trotzki schrieb 1937 in Bolschewismus und Stalinismus: „Reaktionäre Epochen wie die unsere zersetzen und schwächen nicht nur die Arbeiterklasse und isolieren ihre Avantgarde, sondern drücken auch das allgemeine ideologische Niveau der Bewegung herab und werfen das politische Denken auf bereits längst durchlaufene Etappen zurück. Die Aufgabe der Avantgarde besteht unter diesen Umständen vor allem darin, sich nicht von dem allgemeinen, rückwärts flutenden Strom davontragen zu lassen – es heißt gegen den Strom schwimmen. Wenn ein ungünstiges Kräfteverhältnis es nicht erlaubt, die früher eroberten politischen Positionen zu wahren, gilt
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es, sich wenigstens auf den ideologischen Positionen zu halten, denn sie sind der Ausdruck einer teuer bezahlten vergangenen Erfahrung. Dummköpfen erscheint eine solche Politik als Sektierertum. In Wirklichkeit bereitet sie nur einen gigantischen neuen Sprung vorwärts vor, zusammen mit der Welle des kommenden historischen Aufschwungs.“ Ich denke, dies trifft gerade auch auf unsere Periode zu. Der Auf bau einer echten revolutionären Partei mit Massencharakter ist nur möglich auf der Grundlage eines breiten, klassenbewussten Teils der Arbeiterklasse. Inmitten des revolutionären Aufschwungs von 1905 in Russland argumentierte Lenin gegen einen Aufruf an alle revolutionären Gruppen, ihre inhaltlichen Differenzen in den Hintergrund zu drängen und sich in einer einzigen Organisation zu vereinen. Er schrieb: „Im Interesse der Revolution sollte unser Ideal keinesfalls sein, alle Strömungen und Auffassungen in einem revolutionären Chaos zu verschmelzen“. (Zitat in LeBlanc). Ich denke, dass die Bedingungen für ein erfolgreiches Projekt von Massen-Anti-Austeritätsparteien auf parlamentarischer Grundlage, geschweige denn von revolutionären Parteien mit Massencharakter vorläufig nirgends gegeben sind. Momentan gilt es, „gegen den Strom zu
schwimmen“, die historischen Erfahrungen einzuverleiben und in den Interventionen aus diesem unverzichtbaren Schatz zu zehren. Um immer und überall in den Kämpfen darauf hinzuweisen, dass die sich türmenden Probleme, denen sich die Arbeiterklasse gegenübersieht, eng mit der Eigentumsfrage zusammenhängen. Dass deren Lösung nur durch eine proletarische Lösung, mit der Errichtung einer proletarischen Demokratie, durch einen langen und heftigen Kampf gegen die Bourgeoisie und ihren Staat zu erreichen sein wird. Und nicht durch den Marsch durch die Institutionen des vorderhand immer noch bürgerlichen Staates. Und in Was tun? (1902) schreibt Lenin über die Eigenschaften der Vertreterinnen und Vertreter dieser Avantgarde: „Man kann nicht genug betonen, dass … das Ideal eines Sozialdemokraten nicht der Sekretär einer Trade-Union, sondern der Volkstribun sein muss, der es versteht, auf alle Erscheinungen der Willkür und Unterdrückung zu reagieren, wo sie auftreten mögen, welche Schicht oder Klasse sie auch betreffen mögen, der es versteht, an allen diesen Erscheinungen das Gesamtbild der Polizeiwillkür und der kapitalistischen Ausbeutung zu zeigen, der es versteht, jede Kleinigkeit zu benutzen, um
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vor aller Welt seine sozialistische Überzeugung und seine demokratischen Forderungen darzulegen, um allen und jedermann die welthistorische Bedeutung des Befreiungskampfes des Proletariates klarzumachen.“ Nun, dies sind nicht gerade Eigenschaften von Leuten und Parteien, die nach Parlamentsmandaten und Regierungspositionen streben und zu diesem Zwecke zu allen möglichen Zugeständnissen an die Bourgeoisie und/oder an die retardierenden Segmente der Lohnabhängigen und der Mittelschichten bereit sind. Willi Eberle animiert die Webseite maulwuerfe.ch, ist Mitglied der Schweizer Gauche anticapitaliste / Antikapitalistische Linke und lebt in Zürich.
1 Siehe etwa : Willi Eberle: Das Syriza-Debakel und die verkannte Machtfrage unter maulwuerfe.ch vom 16. September 2015. Siehe auch den Beitrag in Inprekorr Nr. 2/2014 {508/509] (März/April 2014) „Breite Parteien“ und die Machtfrage in geschichtlicher Perspektive. 2 Siehe den Vorschlag der belgischen LCR-SAP: L’épreuve de force grecque et l’urgence du débat stratégique à gauche unter www.lcr-lagauche.org vom 15. Juli 2015. 3 Stathis Kouvelakis: ¿Hacia una gran coalición proausteridad? unter vientosur.info vom 25. November 2015. Diese Entwicklung von Syriza war eigentlich spätestens einige Tage nach dem Regierungsantritt von Ende Januar 2015 absehbar. Siehe dazu den unter Fußnote 1 aufgeführten Beitrag, der einige einschlägige Quellen anführt. 4 Siehe z. B. Antonio Maestre: El fracaso de Podemos en su intento por huir de la etiqueta extrema izquierda auf www. lamarea.com vom 9. August 2015. Siehe dazu auch den Beitrag von Michel Husson: Podemos tras la rendición griega unter vientosur.info vom 13. November 2015. 5 Siehe dazu etwa: Chris Harman: The Fire last Time. 1968 and after. Second edition. 1998; Philip Armstrong, Andrew Glyn, John Harrison: Capitalism since 1945. 1984. Michel Husson: Misère du capital. Une critique du néolibéralisme. 1996. Zu der Entwicklung bis hin zu Doppelmachtsituationen und den verfehlten politischen Ansätzen der Linken, vor allem im Rahmen der Volksfrontstrategie, die diese zum Scheitern brachte: Colin Barker (ed.): Revolutionary Rehearsals. 1987. 6 Siehe dazu u.a. den Beitrag von Mike Gonzalez in Colin Baker, op. cit. Und die sehr gute Broschüre: AL-Antifaschistische Linke: Chile 1973. Der Putsch der Generäle und das Versagen der Regierung Allende. 2003. 7 Donald Sassoon: One Hundred Years of Socialism. The West European Left in the Twentieth Century. 1996, Seite 747. 8 Ernest Mandel: Kritik des Eurokommunismus. Revolutionäre Alternative oder neue Etappe in der Krise des Stalinismus? 1978, Seite 53. 9 Diese hier etwas polemisch verkürzt wiedergegebene Position über «breite antikapitalistische Parteien» kann vielerorts ausführlich nachgelesen werden, z.B. bei Murray Smith, 58 Inprekorr 1/2016
dem Gründer der Scottish Socialist Party, unter ‚Broad left parties‘: Murray Smith replies to Socialist Alternative‘s Mick Armstrong unter links.org vom 23. Juni 2014. Die Nummern 169 (2003) bis 187 (2008) von Critique Communiste, der theoretischen Zeitschrift der damaligen französischen LCR, geben ein breites und nuanciertes Spektrum dieser Debatte. Ein interessanter aktueller Austausch nebst vielen anderen ist etwa der zwischen Catarina Principe (aus dem portugiesischen Bloco de Esquerda) & Dan Russell: Asking the Right Questions unter www.internationalviewpoint.org vom 18. September 2015 und der Replik von Todd Chretien: What parties? – A debate: where do socialists belong? unter www.europe-solidaire.org vom 19. September 2015. 10 Chris Harman and Tim Potter: The workers government unter isj.org.uk . Dieser Aufsatz stammt aus dem Jahre 1977 aus Anlass einer Debatte in der italienischen radikalen Linken, dem historischen Kompromisses der PCI eine alternative linke Strategie zur Bildung einer linken Regierung gegenüberzustellen. Siehe auch Paul Blackledge: Once more on left reformism: A reply to Ed Rooksby unter isj.org.uk vom 9. Januar 2014. 11 Hierzu auch : Nico Biver: Ist Syriza eine politische Formation der Mittelschichten? unter maulwuerfe.ch vom 8. August 2015. 12 Paul LeBlanc: Organising for 21st century socialism -Reflections on the history and future of Leninism unter links.org.au vom 8. Juni 2013. Dazu auch sein Buch: Lenin and the Revolutionary Party. 1990. Siehe dazu natürlich weiterhin W.I.Lenin : Staat und Revolution. 1917. 13 Sur le retour de la question politico-stratégique in Critique Communiste 181, Seiten 102ff. Siehe auch die kritische Intervention von Claudia Cinatti: Welche Partei für welche Strategie? Unter www.ft-ci.org vom 2. November 2008. 14 Beispielsweise Antoine Artous: La LCR et la gauche: sur quelques questions stratégiques. Critique communiste Nr 176, Seiten 175ff. 15 Siehe unter anderem: Mick Armstrong: A response to Peter Boyle‘s ‚What politics to unite the left?‘ unter www. greenleft.org.au vom 14. Dezember 2012
R e g i s t e r 2 0 15
Register 2015 Register nach Ländern Titel Afrika Ist Afrika im Aufbruch? Argentinien Schwanengesang des Kirchnerismus Belgien Die LCR, die PTB, die Gewerkschaftslinke und die Perspektiven Bolivien Bolivien: Anti- oder Staatskapitalismus Brasilien Brasilien – „die Patronin der Reichen” Chile Aufruhr in der politischen Szenerie Soziale Kämpfe nach 2011 China China und das „Chinesische Meer” Die chinesische Finanzblase platzt Deutschland Gravitationszentrum des europäischen Kapitalismus Ecuador Es war einmal … die Bürgerrevolution: Europa Immer konkurrenzfähiger – auf Kosten der Löhne Weltweite Flüchtlingskrise und Krise der EU Die europäische(Des-)Integration Frankreich Wider das Denkverbot Streik gegen die Gymnasialreform! Gebrauchsfähig für den Arbeitsmarkt Mehr finanzielle Mittel statt Reformen! Die Mobilisierung geht weiter Für die Ausweitung des Kampfes! Griechenland Reform und Wandel? Die Aufgaben der Linken nach dem Sieg von SYRIZA Nach dem Sieg für SYRIZA – Mobilisierung gegen die Sparpolitik Die Syriza-Regierung in den Fängen des Neoliberalismus Solidarität mit dem griechischen Volk!
AutorIn
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Firoze Manji, Jean Nanga
2/2015
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Marcelo N.
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Leitung der LCR/ SAP
1/2015
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Virginia de la Siega 1/2015
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Jean-Philippe Divès 1/2015
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5/2015 Sergio Grez Sergio Grez, Franck 5/2015 Gaudichaud
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Pierre Rousset Martine Orange
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Heinz Jandl
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Jean-Philippe Divès 1/2015
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Michel Husson
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Pierre Rousset
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Yann Cézard
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Julien Salingue Nationale Bildungskommission der NPA Vincent Présumey Galia Trépère
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5/2015 5/2015 5/2015 Nationale Bildungs- 5/2015 kommission der NPA
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Panagiotis Sotiris 2/2015 Diethnistiki Ergatiki 2/2015 Aristera (DEA) Andreas Sartzekis 2/2015
4 7
Kokkino Diktyo
3/2015
5
3/2015
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3/2015
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3/2015 4/2015 4/2015 4/2015
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4/2015 4/2015 4/2015
15 19 21
Internationales Komitee der IV. Internationale Das gebrochene Versprechen der Syriza- Giannis Kastanos Regierung Eine Art anderer Staat? Todd Chretien Die Schlinge zieht sich zu … Jean-Philippe Divès Die Wurzeln der Krise in Griechenland Henri Wilno Keine Zugeständnisse an die Verfechter Sotiris Martalis der Austerität Keynes oder Marx? Michael Roberts Seien wir ehrlich Jonathan Neale Neue Zeiten, neue Parteien, alte Fragen Daniel Tanuro
9
Éric Toussaint 4/2015 Ansatzpunkte für ein Schuldenaudit Griechenlands Der blutige Kampf des Imperialismus Marc Pavlopoulos 4/2015 gegen die Résistance Demut kommt vor dem Fall MiWe 5/2015 Von links außen gegen das TsiprasAndreas Sartzekis 5/2015 Memorandum 5/2015 In Griechenland und ganz Europa die Sotiris Martalis Gegenoffensive aufbauen LCR/SAP (Belgien) 5/2015 Die Machtprobe in Griechenland und die Dringlichkeit einer linken Strategiedebatte 5/2015 Grexit – für einen Tabubruch in der linken Daniel Tanuro Debatte! Für einen Gegenangriff der Arbeiterklasse OKDE-Spartakos 5/2015 auf das „linke“ Memorandum! Der Kampf geht weiter Stathis Kouvelakis 5/2015 OKDE-Spartakos 6/2015 Erklärung zu den Wahlen am 30.9. Italien Italien – das Ende der Friedhofsruhe? Andrea Martini 1/2015 Die Gewerkschaften und das Franco Turigliatto 3/2015 Zweigespann Renzi-Quinzi Schulen im Dienste der Unternehmen! Francesco Locantore5/2015 Die Heuchelei der Regierenden Chiara Carratú 5/2015 Kuba Kuba – ein Pyrrhussieg? Erklärung des Büros 2/2015 der IV. Internationale Kurdistan Von der stalinistischen Raupe zum Alex de Jong 4/2015 libertären Schmetterling? Lateinamerika Jean-Philippe Divès 1/2015 Ebbt die linke Welle ab? Lateinamerika – Ende des Booms Claudio Katz, Henri 1/2015 Wilno Mexiko LehrerInnen gegen Peña Nieto Manuel Aguilar 5/2015 Niederlande Wohin geht die Sozialistische Partei? Pakistan Solidarität mit Baba Jan! Palästina Erklärung der IV. Internationale zu Palästina
Alex de Jong
59 4 5 9 11 14 16 18 60 17 42 22 23 20
35 31 32 31
1/2015
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Uraz Aydın
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Metin Feyyaz Alex de Jong
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Internationales Komitee der IV. Internationale
Québec Studierendenbewegung flammt erneut auf Schweiz Eine (beinahe) entwaffnete Arbeiterklasse Willi Eberle Spanischer Staat Welchen Weg geht Podemos Manuel Garí Subsahara-Afrika Imperialistische Fremdherrschaft in neuer Jean Nanga Gestalt Syrien „Wir sind in einer Position der Schwäche“ Lorca, Midu, Abu Laïla Tunesien Auf dem Weg zur „Normalisierung“ Dominique Lerouge Türkei Die AKP, die Kurden und die Belagerung von Kobane Störfeuer im Unternehmerparadies Von der stalinistischen Raupe zum libertären Schmetterling?
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R e g i s t e r 2 0 15
Solidarität mit den kurdischen und türkischen Aktivistinnen Ukraine Resolution zur Ukraine Uruguay Von Strukturreformen zum „progressiven Projekt“ USA Kampf um den 15-Dollar-Stundenlohn Venezuela Rechtswende nach Chávez’ Tod Vietnam Die Niederlage nach dem Sieg von 1975
Erklärung des Ju5/2015 gendcamps der IV. Internationale
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Internationales Komitee der IV. Internationale
3/2015
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Ernesto Herrera
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Dan La Botz
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Pedro Huarcaya
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Pierre Rousset
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Register nach Themen (Auswahl) Titel Bildung Schulen im Dienste der Unternehmen! Die Heuchelei der Regierenden Streik gegen die Gymnasialreform! Gebrauchsfähig für den Arbeitsmarkt Mehr finanzielle Mittel statt Reformen! Die Mobilisierung geht weiter Für die Ausweitung des Kampfes! Aufruhr in der politischen Szenerie Soziale Kämpfe nach 2011 Studierendenbewegung flammt erneut auf LehrerInnen gegen Peña Nieto Debatte Geopolitisches Chaos und die Folgen Anmerkungen zur Debatte über „Imperialismus und Geopolitik” Die Dynamik der kapitalistischen Globalisierung Moderner Imperialismus konkret Linksreformismus in der Defensive Fundamentalismus Religiöser Fundamentalismus Geschichte Benjamin und Trotzki: 1940 Jugendcamp 32. Internationales Sommercamp Jugendcamp der IV. Internationale Klima COP 21 – Gipfel der Verlogenheit Nachruf François Vercammen (1944–2015) Internationalistischer Praktiker und Theoretiker: François Vercammen François Maspero (1932–2015) Nationale Frage Anmerkungen zur nationalen Frage in Westeuropa Schottland – Nationalismus von links
60 Inprekorr 1/2016
AutorIn
HeftSeite
Francesco Locantore 5/2015 Chiara Carratú 5/2015 Nationale Bildungs- 5/2015 kommission der NPA Vincent Présumey 5/2015 Galia Trépère 5/2015 5/2015 Nationale Bildungs- 5/2015 kommission der NPA Sergio Grez 5/2015 Sergio Grez, Franck 5/2015 Gaudichaud 5/2015
22 23 24
Manuel Aguilar
5/2015
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Pierre Rousset François Sabado
1/2015 1/2015
56 62
Henri Wilno
2/2015
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Hans-Ulrich Hill Mikael Hertoft
2/2015 6/2015
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Farooq Tariq
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Helmut Dahmer
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Daniel Tanuro
6/2015
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Wilfried Dubois Jan Malewski
5/2015 5/2015
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Marcel-Francis 5/2015 Kahn, Alain Krivine
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Henri Wilno
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Jean-Philippe Divès 2/2015
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Belgien – Nationale Krise vor neoliberalem Hendrick Patroons Hintergrund Spanien – Nationale Konflikte im Spiegel Andreu Coll der Geschichte Neues aus der historischen Kommunismusforschung Nachruf auf Hermann Weber Peter Berens Ralf Hoffrogge: „Werner Scholem. Eine Peter Berens politische Biographie (1895–1940)” Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler Peter Berens und Stalin. Die Linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Eine Gesamtdarstellung, Peter Berens Gelsenkirchener Tagung vom 15./16.11.2014 zur Geschichte der Linken Opposition der KPD und anderer linker Kleinorganisationen Ökologie Der Alarmruf des Weltklimarats Daniel Tanuro „This changes everything“ Daniel Tanuro Ökonomie Ein Rundblick auf die Weltwirtschaft Gaston Lefranc Auf dem Weg in die nächste Finanzkrise Gaston Lefranc Europa vor der Krise Henri Wilno Russland – ein Koloss auf tönernen Füßen Gaston Lefranc Der aufhaltbare Anstieg des Ölpreises Jean-Claude Vessillier Die digitale Revolution als Ausweg aus Jean-Philippe Divès der Krise? Die chinesische Finanzblase platzt Martine Orange Welches produktivistische Modell? Michel Husson Ökosozialismus Die drohende ökologische Katastrophe Daniel Tanuro Theorie Utopie und Wirklichkeit – methodische Bernhard Brosius Aspekte
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die Internationale Titel AutorIn Geopolitisches Chaos und die Folgen Pierre Rousset Anmerkungen zur Debatte über François Sabado „Imperialismus und Geopolitik” Nachruf auf Hermann Weber Peter Berens Ralf Hoffrogge: „Werner Scholem. Eine Peter Berens politische Biographie (1895–1940)” Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler Peter Berens und Stalin. Die Linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Eine Gesamtdarstellung, Peter Berens Gelsenkirchener Tagung vom 15./16.11.2014 zur Geschichte der Linken Opposition der KPD und anderer linker Kleinorganisationen Moderner Imperialismus konkret Hans-Ulrich Hill „This changes everything“ Daniel Tanuro Utopie und Wirklichkeit – methodische Bernhard Brosius Aspekte Die Niederlage nach dem Sieg von 1975 Pierre Rousset Der blutige Kampf des Imperialismus Marc Pavlopoulos gegen die Résistance Stathis Kouvelakis Der Kampf geht weiter Religiöser Fundamentalismus Farooq Tariq Gravitationszentrum des europäischen Heinz Jandl Kapitalismus Benjamin und Trotzki: 1940 Helmut Dahmer Linksreformismus in der Defensive Mikael Hertoft
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