Transcript
Von wegen Streichholz
H i f i E x k l u s i v S ta n d l a u t s p r e c h e r
Zum wiederholten Male überrascht der dänische Hersteller Raidho bei seinen Lautsprechern mit neuen Ideen. Die X3 macht da keine Ausnahme.
34 STEREO 12/2015
Raidho.indd 34
27.10.15 09:45
vier 10-cm-mitteltontreiber aus einer alu/ keramik-legierung, die in unterschiedlichen frequenzbereichen arbeiten, darunter die bedämpfte reflexöffnung
W
as ist das? Ein streichholzdünner Standlautsprecher für fette 22.000 Euro? Leute, wisst Ihr, was wir in der Preisliga in den letzten Monaten für Brecher zu sehen und zu hören bekamen? Da gab’s nicht alberne 40 Kilo fürs Geld, sondern teils mehr als das Dreifache an Gewicht – und eine entsprechende Statur lieferten Canton und B&W auch gleich mit, sodass sie sich schon rein optisch einen gewissen Respekt zu verschaffen wussten. Und nun kommt der Spargeltarzan aus aus dem Norden Dänemarks daher und behauptet von sich, mit Fug und Recht Anspruch auf einen Platz im Sandkasten der Großen zu erheben? Nach Verarbeitung der ersten Schockwellen und dem Wiedererlangen der Fassung begab sich also der Detektiv im Redakteur auf Spurensuche, um Anhaltspunkte und vielleicht ja sogar handfeste Belege für die Sinnhaftigkeit von Preis und Anspruch der Raidho X3 zu entdecken. Schließlich ist die Marke Raidho nicht erst seit gestern in den weltweiten HiFi-Zirkeln mit einem exzellenten Ruf versehen. Der Bändchenhochtöner ist uns auf Anhieb vertraut, sorgt er doch auch in den anderen Modellen des Herstellers für eine impulsgenaue, im Frequenzbereich weit über den Hörbereich hinausreichende, verzerrungsarme Wiedergabe. Auch die ihn umrahmenden vier jeweils zehn Zentimeter messenden Mitteltöner aus keramikbedampftem Aluminium haben wir zuletzt schon, allerdings als Einzelgänger, im Test der X1 in STEREO 1/15, kennengelernt. Doch Entwickler Michael Borresen hat nicht einfach einige Chassis mehr in ein größeres Gehäuse gesteckt, sondern sieht die X3 als Vorreiter für kommende Raidho-Produkte. Die erste Besonderheit findet sich an der Seite der Box: ein
20er-Alu-Tieftöner. Über Jahre haderte Borresen mit dieser Anordnung, obwohl sie seit rund zwei Jahrzehnten bei vielen, teils sehr teuren Lautsprecherkonzepten zur Anwendung kommt. Borresen befand jedoch keinen Lösungsansatz für so überzeugend, als dass er ihn als Ideengeber für seine eigenen Kreationen akzeptieren wollte. Woher also der Sinneswandel?
Point- und Line-Source Der Däne machte sich einige grundlegende Gedanken und experimentierte während der letzten Jahre, zwischen laufender Produktion und Messebesuchen in aller Welt, immer wieder mit Materialien, Chassisanordnungen und Weichenschaltungen, bis er auf die Idee verfiel, ein Weichenkonzept zu entwickeln, das
sich jeweils zwei Mitteltieftöner hat. Diese sind jedoch unterschiedlich angesteuert: Während das innere Pärchen der Keramikchassis ab 300 Hertz abwärts allmählich seiner Aufgaben entbunden wird, schaltet Borresen das äußere Paar so in Serie dazu, dass es den gesamten Frequenzbereich vom Bass bis knapp über 3000 Hertz verarbeiten muss. Der Effekt ist, dass bis hinauf zu rund 180 Hertz mit tiefer werdender Frequenz immer mehr Membranfläche zur Verfügung steht, die im Tiefsttonbereich dann zur Gewinnung von Dynamikreserven vom 20er-Alu-Chassis Unterstützung erfährt. So soll der Lautsprecher auch bei schwerer, energiezehrender musikalischer Kost geschmeidig und spontan reagieren, ohne dem Verstärker eine große Last zu sein. Hierzu trägt – wie schon beim kleinen Bruder X1 – das „Flow Vent“ getaufte, variable Bassreflexsystem bei, das je nach Frequenz und Pegel ein unterschiedliches Maß an Luft aus dem Gehäuse entlässt. So schafft es Borresen nach eigenen Angaben, das Gehäuse praktisch resonanzfrei zu machen. Zugleich, so betont
»Punkt- und Linienstrahler das Konzept geht auf« die Vorteile einer punktförmigen Abstrahlcharakteristik mit denen einer Line Source, wie sie unter anderem Elektrostaten liefern, zu kombinieren. Zur Umsetzung entschied er sich bei der X3 für ein Zweieinhalb-Wege-Konzept, bei dem die Chassis in einer d’Appolito-Konfiguration angeordnet sind, der Bändchenhochtöner also über und unter
12/2015 StereO 35
Raidho.indd 35
27.10.15 09:45
H I F I E X K L U S I V S TA N D L A U T S P R E C H E R
TEST-KOMPONENTEN PLATTENSPIELER: WellTempered Lab Amadeus 2 CD-SPIELER: T+A MP 3000 HV TONABNEHMER: Decca London Reference PHONO-VORSTUFEN: Brinkmann Edison VORVERSTÄRKER: Naim NAC N 272; Accustic Arts Tube Pre 2 MK II ENDVERSTÄRKER: Naim NAP 250; PS Audio BHK 250
der 50-Jährige, ist es ihm so gelungen, das Entwicklungsziel – ein neuartiges dynamisches Dämpfungssystem für seine Treiber zu kreieren – in die Tat umzusetzen. Als praktische und für Verstärker höchst angenehme Effekte entfällen nicht nur die sonst üblichen Impedanzspitzen im Bass, sondern auch die damit häufig einhergehenden Phasenverschiebungen, die Verstärker ebenfalls gehörig ins Schwitzen bringen können. Wem das immer noch nicht genug an Vorteilen erscheint, auch angesichts des Preises bei der zierlichen Erscheinung, dem kann Borresen mit schelmischem Lächeln noch entgegenhalten, dass dem Lautsprecher die Umgebung, in der er spielt, ziemlich egal ist – er fühlt sich angeblich fast überall wohl.
sind das andere. Dies ist eine immer wieder gemachte Erfahrung – nicht nur in unseren Hörräumen, sondern auch bei vielen Händlern und mutmaßlich auch bei Ihnen zu Hause, liebe Leser. Mit „plug and play“ war es jedenfalls, wie eigentlich immer bei unserer gemeinsamen Passion, mal wieder nichts, insofern wurde unsere Erwartungshaltung da auch keinesfalls enttäuscht. Es braucht halt immer seine Zeit, wenn man das Potenzial eines Produktes oder einer Kette maximal ausloten will.
Zeit und Geduld
Die X3 benötigt, wie alle ihre Familienmitglieder, eine große Basisbreite, die in unserem Fall bei gut drei Metern lag, und eine starke Anwinkelung auf den Hörplatz, die sich nach einiger Zeit ebenfalls bei knapp drei Metern Entfernung
einpendelte. Auch nach hinten und zu den Seiten mag die Raidho es nicht, wenn sie eingeengt ihre Arbeit verrichten soll. Sowohl das nur 0,02 Gramm wiegende Bändchen in seiner halbgeschlossenen Kammer als auch die restlichen Chassis verlangen also nach eher großzügiger räumlicher Umgebung.
»HighEnd wird niemals „Plug & Play“ sein. Zum Glück!«
Optimistische bis vollmundige Versprechen über die Pflegeleichtigkeit eines Produktes von Herstellerseite sind das eine, ein praxistaugliches Handling und eine überzeugende musikalische Vorstellung
Der gerippte 20 Zentimeter messende Alu-Bass fühlt sich wohl, wenn er innen platziert ist.
Akustisches Hologramm
Nicht zu viel versprochen hatte Borresen mit seinen Ausführungen zum Anforderungsprofil an den Verstärker: Trotz sehr mäßiger 82,5 Dezibel Wirkungsgrad verhungerte die X3 auch an der wattmäßig eher mäßig opulenten Naim-Kombi (Test ab Seite 16) keinesfalls, setzte sich vielmehr mit überragend luftiger Abbildung mehr als gekonnt in Szene. So plastisch, Gedanken an ein akustisches Hologramm weckend, wie Doug MacLeod bei „Run With The
Stabile Ausleger und der Luftaustritt des „Flow Vent“ getauften Reflexsystems
36 STEREO 12/2015
Raidho.indd 36
27.10.15 14:28
Devil“ in den Raum projiziert wurde, erlebt man das nicht alle Tage. Wie mühelos dabei kleinste Details, wie das Tippen des Fußes auf den Boden, dargeboten wurden, rief einen weiteren Aha-Moment hervor. Die Tastenakrobatin Martha Argerich spielte Prokofjew mit Tempo und Inbrunst, dass den Hörern beinah schwindlig wurde. Dabei zeigte sich, dass die X3 sich zwar absolut in den Dienst der Musik stellt und sich dieser unterordnet, dabei den Hörer aber doch mit ihren Vorzügen zu bezirzen weiß. Die Leichtigkeit und Unmittelbarkeit, mit der auch leise Töne bei geöffneter Hörraumtür noch zwei Räume weiter erfassbar waren, lieferten wieder einmal Belege für die These, dass sich eine gut klingende Anlage im ganzen Haus zu erkennen gibt. Dort mag der Frequenzgang als solcher kaum noch erkennbar sein, zigfache Reflexionen dem reinen Genuss sich in den Weg des Schalls gestellt haben – das, worauf es ankommt: das Gefühl nämlich, dass sich da in unmittelbarer Nähe ein Live-Erlebnis abspielt, wird über die Raidho ganz hervorragend vermittelt.
Raidho X3 Paar € 22.000 Hochglanz Walnuss, Schwarz, Weiß Maße: 14 x130 x 40 cm (BxHxT) Garantie: 5 Jahre Kontakt: Gaudios Tel.: 0043 316 337175 www.gaudios.info Bedrängt von den Schwergewichten und Platzhirschen in der 20.000-Euro-Preisklasse weiß die zierliche Raidho X3 sich ihren Platz in der Top-Liga vielleicht gerade noch ersparbarer heutiger Lautsprecher zu sichern. Eine exklusive, auch optisch eigenständige Anschaffung fürs Leben. messergebnisse *
Langzeiterfahrungen Da wir uns während der vergangenen Monate immer wieder mit diesem Lautsprecher in den unterschiedlichsten Anlagenkonfigurationen befassen konnten, in den unterschiedlichsten Stimmungen hören und in der Zwischenzeit auch diverse preisgleiche Top-Boxen im Hörraum ihre Aufwartung machten, lässt sich abschließend ein sehr differenziertes Urteil über den Lautsprecher und seine Eigenschaften fällen: Die X3 ist ein echter Understatement-Lautsprecher, der jedweden Hörertyp zu beeindrucken weiß, versteht er sich doch auf jede Musikrichtung, kennt dazu keine bevorzugte Abhörlautstärke und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie reicht nicht ganz so brachial tief hinab und staubt dabei auch einen Hauch weniger als die schärfsten Konkurrenten, bleibt aber immer aufmerksam bei der Musik. Auch die Frage, ob mehr Tiefenstaffelung und ein großes Klangbild oder doch eher Ortungsschärfe präferiert werden, stellt sich hier nichtmal im Ansatz. Die X3 bietet beides im Übermaß und macht sich selbst dabei akustisch weitestgehend unsichtbar. Schön, dass sie physisch trotzdem da ist. Michael Lang
Nennimpedanz
4Ω
minimale Impedanz
4 Ω bei 78 Hertz
maximale Impedanz
8 Ω bei 4800 Hertz
Kennschalldruck (2,83 V/1m)
82,5 dB SPL
Leistung für 94 dB (1m)
21 W
untere Grenzfrequenz (-3 dB)
33 Hertz
Klirrfaktor bei 63 / 3k / 10k Hz
1,0 | 0,3 | 0,3 %
Labor-kommentar
Der Frequenzgang ist auf Achse gemessen weitgehend linear, eine starke Anwinkelung auf den Hörplatz und eine Basisbreite von gut drei Metern sind für ein homogenes Klangbild erforderlich. Der Bass reicht weiter hinab, als man es der Box zutraut. Der Impedanzverlauf ist sehr gleichmäßig und für Verstärker unkritisch, der Wirkungsgrad mäßig. Die Sprungantwort zeigt ganz leichte Nachschwinger.
ExtrEm JEtzt, Ja!
96%
SEHR GUT * Zusätzliche Messwerte und Diagramme für Abonnenten unter www.stereo.de
www.audioquest.de Raidho.indd 37
0800 1815284 27.10.15 09:45